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Vier Männer in Afrika

Ein junger Mann mit einem Herzen für Abenteuer hat eine Expedition nach Ost-Afrika ausgerüstet. Mit Flugzeugen und Filmkamera.

Wir sitzen, vier Männer, im offenen Zelt. Schneeberger, der Filmoperateur, ein kleiner, jäher, sehniger Bursche. Im Krieg war er der Held von der Tofana. Hat den Schreckenstein gehalten, nachdem er vom Feind in die Luft gesprengt war. Mit acht Mann unter dreißig Toten. Er spricht wenig, aber man kann Häuser bauen auf jedes Wort, das er sagt.

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Im Innern Afrikas

Dann ist Suchocky da und ich. Wir sind die beiden Flieger der Expedition.

Der vierte, Vater Siedentopf, erzählt. Er erzählt die berühmte Geschichte vom Schuß auf Köttersheim.

Draußen vor dem Zelt steht die afrikanische Nacht. Schakale heulen, kreischendes Lachen der Hyänen und das weiche, tiefe Rauschen der Urwaldwipfel hinter uns wie Meeresbrandung. Wenn man vors Zelt tritt, kann man die Fläche der Serengeti gespenstisch im Mondlicht schimmern sehen, glatt wie ein See bei Windstille.

Siedentopf erzählt. Von Zeit zu Zeit glüht seine Shagpfeife auf, schwebt wie eine feurige Kugel in der Dunkelheit, beleuchtet sein mageres, ausgegerbtes Gesicht. Er ist früher einmal einer der reichsten Männer von Deutsch-Ost gewesen. Hat einen ganzen Krater besessen voll fruchtbarer Lavaerde, voll Wild und Wasser, groß wie ein deutsches Fürstentum.

Er hat alles wieder verloren. Jetzt ist er Führer und Berater unserer Reisegesellschaft.

»Ich sehe«, erzählt er, »wie drüben in der eisenbeschlagenen Tür des Forts ein Guckloch aufgeht. Ein Guckloch wie in einem Theatervorhang. Wir liegen dreihundert Meter entfernt in Geländedeckung. ›Jetzt sollt ihr was erleben‹, sage ich zu meinen Jungens, ›dies Bouillonauge schwimmt auf Siedentopfs Suppe.‹ Ich lege an, ziele, drücke ab. Das Guckloch drüben schließt sich, der eiserne Deckel dahinter fällt herunter. Ich habe meinen Mann getroffen. Es war –«

»Der englische Kommandant von Köttersheim«, fällt ihm Schneeberger ins Wort, »und nun wollen wir in die Schlafsäcke kriechen.«

Siedentopf steht auf. »Es ist ein Kreuz«, sagt er traurig, »jeder Mensch kennt die Geschichte von Köttersheim. Vom Kap bis rauf zum Sudan. Aber euch habe ich sie doch erst dreimal erzählt ...«

Wir kreuzen jeden Tag über der Serengeti. Wild treffen wir immer. Riesige Gnuherden, vor den fremden Vögeln davonstiebend, Gruppen von Giraffen, Löwen in Rudeln, mächtige, dickbeinige Rhinozerosse, die hinter unserem Schatten herlaufen. Mit ihrem kurzen Horn stoßen sie wütend in die Luft.

Es ist blendend hell, in der glasklaren Luft können wir von oben Hunderte von Kilometer weit sehen. Trotzdem ist das Arbeiten schwer. Vom Flugzeug aus sausen die Bilder so schnell vorbei, daß die Kamera sie nicht packen kann. Wir müssen mit gedrosseltem Motor gegen den Wind ganz dicht über der Erde entlangstreichen. Nur so sind brauchbare Tierbilder zu bekommen.

Eine Löwengruppe, zwei Männchen und drei Weibchen.

Ich fliege sechs Meter hoch über ihnen, fotografiere, den Knüppel zwischen die Beine geklemmt.

Die Löwen heben ein paarmal den Kopf, äugen mißtrauisch nach oben, aber sie bleiben liegen. Anders die Weibchen. Sie haben sich aufgerichtet, lassen das Flugzeug nicht aus dem Auge, peitschen mit kurzen, nervösen Schlägen den Sand.

Plötzlich schnellt eines vom Boden auf bis dicht unter die rechte Tragfläche meiner Maschine. Ich bin so verblüfft, daß ich beinahe die Kamera fallen lasse.

Suchocky und Schneeberger folgen mir im zweiten Apparat. Sie fliegen sehr langsam, kaum drei Meter hoch. Ich drehe mich um, winke, will sie warnen.

Da geschieht's auch schon. Wie ein Blitz zuckt der gelbe Körper der Löwin vom Boden hoch. Ein Prankenhieb gegen die Tragfläche, Suchockys Maschine bekommt Schlagseite, streift den Boden, richtet sich wieder auf, saust kaum meterhoch über der Erde nach Osten auf unser Zelt zu. Ein langer, silberner Stoffstreifen flattert hinter ihr her.

siehe Bildunterschrift

Die Löwin setzt zum Sprung an auf die wenige Meter über dem Boden fliegende Maschine

Die getroffene Löwin wälzt sich im Sand. Die andern Katzen sind aufgestanden, starren uns nach.

Im Kamp stellen wir fest: der Stirnholm ist durchschlagen, der rückwärtige Holm und die Verwindungsklappe angerissen. Der Schlag muß von furchtbarer Wucht gewesen sein. Deutlich kann man die Krallen erkennen, Haare, kleine Blutspritzer.

Ich habe es nur dies eine Mal erlebt, daß Tiere ein Flugzeug in der Luft angreifen. Sonst attackieren sie uns nur, wenn wir landen, in ihr eigenes Revier eindringen.

Wir fliegen über den Tälern des Esimingor. Suchocky und Siedentopf in ihrer »Klemm«, ich allein in der kleinen »Motte«. Unter uns Dornengestrüpp, das verstaubte, stumpfe Grün der Euphorbienwälder.

Wir wollen landen und Aufnahmen machen. Suchocky schwebt zuerst aus. Er hat den Boden schon fast berührt, da reißt er die Maschine wieder hoch.

Ein runder, flacher Stein, der im Gelände lag, hat sich erhoben, stürmt hinter ihm her: ein Rhinozeros.

Es geschieht alles so schnell, daß ich kaum mit den Augen folgen kann. Suchockys Maschine taumelt, schlägt gegen einen Termitenbau, kracht zu Boden.

Eine Staubwolke quillt auf, der Apparat liegt da, das zerbrochene Fahrgestell in der Luft.

Ich lande direkt neben ihm. Das Rhinozeros stampft um den Platz herum, zieht immer engere Kreise. Zwei Büchsenschüsse, der Dickhäuter verschwindet schnaubend im Busch.

»Suchocky, Siedentopf!« schreie ich.

Eine klägliche Stimme antwortet: »Hier!« Suchocky muß durch die Wucht des Anpralls nach hinten in den Rumpf der Maschine hineingeschleudert sein.

Es ist unmöglich, die Klemm aufzurichten, zu schwer für einen einzelnen. Ich hole mein Buschmesser, reiße die Flanke des Flugzeugs auf.

Mühsam kriecht Suchocky heraus, streckt sich auf den Rasen, liegt steif da. Der Bruch scheint ihn furchtbar durchgeschüttelt zu haben.

Ich laufe um das Flugzeug herum, suche Siedentopf. Da – eine braune Hand – sie ragt unter dem Rumpf hervor, regungslos.

siehe Bildunterschrift

Schneeberger und Suchocky betrachten das von der Löwin beschädigte Flugzeug

»Siedentopf!« schreie ich. »Siedentopf!« und trete mit aller Kraft gegen den Rumpf des Flugzeugs.

Stille.

Endlose Sekunden, dann die Stimme des alten Afrikaners:

»Verfluchte Schweinerei, das stinkt ja wie die Pest in diesem Affenkasten!«

Nach fünf Minuten habe ich ihn mit dem Buschmesser befreit.

Ich fliege die beiden zum Kamp zurück. Suchocky muß sich sofort legen, aber Vater Siedentopf erscheint abends wieder zum Essen im gemeinsamen Zelt. Krumm und lahm, aber er schimpft und futtert Corned Beef für zwei.

Drei Monate später – wir sind schon längst nach Deutschland zurückgekehrt – besuche ich Suchocky im Berliner Krankenhaus. Er hat ein ganz kleines Gesicht wie ein zehnjähriges Kind und wiegt noch achtzig Pfund. Leberschrumpfung, sagen die Ärzte.

Er zeigt mir einen Brief von Vater Siedentopf. Der alte Troupier ist zum Skelett abgemagert. Er hat in den letzten Wochen fünfundzwanzig Pfund verloren, schreibt er.

Sie sind beide fast am gleichen Tage gestorben.

Ich glaube, die Stelle, wo sie Bruch gemacht haben, war von Aas verpestet. Die Mediziner, mit denen ich über den Fall gesprochen habe, zucken die Achseln. Aber was es war, wissen sie auch nicht zu sagen.

*

Suchocky und Siedentopf sind ausgeschaltet, Schneeberger und ich arbeiten allein weiter. Wir verlegen unseren Arbeitsplatz nach Babati ins Gebiet der Ufiume-Neger.

Am frühen Nachmittag fliegen wir los, drei Viertelstunden später landen wir. Mit dem Auto wäre es eine Reise von zehn Stunden gewesen.

Wir steigen im Feigenbaum-Hotel ab. Schon von oben ist es uns aufgefallen. Vier kleine, runde, strohgedeckte Hütten, wie Bienenkörbe in die endlose Weite der Steppe hineingestellt. Dicht dabei ein flacher, langgestreckter Bau, wie ein Siedlungshaus für Bergarbeiter. Ein riesiger Feigenbaum reckt seine dunkelgrüne Laubkrone darüber zum Himmel auf.

Das Hotel hat Lord Lovelace errichtet, mitten in der Steppe, für Autotouristen und Flieger. Eins der merkwürdigsten Gasthäuser, in denen ich je gewohnt.

In jeder der Hütten stehen zwei saubere, weißbezogene Betten, sonst fast gar nichts. In dem Hauptgebäude aber ist eine Bar untergebracht, sie würde jedem europäischen Luxushotel Ehre machen. Martell ist da, Hennessy, Meukow und alter Black and White.

Wir räkeln uns auf den Zuckerkisten an der Theke, genießen die Zivilisation in flüssiger Form. Die Tür ist offen. Man sieht auf den baumbeschatteten Vorplatz und weiter hinaus, wo das Ende der Steppe am Horizont verschwimmt. Ein paar Negerweiber gehen vorüber, Tongefäße auf dem Kopf. Schlanke Gestalten mit eigentümlich schwebendem Gang.

»Werden gute Arbeit hier haben, schätz' ich«, sagt Schneeberger Ich nicke.

Der Himmel hat sich langsam umzogen. Schon auf dem Herflug lag im Nordosten ein hauchdünner Wolkenschleier. Er wächst, wird zur Wand. Ein blauer Schatten wandert über die gelbe, sonnenzitternde Erde.

»Wäre gut, die ›Motte‹ unter Dach zu bringen.«

Wir gehen hinaus, wo auf dem kleinen Flugplatz der Apparat steht, Es ist schon sehr dunkel geworden, das Stahlblau der Himmelskuppel mit einem schwarzen Bahrtuch verhängt. Wir fassen die Segelplane, wollen sie unserer ›Motte‹ überziehen.

In diesem Augenblick reißt der Himmel entzwei. Ein Wirbelwind fegt herunter, zerrt das Segel weg, treibt das Flugzeug und uns selbst wie dürre Blätter vor sich her. Und dann gibt's nur noch Wasser.

Regentropfen sind nicht zu unterscheiden, eine kompakte Flut stürzt auf uns hernieder, schäumt zu unseren Füßen auf.

Nur eine Minute kann das gedauert haben. Dann geht der Wolkenbruch in Regen über.

Vor mir, kaum fünfzig Meter entfernt, die ›Motte‹. Die traurigen Überreste der ›Motte‹.

»Schneefloh!« rufe ich kläglich.

Hinter den Flugzeugtrümmern taucht er auf, die Haare in wirren Strähnen im Gesicht, sieht aus wie eine gebadete Ratte.

Der Mixer hat unsere Gläser schon weggestellt. »Ich dachte, die Herren kämen nicht wieder«, sagt er freundlich lächelnd. Wir lassen uns neuen Martell geben, diesmal in Wassergläsern. Aus medizinischen Gründen, denn wir schlottern vor Kälte.

siehe Bildunterschrift

Elefantenherde bei Lohme

Sollen wir kapitulieren? Die tote ›Motte‹ liegenlassen und nach Hause zurückfahren? Oder einen neuen Anlauf nehmen, die zerschmissene Kiste flicken und wieder starten?

Der Martell wärmt wie ein Heizkörper den Magen. Draußen hat sich das Gewitter verzogen, die Abendsonne leuchtet grell im Westen. Funkelnde Pfützen, Tautropfen am Steppengras, dampfend steigt die Feuchtigkeit vom Boden auf.

Wir werden weiter fliegen.

Am nächsten Tag fahren wir nach Aruscha. Wir holen unseren Monteur Baier aus dem Lager der Reisegesellschaft, nehmen aus Aruscha zwei deutsche Zimmerleute mit, Meister Glaser und Meister Bleich. Mit großen Leimtöpfen und viel Eifer stürzen sie sich auf die neue Aufgabe.

Tage haben sie zu tun. ›Schneefloh‹ hopst draußen mit der Kamera herum, nimmt schlanke Babatimädchen auf, breitbrüstige, stolze Männer und viele Negerkinder. »Sie sind so nett«, sagt er, »weil man den Schmutz an ihnen nicht sieht.«

Ich aber habe viel Zeit.

Es verkehren merkwürdige Leute in Lord Lovelaces Feigenbaum-Hotel. Autotouristen meist, dunkle Gestalten manchmal, die in dunklen Geschäften irgendwo zu den Stämmen nach Süden wollen. Anziehender sind die Einheimischen, die Farmer. Wer hier leben kann, jahrelang in dieser Einsamkeit, muß ein Kerl sein, oder er verlumpt.

Da ist ein Amerikaner, groß, breitschultrig, mit hoch gewölbtem, kahlem Schädel. Er kommt alle zwei, drei Tage an die Bar, kippt drei Black and White, zahlt und geht wieder. Er heißt Sullivan. Der Barkeeper erzählt, daß Sullivans Frau ihm weggelaufen ist. Sie soll sehr schön gewesen sein. Er wartet noch immer auf sie.

Eines Abends kommen wir in ein Gespräch. Einen echten Männer-Speech über Kakaobohnen, Baumwollpflanzungen und die neuen Zölle im Empire. Am Schluß lädt er mich für den nächsten Tag zu einer Büffeljagd ein.

Schon im Morgengrauen holt er mich mit dem Auto ab. Der Wagen schaukelt über die Steppe, daß die Baumgruppen auf und nieder schwanken wie Inseln im Nebel.

An einem kleinen Gehölz machen wir halt. Ein großer Felsblock davor. Sullivan deutet hinauf, es ist wie eine natürliche Jagdkanzel. Er selbst taucht im Dickicht des Gehölzes unter, er will die Treiberkette anleiten. Ich bleibe allein. Vor mir der Wald wie eine grüne Mauer, dahinter, im Sonnenglast zitternd, die Weite der Steppe. Es ist still. Mittagsstille. Zikaden schrillen im braunen Gras, aus den Baumwipfeln fliegt mißtönig ein Vogelschrei. Die Träger drücken lautlos. So hellhörig ist der Büffel.

Ein Rascheln. Ein schwarzer Kopf mit breit ausladendem Gehörn schiebt sich durch die Blätterwand. Der Büffel wittert, tritt ins Freie. Es ist ein starker, alter Bulle. Ein Einzelgänger, der abseits von der Herde seine letzten Tage verbringt.

Er ist achtzig Meter entfernt, ich lege an und schieße. Er zuckt zusammen, dreht sich schwerfällig um, trabt ins Gehölz zurück.

Gleich darauf erscheint Sullivan. Er winkt mir, ich laufe hin. Mit dem Stock deutet er auf die dunkelgrünen Blätter eines Buschs, hellrotes, schaumiges Blut.

»Lungenschuß«, sagt er anerkennend.

Wir verabreden, daß ich mich diesmal an einem andern Platz aufstelle. In der freien Steppe, dreißig Meter vom Waldrand entfernt. Sullivan geht wieder zu den Treibern zurück.

Jetzt höre ich den Büffel schon lange vorher. Schnaubend und keuchend bricht er durchs Unterholz. Dann steht er da, den Kopf gesenkt, die kleinen blutunterlaufenen Augen fest auf mich gerichtet. Ich gebe ihm den Fangschuß, im Feuer bricht er zusammen.

Langsam schlendre ich zu ihm hin. Er liegt da, regt sich nicht mehr. Blut läuft ihm aus dem Maul, tropft aus einer Wunde im Kopf, sickert in den Sand. Ich sehe auf ihn hinunter. Es ist keine Heldentat, einen Büffel zu schießen. Die Waffen sind zu ungleich bei diesem Kampf.

Mit Geschrei stürzen die Schwarzen aus dem Dickicht hervor, Sullivan ist unter ihnen.

»Wollen Sie sich nicht vor Ihrer ›Strecke‹ fotografieren lassen?« fragt er.

Ich schüttle den Kopf. Ich habe die Ironie seiner Frage verstanden, aber ich würde es auch sonst nicht tun.

»Das ist gut«, sagt er, »es hätte mich enttäuscht, wenn Sie auch zu den Leuten gehört hätten.« Was für Leute er meint, sagt er nicht.

Die Schwarzen fallen mit langen Messern über den Büffel her, weiden ihn aus, schneiden große Fleischstücke aus den Keulen. Ein Feuer wird angezündet. Das Fleisch wird am Spieß gebraten. Ein bißchen zäh ist es schon, aber sehr schmackhaft.

Wir fahren im Auto durch die Steppe zum Feigenbaum-Hotel zurück. Die Sonne steht schon westlich, ein feuriger Ballon, die ganze Landschaft schwimmt in rotem Dunst.

»Sie haben keine Ahnung«, beginnt Sullivan, »wie hier die Jagd betrieben wird. Kommt so ein Bursche daher, der sein Leben lang nichts anderes gejagt hat als Dollars. Schon vom Schiff aus depeschiert sein Sekretär an den White Hunter in Nairobi: »Mister Moneymaker wünscht drei Löwen zu schießen, zwei Büffel und einen Elefanten. Möglichst in drei Tagen.« Der White Hunter besorgt den Jagdschein von der englischen Regierung, rüstet die Expedition aus vom Küchenchef bis zur letzten Patrone. »Safari« nennen sie das. Dann geht's los ins Jagdrevier. Der Löwe steht schon da, frißt das Zebra, das man ihm vorgeworfen hat.

Der Herr mit den Dollars schießt, der Löwe fällt um. »Solch einen hat selbst der Prinz von Wales nicht gekriegt«, flüstert der White Hunter und schließt die Augen. So kann er den dummen Stolz im Gesicht des Jägers und die kahlen Stellen im Fell des gefällten Simba nicht mehr sehen, den der Hunger des Alters ins Verderben trieb.

Dann läßt sich der Mann aus USA. fotografieren, über seiner Beute. Meist mit dem Fuß auf der Löwenmähne.

Wenn der White Hunter noch nicht ganz hartgesotten ist, schämt er sich. Denn er ist auch einmal ein Jäger gewesen, aber das Geld hat ihn versaut. Jetzt verkauft er sich als Führer an Jagdexpeditionen. Reich und fett wird er dabei, hat Autos, Villa und Dienerschaft. Doch die weidgerechte Jagd geht darüber zum Teufel.

Die Sonne ist hinter dem Horizont verschwunden, der Mond steht über der Ebene. In den Babatidörfern singen die Weiber.

Schneeberger schläft schon, als wir zum Feigenbaum-Hotel zurückkehren. Wir lassen einen Tisch draußen vors Haus stellen und trinken da.

»Einmal habe ich einen gekannt«, sagt Sullivan. Er trinkt den Whisky ohne Soda, wie Wasser, in großen, durstigen Schlucken. »Ein Jäger war das! Er kam hier runter auf Großwildjagd. Nimmt sich einen White Hunter, denn Geld hat er.

Der White Hunter besorgt ihm den Löwen. Ein altes Tier, das friedlich sein Zebra-Kotelett verspeist.

Was tut mein Mann, als er ihn sieht?

Er lacht laut auf, schultert seine Büchse, sagt: ›Kühe kann ich auch zu Hause schießen.‹

Kurz danach habe ich ihn hier im Feigenbaum-Hotel getroffen. Ein Kanadier war's, ein toller Kerl. Flieger, Rennfahrer, ein paarmal gestürzt, zusammengeflickt wie ein alter Autoschlauch. ›Das Leben ist Dreck‹, sagt er, ›Spaß macht's nur an der Grenze, wo der Tod anfängt.‹

Er wollte mit den Eingeborenen jagen, ich habe ihm einen Massaihäuptling vermittelt.«

»Hast du mal gehört«, fragt mich Sullivan – vom dritten Glas ab hat er mich geduzt –, »wie die schwarzen Burschen hier auf Elefanten gehen?

In der Nacht, wenn die Herde schläft, schleicht der Jäger, nur mit einem kurzen, breiten Buschmesser bewaffnet, in das Unterholz, wo sie die Nacht zubringen.

Es muß mondlos sein, sonst sehen sie ihn sofort. Er nimmt den stärksten Bullen an wegen des Elfenbeins. Schlägt ihm mit einem Hieb den Rüssel ab, verschwindet im Unterholz. Drei Sekunden hat er Zeit. Ist er in der dritten Sekunde nicht fort, findet man den Mann nicht mehr.

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Ich filtere Wasser für den fieberkranken Schneeberger

Der getroffene Bulle springt hoch, irrsinnig vor Schmerz, rast durchs Gehölz in die Steppe hinaus. Rückwärts. Denn ein Elefant ohne Rüssel kann nicht mehr vorwärts laufe«. Nach fünfzehnhundert Meter bricht er zusammen, verblutet.

Eine Biesterei ist das, gewiß. Aber es ist ein ehrlicher Kampf, gleich zu gleich. Auf zehn tote Elefanten kommt mindestens ein toter Mann.

Der Kanadier hat mir's erzählt. Er hat einmal eine solche Jagd mitgemacht.

Vier Monate ist er mit den Massais unterwegs gewesen, dann tauchte er wieder in der Gegend auf.

›Na?‹ frage ich.

›Es hat sich gelohnt‹, sagt er.

Sie haben einen Löwen getroffen. Einen von den Einzelgängern, die allein durch die Steppe ziehen. Solche Tiere sind so selten wie große Menschen.

Sie fressen niemals Aas, schlagen nur junge, frische und starke Tiere. Saufen das Blut ab, nehmen etwas vom zartesten Fleisch am Halse, lassen das Opfer liegen. Für die übrigen.

Denn in ihrem Gefolge ist immer ein Schwärm von kleineren Löwen. Ein Hofstaat, der sich von den Resten der königlichen Tafel nährt. Einen solchen Löwen haben sie aufgespürt und ihn verfolgt. Frische Tierkadaver zeichneten seinen Weg. Nach wenigen Tagen sind die Massais umgekehrt. Sie waren zu weit weg von ihren Dörfern und Weibern. Sie wollten heim.

Der Kanadier aber ist auf der Fährte geblieben. Was ein Jägerhirn an Listen ausdenken kann, hat er versucht, um den Löwen zu stellen. Junge Kälber haben nachts blökend in der Steppe gestanden, er selber hockte oben auf der Kanzel, von Moskitos bis aufs Blut gepeinigt. Er hat sich im Bauch eines ausgeweideten Zebras versteckt, aber der Löwe kam nicht.

Tagelang hat et das Tier verfolgt, er ist mager dabei geworden. Dann hat er es getroffen.

Auf einer Lichtung im Steppengras war's. Der Löwe stand da, kaum fünfzig Meter vom Mann entfernt. Der riß die Büchse an die Backe – und schoß nicht. Er konnte nicht schießen.

Nur ein Jäger kann das verstehen. Er hatte plötzlich die Empfindung: das Tier da drüben, dies stolze, königliche Tier, steht dir näher als mancher Mensch. Er setzte die Büchse ab und sah den Löwen an. Und der Löwe starrte zu ihm herüber mit seinen topasgelben, traurigen Augen.

Im welken Steppengras, das die Lichtung säumte, tauchten die gelben Katzenköpfe anderer Löwen auf. Das Gefolge war da, witterte Beute. Plötzlich schoß einer hinaus auf die Lichtung, direkt auf den Mann zu.

Der große Löwe wandte den Kopf. In drei Sätzen war er bei dem andern, ein Prankenschlag ins Genick, und wie vom Blitz gefällt brach der kleine zusammen.

Der Kanadier ging zu den Trägern zurück. Er ging langsam, sah sich manchmal um. Aber der Löwe folgte ihm nicht.«

»Wenn ein anderer als er mir diese Geschichte erzählt hätte«, sagt Sullivan, »würde ich nur gelacht haben. Aber aus dem Munde dieses Mannes ist niemals ein unwahres Wort gekommen... Übrigens«, fährt er nach kurzem Nachdenken fort, »kann man sich den Hergang ganz nüchtern erklären. Der junge Löwe hatte sich gegen das Recht des Stärkeren vergangen.«

»Deinen Kanadier möchte ich kennenlernen«, sage ich.

Sullivan steht auf. »Tot«, sagt er. »Bei einem Überlandflug unten im Süden abgestürzt und verbrannt. Viel soll nicht übriggeblieben sein.«

*

Die Regenzeit naht. Der Horizont ist mit grauen Schleiern verhangen. Der Kerntrupp der Expedition ist schon von Aruscha aufgebrochen und in Autos zur Küste gefahren. Schneeberger und ich aber wollen zurückfliegen. Wir nehmen unsere Reservemaschine, eine B. F. W. Die ›Motte‹ ist zwar zusammengeflickt, aber für einen solchen Langstreckenflug nicht mehr zu gebrauchen.

Der Tag unseres letzten Starts ist wie ein Volksfest. Die Babati-Mädchen springen mit hüpfenden Brüsten um das Flugzeug herum, der Barkeeper schwenkt sein weißes Mützchen, auch Sullivan ist von seiner Farm herübergekommen. Er trägt ein Paket unter dem Arm, in starkes braunes Papier gewickelt. Wie ein Kinderwagen sieht es aus. Aber es sind die Hörner des Büffels, den ich vor Tagen mit ihm geschossen habe.

»Sie sind ein Jäger«, sagt er. Er schüttelt mir die Hand, als wollte er mir den Arm ausreißen. Das ist die größte Liebeserklärung, deren er in nüchternem Zustand fähig ist.

Dann fliegen wir ab.

Die flache Steppe verschwindet, die dreitausend Meter hohen Zacken des Mau-Randes greifen zu uns herauf, der riesige, blitzende Silberschild des Victoria-Sees, und dann, unabsehbar nach Norden sich dehnend, das grüne Wipfelmeer der Urwälder. Ein faulig-süßlicher Verwesungsgeruch steigt von da auf.

Schneeberger arbeitet, macht Gegenlichtaufnahmen.

Plötzlich ein Klopfen, als wenn jemand von unten her mit dem Hammer gegen das Flugzeug schlägt. Ich sehe nach vorn, der Reservetank hat sich aus den gerissenen Haltebändern gelöst, schlingert hin und her. Ich sehe nach unten, Baumwipfel, achtzig Meter hohe Stämme, keine Lichtung, keine menschliche Siedlung, Ausschweben und Landen unmöglich. Links die Wasser des Victoriasees. An den flachen Ufern, träge wie treibende Baumstämme, Krokodile. Ganz deutlich kann man sie erkennen. »Helm ab zum Gebet!« denke ich.

Da steht Schneeberger auf, wirft sich mit dem Oberkörper nach vorn, umklammert den Tank mit beiden Händen, hält ihn mit dem Gewicht seines Körpers auf der Unterlage fest. Damit die Leitung zum Vergaser nicht zerbricht. Wenn er ihn bis Jinja halten kann, sind wir gerettet. Wir streichen jetzt dicht über den Wipfeln hin. Der Geruch des Waldes ist unerträglich, aber oben in der Höhe wird es kalt, vielleicht kann Schneeberger hier länger halten.

»Kannst du noch, Floh?« schreie ich. Das Dröhnen des Motors verschlingt die Worte.

Er antwortet nicht, aber sein kleiner, sehniger Körper liegt wie angegossen über dem Tank.

Jinja, das Ibis-Hotel. Ein Stück europäischer Zivilisation mitten in die afrikanische Wildnis hineingeschleudert. Wir schweben aus, landen. Ich muß Schneeberger aus der Maschine helfen. Er ist steif von der ungeheuren Anstrengung. In der Nacht bekommt er Fieber.

Ein Ford-Vertreter hilft uns, den Schaden zu reparieren.

»Halten Sie sich immer längs der großen Autostraße durch den Sudan«, sagt er uns beim Abschied – »für alle Fälle ...«

Über Lado sichten wir Elefantenherden. Zu Hunderten traben sie im Paßgang durch das hohe Gras. Staub wölkt sich wie Dampf vor ihnen auf.

Benzinrohrbruch. Wir müssen landen. Unter uns Sumpf und Busch. Zurück zur Autospur. Da – eine Sandstelle, wunderbar eben. Es ist doch gut, wenn man Ziellandungen geübt hat. Auf knapp fünfzig Meter rollt die Maschine aus.

Wir sind im Sudd, dicht am Autotrack, wo alle acht bis vierzehn Tage ein Wagen vorbeikommt. Der Boden strahlt Backofenhitze aus, kein schützendes Haus in der Nähe. Wir werfen die Zeltplane über die Maschine, legen uns darunter. Schneeberger stöhnt im Fieber nach Wasser.

Ich mache mich auf die Suche. An einer Stelle ist der Rasen grüner, dort muß Feuchtigkeit sein. Ich suche nach, brackiges Sumpfwasser steht braungelb in einem Loch. Ich koche es ab in leeren Ölkannen. Es ist eine umständliche Arbeit. Ich filtriere es durch meinen Schlafanzug. Schneeberger trinkt's in kurzen, durstigen Zügen. Meine Herstellung kann mit seinem Verbrauch kaum Schritt halten. Gegen Abend streichen ein paar Neger ums Zelt herum. Ich winke ihnen, sie verschwinden wieder. Endlich nähert sich einer. Es ist der Häuptlingssohn.

Die Verständigung ist schwer. Aber schließlich erfahren wir, daß wir bei den Lau-Negern gelandet sind. Flugzeuge kennen sie, sie sind voll Furcht und Unterwürfigkeit.

Doch als sie merken, daß unser Vogel flügellahm ist, ändert sich ihr Benehmen sofort. Wir sind irgendwie auf sie angewiesen, sie lassen uns das fühlen.

Ich bitte um Milch. Nach vier Stunden bringt der Neger unsere leere Feldflasche zurück, streckt die Hand aus. »Fünf Schilling«, sagt er. Ich zucke die Achseln, biete ihm ein Zigarettenetui an. Es ist aus Messing, Münchener kunstgewerbliche Arbeit, aber es glänzt wie Gold. Er nimmt es, betrachtet es genau, kratzt am Druckknopf. Wahrhaftig, er sucht den Stempel. Dann schürzt er verächtlich die dicken Lippen, reicht's mir zurück.

» No gold«, sagt er.

Die Glasperlen, die ich mit mir führe, wage ich ihm schon gar nicht mehr anzubieten.

Zwei Tage liegen wir hier fest. Es steht schlimm um Schneeberger, die Lau-Neger werden von Stunde zu Stunde frecher. Ich muß immer beim Zelt bleiben, um zu verhindern, daß sie uns bestehlen. Die Hitze ist unerträglich, das Hirn wie ausgedörrt. Allmählich kommt man in dumpfe Verzweiflung, der kranke Freund, keine Lebensmittel, die ungastlichen Neger. Und dann steht die Regenzeit vor der Tür. Es kann Wochen dauern, bis ein Auto hier entlangfährt. Am Morgen des dritten Tages in der Ferne ein leises Summen ... es schwillt zum Dröhnen an ... der Gesang eines Flugzeugmotors. Es taucht auf, eine kleine ›Puß-Motte‹ ist's. Ich reiße Schneeberger die Decke weg, winke, obwohl er das leuchtende Silber unseres Vogels schon bemerkt haben muß.

Der Flieger umkreist uns zweimal, landet. Ein schlanker, drahtiger Mensch in Khaki. »Campbell Black«, stellt er sich vor. Er bringt uns Zigaretten mit und vor allem Wasser, frisches Trinkwasser. Die Shell-Station in Juba, wo wir zuletzt getankt haben, hat hinter uns her telegrafiert, nachgefragt, ob wir angekommen sind. Am Nachmittag landet ein großer Militärzweisitzer, bringt uns Reparaturwerkzeug, neuen Betriebsstoff und eine Einladung zum Wing Commander Sholte Douglas nach Chartum.

Schon am nächsten Abend sind wir dort. Der Oberst empfängt uns lächelnd.

Ich will mich bedanken, aber er winkt ab.

»Wir haben neunzehnhundertsiebzehn an derselben Front gestanden«, sagt er, »und das kittet. Selbst wenn es auf der anderen Seite war.«


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