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Richthofen

Seit sechs Wochen bin ich Führer der Jagdstaffel 37. Wir liegen in Wynghene, einem kleinen Städtchen mitten in der flandrischen Marsch. Das Gelände ist schwierig, von Knicks und Wassergräben durchzogen, jede Notlandung bedeutet hier Bruch. Wenn man höher steigt, kann man hinübersehen nach Ostende und zum Meer. Graugrün und endlos dehnt es sich nach Norden bis zum Horizont.

Manche in der Staffel haben sich darüber gewundert, daß Grashoff gerade mir das Kommando überlassen hat, als er nach Mazedonien versetzt wurde. Denn es gibt ältere hier an Jahren und im Dienstrang.

Aber damals im Herbst, als ich über Lens die drei Engländer herunterholte, hat er es mir versprochen. Es war ein Überraschungserfolg im Stil Guynemers. Ich kam aus der Sonne heraus auf sie herunter, griff den letzten links außen an, erledigte ihn mit fünf Schuß, dann den nächsten und zuletzt das Führerflugzeug. Die beiden anderen waren so verblüfft, daß sie gar nicht zum Schuß kamen.

siehe Bildunterschrift

So sieht ein Jagdflieger aus, der vor 15 Minuten »Saures« bezog.
Behrend zählte 21 Treffer in der treuen Albatros D V!

Das Ganze dauerte nicht länger als zwanzig Sekunden, genau wie damals bei Guynemer ... Man muß als Jagdflieger im Kriege sein Handwerk lernen oder kaputtgehen. Ein Drittes gibt es nicht.

Als ich landete, wußte Grashoff schon Bescheid. »Wenn ich hier mal abgehe, Knägges«, sagte er, »sollst du die Staffel erben.«

So bin ich Führer der Jagdstaffel 37 geworden.

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Führer der Jagdstaffel 37. Flandern 1917

Uns gegenüber liegen Engländer, junge, schneidige Burschen. Sie nehmen jeden Kampf an und halten gewöhnlich bis zur letzten Entscheidung durch. Aber wir sind ihnen ebenbürtig. Das drückende Gefühl der Unterlegenheit, das in Boncourt alle lähmte, ist verschwunden. Die Staffel hat eine ganze Reihe von Siegen hinter sich, mir selbst sind jetzt neunzehn Abschüsse anerkannt.

Je weiter der Winter vorrückt, um so mehr schläft der Flugbetrieb ein. Es gibt viel Regen und Schnee, und selbst an trockenen Tagen treiben schwere Wolken so tief, daß der Flugdienst ausfällt.

Wir sitzen zu Hause herum in den Quartieren. Ich bin im Landhaus eines Spitzenfabrikanten untergebracht. Manchmal, wenn ich am Fenster sitze, sehe ich die Heimarbeiter, verkrümmte, arme Gestalten, durch den Schnee heranstapfen, um ihre Ware abzuliefern.

Der Sohn des Hauses ist drüben bei den britischen Fliegern eingetreten, im Royal Flying Corps. Aber die Leute lassen's mich nicht entgelten. »Er tut seine Pflicht, Sie tun Ihre Pflicht!« Das ist ihr Standpunkt, vernünftig und klar.

siehe Bildunterschrift

Startbereit in Erwartung der Tommies

Im Frühjahr 1918 läuft eine Unruhe durch die deutsche Front von Flandern bis hinauf zu den Vogesen. Das ist nicht allein der Frühling. Man spricht überall bei Offizieren und Mannschaften von der großen Offensive, die bevorstehen soll. Aber niemand weiß Genaues. Am 15. März erhält die Staffel den Befehl, Mannschaften und Flugzeuge sofort zu verladen. Bestimmungsort unbekannt.

Wir wissen alle, die Offensive beginnt.

*

An der Landstraße nach Le Cateau schlagen wir die Flugzeugzelte auf. Der Regen rinnt, ein feiner Rieselregen, der langsam alles in einen grauen Brei verwandelt. Bäume, Häuser, Menschen. Ich habe meine Lederjacke übergezogen und helfe den Mechanikern beim Einschlagen der Zeltpflöcke.

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Lothar und Manfred von Richthofen

Ein Auto rattert die Straße herauf. Es kommen viele Autos hier vorbei, man sieht sich nicht mehr um danach. Wir arbeiten weiter, schweigend und verbissen.

Jemand klopft mir auf die Schulter. Ich fahre herum:

Richthofen.

Der Regen rinnt an seiner Schirmmütze herunter, läuft ihm übers Gesicht.

»Tag, Udet!« sagt der Rittmeister und tippt an die Mütze. »Schönes Sauwetter heute.«

Ich grüße stumm und sehe ihn an. Ein ruhiges, völlig beherrschtes Gesicht, große, kalte Augen, von schweren Lidern halb bedeckt. Das ist der Mann, der schon jetzt siebenundsechzig heruntergeholt hat, der Beste von uns allen.

Sein Auto wartet unten auf der Landstraße, er ist durch den Regen die Böschung zu mir heraufgeklettert. Ich warte.

»Wieviel Abschüsse haben Sie jetzt eigentlich, Udet?«

»Neunzehn anerkannt, einer angemeldet«, antworte ich.

Er stochert mit seinem eichenen Spazierstock im feuchten Laub.

»Hm, zwanzig also«, wiederholt er. Er blickt auf und sieht mich prüfend an.

»Dann wären Sie ja eigentlich reif für uns. Haben Sie Lust?«

Ob ich Lust habe? Selbstverständlich habe ich Lust. Riesige Lust sogar. Und wenn's nach mir ginge, würde ich sofort aufpacken und mit ihm fahren. Es gibt viele gute Jagdstaffeln in der Armee, und Jasta 37 ist nicht die schlechteste. Aber es gibt nur ein Jagdgeschwader Richthofen.

siehe Bildunterschrift

Mein Quartier beim Richthofen-Geschwader

»Jawohl, Herr Rittmeister«, sage ich. Wir schütteln uns die Hände.

Ich sehe ihm nach, wie er, schmal und schlank, zierlich fast, die steile Böschung herunterklettert, in seinen Wagen steigt und um die nächste Wegbiegung im Schleier des Regens verschwindet.

»Na, nun hätten wir beide es ja geschafft«, sagt Behrend, als ich mich wieder neben ihn kauere, um die Zeltpflöcke in die Erde zu treiben.

*

Es gibt viele gute Staffeln an der Front, aber es gibt nur ein Geschwader Richthofen. Und jetzt sehe ich das Geheimnis dieses Erfolgs.

Andere Staffeln wohnen in Schlössern oder kleinen Ortschaften, zwanzig, dreißig Kilometer hinter der Front. Das Geschwader Richthofen haust in Wellblechbaracken, die in wenigen Stunden abzubrechen und wieder aufzubauen sind. Sie stehen selten mehr als zwanzig Kilometer hinter der vordersten Linie. Andere Staffeln starten zwei- bis dreimal am Tage, Richthofen und seine Leute steigen fünfmal auf. Andere stellen bei schlechtem Wetter den Flugbetrieb ein, hier wird fast immer geflogen.

Das überraschendste aber sind für mich die Gefechtslandeplätze. Das ist eine Erfindung Bölckes, des Altmeisters der deutschen Fliegerei. Richthofen, sein begabtester Schüler, hat sie übernommen.

Wenige Kilometer hinter der Front, oft noch unmittelbar im Bereich der feindlichen Granaten, sitzen wir, fertig angezogen, auf Liegestühlen mitten im freien Feld, die Flugzeuge startbereit daneben. Sobald sich ein Gegner am Horizont zeigt, steigen wir auf. Einer, drei oder eine ganze Staffel.

Gleich nach dem Kampf landen wir, strecken uns wieder in die Feldstühle, suchen den Himmel mit Ferngläsern ab und warten auf den nächsten Gegner. Sperrflüge gibt es nicht, Richthofen hält nichts davon. Nur Patrouillenflüge ins feindliche Hinterland läßt er gelten. »Dies Postenstehen in der Luft schwächt die Kampfesfreudigkeit des Jagdfliegers«, sagt er. So steigen wir nur zu Kämpfen auf.

Um zehn Uhr bin ich beim Geschwader angekommen, um zwölf bereits starte ich zum ersten Flug mit Jagdstaffel 11. Außerdem gehören noch die Staffeln 4,6 und 10 zum Geschwader. Staffel 11 führt Richthofen selber. Er legt Wert darauf, jeden Neuen persönlich zu erproben.

Wir fliegen zu fünft, der Rittmeister voran, hinter ihm Just und Gußmann. Scholtz und ich bilden den Beschluß. Zum erstenmal fliege ich den Fokker-Dreidecker. Wir streichen etwa fünfhundert Meter hoch über das Trichtergelände hinweg nach Westen.

Über dem zerschossenen Albert hängt dicht unterhalb der Wolken ein R. E., englischer Artilleriebeobachter. Schießt wohl seine Batterien ein. Wir sind etwas tiefer als er, wahrscheinlich hat er uns nicht bemerkt, denn er zieht ruhig weiter seine Kreise.

Ich tausche einen raschen Blick mit Scholtz, er nickt. Ich verlasse die Staffel und sause auf den Tommy zu.

Ich greife ihn von vorn an. Von unten her stoße ich wie ein Haifisch auf ihn, feuere auf ganz kurze Entfernung. Sein Motor wird von den Schüssen durchsiebt. Er kippt sofort, platzt gleich darauf in der Luft auseinander. Die brennenden Trümmer stürzen dicht bei Albert herunter.

Eine Minute später bin ich wieder bei der Staffel und fliege weiter mit ihr feindwärts. Scholtz nickt wieder, rasch und fröhlich. Aber auch der Rittmeister hat's bemerkt, er scheint seine Augen überall zu haben. Sein Kopf fährt herum, er winkt mir grüßend zu.

Rechts unter uns die Römerstraße. Die Bäume sind noch kahl. Wie durch ein Gitterwerk hindurch kann man Kolonnen unten ziehen sehen. Sie ziehen nach Westen, es sind Engländer. Auf dem Rückmarsch vor unserer Offensive.

Dicht über den Baumwipfeln streicht eine Kette Sopwith-Camels entlang. Englische Einsitzer. Sie sollen wohl die Römerstraße schützen, eine Hauptader des feindlichen Abmarschs.

Ich habe kaum Zeit, das Bild in mich aufzunehmen, da saust Richthofens roter Fokker im Sturzflug nach unten, wir alle hinterher.

Die Sopwith-Camels spritzen auseinander wie Küken, wenn der Habicht stößt. Nur einer kann nicht mehr entwischen, der, den der Rittmeister aufs Korn genommen hat.

Es geht so schnell, daß man kaum noch von Luftkampf reden kann. Einen Augenblick glaubt man, der Rittmeister rammt ihn, so kurz ist die Entfernung. Höchstens zehn Meter schätze ich. Da läuft ein Schlag durch den Sopwith. Seine Nase wird nach unten gerissen, die weiße Benzinfahne flattert auf, und in Rauch und Feuer schlägt er auf dem Feld neben der Straße auf.

Richthofen aber, der stählerne Keil der Staffel, saust weiter in steilem Gleitflug nach unten auf die Römerstraße zu. In zehn Meter Höhe jagt er über der Erde entlang, beide MG.s schießen ununterbrochen in die Menschenkolonnen unten auf der Straße. Wir bleiben immer hinter ihm, und wir schießen, schießen wie er.

Ein panisches Entsetzen scheint die Truppe zu lähmen, nur ein paar spritzen in den Chausseegraben, die meisten fallen wie sie gehen oder stehen.

Am Ende der Straße dreht der Rittmeister eine kurze Kurve und fegt noch einmal über den Spitzen der Chausseebäume entlang. Jetzt können wir deutlich die Wirkung beobachten, die unser erster Angriff hervorgebracht hat: durchgehende Pferdegespanne, stehengebliebene Geschütze, die wie eine Brandungsmauer die anstürmende Menschenflut blockieren.

Diesmal werden unsere Schüsse von unten erwidert. Infanteristen stehen da, die Gewehre an die Backe gerissen, und aus dem Chausseegraben bellt ein Maschinengewehr herauf. Doch der Rittmeister fliegt keinen Meter höher deshalb, wenn auch seine Tragflächen durchlöchert werden. Wir alle sind dicht hinter ihm, fliegend und schießend. Die ganze Staffel ist ein Körper, seinem Willen untertan. Und so soll es sein.

Er verläßt die Straße, steigt, wir folgen ihm. In fünfhundert Meter Höhe fliegen wir nach Hause zurück. Als wir landen, ist es halb eins. Es ist Richthofens dritter Start an diesem Morgen.

Als meine Maschine aufsetzt, steht er schon auf dem Platz. Er kommt auf mich zu, ein Lächeln um den schmallippigen Mund.

»Schießen Sie immer so von vorn ab, Udet?« fragt er. In seinem Ton liegt eine gewisse Anerkennung.

»Habe einige Male damit Erfolg gehabt«, sage ich möglichst gleichmütig.

Er lächelt wieder und wendet sich zum Gehen. »Übrigens, die Staffel II können Sie morgen schon übernehmen«, sagt er über die Schulter weg.

Daß ich eine Staffel bei ihm bekommen würde, habe ich schon vorher gewußt, aber die Form der Mitteilung überrascht mich etwas.

Scholtz schlägt mir auf die Schulter: »Mensch, haben Sie eine dicke Nummer beim Rittmeister!«

»Kann ich gar nicht finden«, gebe ich brummig zurück.

Aber es muß doch wohl so sein. Nur muß man sich daran gewöhnen, daß seine Wertschätzung völlig sachlich bleibt, ohne den leisesten sentimentalen Hauch. Er dient mit seinem ganzen Leben einer Idee, der Idee des Vaterlandes, und er verlangt von allen seinen Fliegern dasselbe. Er schätzt den Mann danach ein, was er für die Sache leistet, und vielleicht noch nach seinen Qualitäten als Kamerad. Wer da besteht, für den setzt er sich voll ein. Mit seiner ganzen Persönlichkeit. Wer versagt, den läßt er fallen. Ohne Wimperzucken. Wer sich einmal bei einem Feindflug laurig zeigt, der muß das Geschwader verlassen. Noch am gleichen Tag.

Gewiß, Richthofen ißt, trinkt und schläft, wie andere auch. Aber er ißt, trinkt und schläft nur, um zu kämpfen. Wenn einmal der Lebensmittelnachschub knapp wird, schickt er Bodenschatz, das Muster aller Adjutanten, mit einer alten Kiste nach hinten, um zu requirieren. Bodenschatz nimmt dann jedesmal eine ganze Sammlung von Lichtbildern mit Richthofens eigenhändiger Unterschrift mit. »Dem lieben Kampfgefährten gewidmet!« steht darauf. Auf den Proviantämtern in der Etappe werden diese Fotos sehr hoch bewertet. Sie bringen zu Hause einen ganzen Stammtisch zu ehrfürchtigem Schweigen. Beim Geschwader aber werden Wurst und Schinken niemals alle.

*

Ein paar Reichstagsabgeordnete haben sich zum Besuch bei uns angemeldet. Gegen Abend kommen sie in einer großen Limousine angerollt. Sie geben sich sehr feierlich, ganz von der Würde des Augenblicks erfüllt. Einer hat sogar einen Cut an. Wenn er eine Verbeugung macht, wippen seine Rockschöße wie der Stert einer Bachstelze.

Beim Abendbrot an der Kasinotafel reden sie, daß einem Flieger beim Zuhören die Zähne wehtun. »Wenn Sie so in Ihrer Flugmaschine gegen den Feind fahren, Herr Baron«, beginnt der eine seinen Spruch. Richthofen sitzt da und hört mit steinernem Gesicht zu.

Nach einer Flasche Wein reden sie von Heldenjugend und Vaterland. Wir sitzen mit niedergeschlagenen Augen um den Tisch. Ohne daß wir es in Worte fassen können, haben wir das Gefühl, daß man über solche Dinge nicht so flüssig sprechen dürfte.

Dann werden die Herren ins Bett gebracht. Sie schlafen in den kleinen Wellblechbaracken genau wie wir. Damit sie zu Hause ihre Feldeindrücke schildern können.

Wir stehen in Rudeln auf dem Platz zusammen, bis das Licht hinter den kleinen Fenstern erlischt. »Eigentlich«, meint Maushacke, genannt Mausezahn, nachdenklich, »müßte man sie noch mehr vom Kriege erleben lassen, wenn sie morgen schon wieder nach Hause fahren.«

Scholtz zwinkert mit dem rechten Auge und bemerkt lakonisch: »Fliegerangriff!«, nichts weiter, aber wir verstehen ihn sofort.

Eine Leiter wird geholt, vorsichtig an die Baracke gelehnt, in der die Volksvertreter schlafen. Katzenartig schleicht Wölffchen die Leiter hinauf zum Kamin, mit Leuchtpistolen, Knallmunition, »Fliegerfürze« genannt, bis an die Zähne bewaffnet.

Im Innern der Baracke ein Knattern, Prasseln und der dumpfe Knall von Detonationen. Gleich darauf Geschrei.

Es ist eine Vollmondnacht. Wir stehen im schwarzen Schlagschatten der anderen Baracken verborgen. Plötzlich öffnet sich drüben die Tür, und heraus stürzen drei Gestalten in flatternden weißen Hemden. Der Rittmeister lacht, daß ihm Tränen die Backen herunterlaufen.

»Fliegerangriff! Zurück in die Baracken!« donnert eine mächtige Stimme über den Platz, und in rasendem Lauf verschwinden die drei weißen Gestalten wieder hinter der Tür.

Am nächsten Morgen haben sie es sehr eilig, weiterzukommen. Nicht einmal das Frühstück nehmen sie mehr bei uns.

Wir lachen noch lange hinterher. Die Freuden hier draußen sind dünn gesät, und wenn irgendwo mal ein Spaß ins Kraut schießt, genießt man ihn dankbar und lange. Selbst nachher, am Ende des Krieges, als wir kämpften wie ertrinkende Schwimmer, blieb das so.

Ich denke an unseren Gefangenen in Bernes.

Lothar von Richthofen, der Bruder des Rittmeisters, hat wieder einen heruntergeholt. Es ist ein englischer Major, und er ist gerade neben unserem Lager heruntergekommen. Infanterie ist nicht in der Nähe, deshalb behalten wir ihn bei uns als Gefangenen.

Zum Abendbrot erscheint er mit Richthofen im Kasino und wird allen vorgestellt. Es ist ein langer Schlaks, ein bißchen salopp und doch sportlich, liebenswürdig, aber mit Zurückhaltung, kurz: ein Gentleman.

Wir plaudern von Pferden, Hunden und Flugzeugen. Vom Krieg wird nicht gesprochen. Der Engländer ist unser Gast, und er soll nicht das Gefühl haben, daß wir ihn aushorchen.

Mitten in der Unterhaltung wendet er sich flüsternd an seinen Nachbar, steht dann auf und geht hinaus.

Lothar blickt ihm etwas besorgt nach.

»Wo will er hin?«

»› I beg your pardon, where is the W. C.?‹ hat er gefragt«, antwortet Mausezahn.

Einen Augenblick betretenes Schweigen. Das bewußte Häuschen liegt fast drei Minuten entfernt am Ende der Schlucht, in der das Lager steht. Dahinter dehnt sich Wald. Für einen Sportsmann ist es nicht schwer, von dort aus die Freiheit zu erreichen.

Widerstreit der Meinungen. Maushacke, der wohlgenährte Braunschweiger, ist am eifrigsten. Er will auch hinausgehen und sich neben den Engländer stellen. Das läßt sich ganz zwanglos machen. Aber Lothar widerspricht. »Wir haben den Mann bisher als Gast behandelt, und er hat uns keine Veranlassung gegeben, an seinem Anstand zu zweifeln.«

Doch eine Unruhe bleibt. Schließlich tragen wir die Verantwortung für den Gefangenen. Wenn er entkommt, gibt's ein furchtbares Donnerwetter.

Einer tritt ans Fenster und sieht dem Engländer nach. Wenige Sekunden später haben sich sechs oder acht um ihn gruppiert. Ich bin auch dabei.

Der Engländer stakt mit langen Schritten über den Platz. Er bleibt stehen, zündet sich eine Zigarette an, blickt sich um. Sofort versinken wir alle in die Kniebeuge. Die Gastfreundschaft ist heilig, und unser Mißtrauen könnte ihn beleidigen.

Er verschwindet hinter der fichtenen Bretterwand des Häuschens.

Sie reicht nicht bis zur Eide herunter, man kann seine braunen Stiefel sehen. Das ist beruhigend.

Doch Maushackes detektivischer Spürsinn ist geweckt.

»Kinder«, japst er atemlos, »der steht nicht mehr in seinen Stiefeln drin. Der ist in Strümpfen über die Hinterwand gesetzt und auf und davon. So können die Stiefel ganz unmöglich stehen, wenn ...«

Er führt uns vor, wie Beine bei dieser Beschäftigung eigentlich zu stehen hätten.

Der Engländer kommt wieder hinter der Wand hervor. Wir schleichen tief gebückt auf unsere Plätze zurück. Als er eintritt, plaudern wir von Pferden, Hunden und Flugzeugen.

»Ich würde es mir nie verzeihen, solche Gastgeber zu enttäuschen«, sagt der englische Major und trinkt uns zu, ein kleines Lächeln um die Mundwinkel. Wir danken ernst und feierlich.

Am nächsten Morgen holt ein kleiner, buschbärtiger Landsturmmann den Gefangenen ab. Er dreht sich noch oft um und winkt uns.

Fünf Tage später bringt Meyerchen aus Gent eine merkwürdige Nachricht mit. Ein englischer Gefangener hat seinen Transportbegleiter überfallen und ist in deutscher Uniform geflüchtet. Aus dem Klosett eines fahrenden D-Zugs. Den Begleitmann hat man dort eingesperrt gefunden.

»War's ein Major?« fragt Mausezahn erregt.

»Bist du Hellseher, Mensch?« fährt Meyerchen auf. »Wahrhaftig, es war ein englischer Fliegermajor.«

»Also doch aus dem W. C.!« schreit Mausezahn.

Meyerchen sieht sich verdutzt um. Wir lachen, daß uns die Kinnladen schmerzen.

*

Wir fliegen mal allein, mal im Staffelverband, aber wir fliegen jeden Tag. Und fast jeder Flug bringt einen Kampf.

Am 28. März bin ich mit Gußmann unterwegs. Patrouillenflug auf Albert zu. Es ist Nachmittag. Die Sonne steht schon im Westen. Ihr greller Schein beißt in die Augen. Man muß von Zeit zu Zeit mit dem Daumen das Licht abblenden und den Horizont nach Gegnern absuchen. Sonst wird man überrascht. Der tote Guynemer hat an der ganzen Front Schule gemacht.

Plötzlich ist doch ein Engländer über uns. Er stößt auf Gußmann zu, Gußmann weicht aus, drückt nach unten. Hundert Meter tiefer sehe ich sie herumkurven. Ich spähe nach einer Stelle, wo ich den Engländer packen kann, ohne Gußmann zu treffen.

Einen Augenblick hebe ich den Kopf. Da sehe ich einen zweiten Engländer auf mich zuschießen. Er ist kaum hundertfünfzig Meter entfernt. Auf achtzig Meter eröffnet er das Feuer. Ausweichen unmöglich, ich fliege auf ihn zu. Tack, tack, tack bellt mein Maschinengeweht, tack, tack, tack belfert seins zurück.

Noch zwanzig Meter Entfernung. Es sieht aus, als sollten sich unsere Maschinen in der nächsten Sekunde rammen. Da, eine kleine Bewegung, haarscharf springt er über mich hinweg. Die Böen seines Propellerwindes schütteln mich, Duft von Rizinusöl weht über mich hin.

Ich drehe eine kurze Kurve. »Jetzt beginnt der Kurvenkampf«, denke ich. Aber er hat auch gedreht, und wir sausen wieder schießend gerade aufeinander zu wie zwei Turnierreiter mit eingelegten Lanzen. Diesmal überfliege ich ihn.

Wieder Kurve. Wieder ist er mir direkt gegenüber. Wieder stürzen wir aufeinander los. Die dünnen, weißen Fäden der Leuchtspurmunition hängen wie Gardinen in der Luft. Keine Handbreit fegt er über mich hinweg... »8224« steht am Rumpf seines Flugzeugs in schwarzen Buchstaben.

Ein viertes Mal. Ich fühle, wie meine Hände feucht werden. Das da drüben ist ein Mann, der den Kampf seines Lebens kämpft. Er oder ich ... einer von uns wird bleiben ... es gibt keinen anderen Ausweg.

Zum fünftenmal! Die Nerven sind zum Zerreißen gespannt, aber der Kopf arbeitet kalt und klar. Diesmal muß die Entscheidung fallen. Ich nehme ihn ins Visier, ich halte auf ihn zu, gerade auf ihn zu. Ich bin entschlossen, keinen Strichbreit auszuweichen.

Blitzlicht der Erinnerung: Bei Lens habe ich's gesehen. Ein Luftduell. Die beiden Maschinen jagten aufeinander, prallten zusammen. Die Rümpfe, zu einem Metallklumpen zusammengeschweißt, stürzten in die Tiefe. Die Flächen allein flogen weiter, ein ganzes Stück, flatterten zu Boden.

Wie zwei wütende Eber rennen wir gegeneinander an. Wenn er jetzt die Nerven behält, sind wir beide verloren!

Da – er biegt ab, weicht mir aus. In diesem Moment trifft ihn meine Geschoßgarbe. Sein Apparat bäumt sich, wirft sich herum auf den Rücken und verschwindet in einem riesigen Granattrichter. Erdfontäne, Rauch ... Zweimal umkreise ich die Stelle, wo er gestürzt ist. Feldgraue stehen unten, winken mir, schreien.

Ich fliege nach Hause, ich bin schweißnaß am ganzen Körper, die Nerven vibrieren noch. Zugleich ein dumpfer, bohrender Schmerz in den Ohren.

Ich habe mich nie um abgeschossene Gegner gekümmert. Wer kämpft, darf nicht auf die Wunden sehen, die er schlägt. Aber dieses Mal möchte ich wissen, wer der andere war.

Gegen Abend, in der Dämmerung, fahre ich hinaus. Ein Feldlazarett liegt dicht bei der Stelle, wo er abstürzte. Dort haben sie ihn wohl hingebracht.

Ich lasse den Arzt bitten. Er kommt. Sein weißer Mantel leuchtet gespenstisch im grellen Licht der Karbidlampe. Er hat einen Kopfschuß gehabt, der andere, ist sofort tot gewesen. Der Arzt übergibt mir seine Brieftasche.

Visitenkarten: »Leutnant C. R. Maasdorp, Ontario, RFC 47.« Vom Royal Flying Corps also. Bild von einer alten Frau und ein Brief. »Du mußt nicht soviel Feindflüge machen. Denk doch an Vater und mich.«

Ein Sanitäter bringt mir die Nummer des Flugzeugs. Er hat sie herausgeschnitten. Sie ist mit kleinen Blutspritzern übersät. Ich fahre zur Staffel zurück. Man darf nicht daran denken, daß eine Mutter um jeden weint, den man abschießt.

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Nach dem Duell mit dem britischen Lt. Maasdorp

In den nächsten Tagen werden die Ohrenschmerzen immer schlimmer. Es ist, als wenn im Innern des Schädels einer mit Bohrer und Meißel arbeitete. Am 6. April schieße ich wieder einen ab. Einen Sopwith-Camel aus dem feindlichen Geschwader heraus. Es ist mein vierundzwanzigster Sieg.

Als ich lande, bin ich vor Schmerzen so benommen, daß ich kaum mehr gehen kann. Richthofen steht auf dem Flugplatz, ich torkele ohne Gruß an ihm vorbei auf die Revierstube zu.

Wir haben nur einen Sanitäter, einen Arzt hat man dem Geschwader noch nicht bewilligt. Es ist ein netter, dicker Kerl, aber ich glaube, allzu viel versteht er nicht von seinem Handwerk. Er fuhrwerkt mit seinen Instrumenten in meinem Ohr herum, daß ich denke, er will mir den Kopf zersägen. »Das Ohr ist hinten ganz voll Eiter«, sagt er schließlich.

Die Tür wird geöffnet, der Rittmeister steht auf der Schwelle.

»Udet, was ist denn mit Ihnen los?« fragt er. Der Sanitäter erklärt.

Der Rittmeister klopft mir auf die Schulter. »Jetzt aber ab dafür, Udet.« Ich protestiere: »Vielleicht wird's auch so vorübergehen.« Doch er schneidet mir das Wort ab: »Sie fahren morgen, hier draußen muß man gesund sein.«

siehe Bildunterschrift

Richthofen kurz vor dem letzten Start, 21. April 1918.
W. von Richthofen, Scholtz, Carjus, Wolff, Lübbert, Manfred von Richthofen, Löwenhardt, Just, Weiß

Es fällt mir furchtbar schwer, jetzt meine neue Staffel zu verlassen, mitten im Erfolg abzubrechen. Er weiß das, denn mehr oder weniger glauben wir alle an das Gesetz der Serie.

Deshalb bringt er mich am nächsten Morgen selbst zu dem alten Zweisitzer, mit dem wir ins Hinterland fliegen. Er bleibt auf dem Flugplatz stehen und winkt mir mit der Mütze. Sein blondes Haar glänzt in der Sonne.

siehe Bildunterschrift

Die Maschinengewehre Richthofens sind ausgebaut.
Links der Canadier Roy Brown, der Richthofens Schicksal entschied


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