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Das Ende

Das Geschwader liegt in Monthussart-Ferme. Gegen Mittag komme ich an und gehe gleich ins Kasino. Viel neue Gesichter da. Hackenklappen, gemurmelte Namen. An der Tafel manches Wiedersehen. Gluczewski, Maushacke, Rauter von Prestins blonder Schopf, Drekmann. Man grüßt, man nickt, man trinkt sich zu.

Manchen suchen die Augen vergebens, aber über die, die fehlen, wird nicht gesprochen.

Nach Tisch nimmt mich Reinhard beiseite. Er trägt den Geschwaderstock, den Stock des toten Rittmeisters, der sich auf jeden neuen Kommandeur vererben soll.

»Sie wissen schon, Udet«, fragt Reinhard.

Ich nickte.

»Wenn Sie wollen, fahren wir mal hin.«

Hochsommertag, Mittagsstille. Die Pappeln am Wege zittern in der Hitze wie in flüssigem Glas. Der Wagen liegt ruhig und gut auf der Straße.

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Nach dem Absprung mit dem Fallschirm wieder bei der Staffel, 28. Juni 1918. Rechts mein Kamerad Drekmann

Auf einer kleinen Anhöhe rechts ein Kirchhof. Wir steigen aus, Reinhard geht voran, durch das schmiedeeiserne Tor, durch die engen Gassen zwischen den Gräberreihen.

Vier frisch aufgeworfene Hügel, vier eckige Tafeln, darüber ein Kreuz aus zerschlagenen Propellern. »Flugzeugf. Unteroffiz. Robert Eisenbeck«, »Leutnant Hans Weiß«, »Leutnant Edgar Scholtz«, »Leutnant Joachim Wolff«, steht auf den Tafeln.

Reinhard grüßt, ich grüße.

»Sie haben einen guten Tod gehabt«, sagt er.

Wir stehen lange so. Dann fahren wir zum Geschwader zurück.

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Es ist anders geworden hier draußen.

Die Franzosen fliegen fast nur noch in großen Verbänden, fünfzig Einheiten, manchmal hundert. Wie Heuschreckenschwärme verdunkeln sie den Himmel. Schwer, einen da herauszuschießen.

Auch die Artillerie drüben arbeitet jetzt meist mit Luftbeobachtung. In langen Reihen stehen die Fesselballons am Horizont, und über der toten Kraterlandschaft des Trichtergeländes kreisen unablässig die Beobachtungsflugzeuge. Die Truppe leidet schwer...

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Zeitschriftenausschnitt, gefunden in der Brieftasche eines abgeschossenen französischen Jagdfliegers

Ich liege noch im Bett, als das Telefon schrillt. Schlaftrunken tappe ich nach dem Hörer. Ein Artilleriehauptmann von vorn. Nördlich des Waldes von Villers-Cotterets steht ein Bréguet, leitet feindliches Feuer. Die Wirkung ist furchtbar.

»Wo ist das?«

Er nennt das Planquadrat der Generalstabskarte.

»Wir kommen!« Ich hänge ab.

Die anderen sind alle unterwegs, ich habe keinen Dienst an diesem Morgen. Aber feste Dienststunden gibt es schon lange nicht mehr, wir müssen starten, wenn eine Anforderung kommt.

In fünf Minuten bin ich fertig und fliege ab. Die Front rast an diesem Tag. Die Granateinschläge sausen so dicht nebeneinander in die Erde, daß Rauch, Staub und aufspritzende Schollen einen Vorhang bilden, der sich wie ein Schleier über die Sonne legt. Die Landschaft unter mir verschwimmt in einem fahlen, braunen Dunst.

Nördlich des Waldes von Villers-Cotterets treffe ich den Bréguet, etwa sechshundert Meter hoch. Ich greife ihn sofort an von hinten aus gleicher Höhe.

Beim Bréguet sitzt der Beobachter hinter dem Piloten. Deutlich sehe ich seinen Kopf über dem Maschinengewehrkranz aufragen. Doch er kann nicht schießen, solange ich direkt hinter ihm bleibe. Seitensteuer und Leitwerk seines eigenen Apparats versperren ihm das Ziel.

Mein MG. bellt eine kurze Serie heraus. Der Kopf über dem Maschinengewehrkranz verschwindet. »Getroffen«, denke ich.

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Der Führer des Bréguet scheint ein verdammt schneidiger Bursche zu sein. Obwohl ich ihn immer weiter unter Feuer halte, dreht er mit seinem schwerfälligen Vogel einen eleganten Turn und sucht mit Richtung Heimat zu entkommen.

Ich muß ihn von der Seite her packen, um ihn selbst oder den Motor zu treffen. Wenn der Beobachter noch lebte, wäre es ein schwerer Fehler, denn ich flöge ihm direkt in sein Maschinengewehr hinein.

Auf zwanzig Meter bin ich heran, da taucht der Beobachter auf, hinter seinem MG., schußbereit. Im nächsten Augenblick kracht und prasselt es um mich her, als wenn Kiesel auf einen Gartentisch fallen. »Gontermann!« denke ich. Mein Fokker bäumt sich auf wie ein scheuendes Pferd und fällt dann wippend nach unten durch. Das Höhenleitwerk zerschossen, Verwindung am Fuß des Knüppels getroffen, ein Kabel flattert lose im Propellerwind.

Krankgeschossen, lahmgeschossen! Die Maschine hängt links, Steuerung unmöglich. Sie fliegt im Kreise, immerzu im Kreise. Unter mir das Trichtergelände, das wieder und wieder von neuen Einschlägen aufgerissen wird.

Es gibt nur eine Möglichkeit, zurückzukommen. Jedesmal, wenn der Fokker nach Osten fliegt, gebe ich vorsichtig Gas. Dadurch schwingt der Bogen weiter aus, dadurch kann ich hoffen, mich bis an unsere Linien heranzutasten.

Qualvoll langsam geht das.

Plötzlich stellt sich die Maschine köpf und saust senkrecht wie ein Stein auf die Erde zu.

Fallschirm – Beine anziehen – auf den Sitz stellen! Im nächsten Augenblick schleudert mich der Luftdruck nach hinten. Ein Schlag im Rücken, ich hänge fest am Seitenruder. Der Fallschirmgurt, in der Eile des Starts zu locker geschnallt, hat sich am Ausgleichslappen festgehakt. Die stürzende Maschine reißt mich mit rasender Gewalt hinter sich her.

»Lo wird weinen...« denke ich, »Mutter... man wird mich nicht erkennen... keine Papiere mit... die schießen unten wie toll...«

Zugleich versuche ich mit aller Kraft, den Ausgleichslappen wegzubiegen. Es geht schwer, furchtbar schwer. Die Erde rast auf mich zu. Da – ein Ruck – ich bin frei! Die Maschine saust unter mir weg. Noch ein Ruck. Ein scharfer Riß geht durch den Leib, ich hänge wie ein Schwimmer im Fallschirmgurt. Gleich darauf ein Schlag – ich bin gelandet. Im letzten Augenblick hat sich der Fallschirm geöffnet.

Der Schirm bauscht sich über mir. Um mich her krachende Einschläge. Ich kämpfe wie ein Ertrinkender unter Wasser gegen die weiße Leinwand. Endlich komme ich frei.

Ödes Trichtergelände. Zwischen den Fronten muß ich sein, wo, weiß ich nicht. Nur eins: nach Osten laufen, dort winkt die Heimat.

Es ist gegen acht Uhr. Die Sonne im Osten schimmert so matt, wie ausgeglüht. Von hier unten ist der Vorhang der Explosionen noch dichter.

Ich hake den Fallschirm aus und laufe. Die Einschläge kommen näher, als wollten die Granaten ein Wettrennen mit mir machen. Eine große Erdscholle dröhnt mir an den Hinterkopf wie eine Faust. Ich stürze zu Boden, raffe mich auf, laufe weiter. Das rechte Bein schmerzt, ich muß es mir bei der Landung verstaucht haben.

Ein Trichter, ein paar flache, französische Stahlhelme. Bin ich noch hinter der feindlichen Front? Die Soldaten kehren mir den Rücken zu und sehen nach Osten. Sie liegen regungslos. Vielleicht sind sie tot.

Es ist besser, ich umgehe sie. Ich tauche in ein Getreidefeld unter, die Halme sind schon fast mannshoch. Gebückt laufe ich hindurch, den Hang hinauf, der sanft nach Osten ansteigt.

Das Feld ist sehr lang, aber einmal hat es ein Ende. Durch die grüne Gardine der Halme halte ich Ausschau.

Ein Offizier steht da, hoch aufgerichtet.

»Erstes ... Feuer!« kommandiert er. Das Aufbrüllen eines Geschützes antwortet. Ich richte mich auf, winke ihm. Er winkt zurück, ich laufe auf ihn zu.

»Zigarette«, sage ich mit trockenen Lippen. Er grüßt. »Bayer«, stellt er sich vor, während er sein Etui zückt. »Udet.« Für einen Augenblick ist das Trommelfeuer ausgelöscht, Macht einer Erziehung, die selbst der Krieg nicht lockern kann.

»Zweites fertig?« schreit er. »Fertig!« dröhnt's unten aus den Geschützständen zurück. »Zweites ... Feuer!« Die Erde zittert unter der Detonation.

Er reicht mir ein Zündholz. Mit langem, durstigem Zug sauge ich den Rauch ein.

»Habe Ihren Absprung beobachtet, Herr Kamerad«, sagt er, »dolle Sache das. Drittes fertig?«

Ich frage ihn nach dem Weg zu den rückwärtigen Stellungen. Er deutet mit dem Daumen über die Schulter auf die Höhen von Cutry.

Ich danke ihm, laufe humpelnd weiter. Eine neue Feuerzone. Wieder rücken mir die Einschläge dicht auf den Leib. Einmal wirft mich der Luftdruck zu Boden.

Ein Unterstand, davor ein brennendes Feuer, Schutz gegen Gas. Drin, im Unterstand, ein Durcheinander von Offizieren und Mannschaften. Ich wende mich an einen Telefonisten, er soll mich mit dem Geschwader verbinden.

»Der Udet«, schreit jemand hinter mir, »der Erni!« Ich drehe mich um, ein fremder Soldat. Aus seinem bleichen, harten Gesicht mit den geröteten Augenlidern spricht die Anspannung durchkämpfter Tage, durchwachter Nächte.

»Der Moser-Carl?« frage ich zögernd.

Ja, er ist's! Unter seiner Anleitung habe ich in der Fabrik meines Vaters die ersten Röhren zusammengeschweißt.

»Weißt du noch ... weißt du noch ...?« Die Welt um uns her versinkt. Wir stehen wieder auf dem Oberwiesenfeld, drei Jungens, Willi Götz, Otto Bergen und ich. Und Carl liegt hinter uns auf der Erde im Sonntagsstaat, kaut an einem Grashalm und schaut uns zu. Wir lassen Drachen steigen.

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Otto Bergen

Ein kleines Mädchen begleitet jeden Start mit Händeklatschen. Willi Götz greift sie, fünf Rolloplane werden gekoppelt, sie wird daran gebunden, und heidi geht's hoch in die Luft. Sie schreit, als wenn sie am Spieße steckt, die Mutter kommt gerannt, wir reißen aus. Nur Otto bleibt. Er steht da und zieht langsam und vorsichtig die Drachen wieder ein. Die dicke Frau heult und haut ihm von Zeit zu Zeit eine Ohrfeige. Aber er läßt den Strick nicht los.

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Hochmut kommt vor dem Fall – das Flugzeug, aus dem ich einen Tag später den Absprung mit dem Fallschirm machen mußte

»Wo ist Otto jetzt?« fragt Carl.

»Tot«, sage ich.

»Hm, auch tot«, brummt er.

Mein Gespräch kommt. Der Geschwaderwagen erwartet mich auf der Straße Soissons-Chateau Thierry. Bis dorthin soll ich mir ein Pferd vom Regimentsstab leihen.

Am Spätnachmittag steige ich wieder auf, mit einer neuen Maschine. Unter mir im Trichtergelände sehe ich den Fokker, mit dem ich mittags abgestürzt bin. Das nackte, verbrannte Gestänge ragt in die Luft. Wie ein Vogelgerippe sieht es aus.

*

Der Krieg wird härter mit jedem Tag. Wenn bei uns ein Flugzeug aufsteigt, starten drüben fünf. Und wenn einer von ihnen bei uns herunterkommt, dann stürzen wir uns über ihn her, plündern ihn aus. Denn solche Meßinstrumente, von Nickel blitzend und schillernd von gelbem Messing, gibt es bei uns schon lange nicht mehr. Wir haben diesem Überfluß nichts entgegenzusetzen als unser Pflichtgefühl und die Kampferfahrung von vier langen Jahren. Jeder Start jetzt bedeutet einen Kampf, und wir starten oft. In der Zeit vom dritten bis fünfundzwanzigsten August schieße ich zwanzig Gegner ab.

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Der verwundete amerikanische Lt. Wanamaker auf der Tragbahre nach dem Abschuß

Bei einem der Toten findet man mein Bild, aus einer Zeitung vom gleichen Tage ausgeschnitten. » As des as« steht darunter. Der Rittmeister ist tot, und ich habe jetzt die meisten Abschüsse.

Am Mittag des Achten kommt der Befehl ans Geschwader: Sofort mit allen verfügbaren Maschinen hinauf zur Somme.

Dort oben tobt seit Tagen die Durchbruchsschlacht der Engländer. Es soll kritisch stehen für uns.

Vier Schwärme großer unheilbringender Vögel rauschen wir durch die Luft nach Norden zu. Je weiter wir hinaufkommen, um so deutlicher zeigt die Welt unter uns die Spuren der Schlacht. Bei Fontaine les Cappy entdecke ich einen feindlichen Infanterieflieger, der dicht über unseren Gräben entlangstreicht. Für einen Augenblick löse ich mich von der Staffel, stoße auf ihn hinunter, nehme ihn unter Feuer. Beim zwanzigsten Schuß zerplatzt er in der Luft, zerschellt neben den Gräben. Es ist fünf Uhr dreißig nachmittags.

Gegen sechs wird das Benzin bei uns knapp. Wir hatten nur geringe Vorräte, als wir abflogen. Der Nachschub war schlecht in den letzten Tagen, und an einen so weiten Überlandflug hat niemand von uns gedacht. Wir müssen landen und tanken.

Ein kleiner Flugplatz unter uns. Wie Stare ins Getreidefeld fallen wir ein. Maschine steht bei Maschine, der ganze Platz ist gepfropft voll.

Die Staffelführer lassen sich beim Kommandanten melden. Es ist ein umgänglicher Mann. Er möchte uns gern helfen, aber schließlich braucht er für seine eigenen Flieger Benzin. Er soll seine Vorräte teilen, schlagen wir ihm vor. Er zögert.

Während wir verhandeln, ist die Luft vom Brausen der englischen Motoren erfüllt. Schon auf dem Herflug wehte uns der durchdringende Rizinusdunst ihres Treibstoffs entgegen.

Ab und an taucht ein Schwarm auf und verschwindet wieder hinter Wolkenfetzen. Es ist ein kühler Sommerabend. Die schweren Wolken sind nach Osten abgezogen, ziehen ihre zerfetzten Schleppen hinter sich her über den Himmel. Nur einzelne blaue Inseln schimmern durch. »Gutes Wetter für Ballonangriffe«, denke ich.

Da stößt aus dem grauen Dunst über uns ein englischer Flieger herunter, schießt aus beiden Läufen auf unsere eng gepreßten Maschinen. Es ist ein erbärmlicher Anblick. Das Geschwader Richthofen, wie ein Hühnervolk hier unten zusammengedrängt, wehrlos ohne Benzin, darüber ein Raubvogel, der Engländer.

Ein wütender Zorn packt mich. Ich renne zu meiner Maschine und starte unangeschnallt.

Wieder rast er über uns hinweg. Ich springe ihn von unten her an. Er ist so überrascht, daß er vergißt, sich zu wehren. Zehn Schuß nur, da taumelt er, stürzt und haut dicht neben dem Flugplatz in die Erde. Tot. Es war ein englischer SE 5 mit Führerwimpel. Ich lande ohne einen Tropfen Benzin, mit stehendem Propeller. Zeit: sechs Uhr dreißig nachmittags.

Endlich haben wir vom Kommandanten des Flugplatzes den Schnaps für unsere Maschinen eingehandelt. Er reicht höchstens für zehn Minuten, gerade so lange, daß wir unseren neuen Bestimmungsort erreichen können.

Wir landen dort auf freiem Feld. Infanteristen laufen auf uns zu. Sie sind sehr froh, daß wir kommen. Die Engländer haben in der letzten Woche jeden Tag das Gelände durch Schwärme von Infanteriefliegern bestreichen lassen. Und abends, zwischen acht und neun, kommen zwei Sopwith-Camels herüber und werfen Flugzettel ab.

Einer zeigt mir so ein Ding, es hat einen schwarz-rot-gelben Rand. Angebliche Deserteure fordern die Soldaten in den Schützengräben auf, es ihnen nachzutun.

»Zwischen acht und neun, sagt ihr?«

Ich borge mir von meinen Kameraden das Benzin zusammen, starte. Die Sonne steht schon tief im Westen, umrandet die Wolken mit fahlem Gold.

Südlich von Foucaucourt treffe ich die beiden. Der eine streicht sofort nach Westen ab, der andere bleibt. Er schüttet mir von oben her einen Regen von Flugblättern ins Gesicht. Kurvenkampf. Mit seiner kleinen, leichteren Maschine kann er engere Kreise ziehen als ich mit meinem schweren Fokker D VII. Aber ich bleibe immer hinter ihm. Er will mich abschütteln, setzt kaum hundert Meter hoch zu einem Looping an. Ich folge unmittelbar. Am Scheitelpunkt sause ich unter ihm durch, der Radius meiner Umdrehung ist größer. Ich spüre einen leichten Schlag, und als ich wieder nach unten sehe, kriecht er mühsam aus den Trümmern seines Apparates heraus. Deutsche Soldaten nehmen ihn in Empfang. Ich weiß nicht, was geschehen ist. Ich kann mir nur denken, daß ich ihn beim Überfliegen gerammt haben muß. Es ist mein dritter Kampf heute. Die Uhr zeigt acht Uhr vierzig.

Drei Tage später besuche ich ihn im Lazarett von Foucaucourt. Als Revanche für seine Flugblätter nehme ich ein Kästchen Buchenlaubzigarren mit. Meine Vermutung stimmt. Im Scheitelpunkt des Loopings hat mein Fahrgestell sein oberes Tragdeck gerammt und außerhalb der Stiele geknickt. »Auf ein solches clinch fighting war ich nicht vorbereitet«, sagt er lachend. Es ist ein netter Kerl, ein langer Student aus Ontario.

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Rascoe Turner überbringt mir in Los Angeles den letzten Abwurfzettel des Studenten aus Ontario

Fünfzehn Jahre später höre ich noch einmal von ihm beim Flugmeeting in Los Angeles. Rascoe Turner bringt mir auf seinem Non-stop-Flug quer durch den Kontinent eine Karte mit. Sie hat einen schwarz-rot-gelben Rand und ist von angeblichen Deserteuren an die Soldaten in den Schützengräben gerichtet. Der Student aus Ontario hat sie mir geschickt. Es ist die letzte aus seinem Vorrat, und er hat 1918 vergessen, sie mir zuzuwerfen.

Bei Einbruch der Dunkelheit lande ich wieder beim Geschwader. In dieser Nacht schlafen wir auf der blanken Erde unter unseren Maschinen.

Im Morgengrauen des nächsten Tages hastiges Wecken.

Die Tanks kommen! Über Nacht ist Benzin und neue Munition herangeschafft worden. Wir teilen uns die Abschnitte ein und starten.

Zwischen Bapaume und Arras sehe ich sie. Künstlicher Nebel dampft vor ihnen auf, und dahinter kriechen sie über die flachen Wiesen. Fünfzehn Stück, wie gewaltige stählerne Schildkröten. Sie kriechen, kriechen, kriechen.

Über die erste deutsche Stellung sind sie schon hinweg... über die zweite... und rollen weiter ins Hinterland hinein.

Sturzflug und volle Salven aus beiden Läufen, Steigen, wieder Sturzflug und volle Salven. Keine Wirkung. Ein Specht klopft gegen ein eisernes Tor, so ist das.

Die deutsche Infanterie hat sich hinter den Bahndamm Bapaume-Arras zurückgezogen. Wie ein Festungswall ragt er aus dem sumpfigen Wiesengelände auf, vier Meter hoch, mit Schotter bedeckt. Von dort her rattern ihre Maschinengewehre in den Waschküchendunst des künstlichen Nebels hinein. Unablässig, aber ohne Wirkung.

Die Schildkröten kriechen weiter.

Jetzt ist eine an den Bahndamm heran. Schwerfällig klettert sie die Böschung hinauf, rollt oben die Gleise entlang.

Ich sehe, wie unsere fluchtartig die Stellung räumen, die Maschinengewehre mit sich schleppend. In Knicks und Wassergräben verschwinden sie.

Langsam schleppt sich der Tank oben auf dem Bahnkörper entlang und belfert seine Salven hinter ihnen her. Neue Möglichkeit für mich: jetzt kann ich ihn von der Seite packen. Kaum drei Meter über dem Boden jage ich auf ihn zu, ganz dicht heran, überspringe ihn, kehre um und attackiere ihn von neuem. So nah rücke ich ihm auf den gepanzerten Leib, daß ich jede Niete der Stahlplatten, jedes Geschützrohr erkennen kann. Selbst das verwaschene Kleeblatt an der Seite, Talisman oder Wappen. Wieder ein Sprung über ihn hinweg, das Fahrgestell streift fast den Buckel des Panzerturms.

Kehrtwendung, wieder schieße ich auf ihn los.

Durch diese Taktik des Bodenangriffs schalte ich die anderen Tanks aus. Denn wenn sie auf mich feuern, treffen sie ihren eigenen Mann.

Bei der fünften Attacke merke ich die erste Wirkung. Schwerfällig tastet sich der Tank zum Rand des Bahnkörpers, will zurück in die Wiesen zu den anderen, in den Schutz des künstlichen Nebels. Ich lasse ihn nicht aus dem Auge, verfolge jede seiner Bewegungen. Vorsichtig schiebt er sich über die Böschung hinaus. Jetzt hängt die Hälfte seines plumpen stählernen Körpers in der Luft. Im nächsten Augenblick taumelt er, schwankt, überschlägt sich die Böschung hinunter und bleibt unten liegen, auf dem Rücken, wehrlos, hilflos wie ein gefallener Käfer.

Von oben stoße ich auf ihn hinab, hämmere meine Schüsse in die dünn gepanzerte Bauchseite des Ungetüms. Die Raupenketten drehen sich noch, die rechte schnellt auf, greift wie ein Polypenarm in die leere Luft, fällt zurück. Der Tank liegt jetzt ganz still, wie tot. Aber noch immer hämmere ich meine Schüsse in ihn hinein. Die Seitentür neben dem Geschützturm öffnet sich. Ein Mann stürzt heraus, die Hände vor dem blutenden Gesicht. Ich bin so nahe, daß ich alles sehen kann. Aber ich kann nicht mehr schießen, meine Munition ist verbraucht bis auf die letzte Patrone.

Ich fliege zum Gefechtslandeplatz, lasse neue Gurten einspannen, kehre zurück Kaum zwanzig Minuten hat das gedauert.

Aber der Tank ist tot. Schwarz und regungslos liegt er da, neben ihm auf dem Rasen drei Soldaten. Die englischen Sanitäter müssen inzwischen dagewesen sein. Sie haben die Leichen herausgeholt und liegenlassen. Mag eine Granate sie begraben.

Die Nacht kommt. Der Nebel aus den Wiesengründen dampft zum dunklen Himmel hinauf. Der Tankangriff ist abgeschlagen. Auf der Linie Bapaume – Arras ist er zum Stehen gekommen, an der ganzen Front.

*

Eine aufgeregte Stimme am Telefon: »Eben sind zwei Ballons bei uns abgeschossen. Die feindliche Staffel kreist noch immer über unserer Stellung.«

Wir starten sofort, die ganze Staffel 4 mit allen verfügbaren Maschinen, Richtung auf Braie zu. Wir fliegen dreitausend Meter hoch, unter uns die deutsche Ballonkette, schräg über uns die englische Staffel, fünf SE 5. Wir halten uns unter ihnen und warten ihren Angriff ab. Doch sie lauern, scheinen den Kampf vermeiden zu wollen.

Plötzlich saust wie ein Pfeil eine Maschine an mir vorbei in die Tiefe, auf den Ballon zu. Ich drücke nach unten – hinterher. Einer von der englischen Staffel ist's, der Führer. Der schmale Wimpel flattert vor mir her.

Ich drücke nach unten, drücke, drücke. Die Luft schrillt am Windschutz. Ich muß ihn erreichen, einholen, ihm den Weg zu den Ballons abschneiden.

Zu spät! Der Schatten seines Apparates huscht wie ein Fisch im flachen Wasser über die prall gespannte Ballonhaut hinweg ... ein blaues Flämmchen zuckt auf, kriecht langsam über den grauen Rücken, und im nächsten Augenblick schießt eine Feuersäule gen Himmel, da, wo eben noch die große, gelbe Hülle seidig glänzend schwankte.

Ein deutscher Fokker schnellt auf den Engländer zu, eine zweite, kleinere Lohe spritzt neben der großen auf, in Rauch und Flammen gehüllt schlägt der deutsche Apparat auf die Erde auf.

Eine ganz enge Kurve... lotrecht fast saust der Engländer nach unten, die Mannschaft an der Ballonwinde spritzt auseinander. Schon hat sich der SE 5 wieder aufgerichtet und fegt dicht am Boden entlang nach Westen zu. So dicht am Boden, daß Schatten und Maschine in eins verschmelzen.

Doch jetzt bin ich hinter ihm. Ein tolles Jagen beginnt, kaum drei Meter über dem Boden. Wir springen über Telegraphenstangen hinweg, über Chausseebäume. Ein mächtiger Satz: der Kirchturm von Marécourt. Aber ich bleibe hinter ihm, ich bin nicht mehr abzuschütteln.

Die Heerstraße nach Arras. Von hohen Bäumen flankiert, wie eine grüne Mauer, zieht sie sich durch die Landschaft.

Er fliegt rechts der Baumreihe, ich links. Jedesmal, wenn eine Lücke in den Wipfeln ist, schieße ich.

Neben der Straße, auf einer Wiese, lagert deutsche Infanterie. Obwohl ich ihm im Nacken sitze, feuert er. Aber das ist sein Verderben. In diesem Augenblick bin ich über die Wipfel hinweggesprungen – kaum zehn Meter von ihm entfernt – schieße.

Ein Zucken läuft durch seine Maschine, das Flugzeug schwankt, taumelt in eine Kurve, schlägt aufs Feld auf, springt wieder hoch wie ein aufs Wasser geprellter Stein und verschwindet mit einem mächtigen Satz hinter einem Birkenwäldchen. Eine Staubwolke dampft auf.

Der Schweiß läuft mir in Strömen übers Gesicht, beschlägt die Brille, verklebt die Augen. Mit dem Jackenärmel fahre ich mir über die Stirn. Es ist Hochsommer, zweiundzwanzigster August, mittags halb eins, der heißeste Tag des Jahres, fast vierzig Grad Außentemperatur, und bei der Verfolgung lief mein Motor auf sechzehnhundert Touren.

Ich blicke mich um, dicht hinter mir drei SE 5. Sie haben meine Staffel abgeschüttelt, stoßen auf mich herunter, um ihren toten Führer zu rächen. Dicht über der Erde jage ich um das Birkenwäldchen herum. Kurze, schnelle Blicke über die Schulter weg nach hinten. Sie trennen sich, zwei kurven ab nach Westen und überlassen dem einen die Beute.

Ich weiß jetzt, daß ich es mit taktisch erprobten Kämpfern zu tun habe. Neulinge hätten sich zu dritt auf mich gestürzt. Alte Jagdflieger wissen, daß man sich bei der Verfolgung eines Gegners nur im Wege ist.

Es steht schlimm um mich. Der andere arbeitet sich immer näher heran, kaum dreißig Meter schätze ich den Abstand, und noch immer schießt er nicht. »Mit drei, vier Schuß wird er mich erledigen wollen«, denke ich.

Die Landschaft ist sanft gewellt, Hügelrücken, mit kleinen Gehölzen bestanden. Um diese Wäldchen kurve ich herum.

Unter Bäumen eine deutsche M.G.-Abteilung. Sie starren zu uns herauf. »Wenn sie doch schießen wollten, wenn sie mich doch erlösen könnten!« Aber sie schießen nicht. Vielleicht ist der Abstand zwischen den beiden Apparaten zu kurz, vielleicht fürchten sie, beim schwalbenschnellen Auf und Nieder mich zu treffen.

Mein Blick umfaßt Wälder, Hügel, Wiesen. Das also ist die Gegend, wo ich fallen soll!

Ein kleiner, dumpfer Schlag an mein Knie. Ich blicke hin, süßlich fader Phosphorgeruch, im Patronenkasten vor mir ein kleines, rundes Loch. Die Hitze – die Leuchtspur-Munition hat sich entzündet, eine Patrone ist explodiert – wenige Sekunden später wird mein Apparat in Flammen stehen.

Man denkt nicht in solchem Moment, man handelt oder man stirbt. Ein Druck auf den Abzugsbügel der M.G.s, und aus beiden Läufen knattert die Munition in die blaue Luft hinein, zieht lange weiße Fäden hinter sich her.

Ein Blick nach rückwärts, atemlose Überraschung, und dann ein paar mächtige Züge aus voller Lunge.

Der Gegner biegt ab, weicht den weißen Fäden aus, denkt wohl, ich schieße rückwärts.

Ich fliege nach Hause.

Nach der Landung bleibe ich eine ganze Weile in der Maschine sitzen. Behrend muß mir aus dem Apparat helfen.

Ich gehe zur Schreibstube.

»Oberleutnant Göring kommt heute abend«, sagt der Feldwebel. Ich sehe ihn mit leeren Augen an.

»Göring, unser neuer Geschwaderkommandeur«, wiederholt er. »Ja, ja.« Meine Stimme klingt mir selbst fremd und tonlos. Ich will auf Urlaub fahren. Gleich. Sofort. So soll er mich nicht sehen.

*

Als ich vom Urlaub zurückkomme, liegt das Geschwader in Metz. Die Verluste waren zu groß. Dreihundert Prozent sind gefallen. Dreimal im Laufe des Krieges ist der Bestand an Offizieren erneuert worden. Kaum einer von denen ist mehr da, die die ersten Flüge mit dem Rittmeister machten. Deshalb hat uns die Heeresleitung aus dem Brennpunkt der Schlachten herausgezogen und für kurze Zeit an eine ruhigere Front gestellt.

Göring fliegt gerade Sperre mit seiner Staffel, als ich auf dem Flugplatz ankomme. Er landet, wir begrüßen uns. Sein Gesicht ist finster. Er ist an Richthofens Stelle gesetzt worden, weil er als der begabteste Luftstratege der Armee gilt. An dieser toten Front liegt er brach, muß seine Schlachten auf dem Papier schlagen.

»Tag, Udet«, sagt er brummig.

Dann starte ich mit meiner Staffel.

Sprengpunkte am Horizont, schwatze Wölkchen deutscher Flaks, feindliche Flieger in Sicht.

Sie kommen näher, sieben Maschinen, Doppelsitzer de Havilland 9. Wir sind sechs. Aber die drüben sind neu an der Front, eine amerikanische Formation. Der Jüngste von uns hat die Erfahrung von zwei Kampfjahren ihnen voraus.

Dicht beim Flugplatz treffen wir uns. Das Ganze dauert kaum fünf Minuten. Gluczewski schießt einen ab und Kraut, meiner kommt brennend bei Monteningen herunter.

siehe Bildunterschrift

Göring, von Wedel, Schulte-Frohlinde

siehe Bildunterschrift

Bodenschatz, Udet, Bolle

Die anderen wenden um, fliegen nach Hause. Ein einzelner streicht dicht über mit entlang. Ich stelle meinen Fokker auf den Schwanz und feuere gerade nach oben in die Luft hinein. Er kann nicht mehr ausbiegen, er muß durch meine Geschoßgarbe hindurch. Kaum fünfzig Meter über mir zerplatzt er, ich muß eilig nach unten wegdrücken, um nicht von den brennenden Trümmern getroffen zu werden.

Ein dritter saust an mir vorbei nach Westen. An seinem Schwanz flattert der Führerwimpel. Ich setze mich hinter ihn. Als er merkt, daß er verfolgt wird, dreht er bei, fliegt mir entgegen. Eine Salve springt drüben auf, ich spüre einen brennenden Schmerz im linken Oberschenkel, und aus dem zerschossenen Tank sprudelt das Benzin mir entgegen wie eine Dusche.

Ich schalte die Zündung aus und lande.

Die Kameraden umringen mich. Sie haben vom Flugplatz aus jede Phase des Kampfes beobachten können.

Aufgeregt reden sie durcheinander: »Mensch, Udet, haben Sie ein Schwein... seit vier Wochen der erste Gegner... heute vom Urlaub zurückgekommen, und gleich so 'ne Bescherung...«

Ich klettere aus dem Apparat heraus und betrachte meine Verwundung. Der Schuß ist durchs dicke Fleisch gegangen, ein bißchen Blut sickert noch heraus.

siehe Bildunterschrift

Göring, der letzte Kommandeur des Richthofen-Geschwaders

Die anderen treten beiseite, Göring kommt auf mich zu. Ich melde: »Einundsechzigsten und zweiundsechzigsten Gegner abgeschossen. Selbst leicht verwundet. Schuß durch linke Backe, Gesicht unverletzt.«

Göring lacht, schüttelt mir die Hand.

»Nett von mir, daß ich hier sitze und die Abschüsse für Sie reserviere«, sagt er. Ein guter Kamerad.

*

Und dann kommt das Ende, unfaßbar für uns, die wir bis zuletzt gekämpft haben, ein Friede, den keiner von uns versteht.

Eines Tages halte ich ein Papier in den Händen.

siehe Bildunterschrift

Luftkampf. Gemälde von Claus Bergen

Entlassungsschein

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