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Pucki will keinen hungern lassen

Die kleine Schulkameradin mit dem merkwürdigen Namen und dem festgeflochtenen Zopf, der wie ein Haken aus dem Hinterkopf herauskam, beschäftigte das Försterkind unaufhörlich. Daß das Kind immer Hunger hatte und nichts zum sattessen bekam, erschien Pucki unfaßlich. Sie hatte auch manchmal Hunger, aber dann bekam sie stets etwas zu essen. Auch Milch war stets vorhanden, viel Milch, von der sie trinken durfte. Ob Thusnelda jeden Tag solch einen Topf Milch bekam?

Alle diese Gedanken beschäftigten Pucki schon am nächsten Morgen, als sie sich erhob. Würde die Schulkameradin wenigstens heute satt sein? Ob sie die große Tüte schon leer gegessen hatte? –

»Mutti, wenn die Thusnelda nichts zu essen hat und auch keine Milch bekommt, möchte ich ihr etwas zu essen mitnehmen, wenn ich heute in die Schule gehe. Sie soll sich wieder freuen.«

»Frage das kleine Mädchen ruhig, und wenn es Hunger hat, will ich dir gern an jedem Tage ein Butterbrot mitgeben, das du ihr schenken darfst.«

»Wenn sie aber heute schon Hunger hat?«

»Das kleine Mädchen kann auch einmal nach dem Forsthause kommen, um Milch zu trinken. Das bestelle ihr. Sie soll sich von der größeren Schwester herführen lassen, denn Milch ist immer bei uns vorhanden.«

»Bekommt dann die große Schwester auch Milch? Die größere Schwester hat vielleicht noch viel größeren Hunger.«

»Selbstverständlich bekommt auch die größere Schwester etwas zu essen. Doch nun beeile dich, Pucki, wir müssen zur Schule. Heute dauert es zwei Stunden, bis du wieder heimkommst.«

»Das ist aber lange!« –

Auch am heutigen Tage brachte Frau Sandler ihr Töchterchen bis zum Schulhause. Wieder saß Pucki mit dreiundvierzig anderen Kindern in der Klasse, wieder stand Fräulein Caspari vor ihnen und ließ die Tafeln herausnehmen, damit die Kinder auch heute zeichneten und schrieben.

»Wir haben gestern einen Buchstaben auf die Tafel gemalt. Wer weiß noch, wie dieser Buchstabe hieß?«

»Ein Osterei!«

»Eine Null!«

»Nein, ich meine den Buchstaben mit dem Punkt. – Nun, Pucki, du wirst es sicherlich behalten haben.«

»Ja, – ich habe ihn behalten, ich kenne ihn ganz genau, aber ich habe seinen Namen vergessen.«

»Vielleicht weißt du ihn, Thusnelda?«

Aber Thusnelda senkte verlegen den Kopf und steckte die kleine Hand in den Mund.

»Nun, Thusnelda?«

»Ach, Fräulein«, rief Pucki, »fragen Sie mal das kleine Mädchen nicht; Thusnelda hat Hunger, und darum kann sie nicht antworten. – Hast du Hunger?«

Thusnelda nickte.

»Bei uns bekommst du ein Butterbrot, morgen bringe ich es dir mit, und Milch bekommst du auch. Du mußt nur zu uns kommen. Deine große Schwester bekommt dann auch Milch.«

»Pucki«, mahnte die Lehrerin, »im Schulzimmer mußt du ruhig sein und warten, bis du gefragt wirst.«

»Wenn ich nun aber was sagen will?«

»Dann hebst du den Finger in die Höhe und meldest dich.«

Sofort ging Puckis Fingerchen in die Höhe, und erneut wandte sie sich an Thusnelda.

»Meine Mutti hat gesagt, du sollst zu uns kommen, du brauchst nicht mehr zu hungern. Weißt du was, du kommst heute zu uns, mit deiner Schwester. Wir gehen dann zur Kuh, und die wird gemelkt, dann trinken wir immerfort.«

»Pucki, hast du nicht gehört, daß ich dir verboten habe, so viel zu plaudern?«

»Ich halt' ja den Finger hoch, dann darf ich es doch!«

»Nein, dann darfst du noch lange nicht plaudern.«

»Fragst du mich nicht?«

Aufs neue versuchte die Lehrerin, den Kindern klarzumachen, daß sie sie nicht duzen dürften. Das war eine ziemlich schwierige Arbeit. Pucki fand es gar seltsam, daß sie zur Lehrerin anders sagen sollte, wie zu allen anderen Menschen.

Man begann wieder mit dem Stäbchenlegen, dann erzählte die Lehrerin vom lieben Gott, der die Erde geschaffen, der das Licht und die Meere gemacht und Adam und Eva in das Paradies gesetzt hatte.

»Ich kann auch das Licht machen«, rief der vorlaute kleine Heinz. »Ich knips' einfach, dann ist das Licht da.«

»Ich knips' auch«, rief Pucki.

Wilder Tumult entstand. Fast jedes Kind erzählte von dem Licht, das es im Elternhause andrehen konnte. Nur wenige Kinder blieben still; darunter auch Thusnelda.

»Darfst du nicht knipsen?« fragte Pucki.

Sie schüttelte den Kopf. Sie kannte kein elektrisches Licht. Daheim saß man bei der Petroleumlampe.

Die Lehrerin bemühte sich erneut, durch ihre Erzählung vom lieben Gott die Aufmerksamkeit der Kinder zu erregen. Sie sprach von Gottes Güte, von seiner Weisheit und daß er jede Unart sähe und auf jedes Kind aufpasse.

»Wenn ihr in den finsteren Wald geht, braucht ihr euch nicht zu fürchten, weil immer jemand da ist, der auf euch aufpaßt. – Nun, wer weiß mir diese Frage zu beantworten: Wer ist auch im finstersten Walde?«

»Mein Vati!« jubelte Pucki, »der geht immer mit der Flinte durch den Wald.«

»Aber der liebe Gott ist auch da.«

»Und der Schutzengel, der läuft immer neben mir her, Fräulein Caspari!«

»Jawohl, Pucki, du hast recht.«

Wieder wollte sie anfangen, von dem Vater zu erzählen, von den Holzfällern, vom Eichkätzchen und den Bäumen, aber sie wurde auch jetzt wieder zur Ordnung gerufen und mußte still sein.

»Ich wiederhole noch einmal, Pucki, wenn du etwas fragen willst, hebst du den Finger, dann werde ich dir stets Antwort geben.«

Schon fuhr das Fingerchen wieder in die Höhe.

»Was möchtest du wissen?«

»Ob wir nicht bald nach Hause gehen können?«

»Gefällt es dir nicht in der Schule? Willst du ein dummes Mädchen bleiben und nichts lernen?«

»O nein, Fräulein Caspari, aber vielleicht steht die Mutti heute wieder mit 'ner Tüte draußen.«

»Das gibt es nur am ersten Schultage.«

»Es haben aber so viele Kinder keine Tüte bekommen. Ich habe meine Tüte der Thusnelda geschenkt, und nun soll die Thusnelda zu uns kommen und was Schönes zu essen haben.«

»Ich habe auch keine Tüte bekommen«, rief einer der Knaben.

»Dann komm nur auch zu uns, Mutti schenkt dir was.«

Es meldeten sich noch verschiedene Kinder, die ebenfalls wehmütig davon berichteten, daß sie am ersten Schultage leer ausgegangen waren.

»Hat eure Mutti auch kein Geld für eine Tüte?«

»Nein«, klang es im Chore zurück.

»O je, dann kommt nur heute nachmittag alle in die Försterei. Meine Mutti hat Kuchen und viel Milch, und in einem Napf, in der einen Stube, steht auch Schokolade. Mutti hat gesagt, kein Kindchen darf Hunger haben. Ihr könnt alle zu uns kommen, wir haben soooo viel zu essen!«

»Ich habe immer Hunger«, rief ein kleiner kecker Bursche. »Ich komm' und esse immerfort Schokolade bei dir!«

»Nun ja, dann komm nur«, sagte Pucki treuherzig, »und wenn du nicht allein gehen darfst, dann bring die große Schwester mit. Das hat die Mutti auch gesagt.«

Der Lärm und die Begeisterung in der achten Klasse wurden immer größer. Mehrfach klatschte die Lehrerin in die Hände. Da sagte Pucki strahlend:

»Gelt, nun freust du dich, Fräulein Caspari, daß alle Kinder keinen Hunger mehr zu haben brauchen?«

»Du darfst doch nicht alle Kinder zum Kuchenessen einladen. Was wird denn deine Mutter sagen, wenn heute nachmittag so viele Kinder ankommen?«

Das Försterskind fuchtelte begeistert mit beiden Ärmchen um sich. »Sie sollen alle kommen, das hat die Mutti gesagt.«

Schließlich gelang es der Lehrerin die Ruhe wieder herzustellen. Aufmerksamkeit herrschte jedoch nicht mehr, denn einer tuschelte es dem anderen zu, daß man heute nachmittag im Forsthause Birkenhain Schokolade bekäme und Kuchen essen dürfe.

»Soll ich meine Großmutter auch mitbringen?« fragte eines der kleinen Mädchen.

»Das weiß ich nicht. – Wenn sie kommen will, soll sie ruhig mitkommen.«

Schließlich waren die beiden Stunden des zweiten Schultages vorüber. Doch diesmal trennten die Kinder sich nicht so rasch wie gestern. Wohl waren verschiedene Mütter vor der Schule, aber keine von ihnen trug eine Tüte. Frau Sandler war nicht gekommen, nur Minna stand draußen, um Pucki abzuholen. Da gerade die anderen Klassen Pause hatten, liefen verschiedene der Abc-Schützen zu ihren Geschwistern, um ihnen die freudige Botschaft zu übermitteln, daß man heute nachmittag im Forsthause sein würde, um Schokolade und Kuchen zu essen.

Ein etwa neunjähriger Knabe stellte sich keck vor Pucki hin und sagte: »Ich habe auch keine Tüte bekommen, ich komme mit!«

»Komm nur«, meinte Pucki, »unsere Kuh gibt immer wieder neue Milch, man braucht sie nur zu melken.«

»Was redest du denn da, Pucki?« fragte Minna.

»Komm fix nach Hause, Minna, ich muß der Mutti erzählen, was ich ihr für eine große Freude mache. Die Thusnelda braucht nicht mehr zu hungern und die anderen auch nicht.«

Frau Sandler ahnte nicht, was ihr für heute nachmittag bevorstand. Überglücklich erzählte Pucki von all den Kindern, die heute nachmittag herauskommen würden, weil sie Hunger hätten.

»Mutti, wir geben ihnen gute Milch und ein bißchen Kuchen.«

»Wollen sie bestimmt herauskommen?«

»O ja, sie haben es gesagt. Die Thusnelda bringt auch die große Schwester mit.«

»Nun, auf ein Glas Milch soll es uns nicht ankommen, Pucki.«

Die Einladung der kleinen Försterstochter wurde von vielen Eltern mißverstanden. Es gab zahlreiche arme Familien in Rahnsburg, die das Forsthaus Birkenhain und Sandlers kannten. Manche Väter waren in dem Forst beschäftigt, man wußte auch, daß des öfteren Krüge mit Milch in den Wald gebracht worden waren, wenn es galt, den erhitzten und müden Männern eine Erfrischung zu reichen. Es erschien daher diesen Eltern gar nicht verwunderlich, daß Pucki einige ihrer Mitschüler für heute eingeladen hatte. Selbstverständlich konnten die Sechsjährigen nicht allein hinausgehen. So schlossen sich größere Geschwister an.

Die ersten Kinder, die kamen, blieben ein wenig scheu am Gartenzaun stehen, bis ein kecker Bube energisch rief:

»Wir sind da, wir wollen Kuchen und Schokolade!«

Förster Sandler und dessen Frau traten aus dem Hause und blickten voller Erstaunen die sieben Kinder an, die wartend draußen standen. Einige von ihnen kannte er, es waren Söhne und Töchter seiner Holzfäller, die nicht gerade in guten Verhältnissen lebten.

»Dann kommt mal herein in den Garten«, sagte er gutmütig.

Noch hatten diese Kinder nicht Platz gefunden, als eine neue Schar herangezogen kam, unter ihnen Thusnelda Reichert mit ihren vier Geschwistern.

»Was bedeutet denn das?« fragte bestürzt die Försterin. Schon stand Pucki vor der Mutter, hüpfte von einem Fuß auf den anderen und lachte herzlich.

»Mutti, heute hast du viel mehr Besuch als an deinem Geburtstage. Oh, wirst du dich freuen. Ich glaube ganz hinten kommen noch welche!«

»Hast du dir alle diese Kinder eingeladen?«

»Ja, Mutti, wie du es gewollt hast, damit keiner hungert. Ich habe gesagt, sie sollen alle kommen, du gibst ihnen schon was!«

»Aber Pucki, woher soll ich denn soviel Milch und Kuchen nehmen?«

»Hab keine Angst, Mutti, wir lassen die Minna noch einmal in den Kuhstall gehen, dann ist wieder ein großer Topf mit Milch da.«

Es stellten sich sogar einige Mütter ein, die ihren sechsjährigen Kindern nach dem Forsthause gefolgt waren, um gleich bei der Begrüßung Förster Sandler herzlichen Dank für die Einladung auszusprechen. Weder Sandler noch seine Frau wußten Rat. Die Schar war auf etwa zwanzig Köpfe angewachsen; kaum fanden alle im Garten Platz, um sich niedersetzen zu können. Die meisten warteten artig und bescheiden auf die Genüsse, die kommen sollten; es gab aber auch solche darunter, die nach Kuchen riefen und an einem Stück nicht genug hatten.

Minna stand in der Küche und zankte über Pucki, die in ihrer Gutmütigkeit und Unwissenheit so viele Gäste herbestellt hatte. Ununterbrochen buk sie Waffeln, doch es ging nicht so schnell, wie es eigentlich hätte gehen müssen. Wenn Frau Sandler wieder einen Teller hinaustrug, so streckten sich viele kleine Hände nach dem duftenden Gebäck aus.

Pucki stand an einem Baume und schaute mit leuchtenden Augen auf die schmausende Schar. Sie, die sonst so gern knusprige Waffeln aß, dachte heute nicht an sich. Sie glaubte, daß alle diese Kinder fürchterlichen Hunger hätten und noch niemals so gute Waffeln zu essen bekommen hätten. Das kleine Herz war übervoll von Glück, wenn sie sah, wie gut es allen schmeckte. Dort war ein kleiner, blasser Junge, der sich den Mund so voll stopfte, daß er kaum atmen konnte; dort drüben, das kleine Mädchen mit dem verbundenen Auge, leckte soeben den Zucker von den Fingerchen und sah sehr glücklich aus.

»Mutti – Mutti –« rief Pucki, »sieh nur, wie froh sie alle sind. – Sieh mal, dort der kleine Junge ißt noch schneller als unser Harras! – Ach, Mutti, ich könnte immerzu tanzen!«

»Willst du nicht auch eine Waffel essen, Pucki?«

Pucki schüttelte den Kopf. »Die Kinderchen sollen sie alle essen! – Ach, Mutti, ich möchte, sie kämen jeden Tag her und futterten sich satt!«

Frau Sandler ahnte das Glück, das in dem Kinderherzen erwachte bei dem Anblick so vieler erfreuter Kinder. – Pucki stürmte durch den Garten, unbeachtet von all den Schmausenden, klatschte in die Hände und jauchzte immer wieder:

»Wie sie alle futtern – sie werden keinen Hunger mehr haben!«

Für sie selbst schien in dem großen Forsthausgarten kein Platz zu sein. Sogar auf Holzklötzen, die man herbeigetragen hatte, saßen die Kleinen. Doch was schadete das, es schmeckte allen, und man labte sich an der guten Milch, die Frau Sandler herbeibrachte. Und über den Kindern, hoch oben in den Zweigen der Bäume, sangen die Vöglein ihre Frühlingslieder.

Pucki lief nach der Gartenpforte und verfolgte mit den Blicken eine Amsel. »Nachher sind da viele Krümchen für euch da, dann habt auch ihr es gut!« rief sie.

»Wer hat es gut?«

Hedi Sandler fuhr herum, und ihr Gesicht hellte sich auf.

»Onkel Oberförster – guck mal, alle die Kinder da habe ich eingeladen.«

»Ja, was ist denn heute bei euch los, Pucki?«

»Die Kinder habe ich mir eingeladen, Onkel Oberförster.«

»Na, das ist ja eine recht große Gesellschaft. – Kann ich nicht auch eine Waffel bekommen? Sieh mal, das sind meine beiden Jungen, die zu den Ferien heimgekommen sind und noch ein Weilchen hierbleiben müssen, weil in ihrer Schule eine böse Krankheit ausgebrochen ist.«

Mit leuchtenden Blauaugen blickte Pucki unerschrocken zu den beiden Jungen auf. Der eine war hochaufgeschossen, der andere bedeutend kleiner und ein wenig rundlich.

»Sind das deine Kinder, Onkel Oberförster?«

»Ja, das hier ist der Claus, der in der Prima sitzt, und das hier –«

Pucki lachte. »Ich weiß schon, Onkel Oberförster, das hier ist der große Claus, und das da ist der kleine Claus. Aber der große Claus gefällt mir besser als der kleine Claus.«

Claus Gregor, der Primaner, lachte belustigt auf bei den Worten des reizenden kleinen Mädchens.

»Warum gefalle ich dir denn nicht?« fragte Eberhard, der Vierzehnjährige.

»Mir gefällt der große Claus eben besser.«

»Bekomme ich dann auch eine Waffel?«

»Komm mal mit, ich werde die Minna fragen.« Pucki streckte die Hand aus und versuchte den Primaner in den Garten zu ziehen.

»Laß nur«, wehrte der ab, »wir wollen die Waffeln deinen kleinen Gästen nicht fortnehmen.«

»Komm nur ruhig mit in den Garten. Mutti hat gemeint, wir sollen nachher spielen, dann kannst du mitmachen.«

»Siehst du, Claus«, lachte der Oberförster, »nun hast du gleich eine Beschäftigung. Pucki wird dir schon zu tun geben.«

Der Primaner schien wenig Lust zu haben, mit all den kleinen Kindern zu spielen. Aber Pucki ließ seine Hand nicht mehr los.

»Nur ein bißchen, weil – ich dich doch so gern hab'!«

»Du kennst mich doch noch gar nicht.«

»Nein; aber jetzt kenne ich dich, und dich habe ich gern. – Ich habe aber auch den Harras gern. – Du mußt dir mal den Harras ansehen.«

Frau Sandler, die noch im Garten umherging, um die vielen kleinen Gäste nach Möglichkeit zu bewirten, bemerkte den Oberförster mit seinen beiden Söhnen. Sie kam rasch näher und erstattete mit verlegenem Lachen Bericht über den unerwarteten Besuch, der sich heute im Forsthause eingefunden hatte.

»Es sollten nur einige bedürftige Kinder herauskommen, Herr Oberförster, aber Pucki hat wahrscheinlich die Einladung so ungenau gemacht, daß noch viele andere Kinder sich mit auf den Weg gemacht haben. Ich konnte sie doch nicht wieder fortschicken.«

»Du – großer Claus«, flüsterte Pucki, »das sind alles kleine Kinder, die furchtbar hungern. Aber heute sind sie satt.«

»Macht dir das Freude, Pucki?«

»Sehr große!«

»Du bist ein braves, kleines Mädchen.«

»Kommst du jetzt mit uns spielen, großer Claus? Ich rufe schnell ein paar Kinder, dann gehen wir in den Wald und spielen.«

Es gelang Claus Gregor nicht, sich fortzuschleichen.

»Bleibe nur hier«, lachte der Oberförster, »die kleine Pucki rechnet auf deine Hilfe. Lange wird es ja nicht dauern.«

Pucki hatte sich verschiedene Kinder zu einem Kreisspiel herangeholt. »Wir spielen nun ›Fuchs, du hast die Gans gestohlen.‹«

Hell und lustig erklangen die Kinderstimmen. Claus Gregor mußte mitsingen. Und während man sich dauernd im Kreise drehte, tönte es durch den Wald:

»Fuchs du hast die Gans gestohlen,
Gib sie wieder her,
Sonst wird dich der Jäger holen
Mit dem Schießgewehr.«

Pucki sang das Lied bis zu Ende.

»Nimm, du brauchst nicht Gänsebraten,
Mit der Maus fürlieb!«

Da lachte der große Claus, hob Pucki auf seinen Arm und schwenkte sie einige Male hoch in die Luft.

Endlich kam Förster Sandler aus dem Walde heim und erklärte, es sei nun an der Zeit, daß die Kinder wieder heimgingen. Pucki bedauerte das auf das lebhafteste. Der heutige Tag war für sie eine einzige Freudenstunde gewesen, die sie gar gern noch länger ausgedehnt hätte.

»Wir kommen bald wieder«, klang es von vielen Kinderlippen.

»Ja, kommt mal recht bald!«

Frau Sandler warf ihrem Manne einen verzweifelten Blick zu, doch der winkte beruhigend mit der Hand. Es ging selbstverständlich nicht, daß öfters ein derartiger Massenbesuch das Forsthaus aufsuchte.

»Bist du nun glücklich?« fragte Pucki eine der Frauen, die mitgekommen war.

»Sehr glücklich, du kleines Mädchen. Du kannst dir nicht denken, wie schlimm es ist, wenn man Kinder hat, die manchmal hungern und frieren müssen.«

»Frieren mußt du auch?«

»Sehr oft; wir sind arme Leute und haben kein Holz und keine Kohlen.«

»Oh –« jubelte Pucki, »Holz kannste kriegen! Mein Vati hat so viel Holz! Weißt du was, wenn ihr wiederkommt, dann sage ich es dem Vati und dem Onkel Oberförster. Der hat noch viel mehr Holz! Dem gehört alles Holz, das im Walde steht. Der Onkel Oberförster ist sehr gut.«

Für die gutgemeinten Worte des Kindes hatte die Frau nur ein Lächeln. Sie wußte genau, daß auch der gutmütigste Oberförster das Holz, das im Walde aufgeschichtet war, nicht verschenken durfte. Trotzdem nahm Pucki sich vor, den guten Onkel Oberförster bei der nächsten Gelegenheit darum zu bitten.


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