Franz Treller
Der Sohn des Gaucho
Franz Treller

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Die beiden de Salis

Wir hörten bereits, daß in dem Staat Santa Fé seit einigen Jahren Don Francisco de Salis als Gobernador herrschte. Unter dem Einfluß des Diktators de Rosas gewählt, stand er seinem hohen Gönner in der rücksichtslosen Ausnützung der ihm übertragenen Machtbefugnisse in keiner Weise nach. Er war weit und breit gehaßt von allen, die nicht seine Kreaturen waren. Er wußte es und lachte darüber, denn die wilde, mordlustige Horde seiner Soldados schützte ihn vor dem Unwillen der Bevölkerung.

Seine Eigenschaft als Gobernador zwang ihn mehr, als ihm lieb war, im Regierungsgebäude zu Santa Fé anwesend zu sein, von wo er, so oft er konnte, nach seiner Estancia Bellavista ritt, die er dem Aufenthalt in der Stadt vorzog.

Das Regierungsgebäude in Santa Fé, noch von den Spaniern im 18. Jahrhundert angelegt, zeigte den Charakter spanischer Bauten; es war ziemlich umfangreich. In seinem Arbeitszimmer weilte der Gobernador an einem mit Papieren bedeckten Tisch, von denen er einige der Durchsicht unterzog.

Die hohe, gebietende Gestalt war ihm trotz der fortschreitenden Jahre geblieben, aber in das noch dichte, dunkle Haar hatten sich zahlreiche weiße Fäden gemischt; das Gesicht war hager und zeigte scharfe Linien. Die starken, dichten Augenbrauen, die ihr ursprüngliches Schwarz bewahrt hatten, gaben ihm durch den Gegensatz zu dem lichteren Haupthaar und Bart einen noch so finstereren Ausdruck als früher.

Die Tür, die in das mit Beamten, Offizieren und Bittstellern gefüllte Vorzimmer führte, öffnete sich, ein Diener trat ein und meldete kurz: »Don Agostino.« Ihm auf dem Fuße folgte ein junger Mann in elegantem Reitanzug. »Nun, Vater«, sagte der Eingetretene, »werden die Lasten der Regierungsgeschäfte dir gestatten, deinem gehorsamen Sohn einen Augenblick zu widmen?«

Er gähnte und warf sich nachlässig in einen Sessel, die Beine übereinanderschlagend. Don Agostino hatte wenig von seinem Vater, er war nur von Mittelgröße, mager und knochig; sein blasses, unschönes Gesicht mit den tiefliegenden, stechenden Augen und dem herrischen Zug um den weichlichen Mund zeugte von einem lockeren Leben.

»Hältst du es doch einmal für nötig, dich bei mir sehen zu lassen?« knurrte der Gobernador und warf dem Sohn einen abschätzenden Blick zu.

»Aber, bester Vater, wann hast du denn Zeit für mich?« Don Agostino gähnte schon wieder. »Außerdem«, sagte er, »deine Regierungsgeschäfte langweilen mich, und für anderes hast du doch kaum Sinn.«

»Schweig!« herrschte Don Francisco ihn an. »Ich möchte dir sagen, daß ich über dein Verhalten wenig erfreut bin. Es ist unverträglich mit deinem Namen, daß du dich in Gesellschaft der liederlichsten Burschen von Santa Fé unter Begehung übler Streiche im Lande herumtreibst.«

»Wenn ich gewußt hätte, daß du schlechter Laune bist, hätte ich mir diesen Besuch geschenkt«, versetzte der liebenswürdige Sohn. »Was willst du überhaupt? Ich habe mit Molino und Tejada, vollendeten Caballeros, ein wenig die Provinz durchstreift, um meine Kenntnisse von Land und Leuten zu verbessern und – –«

»Spar dir die Redensarten«, schnitt der Gobernador ihm das Wort ab. »Hier liegt eine stattliche Anzahl von Beschwerden über dich und deiner Freunde wüstes Treiben.«

»Wahrhaftig, du langweilst mich. Laß die Beschwerdeführer hängen, dann brauchst du dich nicht weiter mit ihrem Geschwätz zu befassen. Was haben wir denn getan? Ein altes, baufälliges Haus angezündet, weil uns in der Nacht fror. Ja, mein Gott, der Mensch muß sich wärmen, wenn er friert; daß das Feuer um sich griff, war nicht unsere Schuld. Tejada hat einen elenden Vaquero niedergestochen, weil der Bursche es nicht nötig hatte, ihm aus dem Wege zu gehen. Por le nombre de dios! Man muß dem Volk Respekt beibringen; es ist ohnehin aufsässig genug.«

Don Francisco sah seinen Sprößling finster an. »Treibe es so weiter«, sagte er, »und es wird nicht lange dauern, bis du mir das ganze Land aufgehetzt hast.«

»Wozu hast du deine Leibgarde?« Don Agostino räkelte sich.

»Hör zu«, sagte der Gobernador, »es ist widerlich, dich daherschwatzen zu hören. Es sind Fehler gemacht worden, von denen ich nicht weiß, wie sie korrigiert werden können. Das Vorgehen gegen d'Urquiza war so ein Fehler. Es hat weit mehr Erbitterung hervorgerufen, als ich ahnen konnte, und es wird Zeit vergehen, bis Gras über diese Geschichte gewachsen ist. Und wem verdanke ich sie? Dir. Oder vielmehr meiner Langmut gegen dich.«

»A bah!« sagte Agostino barsch, »es scheint, du wirst alt, mein Lieber! Ich mußte d'Urquizas Estancia haben; sie ist, abgesehen von Bellavista, die schönstgelegene am ganzen Parana. Ist übrigens die Schenkungsurkunde für mich schon da?«

»Nein!«

»Vielleicht hast du die Freundlichkeit, dich dieserhalb zu bemühen, verehrter Papa.« Er richtete sich etwas im Sessel auf, seine kleinen Augen kniffen sich enger zusammen, der böse Zug um seine Lippen trat schärfer in Erscheinung. »D'Urquiza mußte fort«, zischte er. »Nicht nur, weil ich seine Estancia brauche und nicht nur, weil er es wagte, sich flegelhaft gegen mich zu benehmen, sondern auch, weil er gefährlich ist.«

»Er hat viel Anhang im Land, du solltest das nicht vergessen.«

»Eben weil er Anhang hat.«

»Vielleicht hast du recht, auf die Dauer gesehen. Im Augenblick war die Maßnahme gegen ihn ein Akt politischer Dummheit; es tut mir leid, daß ich dir nachgegeben habe. Außerdem bin ich d'Urquizas wegen in Sorge. Gomez ist noch nicht zurück.«

»Nicht die Maßnahme als solche, aber die Durchführung war ein Akt politischer Dummheit«, erklärte der junge de Salis. »Es ist jämmerlich, wie deine Organe in dieser Sache versagt haben. Seine Frau und seine Kinder sind entkommen, er selbst geriet nur durch Zufall in unsere Hände, und statt daß nun die Sache in irgend einer unauffälligen Form liquidiert worden wäre, bewacht man ihn so nachlässig, daß er in die Pampa entfliehen kann und erst wieder eingefangen werden muß.«

»Es fehlt nur noch, daß du mir Vorwürfe machst!« brauste Don Francisco auf.

»Es handelt sich nicht um Vorwürfe, sondern um die Feststellung von Tatsachen«, sagte Don Agostino. »Du kannst dich darauf verlassen, wäre ich mit der Affäre beauftragt gewesen, ich hätte sie besser erledigt.«

»Er muß gewarnt worden sein.« Der Gobernador zuckte mißmutig die Achseln. »Ich muß hier Verräter haben«, sagte er, »es ist nicht anders möglich. Nun, entkommen kann er nicht, die Pampa gewährt ihm keine Zuflucht, und die Kordilleren erreicht er nicht.« Er begann unruhig im Zimmer auf und ab zu gehen, während sein Sprößling in dem Lehnstuhl sitzenblieb.

»Es gärt ringsum«, sagte de Salis, »nicht nur drüben in Entre Rios und Corrientes, sondern auch hier. Die Anzeichen mehren sich.«

»So haben wir vielleicht in Señor d'Urquiza mit sicherem Instinkt einen der Unruhestifter erwischt«, bemerkte der Sohn.

Don Francisco schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »D'Urquiza war des politischen Treibens müde und vollkommen ungefährlich. Entkommt er jetzt unserem Anschlag, dann haben wir in ihm einen erbitterten Feind, der uns zu schaffen machen wird.«

»Pah, Gomez wird ihn fangen«, entgegnete gleichmütig Don Agostino. »Und übrigens, wovor du dich offenbar fürchtest, teurer Vater, das erscheint mir durchaus wünschenswert. Laß die Hydra der Unzufriedenheit ihre Köpfe hervortreiben, wir schlagen sie ab und konfiszieren Estancia nach Estancia. Doch ehe ich's vergesse, ich brauche etwas Geld.«

Der Gobernador blieb stehen. »Schon wieder?« sagte er.

»Was heißt«schon wieder«? Ich begreife dich nicht.« Der junge Herr zog erstaunt die Brauen hoch. »Ich habe im Monte etwas verloren und außerdem verschiedene kleine Ausgaben gehabt. Bitte, gib mir eine Anweisung auf dreißigtausend Pesos.«

Don Francisco stand wie erstarrt; seine Augen drohten aus den Höhlen zu treten. »Bist du wahnsinnig?« zischte er. »Willst du mich, willst du uns mit Gewalt ruinieren?«

Der Señorito erlaubte sich zu grinsen. »Die fürstlichen Manieren habe ich von dir geerbt, verehrter Papa«, sagte er, »du bist das Ideal eines Grandseigneurs, und ich bin, wie du weißt, dein gehorsamer Sohn. Und übrigens haben wir ja d'Urquizas ganzen Besitz. Sei also vernünftig und knausere nicht.«

Das Gesicht des Gobernadors erschien plötzlich grau; die sonst so beherrschten Züge wirkten schlaff und zerfallen. Er warf einen beinahe scheuen Blick auf den gleichmütig im Sessel lehnenden Sohn und ging dann mit müden Bewegungen zu seinem Schreibtisch, an dem er sich niederließ.

Er hatte die Feder soeben erst zur Hand genommen, als ein leises Klopfen an der Tür eine Meldung des Dieners ankündigte.

»Entra!« rief er.

Der Diener trat ein und meldete: »Gomez ist zurück, Excellenza.« De Salis sprang auf. »Herein mit ihm!« rief er hastig.

Gleich darauf stand der Häscher im Raum. Er hatte sich nur flüchtig Zeit genommen, die Spuren seines wilden Streifzuges in Gesicht und Kleidung zu verwischen.

»Nun, hast du ihn?« fragte der Gobernador.

»Nein, Excellenza, leider nicht. Er ist uns entkommen.«

Das Gesicht des Gobernadors lief blaurot an. »Was?« schrie er, »du hast ihn entwischen lassen?«

In Gomez' Gesicht waren Furcht, Tücke und kriecherische Unterwürfigkeit sonderbar gemischt; er hob die Arme und ließ sie mit resignierender Geste wieder fallen. »Wir waren ihm dicht auf den Fersen«, sagte er. »Die Spur führte nach dem Rio Quinto, und dort stellten wir ihn. Und wir hätten ihn jetzt, wenn sich dort nicht Leute gefunden hätten, die ihn uns im letzten Augenblick entrissen.«

»Was für Leute?« knirschte de Salis; er schäumte vor Wut.

»Ein elender Gaucho, ein widerlicher Cabezarojo und ein Aleman.« Und er berichtete kurz über die Vorgänge, die zum Entkommen des Flüchtlings geführt hatten. »Dieser Hund von Aleman hat mir das Pferd und den besten meiner Männer auf eine geradezu unglaubliche Entfernung niedergeschossen«, sagte er. »Unter diesen Umständen waren meine Burschen nicht mehr in den Bereich seiner Büchse zu bringen, und ich mußte umkehren.«

»So geht's«, murmelte Agostino, »wenn man einen Dummkopf auf eine solche Expedition schickt. Aber ich habe es vorher gesagt.«

Der Gobernador trat dicht an Gomez heran. »Du sprachst von einem Gaucho«, sagte er, »wie soll ich das verstehen? Die Gauchos sind Señor de Rosas treu ergeben.«

»Und trotzdem hat ein Gaucho d'Urquiza zur Flucht verholfen«, entgegnete Gomez. »Ein höchst kaltblütiger Schurke, dessen Estancia unmittelbar am Rio Quinto liegt.«

»Das ist sonderbar!« De Salis schüttelte den Kopf.

In Gomez' Augen kam ein kaltes Glitzern; er sah den Gobernador herausfordernd an. »Übrigens habe ich am Rio Quinto, bei eben diesem Gaucho, eine Überraschung erlebt, Excellenza«, sagte er.

»Was heißt das? Was für eine Überraschung?«

»Neben dem Gaucho hielt ein junger Mann, der eine solch auffällige Ähnlichkeit mit Eurem verewigten Bruder Don Fernando aufwies, daß jeder, der den Vater gekannt hat, ihn für den Sohn halten muß.«

Der Gobernador zuckte zusammen, als hätte der andere ihm einen Schlag versetzt; in seine Augen kam ein unheimliches Flackern. »Was soll der Unsinn?« fragte er. Es sollte scharf klingen, aber die Stimme hatte einen Bruch.

Gomez erstattete eingehenden Bericht über sein Zusammentreffen mit Aurelio.

De Salis, der aufmerksam zugehört hatte, trat an seinen Schreibtisch zurück; so lag sein Gesicht im Schatten. »Kennst du den Namen des Gauchos?« fragte er und mühte sich um die natürliche Klangfarbe seiner Stimme.

»Juan Perez«, sagte der Häscher.

Don Francisco wandte sich ab. »Du hast dich durch ein Naturspiel bluffen lassen«, sagte er.

»Möglich natürlich«, versetzte Gomez; in seine Stimme kam ein öliger Ton, »allein wer weiß? Vielleicht haben Excellenza durch einen glücklichen Zufall hier einen der so lange gesuchten Erben Don Fernandos gefunden. Wenn Excellenza den jungen Mann gesehen hätten – –«

»Schweig!« herrschte ihn der Gobernador an.

Der Señorito, der bisher dem Gespräch ziemlich teilnahmslos gefolgt war, schien plötzlich interessiert. »Oha«, sagte er, »was sind das denn für erstaunliche Neuigkeiten? Ich denke, die Kinder meines verehrten Herrn Oheims sind bei dem Überfall damals zugrundegegangen? Nun muß ich hören, daß nach ihnen gesucht wurde?«

»Infantiles Geschwätz!« sagte der Vater, aber es fiel ihm schwer, seine Züge zu beherrschen.

»Erstaunlich! Erstaunlich!« murmelte Don Agostino.

Der Gobernador bekam sich allmählich wieder in die Gewalt. »Es ist gar kein Zweifel, daß die Kinder tot sind«, sagte er, »es konnte nur nicht bewiesen werden, da man die Leichen nicht fand. Dadurch kamen allerlei Gerüchte auf. Schon um diesen Gerüchten den Boden zu entziehen und mich keinem unsinnigen Verdacht auszusetzen, mußte ich also Nachforschungen anstellen lassen. Nachforschungen, die selbstverständlich im Sande verliefen.«

»Immerhin: erstaunlich, wie gesagt, was man so alles erfährt!« Die Züge des jungen Herrn drückten allerlei Zweifel aus. Aber Señor de Salis war nicht geneigt, sich mit seinem Sohn in Debatten über diesen Gegenstand einzulassen. »Ich habe jetzt noch einige Staatsangelegenheiten mit Gomez zu besprechen«, sagte er, »laß uns einen Augenblick allein.«

»Schön!« Don Agostino griff nach seinem Hut. »Die Anweisung hole ich mir dann«, sagte er, zur Tür gehend, »und, wenn ich dir einen Rat geben darf: den jungen Mann, der eine so verblüffende Ähnlichkeit mit meinem Herrn Oheim aufweist, würde ich mir auf alle Fälle etwas näher betrachten.« Er neigte mit übertriebener Grandezza den Kopf und verschwand.

Die Tür hatte sich kaum hinter ihm geschlossen, als der Gobernador jede Maske fallen ließ. »Was fällt dir eigentlich ein?« brüllte er Gomez an, »wie kommst du Cochino dazu, in Gegenwart meines Sohnes solche Märchen aufzutischen?«

Der Alguacil mit dem Gaunergesicht zuckte die Achseln; der Zorn seines Gebieters schien ihn nicht weiter zu beunruhigen. »Ich dachte natürlich, Don Agostino sei in alles eingeweiht«, sagte er.

»Zarapeto! Er weiß soviel, als ihm nötig ist. Aber nun kein Geschwätz mehr! Was steckt hinter dieser Geschichte? Was ist Wahrheit daran? Denke nicht, daß du mit mir scherzen kannst.«

»Excellenza geruhen ungnädig zu sein.« Gomez schien tief gekränkt. »Wie soll ich wissen, was Wahrheit ist?« sagte er. »Ich habe Euer Gnaden pflichtschuldigst berichtet, was ich gesehen habe. Wenn je eine Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn existierte, dann hier. Ich für meine Person habe nicht den geringsten Zweifel, daß Don Fernandos Sohn vor mir stand.«

»Demonio!« Don Francisco knirschte mit den Zähnen. »Konntest du nicht mehr erfahren? Für was oder wen gilt der Mensch? Zum Teufel! Er wird eben der Sohn des Gauchos gewesen sein.«

»Er war zweifellos kein Gaucho, sondern von altspanischem Blut«, sagte Gomez. »Und er trug ganz unverkennbar die Züge von Eurer Excellenza verstorbenem Bruder.«

»Gut!« Der Gobernador, der mit ruhelosen Schritten den Raum durchmessen hatte, blieb ruckhaft stehen. »Gut!« sagte er. »Und was soll das? Jetzt, nach siebzehn Jahren? Nimm deinen Hirnkasten ausnahmsweise einmal in Anspruch. Nehmen wir an, deine Vermutung habe irgendwelche realen Grundlagen. Wer weiß davon? Kann man annehmen, daß selbst dieser Gaucho etwas davon weiß? Wären, wenn irgendwer Kenntnis von diesen Zusammenhängen hätte, nicht längst irgendwelche Schritte unternommen worden, die angeblichen Rechte des jungen Mannes durchzusetzen?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Gomez mit undurchdringlichem Gesicht.

»Du weißt es nicht! Du weißt überhaupt nichts! Du bist ein Narr!« Don Francisco nahm seine Wanderung wieder auf. »Und welcher der beiden Sprößlinge meines Bruders soll es deiner Ansicht nach denn sein?« fragte er nach einer Weile.

»Auch das weiß ich natürlich nicht«, antwortete Gomez. »Aber nach Lage der Dinge kann es eigentlich nur der älteste sein, mit dem der Majordomo damals davonjagte, als wir das Schloß angezündet hatten.«

»Den du Cochino entkommen ließest!« Ein flammender Blitz aus den schwarz überbuschten Augen traf den Häscher. »Das alles ist lächerlich«, sagte Señor de Salis, »wer wollte heute noch die Abstammung des jungen Mannes beweisen? Wir vertun die Zeit, indem wir uns mit der Geschichte befassen.«

»Derartige Prätendenten finden zuweilen mächtige Gönner«, sagte Gomez. »Umstände und Verhältnisse ändern sich manchmal über Nacht«, setzte er mit dünnem Lächeln hinzu. »Don Manuel ist nicht unsterblich.«

Wieder blieb der Gobernador stehen; ein gefährlicher Blick streifte den Mann an der Tür. »Du bist eine Kanaille, Gomez«, sagte er, »und du solltest dich vorsehen. Noch lebt Don Manuel nämlich. Und noch lebe ich. Und du solltest aus langer Erfahrung wissen, daß ich meine Interessen wahrzunehmen weiß. Glaubst du, du könntest mich mit einem Schatten ängstigen? Hirngespinste!« Eine herrische Handbewegung fegte den aufgerufenen Schatten hinweg. »Viel schlimmer ist, daß du d'Urquiza entkommen ließest. Der Mann ist wirklich gefährlich, denn er findet überall geeigneten Boden für seine Umtriebe. Also, was wird? Schwätze jetzt nicht länger, sondern mach' sachliche Vorschläge.«

»An Stelle Eurer Excellenza würde ich mich des Gaucho Juan Perez und seines sogenannten Sohnes versichern. Der Grund liegt nahe. Da beide zweifellos einem Hochverräter zur Flucht verhalfen, sind sie selber des Hochverrats schuldig. Dann werden wir weiter sehen.«

»Gut. Zieh mit dreißig zuverlässigen Lanceros zum Rio Quinto und nimm sie gefangen.«

Die Gaunervisage verzog sich zu einem Grinsen. »Mein Gesicht ist dort an der Grenze zu bekannt geworden«, sagte Gomez. »Ich möchte Euer Excellenza deshalb bitten, einen Mann, den man nicht kennt, mit dieser Aufgabe zu betrauen. Mein Erscheinen warnt die Leute unnötig, und die Pampa ist weit.«

»Auch gut. Ich will deiner Feigheit diese Brücke bauen, zumal du deine Dummheit so hervorragend unter Beweis gestellt hast. Nun zu d'Urquiza. Was rätst du in diesem Fall?«

»Beordern Excellenza fünfzig Leute nach Cordoba mit einem Befehl des Präsidenten an den dortigen Gobernador, sie mit seiner ganzen Macht zu unterstützen, um den Hochverräter gefangen zu nehmen. Señor Ortega wird sich nicht weigern können, denn die Sicherheit der Konföderation steht auf dem Spiel.«

»Diese Aufgabe wirst du übernehmen, Gomez. Du hast den Mann entkommen lassen, du wirst ihn wieder einfangen. Ich sage dir mit aller gebotenen Ernsthaftigkeit: ich muß ihn haben, tot oder lebend. Ich rate dir nicht, ihn ein zweites Mal entkommen zu lassen.«

In Gomez' Augen blinkten tückische Lichter, aber seine Stimme klang glatt und geschmeidig. Er sagte: »Mit genügender Macht ausgestattet und von Señor Ortega unterstützt, werden wir den Mann unschädlich machen. Aber ich brauche Geld, vermutlich viel Geld, zu dieser Expedition. Excellenza können sich das selber ausrechnen.«

Der Gobernador sah aus, als würge ihn der Ekel. Er ließ sich am Schreibtisch nieder, schrieb eine Anweisung aus und reichte sie Gomez abgewandten Gesichts. »Hier hast du, was du brauchst«, sagte er. »Für den Kopf d'Urquizas zahle ich dir tausend Pesos, und den Leuten kannst du zweitausend zur Verteilung in Aussicht stellen.«

»Mil gracias, Excellenza!« Gomez nahm das Papier, faltete es und steckte es zu sich. »Excellenza sind der großzügigste aller Caballeros«, sagte er. Don Francisco sah ihn nicht an. »Heute abend reitest du«, befahl er. »Die Befehle für die Mannschaft und das Schreiben für Señor Ortega erhältst du rechtzeitig. Geh.«

Er wartete, bis Gomez das Zimmer verlassen hatte. Ein Schütteln durchlief seinen Körper, und ein gepreßtes Stöhnen entrang sich seinen Lippen. Er zog ein Taschentuch und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn. Dann ging er, ein müder Mann plötzlich, zu seinem Schreibtisch und setzte sich.


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