Franz Treller
Der König der Miami
Franz Treller

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Wiedersehen in der Schlacht

In Gewaltmärschen durchzogen die Franzosen das Shenandoatal. Die Streitmacht war nicht sonderlich groß, aber für die Verhältnisse der Kolonien immerhin beachtlich. An die zwei- bis dreitausend Mann mochten es immerhin sein, die der General Dieskau, ein alter, erprobter Haudegen deutscher Abstammung, zusammengebracht hatte. Dazu kamen etwa achthundert Mann indianischer Hilfstruppen. Die von der schwer beweglichen Truppe mitgeführten sechs Kanonen wurden von Mauleseln gezogen. Die Vorhut bildeten Indianer, auch beide Flanken wurden durch weit ausgeschwärmte rote Spähtrupps gesichert. Unsere Freunde marschierten in der Formation eines Bataillons, dessen Schutz Oberst Clermont sie anvertraut hatte.

Nachdem die Truppen das Tal durchzogen hatten, wandten sie sich westwärts und nahmen den Weg über eine wellige, blumenübersäte Prärie. Die Bewegungen wurden durch den mitgeführten starken Train erheblich behindert.

Dieskaus Befehl ging, wie unsere Freunde richtig vermutet hatten, dahin, im taktischen Zusammenwirken mit den vom Eriesee herabstoßenden Truppenverbänden, den Vorstoß in das Ohiotal zu führen und alles, was sich ihm dabei in den Weg stellte, rücksichtslos niederzuwerfen. Einstweilen hatte man allerdings noch nicht einmal Fühlung mit dem Gegner, und auch von den aus dem Norden kommenden Abteilungen hatte man bisher nichts gehört und gesehen.

Der beim Regiment Clermont weilende Edmund Hotham hatte übrigens inzwischen ein schmähliches Ende gefunden. Oberst Clermont hatte dem General den jungen Lord Somerset vorgestellt und ihm dessen Geschichte erzählt. Dieskau hatte den erbschleicherischen Mordgesellen daraufhin kurzerhand zum Troß verwiesen und ihm ankündigen lassen, daß er bei der geringsten verdächtigen Bewegung erschossen würde. Eines Tages war Hotham verschwunden. Knapp vierundzwanzig Stunden später fand man im Wald seine skalpierte Leiche; vermutlich war er von seinen gedungenen Freunden, den Huronen, umgebracht worden, da diese sich um ihren Lohn geprellt sahen.

Der alte Burns bewegte sich nur mühsam vorwärts. Er war in den letzten Tagen um Jahre gealtert; die Sorge um das Ungewisse Schicksal seiner beiden Kinder und der Farm am Genesee nagte unaufhörlich an ihm. Der bärenhafte Bob versuchte ihn immer wieder auf seine Weise zu trösten, obgleich er sich mit seinen massigen Gliedern selbst nur mit großer Anstrengung vorwärtsbewegte. Way-te-ta, der sonderbar schweigsam geworden war, wich kaum noch von seiner Seite.

Eben kam Richard Waltham, der eine Zeitlang neben dem weiter vorn marschierenden Leutnant de Brissac gegangen war, zu den Gefährten zurück. »Es sieht so aus, als würden wir bald Kanonendonner hören, Mr. Burns«, sagte er.

»Sind die Unseren in der Nähe?«

»Man vermutet es.«

»Oh, verdammt!« knurrte Bob, »wäre ich doch drüben auf englischer Seite. Nichts gegen die Frenchers hier, sie haben uns gut aufgenommen, aber es sind nun mal Franzosen, und wir gehören nach drüben. Habe offen gestanden, gar keine Lust, zuzusehen, wie sie unsere Leute abknallen, und noch weniger Lust, durch eine englische Kugel ins Gras zu beißen. Und so hoffe ich denn bloß, daß ich zur gegebenen Zeit Gelegenheit finde, mich in die Büsche zu schlagen.«

»Wir kommen im Falle einer Gefechtsberührung tatsächlich in eine recht üble Lage«, entgegnete Waltham ernst. »Es wird uns zunächst nichts weiter übrig bleiben, als uns zum Troß zurückzuziehen und dort die Schlachtentscheidung abzuwarten. Auf keinen Fall können wir gegen die Franzosen, die uns wie Gentlemen behandelten, feindlich auftreten. Das wäre in jeder Weise unfair, und ich könnte mich nie dazu entschließen.«

»Will keinem Franzosen ans Leder«, brummte Bob, »hab' manches zurückgesteckt, aber wohin der Mensch gehört, dahin will er nun einmal. Na, wir werden ja sehen.«

Während der Lord auf den schweigsamen und bedrückten Farmer einredete, den das Ungewisse Schicksal seiner Kinder zu sehr bedrückte, als daß er anderen Dingen zugänglich gewesen wäre, wandte der Bootsmann sich dem geistesschwachen Manne zu, der zu seinem Schatten geworden war. »Was wird nun eigentlich aus dir, Way-te-ta«, sagte er, »ich meine, wenn wir aus dem Schlamassel heraus sind und wieder hingehen können, wo wir wollen?«

»Way-te-ta bleibt bei Bob«, sagte grinsend der Irre.

»So, Way-te-ta bleibt bei Bob«, brummte der Bootsmann. »Ist ja ganz nett von dir, mein Junge; freu mich über deine Anhänglichkeit; weiß bloß noch nicht recht, wie du dir das vorstellst. Übrigens, du erzählst doch immer, du seiest ein Oneida-Krieger. Willst du denn nicht zu deinen Kopfhautabschneidern?«

Das Gesicht des Mannes zog sich in Falten; seine Augen wurden stumpf; er schien ernsthaft nachzudenken. Nach einem Weilchen schüttelte er den Kopf. »Oneida gut«, sagte er, »aber – –«; er fand wohl keine Begründung, sein Kopf ging unruhig hin und her. »Way-te-ta bei Bob bleiben«, schloß er in beinahe trotzigem Ton.

»Schön. Also dann bleibst du bei mir. Ein bißchen Verstand scheinst du ja noch behalten zu haben. Mindestens hat's ausgereicht, unsere Skalpe zu retten, und das ist verdammt allerhand. Sowas vergißt Bob Green nicht.«

»Bob«, kicherte Way-te-ta, »Bob, Bob, Bob? Hahahaha! Way-te-ta weiß! Weiß alles. Sehr klug!«

»Na, es geht an, glaube ich«, grinste der Bootsmann, »ganz so weit her scheint's mir mit der Klugheit nicht zu sein; immerhin –«

Ein sonderbares Lächeln erschien auf dem Gesicht des Irren; er tippte sich mehrmals mit dem Finger gegen die Schläfe. »Hieß früher anders, Way-te-ta«, raunte er, »lange her. Da drin irgendwo. Weiß nicht!« Und er tippte sich abermals gegen die Stirn.

»Sehr wahrscheinlich, was du da erzählst, mein Junge«, sagte Bob. »Irgendwann scheinen deine ehrenwerten Oneida, die der Satan holen möge, dich deinen christlichen Eltern entführt zu haben. Weiß der Henker, was sie mit dir angestellt haben, daß dir der Grips durcheinander geriet. Sollen hübsche Methoden haben, die Kanaillen, hab' ich mir sagen lassen. Hätt' nicht viel gefehlt, und ich hätt's selbst ausprobieren können. Das werd' ich dir nicht vergessen, Boy. Komm nur erst wieder mit mir unter Christenmenschen, dann wollen wir sehen, ob wir dein bißchen Verstand nicht wieder ins richtige Gleis kriegen. Schade, daß ich nicht Haus und Hof habe. Treib' mich auf dem Ontario herum und hab' auch keine Lust, mein Geschäft aufzugeben. Aber irgendwo werd' ich dich schon unterbringen. Laß das nur Bob Greens Sorge sein.«

»Bleibt bei Bob! Way-te-ta bleibt bei Bob!« grinste der Irre.

Während des Marsches hatte die Bodengestaltung fortgesetzt gewechselt; gegenwärtig erstreckten sich waldige Höhen vor den Marschierenden, rechts und links zeigten sich kleine Gehölze, von Wiesenflächen unterbrochen, auf denen allerlei kümmerliches Buschwerk wuchs. Plötzlich ließ sich vom Wald her der scharfe Knall zahlloser Büchsen hören. Alles horchte auf; das Gespräch in der Marschkolonne verstummte, überall wurden die Gewehre überprüft. Auf scharfe Kommandos hin wurde das Marschtempo beschleunigt.

»Das Gefecht hat begonnen«, sagte Richard Waltham. Die anderen atmeten schwer. Das Gewehrfeuer wurde stärker und kam langsam näher; offenbar waren die vorgeschobenen Indianer zurückgeworfen worden.

Jetzt bliesen die Hörner das Haltesignal. Kommandos klangen auf, und die Kompanien zogen sich in Schlachtordnung auseinander.

Auf einem Hügel hielt General Dieskau zu Pferde, umgeben von seinen Adjutanten und Ordonnanzen, mit dem Glas den Höhenzug musternd, von dem der Kampflärm herüberdrang. Die an der rechten Flanke vorgehenden Indianer – Huronen und Seneca – erhielten Befehl zum Vorgehen. Sie schienen auf diesen Befehl nur gewartet zu haben; ihr wildes, gellendes »Who-whoop!« tönte schauerlich durch die Wälder. Adjutanten sprengten nach vorn, um Befehle zu überbringen. Die regulären Truppen vollzogen eine Schwenkung und bezogen an einem Gehölz Stellung, das ihnen für den Notfall Deckung zu gewähren vermochte. Dieskau war sich offensichtlich noch nicht klar darüber, welcher Machtgruppierung er gegenüberstand, obgleich schon am Vortage indianische Läufer die Nachricht gebracht hatten, daß englische Linientruppen im Anrücken seien.

Dieskau hätte sehr gern die Vereinigung mit den von Norden heranziehenden Truppen abgewartet; den Engländern kam es offensichtlich darauf an, diese Vereinigung zu verhindern und die Korps einzeln zu schlagen.

Fiebernd vor Erregung und von einer inneren Unruhe gejagt, standen unsere Freunde am Rande des Gehölzes und lauschten dem unentwegt knatternden Gewehrfeuer. An dem Anschwellen der Salven merkten sie bald, daß die vorgegangenen Indianer Gefechtsberührung hatten. Der General sandte ihnen jetzt zweihundert Flankeurs hinterher, gab aber seine Stellung an dem Gehölz noch nicht auf.

Indessen schien das Gefecht vorn zum Stehen gekommen zu sein; eben kamen Adjutanten zurück, die Bericht erstatteten.

Plötzlich dröhnten einige dumpfe Kanonenschläge auf; gleich darauf erklangen von rechts her in kurzen Abständen starke Gewehrsalven. Und von dort her kommend, brachen jetzt auch flüchtende Indianerhaufen durch das Holz; man hörte das donnernde »Hurra!« der Engländer und den dumpfen Schlag ihrer Trommeln.

Dieskau ließ seine Geschütze nach rechts in Stellung bringen und zwei Kompanien ausgeschwärmt vorgehen. Die Indianer wurden von dem Schwung der regulären Truppen wieder mit nach vorn gerissen. Immer näher kam das Gewehrfeuer.

»Die Unseren dringen vor«, flüsterte Richard Waltham. Mit blassen Gesichtern, unschlüssig, was sie tun sollten, standen die anderen, nur Way-te-ta schien der kriegerische Lärm Spaß zu machen; er hüpfte herum und krähte vor Vergnügen wie ein Kind. Die Lage war für die unfreiwilligen Gäste der französischen Truppen um so beunruhigender, als sie keine Ahnung vom Stande der Schlacht hatten und weder die Stärke der Engländer noch die Gefechtspläne der Franzosen kannten. Klar schien nur, daß General Dieskau unerwartet angegriffen worden war und Verteidigungsstellung bezogen hatte.

Die nach rechts beorderten zwei Kompanien waren mittlerweile im Kampf begriffen; die Flüchtlinge hörten das gellende »Vive le roi!« der Franzosen und dazwischen das brausende »Hurra!« der Engländer, vermengt mit dem langgezogenen, grausenerregenden »Who-whoop!« der Indianer, zu sich herüberdringen. Die Dinge schienen auch hier für die Franzosen nicht günstig zu stehen, denn Dieskau sandte jetzt noch eine Kompanie hinterher, ließ sämtliche Reservetruppen in das Gehölz eintreten und befahl, an dessen Rand Verhaue anzulegen. Dem Befehl wurde in fieberhafter Eile Folge geleistet.

Von der Front her kam der Kanonendonner näher, und auch das Gewehrfeuer aus der Flanke verstärkte sich, ein Zeichen dafür, daß die Engländer von beiden Seiten her Raum gewannen. Jetzt brüllten zum ersten Male die französischen Geschütze, aber da wurden rechts auch schon die leuchtend roten Röcke der englischen Grenadiere sichtbar, die im Begriff waren, die französischen Kompanien mit dem Bajonett zurückzujagen.

Way-te-ta gröhlte und krähte; der Kanonendonner, die gellenden Rufe, der dumpfe Ton der Trommeln, die Signalhörner und die unentwegt peitschenden Gewehrsalven schienen ihn um den letzten Rest seines Verstandes gebracht zu haben. Während der Rückzug der französischen Linie auf beiden Seiten sich in regellose Flucht zu wandeln begann und das englische »Hurra!« deutlicher und deutlicher vernehmbar wurde, hatten Burns und seine Begleiter sich weiter zurückgezogen und unter ein paar breitästigen Bäumen auf dem Waldboden niedergelassen. Die Franzosen feuerten jetzt Salve um Salve aus ihrer gedeckten Stellung heraus auf die Angreifer; die Schlacht war an allen Fronten in ein erbittertes Stadium eingetreten. Als ein paar in der Nähe stehende französische Kanonen jetzt mit Donnergetöse ihre Ladung entließen, sprang der Irre auf, raste wie besessen umher und begann aus voller Kehle zu singen. Und zwar sang er sonderbarerweise ein altes englisches Weihnachtslied. Schauerlich gellte es durch das Waffengetöse:

»Holy Christmas
Merry time ...«

Er hatte die ersten Töne kaum über die Lippen gebracht, als Bob Green sich erhob, fassungslos auf den tanzenden und gröhlenden Mann starrte und mit jäh erblaßtem Gesicht stammelte: »Wie kommst du an das Lied, Mann? Wo, um alles in der Welt, hast du das Lied her?«

»Holy Christmas
Merry time«,

gröhlte der Irre. Bobs Augen wollten fast aus den Höhlen; seine Stirn hatte sich über den buschigen Brauen wie in angestrengtem Nachdenken zusammengezogen. Die anderen, die nichts von dem Vorgang begriffen, sahen mit verblüfften Gesichtern zu.

»Menschenskind, Ned? Bist du etwa Ned?« schrie der Bootsmann mit beinahe überschnappender Stimme.

Der tanzende Sänger hielt ein und sah den Bootsmann aus glasigen Augen an; seine Augen verkniffen sich. »Ned?« sagte er leise, »Ned?« Und plötzlich lief es wie ein Aufleuchten des Begreifens über sein verstörtes Gesicht, ein Funke brach in den Augen auf. »Ned!« rief er, »ja, jetzt weiß ich wieder: Ned! Bob und Ned! Bob und Ned! Eine Frau war da, die rief immer: Bob und Ned! Zu Bett, Bob und Ned! Und dann saß sie am Bett und sang: ›Holy Christmas, Merry time ...‹«

Dem bärbeißigen Seemann standen mitten im Gewoge der in allernächster Nähe tosenden Schlacht plötzlich Tränen in den Augen. »Das ist doch nicht möglich, das ist doch fast nicht möglich«, stammelte er ein über das andere Mal. »Ned? Mein Bruder Ned – das ist schon so lange her. Aber ich weiß es nun, da ist gar kein Zweifel mehr möglich, hab' immer schon sowas gefühlt, nach einer Ähnlichkeit gesucht; weiß es nun: Mutters Gesicht, Mutters Gesicht war es, was ich sah. Ach du lieber Gott, Ned, was hat man mit dir denn gemacht?« Er hatte den unglücklichen Geistesverwirrten bei beiden Armen gepackt und starrte ihm ins Gesicht, als vermöchte er es immer noch nicht zu fassen. Die dröhnenden, donnernden, knatternden Geräusche der Schlacht störten ihn nicht mehr. »Ist es denn möglich?« stammelte er immer von neuem, »mein Bruder Ned! Und hat keinen Verstand mehr! Und läuft schon so lange neben mir her! Und ich hatt' immer so ein Gefühl – –«; er schüttelte den Mann, daß ihm die blonden Haare wirr um das Gesicht flatterten; »Ned«, keuchte er, »ist es denn wirklich wahr? Sieh mich doch an, bist du Ned?«

»Ned!« lachte der Irre; er wußte das jetzt wieder, aber deswegen war es in seinem Hirn nicht klarer geworden; auch er stammelte, seine Augen glänzten wie im Fieber, er versuchte dem bärtigen Seemann die Wangen zu streicheln. »Bob«, lallte er, »Bob und Ned! Mutter – gute Frau – Holy Christmas – Bob und Ned! Ned bleibt bei Bob! Immer bei Bob!«

Immer noch mehr verblüfft als erschüttert standen der alte Burns und der junge Lord neben den beiden Männern. Das Ganze schien so unglaublich, daß sie es hier, im Getümmel der Schlacht, noch nicht zu verarbeiten vermochten. »Das ist wahrhaftig das merkwürdigste Erlebnis, das ich je hatte«, flüsterte Richard Waltham. Dem alten Puritaner aber schien dieses seltsame Wiederfinden zweier seit langer Zeit getrennten Brüder wie ein gutes Omen; er glaubte darin Gottes Hand zu erkennen. O Gott, betete er heimlich, gib mir meine Kinder zurück! Du bist wunderbarer als alles, was Menschenhirn zu erdenken vermag!

Inzwischen war die Schlacht weitergegangen. Die Gefährten sahen jetzt flüchtende Franzosen an sich vorüberlaufen, um tiefer im Gehölz Deckung zu suchen; gleich darauf erschienen in Pulverdampf eingehüllt auch schon die scharlachfarbenen Röcke der englischen Infanterie. In weit auseinander gezogener Linie gingen die Grenadiere mit gefälltem Bajonett vor.

In dieser Situation vermochte Bob Green, der den wiedergefundenen Bruder zu Boden gerissen hatte, weil die Kugeln über ihnen durch die Zweige pfiffen, sich nicht länger zu halten. »Kommt!« brüllte er den anderen zu, »jetzt oder nie!« Und mit äußerster Lungenkraft, als müsse er einen Orkan an Bord seiner Sloop überbrüllen: »Hurra! Hurra! Hurra für Old-England! Hurra!« Hinter ihm suchten auch die anderen in dichtem Pulverdampf den Weg ins Freie. Nach vorn zu und im Gehölz selbst tobte wilder Kampf. Es war ein Wunder, daß keine der von beiden Seiten kommenden Kugeln sie traf. Sie traten keuchend aus dem Walde heraus und sahen sich einer ausgedehnten Linie englischer Grenadiere gegenüber, deren Bajonette im Sonnenlicht glänzten. Sie liefen auf die Linien zu, fortgesetzt »Hurra!« brüllend und wild mit den Armen gestikulierend.

Ein Offizier, den blanken Degen in der Faust, brüllte sie an: »Seid ihr wahnsinnig? Wer seid ihr? Wohin wollt ihr?«

»Engländer!« brüllten alle fast gleichzeitig zurück. »Waren Gefangene der Franzosen! Wurden dank eurer Tapferkeit befreit!«

»Hinter die Linie!« Der Offizier winkte mit dem Degen. »Zurück! Zurück! Hinter die Linie!«

Sie liefen geduckt zwischen den auseinandergezogenen Linien der zum Angriff gestaffelten Infanterie durch, hetzten und liefen mit keuchenden Lungen weiter bis zu einem anderen Gehölz, wo sie auf Miliz-Reservetruppen stießen.

Sie waren hier kaum angekommen und wollten sich bei dem befehligenden Offizier melden, als sich im Rücken der Miliz ein wildes Geheul erhob. »Who-whoop!« gellte es, »who-whoop! Who-whoop!« Scharen heulender, tobender Indianer kamen heran. Gleichzeitig hörte man hinter den englischen Linien Kanonengebrüll. Die Miliz hatte im Augenblick Stellung bezogen; ihre Salven fielen, genau abgezirkelt, wie Hammerschläge. Ebenso schnell wie sie gekommen, fluteten die roten Angreifer zurück. An ihrer Stelle aber tauchten jetzt, den Engländern gänzlich unerwartet, lange Reihen französischer Infanterie auf, die sich den Rotröcken mit gellendem »Vive le roi!« entgegenwarfen.

In dem Gehölz, in welchem die Gefangenen bis vor kurzem noch geweilt, hatte sich das blutige Spiel durch diesen überraschenden Angriff im Rücken der Front blitzschnell zu Gunsten der Franzosen gewendet; kämpfend und fechtend, unter furchtbaren Verlusten, zäh Schritt für Schritt verteidigend, gingen die Grenadiere zurück. Ins Freie getrieben, gerieten sie zwischen zwei Feuer. Es war kein Zweifel mehr: die aus dem Norden gemeldeten französischen Verbände waren zur Stelle und hatten sofort in den Kampf eingegriffen.

Unsere Freunde schlossen sich den Miliztruppen an, die sich, nachdem sie den indianischen Angriff abgewiesen hatten, in einem zweiten Treffen sammelten. In dem anderen Gehölz wütete furchtbar der Kampf. Dort fochten englische Grenadiere jetzt mit ›französischen‹ Indianern, das heißt mit unsichtbaren Feinden; sie fielen haufenweise unter den aus dem Hinterhalt, aus Büschen und Baumkronen abgefeuerten Kugeln.

Inmitten der in einzelnen Abteilungen gegliederten Milizen hielt zu Pferde ein junger Mann mit den Abzeichen eines Obersten der Kolonialmiliz. Burns und Waltham sahen ein klares, streng gemeißeltes Profil, ein Gesicht von fast klassischer Schönheit, das von zwei großen, strahlend blauen Augen belebt wurde. Der ganze Mann, mit seinem Pferd zu einer Statue verwachsen, bot das Bild eiserner, unerschütterlicher Ruhe. Er beobachtete das Hin- und Herwogen der Schlacht aufmerksam durch das Glas. Jetzt ließ er den Feldstecher sinken und sagte zu einem der neben ihm haltenden Adjutanten gewandt: »Genau, wie ich es vorausgesagt habe. Dieser verrückte Vorstoß der Regulären hat unsere ganze linke Flanke entblößt; das wird uns noch teuer zu stehen kommen. Reite zu den Pennsylvaniern, Putnam. Sie sollen sich bereithalten, die geworfenen Linientruppen aufzunehmen. Werden sie selbst angegriffen, sollen sie sich geordnet auf das Fort Necessity zurückziehen. Sollen aber keinesfalls die Fühlung mit mir verlieren. Wir werden hier gleich die ganze Meute, Franzosen und Rothäute, auf dem Nacken haben.«

»Zu Befehl, Colonel!« Der Adjutant sprengte davon.

Der Befehlshaber wandte sich einem anderen Adjutanten zu: »Sprengen Sie zurück, Gates, sagen Sie den Shawano, ich lasse bitten, die Burschen da drüben« – er wies mit der Hand – »in der Flanke zu fassen und den Rotröcken etwas Luft zu verschaffen.« Auch dieser Adjutant sprengte davon.

Bewundernd starrten Elias Burns und Richard Waltham auf den jugendlichen Milizkommandeur; dieser Mann sah aus, als vermöchte ihn der in der vorderen Schlachtlinie herrschende Wirrwarr nicht im geringsten zu beunruhigen. Auch seine Männer, durchweg büchsenbewaffnete Farmer, schienen von einer staunenswerten Kaltblütigkeit und Gelassenheit.

»Wer ist der Kommandeur?« wandte sich Richard Waltham an einen in der Nähe hockenden Farmer, der dabei war, seine Büchse auf eine Ladehemmung hin zu untersuchen.

»Oberst Washington aus Virginien, Sir«, antwortete der Mann.

Zur Rechten und Linken rückten die Feinde trotz tapferster Gegenwehr weiter vor. Schon kamen panikartig flüchtende Soldaten zurück. Der Oberst wandte sich an den neben ihm haltenden Hornisten: »Angriffssignal für das erste und zweite Bataillon!«

Das Signal erklang. Augenblicklich gingen an die sechshundert Büchsenschützen in aufgelöster Linie vor; zwei andere Bataillone rückten als Reserve an ihre Stelle.

»Nicht zu weit vor, Boys!« rief Washington mit weithin schallender Stimme. »Schafft den Rotröcken Luft. Achtet auf die Signale!«

»Ay, ay, Sir! Hurra, Oberst Washington!« brüllte es im Chor. Zweihundert Gewehre entluden sich in einer donnernden Salve.

In einiger Entfernung von dem Hügel, auf dem der Kommandeur mit seinem kleinen Stabe hielt, und nicht weit entfernt vom Standort unserer Freunde, standen auf einer kleinen Erhöhung unter einer Platane drei Personen und starrten in das wilde Getümmel. Es waren dies John und Mary Burns und Ni-kun-tha, der Miami, der mit funkelnden Augen den Gang der Schlacht verfolgte. Sie waren eben erst hier eingetroffen, und auch sie erblickten nun den berittenen Mann auf dem Hügel, dessen befehlsgewohnte Stimme über das Schlachtfeld schallte.

»Feuerauge!« sagte Ni-kun-tha zu John, »sehr großer Krieger! Wir jetzt hinabgehen zu Inglis.«

Sie eilten eben auf die in Reservestellung verharrenden Milizen zu, als von dem Hügel hinter ihnen eine stattliche Indianerschar herabgestürmt kam. Da Ni-kun-tha sie erblickte, rief er, indes eine Flamme aus seinem dunklen Auge brach: »Meine Krieger! Jetzt kämpfen! Du gehen zu Feuerauge, schützen Schwester.«

John eilte, die zitternde Mary im Arm, weiter, während der junge Häuptling stehenblieb und mit gellender Stimme den Schlachtruf der Miami erschallen ließ. Aus rund fünfzig Kehlen wurde er jubelnd erwidert; im Augenblick sah Ni-kun-tha sich von seinen Männern umringt. Hinter der kleinen Schar der Miami kamen rund hundertfünfzig Shawano heran. Ni-kun-tha ging auf deren Häuptling zu und stellte sich ihm zur Verfügung. Der Shawano, der seine Instruktionen hatte, erklärte kurz Art und Zweck der befohlenen Bewegung und ließ Ni-kun-tha mit seinen fünfzig Miami die Vorhut bilden. Abermals seinen Schlachtruf ausstoßend, sprang der Häuptling, von seinen Kriegern gefolgt, vorwärts, während rechts von ihnen englische Reguläre flüchteten. Gleich darauf verkündeten rollende Salven, daß Miami und Shawano sich im Kampf befanden.

John und Mary stolperten über Zweige und Wurzelgestrüpp. Sie strebten der Mitte der Milizformationen zu, als John plötzlich einen Ruf der Überraschung ausstieß: »Vater, Vater! Sieh doch, Mary, der Vater!«

Ein Aufschrei von der anderen Seite antwortete. Elias Burns, fassungslos, ungläubig und zunächst nichts begreifend, hatte sich bei Johns Aufschrei von den Freunden gelöst; jetzt sah er neben dem bitter vermißten und in bösen Stunden schon heimlich beklagten Sohn zugleich auch die Tochter stehen. Der alte Mann, da er sah, daß kein Spuk ihn narrte, brach erschüttert in die Knie; seine Schultern zuckten, und Tränen stürzten ihm aus den Augen. Gleich darauf fühlte er die Arme seiner Tochter um seinen Hals. Kampf, Schlacht und Tod waren vergessen. Bob Green mußte sich heftig schneuzen; es war, weiß Gott, ein bißchen viel auf einmal, was da heute zusammenkam. Er hatte das plötzliche Wiederfinden des seit langer Zeit vermißten und längst verlorengegebenen Bruders noch nicht verdaut, jetzt wurde er Zeuge eines anderen Wiedersehens. Er gebrauchte ein großes rotes Sacktuch mit Nachdruck und knurrte irgendetwas in den Bart, das niemand verstand. Der Pulverdampf habe ihm die Augen gerötet, er könne kaum noch sehen, schnaufte er gleich darauf.

Die sonderbare Gruppe mit dem hochgewachsenen blonden Mädchen inmitten des Schlachtgetümmels mochte auch Oberst Washington aufgefallen sein, der jetzt herangeritten kam. Richard Waltham stellte sich vor und erklärte in kurzen Worten die Situation. In den blauen Augen des jungen Milizoffiziers leuchtete es kurz auf. »Meinen Glückwunsch«, sagte er, »aber schaffen Sie Ihre Tochter etwas zurück, Mr. Burns, es könnte hier gleich etwas zu turbulent werden.«

»Selbstverständlich, Sir«, stammelte der noch immer nahezu fassungslose Vater und führte die an allen Gliedern zitternde Tochter aus der Kampflinie heraus.

Richard Waltham stellte sich dem Kommandeur zur Verfügung. Der maß ihn mit einem kurzen prüfenden Blick. »Gut, Sir«, antwortete er, »Sie können mir vielleicht als Adjutant dienen.«

Bob hatte einem verwundeten Milizionär die entfallene Büchse abgenommen und sich dessen Patronentasche umgehängt. Ich muß den armen Bengel los werden, dachte er, habe es satt, hier tatenlos herumzustehen. »Hör zu, Ned«, wandte er sich an den Bruder, »bist doch ein Krieger, nicht wahr, warst mal ein großer Oneida, na also, willst du nicht hingehen und den alten Mann und die junge Miß beschützen?«

Ned schien die Notwendigkeit solchen Schutzes einzusehen. »Ja, gehen«, antwortete er, »Bob auch?«

»Geh nur, ich komme gleich nach.«

»Gut. Way-te-ta, – nein – Ned großer Krieger! Geht junge Miß schützen!« Und er sprang hinter dem Farmer und seiner Tochter her, die den eigentlichen Kampfbereich schon verlassen hatten.

»So, John, mein Junge, jetzt können wir uns ein bißchen für Old England und die Kolonie betätigen«, wandte er sich dem jungen Burns zu, »hoffentlich nur gegen rote Spitzbuben, möcht' den Frenchers nicht gern was zuleide tun. Haben sich fair benommen, die Leute, alles was recht ist.«

Die beiden gesellten sich den Reservemilizen zu und meldeten sich bei einem der Unterführer. Dann teilte Bob dem jungen Mann schnell die näheren Umstände mit, die ihn und seine Gefährten hierhergeführt hatten, und auch John berichtete von seinen und Ni-kun-thas Erlebnissen.

Sie sprachen noch angeregt miteinander, als der auf den Tod verwundete Oberkommandierende der englischen Truppen, General Braddock, vorbeigetragen wurde. Washington kam herangesprengt und stieg vom Pferde. »Alles verloren, Oberst«, stöhnte der alte Offizier, »retten Sie, was noch zu retten ist!«

Washington drückte dem sterbenden Mann, dessen ungeschickte Führung die bedrohliche Situation verschuldet hatte, sein Bedauern aus und befahl, ihn weiter zurückzutragen. Dann stieg er wieder zu Pferde. Es war nicht mehr zu bezweifeln: Die Schlacht war verloren. Sämtliche regulären Truppen waren geschlagen, zum großen Teil waren sie in den Wäldern von Indianern niedergemacht worden.

Ein Linienoffizier kam herangesprengt: »Was tun, Oberst Washington?«

»Meine Meinung, Oberst Hove: Sie ziehen sämtliche Regulären aus dem Gefecht und treten den Rückzug nach der von mir angelegten Befestigung an. Ich decke Ihnen mit meinen Milizen den Rückzug.«

Es fiel dem Linienoffizier offensichtlich schwer, dem Rat zu folgen, aber er sah keine andere Möglichkeit und gab die entsprechenden Befehle.

Was noch an Rotröcken zu sammeln war, wurde aus dem Kampf gezogen, rückwärts geleitet und neu geordnet, während die Milizen von Virginien und Pennsylvanien unter Oberst Washington den Kampf aufnahmen, um den Rückzug nach den aufgeworfenen Verschanzungen zu decken. Die Franzosen drangen samt ihren indianischen Bundesgenossen vor; aber sie hatten es nun mit einem anderen Feinde zu tun: die Koloniemänner fochten ebenso wie die Roten in gedeckter Stellung und verstanden sich meisterhaft in der Taktik des allmählichen Rückzugsgefechtes. Jeder Schuß, den diese samt und sonders im Wald aufgewachsenen Männer abgaben, saß. Als die Franzosen Geschütze nach vorn brachten, schlichen sich einige verwegene virginische Schützen in guter Deckung vor und schossen die gesamte Bedienung zusammen.

Oberst Washington ritt im Kugelregen umher, als hätte er zehn Leben, von allen Seiten folgten ihm die bewundernden Blicke seiner Männer. Zwei Adjutanten wurden unmittelbar neben dem jugendlichen Colonel – er zählte erst fünfundzwanzig Jahre – getötet. Dreimal wurde ihm das Pferd unter dem Leibe zusammengeschossen, ihn selbst streifte kein Schuß, und nichts brachte diesen eisernen Mann, der an diesem Tage den Grundstein seiner künftigen Größe legte, aus der Ruhe.

Langsam wogte das Gefecht rückwärts. John und Bob kämpften wacker in den Reihen der Milizionäre. Sie erreichten die Höhe und zogen sich in den Wald zurück. Die Vorstöße der Franzosen ließen nach; solchen Gegnern gegenüber wollten sie sich wohl nicht in ein Waldgefecht verwickeln. Ungefährdet erreichten die Kolonietruppen die auf einer Ebene angelegten Verschanzungen, die ihnen und den wenigen noch vorhandenen regulären Soldaten zunächst einigen Schutz gewährten. Auch die zurückgerufenen Miami und Shawano trafen ein; sie erhielten den Befehl, außerhalb der Umwallung eine Vorpostenkette zu bilden.

John, Bob und Richard Waltham fanden den alten Burns und seine Tochter, und erhielten nun Gelegenheit, gegenseitig von ihren Erlebnissen in der jüngsten Zeit zu berichten.


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