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Heinrich von Kleist.

(Leipzig 1858.)

Wer unter den Hellenen nicht verstand, eine feste Stelle zu gewinnen in der gegebenen Ordnung des Staates und der Sitte, der ging zu Grunde, verachtet und vergessen. Der strenge Bürgergeist der Alten verdammte den Einzelwillen, der sich erdreistete etwas zu gelten neben dem Willen des Ganzen; ihr auf das Große gerichteter Sinn blickte gelassen hinweg über die geheimsten Schmerzen der ringenden Menschenseele; ihre Schamhaftigkeit scheute sich den Schleier zu heben, der diese Abgründe des Herzens verhüllt. Erst die moderne Welt zeigt ein liebevoll mitleidiges Verständnis für die Fülle des Elends, die in dem Worte liegt: ein verfehltes Leben! Und sie hat guten Grund zu solchem Mitleid. Sie läßt den einzelnen aufwachsen in fast schrankenloser Ungebundenheit: mag er nachher selber zusehen, wie dies junge trotzige Ich nach hartem Kampfe sich einfüge in die handelnde Gemeinschaft der Menschen. Nicht in den brausenden Jünglingsjahren, deren glückselige Torheit allein den philisterhaften Sittenprediger erschreckt – erst später, um die Mitte der zwanziger Jahre, wenn die Zeit des Schaffens anhebt, pflegen dem modernen Menschen die schwersten, die gefährlichsten Stunden zu kommen. Welcher Mann von halbwegs reicher Erfahrung hatte nicht an dieser Markscheide des Lebens einen geliebten Genossen seiner Jugend zu Grunde gehen sehen und schmerzvoll mit Heinrich von Kleist gerufen:

Die abgestorbne Eiche steht im Sturm
Doch die gesunde stürzt er schmetternd nieder,
Weil er in ihre Krone greifen kann.

Die fette Mittelmäßigkeit schwimmt behaglich obenauf, doch manche der Besten sinken unter, weil ihr reicher Geist sich nicht fügen will dem Gebote des Lebens: du sollst einen Teil deiner Gaben ruhen, verkümmern lassen – einem Gebote, dessen Härte der Gedankenlose gar nicht fühlt. Wie viele flattern dahin ihr Leben lang wie mit gelähmter Schwinge, weil ein Mißgriff, ein Körpergebrechen, ein alberner Zufall sie ausschließt von dem Wirkungskreise, in dem sie ihr Höchstes, ihr Eigenstes leisten konnten. Unter allen, die nicht wurden, was sie wollten, leidet niemand so furchtbar, wie der hochstrebende Geist, der sich durch sein ganzes Sein, durch eine unwiderstehliche innere Stimme in einen bestimmten Beruf – und nur in diesen – getrieben fühlt und schließlich doch entdeckt, daß seine Kraft nicht ausreicht. Solche Grausamkeit der Natur trifft am härtesten die reizbare Seele des Künstlers; denn er vermag weniger als irgend ein anderer Arbeiter die Mängel der Begabung durch die Kraft des Willens zu ersetzen, und die Kunst kennt keine Mittelstraße, sie kennt nur vollendete und verfehlte Werke. – In Vischers Ästhetik, einem der besten und bestbestohlenen Werke unserer Literatur, wird sehr richtig neben dem Genius, der sich selber die Regel ist, und dem Talente, das auf geebneter Bahn frisch und kräftig vorwärts schreitet, noch eine dritte Form der künstlerischen Anlage unterschieden: das partielle Genie – die Begabung jener tief unglücklichen Geister, welche dann und wann in seligen Augenblicken mit der Kraft des Genius das Klassische, das Ewige schaffen, um alsbald ermattet zurückzusinken und sich zu verzehren in heißer Sehnsucht nach dem Ideale. Solche Naturen gleichen einem herrlichen, großgedachten Gemälde, das irgendwo an auffälliger Stelle durch eine Lücke, eine widrige Verzeichnung verunstaltet wird, sie besitzen alles, was den unsterblichen Meister bildet, bis auf jenen kleinen Punkt über dem i, der den Buchstaben fertig macht. Die deutsche Dichtung, die nicht emporwuchs aus einer reifen Volksgesittung, sondern ihr voranging, zählt ebendeshalb solcher unfertiger, unglücklicher Genies nur allzu viele, und unter ihnen ragt Heinrich von Kleist als der Gewaltigste, der Wahrhaftigste hoch empor. »Die Hölle gab mir meine halben Talente, der Himmel schenkt dem Menschen ein ganzes oder gar keines« – so bezeichnet er den Fluch seines Lebens, und nur er selber darf also reden, denn die Halbheit, die Armut seiner Gaben genügt vollauf, um eine Handvoll tüchtiger Künstler mit überschwenglichem Reichtum zu segnen.

Wir Deutschen rühmen uns, daß von den Helden unseres Geistes nicht so unbedingt wie von den meisten Dichtern anderer Völker gesagt werden darf: des Künstlers Leben sind seine Werke. Es ist ein echt deutscher Spruch, den Schiller einmal hinwirft: »Den Schriftsteller überhüpfe die Nachwelt, der nicht größer war als seine Werke.« Selbst vor Goethes Faust überkommt uns die stolze Ahnung, daß der Dichter noch immer eine Fülle überschüssiger Kraft zurückbehalten hat in seiner reichen Seele. Darum lassen wir uns die Freude nicht nehmen, den größeren Mann zu suchen hinter den großen Werken, und auch wer die Vorliebe der Gegenwart für die Briefe und Papierschnitzel unserer Dichter nicht teilt, darf das berechtigte Gefühl nicht verkennen, das diesem Übermaß zu Grunde liegt. Die düstere Gestalt Heinrich Kleists verbietet uns solchen Genuß. Wahrend seine Werke oft den Tadel, immer das Lob entwaffnen, einige darunter bis zu den Höhen menschlichen Schaffens hinaufreichen, ist sein Leben doch nur eine entsetzliche Krankheitsgeschichte. Zweifel und Kämpfe, wie sie niemals grausamer ein Menschenherz gepeinigt, Siechtum des Leibes und der Seele, der ungerechte Kaltsinn der Zeitgenossen, der Zusammenbruch des Vaterlandes und die gemeine Not um das liebe Brot – das alles vereinigt sich zu einem erschütternden Bilde; dem Betrachter bleibt zuletzt nur ein Gefühl grenzenlosen Mitleids und der wehmütige Hinblick auf die von dem Unglücklichen so oft angerufene »Gebrechlichkeit der Welt«. – Die Biographie steht darum dem reinen Kunstwerke so nahe, weil in dem Dasein jedes bedeutenden und gesunden Mannes die Geschichte seiner Zeit wie in einem Mikrokosmos erscheint. Kleists Leben aber, wie mächtig auch die Stürme des Jahrhunderts diesen tiefen Geist erschütterten, ist die Geschichte höchstpersönlicher Leiden, ein psychologisches Problem.

Wir kennen nicht die Züge seines Gesichts; denn das einzige erhaltene Porträt – ein greisenhafter Knabenkopf, den ein Gottverlassener, dicht auf der Grenze zwischen dem Maler und dem Weißbinder stehend, zusammengepinselt hat – erweckt keinen Glauben. Von den geheimen Kämpfen seiner Seele hat er selbst ein treues Bild gegeben in den Briefen an seine Schwester, die mit ihrer dämonischen Leidenschaft, ihrem verzehrenden Schmerze in unserer Literatur einzig dastehen; wohl nur Mirabeaus Jugendbriefe schildern mit gleich schreckhafter Wahrheit den Aufruhr in einem großen Menschengeiste. Aber selbst wer diese rückhaltlosen Geständnisse kennt, steht zuletzt doch traurig vor einem Unbegreiflichen, vor einer krankhaften Naturanlage, die dem Dichter selbst ein Rätsel blieb. In allen seinen Irrgängen begegnet uns kein Zug, der nicht ehrlich, hochherzig, bedeutend wäre. Er ringt nach der Erkenntnis des Wahren und des Schönen, nach den Kränzen höchsten Dichterruhms; an den platten Freuden des Lebens geht er vorüber mit einer stolzen Verachtung, die unserem genußsüchtigen Zeitalter fast unfaßbar erscheint, kaum daß dann und wann die Sehnsucht, nicht nach dem Behagen, sondern nach dem Frieden des Hauses sich in seine Klagen mischt. Für ihn wie für wenige Menschen gilt das Wort: ihn ganz verstehen heißt ihm ganz verzeihen.

Geboren am 10. Oktober 1776 zu Frankfurt an der Oder, tritt der feurige junge Mensch nach dem Brauche seines Soldatenhauses frühzeitig in die Armee. Während er teilnimmt an den rheinischen Feldzügen, erschüttern die Ideen des philosophischen Jahrhunderts sein Herz. Er sehnt sich hinaus in die Freiheit, in das unendliche Reich des Wissens, er will »die Zeit, die wir hier so unmoralisch töten, durch menschenfreundliche Taten bezahlen«. In seinem zweiundzwanzigsten Jahre fordert er seinen Abschied und kehrt als überreifer Student in seine Vaterstadt zurück. Er wird der Lehrer, der geistige Mittelpunkt für einen heiteren Kreis junger Verwandten, er verschlingt die Bücher in rastloser Arbeit und meint mit seinem Forschen bis in den Kern der Nuß einzudringen. Aber schon nach Jahresfrist treibt ihn eine verzehrende innere Unruhe hinweg von den Studien, von seiner kaum gefundenen Braut. In Berlin sodann trifft ihn wie ein Wetterstrahl die Lehre Kants, daß der Mensch nicht die Dinge kennt, nur seine Anschauung von den Dingen. In maßlosem Schmerz bricht der junge Himmelsstürmer zusammen vor dieser Erkenntnis. Die Verzweiflung an aller Wahrheit, an allen Gesetzen des sittlichen Lebens klagt fortan schauerlich in seinen Briefen: »Daß wir ein Leben bedürften, um zu lernen, wie wir leben müßten! – Und so mögen wir am Ende thun was wir wollen, wir thun recht!« Und dazwischen immer von neuem die glühende Sehnsucht nach dem Ewigen: »Zwischen je zwei Lindenblättern, wenn wir Abends aus dem Rücken liegen, eine Aussicht an Ahndungen reicher als Gedanken fassen und Worte sagen können!«

Schon in früher Jugend quält ihn die überfeine Zartheit des Gewissens, welche wir so gern als ein Zeichen innerer Reinheit begrüßen möchten, während sie doch in den meisten Fällen nur der Vorbote ist eines verdüsterten, selbstquälerischen Alters. Mit unbarmherzigem Auge verfolgt er selbst jeden seiner Schritte, wie ein Geisteskranker belauscht er sich; selbst über seine tollsten Streiche, seine finstersten Seelenkämpfe gibt er sich und andern Rechenschaft – das alles ganz unbefangen, ganz wahrhaftig, ganz frei von jedem Streben sich interessant zu machen. Darüber gehen ihm natürlich viele jener Augenblicke verloren, wo der Mensch, ganz mit sich einig, ohne Wahl und Frage sein Bestes schafft. Das Doppelleben, das so viele Künstler führen, wird ihm zur verzehrenden Krankheit. Nicht genug, daß seine Stimmung in jähen Sprüngen von kindlich harmloser Fröhlichkeit zu finsterem Unmut, von rasch aufloderndem Stolze in kleinmütige Verzagtheit umschlägt, daß seine Unbeständigkeit ihm den bitteren Ausruf entringt, Gleichmut sei die Tugend nur des Athleten; nicht genug, daß seine schneidende Verstandesschärfe ungesellig steht neben einer glühenden Einbildungskraft und einem weichen Gemüte: auch seine Phantasie bringt ihm keinen Trost. Der so viele mit dem reichen Spiele seiner Erfindung entzückt, ihm bleibt selbst das harmloseste Vorrecht des Künstlers versagt. Nicht einmal Luftschlösser kann er bauen, nicht einmal im Geiste sich zu seinen Lieben versetzen; es ist, als sei seine Phantasie für das tägliche Leben nicht vorhanden. Er haßt die Menschen; denn sein Herz und Nieren prüfender Scharfblick zeigt ihm ihre Kleinheit, und sein düsterer Sinn vermag nicht, mit überlegenem, freundlichem Lächeln das Recht solcher Kleinheit zu würdigen. »Vielleicht« – so schreibt er einmal seiner Braut – »hat die Natur dir jene Klarheit zu deinem Glück versagt, jene traurige Klarheit, die mir zu jeder Miene den Gedanken, zu jedem Worte den Sinn, zu jeder Handlung den Grund nennt.« Fremd, beklommen steht er in den höheren Kreisen der Gesellschaft, wo das Verbergen jedes starken Gefühls für gute Sitte gilt; und doch kann er des Beifalls der Mißachteten nicht entbehren. Die Welt beginnt die Achsel zu zucken über sein zielloses Träumen, er fühlt die spöttischen Blicke seiner Umgebung auf seinen Wangen brennen. Der Drang nach Taten erwacht und lastet auf ihm »wie eine Ehrenschuld, die Jeden, der Ehrgefühl hat, unablässig mahnt«; er will schaffen, rastlos, unermüdlich: »der Mensch soll mit der Mühe Pflugschaar sich des Schicksals harten Boden öffnen.« Auch seine Freunde, seine Braut, seine geliebte Schwester Ulrike drängen und fragen ihn, was er denn werden, was er leisten wolle. O ihr Erinnyen mit eurer Liebe! ruft er außer sich.

Wer hätte nicht einmal in schweren Stunden erfahren, wie qualvoll solche zudringliche Einmischung der Welt uns bedrückt, wenn eine ernste Entscheidung vor unsere Seele tritt? Und eben jetzt, da jedermann ihm von seinen wissenschaftlichen Plänen spricht, ist Heinrich Kleist schon verekelt an aller Wissenschaft, er ahnt, daß Gelehrte und Künstler Antipoden sind und – daß er selber ein Richter sei. Auch dies müssen wir schweigend hinnehmen als ein psychologisches Rätsel, daß in einem solchen Dichtergeiste die Ahnung seines Berufes so unbegreiflich spät erwachte. Kein Liebeslied, kein rhetorischer Dithyrambus hat ihm, wie anderen glücklicheren Künstlern, die holde Schwärmerzeit des Lebens verschönt; die Erstlinge seiner Muse sind – seine schmerzbewegten Briefe an Ulrike. Wir fühlen nach, wie das Ohr des Künstlers sich erfreut an diesen verhaltenen Gedichten, an dem vollen Klange dieser leidenschaftlichen Klagen. Zuweilen tritt schon die Sehnsucht nach dem Schönen klarer hervor; er schildert die Reize der Natur in prächtigen Farben, er ruft: »wir sollten täglich wenigstens ein gutes Gedicht lesen, ein schönes Gemälde sehen, ein sanftes Lied hören oder ein herzliches Wort mit einem Freunde wechseln.« – Dann stürmt er hinaus in die Ferne; jahrelang, auf unsteten Wanderfahrten durch Deutschland, Frankreich und die Schweiz jagt er dem Traumbilde des Dichterruhmes nach, das flammend vor seiner Seele steht. Er will der größte der Kleiste werden – denn ein naiver Familienstolz liegt in seinem Geiste dicht neben der Schwärmerei für die Gleichheit der Menschen. Das Sprichwort der märkischen Vettern »jeder Kleist ein Dichter« soll sich glorreich erfüllen, der Lorbeer des alten Ewald Kleist soll verwelken neben dem seinen. Er berauscht sich an Goethes Werken, Schillers ideales Pathos ergreift diesen durch und durch realistischen Kopf nur wenig. Zugleich sagt ihm eine geheimnisvolle Ahnung, daß in ihm selber eine Gewalt dramatischer Leidenschaft schlummere, die Goethes harmonischer Genius so nicht kannte: ich will ihm den Kranz von der Stirne reißen, ruft er frevelnd. Was hat er nicht ausgestanden bei dem wohlweisen Lächeln der Philister um ihn her, die ihm seine »Versche« nicht verzeihen können; wie soll das armselige Volk erstaunen, wenn er einst heimkehrt als der erste der deutschen Dichter!

Und schon ist der Plan gefunden, der alle Wunder von Weimar mit einem Schlage überbieten soll: das Drama Robert Guiscard. Auf diesen einen Wurf setzt er sein alles: gelingt ihm dies Gedicht, »das der Welt Deine Liebe zu mir erklären soll«, – dann will er sterben, so schreibt er der Schwester. In dem geheimnisvollen Ringen um dieses Werk verzehrt sich die edelste Kraft seiner Jugend. Bald schwelgt er in »der Erfindung, diesem Spiele der Seligen«, bald umflattern die werdenden Gestalten des Gedichts sein Haupt wie ein verfolgendes Dämonengeschlecht, also daß er mitten in froher Gesellschaft mit halblauter Stimme zu dichten beginnt. Wieder und wieder vernichtet er das Werk, das seinen glühenden Wünschen nie genügt. Dann klagt er das Schicksal an, warum es nicht die Hälfte seiner Gaben zurückgehalten habe, um ihm dafür Selbstvertrauen und Genügsamkeit zu schenken; dann überfällt ihn die Reue um die verlorenen Stunden, die ungenossenen wie die ungenützten, und eine tiefe Verachtung des Lebens: »wer es mit Sorgfalt liebt, moralisch tot ist er schon, denn seine höchste Lebenskraft, es opfern zu können, modert, indem er es pflegt.« Und bald strahlt er wieder von kecker Siegeszuversicht und ruft gleich seinem Prinzen von Homburg: o Cäsar Divus, die Leiter setz' ich an deinen Stern! Sein äußeres Leben in diesen angstvollen Tagen schildert er selbst in der Klage: »an mir ist nichts beständig als die Unbeständigkeit.« Er wandert und wandert, schließt Bekanntschaften mit bedeutenden Männern, um sie ebenso schnell zu lösen, entwirft neue Lebenspläne, um sie sogleich fallen zu lassen. Er will als ein Landmann in der Schweiz sich eine stille Hütte bauen und bricht mit seiner Braut, weil sie ihm nicht folgen will; er versucht einmal, inmitten der Pracht der Alpen, auf einer Insel in der Aar, mit einem anmutigen Schweizermädchen ein beschauliches Künstlerleben zu führen – und das alles zieht an ihm vorüber wie ein Traum, leer und nichtig neben dem einen, was ihm wirklich ist – neben dem Dichterschmerz um sein Drama. Da endlich erfolgt die Enttäuschung, deren schneidenden Jammer nur die eigenen Worte des Unglücklichen schildern können. Am 5. Oktober 1803 schreibt er der Schwester:

»Der Himmel weiß, meine theuerste Ulrike (und ich will umkommen, wenn es nicht wörtlich wahr ist), wie gern ich einen Blutstropfen aus meinem Herzen für jeden Buchstaben eines Briefes gäbe der so anfangen könnte: »mein Gedicht ist fertig.« Aber Du weißt, wer nach dem Sprichwort mehr thut, als er kann. Ich habe nun ein Halbtausend hinter einander folgender Tage, die Nächte der meisten mit eingerechnet, an den Versuch gesetzt, zu so vielen Kränzen noch einen auf unsere Familie herabzuringen: jetzt ruft mir unsere heilige Schutzgöttin zu, daß es genug sei. Sie küßt mir gerührt den Schweiß von der Stirne und tröstet mich, »wenn jeder ihrer lieben Söhne nur eben so viel thäte, so würde unserem Namen ein Platz in den Sternen nicht fehlen.« Und so sei es denn genug. Das Schicksal, das den Völkern jeden Zuschuß zu ihrer Bildung zumißt, will, denke ich, die Kunst in diesem nördlichen Himmelsstrich noch nicht reifen lassen. Thöricht wäre es wenigstens, wenn ich meine Kräfte länger an ein Werk setzen wollte, das, wie ich mich endlich überzeugen muß, für mich zu schwer ist. Ich trete vor Einem zurück, der noch nicht da ist, und beuge mich ein Jahrtausend im Voraus vor seinem Geiste. Denn in der Reihe der menschlichen Erfindungen ist diejenige, die ich gedacht habe, unfehlbar ein Glied, und es wächst irgendwo ein Stein schon für den, der sie einst ausspricht. Und so soll ich denn niemals zu Euch, meine theuersten Menschen, zurückkehren? O niemals! Rede mir nicht zu. Wenn Du es thust, so kennst Du das gefährliche Ding nicht, das man Ehrgeiz nennt. Ich kann jetzt darüber lachen, wenn ich mir einen Prätendenten mit Ansprüchen unter einem Haufen von Menschen denke, die sein Geburtsrecht zur Krone nicht anerkennen; aber die Folgen für ein empfindliches Gemüth, sie sind, ich schwöre es Dir, nicht zu berechnen. Mich entsetzt die Vorstellung. Ist es aber nicht unwürdig, wenn sich das Schicksal herabläßt, ein so hilfloses Ding, wie der Mensch ist, bei der Nase herumzuführen? Und sollte man es nicht fast so nennen, wenn es uns gleichsam Kuxe auf Goldminen giebt, die, wenn wir nachgraben, überall kein ächtes Metall enthalten?« –

Gleich darauf eilt er nach Frankreich, um unter Bonapartes Fahnen in England zu landen und – dort »den schönen Tod der Schlachten zu sterben. Unser aller Verderben lauert über den Meeren. Ich frohlocke bei der Aussicht auf das unendlich prächtige Grab.« Eine schwere Krankheit rettet ihn aus diesem Anfalle des Wahnsinns; doch die Narben aus jenen Kämpfen bleiben unvertilgbar seinem Geiste aufgeprägt. Von neuem beginnen die unsteten Wanderfahrten; über lange Abschnitte seines Lebens sind wir noch heute ohne sichere Kenntnis. In diesem reichen Geiste arbeiten dämonische Kräfte, die über die Enden des Menschlichen hinausgreifen, er schwankt zwischen seinem Urbild und seinem Zerrbild, zwischen dem Gott und dem Tier. Sein poetischer Genius bricht sich endlich seine Bahn durch alle diese Leiden, entfaltet sich stolz und sicher, stetig anwachsend. Dann bringt das Unglück des Vaterlandes seinem verwüsteten Leben wieder einen neuen reichen Inhalt: mit der inbrünstigen Liebe eines großen Herzens klammert der Dichter sich fest an sein versinkendes Volk, und während er die herrlichen Werke schreibt, die ihn an die Spitze unsrer politischen Sänger stellen, trägt der Unbegreifliche jenen finstern Lebensüberdruß mit sich umher, der ihn schließlich zum Selbstmord treibt.

Es hieße an jeder Freiheit des Willens verzweifeln, wollte man in einem so unseligen Leben keine Schuld finden. Aber wer ist so vermessen, nach den dürftigen Nachrichten das Maß seiner Verschuldung und das Maß seines Unglücks abzuwägen? Nur einige widrige Umstände, an denen Kleists Wille wenig ändern konnte, seien erwähnt. Durch seinen frühzeitigen Eintritt in den Soldatenstand ward sein Entwicklungsgang unterbrochen, seine ganze spätere Bildung autodidaktisch und verwirrt. Und wie unentbehrlich war nicht eine strenge Geisteszucht gerade einem so erregbaren, so leicht und vielseitig auffassenden Kopfe! Ein geborener Edelmann war er hinabgestiegen zu einem Berufe, der jenen Tagen noch für bürgerlich galt, und vermochte doch den stetigen, folgerechten Fleiß des bürgerlichen Arbeiters sich niemals anzueignen. Noch tiefer und unheilvoller mußte auf ihn wirken, daß das Leben seinem Gemüte so wenig Freuden bot. Eine wahre, beglückende Liebe hat er nie genossen. Und wenn wir seine Richtung auf das Drama, sein für jene Zeit wunderbar lebendiges Interesse am politischen Leben bedenken, wenn wir uns fragen: welch ein Geist mußte es sein, der in dem Käthchen von Heilbronn, in der willenlos sich hingebenden Liebe sein weibliches Ideal finden konnte? – so erkennen wir, daß, bei aller Reizbarkeit, das männliche, ja das männische Wesen der hervorstechende Charakterzug seiner Natur war, so verstehen wir auch, wie schmerzlich dieser stolze Mann den Mangel teilnehmender Liebe empfinden mußte. Seine Braut hat ihn nie beglückt, das bezeugen seine Briefe. Diese Liebesbriefe eines Dichters, die uns mit einer Flut dürrer, doktrinärer Prosa überschütten, seien allen denen empfohlen, welche nicht begreifen können, aus wie seltsamen, widerstrebenden Stoffen der Mensch gemischt ist. Jeder Brief beginnt mit einigen zärtlichen Worten, deren abstrakte Metaphern starke Zweifel an der Tiefe der Empfindung erregen; darauf folgt eine regelrechte Schulstunde; er fordert seine Braut zu Denkübungen auf, er legt ihr Fragen vor, wie: was ist prächtig? was niederschlagend? Kurz, er liebt sie nicht, er will sie erst bilden, und auch eine reiche Phantasie kann eine solche Täuschung des Gefühls nicht mit poetischem Zauber verklären.

Ulrike Kleist hat mit rührender Hingebung ihr Vermögen, ihr Glück, ihr alles dem Bruder geopfert, doch sie war nur die Schwester, zudem mit ihrem männlichen exzentrischen Wesen dem Dichter allzu verwandt: »es läßt sich an ihrem Busen nicht ruhen.« Auch eine zweite Geliebte, die er zu Dresden in Körners Hause fand, verstand nicht in die Launen seines herrischen Geistes sich zu fügen, und er stieß sie von sich. Wer ein Ohr hat für die leisen Schwingungen des Gefühls, der errät auch aus den Werken mannhafter Dichter, ob ihr Herz verödet blieb oder ob sie einmal wahr und rein und glücklich liebten – ein feiner und tiefer Unterschied, der mehr in der Form als im Wesen der Empfindung sich kundgibt. Wenn es lichte Geister gibt, die in der Einsamkeit des schaffenden Genius erhaben sind über solcher Bedürftigkeit – Kleist zählte nicht zu ihnen. Ergreifend klingt seine Klage: »So viele junge blühende Gestalten, mit unempfundenem Zauber sollen sie an mir vorübergehn? O dieses Herz! Wenn es nur einmal noch erwärmen könnte!« Er schildert die Liebe selten unbefangen als die welterhaltende Macht, die in dem Stammeln des Kindes als die erste Regung der Menschlichkeit erscheint und den Trotz des Mannes zu der Natur zurückführt; er stellt sie gern dar als eine Krankheit des Leibes und der Seele und verirrt sich zuweilen in die Mysterien des geschlechtlichen Lebens, die der Kunst schlechthin verschlossen sind. Er schildert gern das Nackte, und seine lebensvolle Sinnlichkeit berührt oft die zarte Grenze, welche die schöne Wärme der Leidenschaft von der fliegenden Hitze des Gelüstes trennt.

Auch der Freunde besaß er wenige. Einige ausgezeichnete Männer unter seinen Kriegskameraden, wie Rühle und Pfuel, standen seinem Dichterschaffen allzu fern; und der Verkehr mit dem anmaßenden Phantasten Adam Müller verwirrte nur sein Urteil. Erscheint es nicht fast tragikomisch, daß der derbe, grundprosaische Zschokke und der jüngere Wieland, den die Nachwelt nur als einen warmherzigen Patrioten kennt, die einzigen Poeten waren, mit denen ihn eine gewisse Gemeinschaft künstlerischer Arbeit verband? Die Stunden der Andacht und Penthesilea! – Was frommte ihm der Beifall des alten Wieland, der schon mit einem Fuß im Grabe stand? Der eine, zu dem er emporblickte, Goethe, konnte das Grauen vor den krankhaften Zügen dieses leidenschaftlichen Talentes nicht verwinden; und die lauten Stürmer der romantischen Schule, die mit ihren formlosen Experimenten den Markt beherrschten, verziehen ihm seine Tugenden nicht, sie verachteten den prosaischen Sinn des Mannes, der den Mut besaß, festzuhalten an der strengen Kunstform des Dramas. Den christlichen Poeten des Tages war der ernste Bekenner Kantischer Sittlichkeit unheimlich: wenn Fouqué mit ihm zusammentraf, so sprachen sie selbander – über die Kriegskunst. Von solchen Stimmungen beherrscht erwies die Lesewelt den Werken Kleists eine unbelehrbare Mißgunst; kein einziger froher Erfolg verschönte sein Leben. Als er einst einer Freundin einige seiner Verse rezitierte und jene voll Bewunderung nach dem Verfasser fragte, da schlug er sich verzweifelnd an die Stirn: »Auch Sie kennen es nicht? O mein Gott, warum mache ich denn Gedichte?« Man mag einen jungen Poeten verachten, der die Kraft nicht findet, das unvermeidliche Schicksal eines Erstlingswerkes zu ertragen; doch hier erschüttert uns die gerechte Klage des verkannten Genius. Fester und fester spann er sich ein in sein einsiedlerisches Treiben: das Leid, sprach er stolz, drückt um so schwerer, wenn mehrere daran tragen. Der Fluch der Einsamkeit kam über ihn: sie nährte sein mißmutiges Grübeln, sie gewährte ihm nur zu viel Muße, die Dinge wieder und wieder zu bedenken, also daß jeder Entschluß, kaum gefaßt, ihm alsbald zum Ekel ward. Und wenn wir schaudern vor den frevelhaften Spielen der Phantasie, die in solchen Stunden sein Hirn betörten, so sollen wir doch auch unbarmherzig die Mitschuld seiner Zeit bekennen: dies Künstlervolk ließ den Sänger des Prinzen von Homburg verhungern, während Kotzebue und Zacharias Werner als große Dichter gefeiert wurden.

Es liegt am Tage, daß ein so qualvoll ringender Dichtergeist unwillkürlich Probleme von subjektiver Wahrheit wählen mußte. Kleist wußte wohl, warum er die Frage aufwarf, die ihm viele begabte Dramatiker nachgesprochen haben: ob es denn nicht möglich sei, die Frauen mindestens für einige Abende vom Theaterbesuche auszuschließen. Seine edelsten Werke sind Bekenntnisse, ganz verständlich nur dem reifen Manne, dem verwandte Kämpfe die Seele erschütterten. Wer sich aber hineingefunden hat in diese subjektive Welt, den umfängt sie auch wie ein Zauberkreis. Kleist besitzt eine dramatische Energie, welche dem gemütvollen gern in die Weite schweifenden deutschen Wesen fast unheimlich erscheint und von keinem anderen unserer Dichter erreicht wird. Ein hoher dramatischer Verstand wirft alles zur Seite, was aufhalten, was den Sinn des Hörers von dem Wesentlichen ablenken könnte. Unaufhaltsam, wie in den Effektstücken gedankenloser Bühnenpraktiker, flutet die Handlung dahin; und doch ist nichts bloß gedacht und gedichtet, alles erlebt und angeschaut. Mit wunderbarer Sicherheit weiß er jederzeit die Stimmung in uns zu erwecken, die sein Stoff verlangt; mit ein paar Worten versetzt er uns in jede fremde Welt. Vor der Wahrheit seiner Charaktere verstummt die Kritik: diese Menschen leben, und wenn der Sturm der Leidenschaft sie packt, dann verliert selbst der nüchterne Hörer die Besinnung. In Kleists reiferen Stücken sind auch die geringfügigen Nebenpersonen des Studiums der tüchtigsten Schauspieler würdig: der Knecht Gottschalk im Käthchen war eine der glänzendsten Rollen Ludwig Devrients. Freilich verführt ihn die Fertigkeit, sich selbst zu belauschen, auch in der Zeichnung seiner Charaktere oft zu virtuoser Kleinmalerei. Er wagt manchmal, jene flüchtigen Gedankenblitze darzustellen, die uns wider Willen durchzucken, die nur durch ihr augenblickliches Verschwinden erträglich werden und darum jeder Darstellung sich entziehen; dann haben wir den Eindruck, als redeten seine Menschen im Traume. In jenen Augenblicken der höchsten Wut, wo in der Wirklichkeit die Leidenschaft stumm bleibt oder nur zerrissene Reden ausstößt, verschmäht Kleist oft das schöne Vorrecht des Dichters, der mächtigen inneren Bewegung Worte zu leihen; solche Szenen machen bei ihm, weil er sich zu sehr an die Natur hält, nur den Eindruck des Richtigen, nicht der poetischen Wahrheit.

Die maßlose Leidenschaft, daran des Dichters Leben sich verblutete, dringt oftmals störend auch in seine Werke: er liebt das Schreiende, Gräßliche, verfolgt jedes Motiv gern bis zur äußersten Spitze, seine Helden jagen ihrer Sehnsucht nach so ungestüm, so unersättlich wie er selber dem Traumbilde seines Robert Guiscard. Als Kleist zu dichten begann, hatte er schon zu vieles, zu Ernstes erlebt, um zu meinen, es ließen sich die großen Widersprüche der Welt mit einer »schönen Stelle« lösen. Aber selbst diese echt künstlerische Tugend wird an ihm oft zum Fehler: er haßt nicht bloß die Phrasen, er flieht die Ideen. Als einen Mangel müssen wir es bezeichnen, daß die von Lessing verpönten langweiligen Aushilfen verlegener Dichter in seinen Dramen fast gänzlich fehlen. Das Trauerspiel hohen Stils verlangt solche Worte der Weisheit, nur daß sie natürlich aus Handlung und Charakter sich ergeben müssen; der Hörer atmet bei ihnen auf, er ahnt den hellen Dichtergeist hinter den Schrecken des tragischen Schicksals. Nicht Mangel an Genie erschwerte ihm, den idealen Gehalt seiner Fabeln an den Tag zu bringen, wohl aber Mangel an Ruhe: seine Stoffe lasteten auf ihm noch in ganz anderer Weise, als jedes unfertige Bild den Künstler bedrückt. Er besaß andauernder Begeisterung genug, um fast nur größere Werke zu schaffen, er arbeitete langsam und kehrte mit gewissenhaftem Fleiße immer wieder zu dem Geschaffenen zurück. Er schildert jede Einzelheit mit peinlicher Genauigkeit; und doch fühlen wir aus der Mehrzahl seiner Werke die innere Rastlosigkeit des Dichters heraus, seinen Drang, des Stoffes ledig zu werden. Man lese die »Episode aus dem letzten Feldzuge«, ein keckes Reiterstück, die einfachste Geschichte von der Welt. Wie ein Husar in einem von den Franzosen bedrohten Dorfe unbekümmert um die Bitten des Wirts behaglich ein paar Gläser trinkt, dann mit einem wilden Fluche davon sprengt und sich durch die Feinde durchhaut – das wird auf mehreren Seiten geschildert, keine Handbewegung des Reiters wird uns erlassen. Und trotzdem kommen wir dabei nicht einen Augenblick zur ruhigen Betrachtung, so atemlos ist die Erzählung.

Auf Kleists Schaffen paßt Wort für Wort die Klage, die Schiller einmal über die Aufgabe des Dramatikers schlechthin ausspricht: »Ich muß immer beim Objekte bleiben; jedes Nachdenken ist mir versagt, weil ich einer fremden Gewalt folge«. Und fragen wir, warum Heinrich Kleist mit aller Schöpferkraft seiner Phantasie doch hinter dem Genius Schillers weit zurückbleibt, so lautet die Antwort: Schiller ist ein Klassiker, er sucht Probleme, die für alle Zeiten wahr sind, und löst sie mit der Sicherheit eines Geistes, der in den Ideen lebt; und weiter: Schiller steht seinen Werken frei gegenüber – trotz jener Selbstanklage, die ihn nicht trifft. Kleist aber wird in der Tat oft unfrei, willenlos fortgerissen von der Gewalt seines Stoffes; ja wir fühlen nicht selten, wie eine glänzende Erscheinung vor ihm aufsteigt, wie sie Macht gewinnt über seinen Geist und ihn zwingt, sie zu gestalten, auch wenn die Harmonie seines Planes darunter leiden sollte. Einzelne traumhaft schöne Bilder kehren in seinen Gedichten immer wieder, fast wie fixe Ideen, die er nicht abschütteln kann.

Trotzdem ist Kleist ein denkender Künstler. Zwar kommt ihm niemals bei, in seinen Briefen über die Gesetze seines Künstlerschaffens zu sprechen, ja in einem Aufsatz voll köstlichen cynischen Humors verhöhnt er alle Kunsttheorien und meint, »daß es, nach Anleitung unserer würdigen alten Meister, mit einer gemeinen, aber übrigens rechtschaffenen Lust an dem Spiel, deine Einbildungen auf die Leinwand zu bringen, völlig abgemacht ist.« Doch in seinen Werken ist solcher Naturalismus nicht zu finden: gewissenhaft hat der Mann, dem die Schule der Bühne verschlossen blieb, nachgedacht über die Gesetze des Dramas; sorgfältig hält er die Kunstformen auseinander In seinen Dramen ist alles Handlung, in den Novellen alles Erzählung, also daß selbst der Dialog zumeist in indirekter Rede berichtet wird. Man vergleiche das lange Gedicht an die Königin Luise, das Graf York vor kurzem in den Grenzboten mitteilte, mit dem schönen prägnanten Sonette, das offenbar aus jenem Entwurf entstanden ist, und man wird ahnen, wieviel Gedankenarbeit in diesen wenigen Zeilen liegt. Auch in der Form seiner Gedichte bewährt sich der bewußte Künstler. Die ganze Tonleiter der Empfindung steht dem Sprachgewaltigen zu Gebote, doch am glücklichsten gelingt ihm der Ausdruck der stürmischen Leidenschaft; er kennt die Laute des edlen Heldenzorns, wie der tierischen Wildheit. Sein Stil ist höchst persönlich, von unverkennbarer Eigenart und eben darum echt deutsch: eine knappe, markige Sprache, auch in der Prosa allein aus dem deutschen Wortschatz geschöpft, reich an volkstümlichen anschaulichen Wendungen, und wenn es sein muß derb und grob, so wie er einst im Regimente gegen seine »Kerls« gewettert hatte. Der melodische Tonfall lyrischer Rede reizt ihn nicht; ihn kümmert's wenig, ob seine Jamben zuweilen hart, zerhackt, durch häßliche Flickwörter entstellt erscheinen; nur dramatisch, ausdrucksvoll, ein treuer Spiegel des Inhalts sollen sie sein, und sie sind es.

Mag ihn die Literaturgeschichte immerhin zu der romantischen Schule zählen – die stolze Ursprünglichkeit dieser Erscheinung wird durch einen Gattungsnamen mit nichten erschöpft. Jedes Gedicht Kleists entspricht der Mahnung, die er einst den nachahmenden Künstlern zurief: die Werke der alten Meister sollten »die rechte Lust in Euch erwecken, auf Eure eigene Weise gleichfalls zu sein«. Er hat die Märchenpracht der Romantik mit ahnungsvoller Zartheit besungen, ja der Kantianer sehnte sich auf Augenblicke nach dem Frieden, den nur die Formenschöne des katholischen Kultus gewähren könne; aber dicht neben diesen phantastischen Traumen liegt in seinem Geiste der strenge Realismus, die Freude an dem Schlichtnatürlichen, die Verstandesklarheit des protestantisch-norddeutschen Wesens. Der uns soeben die gaukelnden Gestalten einer Wunderwelt geschildert, führt uns im nächsten Augenblick in die Kämpfe des politischen Lebens, läßt uns in vollen Zügen die frische, scharfe Luft der Zeitgeschichte atmen. So steht der wunderliche Grübler vereinsamt wie ein Fremder in einer Zeit, deren Kämpfe und Leiden er doch tiefbewegt im Innern mitempfindet; und wir Nachlebenden wissen nicht zu sagen, ob wir ihn beklagen sollen als einen Spätling oder als einen zu früh Geborenen. Er erschien zu spät – denn dem geistigen Vermögen einer jeden Epoche ist ein festes Maß gesetzt, es war unmöglich, daß die deutsche Kunst noch bei Lebzeiten Goethes jenen neuen Stil hätte finden können, von dem Kleist träumte. Und wieder: er kam zu früh, denn erst der Bürgersinn, der realistische Zug der Gegenwart beginnt den Kern dieses Dichtergeistes zu verstehen, erst den Dramatikern unserer Tage sind seine Werke ein Vorbild.

Nur der Torso des ersten Aufzuges läßt uns ahnen, welch ein Werk der »Robert Guiscard« zu werden bestimmt war; doch weder das Bruchstück selbst noch die Überlieferung der Normannengeschichte gibt uns einen klaren Begriff von dem Plane. Wir vermuten lediglich, wenn wir »das Volk« als Masse reden und klagen hören, daß dem Dichter eine Erneuerung des antiken Chors in ganz moderner, dramatischer Form, eine Verbindung des charakteristischen und des idealisierenden Stiles vorgeschwebt haben mag. Eine wunderbare, von Kleist selber nie wieder erreichte Pracht der Sprache hebt uns sofort auf die Höhen des Menschenlebens; hier ist sie wirklich, die gorgeous tragedy in sceptred pall , die Tragödie der Könige und Helden. Wir blicken in das wogende Gewimmel eines Völkerlagers, und wie der alte Löwe Robert Guiscard soeben majestätisch unter die klagenden Normannen tritt, da brechen die Szenen ab, die einzigen, welche Kleist nach der Vernichtung des Werks zu erneuern gewagt hat, und traurig legen wir die Blätter aus der Hand, an denen das Herzblut eines edlen Mannes haftet.

Noch während dieser Plan auf der Seele des Dichters lastete, versuchte er sich an einem bescheideneren Werke, dem Drama »die Familie Schroffenstein«. Neben seiner großen Tragödie erschien ihm das kleinere Gedicht bald armselig, wie »eine elende Scharteke«; fast gewaltsam mußten ihn die Freunde überreden, das Drama zu vollenden. Kein Wunder, daß die Kritik mit diesem Erstlingswerke nichts anzufangen wußte; der Dichter war, da er als Neuling auf den Markt trat, längst in der Stille durch eine harte Schule dramatischer Arbeit gegangen, längst hinaus über die rhetorische Überschwenglichkeit der Jugend.

Der Bau der ersten Akte ist mit der Sicherheit eines gereiften Verstandes entworfen; die Charaktere, voll gewaltiger, wortkarger Leidenschaft, sind gezeichnet mit jener unerbittlichen Wahrheit, welche die Frauen so leicht von Kleists Werken zurückschreckt; das Ganze ein Bild finsterer blutiger Kämpfe, ohne jede Spur einer höheren Idee. Wenn Hegel recht hatte mit seinem Satze, daß ein idealistischer Anfang in der Kunst immer bedenklich sei, so müßte man dies Erstlingswerk mit dem günstigsten Auge betrachten. Und doch liegt gerade in dem Mangel jedes idealen Momentes der Grund seines Fehlschlagens.

Kleist schildert den ererbten Haß zweier verwandter Häuser, deren Kinder sich lieben und endlich durch den Frevel der Väter untergehen. In Shakespeares Romeo und Julie wird der Haß der Familien vorausgesetzt, der Schwerpunkt liegt in der Schuld der Liebenden. Bei dem deutschen Dichter erscheint das Leiden der Liebenden nur als eine Episode, als das heitere Gegenbild der finsteren Fabel, freilich als ein Bild von rührender Innigkeit und bezaubernder sinnlicher Wärme. Der Kern seiner Aufgabe ist, zu entwickeln, wie die lang gehegte Erbitterung der beiden Geschlechter durch ein Nichts, einen leeren Verdacht zum finsteren Hasse gesteigert wird, wie der Wahnsinn des Argwohns die beiden Stammeshäupter – zwei grundverschiedene und doch in ihrem zähen, schweren Wesen nahe verwandte Naturen – übermächtig packt und sie fortreißt von Untat zu Untat. Und dies ist dem Künstler so vollständig gelungen, wirkliche und vermeinte Schuld, Schein und Wahrheit verschlingen sich so fest ineinander, daß der Hörer und schließlich auch der Dichter die Klarheit seines sittlichen Urteils verliert. Dem Dichter selbst wird »das Gefühl verwirrt« wie seinen Helden, er steht ratlos vor dieser jämmerlichen und doch so furchtbaren Kleinheit der Menschen, die in ihrem Grimm befangen nicht rechts noch links von ihrem Wahn hinwegzublicken weiß; er meint zuletzt, die durch den Aberwitz der Sterblichen verschuldete Verwicklung durch einen Aberwitz des Schicksals lösen zu dürfen. Durch einen grundhäßlichen Zufall erschlägt jeder der Väter, in der Meinung, das Kind des Feindes zu treffen, sein eigenes Kind. Vor den unschuldigen Opfern kommt endlich die Nichtigkeit des Argwohns, der all dies Unheil herbeigeführt, an den Tag, und die schuldigen Väter feiern eine weder glaubhafte noch erhebende Versöhnung. Mit sichtlicher Unlust hat der Dichter den Schluß zu diesem krankhaftesten seiner Dramen auf das Papier geworfen; es ist sein eigenes verstörtes Gemüt, das durch den Mund seines Helden verzweifelnd gen Himmel schreit:

Gott der Gerechtigkeit,
sprich deutlich mit dem Menschen, daß er's weiß,
auch was er soll! –

Als endlich sein Geist sich langsam erholte von dem Zusammenbruch seiner liebsten Träume, da begann er eine Neuschöpfung des Molièreschen Amphitryon. Eine Neuschöpfung, sage ich, denn bloß zu übersetzen war diesem trotzigen Dichter unmöglich; in ihm lag nichts von weiblicher Empfänglichkeit, und selbst die Aufgabe, das Werk Molières umzugestalten, hätte ihn schwerlich gereizt, wenn nicht die unharmonische Natur des Stoffes jedem neuen Bearbeiter einen weiten Spielraum eröffnete. Die berühmte Fabel, wie Zeus in der Gestalt Amphitryons dessen Weib Alkmene erkennt, bietet in der tollen Verwechslung der Personen, in der Figur des geprellten Ehemanns, diesem zweideutigen Liebling des Lustspiels aller Zeiten, überreichen Stoff zu komischen Szenen; aber, zu grausam für einen Scherz, zu lächerlich, um tiefere Empfindungen zu erregen, kann sie nie einen reinen Eindruck hervorbringen. Als ein Meister hat Molière verstanden, die bedenkliche Kehrseite der Handlung zu verdecken, mit herzerquickendem Selbstgefühl stellt er sich als ein moderner Mensch der antiken Welt gegenüber – so übermütig wie nur Shakespeare in Troilus und Cressida. Er verflacht absichtlich den nationalen Gehalt des Stoffes, er will nichts wissen von dem religiösen Schauer, den die Erscheinung des Göttervaters in der Brust des gläubigen Hellenen erweckte. Seine Götter sind ein lebenslustiges, übermütiges Völkchen, von den Menschen nur durch ihre Macht verschieden und sehr geneigt, diese Übermacht zu mißbrauchen. Er beginnt mit einem Prologe voll köstlicher Laune: Merkur fordert die Nacht auf, einige Stunden länger über Theben zu verweilen, damit Zeus seine Freude bis auf die Hefe genießen könne; sie weigert sich, denn man müsse »das Dekorum der Göttlichkeit« wahren, doch gibt sie nach, als er ihre Neigung für galante Abenteuer, wovon sie sich allerdings nicht freisprechen läßt, ihr vorhält. Mit diesen Späßen und dem possenhaften Wortspiele Bon jour, la Nuit – adieu, Mercure, das den Prolog schließt, gelangen wir sofort zu der leichtfertigen, lustigen Stimmung, die der Richter verlangt. Nun folgt ein buntes Durcheinander lächerlicher Szenen. Merkur in der Gestalt des Sklaven Sofias zankt sich mit dem wahren Sofias über sein Ich, zerprügelt ihn wiederholt mit göttlicher Urkraft; und zu diesen alten Witzen, wodurch schon der Amphitryon des Plautus und des Camoens ihre Hörer entzückten, tritt eine neue glückliche Erfindung hinzu: der eheliche Zwist im Hause des Fürsten wiederholt sich possenhaft im Hause des Sklaven. Die gewollte Oberflächlichkeit seiner Charakterzeichnung wird dem Dichter erleichtert durch den Genius seiner Sprache: die französische Leidenschaft tritt in viel zu rhetorischer Form auf, als daß sie uns tief ergreifen könnte. Mit leichtfertiger Grazie schlüpft er über die ernsten Auftritte dahin, so daß wir nie zum Nachdenken, nie aus dem Gelächter heraus kommen.

Der tiefe Gegensatz deutschen und französischen Kunstgefühles tritt uns vor die Augen, wenn wir nunmehr den deutschen Dichter in seiner Werkstatt belauschen, wie er das fremde Gebilde zu packen und auf den Kopf zu stellen wagt. In den rein komischen Szenen reicht Kleist, trotz der ersichtlichen Bemühung, sie mit lustigen Einfallen zu bereichern, an die schalkhafte Leichtigkeit seines Vorbildes nicht heran; dafür versucht er, die ernste Seite des Dramas zu vertiefen, zu bereichern durch die Macht und Glut deutscher Leidenschaft. Als Amphitryon seinem Weibe nicht glauben will, daß er selbst sie am vergangenen Abend besucht, da ruft sie ihm nicht, wie bei Moliere, seine transports de tendresse, seine soudains mouvements – und wie sonst die französischen Phrasen lauten – ins Gedächtnis: leibhaftig vielmehr tritt der Vorgang vor uns hin, wie Alkmene in der Dämmerung am Rocken saß, wie der vermeinte Gatte heimlich ins Zimmer schlich und sie auf den Nacken küßte – und so folgen wir Schritt für Schritt dem Entzücken jener seligen Nacht. Bezeichnend genug liegt bei dem romanischen Dichter der Schwerpunkt des Stücks in den Situationen, bei dem Deutschen in den Charakteren. Alkmene, bei Molière eine sehr gewöhnliche Erscheinung, ist bei Kleist ein herrliches Weib, »so urgemäß dem göttlichen Gedanken in Form und Maß, in Sait' und Klang«; sie bleibt rein in der Umarmung des fremden Mannes, denn »Alles was sich Dir nahet ist Amphitryon«. Kleist schildert nicht die noble Passion eines galanten großen Herrn, sondern den geheimnisvollen Zauber eines begeisterten Festes der Liebe. Er wagt noch mehr: der christliche Mythus von der unbefleckten Empfängnis der Maria schwebt ihm vor Augen, und er erkühnt sich, der alten Heidenfabel ihren religiösen Inhalt wiederzugeben. Sein Zeus ist der Gott, das irdische Haus muß sich geehrt, begnadigt fühlen durch den Besuch des Allmächtigen. Dergestalt haben zwar die ernsten Szenen unendlich gewonnen. Wie in den Gesprächen mit Alkmene das göttliche Wesen des Zeus durch die irdische Hülle hindurchbricht, wie er endlich mit dem Donnerkeil in der Hand aus dem Gewölke tritt und zu den in heiligem Schrecken zusammenbrechenden Sterblichen redet, das sind Auftritte voll Majestät. Aber das Wesentliche, die Einheit des Stücks, geht verloren. Diese erhabenen Bilder stehen in grellem Widerspruch zu dem possenhaften Treiben der beiden Sofias; es ist unmöglich, Mitleid zu empfinden mit dem tiefen Schmerze des Amphitryon, den wir soeben erst seinen Sklaven in höchst prosaischer Weise prügeln sahen; und mit aller Pracht der Sprache gelingt dem Dichter nicht, uns die Göttlichkeit eines Wesens glaubhaft zu machen, das so groß spricht, aber so grausam und zweideutig handelt wie dieser Zeus. Die zerrissenen, nichtssagenden Reden, womit das Volk zuletzt die Kunde von der seltsamen Gnade des Gottes aufnimmt, beweisen, daß Kleist selbst nicht daran glaubte. Recht behält die faunische Weisheit des Molièreschen Sofias: sur telles affaires toujours le meilleur est de ne rien dire

Wie anders der fast zur selben Zeit vollendete »zerbrochene Krug«, das einzige selbständige Lustspiel des Dichters – ein Werk aus einem Gusse, rund und fertig, harmonisch bis in die letzte Zeile. Kleist hatte sich einst in der Schweiz mit Zschokke und Ludwig Wieland an einem Kupferstiche ergötzt, der einen plumpen dicken Richter darstellte inmitten hitziger Parteien, die um die Scherben eines Kruges sich streiten. Die jungen Leute wählten dies zum Thema eines literarischen Wettkampfes, und als nun der Grübler sich in das Bild vertiefte, da kam ihm ein Einfall, so einfach, daß er unserem blasierten Publikum kaum auffallt, und doch so glücklich, so echt komisch, daß wir in der armen Geschichte des deutschen Lustspiels nur wenige seinesgleichen finden: der Richter selber hat den Krug zerbrochen bei einem unsauberen Liebesabenteuer und muß, indem er verhört, sich selbst entlarven. Mit virtuoser Kühnheit macht sich Kleist die Arbeit so schwer als möglich; er hält sich genau an das Bild: das ganze Lustspiel stellt, bis auf eine einleitende Szene, nur die eine auf dem Kupferstiche wiedergegebene Situation dar, und zum Überfluß spielt die Handlung in Holland unter breitspurigen Menschen, die mit umständlichem Phlegma jedes Nichts erörtern. Der entscheidende Hergang rollt sich nicht vor unseren Augen ab, er wird nachträglich enthüllt; die Entwicklung des Dramas ist analytisch, sie erinnert an die Komposition vieler antiker Tragödien. Doch der Dichter hat wirklich die Not zur Tugend gemacht, er weiß den Gang des Verhöres so gewandt zu entwickeln, daß wir auf das Geschehene nicht minder gespannt sind wie in anderen Lustspielen auf das Künftige. Und welch ein psychologisches Meisterstück – dieser Richter Adam, wie er sich festlügt mit frecher Stirn, wie er dann aufgescheucht wird aus allen Schlupfwinkeln seiner dummdreisten Schlauheit, wie er sich nach und nach entpuppt als ein Ungetüm von feiger Unverschämtheit, ein holländischer Falstaff. – Wieviel Kraft des Willens lag doch in Kleists Seele, wenn er seinen düsteren Sinn zwingen konnte zu der ausdauernden Heiterkeit der Komödie! Nur an einzelnen Stellen verrät der gepreßte künstliche Ton des Scherzes, daß der Dichter diese derblustigen Gestalten schuf, um sein selbst zu vergessen.

Durchaus nicht auf der Höhe seiner Dramen stehen Kleists Erzählungen. Nicht als ob ihm das erzählende Talent gefehlt hätte: seine Virtuosität in der Detailmalerei konnte sich hier vielmehr am freiesten tummeln. Aber die lose Kunstform legt seinem stürmischen Geiste die Zügel nicht an, deren er bedarf; alle krankhaften Neigungen seines Wesens, welche die ideale Strenge des Dramas mäßigte, lassen sich hier haltlos gehen. Es scheint nicht überflüssig, dies hervorzuheben: unsere besten Dichtertalente sind heute auf dem Felde der Erzählung tätig; dabei laufen wir Gefahr, den natürlichen Wert der Kunstgattungen zu vergessen. Nimmermehr hätte Kleist in dramatischer Form so ganz Verfehltes geschaffen, wie die häßlichen Schauergeschichten, »der Findling« und »das Bettelweib von Locarno«, oder gar die weinerliche Legende von der heiligen Cäcilie. Nur die Manier der Erzählung, nicht das Talent verrät, daß diese verunglückten Versuche aus derselben Feder flössen, welche das »Erdbeben in Chili« und »die Verlobung in St. Domingo« schrieb. Das fürwahr sind echte Novellen im Stile der alten Italiener: das neue unerhörte Ereignis, das launische Spiel des Schicksals, nicht der Kampf in der Seele des Menschen, gilt dem Dichter als das Wesentliche. In leidenschaftlicher Hast stürmt die Erzählung vorwärts, wunderbar glücklich stimmt die schwüle Luft der indischen Welt zu dem rasenden Wechsel der Geschicke; dem Leser wird zu Mute, als ob ihm selber die Glut der Tropensonne sinnbetörend auf den Scheitel brenne. Am meisten gerundet in der Form ist die Novelle »die Marquise von O.« Aber alle Kunst des Dichters bringt uns nicht dahin, daß wir den schändlichen und – was schlimmer ist – grundhäßlichen Ausgangspunkt der Erzählung verwinden, daß wir dem Helden einen Frevel an einem bewußtlosen Weibe vergeben. Immerhin bleibt erstaunlich, wie der natürliche Adel des Talents selbst beim Ringen mit einem widerlichen Stoffe sich nicht verleugnet. Kleists Freund Zschokke mißbrauchte dasselbe Motiv zu einer Novelle voll fauler Späße; unser Dichter schreitet über das Gemeine rasch hinweg, um sich in eine seine und ernste Seelenschilderung zu vertiefen.

Noch stärker überwiegt das psychologische Interesse in der großen Erzählung »Michael Kohlhaas«. Nur der Deutsche empfindet ganz die tragische Macht dieser einfachen Geschichte: wie ein schlichter Mann, in seinem Rechte gekränkt, vergeblich den Schutz des Gesetzes anruft und dann, verzweifelnd an der Ordnung der Welt, in unbändiger Rachgier Frevel auf Frevel häuft, bis endlich der überfeine Rechtssinn des Rechtsbrechers an der Kleinheit seines Gegenstandes sich selbst die Spitze abstößt. Wir meinen den Schleier fallen zu sehen von einem Herzensgeheimnis des deutschen Mittelalters. Die Unersättlichkeit, die Wollust der Rache konnte so wahr, so überzeugend nur ein Dichter schildern, dem selber das Hirn wirbelte bei dem Gedanken an die Vernichtung des Landesfeindes, der selber soeben seinem Volke zurief:

wenn der Kampf nur fackelgleich entlodert,
werth der Leiche, die zu Grabe geht!

Aber während die modernen Novellisten sich zumeist in eine Seelenmalerei verlieren, welche der Aufgabe des Dichters ebenso sehr widerspricht wie die breite Naturschilderung, und mit peinlicher Langsamkeit das Herz ihres Helden zerfasern und zerschneiden, bleibt Kleist unwandelbar der Erzähler. Sein Held ist immer in Bewegung, obgleich wir jeden seiner Gedanken erfahren, der Fluß der Ereignisse stockt niemals, obschon uns kein Nebenumstand erlassen wird – bis wir leider plötzlich entdecken, daß dem Dichter die Kraft versagt, die Gestalten unter seinen Händen zerfließen und die so herrlich begonnene Fabel in willkürlichen Visionen endet. Die Erzählung lehrt zugleich, wie übermütig der echte Dichter umspringen darf mit jener »historischen Treue«, deren Wert von der überbildeten Gegenwart so wunderlich mißverstanden wird. Dem Bilde, das wir alle von Johann Friedrich dem Großmütigen im Herzen tragen, schlägt Kleist fast mutwillig ins Gesicht; das moderne Dresden wird mit größter Sorgfalt in das sechzehnte Jahrhundert zurückversetzt, während wir doch wissen, daß die Handlung in Dresden gar nicht spielen konnte. Und doch drängt sich uns nicht der mindeste Zweifel auf: so lebendig tritt uns alles vor Augen, und so glücklich trifft der Erzähler jenen derben biederen Ton der Rede, der uns die Weise unserer Altvordern weit eindringlicher schildert, als die sorgfältigste Zeichnung des Kostüms vermöchte. Erst von dem Augenblicke an, wo den Dichter die poetische Kraft verläßt, wo er sich in nachtwandlerische Träume verliert, werden unsre historischen Bedenken wach. Und nochmals erhebt sich die Frage: warum Kleist nicht, nach dem Rate seines Freundes Pfuel, diesen köstlichen Stoff zu einem Drama verwendet hat? In seinen Dramen tritt »die Unart seines Geistes«, das schlafwandlerische, phantastische Wesen zuweilen störend, nie zerstörend auf; hier in der Erzählung läßt er sich gehen, und das schöne Gedicht, ein Werk seiner reifsten Jahre, wird ganz und gar verwüstet.

Verfolgen wir sein dramatisches Schaffen weiter, so beobachten wir fortan ein mächtiges Aufsteigen seiner dichterischen Kraft, zunächst an der Tragödie Penthesilea. Man erzählt von Hegel, daß er einst, als Tieck den Othello vorlas, entsetzt ausrief: »wie zerrissen mußte dieser Mensch, Shakespeare, sein, daß er den Jago so darstellen konnte« – worauf Tieck entgegnete: »Herr Professor, sind Sie des Teufels?« Die Schnurre ist, wenn nicht wahr, doch gut erfunden. Wer der Kunst nicht lebt, nur zuweilen aus der befriedeten Welt des Gedankens sich in ihren Zauberkreis hinüberstiehlt, wird sich leicht versucht fühlen, den Künstler, der ein krankes Menschenherz schildert, selber für krank zu halten. Und freilich, solange Kleists Briefe noch verborgen lagen, blieb die Penthesilea, das subjektivste seiner Werke, unverständlich wie der Traum eines Fiebernden; seit wir jene Geständnisse kennen, erscheint gerade diese wilde Dichtung als der Anfang seiner Genesung. Er faßte sich endlich das Herz, den Kämpfen seiner letzten Jahre ins Gesicht zu sehen, er wagte sie zu einem Kunstwerke zu gestalten, und sobald ein Dichter sein Leid gesteht, beginnt er schon es zu überwinden. Die Erlösung freilich, die reine dauernde Versöhnung, welche ein Goethe in solchem Geständnis seiner Qualen fand, sollte dieser Unglückliche niemals erreichen. Der ganze Schmerz und Glanz seiner Seele, so sagt er selbst, ist niedergelegt in der Penthesilea; sein eigenes Ringen und Leiden, jene wilde Jagd nach dem Ruhm, dem vollendeten Kunstwerk, und sein fürchterlicher Fall erschüttern uns in dem Schicksal dieser Königin der Amazonen, die den Schönsten, den Herrlichsten der Männer zu ihren Füßen niederzwingen will und nach kurzem Rausche des Übermuts in rasendem Toben untergeht – denn nicht dem Speer des Feindes,

dem Feind in ihrem Busen wird sie sinken!

Wie glücklich fühlt sich der Dichter, »einmal etwas recht Phantastisches zu schreiben«, die einfache Großheit des Achilleus und des Diomedes inmitten der Farbenpracht einer traumhaften Wunderwelt zu schildern! Wie dürr und kahl erscheinen neben dem Duft und Glanz dieser Verse die gleichzeitigen, durchweg unglücklichen Versuche der Romantiker, das Altertum auf ihre Weise wiederzubeleben – ganz zu geschweigen jener langweiligen Penthesilea, welche Tischbein damals auf die geduldige Leinwand sündigte. An seine Heldin verschwendet der Dichter alle Schätze seines Herzens, denn er liebt sie, und oft klingt uns aus seinen Worten die unbefangene Sinnlichkeit der Heiden entgegen. Er wagt sich an das unheimliche Geheimnis der Schönheit, das schon Vater Homer kannte, er will ein Weib schildern, so entzückend schön, daß jedes sittliche Urteil vor ihr verstummt. Ihm ist zu Mute wie jenen Greisen von Troja, die auf den Mauern sitzend das Verderben bejammern, das um eines Weibes willen über ihr Volk kam – und da die Unheilvolle plötzlich unter sie tritt, wagen sie doch nicht zu zürnen, so schrecklich (αίνώς) packt sie der Anblick der schönen Helena.

Aber selbst die Kraft unseres Dichters wird zunichte vor der Unnatur seines Stoffes. Schon vor einer antiken Amazonenstatue verweilen wir mit seltsam befremdeter Empfindung, und doch darf die bildende Kunst in diesem Falle mehr wagen als die Dichtkunst. Unser Erstaunen steigert sich zum Grauen, sobald uns das Seelenleben eines Mannweibes, dies wilde Durcheinanderwogen von Heldenstolz und Kampflust, von edler Liebe und roher Brunst in der hellen Beleuchtung eines modernen Dramas entgegentritt. Nun gar das Umschlagen der Wollust in Blutgier, dies allerscheußlichste Rätsel des Menschenherzens, an einem Weibe zu beobachten, wer könnte das ertragen? Was gilt uns die prachtvolle Schilderung der Rosenfeste von Themiskyra, wo die kriegerischen Amazonen, seligen Schauers voll, die besiegten Jünglinge bekränzt zum Altäre der Aphrodite führen? Von dem Liebeswahnsinn dieser Jungfrau, die ihre Zähne in den zuckenden Leichnam des Bräutigams schlägt, wendet sich jedes natürliche Gefühl. Und sogar die schöne Form leidet zuletzt unter der Verkehrtheit der Idee, da die Raserei der Königin in läppischen Irrsinn übergeht.

Wir fühlen, wie krampfhaft das Herz noch zuckte, dem diese wilden Verse entströmten, aber auch wie erleichtert der Dichter aufatmen mußte, da er also seinen Schmerz bekannt hatte. Endlich einmal schien das Geschick dem Unglücklichen freundlich zu werden; er gründete in Dresden eine literarische Zeitschrift, den Phöbus, hoffte zuversichtlich, sich jetzt einen ehrenvollen Platz in der Künstlerwelt zu erobern, trat den geselligen Freuden wieder näher. Schon mehrmals früherhin hatte der »arme Brandenburger« seinen Wanderstab ruhen lassen auf diesem lieblichen Winkel deutscher Erde und stundenlang die Madonnenbilder der Galerie betrachtet und die dunkeln Waldgründe durchstreift, die in das lachende Elbtal münden, und droben von der Brühlschen Terrasse träumend hinabgeschaut auf die sanften Windungen des Flusses und das alles in entzückten Briefen der Schwester geschildert. Es war noch das alte Dresden, die prächtige und doch stille Stadt, die Canaletto gemalt hat, so recht ein Platz zum Träumen und zum Dichten, noch nicht der abgetretene Spaziergang blasierter Touristen. Und – so seltsam spielt der Reiz des Kontrastes in dem Künstlergemüte – gerade hier in dem Schmuckästlein des Rokokostils erwachte dem Dichter der Sinn für die heimische Vorzeit; sein Geist, der so lange in die Ferne geschweift, kehrte ein in die Fülle des deutschen Lebens, um seine schönsten und reifsten Werke aus dieser reinen Quelle zu befruchten. Er fühlte sich jetzt Mannes genug, einen neuen Herzenskummer, der ihn traf, sofort als Künstler zu überwinden. All die Träume von Liebesglück, die ihm so schmerzlich zerronnen waren, rief er wach, um im Gedichte ein Weib zu schaffen, wie er es ersehnte und nie finden sollte, und alle sanften, glücklichen Erinnerungen seines Lebens versammelte er um sich, um dem geliebten Bilde eine freundliche Umgebung zu bieten. Die alte gotische Kirche stieg wieder vor ihm auf, die seinem Vaterhause gegenüber stand, mit ihrem schweren Turme und den geborstenen roten Backsteinzinnen, die der Knabe so oft ahnungsvollen Blickes betrachtet; er sah die finsteren Tore und die steilen Giebelhäuser in der alten Oderstadt; jene zarten Bilder von dem »Cherub mit gespreizter Schwinge«, von dem »süß duftenden Hollunder«, die in seinen älteren Gedichten flüchtig wie ein Sonnenblick aus dichtem Gewölk erschienen, erwachten wieder und mahnten ihn, sie reich und fertig zu gestalten. Also schuf der seltsame Mann, der in allem von der Regel abweicht, in seinem zweiunddreißigsten Jahre das jugendlichste seiner Werke: das Käthchen von Heilbronn.

Wir fühlen ihm nach, wie er mit der naiven Freude des Entdeckers vor den wundersamen Gestalten steht, die er in der Vorzeit seines Volkes aufgefunden; ein frischer Duft weht uns an, wie der Erdgeruch aus dem umgebrochenen Acker. Seine Heldin nennt er selbst »die Kehrseite der Penthesilea, ihren anderen Pol, ein Wesen, das ebenso groß ist durch Hingebung wie jene durch Handeln«. Noch nicht sechzig Jahre sind verflossen, seit dies Werk zuerst an der Wien vor die Lampen trat; und schon mutet es uns an wie eine Sage aus uralter Vorzeit, kaum mehr verstanden von der hellen, strengen Gegenwart. In jedem Volke begegnen uns einzelne Dichtungen, welche, ohne den Stempel klassischer Vollendung zu tragen, doch unantastbar dastehen, weil sie geweiht sind durch die Liebe eines vergangenen Geschlechts; sie fordern, daß der Nachlebende sie dankbar hinnehme wie ein Gebilde der Natur. So dies Gedicht; aus ihm reden alle jene holden traulichen Träume, die unseren Müttern die Jugend beseligten, die Herzenssehnsucht einer Zeit, die unser kälterer Verstand zugleich übersieht und um die Innigkeit ihres Gefühls beneidet. Ich kann nicht ohne Rührung der Stunden denken, da mir meine Mutter von ihren ersten Gängen zum Theater erzählte: wie glückselig hat dies unschuldige Mädchengeschlecht dem Käthchen gelauscht, wenn sie unter dem Fliederbusch ihre keusche Liebe träumt! Der Dichter aber, der so glücklich einen Schatz aus dem Gemüte seiner Zeit zu Tage gefördert, er war längst nicht mehr, als das Käthchen endlich auf allen Bühnen sich einbürgerte; wir meinen oft seinen Schatten zu sehen, wie er niederschaut auf diese verspäteten Erfolge und bitter lachend wie sein Prinz von Homburg die Achseln zuckt:

nur schade, daß das Auge modert,
das diese Herrlichkeit erblicken soll!

Selbst heute noch können wir die Kraft des einfachen Märchens erproben: in unseren Vorstadttheatern weilt ein Publikum, zu arm an Bildung und zu schwer bedrückt von den Sorgen des eigenen Lebens, um die Gewalt des tragischen Schmerzes zu ertragen, doch nach deutscher Art zu gesetzt, um allein dem Lustspiele zu huldigen. Hier ist der rechte Tummelplatz für das ernste Drama mit glücklichem Ausgange; hier hat das Femgericht noch seine Schrecken, hier findet der erbärmliche Darsteller des wackeren Gottschalk noch seine Bewunderer, die Kunigunde ihre leidenschaftlichen Feinde. Wir müßten sehr niedrig denken von dem sittlichen Berufe der Kunst, wollten wir solche Erscheinungen über die Achsel ansehen; danken wir Gott, daß das Pariser Hetärendrama noch nicht überall sein Zepter schwingt. Es ist nicht bloß der ritterliche Lärm und Pomp, was diese braven Leute so tief ergreift; noch mächtiger wirkt die Kraft der volkstümlichen Sprache, die Innigkeit des Gemüts, die aus jeder Zeile redet, die Anschaulichkeit der einfach verständlichen Motive. Selbst der Haß, sonst der deutschen Gutmütigkeit so schwer faßlich, erklärt sich hier von selbst. »Der Mensch wirft Alles, was er sein nennt, in eine Pfütze, nur kein Gefühl« – das versteht auch der gemeine Mann, nicht die Worte, doch den Sinn.

Freilich muß das Drama voll kundigen und rücksichtsvollen Händen vorgeführt werden, mit Pietät nicht vor den schwachen Nerven der Hörer, sondern vor der kräftigen Eigentümlichkeit des Dichters. Welche Barbarei, wenn der zartsinnige Regisseur die Szene, wo Graf Wetter vom Strahl dem Käthchen mit der Peitsche droht, verletzend findet, statt der Roheit eine Niederträchtigkeit einfügt und den Grafen das Schwert zücken läßt auf die Wehrlose! Freilich muß man die Ansprüche der absoluten Kritik daheim lassen. Ist die hingebende Liebe des Käthchens nicht schon selbst wunderbar genug? ist es nicht bare Tautologie, das größere Wunder durch ein kleineres zu erklären? verliert Käthchens Liebe nicht an Wert durch den zwingenden Zauber, der sie an den Ritter kettet? und geht nicht zuletzt der ideale Gehalt des Gedichts geradezu verloren, da nicht das arme Bürgerkind durch die Macht der Liebe über den Stolz des Ritters triumphiert, sondern die Kaiserstochter dem Grafen ihre ebenbürtige Hand reicht? Solche unwiderlegliche Einwände vergessen nur das Entscheidende, daß ein Märchen, ein dramatisch behandelter epischer Stoff nicht unbedingt den Gesetzen des Dramas gehorchen kann; liegt es doch im Wesen des Märchens, die Wunder des Herzens durch die Aufhebung der Ordnung der Natur zu erklären, Lohn und Strafe in der allersinnlichsten Form erscheinen zu lassen. Der zarte Duft des volkstümlichen Stücks verfliegt, wenn wir mit so derber Hand daran treten. Wir beklagen nur, was der Dichter selbst aufs bitterste bereut hat, daß er dem märchenhaften Charakter des Stücks nicht treu geblieben. Rücksicht auf die Ansprüche der Bühne, denen das Käthchen doch niemals völlig genügen kann, verleitete ihn, statt der zaubergewaltigen Fee Kunigunde jenes nüchterne rationalistische Scheusal zu schaffen, das so widerwärtig erscheint hier in der heiteren Fabelwelt, wo höhere Geister noch gern mit dem farbenreichen Menschenleben verkehren. Die maßlose Heftigkeit des Dichters verführt ihn auch diesmal, jedes Motiv zu Tode zu hetzen. Er kann sich nicht genug tun in der Schilderung seiner Heldin, er jagt sie durch alle Stufen der Erniedrigung hindurch, und während er ihr eine übermenschliche Demut leiht, die der Selbstentwürdigung zuweilen nahe kommt, häuft er auf ihre Feindin Kunigunde eine ganz unmögliche Last der Schändlichkeit. Er litt noch unter dem Schmerze um seine verlorene Braut und meinte sich berechtigt, ein Weib ohne Herz mit seinem Hasse zu zeichnen.

Während Kleist so liebevoll die Gestalten der deutschen Vorwelt schilderte, war in ihm längst der heilige Schmerz erwacht um die Gegenwart des Vaterlandes. Er hatte wohl einst über seinem Dichterleide die weite Welt und Deutschland mit ihr vergessen, den Tod gesucht, wo es auch sei. Sobald er sich selber wieder angehörte, regte sich doch der preußische Offizier. Der Künstler steht der Natur näher als der Denker; löst er sich ab von seiner Heimat, so geschieht ihm wie dem starken Baume, der in fremden Boden verpflanzt die Schollen des mütterlichen Erdreichs an seinen Wurzeln mit sich nimmt. Der freie Geist des Dichters hatte das öde Einerlei des Garnisondienstes nicht ertragen, er mochte zuweilen von der Höhe seiner philosophischen Bildung mitleidig herablächeln auf die militärischen Barbaren daheim. Die stolzen kriegerischen Erinnerungen seines Vaterhauses, dem des Königs Rock als das Kleid der Ehre galt; die glänzenden Bilder des preußischen Waffenruhms, die durch die Träume seiner Kinderjahre geschritten waren, hafteten doch weit fester, als er sich selbst gestand, in seinem treuen Gemüte; und als das Verderben an seinen Staat herantrat, da erwachte der Stolz des Preußen, des Deutschen, die angelernten philanthropischen Ideen fielen zu Boden. Schon während des Feldzugs von 1805 fragt er bitter, warum der König nicht sofort, nachdem die Franzosen durch Ansbach marschiert, seine Stände zusammenberufen und durch einen kühnen Krieg die Verletzung des preußischen Gebiets gerächt habe. Immer häufiger erklingt fortan in seinen Briefen die Klage über die finstere Zeit, wo das Elend jedem in den Nacken schlägt. Auf die erste Kunde von der Schlacht von Jena schreibt er mit dem ganzen Stolze und der ganzen Verblendung eines fridericianischen Offiziers: »20000 Mann auf dem Schlachtfeld und doch kein Sieg!« Dann erfährt er wie ein Betäubter die volle schreckliche Wahrheit, dann übergibt ein Mann, der seinen Namen führt, die erste Festung Preußens schimpflich an den Feind, dann sieht der Dichter in Königsberg aus nächster Nähe den tiefen Fall des Hofes und des Staates, und endlich muß er die Faust des Unterdrückers noch an seinem Leibe empfinden. Sein scharfer Verstand hatte schon vor Jahren, da er umnachteten Sinnes durch Frankreich irrte, die prahlerische Nichtigkeit der eitlen Welteroberer unbarmherzig durchschaut; auch ihre Roheit sollte er jetzt erfahren, da er während des Feldzuges von 1807 durch ein Mißverständnis als Spion gefangen und nach Frankreich geschleppt wurde. Er saß dann durch lange finstere Wochen auf dem Schlosse Joux hoch im Jura, auf derselben Festung, wo einst Mirabeau die wildesten Stunden seiner Jugend verlebt hatte.

Nun kehrte er heim in sein geschändetes Vaterland, mit dem vollen Verständnis für die Größe der Zeit, er sah »Ungeheures, Unerhörtes nahen«, eine Macht des Unheils heranfluten wider jedes Heiligtum der Menschheit. Und diese Empfindung wuchs und wuchs, sie wurde etwa seit der Vollendung des Käthchens (1808) die herrschende Macht in seinem Geiste, also daß Dahlmann den Selbstmord des Dichters kurzweg aus der Verzweiflung am Vaterlande erklärt. Wer kennt nicht eine jener einsiedlerischen Naturen, die in tiefer Stille mit der ganzen Macht ihrer unzerstreuten Leidenschaft alle Zuckungen der vaterländischen Geschicke mitempfinden? So lebte auch Kleist in seinem einsamen Zimmer ein hocherregtes historisches Leben: prächtig, eine himmelhohe Flamme schlug dann das entfesselte Gefühl aus seiner verschlossenen Brust empor. Er brauchte nicht erst, wie die zum Vaterlande zurückkehrenden Gelehrten, die Fichte und Arndt, auf den weiten Umwegen des Gedankens die Idee des Volkstums und ihr Recht sich selber zu erklären. Er liebte Deutschland, wie dem Dichter ansteht, unwillkürlich, unmittelbar, »weil es mein Vaterland ist« – so läßt er in seinem patriotischen Katechismus einen deutschen Knaben sprechen. Die glorreiche Fahne, die er einst in seinen jungen Händen getragen, da lag sie im Staube. Ihre Ehre war die seine. Ihre Schmach zu rächen greift er zu jeder Waffe, er schreibt Pamphlete, Satiren und ohne jedes ästhetische Bedenken Gedichte. Er hätte sie nicht verstanden, die armselige Frage, die in einer späteren müden Zeit unter uns aufgeworfen ward, die Frage, ob eine Poesie des Hasses ein Recht habe zu sein. Er wußte, daß die Dichtung jedes berechtigte Gefühl der Menschenbrust schildern darf und daß in diesen Tagen der Haß die letzte und höchste Empfindung des deutschen Mannes war. Es galt das Dasein der Nation; die Begeisterung der Ideologen, die Stimme des natürlichen Gefühls und die Berechnung des Staatsmannes fielen in eines zusammen; nur eine solche Zeit konnte einen so ganz in der Anschauung, der Empfindung lebenden Geist zur politischen Dichtung führen.

Kleist ward, nach dem alten Gleim und den Poeten des Siebenjährigen Krieges, der erste unserer neueren Dichter, der seine Muse den politischen Zwecken des Augenblickes dienen ließ, der erste, dem dies Wagnis völlig glückte. Er weiß und will nur eines – den Kampf der Waffen, augenblicklich, unverzüglich. Er lacht der »Schwätzer«, der Tugendbündler und Philosophen, die von einem Kampfe der Gedanken faseln, wirft ihnen Spottverse ins Gesicht ganz so ungeschlacht und ungerecht wie jene, die er einst gegen Goethe geschleudert hatte. Es leidet ihn nicht mehr im Norden, als der Krieg von 1809 beginnt, er eilt hinaus nach dem Schlachtfelde von Aspern, und da auch diesmal die Heere der Feinde siegen, faßt er in vollem Ernst den Gedanken auf, mit dem die erbitterte Jugend jener Tage spielte: er will durch die Ermordung Napoleons das Vaterland befreien und – mit einer großen Tat sein eigenes zerrüttetes Dasein beenden. So berichtet eine nicht streng beglaubigte, aber keineswegs unglaubhafte Überlieferung; allem Anschein nach hat nur ein Zufall den gräßlichen Plan vereitelt. Und derselbe dämonische Haß, dieselbe fürchterliche Wildheit tobt auch durch seine patriotischen Gedichte. Feuriger hat nie ein Sänger zu unserem Volke gesprochen als Kleist in der mächtigen Ode »Germania an ihre Kinder«:

schlagt ihn todt, das Weltgericht
fragt Euch nach den Gründen nicht!

Die Lust der Vergeltung, unzertrennlich von jeder Erhebung eines mißhandelten Volkes, hat auch in unserem Freiheitskriege mächtiger gewaltet, als wir nach den verblaßten Schilderungen der Nachlebenden gemeinhin annehmen; schrieb doch Gneisenau nach dem Tage von Leipzig frohlockend wie ein antiker Held: »wir haben die Nationalrache in langen Zügen genossen.« Wollen wir Kleists furchtbare Zeilen: »alle Triften, alle Stätten färbt mit ihren Knochen weiß« geschichtlich verstehen, so müssen wir uns der Stimmung erinnern, die im Jahre 1813 in den unteren Schichten unseres Volkes lebte: – der wilden Kriegsweise der Landwehrmänner: »Schlag ihn tot, Patriot, mit der Krücke ins Genicke;« der gefangenen Rheinbundsoffiziere, denen der preußische Soldat die französischen Orden von der Brust riß; des gräßlichen lautlosen Würgens in der ersten Landwehrschlacht, bei Hagelberg, und all der rohen Auftritte, welche des Krieges Gefolge bilden.

Nur diese Glut der Leidenschaft erlaubt unserem Dichter das unmögliche: ein Poet zu bleiben, indem er die allerbestimmteste Tendenz verfolgt. Seine Lieder halten sich ganz in der Sphäre der reinen Empfindung und streifen nie über in das Gebiet der Reflexion, der Phrase, wohin seine Nachfolger, die Sänger der Freiheitskriege, sich nicht selten verirren. Zwar, dem Manne, der seinen Hermann sagen läßt, einen Gallier, einen Deutschen könne er sich wohl als Weltherrscher denken, »doch nimmer diesen Latier, der keine andre Volksnatur verstehen kann« – ihm wird man nicht vorwerfen, er habe die Idee des großen Kampfes nicht verstanden. Auch vermag er zuweilen sein erregtes Gefühl zu gehaltenem, maßvollem Ausdrucke zu zwingen; wie würdig und edel stellt er die sittliche Größe des gedemütigten preußischen Staates dem rohen Hochmut des Siegers gegenüber, indem er den nach Berlin heimkehrenden König also anredet:

Blick auf, o Herr, du kehrst als Sieger wieder,
wie hoch auch jener Cäsar triumphiert!

Doch der Grundton, der vorherrschende Charakterzug seiner patriotischen Poesie bleibt nichtsdestoweniger der Haß, und darum stellt sie nur eine Seite der großen Erhebung dar, welche ein Jahr nach des Dichters Tode begann. Denn Gott sei Dank, nicht so nach Spanierart, wie dieser Dichter träumte, sollten die Deutschen in den Entscheidungskampf hineinstürmen. Von dem sittlichen Pathos und der religiösen Begeisterung der jungen Freiwilligen, von der Gutherzigkeit und dem Edelmute, die unser Volk auch in seinem wilden Hasse sich bewahrte – von diesen herzgewinnenden Tugenden, wodurch die deutschen Freiheitskriege in der gesamten modernen Geschichte einzig dastehen und allmählich selbst die Bewunderung ihrer eitlen Feinde erwecken – von alledem ist in Kleists Gedichten wenig zu spüren. Er redet die Sprache einer gequälten Zeit, die sich in wilden Träumen hinaussehnt nach dem Kampfe und nur den einen Gedanken zu denken vermag: »zu den Waffen, zu den Waffen, was die Hände blindlings raffen.« Erst mit der Erhebung, mit der Gewißheit des Sieges konnte die patriotische Leidenschaft Maß und Haltung gewinnen. Und wer darf bezweifeln, daß Kleist, hätte er den Tag der Befreiung erlebt, fähig gewesen wäre, mit einzustimmen in die reineren und freieren Klänge jener glücklichen Zeit? Wer fühlte nicht, daß der Haß des Dichters nur die Kehrseite ist einer innigen Liebe?

Derber, roher noch redet der Ingrimm in den prosaischen Schriften. Mit unbeschreiblich grausamem Spott wird das märkische Edelfräulein geschildert, das sich von einem französischen Gecken verführen läßt, der sächsische Offizier, der mit patriotischem Hochgefühl unter den Fahnen des Rheinbundes weiter dient. Dann folgen Anekdoten aus dem letzten Kriege, kleine Züge preußischen Soldatenmuts, die den Geist des Heeres beleben sollen, vorgetragen im allerderbsten Wachstubentone, mit cynischem, wildem Humor; der Erzähler weiß sich vor Entzücken kaum zu halten, wenn seine Helden noch sterbend mit »einem ungeheuren Witze« die Franzosen verhöhnen. Auch die erhabene Rhetorik Arndts, den Ton des »Geistes der Zeit« versucht der Dichter in einzelnen pathetischen Aufsätzen nachzuahmen. Ganz unbefangen wiederholt er die Bilder und Wendungen seiner Gedichte in den prosaischen Schriften. Mit vollem Rechte; denn der Wert dieser unförmlichen Versuche liegt allein in der wilden Naturkraft einer patriotischen Leidenschaft, welche in unserer gesamten Literatur kaum ihresgleichen findet. – Was immer uns erschrecken und empören mag an diesem erregten Tun, wir freuen uns doch, den Dichter also zu sehen. Sein Auge, das so lange in unfruchtbarem Mißmut nur in sich hineingeschaut, blickt freier, offener in die Welt hinaus; die krankhaften Züge seines Wesens treten zurück vor der Hoheit einer großen Leidenschaft.

Schon vor dem Kriege von 1809 hatte Kleist in seiner »Hermannsschlacht« ein Bild des Befreiungskampfes gezeichnet, wie er ihn sich dachte. Wir überschauen mit einem Blicke das Aufsteigen unseres Volkes von der lyrischen zur dramatischen Empfindung, wenn wir dies mächtige Werk, wo selbst die »See, des Landes Rippen schlagend, Freiheit brüllt«, mit Klopstocks Hermannsschlacht vergleichen. Nichts mehr von dem unbestimmten Pathos, das bisher immer den Schilderungen der germanischen Urzeit angehaftet hatte; leibhaftig, in voller sinnlicher Wahrheit tritt diese fremde Welt vor uns hin, ausgemalt bis in den kleinsten Zug und doch ohne alle gelehrte Genauigkeit. Nichts mehr von dem »Bardengebrüll« abstrakter Heroengestalten; wir sehen den Hermann der Geschichte, den staatsmännischen Barbaren, der um des Vaterlandes willen keine der argen Künste römischen Truges verschmäht. Er sucht den Tod im Freiheitskampfe, und nichts soll ihn bewegen, »das Aug' von dieser finstern Wahrheit ab buntfarb'gen Siegesbildern zuzuwenden«; nichts ist ihm hassenswürdiger, als was sein Herz erweichen, dem großen Werke entfremden könnte: »was brauch ich Latier, die mir Gutes thun?« Seines Landes Blüte, die Gefühle seines Weibes, die Treue des gegebenen Wortes opfert er ohne Bedenken; der geborene Herrscher wohin er tritt, spielt er voll übermütigen Humors mit seiner Umgebung; doch an der religiösen Andacht, womit er seinen Plan betreibt, mag man erkennen, wie zartbesaitet das Gemüt dieses rauhen Helden ist. Nur einem Boten vertraut er die verhängnisvolle Botschaft an Marbod, denn »wer wollte die gewalt'gen Götter also versuchen?« – und als endlich die große Stunde erscheint, als die Barden ihren erhabenen Gesang beginnen, da bricht der eiserne Mann, jedes Wortes unfähig, in tiefer Bewegung zusammen. Wie in übermütiger Laune, in bewußtem Gegensatze zu den leeren Tugendmustern der Klopstockschen Muse zieht der Dichter das Idealbild der Thusnelda in die Kleinheit des zeitgenössischen Lebens herab; er schildert sie »wie die Weiberchen sind, die sich von den französischen Manieren fangen lassen«, als eine Geistesverwandte jenes märkischen Edelfräuleins.

Das Gelungene nimmt der Leser hin als selbstverständlich; wenige fühlen, welcher Künstlerweisheit der Dichter bedurfte, um einen so ganz unästhetischen Stoff zu gestalten. Die Römer werden durch berechneten Verrat in das Verderben gelockt; die Gefahr liegt nahe, daß unsere Teilnahme von den Unterdrückten sich zu den Unterdrückern wende. Aber der frevelhafte Übermut dieser Fremdlinge macht jedes Mitleid mit ihrem Untergange unmöglich; und doch ist der Römerstolz zu anziehend geschildert, als daß sie uns ästhetisch beleidigen könnten. Der Grimm des Helden steckt uns an; wir glauben, wir verzeihen alles der Wahrhaftigkeit dieses Hasses, wir rufen mit ihm:

Die ganze Brut, die in den Leib Germaniens
sich eingefilzt wie ein Insektenschwarm,
muß durch das Schwert der Rache jetzo sterben!

Der epische Stoff gestattet nicht eine wahrhaft dramatische Verwicklung. Die ersten vier Aufzüge enthalten nur die Exposition, und der Schluß, die Teutoburger Schlacht, kann, da das Drama der epischen Massenbewegung nicht mächtig ist, dem weit ausholenden Anlaufe nicht ganz entsprechen. Auch diesen unheilbaren Mangel weiß der Dichter durch kunstvolle Steigerung mindestens zu verdecken: wir folgen dem Anschwellen der Volksbewegung mit wachsender Spannung, wir sehen die schwarzen Wasser Zoll für Zoll emporsteigen und zittern dem Augenblicke, da die Flut über den Damm hinüberschlagen muß, mit einer Angst entgegen, welche der echten dramatischen Spannung sehr nahe kommt. Darum bleibt immerhin möglich, daß das Werk noch einmal dauernd für die Bühnen gewonnen werde. Allerdings nur für die zwei oder drei Bühnen, welche noch ein erträgliches Ensemble zustande bringen; denn ewiger Vergessenheit möge er anheimfallen, der zähnefletschende, in einem Löwenfelle einherstolzierende Unhold, der sich vor einigen Jahren auf einem namhaften Theater böswillig für Hermann den Cherusker ausgab: – und wo ist der Schauspieler zweiten Ranges, der sich an die kleine Rolle des Varus wagen darf? der den geknickten Stolz des Römerfeldherrn, die Ahnung des hereinbrechenden Verderbens, das Grauen vor den Schicksalsworten der Alraune in einem Monologe von vier Versen veranschaulichen könnte?

In einigen Zügen maßloser Wildheit verrät sich wieder der Sänger der Penthesilea. Man mag die gräßliche Szene ertragen, wo der alte Germane sein geschändetes Kind ersticht: der Dichter hat mit glücklicher Ahnung erkannt, daß Verbrechen wider die Frauen bei allen edlen Völkern jederzeit ein Haupthebel großer Empörungen waren. Doch schlechthin empörend bleibt der Auftritt, wo Thusnelda ihren römischen Verehrer von der Bärin zerfleischen läßt – unerträglich schon, weil diese Thusnelda solcher Rache nicht wert ist. Die Tendenz des Gedichtes tritt mit solcher Unbefangenheit hervor, daß wir auf die Rheinbundskönige unter den Germanenfürsten mit Fingern weisen können; aber die Tendenz liegt in dem Stoffe selbst. Und stehen wir selber denn heute, da die alte Blutschuld der Könige von Napoleons Gnaden noch immer nicht gesühnt ist, den Leidenschaften dieser napoleonischen Zeit ganz freien Gemüts gegenüber? Darf der Deutsche gänzlich untergehen in dem Ästhetiker? Darf er nicht auch seine patriotische Freude haben an der erhabenen poetischen Gerechtigkeit, welche dieser Hermann vollstreckt? Ich bekenne gern, daß ich niemals ohne herzliche Erquickung lesen kann, wie dem Ubierfürsten Friedrich von Württemberg der Kopf vor die Füße gelegt wird.

Wie der Dichter einst der finsteren Erscheinung der Penthesilea die rührende Gestalt des Käthchens hatte folgen lassen, so trieb ihn jetzt ein glücklicher Geist, diesem Gemälde seines patriotischen Hasses ein heiteres Bild der Heimatliebe entgegenzustellen. Er schuf das reifste seiner Werke, den Prinzen von Homburg, und knüpfte schöne Hoffnungen daran. Aber die kalte Aufnahme des Werkes sollte ihm zeigen, wie wenig eine politisch bewegte Zeit fähig ist zu begreifen, daß eine patriotische Idee dem Künstler selten mehr sein kann als ein Motiv. Er sollte erfahren, wie wenige Leser in jeder Zeit imstande sind, das Ganze eines Kunstwerks zu fassen. Wir hofften, hieß es, einen Helden zu schauen voll Kraft und edler Gedanken, der alles besitzt, was unserem gedrückten Geschlechte fehlt; und nun bringst du uns diesen wächsernen Achilles, so schwach und menschlich wie wir selbst? Und doch ist Kleists Prinz von Homburg die idealste Verherrlichung des deutschen Soldatentums, welche unsere Dichtung besitzt. Seltsam genug schreibt das große Publikum dem »Lager Wallensteins« dies Verdienst zu. Weil Schiller uns selbst unter der ruchlosen Soldateska des Friedländers heimisch macht, weil die seltene Erscheinung seines Humors hier in glänzenden Funken sprüht, so hat man sich gewöhnt, dem nur dramatisch Gültigen absoluten Wert beizulegen. Unsre Soldaten singen das ganz dramatisch gedachte Reiterlied so harmlos, als wäre die rohe Kampfwut einer entsetzlichen Horde ein passendes Gefühl für unser Volk in Waffen. Wie bei so vielen Gedichten Schillers, ist auch hier durch den langen Gebrauch der wahre Sinn verloren gegangen. Nun gar was sich heute Soldatenpoesie nennt – jene witzelnden Klatschgeschichten aus der Langeweile des Rekrutendrillens und des Parademarsches – das ist jedem rechten Soldaten ein Greuel. Hier aber redet jener schöne Idealismus des Krieges, der jedem rechten deutschen unverwüstlich im Blute liegt. In jeder Zeile kriegerisches Feuer, überall die kecke, frische deutsche Reit- und Schlaglust und doch so gar nichts von dem polternden Säbelgerassel der Franzosen. Es ist als ob der Dichter vor- und rückschauend ein ideales Durchschnittsbild gezogen hätte aus der Geschichte der preußischen Armee von Fehrbellin bis Königgrätz. Tapfere Krieger, geschart um einen heldenhaften Fürsten, in fester Mannszucht geschult, und doch freie Männer, deutsche Naturen, die auch unter der harten Ordnung des Gesetzes sich noch ein selbständiges Herz bewahren und dem Herrscher aufrecht die Wahrheit sagen – so war, so ist das Heer, das Deutschlands Schlachten schlug, und hier wird es uns geschildert mit einfacher Treue, mit jener anheimelnden Wärme, welche nur das Selbsterlebte dem Dichter in die Seele haucht.

Von diesem bewegten Hintergründe nun hebt sich ab eine fein und tief gedachte dramatische Verwicklung. Jetzt endlich ist Kleist ganz Dramatiker; nachdem er sich so oft in epische Stoffe verloren, hält er sich hier streng in den Schranken seiner Kunstform. Er zeigt uns, wie der Jüngling vom Manne träumt und dann zum Manne wird – ein Problem, althergebracht in den Romanen und leicht zu lösen für den Romandichter, doch überaus schwierig für den Dramatiker. Und wieder wie in der Penthesilea, aber milder, heiterer als dort, erzählt uns der Dichter die Geschichte seines Herzens; er leiht seinem Helden seine eigene wundersame Empfindung, diese jähe, stürmische Leidenschaft, die dann plötzlich wie in Zerstreutheit innehält, sich verliert in süße Selbstvergessenheit. Der Prinz erscheint zu Anfang als ein unreifer übermütiger Jüngling, er lebt wie einst der Dichter selbst immer in der Zukunft, nie dem Augenblicke; begehrlich schweifen seine stolzen Träume den Taten um eine Welt voraus; mit all seiner Liebenswürdigkeit ist er doch noch erfüllt von jener naiven Selbstsucht der Jugend, die den Gedanken der Pflicht, des Gesetzes nicht fassen kann. In solcher Stimmung unternimmt er in der Schlacht von Fehrbellin gegen den Befehl des Kurfürsten den kecken Angriff, der den Sieg entscheidet. Und hier weiß der Dichter mit bewunderungswürdigem Künstlerverstande selbst die dramatisch ganz unbrauchbare rührende Geschichte von dem Opfertode des Stallmeisters Froben als einen Hebel der Entwicklung zu verwenden. Der Kurfürst gilt für tot, man hat sein weißes Schlachtroß im Getümmel fallen sehen. Der Prinz fühlt sich darum als den Führer des Heeres, als den Beschützer des verwaisten Hofes, er bekennt der Prinzessin Natalie seine Liebe und steigt zum Gipfel des Übermutes empor: alle Kränze des Ruhmes und der Liebe wähnt er mit einem Griffe auf seine trunkene Stirn herabzureißen – gleich dem Dichter des Guiscard. Da erscheint der totgeglaubte Kurfürst wieder. Dem Jüngling tritt der Mann entgegen, so groß und so schlicht, so streng und so weich, eine herrliche Fürstengestalt, von der wir nur bewundernd sagen können: das ist deutsche Herrschergröße. Der vorwitzige Knabe soll jetzt den Ernst des Gesetzes empfinden, der ungehorsame General wird zum Tode verurteilt. Unbarmherzig, wie immer, wenn es gut, einen tiefen Gedanken bis auf die Hefe auszuschöpfen, treibt nun der Dichter den aus seinen Träumen Aufgestörten hinab in die tiefste Entwürdigung. Der Prinz bettelt um sein Leben, und erst als er endlich die Gerechtigkeit des harten Spruchs erkennt, sein Haupt freiwillig dem beleidigten Gesetze zur Sühne darbietet, wird Gnade und Versöhnung dem Jüngling zuteil, den wir vor unseren Augen in fünf kurzen Akten zum Manne heranwachsen sahen.

Haben wir also die Idee des Dramas begriffen und uns befreundet mit der ungewohnten Erscheinung eines Bühnenhelden, welcher nicht fertig vor uns hintritt, sondern erst wird, dann verstehen wir auch, daß der Dichter in dieser scheinbar höchstpersönlichen Seelengeschichte einen höheren Gedanken darstellen wollte als das Recht der militärischen Subordination: er gab ein Bild von dem Werden des Mannes, hier zum ersten Male gelang ihm eine typische Gestalt. Dann erscheint auch die seltsame Schlafwandlerszene am Eingang lediglich als ein phantastisches Beiwerk, das den Sinn des Sängers gefangen hielt wie ein schöner Traum und doch den Gang des Dramas nicht wesentlich beirrt. Nur ein Mißklang stört das herrliche Gedicht: jene verrufene Szene, die uns den Prinzen in feig unwürdiger Todesfurcht vorführt. Gewiß, die Demütigung des Helden ist unerläßlich für den Plan des Dramas, und ihre poetische Wahrheit empfindet jeder, dem jugendliche Stoiker verhaßt sind. Hundertmal lieber diese hellenische Natürlichkeit, dies naive Schaudern vor dem Tode, als jene gespreizten Eisenfresser der Nachahmer Schillers, welche zur selben Zeit auf allen Bühnen pathetisch bejammerten, daß der Mensch nur einmal den Heldentod sterben kann. Aber die ungestüme Hast unseres Dichters hat leider versäumt, die Hörer, deren tief eingewurzelte Ehrbegriffe er verletzen will, auf das Unerwartete vorzubereiten: wir sahen den Prinzen zuletzt aufgeregt, doch in männlicher Haltung, und plötzlich ohne jeden Übergang windet sich derselbe Mensch jämmerlich im Staube. So jähe Sprünge erträgt die Seele des Hörers nicht. Dazu tritt die unleugbare Versündigung gegen das historische Kostüm. Uns beirrt nicht das prosaische Bedenken, ob im Jahre des Heils 1675 ein brandenburgischer General also denken durfte? Doch wir fragen ungläubig: wie kann dieser Kurfürst, dieser Oberst Kottwitz, der hier auf der Bühne vor uns steht, dem Prinzen einen so häßlichen Verstoß gegen alle ritterliche Haltung verzeihen? In solcher Umgebung erscheint der Prinz mit seiner antiken Naivität allerdings wie eine Gestalt aus einer anderen Welt.

Jedes echte Kunstwerk ist unerschöpflich, bietet einen Ausblick in das Unendliche. In die leitende Idee des Dramas spielt noch eine zweite Gedankenreihe hinein, welche freilich aus dem hastigen Tun des Helden nicht klar hervortritt, desto klarer aus den Reden der Offiziere. Der Dichter verherrlicht das Recht des freien Heldenmuts, der rettenden Tat neben der toten Regel. Und hören wir die schönen Worte des alten Kottwitz:

Herr, das Gesetz, das höchste, obere,
das wirken soll in deiner Feldherrnbrust,
das ist der Buchstab deines Willens nicht,
das ist das Vaterland, das ist die Krone,
das bist du selber, dessen Haupt sie trägt –

wer sollte da den Sehergeist des Dichters nicht bewundern? Denn gerade so dachten drei Jahre später die Männer des ostpreußischen Landtags, als sie, ohne den Ruf des Königs abzuwarten, für ihn und für das Vaterland sich erhoben.

Noch vor wenigen Jahren wurde auf der Leipziger Bühne der Schlußvers des Dramas, der Schlachtruf der Offiziere: »in Staub mit allen Feinden Brandenburgs«, nicht geduldet. Er lautete dort, obschon der mißhandelte Jambus sich heulend wider den Frevel verwahrte, »in Staub mit allen Feinden Germaniens!« Ich aber glaube, daß eine nahe Zukunft den »preußischen Partikularismus«, welche der königlich sächsischen Vaterlandsliebe so anstößig erschien, dem Dichter zum Ruhme anrechnen wird. Der Prinz von Homburg darf noch auf ein langes Bühnenleben zählen, denn er ist, kurz und gut, das einzige gelungene historische Drama hohen Stils, das seinen Stoff aus der neuen deutschen Geschichte schöpft – aus der Geschichte, die noch in Wahrheit die unsere ist, aus der Geschichte, die mit der derben Prosa ihrer Lebensformen uns doch traulicher zum Herzen redet als die phantastische Pracht des Mittelalters. Wir atmen die freie Luft des historischen Lebens und fühlen uns doch behaglich wie in unserem Hause: niemand unter uns, der nicht einmal seine Freude gehabt hätte an dem ehrlichen grauen Schnurrbart eines wirklichen Obersten Kottwitz. Wer ganz empfindet, wie von Grund aus das Gemüt unseres Volkes seit den Stürmen des Dreißigjährigen Krieges sich verwandelt hat, der weiß diesen glücklichen Griff des Dichters auch ganz zu würdigen. Und jetzt, da endlich unter dem Segen des preußischen Heerwesens die alte stolze Waffenfreudigkeit unseres Volkes überall in Deutschland wieder erwacht ist, wird auch dies schönste Werk deutscher Soldatendichtung zu Ehren kommen, und selbst die Schwaben und Obersachsen werden dem Sänger verzeihen, daß er ein Preuße war. In dem großen Zusammenhange unserer neuen Geschichte erhält Kleists Gedicht eine noch tiefere Bedeutung. Fast anderthalb Jahrhunderte hindurch stand das Heer der Hohenzollern und sein kriegerischer Adel verständnislos und unverstanden der wieder aufblühenden Kunst und Wissenschaft der kleinen Staaten gegenüber. Wohl berührten sich einmal leise die beiden Gegensätze, als das Heldentum des großen Königs der deutschen Dichtung einen neuen Inhalt schenkte, als der Dichter des Frühlings, Ewald Kleist, »für Friedrich kämpfend niedersank«, wie seine Grabschrift sagt – und die preußischen Offiziere in Leipzig dem alten Gellert ihre Verehrung bezeigten. Doch hier zum ersten Male ward der Waffenruhm der Preußen von einem Sohne des märkischen Adels mit der vollen Pracht der deutschen Dichtung gefeiert, und dies erscheint dem Nachlebenden wie die erste Annäherung zweier Mächte der deutschen Geschichte, die beide gleich einseitig der Ergänzung bedurften.

Wie frei und glücklich schwebt des Sängers Geist über dem selbstempfundenen Leide, das er in diesem Gedichte uns darstellt! Wie sollte der Dichter nicht endlich selber die Versöhnung gefunden haben, die er so heiter an seinem Helden geschildert? Und doch stand es anders, ganz anders um den Unglücklichen; nur für kurze Stunden war ihm das heitere Spiel der Kunst ein Labsal. Er hatte weder aus seinem edlen Werke den selbstgewissen Frohmut des Künstlers geschöpft, noch im Verkehr mit Dahlmann die patriotische Zuversicht gelernt, welche so fest und mannhaft aus der ruhigen Versicherung des Freundes sprach: Napoleon wird fallen, wenn wir nur ausharren! Er sah das Reich des »Höllensohnes« wie ein nimmersattes Ungetüm ein Glied nach dem andern vom Leibe unseres Vaterlandes reißen, und allenthalben wohin er schaute – so sagt die erschütternde Klage seines »letzten Liedes« –

kommt das Verderben mit entbund'nen Wogen
auf Alles was besteht herangezogen.

Er sah vor sich ein ruhmloses, sorgenvolles Leben, ohne Liebe, ohne Hoffnung. Noch einige schlechte Novellen, einige kleine Anekdoten, um wenig Geld für ein Berliner Winkelblatt hastig auf das Papier geworfen, dann wird er matt und matter

und legt die Leier thränend aus den Händen.

Ich lasse mir nicht einreden, die Schätze dieses Geistes, der bis dahin durch Pein und Krankheit hindurch unaufhaltsam zu immer schöneren Werken aufgestiegen war, seien schon erschöpft gewesen. Was diesem Dichter fehlte, war ein gehobenes, ein großes Vaterland. Ein einziger Sonnenblick des Glücks – und wenn auch nur der Brief Dahlmanns, der den Freund gastlich nach Kiel lud, in die rechten Hände gekommen wäre! – und der Unselige konnte auch diesen Anfall des Siechtums wie so viele vordem überstehen, um in einer schöneren Zeit sein freies Vaterland mit edlen Gedichten zu entzücken. Es sollte nicht sein. Eben jetzt da der Trieb der Selbstzerstörung wieder in ihm wühlt, tritt ihm eine Freundin näher, welche krank wie er, sich nach dem Grabe sehnt, und abermals überfällt ihn der gräßliche Gedanke, den er einst der Schwester schrieb: »das Leben hat doch immer nichts Erhabeneres als nur dieses, daß man es erhaben wegwerfen kann.« – Erhaben wegwerfen! Ach, wenn auch nur ein Zug der Erhabenheit zu spüren wäre in dem jämmerlichen Ende des Dichters. Gleichmütig wie ein Mann, der abends aus einem Zimmer in das andere geht, um sich zur Ruhe zu legen, mit der ganzen schrecklichen Gelassenheit des Irrsinns gab Heinrich Kleist der Freundin und sich selbst den Tod (21. Nov. 1811).

Die Gerechtigkeit der Geschichte hat auch seine Schuld gesühnt. Grausamer strafte sie keinen als diesen Träumer, der zu früh verzweifelte an seinem Volke. Noch sproßte kaum der Rasen auf dem einsamen Grabe am Ufer des Havelsees, da brachte das Schicksal den glühenden Wünschen dessen, der dort ruhte, die überschwengliche Erfüllung. Da klirrte durch die Marken der Lärm der Waffen; da wies ein anderer, ein größerer Prinz von Homburg durch eine rettende Tat unserem Volke den Weg zum Siege; da dröhnten über das befreite Land die Donner einer anderen Hermannsschlacht, die herrlicher, menschlicher war als des Dichters Traumbild. Vielleicht daß einmal unter den preußischen Offizieren ein Wort des Mitleids fiel um den treuen Kameraden, der nicht warten konnte und nicht den Tod des Helden starb. Doch was fragten die Hunderttausende, die zur Freiheit erwachten, nach einem gebrochenen Herzen? Sie stürmten vorwärts, dem Siege entgegen, und brausend klang es um die alten Fahnen:

»In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!«


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