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Terentij Generalow

Unser Städtchen lehnt sich an den Abhang eines steilen Berges am Ufer eines blauen Flusses. Der Berg ist hoch und oben bewaldet, und alle Häuser und Häuschen haben ihre Fenster dem Flusse zugekehrt, der, Gott weiß, woher kommt, am Berge einen gestreckten Bogen macht und im Südwesten in den Wäldern verschwindet. Hinter diesem Walde geht jeden Abend die Sonne zur Ruhe; dann brennen die Fenster in der Stadt wie bei einer Feuersbrunst, dann freut sich der Reisende beim Anblick der Kirchenzwiebeln und Kreuze, und unter seinen Füßen spielt in den Pfützen und Bächen blutroter Abglanz.

Jetzt läuft aus der Stadt über die Wiesen ein Sanddamm mit zwei Reihen Schienen und verschwindet in den Wäldern, von wo aus zweimal am Tage weißer Rauch aufsteigt und der Pfiff der Maschine schrillt. Jetzt kann man wie im Sommer, so auch im Winter in unser Städtchen gelangen, auf dessen Hauptstraße an Feiertagen der Stationschef, der Bahnhofstelegrafist und zugereiste Diebe herumspazieren. Jetzt sperrt der Städter vor Anbruch der Nacht Fenster und Türen zu; Pawel Iwanowitsch zum Beispiel lebt hinter acht eisernen Riegeln; den Kusjma Kusjmitsch aber fand man neulich gefesselt, mit einem Knebel im Munde im ungeheizten Zimmer liegen; es war noch ein Glück, daß sein Kater sich ihm auf den Magen gelegt und ihn so vor Erkältung errettet hatte.

Jetzt gibt es viel weniger Pelze zu kaufen, und das Brot ist teurer geworden; was aber die Invaliden betrifft, die den Polizeidienst versehen, so laufen sie zwar mit Seitengewehren herum, aber man hat nichts von ihnen (einst gab es hier statt ihrer Kalmücken in schrecklichen Mützen, mit Pfeilen und Bogen – wie die Teufel sahen sie aus!); auch der Gottesdienst in der Kirche ist nicht mehr so gemütlich: Die Eisenbahn hat in den fünfzehn Jahren allem Alten den Garaus gemacht … Unverändert blieb nur das Läuten der gegossenen Glocken und, vielleicht, noch der Schuster Terentij – ein ganz ungewöhnlicher Mensch.

An gewissen Tagen, in denen sich nur Terentij selbst auskannte, überkam ihn der Quartalsuff; und wenn der Anfall vorbei war, ging Terentij – ganz gleich ob im Sommer oder im Winter – mit seinen Angeln zum Fluß hinunter, und vor ihm her lief sein weißes Hündchen, einen kleinen Eimer mit Würmern zwischen den Zähnen. Wenn die Jungen Terentij erblickten, folgten sie ihm, um zuzuschauen, wie der Schuster Fische aß. »Der Gründling«, sagte er, wenn er einen Gründling fing, »ist ein feiner Fisch, den muß man mit Verständnis essen!« Und er nahm einen Schluck aus seinem Schnapsfläschchen und aß den Gründling lebend. Die Jungen stießen einander und zeigten mit den Fingern auf Terentijs Mund, das Hündchen beobachtete mit gespitzten Ohren das Schwimmhölzchen, Terentij aber zwinkerte mit den Augen und fuhr fort: »Ach, ich fürchte so, daß unter dem Baumstamm wieder der Wasserteufel herauskommt: Der hört's nicht gerne, wenn man am Ufer Lärm macht …« Die Jungen wußten, was über Terentij erzählt wurde, und liefen erschrocken auseinander; Terentij aber war sehr zufrieden und blieb bis zum Abend sitzen, bis auf dem Flußspiegel hinter dem gestürzten Wald das blutige Abendrot aufleuchtete und wieder erlosch. Dann stützte Terentij in der Dämmerung seinen zottigen Kopf in die Handflächen und fing an, seine Klagelieder zu singen; es hörte sich an, bald als ob er jemand riefe, bald als ob er jemand beweinte.

Wenn die Gevatterinnen, vor den offenen Haustüren stehend, diese verzweiflungsvollen Gesänge hörten, kamen sie auf Terentij zu sprechen. »Terentij heult schon wieder. Was das für ein Mensch ist!« – »Verheiraten sollte man ihn, denn er quält sich gar zu sehr!« – »Wer wird einen solchen wollen? Wißt ihr denn nicht, meine Lieben, was mit Terentij einst los war?« – »Habe wohl etwas läuten hören …« – »Wäre es nicht Abend, so hätt' ich es euch gern erzählt …« – »Hat er etwa falsches Geld gemacht? …« – »Nein, kein falsches Geld … Hört nur, wie er heult, das ist es eben …«

Die Gevatterinnen vor den offenen Haustüren kannten aber auch nicht die Hälfte der wunderbaren Geschichte, die sich mit Terentij zugetragen hatte, zu einer Zeit, als die Eisenbahn noch nicht das sumpfige Tal vor dem Walde durchschnitt; als man in unsere Stadt nur auf drei gefährlichen Fußpfaden und im Winter auf Schneeschuhen gelangen konnte; als auf dem Flusse, in den engen Gassen und in den Scheunen Dinge geschahen, von denen man am Abend lieber nicht spricht.

Terentij kam in unsere Stadt als halbwüchsiger Junge, barfuß, mit einem Sack auf dem Buckel, und führte sich als Generalssohn ein: »Väterchen hat sein Blut im Türkenkriege vergossen, und ich muß mein Leben in Unbildung fristen.«

Nach drei Jahren gründete er aber in der Quergasse ein eigenes Geschäft und hängte Stiefel, Bocklederschuhe für junge Mädchen und einfache Bauernschuhe vor die Türe. Dann ließ er sich einen blauen Kaftan nähen und freite um eine junge Witwe. Die Witwe war gar nicht abgeneigt, den Generalssohn zu nehmen, aber Terentij schloß sich plötzlich in seinem Häuschen ein, hörte zu arbeiten auf, und wenn er manchmal zur Verrichtung einer Notdurft auf der Gasse erschien, so blickte er wie ein Regenwetter drein. Die Leute suchten dahinterzukommen, was mit ihm los war, erfuhren aber nichts, außer daß er sich kurz vorher angewöhnt hatte, zum Flusse zum Fischen zu gehen. Der Fischfang kann aber einen Menschen nicht zu solcher Verzweiflung bringen; also mußte es wohl einen andern Grund haben.

Die Jahre vergingen, Terentij aber änderte sich nicht mehr – blieb immer der gleiche finstere und menschenscheue Quartalsäufer; nur daß sich in ihm das Talent offenbarte, Ungeziefer zu besprechen und lebende Gründlinge zu essen. Die Bürger hatten vor ihm wohl einige Scheu, gewöhnten sich aber doch an ihn. Und plötzlich kam alles auf einmal und auf eine höchst merkwürdige Weise heraus.

Auch jetzt noch wundern sich die Fremden (wenn einer durch die Straße geht und die Häuser anschaut, so ist's entweder ein Dieb oder ein Fremder), wenn sie, durch die Stadt schlendernd, auf Terentijs Geschäft stoßen und sein Schild sehen: Auf einem blauen Brett steht mit gelber Farbe geschrieben: »Terentij Generalow«; links davon ist ein bespornter Generalsstiefel gemalt und rechts – ein nacktes Mädel mit einem Fischschwanz. Man sollte meinen, der Schuster malt auf sein Schild etwas, was auf sein Handwerk Bezug hat: eine Ahle, oder einen Hammer, oder ein Kalb, von dem man das Chevreauleder schindet; schließlich kann er auch sich selbst mit einer Brille auf der Nase und einem Riemen um die Stirne darstellen lassen … Aber was hat so ein Mädel mit ihm zu tun? Es stellte sich aber heraus, daß das Mädel sogar sehr viel mit ihm zu tun hatte: Dieses Mädel war eben die Ursache seines seltsamen Charakters und der ganzen Geschichte, die dank dem Landpolizeimeister Ignat Dawydowitsch Tschmokin, Gott hab' ihn selig, ans Licht kam.

Ignat Dawydowitsch, ein Mann von seltener Körperfülle, hatte zwanzig Jahre lang Schnaps getrunken und war dann unmittelbar auf Tee übergegangen. Ganze Tage saß er vor dem Samowar und trank so viel, daß er mit der Zeit Milch in der Brust bekam: Wenn man nur hindrückte, kam gleich Milch heraus. Daran starb er auch zuletzt. Vor dieser Teeperiode hatte Ignat Dawydowitsch viel mit Teufeln zu kämpfen gehabt. Ungeachtet seines Polizeimeisterranges und seiner Medaillen verhöhnten ihn die Teufel auf eine schauderhafte Weise. Ignat Dawydowitsch versuchte ihnen damit Respekt einzuflößen, daß er seine Galauniform anlegte und mit den Füßen stampfte – er war nämlich der Ansicht, daß die Teufel den Behörden des Landes unterstehen, in dem sie wohnen: die russischen den russischen, die englischen den englischen – aber es half alles nichts. Sobald es Abend wird, lugt schon gleich unter einer Bank ein Schwanz oder eine zu einer Feige zusammengelegte Hand hervor; wenn er aber danach greift, ist alles gleich wieder weg; oder jemand faucht ihn im finstern Flur wie ein Kater an oder verbreitet einen Gestank durch das ganze Haus. Jeden Unfug erlaubten sich die Teufel, aber keiner von ihnen traute sich, Ignat Dawydowitsch in sichtbarer Gestalt zu erscheinen; Ignat Dawydowitsch wartete aber nur darauf. Er wandte sich an weise Frauen und an einen Zauberer, aber auch ihre Ratschläge nützten nichts.

Man machte ihm Andeutungen über Terentij. Als er sich einmal einen seiner Stiefel durchwetzte, schickte Ignat Dawydowitsch einen Polizeidiener nach dem Schuster. Der Polizeidiener brachte Terentij herbei. Ignat Dawydowitsch zog den Stiefel aus, rieb sich den eingeschlafenen Fuß im Wollstrumpf mit der Hand, gab dem Polizeidiener einen Wink, daß er sich entferne, und sagte zu Terentij: »Da hat sich der Stiefel durchgewetzt. Kannst du ihn vervollkommnen?« – »Alles kann ich«, antwortete Terentij sehr kühn, denn auch er hatte seinen Quartalsuff.

Der Quartalsuff begann bei Terentij damit, daß er sich ein Pferd mietete und in einem Kaschmirhemd weinend und singend die Straße auf- und niederritt. Dann wurde er wütend und stürzte sich mit einem Beil gegen jeden, der ihn in der Gasse ansprach oder bei ihm geschäftlich anklopfte. Nachher überkam ihn immer der Wunsch, sein Herz auszuschütten, aber das gelang ihm nie: Entweder fing plötzlich seine Backe ganz von selbst zu zucken an, so daß alle lachen mußten, oder er fiel, wo er gerade stand, hin, vor sich hinmurmelnd: »Ich habe doch immerhin eine Menschenseele, ich kann nicht so leben!« Niemand verstand diese Worte. Und das machte Terentij noch wütender. In einer solchen Verfassung kauerte er auf dem Boden vor Ignat Dawydowitsch, den durchlöcherten Stiefel in der Hand. »Kannst du denn wirklich alles?« fragte Ignat Dawydowitsch und warf einen trübsinnigen Blick durchs Fenster. Es war Winter, und im Schnee knirschte der Dreikönigsfrost. »Die Leute vergnügen sich, und ich muß mich quälen. Ich bin es ordentlich satt«, sagte er und knöpfte seinen leinenen mit Medaillen geschmückten und mit Beinknöpfen versehenen Schlafrock zu, in dem man gut drei Polizeidiener und einen Schreiber hätte unterbringen können. »Dem kann geholfen werden«, entgegnete Terentij. Dann schielte er mit einem Auge und fragte: »Ist's dunstig im Kopfe?« – »Fürchterlich! Und es wimmelt immer vor den Augen.« – »Das kenne ich auch.« – »Sei so gut, Terentij, rotte sie mir mit irgendeinem Zauberworte aus, man sagt, du bist ein großer Meister darin.« – »Meister bin ich wohl, aber auch ich quäle mich seit so vielen Jahren schon.« – »Was du nicht sagst?« – »Da hören Sie es! Und hab' sie mir selbst angehängt, und sogar nicht durch Schnaps, sondern durch Wasser!« – »Wieso, durch Wasser?« Als Terentij merkte, daß er sich verplappert hatte, schüttelte er den Kopf und verstummte. Ignat Dawydowitsch stampfte erst wütend mit den Füßen, erhob sich dann, sich gegen den Sitz mit der Hand stützend, schnupperte mit der Nase und sagte: »Da hat man eben die Pirogge aufgetragen. Also paß auf, Terentij, ich will dir die Ehre erweisen, bist ja immerhin ein Generalssohn: Komm mit mir die Pirogge essen.« Terentij überkam der Schwindel: Wer hat das je erlebt – mit dem Polizeimeister eine Pirogge essen! Er sprang sofort auf, sagte erst aus Höflichkeit dreimal nein und folgte dann Ignat Dawydowitsch aus der Kanzlei, wo sie wegen des Stiefels unterhandelt hatten, ins Eßzimmer. Im Eßzimmer aber verbreitete die Pirogge einen solchen Dunst, daß man nichts anderes sah. Der Polizeimeister setzte sich, zwirbelte seinen Schnurrbart auf, zeigte Terentij einen Stuhl und sagte: »Nun? …« »Ach«, erwiderte Terentij, »ich hab' zwar geschworen, aber Ihnen sag' ich es doch … Seit neun Jahren lebe ich mit einer Nixe wie mit einem Weibe …« Ignat Dawydowitsch hatte eben den Mund aufgerissen, um ein gar nicht kleines Stück Pirogge hineinzustopfen; als er aber diese Worte hörte, räusperte er sich, schob seinen Stuhl zurück, glotzte Terentij an und fragte: »Wa–as?!« Dann riß er den Mund noch weiter auf, kniff die Augen zusammen und fing so laut zu lachen an, daß Terentij sich sogar verletzt fühlte. »Sie lachen, Ignat Dawydowitsch«, sagte er, »ich aber muß, wenn ich einmal gestorben bin, im Flusse leben. Und das paßt mir gar nicht.« Der Polizeimeister hörte endlich zu lachen auf, bekreuzigte sich die Brust, nahm eine würdige Haltung an und rief: »Wie unterstehst du dich, du Gauner, ohne obrigkeitliche Genehmigung mit einem Lurch zusammenzuleben? Warum hast du es nicht schon früher gemeldet?« – »Weil ich mich schämte, Ignat Dawydowitsch! Würde ich denn trinken, wenn ich mich nicht schämte?« – »Wo hast du sie aufgegabelt?« – »Natürlich im Fluß, wo die Nixen leben. Beim kahlen Stein an der steilen Stelle, da wimmelt es von ihnen.« – »Weißt du irgendein Zauberwort dafür?« – »Nein, was brauchte ich ein Wort? Sie hat sich mir selbst angehängt!« »Ist also doch ein Frauenzimmer?« – »Gewiß. Bin großer Liebhaber vom Fischefangen. Ich werfe den Angelhaken mit lebendem Köder in den Fluß und warte; das Wasser ist wie leer, und plötzlich ziehe ich doch einen lebenden Mordsfisch heraus, die Hände zittern mir sogar. So rudere ich eines Abends den Fluß hinauf und singe, und hinter mir zieht sich die Angelschnur; ich konnte damals gut Romanzen singen, ist eine adlige Beschäftigung, war noch nicht ganz in Unbildung versumpft. Plötzlich gibt es einen Ruck, das Boot bleibt stehen. ›Es kann nicht sein‹, sage ich mir, ›daß es ein Fisch ist, der Haken ist wohl an einer Wurzel hängengeblieben.‹ Ich stelle mich ans Steuer, wickele mir die Schnur um die Hand, ziehe und schaue ins Wasser. Da sehe ich einen Mordsfisch auf dem Grunde den Schwanz bewegen; dann wendet er sich um und zeigt den weißen Bauch. Ich bin ganz starr. Nehme mit der linken Hand das Ruder und steuere ans Ufer. Wie der Fisch merkt, daß ich ihn so herumkriegen will, zieht er an der Schnur, und ich falle plumps! – ins Wasser. Wie ich auftauche, ist das Boot schon fortgetrieben. Ich schwimme ans Ufer, halte die Schnur fest in der Hand und fürchte nur, daß der Fisch mir die Beine wegfrißt. Bin dicht am Ufer, halte mich an einem Busch fest und hebe schon ein Knie, um herauszukommen, da kitzelt's mich aber unter den Achseln. Ich halte mich am Busch fest, lache hi-hi und ha-ha, daß mir die Tränen in die Augen kommen, und es ist mir ganz bange zumute; ich weiß ja, wer mich so kitzelt. Ich blicke mich um und sehe, wie kleine flinke Fingerchen an mir herumfahren. Hab' schon keine Kraft mehr, werde gleich in den Fluß versinken … Ein Ziegenbock hat mich gerettet, Großmutter Lukerjas, Gott hab' sie selig. Wie der sieht, daß ein Mensch im Wasser zappelt und mit wilder Stimme schreit, kommt er gelaufen, pflanzt sich am Ufer hin, senkt die Hörner und stampft mit den Hufen … Die Nixe wird sofort still; sie kann keinen Bocksgeruch vertragen. So komme ich mit Müh und Not ans Ufer und ziehe vor lauter Angst die Angelschnur nach. Wie ich mich umblicke, sehe ich auch schon den Kopf aus dem Wasser hervorgucken; wunderhübsch ist sie, hat die Brauen gehoben, und der Mund ist wie bei einem kleinen Kind. Dann kommt sie bis an die Brust aus dem Wasser, klettert ans Ufer (der Haken war ihr im Haar hängengeblieben) und ruft leise: ›Lauf nicht weg, Terentij, nimm mich zu dir!‹ Ich denke aber gar nicht ans Weglaufen! Ich steh' wie ein Narr da und starre sie an: Ganz weiß ist sie, das Haar ist wie Ruß, die Beine sind von den Knien abwärts wie Fischschwänze und hinter den Ohren hat sie kleine rote Kiemen, wie Ohrringe schauen die aus. ›Geh weg‹, sag' ich zu ihr, ›was willst du von mir? Ich bin doch kein Wasserbewohner.‹ – ›Du gefällst mir gar so sehr‹, antwortet sie und faltet die Hände: ›Nimm mich zu dir als dein Weib. Ich werde gehorsam sein.‹ Nun wird es mir natürlich finster vor den Augen; ich nehme einen Stein, werfe nach dem Bock, damit er sie nicht mehr erschrecke, ziehe den Kaftan aus, packe die Nixe und decke sie mit dem Kaftan zu; sie rollt sich zusammen wie eine Katze und blickt mir sanft in die Augen … Und ich laufe durch die Hinterhöfe zu mir nach Haus …«

Ignat Dawydowitsch hörte Terentij voller Angst zu. »Draußen war es längst finster geworden, die jungen Leute waren heimgelaufen, und wenn zu einer solchen Stunde, Gott behüte, jemand aus dem Flusse mit Fischbeinen vors Fenster kommt« … »Und wie ist sie sonst?« fragte Ignat Dawydowitsch, die Finger vor der Nase bewegend. – »Sonst ist sie ein Weib«, antwortete Terentij, »gut und still und liebt mich über die Maßen. Nur mit der Ernährung hat es einen Haken: Rohe Fische ißt sie und hat es mich auch gelehrt. Gut und friedlich lebten wir miteinander. Einmal fragte ich sie aber: ›Warum hast du kein Kreuz am Halse, Mawotschka?‹ – ›Nicht doch‹, antwortete sie, ›ich brauche keins, und wenn du mich nicht in Ruhe läßt, so weine ich.‹ Und ich fing wieder an: ›Du hast‹, sagte ich, ›Teufelsbeine. Wie soll man an einem Fischschwanz Stiefel anbringen?!‹ Sie aber lachte nur. Also ging ich hin, trank mir einen Rausch an und sah, wie tief ich gesunken war. Wie ich so betrunken nach Hause gehe, denke ich mir: Ich bring' sie um, werfe sie dann in den Fluß und erlöse meine Seele … Mawotschka aber spricht zu mir: ›Du bist gekommen, um mich umzubringen … Mich kann man gar nicht umbringen, schau mich lieber gut an.‹ Und sie zeigt sich mir in ihrer ganzen Schönheit: hebt die Brauen, wendet sich hin und her, hüllt sich bald ganz in ihr Haar, zupft mich bald am Schnurrbart und kitzelt mich mit dem Finger. Ich setzte mich auf die Bank und weinte. Nun fing sie an, mich allerlei Künste zu lehren. Aber was brauch' ich die Künste! … Alle Christenmenschen werden ins Himmelreich kommen, ich aber muß in den Fluß als König. Das Wasservolk hat einmal diese Sitte: Wenn ihr König alt wird, schicken sie eine hübsche Nixe zu den Menschen, um einen neuen König auszusuchen. Alle ihre Könige sind Menschen, kein Wassergesindel!« – »Das klingt nach Amtsanmaßung, du Schelm!« sagte darauf Ignat Dawydowitsch: »Ich werde dir! Nun, und hat dein Vieh einen Paß?« – »Einen Paß hat sie allerdings nicht, ist bei Nixen nicht üblich, Ignat Dawydowitsch.« – »Jetzt verstehe ich«, fuhr der Polizeimeister fort, »warum mir die Teufel so zusetzen – wenn es in meinem Revier solchen Unfug gibt. Jeder wird natürlich meinen, daß es mit meinem Einverständnis geschieht. Und ich habe dich noch mit der Pirogge traktiert, Terentij!« Terentij fing an zu danken und Bücklinge zu machen.

Ignat Dawydowitsch überlegte sich, ob er die Sache so gehen lassen solle (er hatte nicht Lust, sich nach der Pirogge Bewegung zu machen) oder nicht – als sich plötzlich im Finstern unter dem Tisch etwas wie ein Fischschwanz regte. Ignat Dawydowitsch griff schnell hin, packte ihn, hatte aber nichts in der Hand. Dann erhob er sich und rief: »Führe mich zu ihr, das befehle ich dir kraft meines Amts!« Terentij fügte sich der Amtsgewalt und führte den Polizeimeister durch die Straße, über der eben der abnehmende Mond aufging, zu sich nach Hause. Auf den bläulichen Schnee fiel aus den Fenstern warmer Lichtschein, und wenn irgendwo ein verschwitztes Fenster aufging und ein duseliger Kopf herausschaute, flog eine Dampfwolke heraus, vom lustigen Lachen und Stampfen der Tanzenden begleitet. »Ach, dieses ausgelassene Gesindel, wartet nur! Ich werde diesen Unfug schon abstellen«, sprach Ignat Dawydowitsch, sich an Terentijs Gürtel festhaltend, um nicht hinzufallen. »Und wenn eine Revision kommt, wie werde ich es verantworten können? Es ist ja das reinste Sodom!« Terentij aber bog in die Gasse ein, blieb vor der schneeverwehten Tür stehen, holte einen Schlüssel aus der Tasche, sperrte auf und sagte mit einem Seufzer: »Bitte, überzeugen Sie sich nur …«

Ignat Dawydowitsch klopfte sich von den Füßen den Schnee ab, neigte den Kopf, um nicht anzustoßen, trat in die Stube und setzte sich sofort bestürzt auf einen Stuhl vor der Türe. Mitten auf dem Fußboden lag auf einer weißen Filzdecke die Nixe; mit dem einen Händchen stützte sie die rosige Wange, im anderen hielt sie eine Maus. Der schmale Rücken der Nixe leuchtete beim Scheine der Deckenlampe wie eine Muschel; die zu vier Zöpfen geflochtenen schwarzen Haare fielen auf die rundlichen Schultern und auf die Decke herab, und die grünen Füße klopften leise gegeneinander. Die Nixe wandte ihr Gesicht mit den schwarzen Brauen dem Polizeimeister zu, zeigte die Zähne und fing zu lachen an, wobei die roten Kiemen hinter den Ohren sich sträubten. »Schäm dich doch! Geh hinter den Verschlag und zieh dich an«, sagte Terentij, mit der Mütze in der Hand vor dem Ofen stehend. Die Nixe erhob sich langsam von der Filzdecke, ging auf ihren Pfötchen ohne jede Scham auf den Polizeimeister zu und lachte ihm gerade in sein rundes Gesicht mit dem roten Schnurrbart. Auch Ignat Dawydowitsch lächelte, obwohl es ihn heiß überlief: und wenn sie ihn zu Tode kitzelt? »Es ist nicht erlaubt«, sagte er, »und dann überhaupt, ohne Paß …« Mit diesen Worten befreite er eine Hand vom Handschuh und tippte die Nixe vor die Brust. Die Nixe rückte näher heran und kitzelte ihm das rasierte Kinn. Ignat Dawydowitschs Züge wurden weich, er machte einen runden Mund, bereit, mit den Lippen zu schmatzen; lustige Runzeln liefen ihm über die Augen, und er war schon halb vom Stuhle gerutscht, um das flinke Mädel zu packen, als Terentij ihn plötzlich auf die Hände schlug, sich vor die Nixe hinstellte und, rot vor Wut, rief: »Rühr sie nicht an, sie gehört dir nicht! … Bemühen Sie sich hinaus …« – »Hast du mich geschlagen?« fragte Ignat Dawydowitsch. Die Nixe blickte traurig, mit krauser Stirn drein. Ignat Dawydowitsch wich zur Tür zurück. Terentij drängte ihm nach, vor Wut schnaubend und nach dem Beil schielend. Da faßte die Nixe Terentij an beiden Händen und wollte mit ihm durch die Stube tanzen … Terentij aber schrie: »Laß mich jetzt! Wenn ich es nicht tue, so macht er dir den Garaus!« Und er stieß die Nixe fort und bückte sich nach dem Beil. Die Nixe sprang zurück, drehte sich einmal durch die Stube und krallte sich in Ignat Dawydowitschs Schlafrock fest. Ignat Dawydowitsch stieß aber mit dem Fuße die Tür auf, packte die Nixe und lief mit ihr schreiend aus dem Hause. Terentij lief ihnen, das Beil in der Hand, nach, stolperte aber vor lauter Wut über das Hausgerät im Flur, und als er endlich, die Töpfe und Kübel umwerfend, herauslief und um die Straßenecke bog, sah er, wie die Nixe in der Ferne längs der Häuser, ganz blau wie ein Schatten, über den mondlichtübergossenen Schnee rannte; ihr folgte der Polizeimeister, aus der Pistole schießend und schreiend: »Halt! Halt!«

Als die angeheiterten Bürger die Schüsse und die Schreie hörten, stürzten sie zu den Fenstern und sahen den Polizeimeister zum Flusse rennen, von Terentij mit einem Beil verfolgt. Und da es in der Stadt dergleichen noch nie gegeben hatte, lief das Volk aus den warmen Stuben in den Frost hinaus, zum Flusse hinunter. Unten am Flusse sah man den Polizeimeister im offenen Pelz vor einem Loch im Eise sitzen und in das schwarze Wasser starren; ihm gegenüber aber saß Terentij, schüttelte den Kopf und weinte laut; die Tränen liefen ihm über die Wangen, und erwischte sie gar nicht ab. Beide waren dermaßen betrunken, daß man sie unter die Arme nehmen und heimführen mußte.

Der Polizeimeister schlief zwei Nächte und einen Tag durch, im Schlafe schreiend und mit den Fäusten um sich schlagend. Und als er endlich erwachte, trat er auf den Marktplatz und erklärte dem versammelten Volke, daß er einen Teufel in Gestalt eines Weibes gesehen und bis zum Flusse verfolgt habe. Das Weib sei aber tapfer ins Wasser gesprungen und hätte ihm zugerufen: »Trinke nicht!«

Ignat Dawydowitsch leistete das Gelübde, nicht mehr zu trinken, ließ einen Gottesdienst abhalten und bestellte beim Kaufmann einen Samowar von drei Eimern Inhalt, eine Kiste Tee und einen Hut Zucker, für die Festtage aber statt des Zuckers Rosinen.

Terentij aber ließ sich lange nicht sehen; die Nachbarn hörten ihn nachts heulen; wie ein Hund in einem verlassenen Hause heulte er. Und er grämte sich so lange, bis er sich das blaue Schild mit der Nixe und dem Stiefel malen ließ und sich so das Herz erleichterte.

Dies alles geschah in unserem Städtchen vor langen Jahren. Die Stadtbewohner glauben an diese Geschichte. Wie sollte man auch nicht glauben, wenn man tagtäglich sieht, wie Terentij, finster wie ein Ungewitter, mit dem Eimer und der Angel zum Flusse geht und, am Ufer sitzend, mit solch wilder Stimme heult, daß einem das Herz zerbricht.

Doch die Fremden lachen über unsere Erzählung. Jetzt lachen aber die Leute über alles: Sie haben eben keinen Glauben mehr in ihren Herzen.

 


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