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Requiem den gemordeten Brüdern

(1918, 1919 – 1924)

Requiem den gemordeten Brüdern

Großer Chor:

Senkt die roten Fahnen!
Fahnen der Freiheit!
Fahnen der Liebe!
Fahnen des Anbruchs!
Senkt sie zur Erde,
Dem blutigen Schoße
Der allumfassenden Mutter!

Eine weibliche Stimme:

Eingezwängt ins Joch der Unterdrückten,
Jahre tief umspült von Not,
Kerker der Fabriken sie umdroht,
Matten ihre Augen, die verzückten.

Nächte dumpfen in verschwitzten Stuben,
Frauen gehen schwanger wie ein welker Wind,
Welt wird taub und stumm und blind,
Siecher Tod in falben Gruben.

Eine Kinderstimme:

Traurig war von Wünschen unerfüllten,
Frühling uns und ohne Sonnenstern,
Märchenbuch und Spielzeug lag im Laden fern,
Keine Mütter, die den Hunger stillten.

Eine männliche Stimme:

Morgen kommt! Da springen auf die Zellen!
Volk der Arbeit dröhnet schweren Schritt,
Tausendfach geballter Tod geht mit,
Um den goldnen Baum zu fällen.

Eine weibliche Stimme:

Tag wird! hell umloht von leuchtender Geberde,
Lied der Freiheit tönet ans verzückte Ohr,
Mutter preist den Sohn, den sie verlor,
Daß er Dünger werd dem Acker neuer Erde.

Großer Chor:

Wir grüßen die rosigen Hügel
Befreiten Tags!
Die Ketten zersprengt!
Die Ketten zersprengt!
Brüder geleitet die Schwestern!
Beginnet das Werk!
Wir grüßen die rosigen Hügel
Befreiten Tags!

Eine männliche Stimme:

Stellet Wachen aus!
Noch ist der Sieg nicht unser,
Feind gepanzert wälzt sich gegen uns,
Giftges Gas schickt er in gelben Schwaden,
Flammen speit sein Eisenmund.

Eine weibliche Stimme:

Wehe, sie gürten sich!
Wehe, Dämmerung hüllt sie!
Wehe und Fluch dem Krieg!
Wehe dem Haß!
Mensch gegen Mensch,
Bruder mordet den Bruder,
Wehe, die zarte Blüte,
Eben geboren, erfriert.

Chor der Männer:

Sie zwingen Kampf uns auf,
Nicht Jubel grüßt den Krieg,
Die Waffe blinder Unvernunft.
Ihr Räte seid bereit
Der Arbeit Werk zu schützen.

Einige Frauen:

Wir sind so tief dem Grauenvollen abgewendet,
Der Mund verstummt, kein Siegeslied geleitet Euch.
Zerbrecht die Eisenwaffen, Männer!
Zerbrecht die Waffen der verwesten Zeit!

Wehe, sie hören nicht!
Dämmerung hüllt sie!
Wehe, das Morden beginnt!

Eine weibliche Stimme:

Verhüllet das Antlitz, Schwestern,
Ich singe ein traurig Lied.
Ich höre Eurer Männer dumpfe Schritte,
Wie Sklaven tragen sie die Hände überm Haupt,
Wie Sklaven werden vorwärts sie gestoßen,
O Schwestern,
Nacht erwürgte Licht.

Chor der Männer:
aus der Ferne

An Mauern sterben wir,
In Kerkern erschlagen von Kolben,
Aufsteht der Moloch,
Drängt sich zwischen Mensch und Mensch ...
O Tod in engen Höfen!
O Tod an Gartenzäunen!
O Tod in schwarzen Kerkern!

Eine männliche Stimme:
aus der Ferne

Hört Ihr des Bruders, des Propheten Stimme?
Von rohen Stößen wund ist sein gequälter Leib,
Sie schlagen ihn, da »Brüder!« er sie nennt,
Gemartert, angenagelt an die Erde!
Hört Ihr des Bruders, des Propheten Stimme,
Ein Stammeln ists, ein wehes Stammeln:
»Erschlagt mich doch! O, daß Ihr Menschen seid!«

Chor der Männer:
aus der Ferne

Sie haben ihn getötet.
O Tod in engen Höfen!
O Tod an Gartenzäunen!
O Tod in schwarzen Kerkern!

Großer Chor:

Senkt die roten Fahnen!
Fahnen der Freiheit!
Fahnen der Liebe!
Fahnen des Anbruchs!
Senkt sie zur Erde,
Dem blutigen Schoße
Der allumfassenden Mutter!

Eine weibliche Stimme:

O niemand, der uns trösten kann,
O niemand, dessen milde Worte
Die große Trauer sanfter bettet.

Chor der Frauen:

Ihr Schwestern, käme Tod uns zu erlösen!
Wir ewigen Opfer, ewige Verlorne!

Chor der Jugend:

Ihr littet tiefe Trauer,
Ihr vergrämten Frauen,
Doch unsre Stimmen seien Trost,
Fanfaren rufen sie Euch zu:
Verzaget nicht!
Neuer Tag wird Nacht verdrängen,
Pflugschar pflügt die Knechtschaft nieder!
Schmerzensreiche, wunde Frauen,
Denkt in schwesterlicher Trauer
Aller Brüder,
Die Barbarengeist der Zeit
In tausend Tode trieb.

Eine weibliche Stimme:

Selig sind, die guten Willens starben!

Chor der Frauen:

Requiescant in pace!

Großer Chor:

Senkt die roten Fahnen!
Fahnen der Freiheit!
Fahnen der Liebe!
Fahnen des Anbruchs!
Senkt sie zur Erde,
Dem blutigen Schoße
Der allumfassenden Mutter.


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