Ernst Toller
Hoppla, wir leben!
Ernst Toller

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Dritter Akt

Erste Szene

Kleines Zimmer

Student liest – Es klopft

Student. Wer ist da?

(Ein tritt Graf Lande.)

Graf Lande. Na, was sagen Sie zum neuen Präsidenten?

Student. Sicher hat er die besten Absichten.

Graf Lande. Was nützt das uns ... Kilman ist Minister geblieben.

Student. Wirklich?

Graf Lande. Haben Sie eine Zigarette? ... Unser Frontbund soll aufgelöst werden.

Student. Was? Was sagen Sie?

Graf Lande. Kilman ...

Student. Da muß doch etwas geschehen. Immer reden wir von der großen Tat ...

Graf Lande. An der Tür kann niemand horchen?

Student. Nein ... Was haben Sie?

Graf Lande. Hier.

Student. Die Entscheidung?

Graf Lande. Lesen Sie. (Gibt Student ein Papier.)

Student. Ich und Leutnant Frank?

Graf Lande. Sie beide.

Student. Wann?

Graf Lande. Kann ich nicht sagen. Sie haben jede Stunde bereit zu sein.

Student. Wie rasch das kam.

Graf Lande. Zögern Sie? Haben Sie sich nicht zweimal freiwillig gemeldet? Können Sie vergessen, daß der gleiche Kilman, der vor acht Jahren an die Mauer gestellt werden sollte, heute als Minister das Vaterland verrät?

Student. Zögern – nein. Es geht mir gegen das Gefühl, auf die Tat zu warten.

Graf Lande. Kandarre sich anlegen, basta. Sie haben den Treueid geleistet die vaterländische Sache hat Sie ausgebootet, jetzt heißt's richtig vor Anker gehen.

Student. Und wenn wir umstellt werden, gehetzt gejagt ... vor verschlossenen Grenzen?

Graf Lande. Erstens ist das noch zweifelhaft ... Wenn Sie in eine Sackgasse geraten, wird man Ihnen helfen. Erreichen Sie die Grenze, gut. Erreichen Sie sie nicht ... Sie müssen das Opfer bringen ... Im übrigen brauchen Sie nicht daran zu zweifeln, daß die Richter Vernunft haben und für Ihre Motive volles Verständnis zeigen werden.

Student. Darf ich einen Brief für meine Mutter zurücklassen?

Graf Lande. Ausgeschlossen. Die nationale Sache darf nicht von Zufällen abhängen. Ich kenne die feigen Kompromißler in unseren Reihen. Die würden uns aus politischer Taktik glatt preisgeben.

Student. Ich verstehe so wenig von Politik. Ich habe auch den Krieg nicht draußen mitgemacht. Ich wurde Soldat, einen Monat später brach alles zusammen. Ich hasse die Revolution, wie ich nie etwas gehaßt habe. Seit einem Tag. Mein Onkel war General. Wir Jungens haben ihn verehrt wie einen Gott. Zuletzt hat er ein Armeekorps geführt. Drei Tage nach der Revolution, ich sitze bei ihm, klingelt's. Fletzt ein Gemeiner herein. »Ich bin Soldatenrat. Man hat uns gemeldet, Herr General, Sie provozierten das Volk auf der Straße mit Ihren goldenen Achselstücken. Heute gibt's keine Achselstücke mehr. Wir haben alle nackte Schultern.« Mein Onkel stand kerzengrade. »Ich soll meine Achselstücke abliefern?« – »Jawohl.« Mein Onkel nimmt den Degen, der auf dem Tisch liegt, zieht ihn aus der Scheide. Ich erschrecke mächtig. Schiebe mich näher, daß ich ihm beistehen kann, da sehe ich, wie der Alte einmal ganz trocken hustet, in seinen Augen was Feuchtes. »Herr Soldatenrat, vierzig Jahre habe ich den Rock meines Obersten Kriegsherrn in Ehren getragen. Ich habe einmal erlebt, wie einem Unteroffizier die Tressen abgerissen wurden zu Schimpf und Schande. Was Sie heute von mir verlangen, ist das Niedrigste, das jemand von mir verlangen kann. Wenn ich den Rock nicht mehr in Ehren tragen soll, hier ...« Und dabei bog der Alte den Degen, zerbrach ihn und warf ihn dem Soldatenrat vor die Füße. Der Soldatenrat war Herr Kilman ...

Graf Lande. Dieser Hund ...

Student. Am nächsten Tag hat sich mein Onkel erschossen. Auf einem Zettel, den er zurückließ, standen die Worte: »Ich kann die Schande unseres geliebten Vaterlandes nicht überleben. Möge mein Tod dem verhetzten Volk die Augen öffnen.«

Graf Lande. Meine Karriere ist auch futsch. Was sind wir heute im Vergleich zu dem Gesindel? Steigbügelhalter. Und in der Gesellschaft immer siebzehn Kilometer hinter den Geldprotzen ... Wir werden Ihren Onkel rächen. Der Laden muß geschmissen werden. (Dunkel.)

Zweite Szene

Schema zur 2. Szene

Schema zur 2. Szene

Man sieht: Fassade des Grand Hotels Die vordere Wand öffnet sich Man sieht: Räume des Grand Hotels
Dunkel
Auf leuchtet

Das Vestibül

Tanzende Paare
Dunkel Zwischen den einzelnen Szenen sieht man Momente das Vestibül. Hört Jazzband
Auf leuchtet

Dienstbotenzimmer

Karl Thomas in Kellnerkleidung sitzt am Tisch. Durch die Tür schaut Frau Meller

Frau Meller. Hier, Jung, ein Beefsteak. Es kam zurück vom Zimmer. Ich hab's rasch aufgewärmt.

Karl Thomas. Dank' schön, Mutter Meller. Ich hab' grad noch fünf Minuten Zeit. Um acht Uhr beginnt mein Dienst.

Frau Meller. Ich muß auch wieder in die Küche zum Aufwaschen... Wie siehst du aus? Ich hätte dich wahrhaftig nicht erkannt. Zehn Jahre jünger. Aber Karl, Karl, warum lachst du immer?

Karl Thomas. Nicht erschrecken, Mutter Meller. Brauchst keine Angst zu haben, daß ich wieder verrückt werde. Auf allen Stellen, wo ich mich um Arbeit bewarb, fragten mich die Chefs: »Mensch, was haben Sie für eine Leichenbittermiene? Sie scheuchen uns die Kunden fort. In unserer Zeit muß man lachen, immer lachen.« Da ging ich denn, weil 's Verjüngen nur ein Sport der reichen Leute ist, zu einem Schönheitskünstler. Hier, die neue Fassade. Bin ich nicht zum Anbeißen?

Frau Meller. Ja, Karl. Du wirst den Mädchen imponieren. Es war mir unheimlich zuerst... Was die alles verlangen. Nächstens wird man sich im Kontrakt verpflichten müssen, zehn Stunden zu lachen beim Schuften... Na, iß jetzt, Jung. Ich muß in die Küche zurück.

Dunkel
Auf leuchtet

Separé

Herein Bankier, sein Sohn, Oberkellner, Pikkolo

Bankier. Alles bereit?

Oberkellner. Hier das Gedeck. Wünschen Herr Generaldirektor Änderungen.

Bankier. Gut. Mir persönlich bringen Sie etwas Leichtes, ich darf nichts Schweres essen, mein Magen... Vielleicht Brühe, ein wenig Hühnerfleisch, Kompott, aber ungezuckert.

Oberkellner. Zu dienen, Herr Generaldirektor.

(Die Kellner hinaus.)

Sohn. Ich zweifle noch.

Bankier. Warum soll man nicht den Weg über die Frau kutschieren? Ein Versuch, was liegt daran?

Sohn. Sie soll die pure Einfachheit sein. Neulich hat sie beim Regierungsbankett aus ihrer Köchinnenepoche Geschichten erzählt.

Bankier. Das Gesicht von Kilman hätte ich sehen mögen... Mein Lieber, man hört nicht ungestraft jeden Tag Exzellenz hin und Exzellenz her. Ja, wenn's noch Grafentitel und Orden gäbe... Heute ist die einzige Fundierung Geld. Hat einer die ersten Hunderttausend, hängt er den Idealismus an den Hutständer. Beruhige dich, er bekommt sein Konto, und ich bekomme die billigen Staatskredite.

Sohn. Also wie du meinst.

(Herein Wilhelm Kilman und Frau, begleitet vom Oberkellner und vom Kellner Karl Thomas, der beiden die Überkleidung abnimmt.)

Bankier. Guten Abend, Herr Minister. Freut mich riesig, gnädige Frau.

Wilhelm Kilman. Aufgefressen wird man im Dienst. Die Leute stellen sich immer vor, man säße im Klubsessel und rauchte dicke Zigarren. Entschuldigen Sie, daß ich mich verspätet habe. Ich mußte den mexikanischen Gesandten empfangen.

Bankier. Wir können wohl beginnen.

(Alle setzen sich an den Tisch. Oberkellner bringt Speisen, Karl Thomas hilft.)

Frau Kilman. Was liegt da neben meinem Teller?

Bankier. Ein petit rien, gnädige Frau. Ich habe mir erlaubt, Ihnen eine Rose mitzubringen.

Frau Kilman. Eine Rose? Aber ich sehe ein Etui ... Aus Gold? ... Mit Perlen besetzt? ...

Bankier. Hier öffnet man ... Dieser Knopf ... Sehn Sie, die Rose ... La France ... Meine Spezialrose. Ich hoffe, auch Sie lieben die Sorte ...

Frau Kilman. Herr Generaldirektor, wirklich, sehr freundlich, ich kann es nicht annehmen. Was soll ich auch damit anfangen?

Wilhelm Kilman. Aber Herr Generaldirektor ...

Bankier. Lieber, bester Herr Minister, machen Sie doch kein Aufhebens. Ich habe da gestern auf einer Auktion drei von diesen Dingern erstanden, achtzehntes Jahrhundert, Louis quatorze, ob ich nun zwei oder drei besitze.

Frau Kilman. Sie sind so nett. Wir danken Ihnen für Ihre Freundlichkeit, bitte, nehmen Sie das Etui zurück.

Wilhelm Kilman. Sie kennen die bösen Zungen. Man muß selbst den Anschein vermeiden.

Bankier. Ich bedaure unendlich, daß ich daran nicht gedacht ...

Wilhelm Kilman. Also trinken wir auf das Kompromiß. Emma, bitte, nimm die Rose. Wie sie duftet, diese La France. Besser als die wirkliche, hahaha ... Das Etui werden wir, wenn wir Sie besuchen, in Ihrer Vitrine bewundern.

Bankier. Auf ihr Wohl, gnädige Frau. Ihr Spezielles, Herr Minister ... Kellner, bringen Sie Mouton Rotschild, einundzwanziger ...

Karl Thomas. Jawohl, mein Herr.

 

Dunkel
Auf leuchtet

Radiostation

Telegraphist. Kommen Sie endlich? Ich habe schon dreimal geläutet.

Karl Thomas. Ich war unten beschäftigt.

Telegraphist. Hier das Telegramm für Minister Kilman. Es wurde auf Befehl des Ministeriums hierhergeleitet.

Karl Thomas. Man hört wirklich die ganze Erde hier?

Telegraphist. Ist Ihnen das was Neues?

Karl Thomas. Wen hören Sie jetzt?

Telegraphist. New York. Große Überschwemmung am Mississippi gemeldet.

Karl Thomas. Wann?

Telegraphist. Jetzt, in dieser Stunde.

Karl Thomas. Während wir sprechen?

Telegraphist. Ja, während wir sprechen, durchbricht der Mississippi die Dämme, flüchten die Menschen.

Karl Thomas. Und was hören Sie jetzt?

Telegraphist. Ich habe auf Welle tausendeinhundert eingestellt. Ich höre Kairo. Die Jazzkapelle des Mena House, dem Hotel bei den Pyramiden. Sie spielt zum Diner auf. Wollen Sie mal hören? Ich werde den Lautsprecher einschalten.

Lautsprecher. Achtung! Achtung! Alle Radiostationen der Welt! Der neue Schlager »Hoppla, wir leben!«.

(Man hört Jazzmusik.)

Telegraphist. Sie können sie auch sehen.

(Auf Scheibe sichtbar Restaurant vom Mena House. Damen und Herren dinieren.)

Karl Thomas. Kann man auch den Mississippi sehen?

Telegraphist. Bitte. Wo waren Sie denn, daß Sie sich anstellen wie ein Säugling?

Karl Thomas. Ach, ich lebte nur auf einem ... Dorf die letzten Jahre.

Telegraphist. Hier.

Lautsprecher. Achtung! Achtung! New York. Zahl der Toten. Achttausend. Chicago bedroht. Weiterer Bericht folgt in drei Minuten. (Auf der Scheibe sichtbar Szene beim Dammbruch)

Karl Thomas. Unfaßlich! In dieser Sekunde ...

Lautsprecher. Achtung! Achtung! New York. New York. Royal Shell 104, Standard Oil 102, Rand Mines 116.

Karl Thomas. Was ist das?

Telegraphist. Die New Yorker Börse. Petroleum ist angeboten ... Ich schalte um. Letzte Nachrichten aus aller Welt.

Lautsprecher. Achtung! Achtung! Aufruhr in Indien ... Aufruhr in China ... Aufruhr in Afrika ... Paris Paris Houbigant, das mondäne Parfüm ... Bukarest Bukarest Hungersnot in Rumänien ... Berlin Berlin Die elegante Dame bevorzugt grüne Perücken ... New York New York Die größten Bombenflugzeuge der Welt erfunden. Imstande Europas Hauptstädte in einer Sekunde in Schutt zu verwandeln ... Achtung! Achtung! Paris London Rom Berlin Kalkutta Tokio New York Der Kavalier trinkt Mumm Extra Dry ...

Karl Thomas. Genug, genug. Stellen Sie ab.

Telegraphist. Ich schalte um.

Lautsprecher (man hört Hetzrufe). He, he, he! Feste, feste, feste! ... Er schwimmt! ... Schiebung! (Eine Glocke.) Er kommt los! ... MacNamara, Tonani! Mac-Namara! ... Eviva, Eviva ...

Telegraphist. Sechstagerennen in Mailand ... Jetzt höre ich was Interessantes. Das erste Passagierflugzeug New York-Paris funkt, daß einen Passagier Herzkrämpfe beuteln. Es ersucht um Verbindung mit Herzspezialisten. Man will ärztlichen Rat. So, jetzt hören Sie den Herzschlag des Patienten.

(Man hört aus dem Lautsprecher Schläge eines Herzens. Sieht auf der Fernscheibe: Das Flugzeug über dem Ozean. Den Patienten.)

Karl Thomas. Eines Menschen Herzschlag, mitten über dem Ozean ...

Telegraphist. Feine Sache.

Karl Thomas. Wie wundervoll ist das alles! Und was machen die Menschen damit ... Sie leben wie Hammel, tausend Jahre hinterdrein.

Telegraphist. Wir werden's nicht ändern. Ich hab' ein Verfahren erfunden, wie man aus Kohle Petroleum macht. Abgekauft haben sie mein Patent für eine Handvoll Papierfetzen und dann, was haben sie getan? Vernichtet! Die Herren Ölmagnaten ... Sie müssen jetzt gehen. Das Telegramm ist dringend. Wer weiß, was morgen ist. Vielleicht gibt's Krieg.

Karl Thomas. Krieg?

Telegraphist. Vorläufig dienen diese Apparate dazu, damit die Menschen sich desto raffinierter totschlagen. Was ist der Clou der Elektrizität? Der elektrische Hinrichtungsstuhl. Es gibt Maschinen mit elektrischen Wellen, wenn man die in London einschaltet, würde morgen Berlin ein Haufen Trümmer sein. Wir werden's nicht ändern. Los, beeilen Sie sich.

Karl Thomas. Jawohl.

Dunkel
Auf leuchtet

Klubzimmer

Diskussionsabend der Gruppe der geistigen Kopfarbeiter

Der Philosoph X. Ich komme zum Schluß: Wo Qualität fehlt, ist der Quantität nichts entgegenzusetzen. Also lautet mein Gebot: Es heirate niemand unter seinem Niveau. Es trachte vielmehr jeder, seine Nachkommenschaft, durch geeignete Gattenwahl, auf ein höheres Niveau, als er selbst innehat, hinaufzuheben. Was aber trieben wir, meine Herren? Nichts als negative Zuchtwahl. Die unterste, meine Herren, die unterste Bedingung jeder Eheschließung sollte Ebenbürtigkeit sein. Vertrauen wir dem Instinkt. Aber leider ist der Instinkt seit Jahrhunderten vereinseitigt, so daß es nicht leicht sein wird, vor mehreren Generationen, also in etwa zweihundert Jahren, Besseres neu emporzuzüchten.

Der Lyriker Y. Wo steht das bei Marx?

Der Philosoph X. Ich schließe: Die Instinkte müssen verfeinert und durchgeistigt werden, sie müssen vom Brutal-Vitalen immer mehr dem Schlechthin-Überlegenen zustreben.

Der Lyriker Y. Wo steht das bei Marx?

Der Philosoph X. Nur so ist der arg gesunkenen weißen Rasse wieder aufzuhelfen. Nur so kann sie höhere Blüten zeitigen als vorher. Ja, woran erkennt man denn, wird mancher fragen, ob einer guten Blutes ist? Ja, wer das bei sich und anderen, aber bei sich vor allem, nicht beurteilen kann, dem ist nicht zu helfen. Der ist so instinktlos geworden (zum Lyriker Y gewandt), daß ich ihm persönlich nur dringend das Aussterben anraten kann. Das ist ja das Große an meiner Akademie der Weisheit, daß sie weise macht, daß sie diejenigen, die früher frischfröhlich fortgezeugt haben, zur Erkenntnis führt, freiwillig auszusterben. Geschieht dies nun konsequent, dann wird auch auf diesem Gebiet das Böse durch Gutes einmal überwunden sein.

Rufe. Bravo! Bravo! Zur Geschäftsordnung!

Vorsitzender. Der Lyriker Y hat das Wort.

Der Lyriker Y. Meine Herren. Wir sind hier versammelt als geistige Kopfarbeiter. Ich möchte doch die Frage stellen, ob das Thema, über das Herr Philosoph X gesprochen hat, unserer Aufgabe, das Proletariat geistig zu erlösen, dient. Bei Marx ...

Der Kritiker Z. Protzen Sie nicht immer damit, daß Sie Marx gelesen haben.

Der Lyriker Y. Herr Vorsitzender, ich ersuche Sie, mich zu schützen. Jawohl, ich habe Marx gelesen, und ich finde, der ist gar nicht so dumm. Gewiß fehlte ihm der Sinn für jene neue Sachlichkeit, die wir ...

Vorsitzender. Sie dürfen nicht zur Tagesordnung sprechen. Ich entziehe Ihnen das Wort.

Der Lyriker Y. Dann kann ich ja gehen. Lecken Sie mich am Arsch! (Geht.)

Rufe. Unerhört! Unerhört!

Der Philosoph X. Ein Lyriker ...

Der Kritiker Z. Man sollte ihn zum Psychoanalytiker schicken. Nach der Analyse wird er aufhören zu dichten. Nichts als verdrängte Komplexe, die ganze Lyrik.

(Pickel kommt herein.)

Pickel. Zwar glaube ich ... jedoch, bin ich hier im Hotel »Zum grünen Baum«? ...

Vorsitzender. Nein. Geschlossene Gesellschaft.

Pickel. Geschlossen? ... Zwar glaubt' ich, der »Grüne Baum« ... jedoch ...

Ruf. Stören Sie nicht.

Pickel. Danke gütigst, mein Herr. (Geht.)

Vorsitzender. Was wünschen Sie, Herr Philosoph X?

Der Philosoph X. Ein kurzes Postskriptum, meine Herren. Exempel beweisen. Der Herr Lyriker Y bezweifelt den Kausalzusammenhang mit der Aufgabe, die wir uns gestellt haben, das Proletariat geistig zu erlösen. Ungebrochene Instinkte finden sich heute einzig in den sozialen Niederungen. Fragen wir einen Proletarier, fragen wir den Kellner, ich werde den Beweis für meine Theorie erbringen.

Rufe. Kellner! Kellner!

(Karl Thomas mit einem Tablett, darauf Flaschen und Gläser, erscheint.)

Karl Thomas. Gleich kommt der Oberkellner.

Rufe. Sie sollen bleiben.

Karl Thomas. Ich habe unten Dienst, meine Herren.

Der Philosoph X. Hören Sie zu, Genosse Kellner, junger Proletarier. Würden Sie mit der ersten besten Frau, die Ihnen begegnet, den Koitus, den geschlechtlichen Verkehr, vollziehen oder würden Sie erst Ihren Instinkt zu Rate ziehen?

(Karl Thomas lacht auf.)

Vorsitzender. Sie haben nicht zu lachen. Die Frage ist ernst. Außerdem sind wir Gäste und Sie Kellner.

Karl Thomas. Ah, erst Genosse Kellner und jetzt den Herrn markieren. Ihr ... Ihr wollt das Proletariat erlösen? Hier im Grand Hotel, was? Wo wart Ihr, als es losging? Wo werdet Ihr sein? Wieder im Grand Hotel! Eunuchen!

Rufe. Unerhört! Unerhört!

(Karl Thomas geht.)

Der Philosoph X. Kleinbürgerlicher Ideologe!

Vorsitzender. Wir kommen zum zweiten Punkt der Tagesordnung. Die proletarische Gemeinschaft der Liebe und die Aufgabe der Geistigen.

Dunkel
Auf leuchtet

Separé

Bankier. Wo bleiben Sie denn mit dem Likör, Kellner?

Karl Thomas. Verzeihen der Herr, ich wurde aufgehalten.

Bankier. Reichen Sie Zigarren. Rauchen Sie Zigaretten, gnädige Frau?

Frau Kilman. Danke, nein.

Wilhelm Kilman. Dieses Telegramm treibt den Konflikt auf die Spitze. Uns die Ölkonzessionen zu verweigern!

Bankier. Nur gut, daß ich mit richtigem Riecher meinen Kunden geraten habe, die Türkenpakete abzustoßen ... Wie legen Sie eigentlich Ihr Geld an, Herr Minister?

Wilhelm Kilman. Pfandbriefe, hahaha. Ich werde mich hüten zu spekulieren.

Bankier. Wer spricht von Spekulieren? Sie haben schließlich Verpflichtungen, haben zu repräsentieren. Ein Mann mit Ihren Gaben muß sich unabhängig machen.

Wilhelm Kilman. Als Staatsbeamter muß ich ...

Bankier. Daneben sind Sie doch Privatmann. Was gibt Ihnen denn der Staat? Die paar Batzen. Warum nützen Sie Ihre Kenntnisse nicht aus? Wehren Sie nicht ab, sogar ein Bismarck, ein Disraeli, ein Gambetta haben nicht verschmäht ...

Wilhelm Kilman. Wenn auch ...

Bankier. Ich will Ihnen ein Beispiel sagen. Der Ministerrat beschloß, die Reportgelder einzuschränken.

Da verkaufen Sie rechtzeitig Ihre Papiere. Und wer kann Ihnen einen Vorwurf machen, wenn Sie etwas mehr verkaufen? Es braucht ja nicht unter Ihrem Namen zu geschehen.

Wilhelm Kilman. Hören Sie auf damit ...

Bankier. Es würde mir eine Ehre sein, Sie zu beraten. Sie wissen, daß Sie mir vertrauen können.

Wilhelm Kilman. Kellner, wo findet die Pressekonferenz statt?

Karl Thomas. Im Schreibsaal.

Wilhelm Kilman. Ist Herr Baron Friedrich unten?

Karl Thomas. Jawohl.

Wilhelm Kilman. Sagen Sie dem Herrn Baron, ich erwarte ihn um Mitternacht im Ministerium.

(Pickel herein.)

Pickel. Wenn ich hier recht bin ... Ich möchte nämlich ... Zwar die Preise ... jedoch ...

Bankier. Wer ist der Mensch?

Pickel. Ach, Herr Minister ...

Wilhelm Kilman. Ich habe keine Zeit. (Dreht sieh um.)

Pickel. Das habe ich nicht von Ihnen erwartet, Herr Minister! Haben wir Sie nicht zum Minister gemacht? ... Zwar wenn auch bei der Präsidentenwahl meine Stimme ... Jedoch Minister, den Posten haben Sie mir zu verdanken ... (Geht.)

Dunkel
Auf leuchtet

Schreibsaal

Journalisten schreibend. Karl Thomas an der Tür

Baron Friedrich. Meine Herren, was früher die Aufgabe der Geschichtsschreiber war, die Handlungen, die die Staatsräson erfordert, als einzigen Ausweg, als sittliche Notwendigkeit darzustellen, ist jetzt die Ihre. In dieser schweren Zeit unseres Vaterlandes darf die Regierung erwarten, daß über alle Parteikämpfe hinweg jede Zeitung ihre Pflicht erfüllt. Wir suchen den Krieg nicht. Betonen Sie das immer wieder, meine Herren. Die sogenannten Sanktionen, die man uns geben will, sind besser nicht zu erwähnen. Wir wünschen den Frieden. Aber einmal reißt auch unsere Geduld, meine Herren, wenn das Prestige unseres Staates angetastet wird.

Karl Thomas. Verzeihen, Herr Baron.

Baron Friedrich. Was gibt's?

Karl Thomas. Der Herr Minister wünscht, daß Sie um Mitternacht ...

Dunkel
Auf leuchtet

Hotelzimmer Nr. 96

Graf Lande. Ich sah deutlich, wie du mit der Blondine am Nebentisch äugtest.

Lotte Kilman. Hast du Angst, daß ich dich mit ihr betrüge?

Graf Lande. Mich degoutieren diese Geschichten.

Lotte Kilman. Vielleicht degoutiert ihr Männer mich. Vielleicht werdet ihr mir nachgerade langweilig.

Graf Lande. Aber Schatz ...

Lotte Kilman. Zärtlich im Bett können nur Frauen sein. Ich leugne es nicht, ich möchte die kleine Puppe verführen.

Graf Lande. Du bist betrunken.

Lotte Kilman. Das wäre ich vielleicht, wenn du spendabler gewesen wärst.

Graf Lande. Lassen wir uns noch eine Flasche Cordon rouge bringen.

Lotte Kilman. Bitte. Die kleine Blonde wär' mir lieber oder Koks.

Graf Lande. Deck dich zu. Ich klingle dem Kellner.

Dunkel

 

Auf leuchtet

Office und Dienstbotenzimmer

Beim Abendbrot sitzen Oberkellner, Karl Thomas, Hausdiener, Pikkolo

Oberkellner. Beim Rennen in Paris hat Mussolini den ersten Preis bekommen. Vollblut. Dreijährig.

Hausdiener. Sieg zweihundert, Platz vierundachtzig.

(Kellner herein.)

Kellner. Dreimal Entrecôtes.

Oberkellner (durchs Klappfenster zur Küche rufend). Dreimal Entrecôtes... Haben Sie wieder gesetzt?

Hausdiener. Natürlich. Von dem Zaster hier kann man nicht fett werden.

Kellner (herein). Sechsmal Suppe Oxtail, Madeira double.

Oberkellner. Sechsmal Oxtail, Chef soll doppelt Madeira 'rein tun.

Karl Thomas. Wonach schmeckt denn die Suppe?

Hausdiener. Du willst wohl à la carte speisen?

Kellner (herein). Zwei Dutzend Austern.

Oberkellner. Zwei Dutzend Austern.

Karl Thomas. Ich verlange keine Austern, aber den Fraß... Warum tut der Betriebsrat nichts?

Hausdiener. Weil er in Ellenbogenfühlung bleiben muß mit dem Hoteldirektor. Mir ist alles wurscht. Ich erwarte von niemand nichts. Alles ein Leisten. Vor der Inflation habe ich mir jede Woche eine Mark gespart. Immer wenn ich zehn hatte, ging ich auf die Bank und ließ mir einen Goldfuchs geben. Sonntags putzte ich ihn blank, und Montag trug ich ihn auf die Sparkasse. Sechshundert Wochen hab' ich gespart. Zwölf Jahre. Und was bekam ich zu guter Letzt? Einen Dreck! Siebenhundert Millionen. Nicht eine Schachtel Zündhölzer konnte ich mir dafür kaufen... Unsereiner ist immer der Angeschmierte.

Oberkellner. Feine Zeche heute im Separé.

Karl Thomas. Feiner Volksminister.

Oberkellner. Davon verstehen Sie nichts. Wenn er mit dem Bankier speist, wird er wohl seine Gründe haben. Sonst wäre er kein Minister.

Pikkolo. Oben der Herr von hunderteins kneift mich immer in den Popo.

Oberkellner. Tu nur nicht so, du. Du weißt, wo's was zu holen gibt. (Es klingelt.) Welche Nummer?

Pikkolo. Sechsundneunzig.

Oberkellner. Karl, gehen Sie nach oben. Der Etagenkellner vertritt mich.

Dunkel
Auf leuchtet

Flur

Pickel (an der Treppe). Da steht man nun... Zwar glaubt man... man fährt zwei Tage auf der Eisenbahn... man freut sich sein ganzes Leben darauf... in Holzhausen dachte ich, oben... da würde man doch die Menschen verstehen, aber oben ist's genauso wie mit der Eisenbahn, wie mit dem Grundstück... die Atmosphäre... (Karl Thomas geht vorüber.) Herr Kellner! Herr Kellner!

Karl Thomas. Keine Zeit.

Pickel. Keine Zeit...

Dunkel
Auf leuchtet

Zimmer Nr. 96

Es klopft. Karl Thomas herein

Graf Lande. Wo bleiben Sie so lange? Wirtschaft. Eine Flasche Cordon rouge. Gut gekühlt.

Dunkel

Auf leuchtet

Gesindezimmer

Karl Thomas sitzt allein am Tisch, den Kopf in Händen vergraben. Frau Meller öffnet leise die Tür

Frau Meller. Müde, Jungchen? (Karl Thomas rührt sich nicht!) Es strengt an den ersten Tag.

(Karl Thomas springt auf, reißt sich die Krawatte vom Hals, zieht den Frack aus, wirft ihn in eine Ecke.)

Karl Thomas. Da und da und da!...

Frau Meller. Was tust du?

Karl Thomas. Wach bin ich, so wach, daß ich fürchte, nie mehr einzuschlafen.

Frau Meller. Beruhige dich doch, Karl, beruhige dich.

Karl Thomas. Beruhigen? Nur ein Lump beruhigt sich. Sag jetzt Narr, wie Albert zu mir gesagt hat. Ich habe mir vorgenommen, mich zu gedulden. Einen halben Tag war ich hier. Ich hab' den Alltag gesehen, im Frack und im Nachthemd. Ihr schlaft! Ihr schlaft! Aufwecken muß man euch. Ich pfeife auf eure Vernunft! Wenn die Klugen aussehen wie ihr, will ich den Narren spielen! Euch alle muß man wecken!

(Es klingelt. – Pause.)

Frau Meller. Karl...

Karl Thomas. Mag der Teufel sie bedienen!

(Es klingelt.)

Frau Meller. Separé.

Karl Thomas. Separé?... Kilman?... Gut, ich gehe.

(Zieht sich hastig an.)

Frau Meller. Ich komme gleich wieder. Wir sprechen miteinander, Karl. (Hinaus.)

Karl Thomas (betrachtet Sekunden seinen Revolver). Dieser Schuß wird alle wecken!

Dunkel

Auf leuchtet

Zimmer Nr. 96

Es klopft leise

Graf Lande. Sofort.

Dunkel
Auf leuchtet

Halbdunkler Korridor

Student. Wo?

Graf Lande. Im Separé. Wer geht hinein?

Student. Wir haben gelost. Ich. Leutnant Frank wartet im Auto.

Graf Lande. Haben Sie den Kellnerfrack an?

Student (öffnet den Mantel). Ja.

Graf Lande. Hals- und Beinbruch. Jetzt rasch. Man darf Sie nicht verhaften. Haben Sie Pech, dann... Sie dürfen keine Aussagen machen... Hüten Sie sich.

Student. Ich habe mein Ehrenwort gegeben.

Dunkel

Auf leuchtet

Separé

Wilhelm Kilman. Großartig, dieser Witz, großartig. Schauen Sie nur meine Frau an. Wie rot sie wird. Dabei versteht sie nichts, hahaha.

Bankier. Kennen Sie den von Herrn Meyer im Eisenbahnkupee?

Wilhelm Kilman. Erzählen Sie.

(Herein Karl Thomas.)

Bankier. Endlich der Kellner. Noch eine Flasche Kognak... Was stehen Sie? Was schauen Sie mich an? Haben Sie nicht verstanden?

Karl Thomas. Du kennst mich nicht?

Wilhelm Kilman. Wer sind Sie?

Karl Thomas. Nenn mich getrost Du. Als wir aufs Massengrab warteten, standen wir nicht auf Sie. Du schämst dich wohl meiner Bekanntschaft?

Wilhelm Kilman. Sie sind's... Reden Sie nicht wirres Zeug. Kommen Sie morgen ins Ministerium.

Karl Thomas. Du wirst dich heute verantworten.

Wilhelm Kilman (zum Bankier). Lassen Sie. Ein Phantast, den ich von früher kenne. Durch eine romantische Episode seiner Jugend aus dem Geleis geworfen. Findet keinen festen Halt mehr.

Karl Thomas. Ich warte auf Antwort.

Wilhelm Kilman. Wozu? Was begreifen Sie? Was begreifst du? Soll ich dir von neuem erzählen, daß die Zeiten sich geändert haben. Eher verfluchst du die Welt, als deine unsinnigen Forderungen preiszugeben, eher verfluchst du die Menschen, die sie ein Stück vorwärtsbringen wollen.

Karl Thomas. Du...

Wilhelm Kilman. Bitte laß Phrasen, sie wirken nicht.

Bankier. Soll ich nicht lieber den Hoteldirektor rufen?

Wilhelm Kilman. Um Gottes willen keine Szene.

Bankier. Beruhigen Sie sich doch, Herr Kellner. Es geht Ihnen schlecht, ja? Hier, nehmen Sie zehn Mark.

Wilhelm Kilman. Darf ich zehn Mark zulegen?

(Karl Thomas, der mit der einen Hand den Revolver in der Tasche umkrallt, sieht fassungslos auf das Geld, zuckt, angewidert, die Schultern, so als wenn er der Tat müde wäre, und will sich umdrehen.)

Karl Thomas. Es lohnt sich nicht. Du wirst mir grenzenlos gleichgültig.

(Da öffnet sich leise die Tür. Student im Kellnerfrack kommt herein. Hebt den Revolver über Karl Thomas' Schulter. Dreht das elektrische Licht aus. Schuß. Schrei.)

Bankier. Licht! Licht! Der Kellner hat auf den Minister geschossen.


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