Ludwig Tieck
Die Wundersüchtigen
Ludwig Tieck

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Die Scene, die sich mit dem größeren Magus ereignet hatte, war für Sangerheim von Folgen gewesen. Seine Schüler hatten es gesehn, daß er verlegen und irre an sich selber wurde; sie hatten Andern diese Bemerkung mitgetheilt, und Viele wendeten sich von ihm ab. Die ältere Loge beobachtete ihn genauer, und faßte mehr Muth, sich ihm öffentlich zu widersetzen. Unter Denen aber, die ihm unwandelbar treu blieben, und auf seine Worte schwuren, stand der Arzt Huber oben an; diese Anhänger beredeten sich, daß die Wirkungen, welche Feliciano hervorbrachte, durch die Hülfe böser Geister geschähen, und er selbst durchaus verwerflich und gottlos, seine Lehre verdammlich zu nennen sei.

Jetzt ward es den Vertrauteren, und späterhin den Uebrigen bekannt, daß Sangerheim verheirathet sei, und seine Frau bei ihm wohne. Da sie krank und leidend war, hatte er ihr Dasein Allen verschwiegen. Die Wenigen, die sie zuweilen auf einen Augenblick sahen, bemitleideten sie, oder entsetzten sich vor ihr, wie vor einer Geistererscheinung. Sie war noch jung, aber todtenbleich, schwach und matt. In dem weißen und abgemagerten Gesicht glänzten die Augen mit einem sonderbaren Feuer. Sie hatte kaum Stärke genug, aus einem Zimmer in das andre zu gehn, und es geschah wohl, daß sie mitten in ihrer Rede abbrach und 263 einschlief. Dann sprach sie sonderbar, oft unzusammenhängend, oft, als wenn sie Erscheinungen sähe. Sie hatte keinen Arzt, sondern der Mann, der sich die größten Kenntnisse zutraute, behandelte sie selbst auf eine geheimnißvolle Weise: er suchte sie durch Gebet, Händeauflegen und Beschwören zu stärken. Wegen dieses sonderbaren Zustandes der Leidenden war es selbst den Vertrautesten nur durch Zufall möglich gewesen, sie auf Augenblicke zu sehn und zu beobachten.

Nach einer schlimmen Nacht, in welcher sie von Schmerzen sehr gequält war, sagte sie am Morgen zu ihrem Gatten: Ach, Alexander! das war nicht die Aussicht, die wir hatten, als Du mich heimlich, fast mit Gewalt aus dem Hause meiner guten Eltern nahmst. Welche Pläne machten wir damals, was hofften wir Alles von unsrer Liebe. Nun ist Alles dem Tode verfallen! Ach! und welch gespenstisch Leben, welch sterbendes Dasein ward mir in Deiner Nähe. Nun, ich fühl' es, es ist zu Ende.

Nein, geliebte Theodora, tröstete sie der Mann: nein, meine Geliebteste, ohne die das Leben mir selbst nur eine Last seyn würde. Glaube mir, Alles nähert sich einer glücklichen Entwicklung. Ich sehe, Du wirst mit jedem Tage besser, in wenigen Monaten ist Deine Gesundheit und die Blüthe Deines Leibes wiedergekehrt. Du bist wieder heiter und froh, Du hast wieder Muth und Kraft, wie in den ersten Tagen unsrer Liebe.

Liebst Du mich denn noch? fragte die Kranke, mit einem sterbenden Blick.

Theodora, rief Sangerheim, außer sich vor Schmerz; diese Frage und dieser Blick könnten mich tödten. Es wühlt mein Herz um, und zernichtet meine Kräfte, daß diese Zweifel Dir immer wiederkehren.

Ich darf nicht sprechen, antwortete sie matt, denn Deine 264 Heftigkeit geht dann wie ein schneidend Messer durch meinen Leib und meine Seele.

Ich will sanft seyn, milde, Geliebte, antwortete er demüthig, sprich Deinen Kummer aus, nur zweifle an meiner Liebe nicht.

Was nennst Du so? fuhr sie fort; Deine Liebe ist Dir doch nicht heilig, Du opferst sie auf, sie ist Dir nur Mittel zu andern Zwecken. O, mein Engel, wenn Du Dich von jener Verbindung losmachen könntest, o zerbrich sie, mein süßes Herz, entzieh Dich jener Gesellschaft, die mir immer schrecklicher erscheint, die Dich verderben wird.

Nein, meine Liebste, antwortete Sangerheim gerührt, ich erkenne Deine Liebe in jedem Deiner Worte, aber diese Männer, von denen ich Dir einmal in einer schwachen Stunde erzählt habe, kennst und würdigst Du nicht. Denke nur zurück, wie arm, wie dürftig unser Leben war. Als österreichischer Offizier, in einer kleinen Garnison, von rohen, unwissenden Menschen umgeben, mit schmalem, unbedeutendem Gehalt, ohne Hoffnung, es weiter zu bringen, – was war da unser Loos? Wie armselig, dürftig und verächtlich war diese Existenz! Und betrachte jetzt den Ueberfluß, die Ehre, den Schwarm der Freunde und Bewunderer.

O Alexander, seufzte sie, führe mich in jene enge Dürftigkeit zurück, gieb mir unser damaliges Leben wieder, und ich will Dir auf den Knieen danken. Wir waren gesund, wir hatten uns keine Vorwürfe zu machen, denn die Eltern waren mir wieder ausgesöhnt. War unser Einkommen klein, unsre Habe unbedeutend, so genossen wir Alles mit kindlichem dankbaren Sinn und mit einem reinen Gewissen. Als Du in jene Verbindung getreten warst, nahmst Du Deinen Abschied, mußtest ihn nehmen. Seitdem ist Alles so unklar und unheimlich. Und unser Wohlstand: mir ist, Du stehst 265 auf einer dünnen, dünnen Eisrinde, und unter Dir liegt der tiefe Abgrund.

Geliebteste, Freundin, Gattin, erwiederte er liebkosend, beruhige doch endlich Deine Seele über diesen Punkt. Wie wird sich Alles anders, und zu Deiner schönsten Zufriedenheit entwickeln. Jenen edlen Männern darf ich vertrauen, denn ich war ja Zeuge, daß sie Uebermenschliches vermögen und wissen. Wie viel haben sie mir schon anvertraut, wie Vieles vermag ich durch sie. Mit jeder Post kann es ankommen, das Größte, das Beste, was noch zurück ist, in jedem Reisenden kann der Ersehnte vom Wagen steigen, der mir Alles enthüllt, so daß keine Frage und kein Wunsch mehr übrig bleibt. Alle ihre Briefe deuten auch dahin.

Brauche ich Dir zu sagen, antwortete die Kranke, daß Alles, was Du bis jetzt errungen hast, Kunststücke sind, die nur darum den Menschen unbegreiflich und wundervoll erscheinen, weil die Wissenschaft sie noch nicht gefunden hat? Jeder Gelehrte kann sie zufällig entdecken, und diese donnernden Explosionen, die sich durch einen Wurf, ohne Spur entladen, werden dann vielleicht ein Spielwerk, mit dem sich die Kinder erschrecken. Und Deine Operationen, diese Blendwerke der Erscheinungen, diese Bilder, die Du zeigst, Deine künstliche, innerliche Sprache, die, wie aus der Ferne, wie die eines Fremden klingt, und womit Du so Viele entsetzest, und sie zu Deinen Zwecken führst; daß ich selbst auch als Geist auftreten muß, – o Alexander, wohin sind wir gekommen? Wie muß die Welt uns ansehn, wenn Alles einmal bekannt wird.

Liebste Frau, sagte Sangerheim beängstigt, Du hättest Recht, wenn wir nicht mit den Edelsten aller Menschen, mit den Uneigennützigsten, mit den Weisesten in Verbindung ständen. Daß sie das Beste wollen, daß ihre Pläne gut sind 266 und zum Heil aller Menschen hinstreben, davon dürfen wir uns überzeugt halten, so seltsam auch ihre Wege, so krumm sie auch laufen mögen. Ihnen liegt es ob, dies zu verantworten, wenn sie im Unrecht seyn sollten. Ich muß erfüllen, was ich ihnen gelobt habe. Ich kenne die Täuschung, die ich mir erlaube, aber ich bin vom guten Zweck überzeugt. Und jenseit aller Täuschung sind wir ja im Besitz so manches wahren Wunders. Dein Gebet wirkt kräftig, das meinige stimmt Deinen Geist. Du siehst, Du sprichst mit abgeschiedenen Freunden, sie entdecken Dir Geheimnisse; Du siehst in weite Ferne und durch verschlossene Thüren. Dir ist, wenn Du fest willst, Nichts verborgen.

Die blasse, leidende Gestalt seufzte schwer. Ach, Liebster! klagte sie dann mit erlöschenden Tönen, daß ich auf diese Weise in Deinen weltlichen Absichten Dir habe helfen müssen, ist vielleicht die größte Sünde, die Dir der Himmel nicht anrechnen, und mir meine Schwäche und Nachgiebigkeit verzeihen möge. Die Liebe zu Dir hat mich weit geführt. Dieser künstliche Schlaf, dieser unnatürliche, den Du mir Anfangs erregtest, und der sich jetzt immer mehr von selbst einstellt, hat mir Gesundheit und alle Kräfte aufgezehrt. Oft weiß ich nicht mehr, ob ich noch bin, und kann mich auf meinen eignen Namen, oder auf Deine Gestalt nicht besinnen. Ja wohl ist dies eine Zauberei zu nennen, die den Menschen aus seinem eignen Innersten entrückt; aber eine verderbliche. So Vieles habe ich Dir entdecken müssen, hier und in jener Stadt. Mir ist, ich habe nicht allein die Kräfte meines Körpers, sondern auch Theile meiner Seele dabei zugesetzt. Wenn Du mich so auf eine Frage gewaltsam hinheftest, wenn ich im Schlafe sehen und finden muß, was Du verlangst, so dehnt es sich in meiner Brust, in meinem Kopf. Diese fließenden leichten Gewölke werden 267 immer dünner und feiner, und mein Selbst, mein Sein weicht wie in eine schwindelnde Ferne hinweg, daß ich in einer entsetzlichen Angst nach ihm zurückblicke. Jenes fließende, fliehende Wesen, das ich selbst nicht mehr bin, faßt und sieht dann in meinen Körper, in Dich, in alle Wesen mit einem kalten Schauder hinein. Ich frage, ohne den Sinn zu wissen, und höre von Geistern die Antwort, und sage sie Dir im Schlaf, und Alles ist nur ein Echo. Oft, wenn ich dann wieder erwachen soll, greift das blasse, fließende und entflohene Wesen nach dem eigentlichen Ich mit Entsetzen zurück, und kann es nicht wieder finden. Nein, mein Ich ist manchmal fort; ich kann mich auf mich selbst nicht besinnen. Der Geist fürchtet, er könne vergehn, sich selbst vernichten. Nein, Liebster, wenn Du noch einiges Erbarmen mit mir hast, nicht mehr diese Experimente, versprich es mir.

Sangerheim gab ihr geängstigt stumm die Hand. Er wußte wohl, wie viel er ihren künstlich erregten Visionen zu danken hatte. Durch dieses Mittel hatte er damals für den Rath Seebach jenes Dokument gefunden. Er stand jetzt an einem furchtbaren Scheidewege seines Lebens. Denn ohne daß seine Gattin ihn so schmerzlich zu erinnern brauchte, war er selbst schon mehr wie einmal an sich und seinem Beginnen irre geworden. Er fing in manchen Stunden an zu zweifeln, ob denn der Zweck die Mittel heiligen könne. Eine Lehre, die ihm bis dahin als unerschütterlich erschienen war. Mit Angst wartete er auf Briefe und Aufschlüsse, die man ihm verheißen hatte, damit er den Trug könne fallen lassen, seinen Eingeweihten ein eigentliches Geheimniß sagen und erklären, und im Besitz wirklicher Wunderkraft, des Steines der Weisen und der Tinktur glücklich seyn. Er hatte nach seiner Ueberzeugung erfüllt, was er versprochen hatte, ja mehr ausgerichtet, als man erwarten konnte, aber die letzten 268 Briefe, die er erhalten und die er sehnend erwartet, sprachen so zweideutig, erfüllten so wenig, was er forderte, und umgingen die Frage so behutsam, daß er sich mit allen Kräften der Hoffnung und des Vertrauens nur einigermaßen beruhigen und auf die nächsten Nachrichten vertrösten konnte.

In dieser Verstimmung seines Gemüthes faßte er die Hand der Kranken, und machte, ohne daß sie es bemerkte, die Striche, die den Schlaf herbei riefen. Sie entschlummerte mit einer Zuckung Augenblicks, indem sie nur noch wimmernd: nicht Wort gehalten! im halben Wachen ausstieß. –

Er fragte sie jetzt um die Zukunft. Der Busen der Kranken arbeitete schwer. Ach! Nichts! Nichts sehe ich, sagte sie, wie schluchzend in sonderbaren Tönen: da liege ich, weit, weit weg; nicht ich, – die Hülle. – Glanz, Licht, – aber ohne Schein. Es saugt mich hinauf. Meine Mutter nimmt mich, nicht meine Mutter, ihre Liebe, das ist mehr als sie. Wie rein ist ihr Herz. Das reinigt auch meinen Geist, mich. Mir wird so leicht, so wohl. Das, was ist, ist nicht eigentlich. Wir verstehn es unten nicht. Alles nur Schein, Hülse, der Tod. Das Sein ist anders: kann unten nicht gefaßt werden.

Sangerheim richtete durch Fragen ihre Gedanken anders. O weh! rief sie in einem scharfen Ton: – da ist Dunkel, Verwirrung, das Elend. O du Lügner, warum verkehrst du mit der Lüge so holdselig? Dein Herz bricht, dein Kopf zerspringt. – Nach jenem Dunkeln soll ich forschen, sehn? Mein Auge reicht nicht hin, mein Zittern verdämmert mir den Blick. Alles schwarz. Aber näher kommt's. Grauen, Angst, kein Licht. Sie brüten selbst, sie suchen. 269 Keine Liebe in ihnen. – Ja wohl ist es aus, aus für dieses Leben. Brief geschrieben, gesiegelt. Kann nicht – kann nicht lesen. Wär' es gut, könnt' ich's; die Liebe könnte lesen, so bleibt's finster. – Ach! – du, – du – auch fort, weggetragen, – willst mich nicht kennen, nicht hier kennen, wo Friede ist? Sehe dich gehen, höre deine Stimme, kann dein Gesicht nicht finden; wo die lieben Augen? – Alles weg!

Ach! so, so ist es gemeint? fing sie nach einer Pause wieder an; ja, ja, es wird ihm schwer gemacht. Er hieß Alexander. Gut war ich ihm, er war so lieb. Wird wieder, aber spät, spät, – ach! kann er glauben? Gott, du bist gnädig. – Laß ihn nicht zu sehr verfinstern. Jesus, vergieb ihm. – Nun ist es weg. Nun ist mir wohl. Nie werde ich mehr in die Tiefe des Irdischen schauen. Alle Tiefe vergeht; es wird Alles Ein Augenblick, Eine Gegenwart, Ein Lichtpunkt, und ich unsichtbar, mir selbst unfühlbar, in der Mitte des himmlischen Punktes. Nichts war, Alles ist und bleibt. Es zieht, es flieht nicht mehr, festes Bild wird es. – Nun reicht der Strahl aus mir nicht mehr zurück, er ist zu kurz, das Leben ist fern, weit und fern: besser so, – denn – nein – besser so – ach! kein Sehnen mehr, kein Schmerz mehr, – die Freude war schon lange todt.

Sie verstummte: er horchte, er wiederholte die Striche und verstärkte seine innere Aufmerksamkeit, aber die Entschlafene sprach nicht. Da sein Bemühen heut, was noch nie gewesen, vergeblich war, so strich er mit den Händen in entgegengesetzter Richtung, um sie wieder zu erwecken, aber eben so fruchtlos, sie erwachte nicht wieder, denn sie war gestorben.

Als er sich nach manchen vergeblichen Bemühungen, sie wieder ins Leben zu rufen, von der Wirklichkeit ihres Todes 270 überzeugen mußte, warf er sich verzweifelnd zu ihren Füßen nieder, und wüthete gegen sich selber. Wie er etwas mehr zur Besinnung gekommen war, rief er aus: Ja, du, du Unglückseligster, hast die Aermste ermordet! Was ist mir alles Leben nun ohne sie? Ohne sie, für die ich mir Glanz und Wohlstand wünschte? Wie schaal und abgenutzt liegt jetzt mein ganzes Dasein vor mir, wie arm, was ich etwa noch erstreben kann. Und wie liebte sie, die Aermste, mich Unwürdigen! Als sie damals, wie ihre Krankheit zuerst sich verkündigte, von der langen Ohnmacht erwachte, war ihr erstes Lebenszeichen, daß ihr redlicher Blick mich gleich suchte. Sie hatte alles Andre vergessen, aber nicht, daß ich um sie bekümmert war. Sie hätte mir ja auf unsern Spaziergängen gern jeden rauhen Stein aus dem Wege geräumt. Und mein Dank für alle diese Hingebung? – Daß ich ihre Gesundheit durch diese magnetischen Künste vernichtete, daß ich ihren Geist verwirrte, daß ich muthwillig ihr liebendes Herz zerbrach. Nein es giebt keine größere Sünde, es giebt gar keine andre, als die der Mensch gegen die Liebe begeht. – Ach! Du Süßeste! wo ist jetzt Deine blühende Jugend? Wo sind die Rosenwangen, und das Grübchen des freundlichen Lächelns, mit dem ich Dich neckte, wenn wir im kleinen Garten Deiner Eltern zwischen den Rosenbüschen saßen? Wo sind nun alle die Träume der Liebe? Wo die Pläne, die wir für das Leben entwarfen? Diese blasse Hülle, die hagre Gestalt ist von all der Lust und Freude übrig geblieben, um mir zu sagen, wie armselig und kläglich das menschliche Leben sei, um mir zuzurufen, daß ich ein Bösewicht, ein Verworfner bin, der trotzig durch das Leben geht, und Dich, süße Blume, roh zertreten hat.

Er setzte sich wieder zum Leichnam nieder, faßte die dürre Hand, bedeckte sie mit Küssen, und weinte bitterlich.

271 Wort müssen, Wort werden sie mir halten, sagte er nach einer Weile zu sich selber; mein Elend wäre zu unermeßlich, wenn sich auch diese Hoffnung in Tod und Leiche verwandelte. Was bliebe mir? Die nackte, kahle Lüge, der verächtliche Betrug. Dem könnte, dem möchte ich nicht ferner leben. Ist denn sterben so schwer? Sie ist erloschen, wie die Kerze, wie der letzte still verborgne Funke in der Asche. Wenn ich verloren bin, so will ich kein Dasein erbetteln, und in Lumpen und dem Auskehricht des Lebens Kleinodien suchen, die ich wirklich besaß und wegschleuderte, als ich noch wie ein König glücklich war. Jenseit will ich sie dann wieder aufsuchen und das keck verachten, was Verachtung verdient. – –

Bei ihrem Begräbniß folgten die vertrautesten der Brüder. Er schien seine Fassung wieder errungen zu haben. In fester Stellung, mit edlem Schmerz stand er am Grabe der Geliebten und sah die theuern Ueberreste versenken. Freilich war es ihm oft, als wenn alles Leben nur ein Traum sei, oder ein Schauspiel, in welchem er mit Anstand seine Rolle zu Ende führen müsse.

Als er nach Hause kam, fand er folgenden Brief, den er hastig erbrach:

Die – – sind mit Euch, mein Freund, nichts weniger, als zufrieden, denn Ihr setzt ihr Geheimniß, ihren Ruf und ihre Ehre auf ein zu leichtsinniges Spiel. Das ist es nicht, was Ihr verheißen habt, und was man von Euch erwartete. Es hat sich erwiesen, daß der Rath – –, dessen Ihr so sicher zu seyn glaubtet, sich kalt zurückgezogen hat, daß Ihr jene Stadt meiden mußtet. Und wie lange werdet Ihr in der jetzigen Euer Spiel noch forttreiben können? Man verwundert sich, man forscht nach, und, was das schlimmste ist, man lacht. Wie schlecht seid Ihr dem 272 Charlatan, dem Feliciano, gegenüber bestanden! Wer solche plumpe Angriffe nicht einmal zurück zu schlagen versteht, der ist zum Missionar verdorben. Auf die Anfragen, auf Eure Forderungen, kann ich nichts Bestimmtes erwiedern. Es heißt, die Loge wird verlegt werden: wenn es geschieht, so ist noch nicht entschieden, wohin. – –

Sangerheim knirschte. Mit Todesschweiß schrieb er schnell einige drängende, fordernde, beschwörende und beredte Briefe, um das Aeußerste und Letzte zu versuchen, denn seine Hoffnung, ein wahrer Magier zu werden, war nun fast schon verschwunden.

Wenn sie mich so um mein Leben betrogen hätten! rief er aus, büßen sollten sie es! – Doch nein, ich zittre vor mir selber: weiß ich ja doch, daß sie jeden Laut in der Ferne vernehmen, und daß sie jeden meiner Gedanken kennen. Drum muß ich, will ich alle meine Gefühle unterdrücken, und nur das Beste, Edelste von ihnen erwarten.



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