Ludwig Tieck
Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmunds Leben
Ludwig Tieck

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Auf der Straße sah sich Siegmund ein paarmal um, um frische Luft zu schöpfen; er betrachtete die Vorübergehenden genau, um das Gesicht des Präsidenten in seinem Gedächtnisse zu verwischen; aber dieses stand mit allen seinen kalten und verhöhnenden Zügen wie angenagelt in seiner Phantasie da. Er ging in die erste Straße hinein, um nur das vornehme Haus aus den Augen zu verlieren, das ihm gleich beim ersten Anblick von so übler Vorbedeutung gewesen war. Es kam ihm vor, als wenn ihn alle Menschen höhnisch betrachteten, als wenn seine ganze Unterredung mit dem Präsidenten auf seiner Stirn geschrieben stehe.

Wie anders erschienen ihm alle Straßen jetzt, als gestern abends! Das Gewühl der Menschen, die Kaufläden, die Tätigkeit, alles schlug ihn nieder, denn alles war ein Bild des Erwerbes, des Strebens nach Wohlstand; eine Vorstellung, die ihm gestern abend so wohlgetan hatte, und die ihm jetzt verhaßt war. – Wie tief war er in seinen Ideen seit einer Stunde gesunken!

Wenn ein Mensch in einer großen Verlegenheit ist, geht er gewöhnlich sehr schnell, er will allen unangenehmen Gedanken vorübereilen nach einem Moment der Ruhe und Zufriedenheit hin, der boshaft mit jedem seiner Schritte wieder einen Schritt voranläuft. Siegmund stieß an manche Lastträger, die ihm ihre Flüche nachschickten; Kutscher schimpften von ihrem Bocke herunter, weil er ihnen zwischen die Pferde lief; eine alte Frau fing ein jämmerliches Geheul an, weil er ihr einige Töpfe zerbrochen hatte, die er in der zerstreuten Eil mit dem sechsfachen Preise bezahlte. – Er ward des Getöses überdrüssig, und bestieg jetzt langsam, um sich wieder zu erholen, den Wall der Stadt.

Siegmund ward sehr verdrüßlich, als er auch hier die gehoffte Ruhe und Einsamkeit nicht fand. Geputzte Herren und Damen schritten vorbei, um gesehn zu werden. Männer gingen laut disputierend vorüber; – kein einziger Spaziergänger, der sein Auge an der schönen Natur erquickt hätte, und auch Siegmund tat es nicht, denn er überlegte bei sich sein künftiges Schicksal.

»O hätte ich nur meine gestrigen Empfindungen zurück!« und lehnte sich an einen Baum. – »Ich Tor! daß ich mich gestern des Kleinen so lebhaft annahm, und mir mein Genius nicht zuflüsterte, daß ich für meinen ärgsten Feind die Waffen ergreife! – Was soll ich nun anfangen? – dem General meine Verlegenheit melden? – Er ist froh, daß er sich seiner Verbindlichkeiten gegen mich entledigt hat. – Eine andre Stelle suchen? – Aber welche?« –

Alles machte ihn betrübt, er sah in die Straßen der Stadt hinein, und verachtete das Treiben und Drängen der Menschen recht herzlich. Die Glocken riefen die Leute vom Spaziergange zum Mittagsessen; aber er hörte es nicht; der Wall ward nach und nach leer, doch er achtete nicht darauf, und befand sich in der Einsamkeit ungestörter und glücklicher. Es währte aber nicht lange, so kamen die Spaziergänger zurück; ja ihre Anzahl war größer, als vormittags, die Damen waren noch geputzter und sahen ängstlich nach dem Himmel, ob die drohenden Herbstwolken näher ziehen und durch einen Regenguß ihren Anzug verderben würden. Aber die Sonne brach immer wieder mit neuer Wärme hervor, und der Spaziergang machte alle Gesichter froh und heiter.

Ein hagerer Mann gesellte sich durch einen Zufall zum melancholischen Siegmund; es war der Zeitungsschreiber des Orts, der gern allenthalben nach Neuigkeiten forschte. Dieser vaterländische Dichter hatte es aus dem Gesicht, dem Gange und der Kleidung Siegmunds herausgebracht, daß er ein Fremder sein müsse, er wollte daher einige Traditionen aus ihm herausziehn, um sie in Briefform mit andern Wendungen seinem Blatte einverleiben zu können. Siegmund war ziemlich einsilbig, seine Szene mit dem Präsidenten war für ihn jetzt die größte Weltbegebenheit, an diese dachte er unaufhörlich, und war sehr gleichgültig für alle politischen Bemerkungen seines neuen Bekannten, der viele Sachen prophezeite und andre Prophezeiungen widerlegte.

Ein Pferd trabte hart an ihnen vorüber, und machte dann viele von den närrischen Gebärden, die den Tieren mit großer Mühe in den Schulen beigebracht werden, um nicht ganz geschickte Reiter bei irgendeiner schicklichen Gelegenheit in die Gefahr zu bringen, herunterzustürzen. Dies war auch hier der Fall; der Reiter wankte von einer Seite zur andern, und wollte doch auch nicht gern den edlen Paradeur in seinen schönen Figuren unterbrechen. Der Reiter war niemand anders, als der furchtbare Präsident. – »Sehn Sie«, sagte der Zeitungsschreiber heimlich, »den wunderbaren Mann an. Glauben Sie wohl, daß er sich bloß unsertwegen die Mühe gibt!«

»Unsertwegen?« unterbrach ihn Siegmund. »Nicht anders«, antwortete der hagere Mann; »dieser Herr bildet sich auf nichts in der Welt so viel ein, als auf seine Reitkunst, und bloß um sich von uns bewundern zu lassen, läuft er jetzt Gefahr den Hals zu brechen. – Sehn Sie, wir sehn ihn kaum mehr und er läßt die Streiche doch noch nicht.« – Der Präsident hatte sich indes eine ziemliche Strecke unter Traversieren entfernt. Das Pferd drängte sich etwas zurück, er geriet in die Zweige der Bäume und verlor in diesem Augenblicke einen sehr eleganten Hut. Kaum hatte der Zeitungsschreiber dies gesehn, als er schnell unsern Helden verließ, den Hut ehrerbietig dem gnädigen Herrn überreichte, und dadurch hinlänglich belohnt ward, daß der Präsident vor den Augen mehrerer Menschen eine Zeitlang mit ihm sprach, indem das Pferd wieder traversierte und der Zeitungsschreiber ebenfalls zu paradieren eifrigst bemüht war.

Wie gut, daß Siegmund zurückgeblieben war, denn er fing so laut an zu lachen, daß ihn ein alter Herr und eine ältliche Dame für verrückt erklärten, weil er so sehr alle Lebensart beiseite setze und auf einem öffentlichen Spaziergang lache.

In seinem Stück, das er durchlachte, schien keine einzige Pause zu sein, denn es war ein einziger Strom von jenen unartikulierten Tönen, aus denen die Menschen nicht wissen, was sie machen sollen, und die sie Lachen betiteln. Es ist schwer zu berechnen, wie vielerlei Gedanken jetzt durch seinen Kopf gehen mochten; aber als er ausgelacht hatte, setzte er sich ermüdet auf eine Bank, rieb sich die Hände, sah ganz froh und heiter die Gegend an, und da es gerade an dieser Stelle einsam war, genierte er sich nicht, sondern begann folgenden Monolog:

»Gibt es in der ganzen Welt etwas Närrischers, als den sogenannten König der Welt, den Menschen? – Die seltsamste von allen Arabesken ist gerade in diesem bunten Gemälde des Lebens so angebracht, daß sie uns am meisten in die Augen fällt. – Ich komme hier mit der größten Zuversicht an, Rat zu werden, ich lache einen Menschen aus, von dem mein Glück abhängt, schütze mit kühnem Mute meinen Feind vor den Angriffen seiner Spötter, werde von diesem und vom Präsidenten verachtet, ich fühle meine Abhängigkeit – und doch gibt sich jetzt das Pferd und der Präsident meinetwegen die größte Mühe; er hängt von meinem Blick ab, und ein bedenkliches, verächtliches Kopfschütteln hätte ihn ängstigen können. Dieser hagre Mensch philosophiert über die Eitelkeit, und ist eitel genug, dem Präsidenten nachzulaufen, um mit ihm zu sprechen, die Vorübergehenden verspotten den Zeitungsschreiber, und werden bei der nächsten Gelegenheit sich nicht anders nehmen, und ich selbst wäre jetzt wieder imstande, den Präsidenten den vortrefflichsten Reiter von der Welt zu nennen, um seine Gunst zu gewinnen, und an der nächsten Ecke liegt mein hoher Gönner vielleicht im Sande, weil er sich von einem vorübergehenden Dummkopf hat wollen bewundern lassen.«

Siegmund fing hier von neuem an zu lachen, und rückte auf seiner Bank unter heftigen Erschütterungen des Körpers hin und her. –

» Meinetwegen«, fuhr er fort, »hat der Präsident heut sein Pferd satteln und die beste Decke auflegen lassen; warum soll ich mich denn in einer demütigen Abhängigkeit fühlen? – Mir zu gefallen sind diese Herren und Damen so geputzt und festlich!«

Durch diese Philosophie bekam Siegmund seine gute Laune so ziemlich wieder. Da gerade Leute vorbeigingen, setzte er seine Gedanken stillschweigend fort, und war immer mehr überzeugt, daß die Menschen Narren sind.

Siegmund genoß nun des Spazierganges mit ziemlich heiteren Mute; er spottete in seinem Herzen über jedermann, den er sah, kein Gesicht und kein prächtiger Anzug setzte ihn in Verlegenheit.

Gegen Abend kehrte er in seinen Gasthof zurück; er war zufrieden, daß der Wirt noch ebenso höflich gegen ihn war, ja noch höflicher als vorher, weil er sich einbildete, Siegmund habe beim Präsidenten gegessen. Er ging auf sein Zimmer und bestellte sich ein delikates Souper, weil er nicht an der Wirtstafel den Spöttereien seines guten Freundes Bellmann ausgesetzt sein wollte. Er ließ den Vorhang herunter, setzte sich einen behaglichen Sessel an den Tisch, und ließ sich eine Flasche vom besten Weine geben. Darauf fing er mit dem besten Appetit seine Mahlzeit an.

Als er einige Gläser des feurigen Weins getrunken hatte, kam er sich vor, wie ein Prinz in einem Feenpalast, auf dessen Gebot sich alle dienstbare Geister in Bewegung setzen; man trug die leeren Schüsseln fort und brachte andre mit neuen Gerichten, und er fühlte sich in seinem Zimmer warm und behaglich, und der Wein machte, daß ihm das Blut leicht und hüpfend durch das Herz strömte. Er vergaß seine Situation gänzlich, und lebte im Sinnengenuß die glücklichsten Minuten. Die Wände tanzten in einer leichten Bewegung um ihn her, er lachte und scherzte mit dem Markör, der nicht genug die kuriosen Einfälle des lustigen Herrn bewundern konnte.

Er trank jetzt mit einem langen Zuge das letzte Glas aus, und wankte die Treppe hinunter, um am schönen Abend noch einen Spaziergang zu machen. –

Die Häuser mit ihren erleuchteten Fenstern kamen ihm außerordentlich schön und freundlich vor; er grüßte ein paar Vorübergehende sehr höflich, ohne sie zu kennen, stand auf einer Brücke still, und lachte gewaltig über einen Kahn, der mit einer kleinen Kette an einer Waschbank befestigt war und hin und her schwankte. Er trug gar kein Bedenken, einen Mann mit einem Kuckkasten anzuhalten, und in seinen Schauplatz bei dem kreischenden Gesange des Alten hineinzusehn und sich von Herzen zu amüsieren. Als das Schauspiel geendigt war, wollte er sich ohne Bezahlung heimlich davonmachen, bloß um mit dem Direktor des Nationaltheaters zanken zu können. Als dieser Streit über das usurpierte Freibillet geendigt war, gab er dem Manne zwölfmal soviel als er verlangte.

Die freie Luft nahm nach und nach den Taumel von seinen Sinnen hinweg; es herrschte nun in ihm jene frohe Laune, die kälter und eben deswegen angenehmer ist. Die Umrisse der verschiedenen Gegenstände waren nicht mehr ineinander verflossen, er ging langsamer, und alles, was er sah, machte ihn froh und heiter. Das warme, frohmachende Klima, der helle Sonnenschein und der blaue Himmel werden gleichsam verkörpert in den Weinfässern nach unserm Norden hergefahren; durch den Genuß des Weins wird der Mensch auf einzelne Stunden der Bewohner jener schönen Länder, und kehrt nur ungern in sein kaltes Klima nach den verflogenen Dünsten zurück. Siegmund nahm sich in dieser Stimmung vor, eine große und poetische Apologie des Weins und der Trunkenheit zu schreiben, zu beweisen, wie mit dem Rausche das Herz erwärmt und gehoben wird, wie unbemerkte geistige Kräfte des Menschen sich aus ihrem Hinterhalte hervorschleichen, und das Gehirn zum bunten Tanzplatz der schönsten und feinsten Gedanken machen. – Um sich nicht selbst Lügen zu strafen, gab er einem alten Krüppel alles Geld, das er bei sich trug, ohne es auch nur vorher zu zählen. »Da ich mich glücklich fühle«, sagte er, »so nimm, und sei es auch heute abend, und meine Augen sollen nicht wissen, was meine Hände tun.«


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