Johann Ludwig Tieck
Die Ahnenprobe
Johann Ludwig Tieck

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Die Tage gingen jetzt für Edmund angenehm genug hin, wenn er auch Elisabeth nicht sah, so wenig wie den Oberkammerherrn, denn er hatte Gelegenheit, sich mit seiner verständigen Mutter recht auszusprechen, die ihm Vieles von ihren Aeltern und Verwandten mittheilte. Ihre Rede tröstete ihn über den Verlust seiner Liebe, und da sie von jenem sonderbaren Vermächtnisse vernahm, das binnen kurzem fällig sei, erklärte sie, daß sie von Edmunds Vater niemals etwas davon vernommen habe, denn er sei früh und plötzlich gestorben.

Edmund aß mit seiner Mutter auf seinem Zimmer, vom Tische des Grafen und von dessen Leuten bedient. Zuweilen begab sich der Oberkammerherr nach dem Zimmer der Mutter und hatte lange Gespräche mit ihr. Seine Umgebung fand ihn verändert, und der Arzt des Hauses fürchtete, er ginge seinem nahen Tode entgegen. Doch befand sich der Graf seit vielen Jahren nicht so stark und wohl als in dieser Zeit; es war nur gleichsam ein Jugendfieber, das sein Wesen veränderte.

So war der Tag herangekommen, an welchem Edmund die alten Schriften, die so lange versiegelt gelegen hatten, einfordern durfte. Ein harter Frost war eingetreten, und der junge Mann begab sich in der größten Spannung zum Hause des Probstes. Hier mußte er einen weitläufigen Empfangschein ausstellen, daß ihm, als dem rechtmäßigen Erben, nach dem Verlauf der bestimmten Zeit die Documente richtig seien eingehändigt worden. Hierauf begab sich der Probst mit dem Gefolge vieler Geistlichen nach der Lambertuskirche, erschloß feierlich die Sacristei und hinter dieser jenes Gemach, welches niemals gebraucht wurde. Der alte Kasten wurde eröffnet und dem jungen Manne alle jene kurzen oder längern Lebensbeschreibungen seiner Vorfahren, nebst den Zeugnissen der jederzeitigen Pröbste und Kirchenältesten überliefert. Nun wurde das Siegel von allen Gegenwärtigen beschaut, welches vor drei Jahrhunderten auf einen kleinen innern Schrank war gedrückt worden; es war unverletzt. Es ward vom Probste abgelöst und mit einem uralten Schlüssel das Schloß eröffnet. Ein vielfach versiegeltes Packet nahm der Probst aus diesem Behältnisse und übergab es dem Erben, der dem Greis und den übrigen geistlichen Herren für ihre Mühwaltung seinen Dank abstattete.

Die Sache war nicht so verschwiegen geblieben, daß nicht eine Menge Neugieriger sich in der Kirche versammelt hätte, um zu schwatzen, etwas zu erfahren und den jungen Erben in Augenschein zu nehmen. Man erzählte sich, die Erbschaft einer Million Gulden, welche in Holland lägen, würde am heutigen Tage frei und erhoben; Andere wollten wissen, ein verlarvter Prinz, den vor Jahrhunderten die Zeitläufe gezwungen hätten, sich zu verbergen, habe für seine rechtmäßigen Nachkommen die allerwichtigsten Documente, durch welche sie wieder in ihre Herrlichkeiten eingesetzt würden, hinterlassen; ein Alter wollte seine neugierigen Zuhörer bereden, ein vormaliger Adept habe seinem Urenkel sein Geheimniß und die Tinctur vermacht. So wie also Edmund aus der Sacristei trat, der mit seinen Papieren unter seinem Mantel ziemlich schwer beladen war, so drängten sich alte Männer und Frauen an ihn und fragten ihn oder die nachfolgenden Geistlichen, was die Sache, von der man schon so viel Wunderbares gehört hatte, zu bedeuten habe. Der Küster, der Hinterste im Gefolge, versammelte die Forscher, da die Uebrigen nicht Rede stehen wollten, um sich her und verkündigte: Verehrte Christen, es sind jetzt fünf Jahrhunderte verflossen, als ein türkischer Prinz nach Europa herüber kam und unsere gute Stadt bewohnte. Er war in Krieg mit seinen Brüdern gewesen und hatte sich vertreiben lassen. Dieser Türke wurde damals bekehrt und empfing die Taufe, seine Länder hatte er im Stiche lassen müssen, aber dafür eroberte er das Himmelreich. Er hatte dieser Kirche damals viel vermacht und jene Documente in ihren Schooß oder vielmehr in jene kleine Kammer hinter der Sacristei niedergelegt. Sie enthalten einen großen Schatz, aber auch die Legitimation, um jene türkischen Fürstenthümer, die damals verloren gingen, wieder in Besitz zu nehmen. Mit diesen ausgerüstet, geht der junge Mann, der natürlich ein Prinz ist, hin, um seine angestammten Länder wieder zu erobern. Der große Napoleon ist schon von Allem unterrichtet und hat seinen Beistand zugesagt. Der junge Erbe muß nun also vielleicht zum türkischen Glauben abfallen, um der Regierung fähig zu werden, oder es muß mit den großen europäischen und asiatischen Mächten ein Abkommen getroffen werden. Man will auch schon sagen, Rußland wolle jene Landstriche in Besitz nehmen, dafür erhält Napoleon dann andere Strecken und giebt dem jungen Herrn, der hier eben zur Kirche hinausgeht, das Königreich Holland, da er mit seinem Bruder, dem jetzigen Könige, gar nicht zufrieden seyn soll.

Dies schien den Umstehenden ebenfalls das Wahrscheinlichste, und so fand Edmund Gelegenheit, ungehindert die Kirche zu verlassen. Draußen redete ihn aber der alte Baron an, der auch als Müssiggänger allenthalben war, wo sich irgend etwas Neues zeigte. Er hatte sich vom Geschwätz des Küsters nicht zurückhalten lassen, sondern fing den eilenden Edmund draußen auf. Er war sehr verdrüßlich, daß Edmund ihm, als einem alten Freunde, nicht mehr als Das sagen wollte, was er schon früher vom Küster erfahren hatte. Als Edmund ihm von fern einen Vorwurf darüber machen wollte, daß er Briefe von ihm, die er ihm zuweilen im Auftrage des Oberkammerherrn mitgetheilt hatte, dem Avanturier Wendelbein gegeben habe, lachte der Baron und weinte, mit empfangenen Briefen könne doch wohl ein Jeder thun, was ihm gut dünke. Dieser Avanturier, wie Sie ihn nennen, so fuhr er dann fort, ist jetzt auf dem Wege, bald ein großer und berühmter Mann zu werden, ein Mann, der unserem Vaterlande Ehre machen wird. Er hat wirklich ein Fräulein Wilhelmine, eine Art Gesellschafterin Ihrer Comtesse, entführt, die er freilich auch ohne Entführung hätte bekommen können, und ist mit dieser am Rhein bei einer sehr vorzüglichen Schauspielertruppe engagirt. Sie singt, und er soll ein ganz einziges Talent entwickeln. Auch dichtet er, und nächstens wird eine Tragödie von ihm, die er in wenigen Tagen geschrieben hat, aufgeführt werden. Alles dies schreibt mir mein Sohn, der mir nun endlich (Sie wissen es) ganz und gar und ein für allemal davongelaufen ist; der junge Mann ist bei derselben Truppe engagirt und spielt die Bösewichter; dort haben sich nun die Genies gefunden und auch einen engen Freundschaftsbund geschlossen.

Edmund hatte nur wenig von dem Geschwätz vernommen. Er erreichte jetzt das Haus, eilte auf sein Zimmer und verschloß es gleich sorgfältig, um ungestört die Documente untersuchen zu können, von denen in diesem wichtigsten Moment seines Lebens ihm Glück und Zufriedenheit geschenkt werden sollte.

Nur schnell übersah er die Lebensläufe seiner Vorfahren und die Zeugnisse der Pröbste für deren guten Wandel. Handwerker, Krämer, die Alle in der Residenz ihr stilles bürgerliches Gewerbe getrieben und unbescholten gelebt hatten, manche waren jung gestorben, manche hatten ein hohes Alter erreicht, Alle aber wurden als rechtlich und tugendhaft gelobt und Keiner hatte sich ein Verbrechen oder nur einen großen Fehltritt zu Schulden kommen lassen. Das Schlimmste, was sich vorfand, war, daß ein ziemlich wohlhabender Leinweber um 1630 sich bei seinen Vorgesetzten den Verdacht zugezogen hatte, als wenn er zur lutherischen Ketzerei hinneige. Dies war auch die Ursache, daß er in jenen schweren Kriegszeiten fast sein ganzes Vermögen verlor, nachdem er lange im Gefängnisse hatte schmachten müssen.

Nun eilte Edmund, das älteste und wichtigste Document zu entsiegeln. Es erfaßte ihn ein Gefühl der Ehrfurcht, daß er nun die Schrift eines alten Ahnherrn in die Hände nahm, welcher jetzt nach dreihundert Jahren sein Schicksal entscheiden sollte. Nach einer frommen Einleitung erzählte dieser in alter, schwerfälliger Sprache, wie er sich wohl erinnern könne, daß sein Großvater, den er nur als einen achtzigjährigen Greis gekannt habe, in seiner Jugend als Kriegsmann gegen die Hussiten gezogen sei, er habe mit Ehren gedient, sei aber nicht belohnt worden, weil ihm seine Vorgesetzten immer einen Vorwurf daraus haben machen wollen, daß er nicht von adeligem Stamme sei. Der Vater des Stifters und Schreibers habe darum einen Wollenhandel geführt, um mit den Kriegsknechten nichts zu thun zu haben, noch weniger aber mit geizigen und hoffärthigen Hauptleuten. Der Erbstifter, Johannes Frimann, habe nun oft überlegt, wie schön es sei, wenn die Fürsten, so wie auch viele große Reichsfamilien, von ihren Vorfahren wüßten, was Jeder gethan, was Jeder gewesen. Das mache sie auch so stolz und sicher, daß der Edle von seinen Vorfahren nicht bloß Reichthümer, sondern ihre Thaten, und mit diesen ihre Tugenden überkommen habe. Kläglich sei es freilich bei der Armuth und dem Bürgerstande, daß auch der Gute sich zuweilen zu tief bücken und zu Beschäftigung und Erwerb von Noth geängstigt greifen müsse, die ihm keine Ehre brächten, ihn auch wohl nach und nach schlecht, oder gegen guten Ruf und Tüchtigkeit gleichgültig machten. So ließe sich denken, daß fortgesetzte Erniedrigung solcher Familien, in welchen es Diebe, Lügner und Kuppler gegeben habe, wohl im Blute selbst endlich Bosheit und Niedrigkeit erzeugen und sich den Verwandten und Erben schon als einheimisch gewordene Schlechtigkeit mittheilen könne. Es sei also begreiflich und auch wohl zu entschuldigen, wenn der Vornehme bei gewissen Umständen Widerwillen und Geringschätzung der Bürgerlichen äußere, weil bei der Dunkelheit der Familienverhältnisse es nicht unmöglich scheine, daß Buben und schlechtes Volk ganz nahe mit Dem verschwägert oder verwandt sind, der sich dem Grafen oder Freiherrn gegenüber etwas herausnehmen wolle. Unbegreiflich bleibe es ihm daher, daß die wenigsten adeligen Geschlechter sichere Nachrichten weit in das Alterthum hinauf aufweisen könnten; so hochmüthig sie auf ihren Stand und ihre Ahnen wären, so wenig wüßten sie doch eigentlich von diesen zu erzählen. Ob der Freiherr aus Steiermark, Tyrol, Schwaben oder Baiern herstamme, könne er niemals darthun, selbst in den ältesten und besten Stammbäumen seien Lücken, viele mit Lüge und Thorheit ausgefüllt. Am seltsamsten aber sei, daß Räuberei, Mordbrand, Verrath und Empörung gegen Fürsten und Vaterland, Verschwörung, Meineid und dergleichen schwere Verbrechen, welche auch in so vielen Landes- und Familiengeschichten vorkommen, den Stamm und den Abkömmling in den Augen der Welt nicht zu entehren scheine. So daß, wie die unbedingte Auszeichnung auf der einen Seite billig scheine, so erscheine sie auf der andern eben so unzulässig, ja grausam und tyrannisch. –

So war ich denn alt geworden, ich Johannes Frimann, ein ehrsamer Schneidermeister hier in der Hauptstadt unseres Fürsten. Mein guter Vater war das gewesen, was seine Gegner ein gutes, ehrliches Schaf nannten, das heißt, der fromme stille Mann war zu gut, um die Schlechtigkeit seiner Nebenmenschen zu begreifen. Für Freunde, die er für wahre hielt, hatte er sich verbürgt und sie vom Untergange gerettet. Sie lachten ihn aus, als er bettelarm wurde und sie ihr Schäfchen aufs Trockne gebracht hatten. Er mußte den Tuchhandel aufgeben und ich war darin glücklich, daß ich den lieben zu guten Alten erst als Geselle und dann als Meister mit meiner Nadel erhalten konnte. Er war so arglos und gutmüthig, daß er sich selbst an der Wohlfahrt seiner Freunde, die ihn seitdem keines Blickes würdigten, erfreuen konnte. Ich war selber arm, und es schmerzte mich, meinem liebevollen Vater kein besseres Leben geben zu können. Doch unvermuthet wurde ich durch Erbschaften reich, ich ward unter meinen Mitbürgern angesehen, selbst der Magistrat verachtete mich nicht mehr. Da kam ich auf den Gedanken, ob es denn nicht möglich sei, eine Art von Bürgeradel oder eine begründete Bürgerlichkeit zu stiften. Ich sprach darüber mit anderen Meistern, wurde aber nur meines Dünkels wegen ausgelacht. Ich liebte meinen Sohn und in Gedanken schon meine Nachkommenschaft, und wie es des Regenten schönste und bitterste Sorge ist, seinen Enkeln ein unzerrüttetes Reich zu hinterlassen, so schien es mir wichtig, einen guten Namen den Meinigen zu stiften und zu erhalten. Ich schenkte eine Summe der Kirche Lambertus, und stiftete hiemit, daß jeder Frimann sein Leben einreicht, wenn er alt ist, und Probst und Geistlichkeit das Ehrbare seines Wandels bestätigen. Auf drei Jahrhunderte hinaus soll diese Grille oder der Gedanke reichen, wenn mein Geschlecht nicht vorher ausstirbt. Immer der Aelteste, wenn mehr Söhne da sind, soll diese Aufgabe erfüllen, und die Tochter, wenn nur eine solche lebt, endigt das Verzeichniß und der Stamm gilt für ausgestorben. Möge der Himmel diesen Einfall durch seinen Segen zu einem ersprießlichen machen, und mögest Du, Urenkel, nach dreien Jahrhunderten nicht auf den grillenhaften Schneidermeister Johannes Frimann, wenn Du dieses liesest, schelten. –

Schelten konnte freilich Edmund nicht, aber er war aus allen seinen Himmeln gefallen, indem er die alten Schriftzüge anstarrte, denn er fühlte nun erst, daß ihm seine großmüthige Entsagung bis jetzt darum so leicht geworden war, weil er fast mit Gewißheit auf eine ganz andere Entwickelung gerechnet hatte, als jetzt vor ihm lag. Er überblickte alle Blätter noch einmal und versiegelte sie dann wieder, indem er ein kurzes Billet an den Grafen hinzufügte, welches um seine baldige Versetzung in jene Stadt bat, in welcher ihm der Oberkammerherr die einträgliche Stelle eines Rathes zugesichert hatte. Dieses schickte er mit dem Packete zum Grafen.

Mit der Mutter, welcher er nur kurz den Inhalt der Papiere erzählte, beredete er jetzt, wie sie ihre neue Wirthschaft einrichten wollten. Sie nannte jetzt die Gräfin Elisabeth niemals mehr, und er vermied auch jede Erinnerung an sie. Die Mutter war in Gesellschaft ihres Sohnes und in der Aussicht, künftig mit ihm zu leben, glücklich, aber ohne daß sie darüber sprach, bemerkte sie mit tiefer Trauer den lebenzernagenden Gram des Sohnes, der jetzt erst seine Gesundheit untergrub, nachdem Edmund alle Hoffnung hatte aufgeben müssen. Er stellte sich heiter und vergnügt, aber die Mutter sah wohl hinter dieser Maske seine Trostlosigkeit. Wenn sie mit dem Oberkammerherrn sprach, der sie täglich besuchte, ward auch dieses Verhältnisses, des Versprechens unter Bedingung und der jetzt entschiedenen Unmöglichkeit gar nicht gedacht; da er es geflissentlich vermied, die Tochter nur zu erwähnen, so berührte sie ebenfalls diesen Gegenstand nicht.

Wie sehr erstaunte sie daher, als sie, indem sie schon zur Abreise Anstalten traf, vom Oberkammerherrn eingeladen wurde, am folgenden Mittage mit ihrem Sohne an seiner Tafel zu speisen. Er versicherte, sie würden Beide nur ihn und seine Familie im Saale treffen, sie könnten deshalb ganz unbefangen seyn, er selbst sei entschlossen, einmal eine fröhliche Mittagsstunde im Kreise seiner Vertrauten zu genießen. Edmund hatte gleich bei der Ankunft seiner Mutter dafür gesorgt, ihr etwas bessere Kleidung zu schaffen, so anständig auch ihr bürgerlicher Anzug war; er war deshalb nicht verlegen, wenn er sich seine Mutter in dieser vornehmen Umgebung dachte, da ihre Art zu sprechen und sich zu betragen ganz so war, als wenn sie immer in der besten Gesellschaft gelebt hätte.

Zitternd führte er am andern Mittage seine Mutter nach dem Speisesaale, indem er dachte, daß er seine geliebte Elisabeth dort finden und sie wohl heute zum letzten Mal in seinem Leben sehen würde. Die Gesellschaft war schon versammelt und der alte Graf schien sehr vergnügt und gesprächig, er hatte heute alle jene Förmlichkeit abgelegt, die ihn sonst so auffallend von den Menschen absonderte. An diesem Tage war auch der Haushofmeister als Gast zugegen, was nur in jedem Jahre Einmal geschah. Der Haushofmeister, als man sich an den runden Tisch setzte, wies Jedem seinen Platz an, neben den Oberkammerherrn setzte sich rechts die Mutter Edmunds und links Elisabeth, neben diese Edmund, dann folgten der General und dessen Gemahlin, an welche sich der Haushofmeister anschloß, dann folgte Katharine mit ihrem Bräutigam, der wieder an der Seite von Edmunds Mutter seinen Platz fand. Der junge Frimann erstaunte sowohl über dies Familienfest, wie darüber, daß man ihm neben Elisabeth seine Stelle angewiesen hatte; er sprach diese, er blickte sie mit sehnendem Auge an und bemerkte, wie bleich sie der Kummer der letzten Wochen gemacht hatte. Er freute sich, daß sein Beschützer seine Mutter so ehrte, daß er sie im Angesichte der Familie neben sich setzte und vertraut und heiter mit ihr sprach. Noch munterer als der Graf war der General, der viel Lächerliches erzählte und den Bräutigam Katharinens zu erheitern strebte, der nur leise mit seiner Braut sprach und die übrige Gesellschaft beobachtete.

In der Mitte der Mahlzeit erhob sich der Oberkammerherr, nahm mit freundlichem Anstande sein Glas und trank die Gesundheit des Brautpaars, des Freiherrn und seiner Tochter Katharine; man stieß an, man dankte, man wünschte Glück, der Graf umarmte mit Rührung seinen Eidam und winkte dann, daß man sich wieder niedersetzen möge. Er selber schenkte sein Glas wieder voll, sah mit einer seltsamen Miene im Kreise umher, sein Gesicht ward noch feierlicher, und er schien mit einer großen Bewegung zu kämpfen. Noch Eine Gesundheit bringe ich aus, sagte er dann, von der ich wünsche, daß alle Gegenwärtigen, wenn sie es herzlich mit mir meinen, sie mit freudigem Gemüthe erwiedern: nehmlich das Wohlsein meines bisherigen Secretairs, des von mir hochgeliebten Herrn Edmund Frimann und seiner Braut, meiner Tochter Elisabeth!

Allgemeines Erstaunen, Aufruhr, dann Glückwunsch und Jubel. Edmund hatte sich erhoben, der Saal schien um ihn zu tanzen, er erhob sein Glas und wollte sprechen; da stürzten ihm, ohne daß er es wußte, zwei große Thränen aus den glänzenden Augen. Er blickte Elisabeth an, die in seligen Gefühlen schwamm, und ohne Rückhalt ihn umarmte und einen Kuß auf seine Lippen drückte. Noch mehr ward er erschüttert, als er in das verklärte Angesicht seiner glückseligen Mutter schaute. Jetzt umarmte der Oberkammerherr seine Tochter Elisabeth, Edmund und dessen Mutter, und als man sich wieder etwas beruhigt und gesetzt hatte, sagte der alte Graf: meine Kinder, ich bin glücklich, daß ich Euch Alle glücklich machen kann. Immer war mir dieser theure Herr Frimann wie ein Sohn. Er ist ein Bürgerlicher, aber meine Liebe zu ihm, meine Verehrung seiner herrlichen Mutter, die wie ein Schutzengel meine Jugend verklärt hat, seine edle Liebe zu meiner Tochter und seine reine Abkunft von einer Bürgerfamilie, die seit mehr als dreihundert Jahren beweisen kann, daß kein Unredlicher unter ihnen war, kein Unwürdiger, der dem Stamme Schande machte (etwas, das vielleicht kein adeliges Haus, oder nur wenige, von sich rühmen können), Alles dies hat mich nach reiflichem Nachdenken bewogen, von meinen bisherigen Grundsätzen abzuweichen und dieses Bündniß zu schließen. Am Dreikönigstage sollen beide Vermählungen gefeiert werden, und Du, mein Sohn Edmund, wirst mein Gut Rosenheim mit meiner Tochter bewohnen, welches von heut an Euer Eigenthum ist. Nach einigen Jahren, oder wann es Dir gefällt, kannst Du Dich umsehen, ob Du Dienste nehmen willst, und die Gnade unseres huldreichsten Königs wird Dir entgegenkommen. Ziehst Du die Einsamkeit und Muße vor, so stimme ich Dir auch darin bei, denn Du sollst ganz frei handeln und unbeschränkt seyn. Ich hoffe, daß kein Mitglied meiner Familie durch diesen meinen wohlbedachten Entschluß sich gekränkt fühlen wird.

Katharine und die Generalin bezeugten ihre Freude über diese Begebenheit, und der verlobte Freiherr sprach so vernünftig und billigend, daß der General ihn stürmisch umarmte und dann mit Lebhaftigkeit sagte: Verehrter Herr Vater, Sie sind ein ganzer Mann, und vom heutigen Tage noch mehr, und ich muß Sie darum noch höher schätzen, als bisher! Das störte mich, wenn ich aus dem Herzen sprechen soll, bis jetzt ein wenig, daß Sie allzu sehr Edelmann waren. Ich bin auch von alter Familie, aber ich gestehe, daß, wenn ich so in Chroniken und Geschichten las, mir die Soldaten von Fortun, die sich aus einem niedern Stande emporarbeiteten, immer am Besten gefielen und mich am Meisten interessirten. Herr Frimann ist mein Herzensfreund und er verdient das beste Glück, das ihm nun auch in unserm Lisbetchen geworden ist.

Ich habe Sie, fing der Graf wieder an, Herr Haushofmeister, darum heute zu meiner Familie gerechnet, damit Sie der Dienerschaft meines Hauses diese Begebenheit bekannt machen und sie ihr im rechten Lichte vorstellen. – Dem Könige habe ich die ganze Sache erzählt und vorgetragen, er hat seine volle Einstimmung gegeben, ja er hat mir mit übergroßer Gnade ein Adelsdiplom für meinen Eidam aufgezwungen! Ja, ich sage mit Recht aufgezwungen, denn ich suchte diese Gnade nicht und verbat sie im Gegentheil, aber er hat meine Einwendungen nicht beachtet. Danken wir ihm diese Huld und feiern seinen Namen.

Feierliche Gesundheiten erklangen und erschollen wieder. Die Brautleute waren wie betäubt und konnten sich in ihrem Glücke noch nicht fassen.

Als man sich von der Tafel erhoben hatte, gingen Elisabeth und Edmund in ein anderes Zimmer, um in der Einsamkeit ungestört zu lachen und zu weinen. Edmund war begeistert in seiner Rührung, denn er faßte es nun wohl, daß jene Jakoba, deren Namen er so oft in den Blättern gefunden, die ihm der Graf gegeben hatte, seine Mutter sei. Der Greis sagte zu dieser, als sie allein waren: Nun, Geliebte meines Herzens, alte, theure Jakoba, habe ich es recht gemacht? Sieh, darum, weil er Dein Sohn war, war mir dieser Edmund so lieb, er war ja das Kind meines Herzens, er und Elisabeth mußten sich finden, und in ihrem Liebesglück gleichen sich erst die Freuden und Schmerzen unserer Jugend völlig aus.

 


 


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