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Dr. Schreyer und Elisabeth hatten die Bahn verlassen, Pferde genommen und ritten, von einem Hindu als Führer begleitet, in den taufrischen Morgen hinein. Sie waren mit starken Erwartungen in die majestätische Bergwaldeinsamkeit hinausgezogen; doch das, was sie fanden, übertraf ihre kühnsten Erwartungen. Sie hatten die Empfindung, in eine Märchenwelt versetzt worden zu sein. Die wundersame balsamische Frische des indischen Frühlingsmorgens umwehte sie. In den unbeschreiblichen Blütenduft mischte sich der frische herbe Geruch der feuchtkühlen Erde. Unzählige Vögel sangen. Es war für die beiden ein Ritt wie durch ein erschlossenes Paradies.
Sie merkten kaum, daß sie schon stundenlang geritten waren, als sie bei der Besitzung des Prinzen Rami ankamen. Da der Weg zum Jagdhaus, das der Prinz den beiden zum Aufenthalt zur Verfügung gestellt hatte, von hier aus nicht mehr zu verfehlen war, wurde der Führer abgelohnt und die beiden setzten ihren Weg allein fort. Obwohl dieser Weg fast ununterbrochen durch Wald ging, dessen hohe Bäume den Sonnenstrahlen keinen Durchschlupf gewährten, war die Hitze doch schon so sehr gestiegen, daß die beiden Reiter froh waren, als sie zwischen den Bäumen die Jagdhütte auftauchen sahen. Das Haus war ganz aus Holz errichtet und umfaßte fünf bis sechs Räume. Es war von einem hübsch angelegten, doch vollkommen verwilderten Garten umgeben, in dem die brodelnde Fruchtbarkeit des indischen Frühlings ihre Triumphe feierte. Das Anwesen war von einem rankenübersponnenen Zaun umgeben, der aber an vielen Stellen schadhaft war und das Eindringen Unberufener nicht verhindern konnte. Der Zaun hatte zwar eine Türe, die aber weit offen stand und augenscheinlich seit vielen Jahren nicht mehr geschlossen worden war. Auch die Türe des Hauses stand weit offen. Trotzdem war nichts Lebendes zu sehen – außer einem kleinen langhaarigen Köter, der vor dem Hause im Grase lag und unbeschreiblich faul in die Sonne blinzelte.
»Es scheint, als wenn unserem Eintritt in dieses gastliche Haus keine wesentlichen Hindernisse im Wege stehen«, lachte Schreyer, sprang vom Pferde und trat, von Elisabeth gefolgt, ins Haus. Totenstille überall. Und doch war das Haus bewohnt, denn in dem ersten Zimmer, in das die beiden Fremden hineintraten, da dessen Türe weit offen stand, gewahrten sie die Reste eines stattlichen und nicht schlechten Frühstücks.
»Holla heda!« schrie der Doktor mit lauter Stimme und schlug ein paarmal kräftig mit seiner Reitpeitsche auf den Tisch.
Keine Antwort – tiefes Schweigen.
»Der Herr des Hauses scheint ausgegangen zu sein«, bemerkte Schreyer. »Nun, dann eben –«
Er brach mitten im Satze ab, denn als er sich während dieser Worte umwandte, gewahrte er unter einem Wandteppich, der eben erst beiseite geschoben worden war und der eine Art Alkoven verdeckte, einen unbeschreiblich dicken Mann, halb indisch, halb europäisch gekleidet, der unbeweglich dort stand, den Turban schief auf dem Kopf, und die Eindringlinge mit überaus zornigen Blicken musterte. Sogleich begann er mit großer Zungengeläufigkeit und erheblicher Lungenkraft auf Hindostanisch zu schimpfen. Er gab, wenn nicht alle Anzeichen täuschten, einer überaus großen Entrüstung Ausdruck, wie es ein Mensch tut, der auf sehr rücksichtslose Weise aus wohlverdienter süßer Ruhe aufgeschreckt wird. Wobei er wiederholt in nicht mißzuverstehender Weise auf die weitgeöffnete Türe wies.
Die beiden Besucher ließen diesen Wortschwall eine Weile geduldig über sich ergehen. Sie lachten belustigt. Ganz plötzlich aber wurde der Doktor wütend. Mit einem einzigen großen Schritt trat er dicht vor den Schimpfenden.
»Maul halten!« donnerte er ihm ins Gesicht, in einem Ton, daß jener verstummend gegen die Wand flog. »Wir haben jetzt Ihrer Begrüßung lange genug zugehört, bester Herr Pandani. Jetzt sprechen Sie mal gefälligst Englisch. Ich weiß, Sie können es.«
»Ich kann, aber ich will nicht!« krakehlte Pandani, aber auf Englisch. »Was habt ihr hier verloren? Was wollt ihr hier? Macht euch fort! Packt euch! Schert euch weg! Geht hinaus! Verschwindet! Ich habe euch nicht gerufen!«
»Von all dem, was Sie da hervorgesprudelt haben, hat nur das letzte einen Sinn. Nein, mein guter Pandani, Sie haben uns nicht gerufen. Aber der Prinz Rami, Ihr Herr, hat uns geschickt.«
Pandani machte eine so erschrockene Gebärde, als wolle er allsogleich in die Knie sinken. Sein kreisrundes Gesicht bekam dadurch, daß sein Unterkiefer herabsank, die Form einer Ellipse, und es war erstaunlich, wie weit seine Augen aus den sie umgebenden Fettpolstern heraustreten konnten.
»Ist das wahr? Der Sahib Prinz Rami –« bei dem Worte machte er eine tiefe Verbeugung und legte die Hände flach an die Stirne – »hat euch zu mir gesandt?«
»Zum Beweise, daß wir weder Räuber noch Diebe sind, nehmen Sie dies«, lächelte der Doktor und überreichte dem Hausmeister den Brief mit dem Siegel des Prinzen. Pandani küßte erst andächtig das Siegel, dann öffnete er den Brief, las aufmerksam den Inhalt – und plötzlich lag er vor dem Doktor auf den Knien, mit der Stirn auf dem Boden.
»Sahib, nimm meinen Kopf! Ziehe sogleich dein Schwert und schlage ihn mir ab. Bitte, tu es sogleich! Laß mich nicht lange Todesangst ausstehen!«
»Aber nein, warum denn!« rief Schreyer verblüfft.
Pandani wies mit zitterndem Finger auf das Papier.
»Mein Herr, der Prinz, hat dich seinen Freund genannt. Ich aber – ich habe dich einen Spitzbuben geschimpft. Sahib, du bist es dir selbst schuldig, mir sofort den Kopf abzuschlagen.«
Und er bot willig dem beleidigten Sahib seinen feisten Nacken. Schreyer ließ ein lustiges Gelächter hören, in das Elisabeth ein wenig zaghaft mit einstimmte.
»Mein guter Freund, tu nicht so, als wenn du ein Dutzend Köpfe zu vergeben hättest. Ich habe kein Verlangen nach deinem schönen Haupt. Auch habe ich, wie du siehst, gerade kein Schwert zur Hand. Aber ich möchte ein Messer ziehen, um ein gebratenes Huhn zu zerlegen. Also fix, Pandani, werde vernünftig! Stell dich auf die Beine! Zeige uns unsere Zimmer. Und während wir uns fertig machen, schaff zu essen und zu trinken. Hast du verstanden?«
Pandani aber hob einstweilen nur den Kopf vom Boden auf und blinzelte mißtrauisch von einem zum anderen.
»Ist es dir wirklich ernst, Sahib? Darf Pandani, dein niedrigster Diener, leben bleiben? Hast du vergessen, Sahib, daß ich euch ausgeschimpft habe? Daß ich euch Räuber und Diebe nannte?«
»Hast du das? Ich dachte, es sei eine Begrüßungsrede. Freue dich, daß wir kein Hindostanisch verstehen! Aber nun vorwärts, vorwärts, vorwärts, Mann! Wir haben Hunger und Durst.«
Man hätte nicht glauben sollen, wie flink der dicke Hausmeister seine zwei Zentner schwere Körpersäule auf die Füße stellen konnte. Nun strahlte alles an ihm vor eitel Freude und Glück. Eilfertig hüpfte er vor den beiden Gästen her, die Treppe hinauf, in jeder Hand eins der Pakete, die die beiden Gäste auf ihre Pferde geschnallt hatten. Im Nu waren zwei hübsche, saubere Räume für die Gäste hergerichtet. Binnen einer Minute stand in jedem Zimmer ein großer Tonkrug, angefüllt mit köstlichem frischem Wasser. Und während die beiden Reisenden sich auf ihren Zimmern erfrischten und umkleideten, bereitete er ihnen unten ein Frühstück, das den Gästen, als sie ins Speisezimmer traten, einen Ausruf der Freude entlockte.
Pandani, der erst eben leidenschaftlich verlangt hatte, geköpft zu werden, durfte jetzt sogar am Mahle teilnehmen. Und er tat das mit Wonne, obwohl er anscheinend erst eben ein nicht zu geringes Frühstück verstaut hatte.
Diese Ehre wurde ihm in Zukunft öfters zuteil. Dann war er jedesmal glücklich. Er erzählte mit Feuer und Schwung. Und als er hörte, daß der fremde Sahib ein Gelehrter sei, der die Tiere des Urwaldes studieren wolle, da wußte er stundenlang über die indische Fauna die erstaunlichsten Dinge zu erzählen. Ein Glück, daß Schreyer kein Zoologe war! Er hätte mit den Belehrungen Pandanis den Brehm höllisch in Unordnung gebracht.
Schreyer aber verstand es, unbemerkt das Gespräch von den Tieren auf gewisse Menschen hinüberzuspielen. Und da Pandani überaus redselig und glücklich war, wenn er erzählen durfte, erfuhren die beiden über den Prinzen und seine beiden Gäste alles, was sie zu wissen wünschten. Da Pandani bald heraus hatte, daß die fremden Sahibs an den Gästen des Prinzen ein ganz besonderes Interesse hatten, hatte er im Schloß sehr bald einen Vertrauten, der ihm über jede Kleinigkeit gewissenhaft Bericht erstattete. Bald wußte Schreyer, daß die Gäste angekommen waren; daß sie nicht im Schlosse wohnten, sondern jeder in einem besonderen Bungalow; daß der Prinz offenbar sehr viel zu tun habe, so daß er sich kaum um die beiden Sahibs kümmere; daß diese sehr viel beisammen seien und sich dann andauernd leise miteinander unterhielten. Schreyer bewies dem gefälligen Hausmeister seine Dankbarkeit in klingender Münze, was diesen wiederum zu höchstem Eifer anspornte. Schreyer gab ihm zu verstehen, daß er großen Wert darauf lege, daß die beiden fremden Sahibs aufmerksam beobachtet würden und er alles, was sie trieben, erführe – daß er aber gar keinen Wert darauf lege, daß jene beiden etwas von seiner und seines Begleiters Anwesenheit im Jagdhause erführen. Pandani war ein schlauer Bursche und verstand vortrefflich, um was es sich handelte.
*
Zwei Tage nach der Ankunft der Gäste im Jagdhause wurde Schreyer in früher Morgenstunde durch die helle Trompetenstimme Pandanis aus dem Schlafe geweckt. Sofort merkte er, daß abermals »Räuber und Diebe« im Anzug sein müßten, denn der brave Hausmeister hielt soeben eine ebenso wortreiche und geräuschvolle Rede wie neulich bei seinem und Elisabeths Einzug. Schreyer bog den Kopf zum Fenster hinaus und sah vor dem Hause einen schlanken Hindu stehen, der, ohne sich zu rühren, das zornige Geschnatter des Hausmeisters auf sich herniedergehen ließ und im übrigen tat, als wenn das alles ihn gar nichts anginge.
»Pandani, was ist denn los, zum Henker? Was brüllst du denn, als wenn du gespießt werden solltest?«
»Dieser Dieb und Räuber behauptet, er hätte dir etwas Wichtiges zu sagen, Sahib. Aber natürlich ist das eine unverschämte Lüge. Soll ich ihn nur peitschen oder willst du, daß ich ihn köpfe? Oder ist es dir lieber, wenn ich ihm die Haut abziehe und ihn an meinem Kohlenfeuer lebendig röste?«
»Frühstücke erst, du Großmaul, dann wirst du gescheiter«, antwortete Schreyer auf die liebenswürdigen Anregungen des Hausmeisters. Dann richtete er seinen Blick auf den Hindu, der unbeweglich stand und zu ihm emporstarrte. Augenscheinlich wartete er darauf, angeredet zu werden.
»Wer bist du und was willst du von mir?«
»Ich bin Panja«, antwortete der Hindu einfach. »Sahib Froberger schickt mich.«
»Ah! Sehr gut! Ich habe dich schon erwartet. He, Pandani!«
Die weiße Gestalt Pandanis kam zum Vorschein.
»Die Sonne möge dich noch hundert Jahre lang bescheinen, Sahib!« rief er fröhlich nach oben.
»Danke, Pandani. Aber wenn du meine Diener so schlecht behandelst, werde ich vor Zorn und Ärger sehr bald sterben.«
»Die Götter mögen dich beschirmen, Sahib!« rief Pandani erschrocken. »Ich verdiente gebraten zu werden, wenn ich dir auch nur eine einzige Minute deines kostbaren Lebens verbitterte.«
»Sehr richtig. Darum merke auf, was ich dir sage! Dieser junge Mann ist mein Diener Panja. Er wird von heute ab hier im Hause wohnen. Ich erwarte von dir, daß du es ihm an nichts fehlen läßt. Dafür soll Panja dir bei der Arbeit helfen, wenn er nichts anderes zu tun hat.«
»Das ist ein sehr guter Einfall, für den die Götter dich segnen mögen«, rief Pandani erfreut. »Wenn du also für Panja nichts zu tun hast, bitte ich dich, ihm zu befehlen, daß er mir Holz spalte, damit ich dir Frühstück kochen kann.«
»So soll es geschehen, doch erst, wenn Panja gegessen und getrunken und sich von dem langen Marsch ausgeruht hat.«
*
Ponks und Sanders saßen auf der Veranda in Ponks' Bungalow. Die Hauptmahlzeit war eben vorüber, doch die Hitze war so groß, daß niemand rechten Appetit gehabt hatte. Nun saßen sie in bequemen Stühlen, rauchten und versuchten zu schlafen. Doch nur Sanders gelang dies. Seine Zigarre erlosch allmählich und die Augen fielen ihm zu. Ponks hatte bereits seine zweite Zigarre in Brand gesetzt. Trotz der Hitze, die ihm den Schweiß aus allen Poren trieb, war sein Geist rege wie immer. Er grübelte, und eine finstere Falte auf seiner Stirn deutete an, daß seine Gedanken unangenehmer Natur waren.
»Hast du eigentlich in den letzten Tagen nichts Auffälliges bemerkt?« wandte er sich plötzlich höchst rücksichtslos an den schlummernden Sanders. Der erschrak so sehr, daß die Zigarre seiner Hand entfiel. Schlaftrunken starrte er Ponks an. Dann hob er mechanisch seinen Stummel vom Boden auf.
»Was ist denn los?« stotterte er. »Warum zum Teufel weckst du mich?«
»Ach so, du schliefst schon wieder!« knurrte Ponks geringschätzig. »Du scheinst vollkommen zufrieden zu sein, wenn ich für dich denke.«
»Kannst du denn überhaupt denken, bei dieser greulichen Hitze?«
»Ja, ich kann. Weil ich muß. Unter anderem denke ich seit gestern darüber nach, warum man uns eigentlich auf Schritt und Tritt bewacht. Sorge um unser Wohl wird nicht die Ursache sein.«
»Dummes Zeug!« brummte Sanders mit geschlossenen Augen. »Einbildung.«
»Geht's dir denn nicht so wie mir, daß, wohin du auch deinen Schritt wendest, solch ein brauner Schlingel vor dir auftaucht?«
»Das ist nichts als der übergroße Diensteifer dieser Leute. Sie werden vom Prinzen ihre Anweisungen bekommen haben.«
»Das ist alles Quatsch – bis auf die Anweisungen. Daran glaube ich. Was aber veranlaßt den Prinzen dazu? Es kann doch unmöglich Mißtrauen sein.«
»Wie sollte er dazu kommen!«
»Ist dir denn auch nicht aufgefallen, daß der Prinz hier anders zu uns ist als in Bombay?«
»Ich wüßte nichts an ihm auszusetzen. Ich finde, er ist sehr höflich.«
»Jawohl, höflich! Das ist er! In Bombay aber war er herzlich.«
»Ach was! Solche Herren haben ihre Launen. Man darf nichts darauf geben.«
»Wenn man ein Trottel ist, kann man sich alles in der Welt harmlos erklären!« knurrte Ponks seinen Gefährten wütend an.
Sanders wollte hochgehen. Doch rechtzeitig erinnerte er sich seines letzten so ungünstig verlaufenen Entrüstungsanfalls. Darum tat er etwas weit Klügeres: er machte die Augen zu und tat, als schliefe er.
Nach einer Weile ging die Türe auf und mit lautlosen Schritten trat ein eingeborener Diener herein. Nach Landessitte wartete er, bis er angeredet wurde.
»Was willst du? Warum störst du mich?« fragte Ponks übellaunig.
»Sahib, der Bote ist draußen.«
»Welcher Bote?« fuhr Ponks auf.
»Aus Bombay. Er sagt, Sahib, du erwartest ihn.«
»Er soll sofort hereinkommen!« befahl Ponks und erhob sich.
Der Diener winkte nach draußen, und ein brauner Bursche mit verschmitzten, aber hinterhältischen, tief in ihren Höhlen liegenden Augen kam unter fortwährenden Verbeugungen die Treppe des Bungalows herauf. Ponks winkte dem Diener, zu gehen, und wandte sich dann an den Ankömmling.
»Wer bist du und wer hieß dich hierherzukommen?«
»Ich bin Kurullu. Memsahib Pombal schickt mich mit diesem Brief.«
Er entnahm seinem Turban ein Schreiben und überreichte es Ponks. Dieser riß den Umschlag auf und überflog hastig den Inhalt des Schreibens. Ein Zug tiefer Befriedigung glitt über sein Gesicht.
»Es ist gut. Laß dir zu essen geben. Antwort ist nicht nötig. Doch halt – du bist der Diener des Herrn Karaka, nicht wahr?«
»Ja, Sahib.«
»Du wirst einen Brief für deinen Herrn mitnehmen. Geh jetzt und warte, bis ich dich rufen lasse.«
Der Hindu ging hinaus. Als er draußen war, drehte Sanders mit einer schnellen Bewegung seinen Kopf zu Ponks herum. Seine Augen waren nun offen, und er war so wach, wie nur möglich.
»Was hat der Kerl für Nachrichten gebracht?«
»Oh – nichts besonders Wichtiges«, antwortete Ponks und tat gleichgültig.
Die Mienen Sanders' nahmen einen sonderbar erstaunten Ausdruck an.
»Wie sagst du, nichts besonders Wichtiges? Hör mal, mein Lieber, diese Antwort steht in einem ganz merkwürdigen Widerspruch zu deinen Mienen.«
»Wieso?« fuhr Ponks auf und schoß einen bösen Blick auf Sanders.
»Ich bin an dir nicht gewohnt, daß du wegen einer unwichtigen Sache in eine solch freudige Aufregung gerätst«, grinste Sanders.
»Freudige Aufregung – du bist toll. Nun gut, ich will dir sagen: Karaka hat mir geschrieben, daß alles vortrefflich geht, besser, als er selbst erwartet hatte. Das ist angenehm zu hören, aber, wie du zugeben wirst, noch nichts Endgültiges.«
»Hm – so, so«, brummte Sanders. »Er hat also nicht geschrieben, wie viel Geld er bereits in seiner Tasche und zu deiner Verfügung hat?«
Ponks wechselte ein wenig die Farbe, doch sogleich hatte er seine Fassung wieder.
»Oh, was denkst du!« rief er lachend. »So schnell kann nicht einmal Herr Karaka arbeiten. Er hofft aber, binnen acht Tagen den Hauptteil der Summe in Händen zu haben. Ich bin von dieser Nachricht sehr befriedigt.«
Nach diesen Worten trat er auffallend schnell in sein Arbeitszimmer, als wollte er einer weiteren Unterhaltung über diesen Gegenstand aus dem Wege gehen. Sanders blieb unbeweglich sitzen und blickte seinem Genossen mit sonderbarem Gesichtsausdruck nach.
Als Ponks draußen war, machte Sanders eine Gebärde, als wollte er ausspucken. Doch er unterließ es. Statt dessen murmelte er die Worte vor sich hin: »So, so – nichts Wichtiges – nichts Endgültiges. Herr Ponks, wenn Sie glauben, mich übertölpeln zu können, dann irren Sie sich in mir. Sehen wir doch mal zu, ob dieser Mister Kurullu nicht was weiß.«
Er erhob sich, zündete sich eine neue Zigarre an und schlenderte trotz der glühenden Sonne in den Park hinaus. Er durchstreifte ihn nach mehreren Richtungen hin, ohne aber von dem Boten auch nur eine Spur zu erblicken.
*
Als Kurullu das Bungalow verließ, schlug er zuerst den Weg zu den Gesindehäusern ein. Verstohlen spähte er umher. Als er in dem von der Sonne durchglühten Park nirgendwo ein menschliches Wesen erblickte, änderte er plötzlich seine Richtung, huschte unter den Bäumen und Büschen dahin, wo sie am dichtesten waren und erreichte ein Pförtchen in dem Palisadenzaun, das unmittelbar in den Wald führte. Hier warf er abermals einen hastig spähenden Blick umher und schlüpfte dann flink wie ein Schatten in den dunklen Wald hinein. Hier war er sicher. Aufrecht und ohne zu zögern eilte er vorwärts und erreichte nach Verlauf von zehn Minuten eine Palmengruppe, deren einzelne Stämme durch ein dichtes Lianengeranke wie durch Teppichvorhänge miteinander verbunden waren.
Kurullu griff in das Geranke hinein, zog es auseinander und trat hindurch.
Nun zeigte es sich, daß dieses Rankengeflecht die Wände eines Raumes bildete, der, wenn er nicht durch menschliche Absicht entstanden war, ein höchst seltsames Gebilde der Natur war. Der Boden war mit einem weichen langhaarigen Moosteppich bedeckt, aus dem ein bunter Blumenflor emporsproßte. Ein großer Stein, glatt, als sei er durch die Kunst eines Steinmetzen behauen, lag in der Mitte.
Und auf diesem Stein saß eine weibliche Gestalt, die Ellbogen auf den Knien, das Gesicht zwischen den Händen, und starrte regungslos auf den Boden. In der Nähe graste ein Pferd, dessen Zaum an einem der Palmschäfte angehalftert war. Ein Damensattel lag dabei im Moose.
Als der Hindu lautlos wie ein Geist durch das Rankengewebe zu ihr hereintrat, zuckte sie erschrocken zusammen. Als sie ihn aber erkannte, erhob sie sich mit Hast.
»Alles besorgt? Hat er den Brief Karakas?«
»Ich habe getan, was Memsahib Pombal mir befohlen«, grinste der Eingeborene. »Sahib Ponks hat den Brief gelesen.«
»Er weiß doch nicht, daß ich hier bin?«
Der Hindu schüttelte lachend den Kopf. »Kurullu ist schlau und geschickt.«
»Hast du dir genau gemerkt, in welchem Bungalow Ponks wohnt?«
»In finsterer Nacht finde ich ihn wieder. Mit geschlossenen Augen. Aber – oh, Memsahib – ich wag's nicht. Sahib Ponks ist der Freund des Prinzen Rami.«
»Was kümmert das dich! Besorge mir, was ich dir auftrug und führe mich zum Hause, in dem Ponks wohnt. Alles weitere ist meine Sache.«
Und als Kurullu immer noch zögerte, zog Ria Pombal eine Börse hervor, durch deren Maschen Goldstücke funkelten. Der Eingeborene starrte wie gebannt auf das Ding.
»Gold«, murmelte er heiser. Seine Finger krampften sich zusammen, als wollten sie der weißen Frau ihr Eigentum entreißen. Doch da traf ihn ein Blick aus ihren Augen, unter dem er sich duckte wie ein gebändigtes Raubtier.
»Ja – ich will's tun – kommende Nacht«, flüsterte er und verschwand wie ein Schatten.
*
Um dieselbe Zeit saßen Schreyer und Elisabeth auf der Veranda des Jagdhauses. Plötzlich unterbrachen sie ihr Gespräch, denn sie vernahmen ein leises Geräusch, wie das unterdrückte Hüsteln eines Menschen. Es war Panja, der lautlos eingetreten war und nach der Sitte des Landes seine Anwesenheit nicht anders als durch ein leises Geräusch anzudeuten wagte.
»Ah, du bist es, Panja! Bist du schon lange hier?«
»Nein, Sahib, erst seit einer halben Stunde«, antwortete der Hindu mit einem sanften und zugleich verschmitzten Lächeln.
»Was, seit einer halben Stunde? Gut, daß man in diesem Lande viel Zeit hat! Was bringst du Neues?«
»Einen Brief, Sahib.«
»Einen Brief? An mich? Von wem?«
»Nicht an dich, Sahib«, lächelte Panja verschmitzt. »Für dich. Ich habe ihn abgeschrieben.«
»Donnerwetter, schreiben kannst du auch? Aber wie, wo, warum hast du das getan? Und was ist es für ein Brief?«
»Sahib, du hattest mich mit Briefen nach Dschuner geschickt. Dort traf ich Kurullu, den Diener des Sahib Rai Karaka. Wir kennen uns gut. Wir blieben die Nacht über in Dschuner und marschierten heute vor Sonnenaufgang ab. Kurullu erzählte mir, daß er einen wichtigen Brief des Sahib Karaka für den Sahib Ponks hätte. Als die Sonne hoch stand, rasteten wir im Walde. Kurullu lebt keinen Tag ohne Opium. Gestern hatte er keine Gelegenheit. Darum war sein Hunger heute doppelt stark. Er rauchte im Walde Opium und schlief ein. Da nahm ich den Brief, öffnete ihn und schrieb ihn ab. Er hat nichts bemerkt. Hier, Sahib, ist der Brief.«
Schreyer nahm die Abschrift und las den Inhalt der gespannt lauschenden Frau mit halber Stimme vor.
In dem Schreiben teilte Karafa Herrn Ponks mit, daß er bereits eine Million Pfund Sterling zusammengebracht und das Geld auf das persönliche Konto von Ponks bei der Niederländischen Bank hinterlegt habe, so daß er vollkommen frei darüber verfügen könne. Auch die Bemühungen des jungen Sutra Maru haben besten Erfolg, so daß in den nächsten Tagen ein Riesenbetrag Herrn Ponks zur Verfügung stände.
Die beiden tauschten einen Blick. Sie hatten sofort begriffen, daß jetzt der Höhepunkt des Dramas kommen würde. Schreyer überlegte ein paar Sekunden, dann schrieb er einen kurzen Brief an den Prinzen.
»So, mein Freund, dies ist für dich, für deine Treue und Geschicklichkeit.« Mit den Worten schob der Rechtsanwalt dem Eingeborenen eine große Banknote in die Hand. »Und diesen Brief besorgst du, ohne daß jemand etwas davon erfährt, in die Hand des Prinzen Rami.«
*
Kaum zwei Stunden später betrat der Prinz das einsam gelegene Jagdhaus.
»Ich bitte um Entschuldigung, Hoheit, daß ich nicht zu Ihnen kam, sondern Sie hierher bat. Ich wollte mich nicht vor Ihren anderen Gästen sehen lassen.«
»Ich bin gerne zu Ihnen gekommen. Gibt es etwas Neues?«
»Ja – diesen Brief«, antwortete Schreyer und legte dem Prinzen die Abschrift vor.
Der Prinz las langsam den Inhalt. Dann richtete er seine dunklen Augen auf den Deutschen.
»Wie kommen Sie zu dieser Abschrift?«
Schreyer sagte es ihm. Langsam verfinsterte sich das Gesicht Ramis.
»Und wann hat Ponks das Original erhalten?«
»Kurullu befindet sich, wie ich von Panja weiß, seit heute vormittag auf der Besitzung. Ich denke, er hat den Brief sogleich abgegeben.«
»Natürlich«, nickte der Prinz. »Aber denken Sie: Ponks hat mir vom Empfang dieser Mitteilung nichts gesagt.«
Schreyers Augen leuchteten auf.
»Das habe ich mir gedacht, Hoheit. Darum beeilte ich mich, Sie von diesem wichtigen Schreiben in Kenntnis zu setzen.«
»Das war sehr richtig von Ihnen. Mir scheint, der Stern des Herrn Ponks ist im Untergehen.«
»Allerdings, Hoheit. Was gedenken Sie nun zu tun?«
»Oh – nichts. Ich warte. Das Netz ist gelegt. Geht er hinein – gut. Entkommen kann er nicht.«
»Ich möchte wetten, daß Ponks in den nächsten Tagen nach Bombay reist, um sich für alle Fälle mit Bargeld zu versorgen.«
»Ja, er wird reisen. Er hat es schon angedeutet. Es wird seine letzte Reise sein.«
»Wenn er fährt, werde ich auf alle Fälle hinter ihm herreisen«, bemerkte Schreyer sorgenvoll.
»Das lassen Sie nur, Herr Doktor. Unsere eingeborenen Späher sind geschickter als die geschicktesten Detektive und Kriminalpolizisten. Sie brauchen wirklich nicht zu befürchten, daß er uns entwischt.«
Er erhob sich und reichte dem Deutschen die Hand.
»Wenn in den nächsten Tagen diese häßliche Angelegenheit ihren Abschluß gefunden haben wird, so werde ich von hier abreisen. Sofern Ihnen diese Waldeinsamkeit zusagt, stelle ich Ihnen gerne mein ganzes Anwesen zur Verfügung. Bleiben Sie ruhig als meine Gäste hier, so lange es Ihnen gefällt.«