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21.

Am Abend dieses Tages machten Schreyer und Elisabeth einen Spaziergang nach Malabar Hills hinaus, auf der Südwestspitze jener Halbinsel, auf der Bombay aufgebaut ist. Sie besprachen lebhaft die Ereignisse des Tages und die Möglichkeiten, die sich daran knüpften. Plötzlich unterbrach sich der Doktor mitten in einem Satze.

»Sieh dort – die Türme des Schweigens!«

Natürlich kannte Elisabeth die Bedeutung dieser Türme. Ein leichtes Frösteln überlief ihre Haut. Die Türme des Schweigens – die Begräbnisstätte der Parsen, der Anhänger des Zoroaster. Dieser Heilige hat das Gebot erlassen, daß die Toten nicht durch die drei Elemente Wasser, Feuer und Erde verunreinigt werden dürfen. Darum gibt man die Körper der Toten den Geiern zum Fraße.

Trotz ihres Schauders wünschte Elisabeth diese eigenartige Begräbnisstätte genauer zu besichtigen. Sie stiegen eine breite Freitreppe empor und traten durch ein großes Tor in einen wohlgepflegten Park mit schönen Blumenanlagen. In diesem Park stehen die fünf Türme des Schweigens. Genau genommen aber handelt es sich nicht eigentlich um Türme, sondern um Bauwerke, die eine Höhe von acht Metern, dagegen einen Durchmesser von zwölf Metern haben. Was der Besucher dieser Stätte zuerst erblickt, das ist die Menge großer grauköpfiger Geier, die allenthalben auf den Simsen der Türme, auf den Palmen und im Strauchwerk sitzen und die Luft mit ihrem heiseren Kreischen erfüllen.

Die beiden fremden Besucher hatten kaum einen oberflächlichen Blick umhertun können, als ein Trauerzug nahte. Ein Priester schritt vorauf und sprach mit lauter Stimme Gebete aus der Zendavesta, der Heiligen Schrift der Parsen. Ihm folgten vier Männer, die die Bahre mit dem Toten trugen. Daran schlossen sich einige Leidtragende, die stumm, mit gesenkten Häuptern die Bahre begleiteten. Langsamen, feierlichen Schrittes begab sich der Zug zu einem der Türme. Schreyer und Elisabeth schlossen sich in kurzem Abstand den Leidtragenden an. Niemand nahm Notiz von ihnen.

Im Inneren des Turmes befindet sich eine Plattform; darin mehrere muldenförmige Vertiefungen, in gleichen Abständen angeordnet. In eine dieser Mulden wurde der Tote, ein weißhaariger Greis, hineingebettet. Noch einige leise gemurmelte Gebetsworte – dann zogen sich Leidtragende und Träger zurück. Doch kaum hatten sie sich einige Schritte entfernt, als sich mit durchdringendem Gekreisch eine Wolke von Geiern auf den Leichnam stürzte. Unter denen, die nicht nahe genug an den Toten heran konnten, erhob sich ein wüstes Gebalge. Federn flogen und Blut floß. Ein alter kahlköpfiger Geier schleppte sich mit zerbrochenem Flügel und mehreren tiefen Wunden davon und verbarg sich in einem dichten Lorbeergebüsch.

Schaudernd wandte sich Elisabeth von dem widerlichen Schauspiel ab. Sie verließen den Turm und spazierten tiefer in den Park hinein. Für den schauerlichen Anblick dort droben wurden sie nun durch den wundervollen Rundblick entschädigt, der sich von diesem Hügel aus den Augen bietet.

Während noch beide in den herrlichen Bildern schwelgten, die eine verschwenderisch schaffende Natur hier aufgebaut hatte, ergriff plötzlich der Doktor den Arm Elisabeths.

»Schau dir doch mal jene Dame an«, flüsterte er, »dort drüben – an der Steinbrüstung – kommt sie dir nicht bekannt vor?«

»Doch – ich habe sie schon gesehen – doch wo? Hier sind uns doch alle Menschen fremd – und zu den Hotelgästen gehört sie nicht. Und doch habe ich diesen herben Mund, diese leidenschaftlichen, düsteren Augen schon gesehen.«

»Ha, ich hab's – ich weiß, wer die Dame ist«, stieß Schreyer hervor. »Ich sah sie gestern. Sie ging mit jenem Sanders, dem Freunde von Ponks, durch die Halle des Hotels. Ihre schlanke Gestalt und die einfache Eleganz ihrer Kleidung fielen mir sofort auf. Sie trägt sogar jetzt das gleiche Kleid wie gestern. Ich kenne sie bestimmt wieder.«

»Du hast recht, sie ist es«, bestätigte Elisabeth. »Auch ich sah sie gestern, als ich mit dem Kellner im Konferenzzimmer war. Da warf sie mir einen kurzen, gleichgültigen Blick zu – und wenn ich auch nur Ponks sah, so glitt mein Blick doch unwillkürlich, wie von dem ihrigen angezogen, für eine Sekunde zu ihr hinüber. Und ich war betroffen von dem düsteren leidenschaftlichen Ausdruck ihrer Augen.«

»Natürlich werden wir sie nicht aus den Augen lassen. Vielleicht erfahren wir dadurch den Aufenthaltsort von Ponks. Allerdings wird es uns im Gewühl der Stadt schwer fallen –«

»Halt, da fällt mir etwas ein«, flüsterte Elisabeth erregt. »Sollte es sich nicht um jene Person handeln, die uns in Neuyork den Brief ohne Unterschrift schrieb, in dem sie uns auffordert, nach Bombay und ins Taj Mahal Palace-Hotel zu kommen?«

Der Rechtsanwalt schlug sich mit der Hand vor die Stirne.

»Wahrhaftig, da hast du recht! Alle Anzeichen sprechen dafür, daß sie es ist. Ich werde sie ansprechen.«

Sie gingen auf die Dame zu, die in tiefem Sinnen, den Blick träumerisch auf das weite Meer hinausgerichtet, bei der niedrigen Parkmauer stand. Sie schrak ein wenig zusammen, als eine Stimme sie anredete. Abweisend und befremdet starrte sie auf den weißhaarigen Herrn, der mit gezogenem Hute vor ihr stand, und auf den jungen schlanken Menschen, der zwei Schritte abseits stehen geblieben war.

»Verzeihung, meine Gnädige, wenn ich Sie in Ihren Gedanken störe«, sagte Schreyer. »Ich glaube, ich habe ein paar Worte mit Ihnen zu reden.«

Ria Pombal zog finster ihre Augenbrauen zusammen. Ihr Blick glitt von dem alten Herrn zu dem jungen Mann hinüber und wieder zurück.

»Was wünschen Sie von mir?« fragte sie unfreundlich. »Ich bin es nicht gewohnt, von Fremden angesprochen zu werden.«

»Ich glaube es. Es ist auch nicht meine Art, fremde Damen ohne weiteres anzureden. Hier aber handelt es sich, wenn ich nicht irre, um eine wichtige Ausnahme. Ich vermute nämlich, daß Sie uns ebenso suchen, wie wir seit drei Wochen nach Ihnen suchen.«

Ria Pombal blickte den alten Herrn einige Sekunden lang starr und durchdringend an. Dann schüttelte sie kurz und ungeduldig den Kopf.

»Ich weiß nicht, was Sie wollen und verstehe Ihre Worte nicht.«

»Nicht wahr, Sie befinden sich erst ganz kurze Zeit hier und sind mit der Jacht des Prinzen Rami von Dharpur von Neuyork nach hier gekommen?«

Alles Blut wich aus dem Gesicht des jungen Weibes. Sie richtete sich jäh auf.

»Wer sind Sie – und was wollen Sie von mir?«

»Wer wir sind, das kann und mag ich Ihnen nicht so ohne weiteres sagen. Sie wissen es aber, wenn Sie die Verfasserin eines Briefes sind, der vor ungefähr drei Monaten geschrieben und an eine Dame und einen Herrn in Neuyork gerichtet wurde. In diesem Brief, der keine Unterschrift trug, wird das dringende Ersuchen an eben jene Dame und den Herrn gerichtet, sofort nach Bombay zu kommen und im Taj Mahal Palace-Hotel Wohnung zu nehmen. Ohne Zweifel wollte die Person, die den Brief schrieb, dort mit den Empfängern des Schreibens in Verbindung treten. In der Eile hat aber der Verfasser des Briefes die sehr wichtige Tatsache vergessen, daß die Empfänger, wenn sie der Einladung Folge leisteten, dies nicht unter ihrem wirklichen Namen tun konnten. Da nun die eine Partei die andere nicht kennt, ist es einigermaßen schwierig für beide, miteinander in Verbindung zu treten. Sie verstehen?«

»Ja. Aber wer hat Ihnen –« Ria Pombal brach ab und betrachtete mißtrauisch die beiden Fremden.

»Bitte, sprechen Sie doch weiter. Sie wollten vermutlich fragen, wer mir die Geschichte von dem anonymen Briefe erzählt hat. Nun denn, ich will mit dem gegenseitigen Vertrauen den Anfang machen und Ihnen erklären, daß wir die Empfänger des Briefes sind.«

Ria Pombal richtete ihren Blick auf den jugendlichen Begleiter des alten Herrn. Ihre Lippen kräuselten sich zu einem spöttischen Lächeln.

»Sprachen Sie nicht von einem Herrn und einer Dame?«

»Gewiß. Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen in diesem jungen Manne Frau Elisabeth Darlington vorstelle. Ich bin Rechtsanwalt Doktor Schreyer. Und damit Sie ganz sicher sind – hier ist der Brief.«

Er öffnete seine Brieftasche und zeigte der jungen Dame den Brief, der noch in seinem Umschlag steckte. Sie wollte darnach greifen, doch Schreyer zog die Hand mit dem Brief zurück.

»Ich bitte um Verzeihung«, sagte er lächelnd, »wenn ich Ihnen dieses Schreiben nicht in die Hand gebe. Entweder Sie haben den Brief geschrieben, dann kennen Sie seinen Inhalt ebensogut, wie Sie ihn an seinem Äußern wiedererkennen. Oder Sie haben ihn nicht geschrieben. Dann darf ich Ihnen nicht sagen, welche Nachrichten der Brief enthält.«

»Nun denn – ich habe den Brief geschrieben. Was wünschen Sie von mir?«

»Verzeihen Sie, wenn ich mich über diese Frage wundere.«

»Wieso?«

»Nun, Sie schreiben: ›Kommen Sie nach Bombay!‹ Wir kamen nach Bombay, was einigermaßen schwieriger war, als wenn Sie uns in irgend ein Neuyorker Café bestellt hätten. Und nun, da wir hier sind, fragen Sie mich, was ich von Ihnen wünsche. Nicht wahr, das ist nicht ganz – verabredungsgemäß!«

Ria Pombal wandte den Kopf zur Seite. Sie kaute auf der Unterlippe und ihr Gesicht hatte einen unaussprechlich düsteren Ausdruck.

»Doch ich will Ihnen sagen, was ich von Ihnen wünsche. Zuvörderst die Erklärung, ob Sie immer noch auf dem Standpunkt stehen, auf dem Sie sich befanden, als Sie, sichtlich in großer Erregung, diesen Brief schrieben?«

»Oh, ich bin noch viel mehr entschlossen, den Schurken Ponks zu vernichten!« rief sie. In ihren Augen flackerte eine unbändige leidenschaftliche Wut auf und ihre Lippen bebten. »Und ich werde es tun, obgleich ich selbst dabei zugrunde gehen werde.«

»Ihre Worte genügen mir. Und ich bin überzeugt, daß Sie nicht Komödie spielen.«

»Nein, bei Gott – jetzt nicht. Seit Monaten spiele ich Komödie, daß mir vor mir selbst graut. Und ich lechze nach der Stunde, da ich die Maske abwerfen kann.«

»Sehr gut. Wollen Sie nun die Güte haben, uns Ihren Namen zu sagen?«

»Ich heiße Ria Pombal.«

»Ich danke Ihnen, Miß Pombal«, sprach Schreyer mit einer Verbeugung. »Und nun möchte ich Sie bitten, uns etwas Näheres über die Sache zu sagen, die uns zusammengeführt hat.«

Ria Pombal aber schien diese Worte nicht zu hören. Fest und durchdringend blickte sie auf Elisabeth. Langsam trat sie ihr einen Schritt näher.

»Sie haben Mut, Frau Darlington«, sprach sie leise. »Wenn eine Frau ein solches Abenteuer unternimmt, dann muß sie starke Gründe dazu haben. Warum verfolgen Sie Ponks?«

»Weil er ein Verbrecher ist, der der gerechten Strafe überliefert werden muß.«

»Aber Sie sind doch kein Angestellter der Polizei!« wandte Ria Pombal kopfschüttelnd ein. »Sie müssen andere Gründe haben. Nicht wahr, Sie hassen Ponks? Er hat Sie beleidigt und Sie wollen sich an ihm rächen?«

»Nun denn, Sie haben recht.«

»Dann kehren Sie in Ihr Schloß bei Neuyork zurück!« rief Ria Pombal heftig. »Denn ich will die Rache haben. Mich hat er schwerer gekränkt als irgend einen Menschen auf der Welt. Und kein anderer Mensch als ich darf seine Hand in dem Blute dieses Ungeheuers kühlen.«

»Was tat er Ihnen?« fragte Elisabeth schaudernd.

Ria Pombal blickte eine Weile starr zu Boden, als müsse sie ihre Gedanken sammeln.

»Ich will es Ihnen sagen. Das erste Verbrechen, das er an mir beging, war, daß er mich verführte. Schon vor Jahren, als ich noch ein ganz junges Ding war. Ich hatte Jura studiert und wollte Advokatin werden. Da trat Ponks mir in den Weg. Sein glänzendes Äußere bestach mich. Allmählich lernte ich ihn lieben, obgleich ich, die ich eine Vorkämpferin des Frauenrechts werden wollte, mich lange Zeit mit aller Kraft gegen dieses Gefühl wehrte. Ich wurde seine Geliebte. Dann seine Gehilfin. Schließlich seine Vertraute. Doch je näher ich seinem Leben kam, um so weiter entfernten sich unsere Seelen voneinander. Ich erkannte, welch ein Ungeheuer er war. In der ersten Zeit hatte ich ihn angefleht, mir meine Ehre durch die versprochene Heirat wiederzugeben. Er aber hat mich ausgelacht. Später hatte ich diesen Wunsch nicht mehr. Mir graute vor ihm. Ich wollte mich von ihm befreien. Doch es war zu spät. Er schleifte mich an einer eisernen Kette mit sich. Ich war ja eine Mitschuldige seiner Verbrechen. Mein Abscheu vor ihm wurde immer größer. Schon sein Anblick verursachte mir Schauder und Entsetzen. Er merkte es und begann, mich mit Füßen zu treten. Daß er mich nicht mehr liebte, wußte ich seit langem. Eines Tages trat ein Mann namens Rollin in unseren Kreis. Ponks fand ihn in einer Stunde, da jener seinen inneren Halt verloren hatte. Aus dieser dunklen Stunde schmiedete er dem armen Rollin eine Kette gleich der meinen. Rollin war ein weichherziger Mensch, doch von schwachem Charakter. Er war so wenig eine Verbrechernatur wie Sie beide – und wie ich. Doch Ponks, dieser Teufel, zwang ihn zum Verbrechen. Gleiche Not trieb uns zusammen, Rollin und mich. Wir fühlten uns wie Galeerensträflinge. Wir haßten ihn beide, den Mann, der unsere Stirnen stündlich in den Staub drückte. Dieses gleiche Gefühl schmiedete unsere Herzen zusammen. Wir liebten uns und hatten keinen anderen Wunsch mehr, als uns aus der Eisenfessel von Ponks zu lösen. Zu diesem Zweck verriet Rollin das Geheimnis unseres Bundes an einen Mann namens Patrick O'Connel, einen Führer der irischen Bewegung. Ponks erfuhr von diesem Verrat – und er ermordete erst O'Connel, dann Rollin –«

»Oh, welch ein Teufel in Menschengestalt!« rief Elisabeth entsetzt. »Das sind zwei weitere Morde, die der Schurke auf dem Gewissen hat!«

»Auch Sie wissen von einer Mordtat?«

»Ja. Er erschoß aus dem Hinterhalt meinen Inspektor aus Rache, weil dieser gerade dazu kam, als Ponks mir in meinem eigenen Hause Gewalt antun wollte.«

Ein bitteres Lächeln flog um die Lippen des jungen Weibes.

»Mir scheint, wir sind Schwestern nicht nur dem Geschlecht, sondern auch dem Schicksal nach. Und demnach habe ich kein Recht, die Rache an Ponks für mich allein in Anspruch zu nehmen. Wir wollen einen Vergleich schließen. Wer von uns Ponks zuerst zur Strecke bringt, der soll ihn haben.«

»Was haben Sie mit ihm vor?« fragte Schreyer.

»Was ich mit ihm vorhabe?« rief sie mit hartem Gelächter. »Sie fragen noch? Ich bin lange genug in der amerikanischen Wildnis gewesen, um den alten Spruch zu kennen: ›Auge um Auge – Zahn um Zahn!‹ Ponks hat mein Leben zerbrochen, ich werde das seinige vernichten.«

»Sie wollen ihn doch nicht mit eigenen Händen töten!« rief Elisabeth bebend.

»Glauben Sie, ich würde davor zurückschrecken, wenn es sein müßte?« rief die andere wild. »Das kommt ganz auf die näheren Umstände an. Gelegenheit, ihn ums Leben zu bringen, hatte ich oft. Doch ich habe mir eine Todesart für ihn ausgesucht, die seinen unzähligen Verbrechen und Schandtaten entspricht. Dazu aber fehlte mir bisher noch der rechte Schauplatz. Darum zwang ich mich selber zur Geduld. Aber bald – bald ist meine Stunde gekommen.«

»Ich verstehe«, murmelte Schreyer. »Sie warten darauf, daß Ponks mit dem Prinzen ins Innere des Landes reist.«

»Woher wissen Sie von dieser Reise?« fuhr Ria auf.

»Es mag Ihnen genügen, daß ich davon weiß. Wollen Sie mir sagen, wann diese Abreise erfolgen wird?«

»Ich weiß es nicht.«

»Sie wissen es freilich, obwohl Ponks Sie nicht mit auf die Reise nehmen will. Sie wissen es schon deshalb, weil Sie von hier aus Ponks alles wichtige mitteilen sollen – vor allen Dingen die Erfolge des Herrn Karaka.«

Ria Pombal blickte Schreyer sprachlos an.

»Ich verstehe nicht, woher Sie das wissen können, da jedem Teilnehmer jener Sitzung strengste Verschwiegenheit zur Pflicht gemacht wurde.«

»Ich weiß das wohl, habe aber diese Verpflichtung auf mich nicht bezogen.«

»Sie reden so, als seien Sie bei der Besprechung zugegen gewesen.«

»Das war ich in der Tat. Sie sehen also, daß ich unterrichtet bin und werden nicht länger versuchen, aus den Ereignissen jener Sitzung vor mir ein Geheimnis zu machen.«

»Warum sollte ich das versuchen?« sprach Ria Pombal geringschätzig. »Stehe ich doch Ihnen näher als dem Ungeheuer Ponks.«

»Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Wir wollen in vollster Offenheit Hand in Hand miteinander arbeiten. Dafür biete ich Ihnen etwas, das Sie hoffentlich nicht unterschätzen werden. Sie sind durch eine Kette unglücklicher Umstände in eine Lage gekommen, die menschlich wohl zu verstehen, juristisch aber nicht zu entschuldigen ist. Natürlich kann ich ohne genaue Prüfung Ihres Falles nicht genau sagen, bis zu welchem Grade Sie durch Ihre Mitwirkung bei den Verbrechen von Ponks belastet sind. Sie dürfen nicht vergessen, daß Sie in dem Augenblick, da Sie sich von Ponks loslösen, durchaus noch nicht frei sind. Ich rate Ihnen, auf Ihre persönliche Rache zu verzichten, vielmehr dazu beizutragen, daß Ponks der Justiz in die Hände fällt. Ich dagegen verspreche Ihnen, daß Sie dadurch Ihre Freiheit bekommen werden, das heißt, einen Generalpardon, gleichviel was Sie begangen haben.«

Ria Pombal blickte dem Doktor lange schweigend ins Gesicht. Doch ihre Miene wurde immer finsterer, und endlich schüttelte sie ablehnend den Kopf.

»Lassen Sie mich meinen Weg weitergehen. Eine Lossprechung vor dem Gesetz kann mir nichts mehr nützen. Mein Leben ist durch und durch vergiftet. Ich habe nur noch einen Wunsch und ein Bedürfnis – Ponks zu vernichten. Ist das geschehen, dann ist auch mein Leben zu Ende.«

Elisabeth trat mit einer schnellen Bewegung dicht vor das unglückliche junge Weib hin und ergriff ihre beiden Hände.

»Es schneidet mir ins Herz, Sie so reden zu hören!« rief sie erschüttert. »Sie sind jung, schön, gebildet. Das Leben liegt noch offen vor Ihnen, herrlich schön, wie diese Landschaft, die Sie vorhin mit so bewundernden Blicken betrachtet haben. Ebensoschön kann das Bild Ihres zukünftigen Lebens sein – wenn Sie nur wollen.«

Ria Pombal aber schüttelte heftig den Kopf und befreite ihre Hände mit einem Ruck aus den Händen Elisabeths.

»Das ist nicht wahr!« rief sie ungestüm. »Wenden Sie sich um und schauen Sie jenes Bild an! Sie sehen dort die Türme des Schweigens. Sehen Sie die Unzahl der Geier, die ihres eklen Mahles warten? Hören Sie ihr häßliches Gekreische? Sehen Sie: ebensoviele Geier wohnen in meiner Seele und kreischen mir in jeder Sekunde die Unzahl meiner Fehler und Mißgeschicke vor. Und ihre scharfen Schnäbel hören nicht auf, in mein Herz zu hacken. Sie fressen an meinem Herzen, diesem toten Ding in meiner Brust, das nicht mehr warm und freudig schlägt wie früher, sondern nur noch zuckt unter den scharfen Schnabelhieben. Glauben Sie, daß solch ein Wesen noch einmal wieder aufleben und auf Glück hoffen dürfte? – Ah, Sie schweigen, Sie schauen vor sich nieder! Ich wußte es wohl. Also überlassen Sie mich meinem Geschick und machen Sie keine törichten Versuche mehr, mich auf andere Bahnen zu bringen.«

Mit einer heftigen Gebärde wandte sie sich um und machte ein paar Schritte auf den Ausgang des Parkes zu. Dann aber blieb sie stehen und wandte sich zu den beiden um.

»Eins hätte ich fast vergessen. Sie, Frau Darlington, sind die einzige Person, die seit dem Tode des armen Rollin einen herzlichen Anteil an mir genommen haben. Dafür bin ich Ihnen dankbarer, als Sie vielleicht aus meinem Benehmen Ihnen gegenüber schließen können. Wenn ich Gelegenheit hätte, Ihnen diesen Dank einst durch die Tat zu beweisen, wäre es mir eine große Freude. Und an Sie, Herr Doktor Schreyer, richte ich die Bitte, mich nicht zu verfolgen, wenn ich mich jetzt von Ihnen trenne. Lieber nenne ich Ihnen den Ort, wo ich wohne. Im Cumballahotel können Sie mich finden, wenn Sie meiner bedürfen.«

Wenige Sekunden später war sie zwischen den Büschen verschwunden.

»Welch ein armes, unglückliches Weib!« seufzte Elisabeth.

»Ja, sie scheint für diese Welt verloren«, nickte Schreyer. »Und sie ist doch ohne Zweifel ehemals ein sehr wertvoller Mensch gewesen, mit vielen guten und starken Eigenschaften. Was hätte aus ihr werden können, wäre sie jenem Schurken Ponks nie in den Weg gelaufen.«

»Und ich werde dennoch versuchen, sie innerlich wieder aufzurichten!« rief Elisabeth entschlossen. »Ich werde sie besuchen. Frauen unter sich kommen zu ganz anderen Erfolgen, als in Gegenwart von Männern.«

Dr. Schreyer nickte seiner Verlobten lächelnd zu.

»Sehr brav, liebe Elisabeth. Handle nach diesem Vorsatz. Set aber vorsichtig. Vergiß nie, daß du dich in Bombay befindest. Und vor allen Dingen laß es mich immer wissen, wenn du Ria Pombal besuchen willst, damit ich in deiner Nähe sein kann.«

Sie versprach es ihm, und da die Sonne eben untergegangen war, kehrten sie zur Stadt zurück.


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