Moritz August von Thümmel
Wilhelmine's Werdegang
Moritz August von Thümmel

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So endigte sich das fröhliche Hochzeitsmahl. Die trunkenen Gäste taumelten in dem kleinen Raume des Zimmers immer wider einander. Ein Evan Evoe umschallte die Wände, Leuchter und Stühle drehten sich in einem Kreis herum, und unvollendete Lieder und halbgestohlne Küsse erfüllten die Luft. Die zerstreuten Kammerherren, ohne Gedanken, in welchem frommen Hause sie lebten, riefen nach einer Karte zum Pharao. – Die junge Komtesse, ihres jungfräulichen Zwanges, und ihrer Gouvernante uneingedenk, stellte sich mit dem freundschaftlichen Hofmarschall in den einsamen Bogen des Fensters, und dieser genoß der süßen Betäubung der Schönen, so gut als er vermochte. Der kindische Kammerjunker versuchte seinen Witz an dem schläfrigen Hofnarren, und alle Vorteile, die er über ihn erhielt, erzählte er mit lautem Triumphe der unaufmerksamen Gesellschaft. – Aber alle verachteten die harmonische Erinnerung des Nachtwächters, und übersahen das politische Gähnen des Neuvermählten, und lachten alle den Mond an. So taumeln oft die vermummten Geschöpfe einer Maskerade widersinnig untereinander, vergessen ihre Verkleidung, um nach dem Trieb ihrer Sinne zu handeln. – Rabbi Moses zieht die verkappte Nonne zum schwäbischen Tanz auf, oder fordert ein Stück schmackhafte Zervelatwurst. Der lange Türke trinkt im falben Burgunder die Gesundheit des allerchristlichsten Königs, und die stroherne Pyramide fängt an, Knaster zu rauchen.

Jetzt ging der ungeduldige Ehemann in seine einsame Studierstube – verwünschte seine lärmenden Gäste, und rief also zum Amor: »O, du mächtiger Sohn der Cythere! hast du mir deinen Schutz nur darum angeboten, und mich deines Rates gewürdiget, um mich jetzt desto mehr zu kränken, und mein dankbares Herz wider dich zu empören? Was hilft es, daß du mich nach den Reizungen meiner Wilhelmine hast schmachten gelehrt, und daß du mich durch ihr melodisches Jawort beglückt hast. – Was hilft es, daß mir dieser Tag in der schönsten Feier entflohen ist, wenn meine erste Brautnacht langweilig und ungefeiert davonzieht? Die lächelnde Morgenröte wird mich spottend an die neue Bekanntschaft einer Freude erinnern, die wider mein Verschulden mir fremd geblieben ist, und Wilhelmine wird mir mit ernsthaftem Lächeln in das Gesicht sehn, wenn sie die glückwünschenden Bauern, Frau Magisterin, grüßen. Diese Nacht, o Sohn der Venus, nur diese einzige Nacht, beherrschest du noch mit dem Hymen in gemeinschaftlicher Ehre. – So laß mir doch nicht durch das wilde Getöse der geputzten Höflinge, und durch das Wiehern ihrer Pferde, diese glücklichen Stunden entziehen, die keine Macht vermögend ist, mir wieder zurückzuführen, sollten sie einmal davon sein!« Diese Seufzer des unruhigen Magisters brachten den Stolz des kleinen Gottes in Bewegung. Er freute sich, daß der dankbare Vermählte, nicht trotzig auf die dienstbare Hilfe des Hymen, des Amors Freundschaft noch suchte. Gütig entschloß er sich, dem Verliebten zu helfen, und den Jupiter und des Pantheons verirrte Bewohner und Ritter und Pferde hinaus zum Dorfe zu jagen. Welch ein heroisch Unternehmen, – welch eine Tat!

Recht zu gelegener Zeit fiel dem kleinen Helden der Trojanische Brand ein, der die trotzige Garnison der Griechen nötigte, den flammenden Platz zu verlassen, und diese so oft besungene schreckliche Geschichte gab ihm eine sinnreiche Kriegslist an die Hand, die er mit Glück und Tapferkeit ausführte. Er drehte aus den Händen des gefesselten Hymen die hochzeitliche Fackel, die lichterloh brannte, und stahl sich unvermerkt in die Küche des Pfarrherrn. Von der edlen Kochkunst verlassen, die vor kurzem zwanzig schöpferische Hände darinnen beschäftigte, ruht jetzt eine finstere Traurigkeit unter ihren Gewölben. Auf dem warmen Herde lag eine ungebrauchte Speckseite in der aufgehäuften Asche verborgen, woran die ganze große geschwänzte Armee des scherzhaften Mäonides sich hätte sättigen können. Dieses ungeheure Magazin steckte der freibeutische Amor mit abwärts gesenkter Fackel in Brand. Auf einmal floh es, durch die fettige Flamme belebt, in die schwarze Esse, die sich rauschend entzündete – und ihr blutrotes Feuer dem Firmamente zuwälzte. – Es war geschehen. – Amor schüttelte seine Flügel und floh, und stellte sich auf die knarrende Fahne des Kirchturms. Hier stand er, wie Nero, als er mit grausamer Wollust seine Residenz brennen sah, freute sich seines gelungenen Anschlags, und erwartete den erschrecklichen Ausgang. – Und nun, – o Muse! hilf mir das Getümmel beschreiben, das in dem Hause des Magisters entstand, als die gräßliche feuerschreiende Stimme sich über das aufgeschreckte Dorf ausbreitete. Das hohle, furchtbare Getöne der stürmenden Glocken, die ein angstvoller Kantor unermüdet läutete, verkündigte den verzagten Matronen ihren Untergang, und das Geschrei der Kinder, und das Pochen der Nachbarn und das Bellen der Hunde machte die finstere unglückliche Nacht noch schrecklicher. Von dem stummen Entsetzen geführt, kam die verlorne Nüchternheit jetzt wieder in die Versammlung der Hochzeitsgäste zurück. Doch kaum begriffen sie das drohende Unglück ihres betrübten Wirts, so flohen sie ihn, als wahre Hofleute, mit eilenden Füßen, und nach einem kurzen gleichgültigen Lebewohl! verließen sie alle das neue Ehepaar in Tränen. Aber, wie ehemals der junge Aeneas seinen alten frommen Vater aus dem flammenden Troja trug: so umfaßte jetzt der getreue Hofmarschall seine weinende Clarisse, und durch die Liebe gestärkt, verachtete er alle Gefahren. Das Feuer prasselte über sein Haupt, und die Wellen des Fischbeinrocks schlugen über seine zerrissenen Haarlocken zusammen, – dennoch brachte er sie glücklich an ihre sichere Karosse, und übergab sie den Händen ihrer schützenden Zofe. Und wie der unerschrockene Weise, gegenwärtig in den größten Bedrängnissen, sich noch um Kleinigkeiten des Lebens bekümmert, oder so, wie der große Lips Tullian auf dem Richtplatze, da schon der Stab gebrochen ist, noch für seine Nase besorgt, um eine Priese Rappee bat. Noch schnupfte er ihn mit süßer Empfindung, in dieser entscheidenden furchtbaren Minute – reckte darauf mit einem Seufzer den Hals dar, und befand sich in der andern Welt, eh' er – niesen konnte. Ebenso nahm noch jetzt der Hofmarschall drei verliebte Küsse von seiner beängsteten Schönen, und warf sich mit unterdrückter Sehnsucht in seinen fortschallenden Schlitten. Das Zeichen war gegeben, und nun flogen alle die unbändigen Pferde mit ihren Rittern davon, die mit stillem Vergnügen über ihre Sicherheit, oft nach der brennenden Pfarre zurücksahn.

Kaum war die lärmende Versammlung der Götter- und Menschengestalten zum Dorfe hinaus, so gebot Amor: das Feuer sollte verlöschen – und es verlosch. Zwar verkannte der blinde Pöbel die Hilfe des Amors, und jauchzend dankten die Bauern ihre Rettung einem schwarzen Dämon, der es gewagt hatte, aufs priesterliche Dach zu steigen, wo er, dem Feuer zum Opfer, eine arme geraubte Najade der Elbe, in den schwarzen Abgrund hinunterstieß, daß ihre zerschmetterten Glieder in einer schmutzigen Küche ein unbekanntes Grabmal bedeckte.

Nun brachte der Gott der Liebe dem Hymen die hochzeitliche Lunte wieder zurück; darauf ging er Hand in Hand mit ihm zu dem getrösteten Verliebten, und sammelte seine entzückten Danksagungen in den leeren Köcher; denn der kleine Held hatte den Tag über alle seine Pfeile verschossen. Die noch übrige Nacht hindurch wachte er an dem rauschenden Brautbette, und da der Morgen anbrach, erhob er sich fröhlich in den Olymp auf den Strahlen der Sonne, die zuerst dem frohen Magister die Mischung von Scham und gedemütigter Sprödigkeit auf den Wangen seiner zufriedenen Schönen sichtbar machten, und ihn zu neuen Morgenküssen erweckten. Wie reizend blickte nicht die vollendete Braut ihrem glücklichen Sieger in das männliche Gesicht! Gleich einer jungen Rose, die sich unter dem schwarzen Gefieder einer einzigen balsamischen Nacht entfaltet. Der überhangende Phöbus trifft sie in ihrem vollen Schmucke an, und vergebens bemühen sich seine brennenden Strahlen, sie noch mehr zu entwickeln.

Jetzt stand der kleine Amor vor seiner freundlichen Mutter, und erzählte ihr in scherzhafter Prahlerei seine Kriegslist und seinen Triumph, daß seine Stimme durch den Olymp schallte, und selbst die bescheidenen Musen ihm Beifall zuwinkten. Ihr Lächeln löste sich in einem sanften geistischen Sonnenscheine auf, wovon ein goldner Blick in die Welt drang, und unter so vielen tausend poetischen Seelen die meinige allein begeisterte. Ich habe alles getan, was meine Muse befahl; ich habe das Elend des verliebten Magisters und seine fröhliche Hochzeit besungen, und habe ein Werk verrichtet, das durch eine schöne Druckerpresse vervielfältigt, der Vergänglichkeit trotzen kann.


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