Moritz August von Thümmel
Wilhelmine's Werdegang
Moritz August von Thümmel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Auf den Uhren war schon der Mittag vorüber, aber in den Häusern der Großen brach er erst mit festlichem Pomp' aus der Küche hervor – Hekatomben rauchten ihm. – Denn die mittägliche Sonne hat noch nicht ihre Anbeter verloren. – Mit mehrerem Eifer, als wohl jemals ein ägyptischer Priester gehabt, feiern sie täglich ihr Fest, mit sonnenroten Gesichtern, bis das wohltätige Licht den Kreis verläßt, und nun die stille Venus vom nächtlichen Himmel herabblinkt. Da erhob der gesättigte Pfarrherr seine gestiefelten Beine, und trat mit zerstreuten Gedanken seinen bestimmten zwei Meilen langen Weg an. Die alles vermögende Liebe hatte jetzt den gelehrten Magister zu einem gemeinen Botenläufer erniedrigt, und er mußte, welche sonderbare Bedingung – als sein eigener Hochzeitbitter, noch ein zweites Jawort erbetteln, ehe sie ihn glücklich zu machen versprach. Der hochbeschneite Weg ermüdete seine Knie, und die duftende Kälte kandierte seinen schwarzen Bart, und brachte ihm Zahnweh. Aber noch ein größeres Übel, als Zahnweh und Müdigkeit, lauerte in dem nahen Walde auf ihn. Welcher boshafte Genius war es, der in Gestalt eines Holzhackers dem Priester entgegen kam? Ein unschuldiges, unbekümmertes Gesicht, die Larve der Heuchelei, betrogen den heiligen Wanderer. »Guter Freund,« redete er ihn vertraulich an, »sagt mir doch, ist dieses die rechte Straße nach Rennsdorf, dem Rittersitze des alten Grafen von Nimmer?« Ehrerbietig nahm jetzt der Boshafte vor dem Pastor den Hut ab und sagte: »Wer Sie auch sind – ehrwürdiger lieber Herr, so beklage ich Sie doch herzlich; denn dieser falsche Holzweg, auf welchem Sie wandeln, wird Sie weit von Rennsdorf ablocken; und wenn endlich sich die Schrecknisse der Nacht über diese Heide verbreiten, so müssen Sie Ihren ermüdeten Körper einer abgelegenen Schenke – einer Spitzbubenherberge vertrauen.« Da schlug der erschrockene Magister seine haarichten Fäuste zusammen. Lieber würd' er auf einem Ameishaufen geschlafen, oder wie ein Zigeuner, den Anbruch seines Hochzeitsfestes in einer hohlen Weide erwartet haben, als daß er einer Schenke das Vorrecht gegönnt hätte, seine geweihten Glieder zu bedecken. »O mein Freund,« rief er, »den mir noch zu rechter Zeit ein guter Engel entgegen schickt, ach entfernt mich doch eilig von diesem Fußsteige, der meine Gebeine umsonst ermüdet, und zeigt mir den richtigen Weg, und nehmt im voraus für Eure Bemühung ein dankbares Trinkgeld an!« Hier zog er – gleich einer alchimistischen Phiole, einen langen Beutel heraus, der in der Farbe der Hoffnung künstlich gestrickt war. Ein billiger Zwischenraum scheidete dreißig Ephraimiten von einer güldenen Madonna. Ihres innern Wertes gewiß, erwartete sie ruhig ihr verzögerndes Schicksal, da sich indes der jüdische Haufe mit Geräusche bis an die Mündung des Beutels drängte, um bald erlöset zu werden, und in einem ungewissen Kurse betrüglich zu wuchern. Doch – indem noch der Pastor die großmütige Belohnung und das Verdienst eines Wegweisers berechnet, so verschwindet Barschaft – Tagelöhner und Beutel, und der Gott der Kaufleute und Diebe verbirgt den Raub und den hurtigen Räuber in den Finsternissen des Waldes. Nun erfüllt' eine lange unharmonische Klage des armen Magisters die Lüfte: »O du treuloser Verräter,« so schrie er, »wenn du auch – der du einen Priester beraubt, dem Dreiangel des Galgens, der Kuhhaut und den glühenden Zangen entfliehst – so wird dich doch dein böses Gewissen und mein Fluch verfolgen, daß, wenn das eiskalte Fieber deine Glieder zerrüttet, dir keine bittere Essenz, und kein Kirchengebet helfen soll, wenn du es auch mit einem Gulden bezahltest. Ohne Ernst und Andacht und in dem gleichgültigen Tone gesprochen, in dem wir oft für den Römischen Kaiser und alle weltliche Obrigkeiten beten, wird es in der Atmosphäre der Kanzel zerflattern.« – So schrie er und erholte sich langsam unter einer überhangenden Eiche. Ungewiß durch die Lügen des Räubers, ob dieses der rechte Weg sei, überließ er sich mit nagender Furcht seinem Verhängnis: doch die tröstende Liebe leitete seine zweifelhaften Füße durch die finstere Nacht glücklich in das labyrinthische Schloß des Grafen. Der zeitige Schlaf, und ein süßer Traum von einem Kapaun mit Austern, beherrscht schon den alten Gerichtsherrn, und es schliefen auch schon seine alten Bedienten, ob es gleich erst Neune geschlagen. Des ankommenden Fremdlings ehrwürdige Krause flößte dem Wächter des Hofs die schuldige Achtung ein, daß er ihn, nachdem er sein Verlangen erforscht, bis an die Stube der jungen Gräfin begleitete. Mit ihrer vertrauten Zofe, Sibylle genannt, saß die muntere Komtesse, den einen ihrer niedlichen Arme auf ihre verschobene Toilette gelehnt, und in der andern hielt sie einen vergoldeten zärtlichen Brief, den sie erst jetzt an den Hofmarschall, ihren Geliebten, geschrieben. Sie las ihn mit gedämpfter Stimme ihrer kritischen Freundin vor, die aufmerksam zuzuhören schien, und unmerklich nur gähnte. Aber wer kann das Schrecken beschreiben, das diese zwei weiblichen Seelen ergriff, als der gekrümmte Zeigefinger des verspäteten Pastors an die Stubentüre donnerte. Sie glaubten gewiß, ein prophetischer Verdacht habe die zänkische Gouvernante erweckt, die wie ein Polizeiverwalter alles Unrecht entdeckte, und dem alten Grafen verriet. Mit angenommener Freimütigkeit gebot die betroffene Komtesse ihrer Zofe, die verschlossene Kammertüre hurtig zu öffnen: doch ihr furchtsamer Wink widersprach ihrem Befehle. – Die kluge Sibylle verstand ihn, ging langsam zu Werke, klapperte scheinbar an der Türe, und schmälte entsetzlich auf das strenge verrostete Schloß, da indes ihre Gebieterin die nötige Zeit gewann, mit Eau de Levante ihre Hände zu waschen, die hier und da von der verräterischen Tinte noch glänzten, und auch den anklagenden Brief aus dem Wege zu schaffen. Mit gegenwärtigem Geiste, o wie liebenswürdig! ergriff sie ihn, zerquetschte seinen durchsichtigen Kavalier und das PosthornWelches die Zeichen des sogenannten Kavalier- oder Postpapiers sind. , und warf ihn klein gedrückt, hurtig unter das Bette. Aber wie dauerte sie nicht der wohlgeschriebene Brief, als nur der nachbarliche Herr Pastor zur Kammertüre hereintrat. Einen solchen Wechsel von heftigem Schrecken und stiller Betrübnis empfand einst der freigeistige Desbarraux, als er sich zur Fastenzeit einen Eierkuchen erlaubte. Schon hatte sein erzkatholischer Diener, blaß wie der Tod, das verbotene Gericht auf die einsame Tafel gesetzt, als ein geschwindes Gewitter am Himmel heraufzog, ein schrecklicher Schlag die näschichte Seele betäubte, und ihm den ersten Bissen im Munde zu Galle verwandelte. Was das für ein Lärmen um einen Eierkuchen ist! schrie er halb unwillig, halb furchtsam; ergriff das rauchende Essen, und warf es im Eifer auf die beregnete Gasse. Aber wie dauerte ihn nicht das verlorne gute Gerichte, als das Gewitter vorüber ging! Beschämt warf er sich seine zaghafte Eilfertigkeit vor, und quälte aufs neue den abergläubischen Koch, ihm ein anderes zu backen.

Kaum hatte der keuchende Pfarrherr seine ermüdeten Füße von dem niedrigen Armstuhle gestreckt, und mit gnädiger Erlaubnis die beklemmende Weste geöffnet, so verrichtete er seinen Antrag mit der unnötigen Vorsicht eines Pedanten. Er lispelte heimlich der Gräfin und ihrer Vertrauten dies anbefohlene Geheimnis ins Ohr: Der gnädige Herr Hofmarschall werde dabei sein – und keine, nein keine, als die gegenwärtigen Seelen, konnten diese mystischen Worte vernehmen.

Welch ein Tiefsinn bedeckte jetzt mit den Fittichen der Mitternacht das Kabinett der schönen Clarisse! Ihre erfindungsreiche Liebe stritt immer mit der schwerfälligen Einsicht des Magisters: doch beide mußten sich der Erfahrung eines grauen Kammermädchens unterwerfen, Anschläge wurden gefaßt, untersucht, und durch neue verdrängt! Lange ging das wichtige Projekt, wie ein Würfel im Kreislaufe herum, ehe die ältliche Zofe mit der verschmitzten hohen Miene eines versuchten Ministers, ihre Gedanken in folgenden klugen Worten entdeckte: »Jetzt, ehrwürdiger Herr, da sich Ihre Augen nach Ruhe sehnen, so hören Sie kürzlich meinen unmaßgeblichen Vorschlag: Meine willige Stimme soll jetzt dem Wächter des Hofes befehlen, daß sein sicheres Geleite Sie, den Windhunden vorbei, in die Stube führe, die unser Haushofmeister bewohnt. Dieser wird gern eine Nacht sein Bette mit Ihnen teilen, und morgen meldet er Sie bei dem gnädigen Grafen. Dann gehen Sie nur unerschrocken zu dem alten Papa; er wird Ihnen gewiß Ihre Bitte gewähren; denn er liebt Sie von Herzen, und Ihre klagenden Jahrgänge haben seine hypochondrische Brust mit Ehrfurcht für Sie, Herr Pastor, erfüllet. Also schlafen Sie sanft! bis die Morgenröte Ihre gestärkten Glieder zum fröhlichen Hochzeitfeste erweckt!« Ein gütiger Lobspruch aus dem rosenfarbenen Munde der Gräfin belohnte die Einsicht der Zofe. – Auch der Magister wollte ihr gern seinen Beifall darüber bezeugen, aber seine Worte verwandelten sich in gähnenden Mißlaut, daß er zu Hilfe ein beredtes Kopfnicken rief. In wenig Minuten war jeder wichtige Umstand nach Sibyllens Sinn geendet. Der Haushofmeister beherbergte den schnarchenden Magister, und die dunkelbraune Nacht verbarg seine heimliche Ankunft unter ihrem Schleier vor der mißtrauischen Gouvernante und vor dem murrenden Hofhunde.

Der volle Morgen hatte den hochgebornen Gerichtsherrn erweckt. Jetzt überdenkt er noch im Bette den Zustand seines Magens und fordert mit schwelgerischer Neugier den frühen Küchenzettel. – Da tritt der Haushofmeister herein und meldet ihm die Beherbergung des verspäteten Pfarrherrn, und wie er jetzt, voller Verlangen, Ihro Gräfliche Gnaden zu sprechen, vor der Kammertüre lauschte. »Je, willkommen, werter Herr Pastor, willkommen!« schrie der Graf dem Verliebten entgegen! Bückend trat dieser vor das Vorhangbette des Grafen, und sein schwerer Atem blies sogleich die hochzeitliche Bitte hervor, die er mit einer Menge von Wünschen beschloß, wozu ihm der Wechsel der Zeit die beste Gelegenheit darbot. Bei starkem ungeduldigem Herzklopfen wartete er nun, bis der Morgenhusten des stotternden Grafen sich legte – als er auf einmal diese deutliche Antwort vernahm: »O sehr gern will ich meiner Tochter das Vergnügen erlauben, an Ihrem Ehrentage, lieber Herr Pastor, im schönsten Putze zu glänzen. Der priesterlichen Aufsicht überlassen, ist ihre Tugend sicherer, als unter meinem eigenen Dache. Ja, mein Freund, verlassen Sie sich darauf, sie soll nachmittags mit sechs rüstigen Pferden vor Ihrer Haustüre erscheinen, und das Hochzeitgeschenk will ich selber besorgen. Damit aber auch Sie, mein Lieber, sich nicht vor Ihrer nahen Hochzeit ermüden, oder wieder beraubt werden, und sich im Walde verirren, so soll meine geschwinde Jagdchaise Sie jetzt Ihren erwartenden Geschäften zurückführen, und meine aufrichtigen Wünsche sollen Ihnen folgen.« Da ergriff der entzückte Magister die schwere Hand des Grafen von Nimmer, küßte sie hundertmal, und benetzte sie mit Tränen der Freude, die über seinen stachlichten Bart herunter rollten, wie ein plötzlicher Sonnenregen über die glänzenden Stoppeln der Felder. Wie rechtmäßig war diese Freude; denn nach diesem Orakelspruche endigte sich alle sein Leiden. Halb war nun schon die Bedingung des Hofmarschalls erfüllt, und für die andere Hälfte wird die schöne Clarisse schon sorgen. Mit einem segnenden Komplimente verließ er die Stube des Grafen. An der Treppe lauerte die verschmitzte Sibylle auf ihn, und erforschte den Ausgang der Sache. Mit zwei kurzen Worten entdeckt er ihr die gnädige Erlaubnis seines Patrons; und indem er sich in die Chaise warf, flog die erfreute Zofe zu ihrer Gebieterin. Nun beschäftigte die Wahl eines reizenden Putzes den ganzen Vormittag beide weibliche Herzen, und alles lag schon in der schönsten Ordnung, ehe der langsame Alte seiner Tochter die Bitte des Bräutigams, und seine eigene väterliche Erlaubnis anzukündigen glaubte. Sie hörte ihn an, als ob sie von nichts wüßte, und bedankte sich gleichgültig für die vergönnte Spazierfahrt – und leichtfertig erkundigte sie sich nach den übrigen Gästen der priesterlichen Hochzeit: doch der gute Alte wußte ihr keine Nachricht zu geben. »Wer wird dabei sein,« sprach er, »als seine Konfraters vom Lande!« Indessen klopfte das Herz der jungen Gräfin ungeduldig nach ihrem lieben Hofmarschalle, bis der geschäftige Putz die langen Minuten vertrieb, und ein sanfter Wagen die freundliche Göttin, nebst ihrer vielfarbigen Iris aufnahm, und zu dem Hofe des traurigen Schlosses hinausflog.

 


 << zurück weiter >>