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Der Seelöwe

. In der glücklichen Zeit der Kindheit, da giebt es nur die Gegenwart, und keine Furcht vor dem Morgen verscheucht die Freude am Heute. Noch hat das Schicksal uns nicht auf den Grund gesetzt und uns das Steuerruder aus der Hand gerissen, und keine bösen Launen der Welt haben mit ihren Windstößen die Segel unsers Lebensschiffleins zerfetzt. Das Alpdrücken der Nahrungssorgen kann wohl die Brust der Eltern beklemmen, das Kind glaubt, so lange es nur eine Brotrinde zu nagen hat, nicht an Entbehrung, und läuft das Boot auch hier und da einmal auf, so kann eine Thränenflut es hurtig wieder flott machen, und für jedes zu Grunde gerichtete Segel hißt die Phantasie ein neues hellleuchtendes auf.

Das kommt daher, daß alles zum Spiel wird, und je froher das Spiel ist, desto reicher ist die Phantasie. Das Kind spielt ebenso Vater und Mutter wie sich selbst, den Lehrer wie den Schüler, es spielt Hochzeit und Begräbnis, spielt Hunger und Not und geht mit dem Bettelsack auf dem Rücken lustig von einer eingebildeten Thür zur andern. Sogar die feierlichen Erinnerungstage geben dem Spiele Nahrung. Das Weihnachtsfest hat sein Jesuskind und seinen Pelzmärtel, die Fastenzeit ihre Maskeraden und ihren lustigen Blumenschmuck, Ostern sein weißes Lamm mit der Fahne und den bunten Eiern, und Pfingsten seine grünen Zweige und seinen tanzenden Sonnenschein – das ist der illustrierte Kalender der Kindheit, und bei all diesen Erlebnissen haben Zeit und Hoffnung kein Ende. Kaum ist das eine wirklich erlebt, so greift die Erwartung schon nach etwas neuem, und in dieser Verknüpfung von Hoffnungen hat das Kind die Ewigkeit auf Erden.

Aber allmählich nimmt die Wirklichkeit ihr Recht und gräbt ihre harten Züge auf der andern Seite der Lebenstafel ein, und dann kommt es darauf an, ob das Auge, wenn man die Tafel gegen das Licht hält, noch den Kindheitsschimmer durchleuchten sieht. Wenn ein Bild noch durch das andre hindurch zu schimmern vermag, dann kann man sicherlich Hoffnung aus dem Entschwundnen schöpfen; denn während die Hoffnungen der Kindheit selbst nur noch eine Erinnerung sind, wird die Erinnerung wieder zur Hoffnung.

Der Schimmer einer solchen Kindheitserinnerung ist es nun, der hier dem Leser gezeigt werden soll.

*

Es war zu Anfang der dreißiger Jahre, da tummelte sich drunten am Strande des Kleinen Belt eine lustige Kinderschar zwischen einem Haufen großer Feldsteine, der auf diesem Boden sonderbar aussah, sich aber in der Brandung des Meeres, wenn die Wogen über den Damm hereinschlugen, der es vom Wallgraben trennte, gut ausnahm.

Es wurde Schiffbruch gespielt. Ein großes Wrackstück war in die See geworfen worden, das stellte ein Schiff vor, und zwei kleinere Stücke waren Rettungsboote, die von zwei kräftigen Knaben mit einem Stock gesteuert wurden. Obgleich man schon tief im Oktober war, hatten die Jungen doch ihre Strümpfe ausgezogen und sahen nun mit ihren aufgekrempelten Hosen da draußen in der Brandung unternehmend genug aus. Etwas weiter oben auf dem Ufergeröll lag einer, der einen Toten vorstellte, aber unruhig genug war, daß man gute Hoffnung auf die Erhaltung seines Lebens setzen konnte; und auf einem der hohen Steine saß ein kleines Mädchen von etwa zwölf Jahren, das eine gerettete Prinzessin vorstellte. Sie hatte es auch für ihre Rolle passend gefunden, in bloßen Beinen aufzutreten, während ihre Strümpfe und Schuhe als gerettetes Gut tropfnaß auf dem Strande lagen; dazu hatte sie ihren hochroten Unterrock wie einen Mantel bis an den Hals hinaufgezogen.

Wie man hieraus ersehen kann, war es nicht gerade ein Stillleben, das sich hier am Strande malte. Man hörte ein unaufhörliches Befehlen im Charakter der verschieden Rollen und ein ebenso häufiges Zanken, das nicht zur Rolle gehörte, denn keins machte es dem andern recht, und sogar der Tote – von der Prinzessin gar nicht zu reden – nahm ganz ohne Rücksicht auf das Exzeptionelle, das darin seiner Rolle gegenüber lag, lebhaften Anteil an den Verhandlungen. Daß der Wind zunahm, und die Wogen schäumend über sie hereinstürzten, störte das lebhafte Spiel durchaus nicht, und diesen verwegnen kleinen Leuten konnte man recht wohl ansehen, daß sie unter Seeleuten geboren waren, und daß sich in ihrem Spiel die Vergangenheit ihres Geschlechts widerspiegelte.

Da kam eine alte Frau an dem Damm vorbei. Sie blieb stehn und sah dem Spiel eine Weile zu, dann aber schalt sie die Kinder wegen ihrer Ausgelassenheit aus und erhielt dafür natürlich Antwort in demselben Geiste. Darauf wurde sie hitziger und gab böse Worte, und als auch diese nur mit Hohngelächter ausgenommen wurden, wandte sie sich an das kleine Mädchen und rief:

Du da, mit dem roten Rock, du solltest lieber machen, daß du heimkommst und deiner Mutter ein wenig an die Hand gehst, du großes Mädchen! Und nimm deinen Bruder mit, der dort drüben liegt und thut, als ob er tot wäre. Euer Vater ist auf der See, und niemand weiß, ob er tot oder lebendig wieder heimkommt!

Diese Worte machten Eindruck. Die Prinzessin ließ sich langsam von ihrem Stein hinabgleiten, der Unterrock bekam seinen rechten Platz wieder, und die kalten Füße wurden in die nassen Strümpfe und Schuhe gezwängt. Als dies geschehn war, wurde der Bruder von dem Seetang gesäubert, der ihm als einem Ertrunknen zugeteilt worden war, und dies geschah hurtig, denn in dem zunehmenden Wind und in den daherbrausenden Wogen war etwas, das antrieb – der Gedanke an den Vater war es, der gerade so wie der Bruder von Seetang umschlungen daliegen könnte: sie hatten mit dem Tode ihr Spiel getrieben. Das jagte doch allen einen heimlichen Schrecken ein, und kurz nachher schlichen sie beschämt davon, jedes seinem Heim zu.

*

Den alten Festungswall lang, der im Laufe der Zeiten verfallen war und an manchen Stellen geradezu Hohlwege formte, wo die Leute bis über die Knöchel im Sande waten mußten, lag eine Reihe kleiner Gärten, die die Hinterseite einer Straße ohne Namen waren. Ganz am Ende der Reihe stand aber ein Haus, dessen Vorderseite hier hinaus ging, während sein Garten nach der Straße zu lag, sodaß es trotz der Nachbarschaft der andern Häuser einsam dalag. Aber lustig sah es doch aus mit seinem kleinstädtischen Anstrich. Die Wände bestanden aus Riegelwerk mit geteerten Balken und getünchtem Mauerwerk, und zur Aufheiterung waren die Fensterrahmen himmelblau angestrichen. Wenn die Sonne auf das Haus schien, mußte jedermann, der nicht allzu anspruchsvoll war, seine helle Freude daran haben.

In diesem Haus wohnte ein Schiffer. In der ganzen Straße war er der einzige seines Standes und wurde der Einfachheit halber im Gespräch und in der Anrede einfach »der Schiffer« genannt, eine Verwechslung war ausgeschlossen. Er war aber das, was man einen Kleinschiffer nannte, denn sein kleines Fahrzeug, der »Seelöwe,« reichte nur gerade bis an die Grenze dessen, was man eine Jacht nennen konnte; aber es war doch ein gutes Teil größer als die Beltboote. Mit seinen kleinen Segeln wurde es ihm auch recht schwer, so viel zu verdienen, wie für den Haushalt im Schifferhause nötig war, obgleich die fröhlichste Genügsamkeit dort herrschte; aber es waren eben vier kräftige Kinder da, und dazu gab es Steuern und Abgaben, und man übte auch ein wenig Gastfreundschaft. Um das alles zu bestreiten, mußte das kleine Frachtschiff seine Fahrten zwischen den Inseln und hinüber in das Schleswigische fleißig und unverdrossen besorgen.

An diesem Tage war nun gerade ein Monat verflossen, seit der Seelöwe in See gegangen war, und da der Telegraph damals noch keine Botschaft zwischen den Zurückbleibenden und den Fortgezognen vermittelte, so vergingen oft Wochen, bis ein Brief ankam, ja häufig kam überhaupt keiner, ehe das Schiff selbst sich wieder meldete; aber bei dieser Art der Schiffahrt ging es eben nicht anders. So lange das Wetter gut war, stand auch alles gut, aber wenn der Sturm brauste, dann war es jedenfalls, was das Haus des Schiffers anlangte, drinnen lange nicht so laut wie draußen.

Die beiden Kinder des Schiffers, die die zornige Frau besonders angeredet hatte, waren vom Spiel am Strand heimgekehrt, und in ihrer Beschämung hatte jedes nach etwas gegriffen, womit es sein Unrecht wieder gut machen wollte. Der Knabe war den jüngern Brüdern gegenüber die Nachgiebigkeit selbst, und das Mädchen trat so vollständig aus ihrer Prinzessinrolle heraus, daß es draußen vor dem Hause zu kehren begann, das Unkraut um die Staffel herum ausjätete und zuletzt über den ganzen Fußweg weißen Sand streute.

Du erwartest wohl deinen Vater? fragte ein Vorübergehender sie. Sie erschrak und sah die Mutter fragend an, die in diesem Augenblick auf die Hausstaffel trat. Diese schien jedoch nicht darauf zu hören, sondern schaute nach Wind und Wetter aus, und zuletzt ging sie die steile Böschung nach dem Wall hinauf, um von dort aufs Meer hinauszuspähen.

Aber der Seelöwe war nirgends zu entdecken, und schließlich mußte sie, wie schon so oft, unverrichteter Sache wieder heimkehren. Sie war kein Neuling mehr in diesen Verhältnissen; in den fünfzehn Jahren, die sie nun mit dem Schiffer verheiratet war, war sie mit jedem Grad der Furcht und der Hoffnung diese sandige Böschung hinauf und hinab gestiegen; aber so oft sie diesen Weg auch ging, waren ihre Furcht und ihre Hoffnung immer wieder neu, denn nur die Sinne werden durch die Gewohnheit abgestumpft, das Herz bleibt immer jung in dem, was es fühlt.

Dunkelheit senkte sich nun über alles, der Wind wuchs zu einem Sturm an, der an Thüren und Fenstern rüttelte und wie ein Chor Klagegeister in den Schornsteinen heulte. Es war unmöglich, an etwas andres als an Sünde und Jammer dabei zu denken. Gott hielt Gericht über all den Undank der Menschen – ja er drohte den entarteten Kindern, die mit der Gefahr gespielt und mit dem Tode Spott getrieben hatten.

Und so wurde dem kleinen Mädchen immer verzweifelter zu Mute, während die Mutter schweigsam in der dunkeln Stube auf und ab ging, und es fühlte, daß die Buße, die es sich selbst mit dem Gassenkehren und dem Unkrautausjäten aufgelegt hatte, noch lange nicht groß genug war. Es dachte sich ein kühnes Unterfangen nach dem andern aus; sie wollte den ganzen Garten ausjäten, denn sie hatte die Mutter darüber klagen hören, daß sie nie Zeit dazu habe. Dies verwarf sie jedoch als eine zu leichte Aufgabe schnell wieder und wollte dafür auf den Wall hinaufschleichen und die ganze Nacht dort sitzen. Aber als dies durchgedacht war, genügte es ihr auch noch nicht, da wollte sie den Hügel am Wall, der der Katzenbuckel genannt wurde, hinaufklettern, wo nur Schachtelhalm wuchs, wo es im Sommer Natternlöcher gab, und wo in der Johannisnacht die Hexen ihre Zusammenkünfte hielten. Sie würde dann gewiß vor Entsetzen sterben, aber sie war ganz sicher, daß der liebe Gott diese Buße annehmen würde. Leider gehörte sie zu den Leuten, die einen Genuß an ihrer Verzweiflung haben. Die Thränen, die sie über diesen Entschluß vergoß, waren nicht mehr sehr bitter – sie war zu gerührt über sich selbst.

Da blieb die Mutter plötzlich stehn und horchte: es kam jemand über den Fußweg gelaufen. Gleich darauf wurde die Thür aufgerissen, und jemand rief so laut, daß es durch das ganze Haus schallte: Der Seelöwe kommt!

Lieber Gott! rief die Schifferfrau und taumelte auf einen Stuhl.

Der Seelöwe kommt! rief ein zweiter Bote, und beide standen, nach Atem ringend, in der offnen Thür, der, der zuerst gekommen war, ein wenig weiter drin in der Stube als der andre.

Sie bekamen auch alle beide ihre Belohnung, Nummer eins in Silber, Nummer zwei in Kupfer, und beide waren wohl zufrieden.

Und nun war es wohl klar, daß Leben und Licht ins Haus kam! Tüchtigkeit war schon im voraus da, und als die Freude dazu kam, da flog die Arbeit von der Hand. Es dauerte aber doch bis spät in die Nacht, daß der Seelöwe sicher und wohl verankert im Hafen lag. Es war noch ein harter Kampf zu bestehn für Leben und Eigentum, bis es so weit war, und alle Kinder, bis hinunter zu ihr, die dem lieben Gott versprochen hatte, die ganze Nacht droben auf dem Katzenbuckel zu wachen, schliefen schon fest, als der Vater das wartende Heim betrat. Und das war recht gut, denn er kam mit einer tiefen Schramme auf der Stirn und einem blutigen Riß auf der einen Wange, sodaß man, als das Licht sein Gesicht beleuchtete, beim ersten Anblick wohl erschrecken konnte.

Außerdem kam er nicht allein. Er war von zwei Fremden begleitet, von denen der eine wohl der Herr und der andre der Diener sein konnte. Der Schiffer gab seiner Frau kurz Auskunft: die beiden hatten ihn um Unterkunft gebeten, und er hatte sie ihnen zugesagt. Da nun die »gute Stube« dem einen angewiesen wurde und eine unbenützte Dienstbotenkammer dem andern, so war man schnell fertig damit; aber das erste Morgengrauen drang doch schon ins Zimmer herein, als der Schiffer endlich zur Ruhe kam. Und wie müde er auch war, so mußte er doch seiner Frau noch sein Herz ausschütten und ihr von dem letzten harten Kampf erzählen, den er zu bestehn gehabt hatte, ehe er den Hafen erreichte.

Ein Schiffsjunge, der Liebling der Kinder, war über Bord gegangen und nicht zu retten gewesen. Das war sehr traurig; da er aber eins von vierzehn Kindern gewesen war, die einem Fischer gehörten, der an einem Orte wohnte, der der »Heidezipfel« genannt wurde und selbst abwechslungsweise bald »Ole Wickelkind« bald »Ole Kinderstube« genannt wurde, wurde der Familientrauer über den Verunglückten nicht besonders Erwähnung gethan.

Beinahe wäre der Schiffer selbst ums Leben gekommen, als er von dem Schlag auf die Stirn halb ohnmächtig in dem zerschmetterten Klüverbaum hing; aber der fremde Herr, der nach dem Urteil des Schiffers ein seebefahrner Mann sein mußte, hatte ihn nicht nur gerettet, sondern den Seelöwen auch noch in den Hafen gesteuert, weswegen man auch alle Ursache hatte, ihn in die gute Stube einzuquartieren und es ihm so gut wie möglich zu machen.

Darin war die Gattin auch gleich einig mit ihm, aber sie hatte noch viel andre Fragen zu stellen. Wer der Fremde eigentlich sei? Ja, danach hatte der Schiffer natürlich nicht gefragt – aber ohne Zweifel war er etwas ganz besondres. Es war früher auch einmal vorgekommen, daß so ein vornehmer Herr in die Stadt kam und nicht sagte, wer er war; aber später hatte man erfahren, daß er ein Freiheitsmann aus Deutschland drunten gewesen war, der geflohen war, und das konnte der ja auch sein. Aber auf welche Weise der Fremde denn an Bord gekommen sei? – Drüben am Oststrande. Der Schiffer hatte zwei Männer in einem Decksboot gegen den Sturm kämpfen sehen. Auf einmal steuerten sie gerade auf den Seelöwen los und gelangten auch richtig aufs Verdeck. Gleich darauf war das Boot untergegangen. – Was man nun sagen solle, wenn die Leute fragten. – Man solle weder Muh noch Mäh sagen, sondern thun, als ob man die Frage nicht gehört hätte.

So wurde es zwischen Mann und Frau ausgemacht, und genau so wurde es gehalten. Am nächsten Tage hatten die beiden Fremden eine geheime Zusammenkunft, und danach erklärte der Gast aus der guten Stube seinen Wirten, daß er bei ihnen zu bleiben wünsche, und zwar vorerst ganz unbemerkt. Sein einfacherer Begleiter sprach denselben Wunsch aus, nur ging dieser in der Dämmerung aus und kam häufig erst spät in der Nacht wieder heim.

Dieses geheimnisvolle Gebaren stimmte ganz gut zu dem Charakter des Schiffers. Ein Seemann ist immer ein wenig ein Phantast. Auf dem Meere hat er das Rätselhafte über und unter sich, und so viel er auch mit Hilfe des Verstands ausrichtet, so bleibt doch immer seiner Phantasie ein weiter Spielraum übrig. Dazu kommen die Gefahren und das Wagnis und die glückliche Rettung und außerdem die häufigen Feststimmungen, die die Heimkunft hervorruft; dies alles mit einander macht, daß der Seemann in einer einige Grade höhern Temperatur lebt als der Festlandbewohner. Wenn ihm dann etwas Unbekanntes entgegentritt, faßt er es gewöhnlich phantastisch auf und fügt wohl auch noch etwas hinzu; der angeborne dichterische Drang ist es ja, der sich bei dem größten Teil der Menschheit in einfachem Klatsch einen Ausweg sucht, und wenn ein Mensch dann auch noch begabt ist, so kommt es leicht vor, daß seine Phantasie mehr Segel aufzieht, als das Boot mit dem geringen Ballast von Bildung zu tragen vermag, und daß er dann direkt gegen die Vernunft ansteuert.

Das war unserm Schiffer schon mehr als einmal passiert, aber glücklicherweise war er bis jetzt noch nicht auf irgend einem Grund ausgelaufen, der vom Gesetz gebrandmarkt war; auch bei geblähten Segeln hatte er das Auge doch immer auf den Kompaß gerichtet.

Für die kleinen Leute im Hause war es ein großer Schmerz, daß Mads Lyng ertrunken war; es war nicht so leicht, einen andern aufzutreiben, der so gut den großen Hund spielen konnte, der immer nur bellte und niemals biß, und der sich selbst jeden guten Bissen am Mund absparte, um ihn mit andern zu teilen. Als sein Vater die Todesnachricht erhielt, kam er in die Stadt, um das Nähere von dem Schiffer zu erfahren. Er weinte ein wenig, ließ sich aber durch die Versicherung des Schiffers, daß er die Leiche begraben lassen wolle, wenn sie gefunden würde, trösten. Dieses Gespräch hatten die Kinder mit angehört, und nun stellte das nächste Spiel Mads Lyngs Begräbnis dar. Die ganze Schar der Strandkinder nahm an der Festlichkeit teil, die weit größer war, als Mads Lyng es in seiner schüchternen Einfalt jemals erwartet hätte. Das Einzige, was er sich vielleicht verbeten hätte, wäre der katholische Pfarrer und seine verworrne Rede im Kauderwelsch gewesen. Aber dagegen ließ sich nichts machen. Die leitende weibliche Teilnehmerin, die bei dem Spiel am Strande die Prinzessin vorgestellt hatte, war bei dieser Veranlassung der Pfarrer, und sie hatte sich in Gesten und Beredsamkeit den katholischen Pfarrer des Orts als Vorbild erwählt, obgleich sie von dem, was er sprach, nie ein Wort verstanden hatte. Übrigens war dies Mads Lyngs einziges Begräbnis, denn seine Leiche wurde nie gefunden.

Darüber vergingen acht Tage, während der Sturm mit kleinen Pausen, in denen man aufatmen konnte, in gleicher Stärke tobte und es jedermann unmöglich machte, sich auf die See hinauszuwagen. Im Hause des Schiffers ging alles seinen gewohnten Gang, der fremde Herr in der guten Stube blieb immer für sich, war aber äußerst höflich.

Es ist ein recht schöner Mann, sagte die Schifferfrau, und sie hätte gern »ungewöhnlich schön« sagen können, denn obgleich etwas Hartes und Drohendes auf seiner Stirn und um seinen Mund lag, und er einen durchbohrenden Blick hatte, war er doch eine schöne und imponierende Erscheinung.

Ja, er ist ein Staatskerl! räumte ihr Mann ein.

Was meinst du, daß er verbrochen habe? fragte die Frau vorsichtig.

Ach, er wird wohl den Herren gesagt haben, daß ein einfacher Mann auch das Recht habe, mitzureden, antwortete der Schiffer, und in demselben Augenblick hißte er auch schon das große Segel der Phantasie zu der Fahrt in das Land der Freiheit, die während der letzten Regierungsjahre des Königs Friedrich des Sechsten das Volk mehr und mehr begeisterte, und bei der mehr als ein Schiff auf den Grund lief.

Damals herrschte eine solche Gärung in den Gemütern, daß, wenn der Name Freiheit nur genannt wurde, den Leuten schon Mund und Herz überliefen, und es wurde so vielem altem Groll über Kastenwesen und andres Unwesen Lauf gelassen, daß die Luft vor lauter Sprengstoff bebte. Sie wurde auch erst wieder rein, als Orla Lehmann mit seiner romantischen Beredsamkeit, die wie durch einen Zauber die Phantasie des niedern Volks erregte, dieses »Es lebe die Freiheit!« rufen gelehrt hatte.

Aber unser guter Schiffer hatte auf diesem Mare magnum noch eine zehnjährige Fahrt zu leisten, ehe er festen Kurs und die rechte Flagge gefunden hatte, und er war gar nicht selten nahe daran, mit dem Steven auf den Schären der alten Zeit aufzulaufen.

Natürlich wurden er und andre von seiner Art im Namen der Freiheit recht oft an der Nase herum geführt, denn die Freiheit war ein Stichwort, das manchem Abenteurer eine Zukunft eröffnete. So gab es im Leben des Schiffers öfters Tage, wo er sich gelobte, sich von nun an von keinem mehr zum Narren halten zu lassen, aber am nächsten Morgen schon stand er mit demselben arglosen Herzen auf, vollkommen bereit, sich wieder ebenso anschwindeln zu lassen.

Als sich endlich der Sturm legte, und die Strandleute wieder wie die Pflanzen in ihren Gärten die Köpfe aufrichteten, hatte auch der Schiffer seinen kleinen Seelöwen repariert und schon eine gute Fracht nach Loland abgeschlossen. Deshalb war er guter Laune, und obgleich es noch drei bis vier Tage bis zur Abreise dauerte, war er doch schon vom Morgen bis zum Abend auf dem Ausguck nach dem Wetter.

Da hörte er in einer Nacht, daß an das Fenster der guten Stube geklopft wurde; mit einem Satz war er aus dem Bett und horchte hinaus. Das Klopfen wiederholte sich, und eine Stimme rief: Kapitän! Gleich darauf wurde das Fenster geöffnet, und es entspann sich ein in plattdeutscher Mundart geführtes Gespräch. Das meiste davon verstand unser Schiffer zwar nicht, aber so viel wurde ihm doch klar, daß von einer Schiffsmannschaft die Rede war, die gerettet worden und in der Nähe des schon erwähnten Fischerdorfs Heidezipfel ans Land gesetzt worden sei.

Der Fremde – der Freiheitskämpfer! – war also ein einfacher Schiffskapitän, und überdies einer, der Schiffbruch erlitten hatte. Dem Schiffer wurde das Gesicht etwas lang, und unwillkürlich drängten sich ihm allerhand Gedanken auf: das war doch nicht in der Ordnung, daß sich der Kapitän eine ganze Woche lang hier heimlich aufhielt, während die Mannschaft irgendwo anders war. Je mehr er darüber nachdachte, desto unbehaglicher wurde ihm dabei zu Mute.

Unterdessen hatte er sich angezogen und war auf den Wall hinaufgewandert. Der Tag begann eben zu grauen, und alles ruhte noch sicher unter den Flügeln des Schlafs. Auf einmal vernahm er Ruderschläge auf dem Wasser, und wie ein Schatten glitt ein Boot den Uferrand entlang, bis es einen der großen Steine erreichte, hinter dem es anlegte. Der Schiffer war überzeugt, daß es mit dem Gast in der guten Stube in Verbindung stehe – und diesesmal wenigstens täuschte ihn sein Glaube nicht.

Als er in sein Haus zurückkehrte, begegnete er auf der Flur dem Fremden, der ihm vollständig reisefertig entgegentrat und ihm einen Wink gab, ihm in das Zimmer zu folgen.

Ich reise ab, begann er mit einem leichten Beben in der Stimme, bitte, sagen Sie mir, was ich Ihnen schuldig bin. Sie sind ein armer Mann, Sie brauchen sich mit Ihrer Forderung nicht zu genieren.

Der Schiffer stutzte ein wenig. Die Ansichten über reich und arm waren bei den beiden sehr verschieden. Reich war für den Schiffer der, der üppig lebte, arm aber nur der, der sich nicht selbst durchbringen konnte. O! begann er langsam. Ich gehöre nicht zu den Ärmsten, denn ich bezahle drei Reichsthaler Armensteuer.

Um Verzeihung! warf der Fremde hochmütig hin.

Keine Ursache, Herr Kapitän! sagte der Schiffer mit Nachdruck.

Mit blitzenden Augen wandte sich der Fremde ihm zu: Woher wissen Sie das? fragte er.

Die Nacht hat lange Ohren, sagte der Schiffer gutmütig.

Der Fremde stampfte zornig auf den Boden und ging ein paarmal im Zimmer auf und ab. Auf einmal blieb er stehn und sah dem Schiffer gerade ins Gesicht. – Ich glaube, Sie sind ein braver Mann, sind Sie auch ein guter Kamerad?

Das kommt auf eins hinaus, Herr Kapitän.

Gut. Wollen wir dann übereinkommen, daß ich Sie nicht kenne und Sie mich auch nicht?

Nein, warum sollten wir es? Jeder mag auf sich selbst aufpassen, dann giebts keine Ungelegenheiten.

Ich nehme an, daß Sie Ihre Abrechnung nicht bei der Hand haben, nehmen Sie darum diese fünfundzwanzig Reichsthaler. Sind Sie damit zufrieden?

Nein, antwortete der Schiffer mürrisch.

Gut, hier sind noch zehn dazu.

Sie sind falsch daran, Herr Kapitän. Ihre Rechnung steht hier verzeichnet. Damit legte er ein altes Taschenbuch vor den Fremden hin, in das einige merkwürdige Krähenfüße gekrakelt waren. Da können Sie sehen, daß es gerade sieben Reichsthaler und zehn Schillinge macht.

Ja, aber ich wünsche reichlich zu bezahlen, wandte der Fremde ein.

So bezahlen Sie, was Sie schuldig sind.

Darf ich dann nicht wenigstens Ihrer Frau ein Umschlagetuch zum Andenken geben? fragte er etwas verlegen.

Ich dächte, der Herr Kapitän habe gewünscht, daß wir einander nicht kennen sollten? Meine Frau kennt niemand, den ich nicht kenne, was soll sie also mit einem Andenken?

Ja – ja. Also ich verlasse mich auf Sie.

Wenn wir einander nicht kennen, so können wir einander ja auch nicht betrügen.

Sie Stiernacken! drohte der Fremde. Ich hätte gute Lust, Sie durchzuprügeln.

Das sollten Sie lieber bleiben lassen, erwiderte der Schiffer lächelnd, denn ich fürchte, ich würde Ihnen einen ordentlichen Denkzettel geben. Aber nun haben wir lange genug geredet, und wenn Sie: Hinter mir Nacht, vor mir Tag! sagen wollen, so ist es am besten, Sie brechen jetzt auf.

Sie trennten sich mit einem Handschlag, und während der Fremde seiner Wege ging, machte der Schiffer ein Morgenschläfchen. Als er erwachte, war es heller Tag, und die fleißige Frau war eben auf dem Wege nach der guten Stube mit dem Frühstück für den Fremden.

Komm einmal her, kleine Mutter, sagte der Schiffer, und laß mich dein Sonntagessen näher betrachten.

Hier – aber es ist ja für ihn bestimmt.

Der Vogel ist ausgeflogen.

Ah – so war es gemeint, antwortete sie mit einer Miene, als ob ihr alles plötzlich vollkommen klar geworden sei.

Der Schiffer kostete den Kaffee und lachte behaglich, denn er wußte wohl, daß seine gute Frau mehr mit dem Herzen als mit dem Kopf begriff, und daß sie in diesem Augenblick vom ganzen gar nichts verstand.

*

Im Laufe des Montags kam die gerettete Besatzung einer Brigg an, die in dem Sturme gescheitert und von der Mannschaft verlassen etwa eine Meile weit von der Stadt auf den Strand gelaufen war. Die Seeleute, sieben an der Zahl, wurden bei einem der Strandbewohner und der Kapitän im Wirtshaus untergebracht. Das Ereignis wurde eifrig besprochen. Das Schiff gehörte einer Reederei in Eckernförde, und die Ladung, die hauptsächlich aus Korn bestand, war nach Fredericia bestimmt gewesen. Dort mußte also die gerichtliche Untersuchung der Ladung vorgenommen werden.

Aber in das einfache Gerede mischte sich plötzlich da und dort eine Bemerkung von unheilverkündendem Ton, wie wenn der Schrei des Raubvogels in das Gezwitscher der Vögel klingt; es wurde gesagt, die Reederei habe schon wiederholt Unglück mit ihren Schiffen gehabt, die aber zum Glück im Unglück immer hoch versichert gewesen seien. Von der genannten Brigg hieß es überdies, daß sie schon sehr verbraucht gewesen sei, als sie durch einen für die Reederei vorteilhaften Kauf in den Besitz des jetzigen Eigentümers übergegangen war. Kurzum, mehr und mehr erhob sich das Murren, das der Verdacht bei ungebildeten Menschen sogleich hervorruft; wenn ein Gerücht ihrem Instinkt entspricht, dann ist für sie auch der Beweis erbracht und das Urteil gefällt.

Der Schiffer gab auf alles genau acht, und was ihn anlangte, so war auch sein Urteil bald fertig – er hatte seine Prämisse! Aber niemand bekam das zu wissen; selbst daheim brauchte er nur den Mutmaßungen seiner Frau gegenüber auf seine behagliche, freundliche Weise den Kopf zu schütteln, so wurden sie augenblicklich umgestoßen.

Es vergingen einige Tage, bis das Verhör stattfand. In jener Zeit kam das Gericht nicht außer Atem vor Amtseifer – morgen war ja auch noch ein Tag! Endlich wurden Tag und Stunde festgesetzt, und das unheilverkündende Murren verwandelte sich in gespannte Erwartung.

Am Abend vorher war wieder ein Sturm ausgebrochen, und aus den späten Plauderstunden, die die Strandleute ringsum auf dem Wall zu halten pflegten, war diesesmal nichts geworden. Jedermann blieb daheim, und was da verhandelt wurde, wurde jedenfalls nicht vor dem nächsten Morgen weitergetragen.

Da, gerade vor Mitternacht, wurde plötzlich heftig an die Gartenthür des Schiffers geklopft, und als er öffnete, drängte sich ein Mensch herein, dessen Kleider vom Regen trieften. Es war ein alter Mann, ein verabschiedeter Lotse, der ganz allein in seinem Hause wohnte, und bei dem die oben genannte Schiffsmannschaft ihr Unterkommen gefunden hatte. Er war ganz verstört, und erst, als der Schiffer Licht gemacht und den stöhnenden Menschen in einen Lehnstuhl gesetzt hatte, beruhigte sich dieser so weit, daß er sagen konnte, was ihn zu so ungewöhnlicher Zeit und in einem solchen Zustande hierhergeführt hatte.

Es steht schlimm mit den Menschen bei mir daheim, brachte er endlich jammernd heraus.

Mit den Schiffbrüchigen?

Ja – der Kapitän ist ein Satan – das ist er!

Ach – ist es so schlimm?

Er verlangt ja, sie sollen einen falschen Eid schwören.

Bst! So etwas darf man nicht so laut sagen.

Ach, er redet selbst laut genug davon; das thut er. Wie ein Admiral steht er da, und er kommandiert, als wäre er auf einem Kriegsschiff. Keiner wagt sich zu mucksen. Ein alter Kerl ist bei ihm, der hält es mit ihm; aber die jungen Leute wollen es gut bezahlt haben. – Was soll ich nur thun, Schiffer?

Ihr sollt heim gehn und Euch aufs Ohr legen, sagte der Schiffer beruhigend.

Ja – aber es ist auch ein junger Mensch darunter, der meinem Johann gleich sieht, und Ihr wißt wohl, wie es ihm ergangen ist!

Hört, Gevatter, wollt Ihr den Angeber spielen?

Nein, Gott soll mich behüten und bewahren! Ich bin ein ehrlicher Seemann.

So thut, was ich Euch gesagt habe.

Ach, Schiffer, es ist schrecklich, wenn ich an meinen Johann denke!

So will ich mit Euch heimgehn, Gevatter, sagte der Schiffer und führte den Alten sorgsam zur Thür hinaus.

Der Weg führte durch einen Garten, einen langen, mit Beerensträuchern eingefaßten Mittelweg hinauf. Rechts war der Eingang in die Küche, und links lag der Flügel des niedrigen Gebäudes, worin die fremden Seeleute untergebracht waren. Nachdem der Schiffer den Alten in seiner Stube auf einen Sitz genötigt hatte, verließ er ihn. Mit ihm zu jammern hatte ja keinen Nutzen, und ihn zu trösten war unmöglich. Wo also gar nichts gethan werden konnte, da zog er sich zurück, denn er war ganz ein Mann der That und würde keiner Gelegenheit, zu helfen, aus dem Weg gegangen sein; aber hier handelte es sich um ein Ereignis, wo der Tod schon vor sechs Jahren zwischen Hoffnung und Gewißheit entschieden hatte. Der vorhin genannte Johann war das einzige Kind des alten Mannes gewesen, ein sehr hübscher Mensch mit einer Weichen, fast schwärmerischen Natur, aber wenig festem Charakter. Er war mit einer jungen Schiffertochter von Fünen verlobt gewesen, die aber in der Erziehung wie im Charakter über ihm gestanden hatte. Er fuhr als Untersteuermann auf einem Schiff, das, ebenso wie die Brigg, untergehn sollte, und er hatte sich mitsamt seinen Kameraden überreden lassen, falsches Zeugnis abzulegen; aber als das Gericht die Sache noch einmal aufnahm, weil Beweise für den wirklichen Sachverhalt beigebracht worden waren, wurde am Morgen darauf Johanns Leiche an den Strand gespült. Er hatte in seiner Tasche einen Brief von seiner Braut, worin diese ihm sein Wort zurückgab, und dabei einen von ihm an sie, worin er ihr in rührenden Versen Lebewohl sagte und die Welt um ein mildes Urteil bat. An den Vater hatte er daheim mit Kreide einen Abschied auf den Tisch geschrieben, und diese Worte wurden noch immer, von einer Decke beschützt, aufbewahrt.

In der Erinnerung an dieses Ereignis und mit dem Wunsch, den jungen Menschen, der dem Toten gleichen sollte, zu sehen, schlich sich der Schiffer an das Fenster und schaute durch eine Scheibe ins Zimmer. Da saß ganz richtig ein junger Mensch zwischen den andern, der äußerst verzagt aussah, der aber im übrigen mit Johann keine andre Ähnlichkeit hatte, als daß er auch jung und hübsch war. Der Kapitän ging allerdings wie ein kommandierender Chef da drinnen auf und ab, aber das Ganze machte doch viel mehr den Eindruck, als ob man an Bord eines Piraten- als eines Kriegsschiffes sei. Auf dem Tisch brannte nur ein einziges Talglicht, und da es schon eine gute Weile her sein mußte, daß der Docht zum letztenmal geschneuzt worden war, verbreitete es mehr Schatten als Licht in dem unbehaglichen Raum. An den Wänden herum saß da und dort eine finstre und zusammengekauerte Gestalt und warf schielende Blicke auf den Kapitän, der gebieterisch und energisch unausgesetzt auf und ab ging. Wenn einer der Leute ein Wort fallen ließ, so wandte er diesem sofort sein drohendes Gesicht zu und schlug mit einem einzigen Wort sowohl das nieder, was schon gesagt worden war, als auch das, was noch folgen sollte. Es gab Augenblicke, wo er wie absichtlich mitten in der Stube stehn blieb, um seine ganze persönliche Überlegenheit zu zeigen; er sprach von altem Gefasel und Aberglauben, von Weiberherzen und von einer Kameradschaft, die durch dick und dünn gehe, wenn es darauf ankomme. Sehr oft wechselte er die Ausdrücke, aber seine Rede drehte sich doch wie ein Rad immer in demselben Geleise, und er selbst hielt sich wie die unverrückbare Achse, um die sich alles drehte. An jeden einzelnen und doch an alle zugleich richteten sich seine Worte, und seine Rede war wie die entsetzliche Glocke in der Marterkammer der Inquisition, die unaufhörlich den Schlaf des Gemarterten störte; sie riß die Angeredeten aus dem Nachdenken heraus und erlaubte keine Überlegung mit andern.

Schließlich ergriff er die Feder und machte dem endlosen Für und Wider ein Ende. Energisch rief er einen nach dem andern an den Tisch vor, gab ihm die Feder zum Unterschreiben eines vor ihm liegenden Papiers in die Hand, und sie unterschrieben alle auf seinen Befehl. Nur einer leistete Widerstand, und das war der hübsche junge Mensch, der Johann gleichsehen sollte. Aber als ein großer vierschrötiger Kerl ihm drohend die Faust vor das Gesicht hielt, kam er widerwillig herbei und unterschrieb wie die andern. Als dies geschehen war, überreichte der Kapitän dem ältesten von ihnen ein Schriftstück, nahm das unterschriebne Papier an sich und entfernte sich, ohne die Leute eines Grußes zu würdigen.

Die Thür wurde heftig aufgerissen und wieder zugeschlagen, als die energische Gestalt des Kapitäns über die Schwelle des dumpfigen Raums schritt. Der Regen schlug ihm entgegen, während er sich durch den Gartenweg hindurch tastete. Aber der Weg war gerade, und der Ausgang schnell erreicht. Es schien ihm nur, als ob dort neben dem Pförtchen ein dicker Pfosten stehe, den er beim Eintreten nicht bemerkt hatte, und er gehörte doch sonst zu den Leuten, die ihre Augen bei sich haben. Deshalb trat er vorsichtig näher – da löste sich der vermeintliche Pfosten von der Pforte – es war ein Mensch.

Der Kapitän wich unwillkürlich einen Schritt zurück.

Um Vergebung, Herr Kapitän! sagte der Schiffer und pflanzte sich vor der Pforte auf.

Wer sind Sie? fragte der Kapitän, obgleich er den Schiffer auf den ersten Blick erkannt hatte.

Ja – wer ich bin, und wer Sie sind, das kann einerlei sein; aber da drinnen ist ein Bursche, der Peter Mejer heißt, und seine Unterschrift auf dem Papier, das Sie in Ihrer Rocktasche haben, die müssen Sie ausstreichen.

Sie drohen mir?

Ja.

Der Kapitän überlegte einen Augenblick. Sie wissen, daß ich das nicht thun kann, sagte er höflich.

Aber Sie müssen es thun, ob Sie nun können oder nicht.

Ich werde es mir überlegen.

Nein, dieses Überlegen kennen wir, Kapitän. Es muß sofort geschehn.

Sie sind wohl verrückt, Mensch! Was soll ich thun?

Sie sollen hineingehn und Peter Mejer herausrufen, dann will ich das Weitere mit ihm ins Reine bringen, während Sie es mit den andern ausmachen.

Was soll ich mit ihnen ausmachen?

Daß Peter Mejer krank war und in seiner Koje lag, während das Unglück geschah. Das kostet nicht viel Worte.

Aber das ist ja nicht wahr.

Es ist ebenso wahr, als es eine Lüge ist, daß Sie sich sieben Tage lang hier aufhielten, ehe Sie Nachricht erhielten, daß die Leute gerettet seien.

Die Augen des Kapitäns schossen Blitze auf den standhaften Schiffer. Er war durch und durch ein roher Tyrann, aber er war zugleich ein geistesstarker Mann, der seine Leute in ein eisernes Joch gespannt hielt, das noch keiner abzuwerfen vermocht hatte. Was war das für ein Mensch hier, der sich plötzlich vor ihm aufpflanzte und ihm Trotz bot? Ein Schwächling dem Anschein nach, mit einem gutmütigen Zug um den Mund und einem Paar ehrlichen Hundeaugen. Aber doch war Eisen in dem Kerl, das merkte er wohl – aber auch Eisen hatte er schon gebogen, und mit verbissenem Grimm schob er seinen kräftigen Körper vor, um durch die Pforte zu kommen. Aber der Schiffer hatte schon je einen Arm um die beiden Pfosten geschlungen, und wenn er nicht Gewalt brauchen wollte, so mußte der gebieterische Herr Kapitän bleiben, wo er war.

Einen Augenblick sahen sie einander fest in die Augen, und der Kapitän las etwas von einem ehrlichen unbeugsamen Mut in den braunen Augen. Von ihnen weg ließ er seinen Blick rasch in der Nachbarschaft umhergleiten.

Ja – sie sind alle zu Bett, sagte der Schiffer gutmütig. Aber es giebt Leute hier, die nicht viel Zeit zum Aufstehn brauchen. Es giebt auch solche, die sich nichts daraus machen, bis zum nächsten Morgen aufzubleiben, und zu diesen gehöre ich.

Sie können mich ja anzeigen, sagte der Kapitän hochmütig.

Ein Blitz schoß aus den Augen des Schiffers. Nehmen Sie Ihre Zunge in acht! zischte er zwischen den Zähnen hervor.

Der Kapitän war klug genug, einzusehen, daß er der sei, der nachgeben müsse. In demselben Augenblick überkam ihn eine tiefe Ermattung, und der Widerschein zeigte sich so deutlich auf seinem Gesicht, daß der Zorn des Schiffers verrauchte. Er begriff wohl, daß dem Kapitän ein harter Kampf bevorstand, wenn er jetzt mit einer solchen Forderung zu den erregten Menschen hineingehn mußte, denn so lange sie zusammenhielten, stützte sich der eine auf den andern, aber in demselben Augenblick, wo einer losgelassen wurde, war der Zusammenhalt zu schanden.

Der Schiffer betrat hinter dem Kapitän die Stube, und dieser ließ es geschehn – vielleicht fühlte er sich sogar dadurch ermutigt, und aus demselben Grunde ließ er auch die Thür weit offen stehn, als er wieder eintrat und sich zu dem Kampf mitten in den Raum stellte.

Es gab einen kurzen aber heftigen Kampf – ein Entweder – Oder, wobei der Kapitän seine ganze Klugheit und seinen ganzen brutalen Mut einsetzte, der jeden Augenblick eine Axt über den Köpfen der Schiffbrüchigen zu schwingen schien. Aber er hatte ja ihre Unterschrift in der Tasche, und sie hatten die Sicherheit einer bedeutenden Geldsumme – sie wurden unschlüssig und gaben nach.

Aber als Peter Mejer sich entfernte, sah er, wie der Alte, der vorher zu dem Kapitän gestanden hatte, ihm von seiner Ecke aus drohte und ihm Rache schwur. Und er wußte, daß diese kommen würde. Ein Unglück mußte daraus entstehn, von welcher Seite es auch kommen mochte. Draußen wartete der Schiffer auf ihn und zog ihn hurtig durch die Küche zu dem alten Lotsen hinein.

Dieser war noch auf; mit dem Hut auf dem Kopf saß er an einem langen Tisch; ein heruntergebranntes Licht stand vor ihm, und er stützte das Kinn auf die gefalteten Hände. Es war ein einsamer, trauriger Anblick, und als der Schiffer die Thür öffnete, schlug ihm die Schwermut wie Krankenluft entgegen, sodaß er still stehn mußte und nur schwer zu atmen vermochte.

Gevatter, sagte er freundlich, hier ist ein Stück Menschheit, das ich gerade aus des Teufels Klauen gerettet habe. Erlaubt, daß er sich bei Euch verborgen hält – bis auf weiteres.

Als der junge Mensch schüchtern vortrat und grüßte, war sogar der Schiffer von seiner Schönheit überrascht, und während sich der Lotse zitternd und weinend vom Tisch erhob und ihm die Hand entgegenstreckte, schlug der Schiffer dem Jüngling kameradschaftlich auf die Schulter und gab ihm das feste Versprechen, ihm auch weiter zu helfen.

Und dieser Mann hält immer mehr, als er verspricht, fügte der Lotse hinzu.

Nach einer kleinen Weile ging der Schiffer heim, und Peter Mejer bekam ein Nachtlager auf einer Bank bei dem alten Seemann.

Und da weinte er sich in Schlaf, nachdem er vorher noch die Erzählung von dem unglücklichen Sohn des Lotsen gehört hatte – und im Schlaf sah er deutlich, wie dieser vom Lager des Vaters her zu ihm trat und ihm die Thränen mit einem rotseidnen Taschentuch abwischte. – Aber dieses Taschentuch war ihm bekannt, das hatte er selbst für den ersten Thaler, den er verdient hatte, gekauft und einem jungen Mädchen, mit dem er in den Konfirmationsunterricht gegangen war, geschenkt, weil es immer, ehe der Pfarrer kam, die Aufgaben mit ihm durchgegangen hatte – und auch, weil es so schön war – und er es so sehr lieb hatte. Aber dabei hatte er die Zeit volle sieben Jahre zurückgerückt, und so jung blieb er auch, bis ihn der Morgen weckte, und der alte Lotse mit dem Kaffeekessel in der einen Hand und der Tasse in der andern aus der Küche hereinkam. So viele Jahre war es aber noch nicht her, daß Peter Mejer Koch gewesen war, und mit seiner gutmütigen Gefälligkeit nahm er deshalb nun sofort die einfache Haushaltung auf sich.

Im Laufe des Tages mußte er sich dann mit den Kameraden zu dem Verhör stellen, und da gab er die Erklärung ab, die der Kapitän in der Nacht vorgeschlagen hatte: er habe nur diese einzige Reise auf der Brigg mitgemacht – im übrigen stimme sein Zeugnis mit dem der andern überein, nur über den Schiffbruch könne er wegen seiner Krankheit keine Auskunft geben. Diese Aussage wurde von dem Kapitän und der übrigen Besatzung bestätigt, und daß hier Augen und Mienen ganz entschieden den Lippen widersprachen, darin fand das Gericht kein Arg. Die Worte, die da gelesen wurden, standen auf den Linien geschrieben; was zwischen den Linien zu lesen war, das verlangte ein andres Alphabet der Rechtswissenschaft, als man hier studiert hatte.

Nachdem das Verhör geschlossen war, schlich sich Peter Mejer wieder zu dem Lotsen hinein – unter die Kameraden wagte er sich nicht mehr. Als es dann endlich zur Eidesablegung kam, wurde er davon entbunden, und noch an demselben Tage wurde er ausgemustert. Schwer wie Blei lag es auf ihm, als er danach heim ging, denn wo sollte er nun hin? Beinahe schämte er sich darüber, daß er seine Kameraden im Stich gelassen hatte. Außerdem fürchtete er sich vor ihnen, und das aus guten Gründen; denn wie straffällig auch ihre Handlungsweise war, so war er eben doch ein Verräter ihnen gegenüber. Und nicht nur das, sogar in Gesellschaft von andern Seeleuten mußte er von nun an scheel angesehen werden, und ob er nun recht oder unrecht gehandelt hatte – ein schlechter Kamerad war und blieb er; das wußte er, daß es nicht einen gab, der ihm die Hand reichen würde.

Am nächsten Morgen fand es sich, daß in der Küche des Lotsen ein über eine zerbrochne Fensterscheibe geklebtes Papier abgerissen und ein Brief an Peter Mejer hereingeworfen worden war. Er enthielt eine Menge Schimpfworte und Rachedrohungen. Was er auch immer thun würde, hier wie in seinem Heimatsort, überall würde man ihm den Boden unter den Füßen heiß machen.

Als Peter den Brief dem Lotsen zeigte, wußte dieser auch keinen Rat, und so wurde der Schiffer zugezogen. Dieser überlegte sich die Sache eine Weile, während der junge Mensch mit dem Hut in der Hand vor ihm stand. Der Schiffer sah ihm mehreremal ins Gesicht, als ob er durch die äußere Liebenswürdigkeit hindurch sehen und bis auf den Kern seines Wesens dringen wollte.

Leben Ihre Eltern noch? fragte er.

Peter Mejer hatte seine Eltern gar nicht gekannt. Er war als Kind wochenweise bei guten Leuten untergebracht worden, und seit seiner Konfirmation hatte er für sich selbst gesorgt.

Ob er sonst durch nichts gebunden sei, fragte der Schiffer weiter. Da errötete Peter tief, schüttelte aber den Kopf. – Nein, er sei ganz allein, erwiderte er.

Dann kannst du zu mir auf den Seelöwen kommen, sagte der Schiffer entschlossen; da soll es keiner wagen, dir zu nahe zu kommen. Aber wir müssen den Abend abwarten.

Peter Mejer vermochte weder zu danken noch zu antworten. Sein hübsches Gesicht war von Thränen überströmt, und kurz nachher schlich er sich in die Küche hinaus, wo er in heftiges Weinen ausbrach.

Er weint, der arme Bursche, sagte der Lotse.

Dann hat er wohl Grund dazu, sagte der Schiffer.

Mein Johann weinte auch.

Aber das war nachher, Gevatter.

Darauf ging der Schiffer zu seinem Fahrzeug hinunter, das noch mit offnem Lastraum dalag und die Frachtgüter in Empfang nahm. Die Einschiffung sollte aber gegen Abend beendet sein, und wenn dann ein günstiger Wind blies, sollte der Seelöwe schon am nächsten Morgen die Segel ausspannen und seine Reise antreten.

Als die Dämmerung anbrach, war Peter Mejer wohl geborgen auf dem Seelöwen, und wenn er trotzdem in der Nacht kein Auge schloß, so war nicht Angst daran schuld, sondern die Gemütsbewegung, die wie die aufgeregte See noch lange, nachdem sich der Sturm gelegt hat, aus der Tiefe aufwallt und wogt.

Auf dem Heimweg bemerkte der Schiffer, daß ein junges Frauenzimmer im Garten des Lotsen stand und mit einigen der Schiffbrüchigen sprach. Sie that ihm leid, denn sicherlich war sie die Frau oder die Braut eines der Leute, und war vielleicht in der Hoffnung hierhergeeilt, ihm in der Versuchung beistehn zu können – und nun war sie zu spät gekommen.

Als er später mit seiner Frau darüber sprach, konnte diese noch berichten, daß sie ein junges fremdes Frauenzimmer den hintern Weg vom Prinzenthor her hatte kommen sehen, und sie hatte so müde und matt ausgesehen, daß man hatte fürchten müssen, sie werde beim nächsten Schritt umsinken.

Der Schiffer schlief unruhig in dieser Nacht. Er war es so gewohnt, in schwierigen Lagen einen Ausweg zu finden, und war immer so sehr der Helfer und Ratgeber der Strandleute gewesen, daß es ihm bitter weh that, nun gewissermaßen in all das Unglück, aus dem es doch keinen Ausweg gab, verflochten zu sein. Auch den jungen Menschen, den er jetzt wohlgeborgen auf dem Seelöwen wußte, mußte er doch bald seinem Schicksal überlassen, und dieses Schicksal würde nicht leicht sein: denn welcher Partei er sich auch anschließen würde, überall würde man ihm mit Argwohn entgegentreten, und überall würde Gefahr seiner warten.

Die Nacht ging ihrem Ende entgegen. Der Nachtwächter hatte an der Ecke des Hauses gerufen, daß die Glocke zwei geschlagen habe, und im Halbschlaf den dazu gehörigen Vers gesungen. Der Schiffer stand auf, und nur leicht bekleidet öffnete er seine Hausthür und guckte in die Luft. Es fing an, vom Westen her zu wehen, und alles deutete darauf hin, daß es gegen Morgen kräftig aus derselben Richtung blasen werde – da konnte er also gegen Mittag schon ein gutes Stück weit auf der See draußen sein.

Da kam es ihm vor, als ob der Buckel oben auf der Wallhöhe, wo er seine feste Station hatte, wenn er bequem aufs Meer hinaus schauen wollte, merkwürdig hoch geworden sei. Ob es wohl ein Mensch war, der dort zusammengekauert saß? Schnell zog er seinen Überrock an und eilte hinauf.

Es war dasselbe Frauenzimmer, das er schon in dem Garten des Lotsen im Gespräch mit den Schiffbrüchigen gesehen hatte. Sie sah aus, als ob sie für alles vollständig gefühllos wäre und sein Kommen gar nicht bemerkte. Er war ein wenig unschlüssig, was er thun sollte, deshalb blieb er stehn und betrachtete sie genauer. In der Nacht war ein Nebel aufgestiegen, das Tuch, das sie trug, hing naß um sie herum, und ihr Kopf war tief auf die Brust herabgesunken. Wenn sie schlief – so überlegte er –, dann war es ein Schlaf, aus dem sie erweckt werden mußte, denn ein solcher Schlaf konnte keinem lebenden Wesen gut thun; war es dagegen ein Kummer, der ihr die Besinnung geraubt hatte, dann war es wohl das beste, er ließ sie unangefochten – wer von einem untröstlichen Kummer befallen ist, den soll man nicht anrufen, wenn man ihm nicht Hilfe bringen kann. Aber fortgehn und sie ihrem Schicksal überlassen, das konnte er auch nicht übers Herz bringen, und als er sich bei diesem Gedanken umschaute, fiel ihm zum erstenmal die trostlose Einsamkeit auf, die ihn hier auf allen Seiten umgab: der Katzenbuckel, der schmutzige Wallgraben, und hinter diesem die Reihe dürftiger Gärten, von denen jeder einzelne seine böse Geschichte hatte – zum Erzählen, und zum Verschweigen –, nein, er konnte sie hier nicht allein sitzen lassen!

Aber während er noch überlegte, stand das Frauenzimmer auf und ging langsam die Böschung ans Wasser hinunter. Nun war der Schiffer nicht mehr unentschlossen, er ging ihr rasch nach und hielt sie am Kleide fest.

Wo wollen Sie hin? fragte er.

Sie blieb stehn, gab aber keine Antwort.

Kommen Sie mit mir! Ich bin ein verheirateter Mann und wohne hier dicht nebenan, sagte er, während er sie sanft wieder den Hügel hinaufführte. Sie folgte ihm ohne Widerstand in sein Haus, aber noch immer sprach sie nicht; und nachdem er sie der Fürsorge seiner Frau übergeben, und diese sie in das gute Bett der guten Stube gesteckt hatte, konnte man vorerst nichts weiter thun.

Gleich bei Tagesanbruch machte sich der Schiffer fertig, an Bord des Seelöwen zu gehn. Die Sorge seiner Frau, daß er ganz allein, ohne einen Mann an Bord, reisen wolle, verscheuchte er mit fröhlichen Entgegnungen und mit einer etwas wehmütigen Rede, die dem Andenken des Mads Lyng galt. Von Peter Mejer hatte er ihr nämlich nichts gesagt, denn so sicher er sich auch auf sie verlassen konnte, so hatte er doch die altmodische Anschauung, daß ein weibliches Wesen am besten über das schweige, was es gar nicht wisse. Dagegen bat er sie, das unbekannte Frauenzimmer wie ein Geheimnis zu hüten, damit es nicht in den Mund der Leute komme und auch nicht veranlaßt würde, Auskunft über sich zu geben. Dann nahm er Abschied, und nicht lange nachher fuhr der Seelöwe zum Hafen hinaus, und wenn die Schifferfrau gesehen hätte, was für einen flinken Handlanger ihr Mann bei sich hätte, so wäre ihr ein guter Teil Sorgen erspart worden.

Sie hatte inzwischen in ihrem Hause genug zu thun, und die Arbeit ist immer die beste Hilfe. Die unglückliche Fremde mußte mehrere Tage lang das Bett hüten, und was sie während der Zeit aß, wurde ihr bald mit Schmeicheln, bald mit Zanken beigebracht, sie zeigte deutlich, wie sehr ihr vor dem Weiterleben graute. Aber die Tage vergingen und die Wochen dazu, und das Leben fütterte sich selbst auf, ein Mund voll erregte das Verlangen nach einem zweiten, und die beiden dann nach weitern. So wurde ihr Kummer allmählich mitteilsamer, und schließlich schüttete sie unaufgefordert der treuen Pflegerin ihr ganzes Herz aus – das brachte ihr zwar Linderung, aber doch keine Hoffnung.

Unterdessen war die Sache der Schiffbrüchigen zum Abschluß gekommen. Die Mannschaft war ihrem Wunsche gemäß abgemustert worden und hatte den Ort verlassen, nur der Kapitän wurde noch zurückgehalten, teils wegen des Wracks und teils wegen der beschädigten Ladung, von der ein Teil östlich vom Dorf ans Land geschwemmt worden war.

Da hieß es plötzlich eines Morgens, der Kapitän sei gerade bei Tagesanbruch von der Polizei im Bett überrascht und in Arrest geführt worden. Das Gerücht wollte wissen, es sei auf die Angabe von einem der abgereisten Matrosen hin geschehn.

Dies kam wie ein Blitz aus heiterm Himmel, denn wenn auch im Anfang viel über die Sache getuschelt und gemunkelt worden war, so war das Ganze doch durch den Richterspruch beigelegt worden, und noch niemand hatte etwas einzuwenden gehabt. Aber der Kapitän im Rathausarrest! Der hochmütige, vornehme Mann von einem Polizeidiener im roten Rock fortgeführt! Wer hatte sie gesehen? Welchen Weg hatten sie genommen? Die Fragen fanden kein Ende, und die Vermutungen überstiegen alle Grenzen.

In der That war dem Gericht eine genaue Aufzeichnung der Umstände des Schiffbruchs eingesandt worden, alles war angegeben bis zu der Summe, mit der das falsche Zeugnis der Mannschaft bezahlt worden war. Klar und deutlich stand alles niedergeschrieben, und obgleich es keinem Zweifel unterlag, daß die Angaben von den abgereisten Matrosen ausgingen, so kamen sie doch von der Hand eines schriftkundigen Mannes, dessen Name übrigens nie herausgebracht wurde.

Es wurde nun ein neues Verhör mit dem Kapitän angestellt, aber er blieb hartnäckig bei seiner ersten Aussage. Indessen saß er noch immer fest, und nach allen größern Häfen wurden Steckbriefe nach der verabschiedeten Mannschaft erlassen. Aber Tage und Wochen vergingen ohne Erfolg, und die langen Verhandlungen darüber in den Klatschversammlungen droben auf dem Wall hörten fast ganz auf.

Endlich kam wieder einmal die Meldung: Der Seelöwe kommt! – Sechs volle Wochen war er weg gewesen, aber er hatte Glück gehabt. Kaum war die eine Fracht gelöscht gewesen, da war ihm schon eine neue übertragen worden, und so war er fleißig von Hafen zu Hafen gefahren. Deshalb trug der Schiffer, als er sich in der Dämmerung seinem Hause näherte, den Kopf auch besonders hoch, und weil ihm der Hut seiner guten Laune entsprechend tief im Nacken saß, so ließ er die Stirn frei, auf der nicht wenig wohlgelungne Spekulationen verzeichnet standen.

Natürlich wurde ihm der Empfang des sehnsüchtig Erwarteten zu teil, und mit gutem Gewissen nahm er ihn an. Trotzdem fragte er doch gleich nach dem armen, kummervollen Frauenzimmer, das er bei seiner Abreise zum letzten mal gesehen zu haben glaubte, das sich jedoch, wie ihm in einem Briefe mitgeteilt worden war, unter der muntern Kinderschar etwas beruhigt hatte.

Sie stand ganz allein in der Welt. Einen hatte sie gehabt, und für ihn hatte sie gelebt von ihrer Kindheit an – ein armer Knabe war es gewesen, aber er hatte ein Herz und ein Gesicht, die nicht geringer waren, als die des Kindes eines reichen Mannes.

So lautete die Einleitung des Berichts, der am Abend, als alle Kinder schon zu Bett waren, und der Schiffer allein bei seiner lieben Hausfrau saß und zu einem Glase warmen Punsch – seinem gewöhnlichen Willkommenstrank – seine Pfeife rauchte.

Plötzlich schlug er auf den Tisch und sah die Sprechende starr an: Was sagst du? Hieß ihr Liebster Peter Mejer? Ha ha ha! und er rannte förmlich in der Stube auf und ab.

Du darfst nicht so laut lachen, Väterchen! bat seine Frau, der über ihrer eignen Erzählung die Thränen in die Augen getreten waren. Sie ist ja da drin bei den Kindern und weint bitterlich, weil sie weiß, daß ich mein Glück wieder habe – und sie das ihrige niemals wieder bekommt.

Hör, Mutter! sagte der Schiffer noch immer lachend. Geh zu ihr hinein und sag ihr, daß ich zum Seelöwen hinuntergelaufen sei, um einen Waschlappen zu holen, mit dem sie sich die Augen trocknen könne.

Seine Frau war ganz entsetzt über ihn, denn er sprang buchstäblich zur Thür hinaus, ohne sie hinter sich zuzumachen, und als sie auf den Weg hinausschaute, war kaum noch ein Schimmer von ihm zu sehen, so schnell lief er dem Strande zu.

Sie kehrte in die Stube zurück und überlegte, wie weit sie dem weinenden Mädchen den Auftrag ihres Mannes mitteilen solle; aber zum erstenmal fühlte sie, daß sie andre Worte gebrauchen müsse als ihr Gatte. Schließlich trat sie in die Kammer, wo das Mädchen bei den Kindern auf dem Bettrand saß und mehr tot als lebendig zu sein schien.

Liebe Grete! sagte sie zärtlich. Mein Mann ist wie ein wildes Füllen zum Seelöwen hinabgelaufen, um etwas für dich zu holen, womit du dir die Thränen trocknen könntest.

Verwirrt sah das Mädchen auf. Lieber Heiland! Was ist es denn? flüsterte sie und zitterte dabei am ganzen Körper.

Ja, so sagte er, aber was er damit meinte, das weiß ich nicht.

Aber in demselben Augenblick näherten sich eilige Fußtritte dem Hause. Die Schifferfrau trat rasch in die Wohnstube, während das Mädchen in der Thür stehn blieb und sich mit beiden Händen festhielt.

Da flog die Gangthür auf, und herein stürmte atemlos der Schiffer mit einem schönen jungen Menschen, der, obgleich sein Gesicht so weiß wie der Kalk an der Wand war, doch vor Freude strahlte. Das war Peter Mejer.

Mit einem einzigen Schritt war er an der nächsten Thür und streckte die Arme dem schwankenden Mädchen entgegen – und zwei glückliche erlöste Menschenkinder hielten sich umschlungen.

Der Schiffer war einem Wink seiner Frau gefolgt und mit ihr zu den Kindern gegangen; die jungen Leute sollten ein wenig allein sein, denn das wußten sie von sich selbst, daß Liebesleute in der Gegenwart andrer schüchtern sind. Aber nachdem den schlafenden Kindern vom ältesten bis zum jüngsten der Reihe nach verschiedne Küsse aufgedrückt worden waren, meinte der Schiffer doch, nun habe das Liebesgeschwätz für diesesmal lange genug gedauert. Peter Mejer müsse außerdem wieder auf den Seelöwen zurück, um in der Nacht noch fertig zu bringen, was möglich wäre, denn unter den vorliegenden Umständen müsse er sich vorerst noch verborgen halten.

Ja, nun geben Sie wohl acht, ob Sie sich auf ihn verlassen können! drohte der Schiffer dem jungen Mädchen. Denn als ich ihn fragte, ob er mit irgend jemand in Verbindung stehe, leugnete er es geradezu.

Peter Mejer wurde feuerrot und schlug die Augen nieder.

Wir sind aber doch von unsrer Kindheit an gute Freunde gewesen, sagte Grete und sah ihn betrübt an.

Ach, ich wußte ja wohl, daß du mich lieb hattest, sagte er schüchtern, und ich liebte dich auch mit einem treuen Herzen, aber dann kam ja der Schiffbruch – und wenn ich meinem eignen Kopf gefolgt wäre, so wäre es mir gerade so wie den andern gegangen, und dann wärst du ja viel zu gut für mich gewesen. Aber wenn ich dich nicht mehr hatte, dann war ich doch ganz allein.

Der Schiffer gab seiner Frau heimlich einen Wink, als ob er sagen wollte: Das ist ein ehrlicher Bursche, er streicht seine Sache nicht heraus. Unterdes hatte aber Grete trotz ihrer Schüchternheit ihren Arm um Peters Hals gelegt, denn nachdem er gesprochen hatte, war er in heftiges Weinen ausgebrochen und aus lauter Verzweiflung ganz gebrochen.

Lieber Peter, sagte sie laut und so aufrichtig, als handle es sich um eine Zeugenaussage. Und wenn du das auch gethan hättest, so wüßte ich doch, daß du nur ein verführter Mensch gewesen wärst, und dann würde ich den lieben Gott so lange mit Thränen gebeten haben, bis er dir verziehn hätte.

Wieder gab der Schiffer seiner Frau einen Wink, und diesesmal bedeutete er: So soll ein Frauenzimmer sein! Aber gleich darauf folgte noch ein dritter, den sie ebenso gut verstand wie die vorhergehenden, und als sie ihren Beifall zu erkennen gegeben hatte, verschwand sie durch eine Thür, die aller Wahrscheinlichkeit nach zu den für die Haushaltung ausschließlich bestimmten Regionen führte.

Der Schiffer machte sich nun eifrig daran, ein Notizbuch zu studieren, das er mit großer Wichtigkeit aus der Rocktasche gezogen hatte – alles nur, um den Jungen zu zeigen, wie weit er als Beobachter von ihnen entfernt sei, während es der Hausraum doch nicht anders zuließ, als daß er ihm sehr sichtbar nahe blieb.

Kurz darauf kam die Schifferfrau mit einer Flasche Met auf einem Brett zwischen vier haushälterisch kleinen Gläsern, und nachdem diese gefüllt waren, ergriff der Schiffer eins davon und bat die andern, sich auch zu versehen. Dann räusperte er sich und nahm eine feierliche Haltung an, während die andern ehrerbietig warteten. Und dann erhob er sein Glas und brachte in schönen Worten das Wohl des ehrenwerten jungen Paars aus.

Grete trocknete ihre Freudenthränen, stieß mit dem Schiffer und seiner Frau an und wurde zuletzt so mutig, daß sie beim zweiten Glas ihrem Herzallerliebsten ein Kuß gab. Das Wort »ehrenwert,« das der Schiffer besonders betont hatte, hatte den letzten Druck von ihrem Herzen genommen. Dann wurde Lebewohl gesagt, und leicht wie ein Vogel flog Peter über den Strandweg dem Seelöwen zu.

Als er später die Luke über dem Verdeck schloß und ohne Licht allein in dem engen Raum saß, und all die traurigen Gedanken, die er hier gehabt hatte, wieder vor ihm standen, gab er ihnen mit leichtem Herzen den Abschied, und bald schloß er die Augen zu einem Traum – mit vielem Licht in der Kajüte.

Aber Peter Mejer sollte noch nicht mit ganz unverkümmerter Freude zu Hause sitzen dürfen, dazu war er in zu naher Berührung mit den bösen Mächten gewesen – die Sorgen, denen er so schnell den Abschied gegeben hatte, hatten etwas vergessen, das zu holen sie noch einmal zurückkamen.

*

Die Nachforschungen, die wiederholt nach der Mannschaft des gestrandeten Schiffs angestellt worden waren, hatten bis jetzt zu keinem Ergebnis geführt. Aller Wahrscheinlichkeit nach waren die Leute in andre Länder fortgezogen. Man wußte darum nicht recht, was man mit dem Kapitän anfangen sollte, und war schon im Begriff, ihn frei zu geben; aber er hatte selbst die Nemesis herausgefordert, die noch in der elften Stunde über ihn kommen sollte.

Plötzlich verbreitete sich das Gerücht, daß einer der Matrosen der Brigg in Hamburg auf einem Schiff festgenommen worden sei, das zur Abfahrt nach Amerika bereit im Hafen lag. Es sei ein Mann im mittlern Alter, von trotzigem Charakter, der mit seinen neuen Kameraden schon Streit angefangen hätte und deshalb von ihnen angezeigt worden sei.

Bei dieser Nachricht verlor Peter Mejer seine ganze gute Laune, und in der späten Abendstunde, wo er sich in das Haus des Schiffers zu schleichen pflegte, saß er mutlos bei seinen guten Freunden. Auch der Schiffer konnte ihm keinen andern guten Rat geben, als zwischen Flucht und Abwarten zu wählen; aber Peter sah wohl, daß das Unglück am Ende beider Auswege lauern könnte. Vor allem aber bereitete ihm der Gedanke Schmerz, daß der Kapitän dadurch, daß er ihm die Freiheit erzwungen hatte, die Rache der Mannschaft auf sich selbst gelenkt hatte, und daraus erwuchs ihm ein Kummer, den der beste Wille nicht trösten konnte.

Es war inzwischen Mitte Dezember geworden. Unaufhörlich trieb der Nebel vom Meere herein, und nur zur Not konnte ein Fischerboot den Weg finden. Und der Nebel legte sich nicht nur drückend auf die Brust der Strandbevölkerung, sondern auch auf ihre gute Laune, und ihre gemütlichen Zusammenkünfte draußen am Hafen oder in den Schenkstuben hörten fast ganz auf. Mit einer kleinen Veränderung seiner äußern Erscheinung konnte deshalb Peter Mejer in den Abendstunden etwas freier herumgehn. Er war auch auf den Rat des Schiffers kurz nach der Rückkehr in die leere Stube des Lotsen gezogen und hatte es da in aller Heimlichkeit bei dem Alten recht gut, aber jetzt war es ihm also bei nichts recht wohl und bei sich selbst am allerwenigsten.

Endlich teilte sich der Nebel wieder, und ein tüchtiger Sausewind mit Regengüssen jagte von Nordosten daher. Der Schiffer war drunten beim Seelöwen gewesen, um nachzusehen, ob alles in Ordnung sei, denn seine Absicht war, sobald das Wetter es erlaubte, eine Last Brennholz zu holen, die schon seit längerer Zeit bei ihm bestellt war.

Es war kein neues Gefühl, das ihn in dieser Dämmerungsstunde auf dem Heimweg überfiel; es hatte sich öfters eingestellt in den letzten Jahren, daß er nämlich trotz all seines ausdauernden Fleißes nicht vorwärts komme. Aber das gute Antlitz zeigte keine Sorge mehr, als er dann zu den Seinigen ins Zimmer trat, und als er den alten Lotsen auch darunter fand, setzte er sogar seine fröhlichste Miene auf.

Nachdem die allgemeine Begrüßung vorüber war, bat sich der Lotse eine Unterredung unter vier Augen mit dem Schiffer aus. Die Frau deutete auf die Kinderstube, weil die gute Stube erstens kalt sei und zweitens wegen ihrer großen Möbel, wie der Schiffer sich auszudrücken pflegte, nur zwei Fuß mittschiffs messe.

Es folgte nun eine Einleitung, die eben so gut unter hundert anstatt unter vier Augen hätte gegeben werden können, denn kein Mensch hätte sie verstanden. Der Lotse hatte nämlich die Gewohnheit, erst eine ganze Menge gleichgiltiger Dinge zu berühren, ehe er zum Kern seiner Sache kam, aber diese Art romantischen Umwegs erlaubte sich der Schiffer oft selbst bei ernsthaften Angelegenheiten, und deshalb war ihm die Form bekannt.

Endlich kam es an den Tag, daß der Lotse den Seelöwen kaufen und zwei Drittel der Kaufsumme gleich bar bezahlen wolle. Ihr braucht ein größeres Fahrzeug, Schiffer, sagte er, denn Ihr könnt doch nicht Euer ganzes Leben lang hier liegen und mit dieser Birnenschute herumkläppern.

Ja – bis jetzt bin ich noch nicht mit Birnen gesegelt, antwortete der Schiffer. Aber das ist einerlei, wenn ich sie gut bezahlt bekomme, dann los damit.

Sie ist ihre dreihundert Reichsthaler wert – unter Freunden, sagte der Lotse; und hier lege ich zweihundert auf den Tisch.

Der Schiffer überlegte ein wenig, nicht weil er das Angebot für ungenügend hielt, sondern weil es ihm so unerwartet kam, und außerdem liebte er seinen Seelöwen ja wie das Kind seine Wiege.

Die Kinder wachsen heran, sagte der Lotse, und es kostet viel, so viele Schnäbel zu füttern.

Ja, das weiß ich wohl, ich nehme auch Euer Angebot an – aber –

Paul Möller in Svendborg will seine Jacht verkaufen, lockte der Alte.

Den Neptun! rief der Schiffer.

Ja, er will auch vorwärts kommen. Sechshundert verlangt er dafür, aber sie ist auch in gutem Stande.

Dann ist der Handel abgeschlossen, sagte der Schiffer lebhaft.

Sie erhoben sich beide und gaben sich den üblichen feierlichen Handschlag. Darauf überreichte der Lotse die zweihundert Reichsthaler, die der Schiffer mit einer Verbeugung in Empfang nahm und in seine Brieftasche legte.

Aber nun gehört der Seelöwe von heute abend an mir, und ich kann damit thun, was ich will, sagte der Lotse bestimmt.

Natürlich könnt Ihr mit Euerm Eigentum machen, was Ihr wollt, Gevatter! Ich hätte freilich nicht geglaubt, daß Ihr auf Eure alten Tage noch einmal zur See wollt.

Ja, man kann niemals wissen, was ein Mensch sich in den Kopf setzt, mein Lieber.

Die Schifferfrau wurde nun hereingerufen, und die Sache wurde ihr in Kürze mitgeteilt. Sie schwieg, es war ja ganz richtig, sie mußten vorwärts kommen, und der Seelöwe konnte mit all seinem Fleiße nicht mehr erwerben, als daß sie von der Hand in den Mund lebten. Aber als sie mit dem Präsentierbrett und den kleinen Gläsern kam, zitterten ihre Hände, denn es war immerhin schwer, einen so guten alten Freund aufzugeben.

Ehe der Kauf mit einem Trunke besiegelt wurde, hielt der Schiffer eine kleine Rede; er hielt nämlich mit Vorliebe Reden, wobei er meistens etwas auswendig gelerntes, ein Gedicht, ein Stück aus einem alten Volkslied, einen Bibelspruch oder ein Sprichwort anwandte, und damit kam er immer recht gut durch. Hierauf wurden noch verschiedne Fragen abgehandelt, und dann eilte der Lotse mit sichtbarer Unruhe zur Thür hinaus.

Als Mann und Frau allein waren, überkam sie beide eine wehmütige Stimmung, und sie setzten sich still neben den Ofen, um über das Geschehene nachzudenken.

Was hast du nun vor, Vater? fragte die Frau weinend.

Der Schiffer fuhr sich über die Augen und richtete sich mutig auf. Ich will zu Bertel Brun gehn und ein bischen Geld bei ihm borgen, und dann gehe ich nach Svendborg und kaufe den Neptun.

Glaubst du, daß er dir borgt?

O, der Mann hat noch nie nein gesagt, wenn es darauf ankam, er steuert doch die ganze Kodille.

So wurden denn allerhand schöne Pläne für die Zukunft gesponnen, und der Abend verging zwischen Wehmut und Hoffnung geteilt. Gewöhnlich war es der Schiffer, der zuerst zur Ruhe ging, weil er dann eine behagliche Ausspannung nach den Kämpfen des Tages genoß und gewissermaßen den Segen seines ehrlichen Fleißes in der Ruhe bei wachem Zustand mit der häuslichen Fürsorge um sich verspürte. An diesem Abend aber war es anders. Wie befriedigt er auch von dem Verkauf war, so hatte sich doch seiner Seele eine unbehagliche Spannung bemächtigt, und zu der gewohnten Schlafenszeit setzte er den Hut auf und ging zum Hause hinaus.

Lange wanderte er auf dem Wall hin und her, und so oft er an seine Hausthür kam, wandte er sich wieder um. Zum Schluß ergriff ihn eine so wehmütige Sehnsucht nach seinem Seelöwen, daß er beschloß, einen Gang dorthin zu machen – um ihm Dank und Lebewohl zu sagen. Das erleichterte ihm das Herz, und mit einer Eile, der die Sehnsucht Flügel verlieh, sputete er sich nach dem Strande hinab.

Hier lag der Seelöwe wie eine Möwe und schaukelte sich auf den Wellen; als nun der Schiffer daran dachte, wie er bei diesem Wind im Handumdrehen seine Holzlast von Bjerrehoved geholt haben würde, fühlte er sich ganz krank und fing in der kleinen Kajüte drunten ohne weiteres an zu weinen. Wie liebte er dieses kleine Fahrzeug! Jedes Stück daran bis zum kleinsten Nagel hätte er küssen und streicheln mögen!

In dieser Stimmung verfloß die Zeit, und der Nachtwächter hatte schon die Mitternachtstunde dem schlafenden Dorfe verkündet, ehe der Schiffer seine Fassung wieder erlangt hatte. Plötzlich horchte er auf; war es der Wind, oder waren es Diebe, die droben auf dem Verdeck raschelten? Deutlich hörte er hier und dort schleichende Fußtritte, und er bedachte sich nicht lange – galt es, so hatte er sein gutes Taschenmesser bei sich, und im Sprung war er auf dem Verdeck.

Hier stand ein totenblasser Mensch vor ihm – der Kapitän. Wie ein Schlag ins Gesicht wirkte dieses Zusammentreffen auf beide, aber der Schiffer faßte sich zuerst. Mensch, wo kommen Sie her? rief er.

Das Fahrzeug gehört Ihnen nicht mehr, antwortete der Kapitän, aber die Zähne klapperten ihm vor Schreck.

Aha – da liegt der Hund begraben! rief der Schiffer. Aber es ist nichts Schriftliches aufgesetzt worden, und Ihre zweihundert Thaler können Sie sich bei mir holen – so, und nun gehört der Seelöwe wieder mir, wenn Sie es wissen wollen!

Eine wilde Verzweiflung zuckte über das Gesicht des Kapitäns. Er zog rasch ein Pistol aus der Rocktasche und drückte es an die Stirn. Entweder stellen Sie mir in dieser Nacht das Fahrzeug zur Verfügung, oder ich erschieße mich hier auf der Stelle, flüsterte er.

Aber blitzschnell riß ihm der Schiffer das Pistol aus der Hand, beugte sich über die Brüstung und schoß in das Wasser. Es ist besser, wir erschießen einen Dorsch, sagte er ruhig.

Aber in demselben Augenblick warf sich ein Mensch zu seinen Füßen nieder und stammelte schluchzend: Vergebung!

Peter Mejer! rief der Schiffer. Was ist denn das? Bist du auch dabei, mich zum Narren zu halten?

Schiffer! sagte der Kapitän energisch, dieser Mensch ist treu wie Gold, sagt kein Wort gegen ihn. Seinetwegen hat das andre Pack sich an mir gerächt, aber wenn es wüßte, was er für mich gethan hat, so würde es den Hut vor ihm abnehmen. Acht Nächte ist er nicht in sein Bett gekommen, sondern hat für mich gearbeitet, daß ich fliehen könnte. Er wußte, daß ich Frau und Kinder habe – und er wußte noch etwas andres – daß ich nicht mit dem Halunken vor dem Gericht zusammentreffen darf, auf den sie hier warten. – Verstehn Sie mich?

Jawohl, Kapitän.

Gut, so entscheiden Sie!

Soll der da dann die ganze Schuld auf sich nehmen? fragte der Schiffer und deutete auf den vor ihm knieenden Peter Mejer.

Ich habe einen Brief an den Magistrat hinterlassen, worin er gerechtfertigt wird, antwortete der Kapitän.

Unterdessen war auch der alte Lotse herbeigekommen und streckte zuerst die Hand aus, um Peter Mejer aufzurichten. Komm her, mein Sohn! sagte er weich. Unser Schiffer meint es nicht so schlimm.

Aber er will sich nicht zum Narren halten lassen. Und Sie können die zweihundert Thaler holen. Solches Geld nehme ich nicht an.

Es ist ganz ehrlich erworbnes Geld, alter Schiffer. Und wenn Ihr es denn durchaus wissen wollt, so ist es mein Gedanke, daß Peter Mejer auf meine alten Tage bei mir bleiben soll. Deshalb meinte ich, er könne hier anfangen, wo Ihr auch angefangen habt – mit dem Seelöwen. Und ob Ihr es mir nun glauben wollt oder nicht, so ist es doch Euer eignes Geld, denn Hans Persen, von dem Ihr den Seelöwen gekauft habt, ist es mir schuldig gewesen, und es hat nun so lange in meiner Schublade gelegen, wie Ihr den Seelöwen habt.

Aber Gevatter! wandte der Schiffer ein.

Nein, laßt mich ausreden, alter Schiffer! – Wenn ich einen Menschen von Schande und Tod errette, so kann es ja sein, daß ich eine Seele für den Herrn gewinne. Das ist nun mein Gedanke, und nun könnt Ihr thun, was Ihr wollt.

Das Gesicht des Schiffers hatte allmählich einen andern Ausdruck angenommen.

Hört, Gevatter, sagte er zum Lotsen, ich meine, Ihr solltet Euern Passagier in die Kajüte hinunter schicken, daß er sich niederlegt, denn gegen Morgen wird es kalt.

Schiffer! rief Peter Mejer und warf sich ihm an die Brust.

So, hier sind die Papiere wegen der Holzlast, die drüben in Bjerrehoved liegt. Jetzt ist der Wind günstig, und der Seelöwe wartet ungeduldig. – Das soll dein Handgeld sein, Peter Mejer, sagte der Schiffer, hob den Hut und sprang ans Land.

Hurra für den Schiffer! rief der alte Lotse mit gedämpfter Stimme, und an Bord des Seelöwen wurden zugleich drei Hüte geschwenkt.

Eilig schritt der Schiffer seinem Hause zu, und er wischte sich die Augen gut ab, ehe er eintrat. Aber er hatte eine unruhige Nacht. Wohl war er mit dem, was er gethan hatte, zufrieden, aber doch stritt sich das Gegenwärtige mit dem Vergangnen und dem zu Erwartenden herum, als ob sich diese drei durchaus nicht vereinigen könnten. Der Schiffer begriff aber wohl, daß hier in aller Eile etwas geschehn mußte. Am nächsten Morgen trat er mit dem Hut in der Hand bei Bertel Brun ein, der der Vorstand des Orts und in den Augen des Strandvolks ein Halbgott war, und er trat auch getröstet und aufgerichtet aus dessen Thür wieder heraus. Ehe eine weitere Stunde vergangen war, war der Schiffer schon auf dem Wege nach Svendborg, und zwei Tage nachher wurde der Neptun zum erstenmal gemeldet.

Das machte natürlich Aufsehen am Strande, die Sache wurde nach allen Seiten hin besprochen, aber der Schiffer war der Freund jedes ehrlichen Mannes, und deshalb wurde ihm der Erfolg gegönnt. Und so waren alle, die sich Zeit dazu nehmen konnten, droben auf dem Wall versammelt, um die Ankunft des Neptuns mit anzusehen. Er war fast noch einmal so groß wie der Seelöwe, und wie er so mit vollen Segeln, einem langen, flatternden Wimpel aus dem Maste und einer kleinen viereckigen Flagge am Hintersteven durch die Hafenmündung hereinstrich, nahm er sich gut aus und zeigte ein vielversprechendes Zukunftsbild.

Das Interesse für die Schiffbrüchigen, das schon auf so verschiedne Weise die Gemüter erregt hatte, bekam durch die Flucht des Kapitäns wieder neue Nahrung. Es wurde viel geschrieben, Steckbriefe wurden ausgesandt und Verhöre abgehalten, aber ohne jeden Erfolg; die Mittel, einen Flüchtling einzufangen, waren damals weder schnell noch unfehlbar. Aber nun wurde durch die Ankunft des Hamburger Schiffes, das, wie man wußte, den gefangnen Matrosen mitbringen sollte, die Spannung plötzlich wieder groß. Der Matrose hatte nämlich einen Fluchtversuch gemacht, sich aber dabei mit dem Fuß so fest in die Strickleiter verwickelt, daß er rücklings abgestürzt war und am nächsten Morgen tot mit dem Oberkörper im Wasser aufgefunden wurde. Damit war die Geschichte aus. Die Spannung war bis an der Überspannung angelangt, und dann geht das Interesse leicht in die Brüche. Nun könne man doch sehen, daß unser Herrgott dem Angeber selbst ein »Bis hierher und nicht weiter!« zugerufen habe, lautete das Schlußwort der Strandleute, und damit gaben sich alle zufrieden.

Wegen des Peter Mejer gab es natürlich noch ein kleines Nachspiel, aber dieses fand bald einen guten Abschluß. Der brave Lotse begleitete auf den Rat des Schiffers Peter nach seiner Rückkehr zum Magistrat, und da das Zeugnis des Kapitäns ihn von allem freisprach, und er sich außerdem dauernd am Ort niederlassen wollte, wurde die Sache bald beigelegt.

Peter Mejers nächste That aber war, in Begleitung des Schiffers und des Lotsen zum Pfarrer zu gehn und das Aufgebot zu bestellen. Am darauffolgenden Sonntag wandelte dann die Schifferfrau mit Grete in die Kirche, um das erste Aufgebot selbst von der Kanzel zu hören. Der Lotse hatte nämlich bestimmt, daß die Hochzeit am letzten Tage des Jahres stattfinden sollte, und da es nun schon ganz nahe vor Weihnachten war, mußte am ersten und am zweiten Weihnachtstag aufgeboten werden.

Indessen war Peter Mejer damit beschäftigt, den düstern Hausflügel, wo er die schrecklichsten Stunden seines Lebens zugebracht hatte, zu tünchen und zu malen. Da wurde es aber auch behaglich und hell, und von der großen Stube, die die Neuvermählten bewohnen sollten, war nur ein kleiner Sprung hinüber in die Küche und zum – Vater. Der alte Lotse war in Wirklichkeit den Waisen ein Vater geworden – und doch waren sie noch mehr für ihn, denn sie waren die Kinder des Kinderlosen geworden.

*

Dann kam der Weihnachtsabend. Der Weihnachtsbaum war damals noch nicht allgemein Sitte; dies hing mit dem Gesellschaftswesen zusammen, und er war nur in hochvornehmen Kreisen bekannt. Auch wurde nicht wie heutzutage ein Gottesdienst gehalten, sondern nur um fünf Uhr das Weihnachtsfest eingeläutet, und dann war auch im Hause des armen Mannes Festtag. Einem ordentlichen Hausvater oder einer Hausmutter wäre es nicht eingefallen, noch zu schelten oder böse Worte zu sprechen, wenn die Glocken zu läuten begonnen hatten. Sogar die Hausarbeit, die durchaus noch gethan werden mußte, geschah so leise, als ob der heilige Gedanke durch jeden lauten Ton verjagt werden könnte. Und doch war gerade er es, der seine Gegenwart in den schnellen Ruderschlägen den Hafen herein kundgab, in den hastigen Schritten auf der Straße, in dem glühenden Gesicht vor dem Herdfeuer, in dem verwirrten Kaufmannslehrling, der Nelken statt Kardamom abwog, in der halbgeöffneten Thür des Bäckers und in dem großen Korb voll Pfeffernüsse, woraus jedes Kind eine Hand voll drein bekam. Das alles zusammen war der frohe Ausdruck der Weihnachtsstimmung.

Das Haus des Schiffers stand darin nicht hinter denen der andern Strandbewohner zurück. Vor der Hausthür war sauber gekehrt und der Weg weithin mit Sand bestreut, auf dem Herd brodelte und bratzelte es in Kesseln und Pfannen, denn es sollte ein Abschluß- und Abschiedsfest wegen des Verkaufs des Seelöwen und zu Ehren seines neuen Eigentümers gefeiert werden. Wiederholt trat eine verkleidete Gesellschaft mit dem Bettelsack um den Hals in die Stube und sang ein Weihnachtslied; in den Sack wurde dann von den verschiednen Weihnachtsherrlichkeiten etwas hineingestopft; ein Danklied wurde dreingegeben, und dann zog die Schar eilig zum nächsten Hause, denn auch damit mußte man sich beeilen, daß die Beteiligten auch ihre Weihnachtsfreude hinter ihren eignen armen Thüren hätten.

All das erzeugte frohe Laune. Der Schiffer saß oben an dem langen Tisch und prüfte mit den frohen Kindern um sich herum die ersten Apfelküchlein; er war gerade mitten in einer Gespenstergeschichte, die er auf dem Seelöwen erlebt hatte, als der arme Mads Lyng noch lebte. Unheimlich schleppende menschliche Tritte hatten auf dem Boden der Kajüte getönt, und das Haar hatte ihm zu Berge gestanden. Aber gerade, als er bei dem enttäuschenden Punkt seiner Geschichte angekommen war, wo sich das Gespenst in einen Aal verwandelte, der Mads Lyng durchgegangen war, und während die Kinder noch blaß vor Schrecken dasaßen, schlug die gedrückte Stimmung plötzlich in stürmischen Jubel um, denn zur Thür herein kamen zwei Gestalten, die so lächerlich waren, daß sogar der Schiffer sich nicht halten konnte.

Die eine war eine Art Löwe auf zwei Beinen; er hatte einen Wimpel im Nacken, eine ungeheure Mähne aus gekräuseltem Papier um eine Maske mit zwei fürchterlichen Augen, dazu einen borstigen Bart und einen kurzen Schwanz mit einem mächtigen Wedel daran. Die andre hatte ein weißes Hemd über ihre gewöhnlichen Kleider, ein rotes, wollnes Tuch wie eine Schärpe um den Leib, einen Südwester tief über die Stirn, einen mächtigen Papierbart am Kinn und ein rotes Band um den Hals mit einem Lotsenschild daran, das über die Brust hinunterhing.

Der Löwe stimmte nun ein Seemannslied an, das von Gefahr und Schiffbruch und anderm Unglück auf dem Meere handelte, während der andre durch einen Bindfaden, an dem er heimlich zog, den buschigen Schweif in ununterbrochner Bewegung erhielt.

Die Schifferfrau kam mit Grete aus der Küche, Fremde drängten sich von der Straße herein, um den ungewöhnlichen Weihnachtsspaß mit anzusehen, und der Jubel der Kinder war grenzenlos.

Endlich löste sich das Rätsel, indem der, der das Lotsenschild trug, vortrat und sich mit folgenden Worten verbeugte: Ich habe hiermit das Vergnügen, zu melden, daß der Seelöwe außer aller Gefahr und im Hafen der Freundschaft eingelaufen ist. Und damit zeigte der Lotse sein altes, frohes Gesicht, während die Kinder noch mit dem Seelöwen herumtanzten, der natürlich niemand anders war als der lustige Peter Mejer.

Das war ein froher, glücklicher Weihnachtsabend, denn dankbare Herzen loben gern den Herrn.

Am Sylvesterabend wurde als Schluß des kleinen Hochzeitsfestes von den jungen Leuten eine Mahlzeit in der Kajüte des Seelöwen gegeben, aber nur für den Schiffer mit seiner Frau und den alten Lotsen. Dort wollte man vom alten Jahre Abschied nehmen und das neue willkommen heißen. Vorher wurde beim Lotsen zum Klange einer Violine getanzt, denn eine Hochzeit, wo die Braut und der Bräutigam nicht tanzten, das war eine Scherenschleiferhochzeit. Bei dieser Gelegenheit hatte der Schiffer den »Siebentritt« getanzt – das war nämlich sein Tanz, und den konnte ihm keiner nachmachen. Aber als sich endlich die Musik samt den übrigen Gästen verabschiedet hatte, wanderten die fünf guten Freunde, die so viel von einander wußten, wovon die andern keine Ahnung hatten, zu dem Seelöwen hinunter, wo Peter Mejer alles vorbereitet hatte, und wo in einem Nu vier brennende Lichter auf dem Tisch standen. In der Küche kochte das Wasser, und bald konnte er die dampfende kleine Punschbowle vor seine Gäste stellen.

Dann wurden Gesundheiten ausgebracht. Der Lotse erzählte noch einmal seine traurige Geschichte und vergoß Freudenthränen dabei. Peter Mejer sang seiner Frau ein Kinderlieb, das sie einst selbst ihn gelehrt hatte, der Schiffer ließ den Seelöwen hochleben sowie den Neptun, das Brautpaar, den Lotsen – und seine »eigne Herzallerliebste,« wozu die Schifferfrau das vergnügteste Gesicht von der Welt machte.

Hört! rief er plötzlich. Der Nachtwächter ruft Zwölf. – Hört ihr das Horn draußen am Pulverturm? – Na! da knallte ein ordentlicher Jütentopf – war das ein Knall! Schenk ein, Peter Mejer! – Und Prost Neujahr! Prost Neujahr! klang es fröhlich durcheinander; dann sang der Schiffer begeistert ein Seemannslied, dessen Verse nicht alle wurden.

Der Lotse war sanft darüber eingenickt, aber das Brautpaar saß Hand in Hand und sah den Schiffer mit strahlenden Gesichtern an. Schließlich wurde der Alte geweckt, und alle zusammen wanderten heimwärts. An der Gartenthür des Lotsen wurde zuerst Halt gemacht, aber dieser wollte absolut, daß man den Schiffer nach Hause begleitete, was glücklicherweise – denn der Alte war nicht sehr sicher auf seinen Füßen – den Weg nicht wesentlich verlängerte.

Vor der Hausthür des Schiffers wurde dann im Ernst Halt gemacht und in vielen verschiednen Wendungen: Gute Nacht! und Herzlichen Dank! gesagt.

Schiffer! sagte Peter Mejer, ich erinnere mich an ein Wort, das mir gesagt worden ist, als ich noch klein war. Du mußt bei allem was lernen – denn du kannst sowohl vom Guten wie vom Bösen lernen. – Jetzt habe ich wohl auch vom Bösen gelernt, aber am meisten habe ich doch vom Guten gelernt – vom Vater dort und von Euch, Schiffer!

Ja – der kann Siebentritt tanzen, der Kerl! rief der Lotse, der sich in einem ganz andern Gedankengang bewegte.

Ja, Schiffer, Ihr könnt alles, fügte Peter zärtlich hinzu.

Peter Mejer! sagte der Schiffer wehmütig, indem er den Hut abnahm und zu dem hohen schwarzblauen Himmel mit den unzähligen funkelnden Sternen hinaufschaute. Ich kann ja schon noch einen Siebentritt tanzen, aber siehst du das Siebengestirn dort oben? Kann ich das festhalten? Nein, es giebt nur einen, der alles kann, und das ist unser Herrgott.

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