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Vorwort

. Frau Magdalene Thoresen, die Altmeisterin der norwegischen Erzählungslitteratur, wie sie mit Recht genannt wird, denn die greise Dichterin hat das einundachtzigste Lebensjahr vollendet, ist nächst Björnson die hervorragendste Darstellerin des norwegischen Volkslebens. Aber obgleich sie dicht neben Björnson und Ibsen, den großen führenden Geistern des Nordens steht, die sich in den weitesten Kreisen Deutschlands Achtung und Ansehen erworben haben, ist sie bis jetzt fast unbekannt bei uns geblieben. Das mag seinen Grund darin haben, daß durch viele ihrer Erzählungen ein düstrer Hauch weht, indem sie den einsamen, wilden und öden Charakter der großartigen nordischen Gebirgswelt und der einsamen Fjorde hineinbannt in ihre Schilderungen; und darin, daß ihre Gestalten in dieser Umgebung oft harte, störrische, zähe Naturen sind, die dem leichtlebigern Südländer erst durch Vertiefen und Nachdenken verständlich werden. Aber wie gut stimmt gerade dieser ernste Ton zu der großartigen, überwältigenden Natur des hohen Nordens. Diese einsamen Fjordläufe, die hohen unwirtlichen Gebirgswände und wilden Thalgründe, wo die Bewohner mit Lebensgefahr das kärgliche Brot erringen müssen, und wo der Tod unter mancherlei Gestalt, besonders aber auf dem sturmgepeitschten Meere täglich die drohende Hand nach ihnen ausstreckt, nach dem Bruder, dem Gatten, dem Sohne, und so oft den Ernährer der Familie vernichtet.

Jeder Mensch ist mit dem Boden, dem er entstammt, verwachsen, geistig wie leiblich; er trägt dessen Züge, und so sind auch diese kräftigen, willensstarken, wettergebräunten Nordländer anders geartet als die im Licht und in der Wärme eines mildern Himmels ausgewachsenen Südländer, ernster, stiller und in sich gekehrter. Aber sie werden von denselben Leidenschaften bewegt wie die andern Menschen, und ihr Leben bringt ihnen dieselben Kämpfe. Wie aber versteht es Frau Thoresen, dieses Leben zu schildern! Diese einfachen Bilder, die zum großen Teil dem Bauern- und Fischerleben entnommen sind, sind so lebendig wie die Natur selbst, und trotz ihrer Wirklichkeit sind sie von einem idealen Hauch umgeben, den nur ein echter Dichter in der Gewalt hat! Welchen Stoff sie auch behandelt, sie weiß ihn mit dem Glanz der Liebe zu erleuchten. Die Liebe, die große, alles beherrschende Gewalt ist das Thema aller ihrer Geschichten, auch in der ärmlichsten Hütte bewegt sie die Herzen, und alles Leben dreht sich um sie. Sie ist das große Geheimnis der Menschenseele, mehr als alles andre entscheidet sie über die Lebensschicksale, sie ist die Kraft, die den Menschen erhebt, ihn aber auch erniedrigen kann, und wer nicht geliebt hat, der hat sein Leben verspielt. Eine Verherrlichung der Liebe in ihrer läuternden Kraft, sowohl im Glück wie im Unglück, das ist der Inhalt aller Erzählungen der ernsten Schriftstellerin. Sie selbst hat eben in ihrem reichen Herzen eine Fülle von Wärme und Teilnahme, die sie antrieb und befähigte, in den Herzen andrer zu lesen und sie ganz zu verstehn und zu begreifen. Und dieses reiche Herz hat sie auch zur Dichterin gemacht, die die Menschen darzustellen vermag, weil sie ihren Herzen die leisen verborgnen Regungen abzulauschen versteht, weil sie hinableuchten kann in das Dunkel der Seelen, tief hinab, bis dahin, »wo das Irdische und das Göttliche sich im Menschen begegnen«; dadurch hat sie die Befähigung erhalten, Wirklichkeitsbilder zu schaffen, die den nachdenkenden Leser zur höchsten Bewundrung hinreißen.

Dazu klingt ein lebendiger Glaube an Gottes Liebe und die ewige Gerechtigkeit als Grundton durch ihre Erzählungen, sodaß diese, auch wo sie Herbes und Düsteres zum Gegenstand haben, nie pessimistisch werden, sondern die Seele erheben und zu dem Gottvertrauen hinlenken, das allein Ruhe, Ergebung und Frieden zu geben vermag. Daß einem so reichen Gemüt auch der Humor nicht fern liegt, ist klar. Er leuchtet in prächtiger Weise aus vielen Szenen und Charakterzeichnungen hervor.

Frau Magdalene Thoresen schaut auf ein langes, reiches und segensvolles Wirken zurück, wenn sie jetzt von sich sagt: »Meine Arbeit ist gethan.« Wer ihr aber persönlich gegenübertritt, der wird es kaum glauben, daß einundachtzig Jahre über ihren Scheitel hingegangen sind! Eine immer noch aufrechte, kräftige Gestalt mit silberweißem Haar, dessen fast lockige Fülle kein Häubchen braucht, glänzende braune Augen, die noch immer jugendlich blicken und leuchten und so schön zu der herrlichen Altstimme passen, die kein unbedeutendes Wort spricht, und deren Klang ein so tiefes Empfinden verrät. Von Geburt ist sie eine Dänin. Sie ist am 3. Juni 1819 in Fredericia in Jütland geboren; ihr Vater Namens Kragh war Seemann und Schiffszimmermeister, der in kümmerlichen Verhältnissen lebte. Den größten Teil ihrer Kindheit verbrachte sie bei der Großmutter väterlicherseits, einer schwergeprüften, tiefreligiösen Frau von ungewöhnlichem Charakter, die durch ihre Erzählungen und ihre eigne bedeutende Persönlichkeit von großem Einfluß auf das Kind war, das sich aber ganz nach seinen Neigungen entwickeln durfte. Lesen und Schreiben lernte sie fast von selbst, und ihre dichterische Gabe zeigte sich schon früh. Abends, wenn ihre Großmutter schon schlafen gegangen war, schrieb sie mit Kreide Verse auf den Tisch, die sie dann aber wieder wegwischte, daß sie niemand sähe. Für ihren Lesehunger erhielt sie von einem alten Leihbibliothekar allerhand deutsche und dänische Bücher. Nach dem Tode der Großmutter kehrte Magdalene in das Elternhaus zurück; doch hatte sie in den engen Verhältnissen keine Ruhe. Die Sehnsucht nach weiterer geistiger Entwicklung trieb sie wieder fort, und so kam sie mit der Hilfe eines menschenfreundlichen Mannes, der von ihr gehört hatte, nach Kopenhagen, wo sie mit eisernem Fleiß die Lücken ihrer Bildung ausfüllte und sich zur Erzieherin ausbildete. Dann kam sie nach Norwegen in das Haus des Propst Thoresen als die Erzieherin seiner fünf mutterlosen Kinder, und ein Jahr später wurde sie die Herrin des Hauses, indem sie dem Propst die Hand reichte. An der Seite dieses bedeutenden Mannes, der damals einer der hervorragendsten Prediger Norwegens war, entwickelte sich ihr Wesen immer mehr, und die schlummernden dichterischen Kräfte erwachten zu reicher Entfaltung. Norwegen wurde im wahren Sinne des Wortes ihre Heimat; sie begann das Land und die Leute zu lieben. Sie selbst schreibt darüber: »Ich war stolz und glücklich, einem Volke mit frischem, kräftigem Naturgrund anzugehören, und einem Lande, das mit seinem wilden Meer und seinen mächtigen Bergen in jedem Zuge von der großen Mär der Natur erzählt seit den Tagen der Schöpfung bis zur Gegenwart. Ich wurde nun meiner selbst mehr und mehr bewußt, und in diesem Bewußtsein wurde ich Norwegerin mit Leib und Seele.«

Nach sechzehnjähriger glücklicher Ehre verlor sie ihren Gatten, dem sie vier Kinder geboren hatte. Und nun erst wurde sie zur Schriftstellerin. Als sie schon das vierzigste Lebensjahr überschritten hatte, erschien ihr erster Band Dorfgeschichten. Ihm folgten bald weitere nach, die in demselben Maße wie Björnsons Bücher Begeisterung und Bewundrung hervorriefen.

Jetzt wohnt Frau Thoresen schon seit Jahren in Kopenhagen. Im vorigen Jahre hat sie ihren achtzigsten Geburtstag im Kreise ihrer Familie gefeiert, zu der auch Ibsen gehört, denn eine Tochter aus der ersten Ehe des Propst Thoresen ist dessen Gattin. Bei dieser Feier ist ihr die Medaille für Kunst und Wissenschaft verliehen worden, und viele andre Ehrenbezeugungen wurden ihr zu teil, die ihr gezeigt haben, wie hoch sie von ihren Zeitgenossen geschätzt wird.

Als vor einem Jahre der letzte Band Novellen, den sie geschrieben hat, in deutscher Sprache herauskam, schrieb sie in einem Briefe: »Es freut mich, daß mein Buch in Deutschland erscheinen wird, ich gehöre dort nicht zu den Bekannten, ich wurde zwar oft gewogen, aber immer zu ›schwer‹ erfunden.« Allerdings gehören ihre Werke nicht zur leichten Litteratur, dazu gehn sie zu sehr in die Tiefe, aber eben darum wird auch ihre Spur nicht so schnell verwehn. Ein berühmter Mann hat von ihr gesagt, daß sie ihre Feder in ihr Herzblut getaucht habe. »Und das ist wahr – fügte sie selbst hinzu –, aus meinem lebendigen, heißen Herzen heraus ist alles entsprossen.«

P. K.

 

 


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