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Viertes Kapitel

Ich fuhr mit der Bahn nach Rosenheim und innabwärts nach Marktl. Jede Station erschien mir mehr als trostlose Fremde, und das Gefühl von Abschiedsschmerz, das Unbehagen, das mich heute noch überkommt, wenn ich den Pfiff einer Lokomotive höre, stammt von jener trübseligen Reise her. Ich fühlte nicht, daß, was zur Linken und zur Rechten an mir vorüberflog, ein Teil der Heimat war, das Land, das sich vor meinen Blicken ausgedehnt hatte, als ich droben vor unserer Almhütte lag.

Es war Fremde.

Der Lärm im rosenheimer Bahnhof wirkte verwirrend auf mich ein; ich mußte aussteigen und im Wartesaal fast eine Stunde zubringen. Die Leute drängten sich an die Schenke und holten Bier und Würste. Mir aber schien es ganz unbegreiflich, daß heute ein Mensch auf Essen und Trinken bedacht sein konnte.

Als ich wieder eingestiegen war, drückte ich mich fröstelnd in eine Ecke. Es regnete, und schwere Tropfen klatschten an die Fenster, die von Windstößen geschüttelt wurden. Ein Kalb stand draußen ans Geländer angebunden und blökte kläglich; da kam ein tiefes Mitleid mit dem verlassenen Tiere über mich, und ich konnte den Ton lange nicht vergessen. Die Leute, die ins Kupee hereinkamen und gleich eine lärmende Unterhaltung führten, kamen mir roh und gewalttätig vor; ich zog mich scheu vor ihnen zurück.

In Marktl stieg ich aus und schleppte meinen Reisesack zum burghauser Postomnibus, der hinterm Bahnhofe hielt. Da kam ein kleiner Mann auf mich zu, der eine Brille auf hatte und stark schielte.

»Ist das der Kaspar?« fragte er mich. Ich stotterte eine Antwort, und er sagte mir, er sei der Kaufmann Redenbacher und habe mich abgeholt.

Im Omnibus redete er kaum mehr etliche Worte mit mir; ein Kapuzinerpater saß gegenüber, mit dem er sich eifrig unterhielt.

Der Pater war ein lustiger Mann, der alle Augenblicke seine Tabaksdose aus der Kapuze holte, um zu schnupfen.

Mir kam es sonderbar vor, daß ein heiliger Ordensmann ganz so wie andere Leute von gewöhnlichen Dingen redete und laut lachte, und ich hätte mich vielleicht noch mehr darüber gewundert, wenn ich nicht wie ein kranker Vogel dagesessen wäre und nachgedacht hätte, wie ich diesem Elend auf die schnellste Weise entrinnen könnte.

Ich wollte weglaufen, sowie sich das Wetter besserte; den Weg würde ich schon finden, immer den Bergen entgegen; und war ich ihnen erst näher gekommen, konnte ich leicht über Miesbach heimfinden.

Der Gedanke war kaum in mir aufgetaucht, so wurde er schon zum festen Entschlüsse, und ich atmete beinahe froh auf, als ich so weit war.

Beim Rütteln und Stoßen des Wagens stellte ich mir vor, was meine Leute sagen würden, wenn ich nun plötzlich daher käme; wenn auch die Großmutter schimpfte und die Mutter unwillig wäre, - dem Vater würde es recht sein, das wußte ich.

Warum sollte ich unter den fremden Menschen leben, die mir schon jetzt nicht gefielen?

Der Herr Redenbacher am wenigsten.

Ich hatte vom ersten Anblicke an eine Abneigung gegen ihn, ohne mir Rechenschaft geben zu können, was mir an ihm mißfiel, und sie blieb mir, obgleich mir das kleine Männchen nie etwas Böses zufügte.

Aber es war von Anfang an etwas zwischen uns, was auch ihn abhielt, mir herzlich entgegenzukommen.

Er war gegen jedermann überhöflich und hatte eine Kunstfertigkeit darin erlangt, mit allen Menschen über die nichtigsten Dinge lange Gespräche zu führen; in meiner Gegenwart blieb er immer wortkarg; gewöhnlich sprach er dann nur in abgebrochenen Sätzen und schien einen unangenehmen Rest mit Gewalt zu verschlucken, wobei er die Lippen lautlos bewegte.

Er sah mich nie an, aber ich bemerkte oft, daß er einen schielenden Seitenblick auf mich warf, in dem sich keine Neigung verriet.

Das alles beobachtete ich erst späterhin genau, aber auf jener ersten Fahrt durch den langen Marktler Wald regte sich in mir ein starker Unwillen gegen ihn, der mich in meinem Vorhaben bestärkte. Es war schon dämmrig und lange Wolkenfetzen hingen bis zu den Türmen der Burg herunter, als wir an der Bergstraße hielten, die steil abwärts in die Stadt führt.

Der Postillon legte den Hemmschuh ein; pfeifend und knirschend rutschte der Omnibus langsam vorwärts; dann ging es über holpriges Pflaster vor einen Gasthof, wo wir endlich haltmachten. Herr Redenbacher hielt seinen Schirm gegen den peitschenden Regen vor sich hin, ich tappte verdrossen und von einem plötzlichen Jähzorn gegen diese Reise erfüllt hinter ihm drein. In einer engen Gasse hielten wir vor einem Laden, dessen Auslagfenster durch ein paar Petroleumlampen beleuchtet waren. Wir traten ein, und da lief uns eine dicke, gutmütig aussehende Frau entgegen, die mich sehr herzlich begrüßte und mir den triefenden Wettermantel abnahm.

Ich mußte in dem kleinen Ladenzimmer auf einem ledernen Kanapee Platz nehmen; es war eingeheizt, und der Ofen strömte eine behagliche Wärme aus; nicht minder auch die gute Base, die mir die Hand tätschelte und sich nach allen möglichen Leuten im Dorfe erkundigte.

»Jetzt laß dir's nur bei uns gefallen, Bübl,« sagte sie. »Ich weiß wohl, wie's einem zumute ist, wenn man zum erstenmal aus dem Nest muß; hab's selber durchg'macht und bin lang nicht fertig g'worden mit'n Heimweh, aber du mußt net verzag'n, mir helfen schon z'samm …«

Und sie half mir auch alle kommenden Tage so herzlich und zutraulich wie am ersten Abend, an dem ich mich in einer seltsamen Gemütsverfassung und in peinigender Ungewißheit befand.

Denn es galt mir doch als fest ausgemacht, daß ich beim ersten Sonnenschein aus der Stadt flüchten wollte, und jetzt war ich wieder irr geworden an meinem Vorhaben.

Es erschien mir als grobe Undankbarkeit gegen die Base, und als eine Kränkung, für die ich keine Entschuldigung wußte. Da ich aber nicht gleich von meinem Plane, der mich froher gestimmt hatte, abstehen wollte, nahm ich mir vor, auf jeden Fall etliche Tage auszuharren und dann meine Gönnerin offen zu bitten, daß sie mich ziehen lassen sollte.

Auch dieser Entschluß verlor Tag um Tag an Festigkeit, je mehr ich mich an den Gedanken gewöhnte, daß ich am Ende doch was Rechtes lernen könnte, und daß es eine schönere Heimkehr wäre, wenn ich als Student und nicht als verzagter Ausreißer meinen Leuten wieder vor die Augen käme.

Und so blieb ich denn in Burghausen.

Künstler haben die Stadt immer malerisch genannt, Soldaten und Offiziere haben sie ein Schindernest geheißen, die Beamten haben sie gemieden; und wer nicht mußte, ist nicht hingegangen.

Sie hat eine reiche Vergangenheit und eine reiche Geschichte von Mißhandlungen.

Sie war Residenz, guter Handelsplatz, war hoher Amtssitz, war Garnisonsstadt.

Davon ist ihr nichts geblieben; jetzt ist Burghausen ein stiller Grenzort, und von allen Besitztümern hat es bloß mehr die alte Jesuitenschule, das Gymnasium.

Aber damals hauste oben auf der Burg noch das tapfere Jägerbataillon, und Markt und Gassen waren erfüllt vom fröhlichen Soldatentreiben.

Das gefiel mir gleich ausnehmend gut.

Es lag der Schimmer der großen Siege darauf. Offiziere und Unteroffiziere trugen die Ehrenzeichen, und wenn an besonderen Tagen das Bataillon auf dem Stadtplatze aufgestellt war, Mann an Mann, eine unbewegliche Mauer, bis eine Stimme, hell wie ein Trompetensignal, das Kommando gab und die Bajonette in scharfer Zickzacklinie aufblitzten, dann stand ich staunend unter den dicht gedrängten Zuschauern und meinte, nun hätte ich etwas vom Ruhme des Vaterlandes gefühlt.

Allein bevor ich vom schmerzlichen Heimweh zu anderen Empfindungen kam, brauchte ich lange Zeit.

Die Stadt drückte mit ihren engen Gassen auf mich. An der breitesten Stelle des zwischen Fluß und Schloßberg eingeklemmten Ortes war ein mit runden Steinen gepflasterter Platz, in den die lange Hauptgasse, die Gruben, einmündete. Die führte ihren Namen mit Recht; sie war wie eine dumpfe Grube. Die hohen Häuser waren eng aneinandergepreßt und den gegenüber liegenden so nahe gerückt, daß sich die Leute einander in die Stuben sehen konnten. Im engsten Teile lag die Gemischtwarenhandlung von Kastulus Redenbacher.

Das Haus hatte eine schmale Front, in der neben der Ladentüre und einem Auslagefenster kaum mehr Platz war für den Eingang.

War man ins Innere geschlüpft, dann stand man vor einer Stiege, die so steil in die Höhe führte, daß man zum Emporklimmen gerne das an der Wand hängende fettige Seil benützte. Oben führte ein Gang auf eine Altane hinaus, die über dem schmalen Uferwege hing, der die Rückseite des Hauses von der Salzach trennte. Zuweilen glitten Lastschiffe, mit Zementfässern oder Salzsäcken beladen, den Fluß herunter, denen ich gerne und lange nachsah.

Drüben überm Wasser lag eine andere Welt, das Ausland Österreich.

Dieses nahe und doch ferne Ufer regte immer meine Phantasie an, ich meinte, die Leute dort drüben müßten anders sein, anders leben, und ich wollte den Armen mein Mitleid schenken, da sie es doch sicher schlechter getroffen hatten.

Es verging einige Zeit, bis ich zum erstenmal über die Brücke in den österreichischen Ort Ach kam, der aus wenigen Häusern bestand.

Die männlichen Einwohner hatten fast alle Militärkäppis auf, kamen ziemlich salopp daher und waren schmächtig und klein; wer von ihnen keine Pfeife im Maul hatte, rauchte eine Virginia. Davon bekam ich einen bestimmten und bleibenden Eindruck vom Aussehen des Österreichers, den ich erst viel später korrigierte.

Der einzige Kommis Redenbachers, der aus Braunau stammte, war nicht dazu angetan, meine Meinung zu verbessern.

Er hieß Gabriel Hotowy und hatte ein blatternnarbiges Gesicht, das durch vorstehende Augen und schlechte Zähne entstellt war. Er war mein Zimmernachbar, und schon am ersten Tage sagte die Frau Bas zu mir, ich sollte mich mit dem Gispel nicht zu viel abgeben, denn er habe bloß Dummheiten im Kopfe. Anfänglich konnte ich ihrem Rate leicht folgen, denn Gabriel, der mittags an unserm Tische aß, sah recht hochmütig über mich weg und zeigte mir gegenüber eine unnahbare Größe. Es dauerte aber nicht lange, so schenkte er mir in übertriebener Weise seine Freundschaft und sein Vertrauen und machte mich zum Mitwisser seines Hasses gegen den Tyrannen Redenbacher.

Er war am Ende ein armer Kerl, der von sieben Uhr früh bis neun Uhr abends im Laden stand, nie einen freien Tag hatte und selten ein freundliches Wort hörte. Wunderlich war es, wie schnell sich in unserm Umgange die Rollen vertauschten, indem nun der um viele Jahre Ältere mir eine gewisse Überlegenheit einräumte. Ich war für den in der Hintergasse einer Kleinstadt aufgewachsenen Menschen ein Gegenstand der Bewunderung, denn seine Vorstellung vom Gebirge und seinen Bewohnern war mit einer übermäßigen Romantik ausgeschmückt.

Oft äußerte er seine Sehnsucht, einmal die freie Luft der Berge atmen zu dürfen, und dazwischen klang sein Wunsch nach einer kleidsamen Tracht und nach dem Umgange mit kernigen Sennerinnen durch.

Eines Abends kam er nach Ladenschluß in meine Stube, wo ich noch arbeitete, und indem er sagte, er weihe mir von nun an brüderliche Liebe, fiel er mir um den Hals und gab mir einen Kuß.

Von da ab hatte er mir immer etwas ins Ohr zu wispern und zeigte eine Heimlichtuerei, die meiner Frau Bas auffiel; sie fragte mich, und ich erzählte ihr die Entstehung der Brüderschaft.

Sie nahm Gabriel auf die Seite und sagte ihm wahrscheinlich sehr derb ihre abfällige Meinung, außerdem gab sie ihm ein anderes Quartier in einer Hinterstube.

Eine Zeitlang steckte er mir heimlich Briefe zu, in denen stand, daß echte Freundschaft durch solche Prüfungen nur geläutert und verstärkt werde, aber da ich nie antwortete und auch mein Unbehagen deutlich genug zeigte, verfiel er in eine dumpfe Resignation, und bald behandelte er mich wieder mit sehr auffälliger Kälte.

 


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