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Drittes Kapitel

Die Jahre vergingen im regelmäßigen Wechsel der Geschehnisse, und was sich im Dorfe durch Geburt und Tod änderte, geschah so allem Natürlichem und Erwarteten angemessen, daß es fast unmerklich einen Teil der Verdrängung des Heute durch das Morgen bildete. Der Kreuzpointner, den das veränderliche Schicksal zum Philosophen gemacht hatte, pflegte zu sagen, das ganze Strapazieren habe keinen Wert; in fünfzig Jahren gebe es andere Leute und andere Schubkarren. In der kleinen Welt merkt einer die vanitas vanitatum so deutlich wie in der großen. Ich kam in der Schule gut vorwärts und zeigte Anlagen, die meinen Lehrer Wenglein bewogen, eines Tages bei uns einzukehren und dem Hagn zu eröffnen, er halte es für seine Pflicht, mit ihm über meine Zukunft zu reden. Er sei gewiß nicht voreilig und gleich geneigt, in jeder tüchtigen Begabung ein ungewöhnliches Talent zu erblicken; vor allem aber wisse er sich frei von der törichten Meinung, daß man im Bauernstande nicht auch helle Köpfe brauchen könne.

Wie stehe es aber mit mir? Es sei doch keine Aussicht, daß ich als der Jüngere das Anwesen erhalte, und so müsse ich Knecht bleiben, wenn mir nicht ein Zufall Besseres biete. Hätte ich Geschick zum Basteln, so würde er raten, daß man mich ein Handwerk lernen ließe, aber nach seiner Meinung fehle mir dafür jede Begabung, während ich zu anderem Talent und Neigung in ungewöhnlichem Maße zeige. Kurz, man müsse recht ernsthaft erwägen, ob man mich nicht studieren lassen könne. Die lange Rede dieser Standesperson versetzte meinen Vater in ein tiefes Staunen, was sich dadurch zeigte, daß ihm die Pfeife immer wieder ausging, so oft er sie auch anzündete. Als meine Mutter, die im Stall gearbeitet und sich erst schicklich zurecht gemacht hatte, in die Stube kam, überließ er ihr den Platz am Tische und zog sich auf die Ofenbank zurück, wo der Tabak in Brand blieb. Erst jetzt kam ein Zwiegespräch zustande, denn bis dahin hatte Herr Wenglein allein gesprochen. Meine Mutter war hocherfreut über das rühmliche Zeugnis, das man für mich in dem Vorschlag erblicken mußte, aber sie sagte ohne Umschweife, daß sie mich aus eigenen Mitteln nicht studieren lassen könnten. Sie redeten hin und wieder und überlegten, wo sich eine Möglichkeit auftun könnte, und man sah wohl, wie viel dem Lehrer daran gelegen war. Da kam die Großmutter dazu, die vom Guggenbichler aus mit scharfen Augen bemerkt hatte, wie Herr Wenglein in unser Haus eingetreten war, und die gleich etwas Besonderes dahinter vermutet hatte. Als sie erfuhr, um was es sich handle, erhob sie einen freudigen Lärm, denn sie hatte sich's lang schon im geheimen gewunschen, daß aus mir ein geistlicher Herr werden sollte. Das verstand sie nach gebräuchlicher Meinung unter Studieren. Sie brachte gleich viele Pläne zum Vorschein, an die meine unerfahrene Mutter nicht gedacht hatte.

Da waren die Herrn Patres in Tölz, denen man vielleicht zeigen konnte, was sie an mir gewännen. Oder man sollte dem Pfarrer die Sache ans Herz legen. Es sei schon vielen auf diese Weise geholfen worden; so wisse sie es gleich von einem Taglöhnerbuben von Irschenberg, der dann später auf eine große Pfarrei ins Unterland gekommen sei und seine zwei Schwestern zu sich genommen habe.

Außerdem ließ die Großmutter eine lange Reihe von Verwandten aufmarschieren und prüfte sie auf ihre Fähigkeiten zu dem guten Werke. Aber da schaute nicht viel heraus. Die einen verwarf sie gleich, sobald sie die Namen nannte, andere hatten Kinder, die dritten hatten kein Geld, wieder anderen war kein rechtes Gemüt für so was zuzutrauen. Schon wollte sie ihre Blicke unwillig von der Verwandtenschar abwenden, als sie zuletzt noch auf einem Ehepaar haften blieb, das dem Hörensagen nach in guten Verhältnissen in Burghausen lebte.

Die Frau war aus unserer Gegend und mit den Lorinsern weitschichtig verwandt, ihr Mann hatte ein Geschäft, und vor Jahren hatten sich die beiden durch einen Reisenden nach den Verwandten erkundigen lassen.

Herr Wenglein sagte, da leuchte ein Stern in finsterer Nacht, denn in Burghausen sei ein Gymnasium, und wenn die Leute auch kein Geld aufwenden wollten, könnten sie mich doch in ihrem Hause aufnehmen.

Mein Vater wurde gefragt, was er von der weitschichtigen Base halte, und ob er glaube, daß man sie gewinnen könne. Es stellte sich aber heraus, daß er von ihr nichts wußte, und daß er sich keine Meinung über diese Dinge gebildet hatte. Er war in sich gekehrt auf der Ofenbank gesessen und hatte sich gewundert, zu welchem Aufruhr ich da Anlaß gegeben hatte.

Er sagte jetzt: »Das is ein sektischer Bub,« und versank wieder in Nachdenken.

Die Großmutter gab Herrn Wenglein zu verstehen, daß von meinem Vater nichts zu erhoffen wäre, und bat ihn, daß doch er an die Verwandten schreiben und sie über diese wichtige Sache aufklären möchte.

Das versprach der Lehrer und ging.

Ich war nicht daheim, als so über mich verhandelt wurde. Der Hansgirgl hatte sich den Fuß gebrochen, und deswegen mußte ich als Kühbub auf die Rauchalm, und es hätte mir nichts Lieberes geschehen können. Als Sennerin war die Ecker Lisi, meine ehemalige Kindsmagd, droben, und ich mußte ihr fleißig helfen.

Doch hatte ich freie Zeit genug und lag stundenlang hinter der Alm auf Grasbuckeln, von denen man weit ins Flachland hinaussah. Die Isar zog sich wie eine silberne Ader durchs Land, verschwand hinter Hügeln und kam wieder hervor. Wie dunkle Felder eines Schachbrettes lagen die Wälder unter mir: sie zogen sich zusammen, liefen in dünnen Streifen an Dörfern vorbei und dehnten sich weiter draußen gewaltig aus, daß kein Platz mehr für anderes blieb; zur Rechten, gegen Osten hin, blinkten wie Edelsteine ein paar Seen herauf, und dahinter erstreckte sich eine lange Kette von Bergen, die sich im Dunst verloren. Wolkenschatten legten sich auf helle Wiesen, huschten weiter über Kirchtürme und Häuser weg, und hinter ihnen drein lief goldener Sonnenglanz und trieb sie weiter.

Da lag ich und horchte auf das Rauschen der Bäume, und waren es auch kindliche Gedanken, mit denen ich mir die Welt da unten ausschmückte, sie knüpften doch Fäden zwischen ihr und mir, die mich nie mehr losließen und zäher hielten wie dicke Taue.

Meine Tätigkeit freute mich. Ich kam mir sehr wichtig vor, wenn ich die Kühe heimtrieb, wenn ich beim Butterrühren half oder Holz zutrug, und ich war froh, daß der Schulanfang noch in weiter Ferne lag. Da kam eines Mittags die Nanni herauf mit der Botschaft, ich müsse gleich heim, und sie habe den Auftrag, heroben zu bleiben. Auf unsere erstaunten Fragen, warum man mich hole, sagte Nanni, sie wisse es nicht genau, aber sie habe gehört, ich müsse auf geistlich studieren. Lisei und ich meinten, sie habe wieder einmal was nicht verstanden und dumm ausgerichtet, aber wie ich erhitzt vom schnellen Abstieg heimkam, erfuhr ich, daß es damit seine Richtigkeit hatte.

Die Großmutter führte das Wort und teilte mir mit, was für ein großes Glück sich für mich aufgetan habe, und wieviel Dank ich dem Herrn Lehrer schuldig sei. Der Kaufmann Redenbacher in Burghausen und seine Frau, ein unsriges Basl, hätten sich bereit erklärt, mich bei sich aufzunehmen, weil ihnen als kinderlosen Leuten der Wunsch meiner Eltern recht gelegen gekommen sei.

»Jetzt is alles in Ordnung, und du kommst auf Burghausen und werst mit der Gotts Hülf ein hochwürdiger Herr,« schloß die Großmutter.

Ich war so verblüfft, daß ich mich ohne ein Wort zu sagen an den Herd setzte und bald den Vater und bald die Mutter anschaute.

»Ja, Kaschbei,« sagte diese und strich mir übers Haar, »wer hätt sich denkt, daß du so ein Glück machst?«

Nun kam es mir zum Bewußtsein, was man mit mir vorhatte.

Ich sollte fort von daheim zu fremden Leuten und sollte alles verlieren, was mir gewohnt und lieb war. Da hielt ich nicht mehr an mich und weinte laut hinaus. Die Großmutter geriet in Ärger über meine Blindheit, die mich das große Glück nicht sehen ließ. Hunderte wüßten nicht, was sie tun müßten vor Freude, und ich hocke da und flenne. Freilich könne ich es noch nicht recht verstehen, was es heiße, ein Geistlicher zu sein, und was es bedeute fürs ewige Leben. Ein tölzer Pater habe bei einer Primiz gesagt, daß ein neugeweihter Priester über den Engeln stehe, und es sei bekannt, wie viel Kraft der Segen von einem solchen habe. Ein paar Schuhe sollt man durchgehen, um zu einer Primiz zu kommen. Und was für eine Ehre sei es für die ganze Verwandtschaft und was für ein Trost, einen geistlichen Fürbitter zu haben! Und wie gut gehe es den hochwürdigen Herren auch auf dieser Welt! Viele gebe es, die mehr Grund und Boden hätten wie ein großer Bauer. Sie kenne selber ein halbes Dutzend und mehr.

Sie redete immer eifriger in mich hinein und fragte meine Mutter: »Warum redt's denn ihr nix? Dem Buben muß man doch zeigen, was es für ihn heißt …«

Meine Mutter arbeitete am Herd, mein Vater saß am Tisch, vornübergebeugt, die Ellenbogen auf die Knie stützend; wenn ich zu ihm hinüber sah, wandte er den Blick ab und schüttelte bedächtig den Kopf.

Ich wischte mir mit dem Hemdärmel die Tränen ab und sagte recht entschieden, als Punktum hinter alle verlockenden Hoffnungen:

»I mag net …«

Die Großmutter begann gleich zu jammern, aber meine Mutter unterbrach sie.

»Kaschbei,« sagte sie ruhig und bestimmt, »so geht das net. Wenn sich dein Herr Lehrer die Müh gibt und kommt zu uns her und redet uns zu und schreibt nachher einen Brief an das Basl und bringts auch zuwegen, daß die Verwandten so was auf sich nehmen, dann kann so ein Bübel wie du net einfach seinen Kopf aufsetzen und sagen: I mag net. Die erwachsenen Leut müssen's besser verstehen, was dein Glück und dein Vorteil is, und sie müssen weiter denken wie du, und wenn du einmal die Gottesgab hast, daß du mit dem Lernen zu was Rechtem kommen kannst, so dürfen wir net zuschauen, daß du's wegschmeißt, weil's dich net freut. Daß dir 's Fortgehen hart ankommt, glaub ich schon; uns is's auch nix Leichtes, und mir wern Langweil nach deiner ham. Aber des is net die Hauptsach. Als a Junger muß man sich den Stecken schneiden, an dem man im Alter geht. Und wenn du später amal als ein gringes Knechtl dein mageres Brot hättst, wie müßt dich da die G'legenheit reuen, die versäumt worn is. Und schuld hätten mir, net du. Denn mir hätten die G'scheitern sei müssen. Jetzt denk ernsthaft, daß sich die Leut dir z'lieb um die Sach angnommen hamm … und du mußt ihnen dankbar sein. Morgen früh geh'n wir miteinander zum Herrn Lehrer und zum Herrn Pfarrer …«

Ihre Worte zeigten mir, daß es ernst war, und daß es für mich kaum mehr ein Entrinnen gab. Da wurde mir das Herz schwer, und als ich abends ins Bett schloff und dachte, wie ich unter fremde Leute müsse, da weinte ich die Kissen naß. Im Einschlafen war es mir, als knarrten die Bretter, und es käme wer ans Bett und ein harte Hand striche mir übers Gesicht. Da es in meiner Kammer nach Tabak roch, wird es wohl der Vater gewesen sein.

Am andern Morgen mußte ich mein Feiertagsgewand anlegen und mit der Mutter ins Dorf gehen. Sie war fröhlich und guter Dinge und sagte zu mir:

»Nimm's net so hart, Kaschbei! Die Fremd macht Leut, und mit dem Daheimhocken is net alles gewonnen; da bleibt's auch net am alten Fleck und akkrat so, wies einem g'fallt. Lern was und werd was, so bist am besten dran.«

Ich war schon mehr getröstet und hatte mir ausgerechnet, daß ich bis Micheli doch noch viele schöne Tage auf der Alm hätte.

Herr Wenglein nahm uns freundlich auf. Als ihm die Mutter erzählte, daß ich mich weinend gesträubt hätte, sagte er:

»Ah was! Das war bloß so in der ersten Überraschung. Unser Kaspar ist doch ein heller Kopf und furcht sich nicht vor dem Lernen …«

Er stellte mir auch vor, wie schön es würde, wenn ich als Student in der Vakanz heim käme, das gefiel mir gleich, und ich schlug herzhaft ein, als er mir die Hand reichte und mir das Versprechen abnahm, ihm Ehre zu machen.

Wir kehrten dann im Pfarrhof ein. Die Fräulein Pfarrerschwester kam gleich aus der Küche heraus und gab meiner Mutter die Hand.

»Ja, Hagin,« sagte sie, »wer hätt sich jetzt so was denkt! Schaut mir nur einer den kleinen Kaspar an!« Sie führte uns über die Stiege hinauf zum Herrn Geistlichen Rat. Er saß am Schreibtisch, auf dem viele dicke Bücher und Hefte lagen, wie auf den Stühlen und auf dem Ledersofa.

Er stand auf und rief: »Also, da is ja der große Gelehrte in spe! Brav, Kasperl, brav! Hab's schon g'hört, daß du dich gut anstellst, und der Herr Lehrer hat die größten Hoffnungen. No, man weiß nie, was in einem Buben steckt; oft recht wenig, hie und da recht viel. Es is scho manche Leuchte der Wissenschaft mitten unter lauter Gimpel auf der Schulbank g'sessen. Jetzt müssen mir's halt abwarten, ob der Kaspar Lorinser seinem Entdecker Ehre machen wird …«

Meine Mutter sagte, ich würde mir hoffentlich alle Mühe geben, damit ich einstmals dem Priesterstande angehören dürfe. Da lachte der Herr Geistliche Rat.

»Meine liebe Hagin, das is weit vorausgerechnet. Jetzt lassen wir ihn einmal mensa mensae deklinieren, nachher kommt vielleicht das amo amamus und sonst noch allerhand dazwischen. Tut's dem Buben den G'fallen und macht's net jetzt schon einen Primizianten aus ihm, wie's hie und da der Brauch is. Da gibt's Leut, die rechnen auf zwölf und mehr Jahr voraus, was bei der Primiz einmal alles g'essen und trunken wird, und di sin dann beleidigt, wenn die Hoffnung ins Wasser fallt. Ich hab's schon erlebt, daß einem die Sau und Gäns und Enten vorg'worfen worn sin, die man nicht schlachten hat dürfen. Jetz müssen wir bloß auf eins hoffen: daß der Kaspar ordentlich studiert. Den Speiszettel für die Primiz können wir allaweil noch aufsetzen …«

Als wir heimkamen, ließ ich mir kaum Zeit zum Essen und eilte wieder zur Rauchalm hinauf, wo die Lisi große Augen machte, als ich ihr erzählte, was so plötzlich über mich bestimmt worden war. Sie traute sich kaum mehr, mir eine Arbeit zu schaffen, die nicht zu mir passe, wie sie sagte. Ich hatte selber das Gefühl, daß in allem kein rechter Ernst mehr war, und ich dachte immer an den nahen Abschied. Jedes gelbe Blatt, jede Herbstzeitlose, die aus dem Boden schaute, mahnte mich daran.

Ich mußte öfter ins Dorf hinunter, um die Hemden zu probieren, die eine Störnäherin für mich anfertigte, und den Anzug, den mir mein Göd machen ließ.

Ein wenig freute ich mich doch über das Aufsehen, das ich erregte. Wer mir begegnete, redete mich an, und oft kam eine Bäuerin aus ihrem Hause heraus, wenn ich vorbeiging und rief: »Ja, Kaschbei, jetzt werst d'gar geischtli! Aber da werd dei Muata an Stolz hamm!«

Sie hatte ihn, wie ich glaube, aber sie ließ sich's nicht so ankennen wie meine Großmutter, die jetzt viel außer Haus war und von einem Heimgarten zum andern ging und so tat, als wäre sie selber eine Hauptperson der alleinseligmachenden Kirche geworden.

Da wir bei einem frühen Schneefall schon um Mitte September von der Alm heimtrieben und ich noch zwei Wochen daheim zu bleiben hatte, wollte sie, daß ich sie bei ihren Besuchen begleiten sollte, aber ich weigerte mich, vom Hause wegzugehen.

Mein Herz klammerte sich an alle Dinge darin an, und das Kleinste und Unbeachtete gewann jetzt für mich Bedeutung. In der Küche fühlte ich mich geborgen, wenn ich am Herd saß, dem Vater gegenüber.

Wir redeten wenig miteinander, aber wir hatten das Gefühl des Beisammenseins, und das war so beruhigend und so anheimelnd. Wenn es dunkelte und der Vater sich mit einem brennenden Span die Pfeife anzündete, leuchtete sein bärtiges Gesicht aus dem Finstern heraus, und ich sah, daß er seine Augen forschend auf mich richtete.

Dann kam der Abschied. Ich mußte lang vor Tag aufstehen. Die Mutter hatte einen besonders guten Kaffee gekocht und setzte mir Kücheln vor, die sie eigens für mich gebacken hatte.

Ich brachte aber kaum einen Bissen hinunter und wischte nur immer die Tränen ab, die mir die Backen herunterliefen. Alle standen um mich herum; sogar die Cenzl, meine jüngste, vier Jahre alte Schwester war aus dem Bette gekrochen und im Hemd in die Küche gelaufen. Meine Mutter wollte mich trösten, aber sie hatte selber nasse Augen.

Es klopfte ans Küchenfenster. Die Großmutter stand draußen und rief, es sei Zeit zum Aufbrechen, der Postwagen könne nicht mehr lange aussein.

Als sie hereingekommen war, hörte sie nicht auf zu treiben, so daß mein Vater etwas vor sich hinbrummend meinen Reisesack nahm und sagte, er wolle mich begleiten, und sonst brauche niemand mitzugehen. Ich nahm Abschied von der Mutter, die nach dem Weihwasser langte und mir das Kreuz auf die Stirn machte.

»Sei brav und komm g'sund wieder!«

Alle schüttelten mir die Hand, und die Cenzl weinte so laut, daß man bloß auf sie und nicht auf die Reden der Großmutter achtete.

Draußen war es noch dunkel, und ein kalter Wind schlug mir den Regen ins Gesicht, als ich neben dem Vater zum Postwirtshause ging. Wir mußten noch eine halbe Stunde in der Gaststube warten, in der es nach Bier und kaltem Rauch stank.

Ich saß neben dem Vater, und er legte mir die Hand aufs Knie, redete aber nichts. Eine Stallaterne stand auf dem Tisch und gab einen trüben Schein. Endlich hörten wir den Wagen heranpoltern; der Hausknecht kam herein und sagte, es sei Zeit zum Einsteigen. Als ich in der Postkutsche saß, schob der Vater den Reisesack unter den Sitz und indem er mir die Hand drückte, sagte er:

»Das hätt's alles net braucht.«

Die Pferde zogen an; ich preßte das Gesicht ans Fenster und schaute hinaus. Der Hausknecht stand mit der Laterne neben meinem Vater, dessen Gestalt groß und mächtig in die Dunkelheit ragte.

Dann bog der Wagen um die Ecke.

Behüt dich Gott, du liebe Heimat!


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