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Einleitung.

In den ersten Tagen des November 1852 traf es sich, daß mein Vater zu seinem eigenen großen Erstaunen in dem Empfangszimmer des Clarendon Hotel in Newyork dem größten englischen Romanschreiber die Hand schütteln durfte. Die Nachricht, daß Thackeray nach Amerika kommen und da eine Reihe von Vorlesungen über die englischen Humoristen halten würde, war von dem literarisch gebildeten Publikum mit ungeheuerm Interesse aufgenommen worden. Wir hatten zu Hause viel davon gesprochen, da wir erst kürzlich »Esmond« gelesen und in der in unserem Familienkreise üblichen Weise lebhaft über Vorzüge und Schwächen der Lady Castlewood, Beatrix und des jungen Harry gestritten hatten. Es waren Vorkehrungen getroffen worden, um uns Plätze für die Vorlesungen zu sichern, welche von der kaufmännischen Bibliotheks-Assoziation veranstaltet wurden, deren Präsident zu jener Zeit Mr. Felt war. Wir hätten es uns nie träumen lassen, daß wir in nähere persönliche Beziehungen zu dem berühmten Verfasser von » Vanity Fair« treten würden. Solch ehrgeizige Gedanken hätten beinahe etwas Beängstigendes für uns gehabt.

Aber ein junger mit Thackeray befreundeter Engländer, Mr. B. M., mit dem wir in dem vorhergehenden Jahre viel verkehrt hatten, redete, nachdem er die Anzeige von Thackerays Ankunft gelesen hatte, meinem Vater dringend zu, mit ihm nach Clarendon zu gehen und sich dem berühmten Schriftsteller vorstellen zu lassen. Mein Vater weigerte sich entschieden, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Er meinte sehr richtig, daß er weder in literarischer, noch in irgend welcher anderen Beziehung einen Anspruch auf Mr. Thackerays Beachtung erheben dürfte. Aber Mr. B. M. ließ sich nicht abweisen. Durch dies zufällige Ereignis entstand eine Freundschaft, die trotz Trennung und Entfernung bis zum Weihnachtsabend 1863, an welchem das große Herz aufhörte zu schlagen, andauerte.

Auch mit Thackerays Mutter und Töchtern bahnten sich freundschaftliche Beziehungen an. Mrs. Carmichael Smithe richtete herzliche Briefe an uns und dankte uns, daß wir ihren Sohn in unseren Familienkreis aufgenommen hätten. Noch näher traten wir den Töchtern. Die jüngste, Mrs. Leslie Stephen, besuchte uns in ungezwungenster Weise mit ihrem Manne, als sie 1868 nach Amerika kamen. Obwohl wir sie bei dieser Gelegenheit zum ersten Male sahen, ließen sie uns fühlen, daß sie uns als alte Freunde ansahen. Zwischen Mrs. Ritchie und uns entspann sich eine wirkliche Freundschaft. Sie bewillkommnete mich auf das herzlichste in ihrem Hause in Wimbledon, als ich 1892 nach London kam und bewies mir zu meiner Freude, daß die Erinnerung an ihres Vaters alte Anhänglichkeit an uns bei ihr ungeschwächt fortlebte.

Die schlichte Einfachheit und Offenheit meines Vaters schienen Mr. Thackeray anzuziehen. Dazu kam noch die warme Empfehlung unseres englischen Freundes. Von seinem ersten Besuche im »braunen Hause«, wie er es später immer nannte, fühlte sich Thackeray heimisch bei uns. Er hatte augenscheinlich starkes Heimweh, als er das erstemal in Amerika war. Es war ihm alles so neu und fremd hier, und er war wohl kaum je zuvor von seiner Mutter und seinen Töchtern, an denen er, wie seine Briefe bezeugen, zärtlich hing, getrennt gewesen. So oft er konnte, kam er ganz zwanglos und ohne jede Förmlichkeit zu uns. Er bat sich aus, bei uns vor den Vorlesungen speisen zu dürfen. Diese Vorlesungen waren ihm schon von Anfang an sehr lästig und wurden mit der Zeit geradezu zur Plage. Es war ihm unerträglich, immer wieder dieselben Dinge wiederholen zu müssen und verpflichtet zu sein, sich an eine bestimmte Zeit zu binden, ohne Rücksicht darauf, ob er zum Reden aufgelegt war oder nicht. Er faßte eine warme Zuneigung zu meiner Mutter, deren sanftes sympathisches Wesen beruhigend auf ihn wirkte, und es wurde eine feststehende Gewohnheit, daß ihm vor den Vorlesungen der Platz zu ihrer Rechten eingeräumt und eine Flasche Rotwein vor ihn hingestellt wurde. Mitten in die gerade im Gang befindliche leichte Unterhaltung donnerte er bisweilen mit tiefer Stimme und übertriebenem Pathos die Einleitungssätze des Vortrags, den er nachher halten mußte, hinein. Sein komischer Widerwille gegen dies öffentliche Auftreten reizte uns alle zum Lachen. Er hatte eine große Abneigung gegen die Rednerbühne, und wäre es nicht um des reichlichen Zuflusses der »amerikanischen Dollars« willen gewesen, die ihm die Zukunft seiner vielgeliebten Töchter sichern sollten, so hätte er sicher viele der aus allen Teilen des Landes an ihn ergehenden Aufforderungen abgelehnt. Aus seinen eigenen Briefen wird man am besten ersehen, wie oft er nahe daran war, seine eingegangenen Verpflichtungen kurzerhand abzubrechen und mit dem nächsten Schiff nach England zurückzudampfen.

Er ging mit großem Interesse auf alle unsere Plane und Vergnügungen ein. Als einmal darüber verhandelt wurde, welches Kostüm mein ältester Bruder bei einem Kinderball tragen sollte, nahm er Feder und Papier und machte während der Unterhaltung einige Skizzen der geeigneten Pagengewandung aus verschiedenen Zeitperioden. Er war genau orientiert über alle Einzelheiten eines solchen Kostüms und meinte, die zierliche kleine Gestalt meines Bruders würde in der Pagenkleidung mit den großen Handkrausen und dem breitrandigen Hut dem kleinen melancholischen Harry Esmond gleichen. So hatte er sich diesen vorgestellt, als er das erstemal vor die gütige Lady Castlewood trat und diese freundlich lächelnd in seine ernsthaften Augen sah. Mr. Thackeray war gerade anwesend, als mein Bruder am Abend des Balls aus seinem Zimmer herunterkam, um sich dem Familienkreis zu zeigen. Nachdem der Knabe weggegangen war, sagte Mr. Thackeray zu meiner Mutter:

»Das war doch sehr charakteristisch für Willy.«

»Was denn?« fragte meine Mutter.

»Nun, haben Sie es nicht bemerkt? Willy hat nicht ein einziges Mal sich selbst angesehen, als er vor dem Spiegel stand, sondern nur seine Kleider, um zu prüfen, ob auch alles ordentlich säße.«

Diese Bemerkung bewies seine scharfe Beobachtung und große Menschenkenntnis; mein Bruder war in der Tat ganz frei von Eitelkeit und Selbstbewußtsein.

Nach dem Essen blieb Mr. Thackeray oft plaudernd bei uns sitzen, während meine Schwester sich zu einem Balle anzog, den er unter Umständen wohl auch selbst besuchte. Bei einer solchen Gelegenheit nahm er »Pendennis« vom Tisch auf, blätterte in dem Buch, lächelte von Zeit zu Zeit und sagte:

»Ja, sehr ähnlich – wirklich sehr ähnlich.«

»Ähnlich? wem, Mr. Thackeray?« sagte meine Mutter.

»O, natürlich mir. Pendennis ist mir sehr ähnlich.«

»Gar nicht,« widersprach meine Mutter. »Pendennis war doch so schwach.«

»Ach, Mrs. Baxter,« sagte er mit einem drolligen Blick, indem er seine breiten Schultern emporzog, »Ihr ergebener Diener ist auch nicht sehr stark.«

Großen Spaß machten ihm die amerikanischen Ballsäle. Das muntere Stimmengeschwirr, die lebhaften, freudestrahlenden Mädchen, die sich nicht scheuten zu zeigen, wie sehr sie das Vergnügen genossen, standen in scharfem Kontrast zu den konventionelleren Lustbarkeiten von London. Meine Schwester ging damals viel in Gesellschaft; sie war noch nicht zwanzig und zeichnete sich durch Schönheit und Witz aus. Thackeray gibt einige der Eindrücke, die ihm das Newyorker Mädchen gemacht hatte, in seiner Schilderung von Ethel Newcome wieder, die er auf einem der größeren Londoner Bälle einen kleinen Hofstaat um sich versammeln läßt. Etwas von Ethels Widerwillen gegen den trügerischen Schein der Gesellschaft, gegen ihre boshaften Bemerkungen und unnachsichtigen Urteile mag wohl den Erinnerungen an die Unterhaltungen mit meiner Schwester in dem Bibliothekzimmer des braunen Hauses entsprungen sein, wo Mr. Thackeray manche Stunde im Gespräch über ernste und scherzhafte Dinge mit ihr zubrachte.

Im Dezember begann der Vortragszyklus in Boston. In einem seiner ersten Briefe von dort erzählt er uns von den Menschen, mit welchen er zusammenkam. Damals hat er auch wahrscheinlich Longfellow zum ersten Male gesehen. Auf den Deckel eines »Putman-Magazine« machte er eine Skizze Longfellows, die diesen in ungeheurer Länge darstellt, wie er einem aufmerksamen Vögelchen lustige Lieder vorpfeift. Meine Mutter sandte dieses Journal kurz vor seinem Tode an Longfellow, und nachdem er gestorben war, schickte seine Tochter es zurück. Sie schrieb, daß das kleine Bildchen ihrem Vater viel Vergnügen und Genugtuung bereitet, und daß es bis zuletzt bei ihm auf dem Tisch gelegen hätte. Natürlich hat es jetzt einen doppelten Wert.

Eine andere Federzeichnung auf demselben Titelblatt stellt Mr. George William Curtis vor, den Thackeray, nachdem er seine »Nile Notes« gelesen, immer den »Howadje« nannte. Er zeichnete ihn auf die Kissen zurückgelegt, in orientalischem Gewand, mit der Pfeife in der Hand. Am oberen Rande desselben Blattes ist noch eine kleine Vignette, die auf einen Artikel in dem Magazin » Uncle Tomitudes« Bezug hat. In einem seiner Briefe spricht Thackeray davon, daß er Mrs. Stowe gesehen und einen sehr angenehmen Eindruck von ihrer Erscheinung und ihrem Wesen erhalten habe.

Als die Rückkehr von Boston bevorstand, sagte meine Mutter zu den jüngeren Familiengliedern, daß man Mr. Thackeray, wenn er im Laufe dieses Tages im braunen Hause erscheinen würde, lieber nicht auffordern sollte, zum Mittagessen zu bleiben.

»Ich habe ihm heute nichts Rechtes vorzusetzen,« meinte sie.

Wie wenig geeignet aber auch meiner Mutter unser Mittagessen für einen Gast erschien, so mußte sie sich eben doch darüber hinwegsetzen. Als sie gerade vor der Essensstunde im Speisezimmer stand und dem Mädchen einige Anordnungen gab, wurde am Haupttor geklingelt. Gleich darauf hörte man feste Schritte geradewegs auf das Speisezimmer zukommen. Als sich meine Mutter erstaunt umwandte, um zu sehen, wer zu einer so späten Stunde käme, erblickte sie in der Tür die hohe Gestalt mit dem Silberhaar und den freundlichen Augen, die uns so vertraut geworden war.

»O, Mrs. Baxter,« sagte er, »ich möchte Ihnen gern die großartigen Kopien zeigen, die Mr. Crowe von den Bostoner Bildern gemacht hat.«

In jeder Hand hielt er eine uneingerahmte Ölskizze von Gilbert Stuarts Bildnissen des Generals Washington und seiner Frau, die damals in dem Kunstmuseum von Boston waren, in dem sie sich auch heutigen Tags noch befinden. Mr. Eyre Crowe war Thackerays Privatsekretär und besaß viel künstlerische Begabung. Die Bilder wurden auf Stühle gestellt, eingehend betrachtet und bewundert. Thackeray war besonders von dem Porträt Washingtons sehr entzückt.

»Sehen Sie ihn doch an,« sagte er. »Sieht er nicht aus, als hätte er grade eine köstliche Dummheit gesagt?«

Dann wandte er sich zu meiner Mutter und sagte:

»Und jetzt wollen Sie mir etwas Mittagessen geben, nicht wahr?«

Die Jugend war höchlich ergötzt über diese Überrumpelung meiner Mutter. Ich glaube nicht, daß Mr. Thackeray etwas an dem Essen vermißt hat. Er belustigte sich immer über unsere amerikanische Art »ein Festmahl« für einen Gast herzurichten und meinte, wir verstünden gar nicht »einen Freund ohne Umstände zu einer Hammelskeule mit nach Hause zu bringen.«

Aus der vorhin angeführten Bemerkung Thackerays über Washington ist nicht etwa zu schließen, daß er diesen großen Mann unterschätzt oder irgendwie hätte lächerlich machen wollen. Im Gegenteil: seine Briefe aus späteren Jahren zeigen, wie es ihn gekränkt hat, daß eine Äußerung in den »Virginians« so mißverstanden worden war, daß sie die Entrüstung unseres zartbesaiteten Volks erregen konnte. Er würdigte Washingtons große Eigenschaften voll und sprach oft mit wärmster Anerkennung von ihm, aber er glaubte nicht, daß er in der Unterhaltung geglänzt habe. Wenn man das Porträt unbefangen ansieht, wird man wohl finden, daß seine Bemerkung nicht so ungerechtfertigt war.

Mit dem neuen Jahre brach Mr. Thackeray nach dem Süden auf, um dort die Vorlesungen, zu denen er sich verpflichtet hatte, zu halten. Seine Briefe enthielten kleine Skizzen von Negern, deren Art sich zu geben und zu reden, ihn höchlichst ergötzten. Von Washington aus schrieb er an meinen Vater und bat ihn, ihn mit meiner Mutter und meiner Schwester auf einige Tage zu besuchen. Aber ein bedauerlicher Unfall, der mir im Gymnasium zugestoßen war und mich auf mehrere Wochen zur Patientin gemacht hatte, verhinderte die Ausführung dieses Planes. Nach diesem Unfall schickte er mir einen der liebenswürdigsten Briefe, die wir von ihm erhalten haben. Ehe er nach Charleston reiste, eilte er nach Newyork zurück, um dort zum besten der Nähgesellschaft der Unitarischen Kirche, für die meine Mutter und Mr. Felt sich sehr interessierten, eine Vorlesung zu halten. In einer Einleitung zu diesem Vortrag zitierte er Hoods Gedicht »Die Seufzerbrücke«. Keiner derjenigen, die ihn damals gehört, wird leicht das Pathos seiner Stimme vergessen, mit welchem er den nachfolgenden Vers sprach:

»Tragt sie ins Haus hinein,
bettet sie lind,
Glieder so zart und fein,
fast noch ein Kind!«

Man wird selten ein liebevolleres Eingehen auf jegliches Ungemach finden, als es dieser große Schriftsteller (den man einen Zyniker genannt hat) bei jedem Fall von Not und Bedrängnis an den Tag legte. Seine Börse stand seinen Freunden, ja oft selbst seinen Bekannten stets zur Verfügung. Seine Freigebigkeit gegen seine Bediensteten kannte keine Grenzen. Diese Großmut war oft sehr nachteilig für seine eigenen pekuniären Verhältnisse.

Als Thackeray aus dem Süden zurückkam, meinte er, es müßte eine kleine Feier meines siebzehnten Geburtstags veranstaltet werden. Er wollte Musik, Tanz und Blumen für mich haben – so, was man in jenen Tagen »eine kleine Gesellschaft« nannte. Mr. Thackeray machte diesen Tag für mich zu einem denkwürdigen durch die Verse, die er mir mit einigen Blumen übersandte. Gleichzeitig erhielt ich auch ein spassiges Zettelchen mit einigen niedlichen Reimen, in denen ein leichterer Ton angeschlagen war. Die Verse waren mir immer sehr kostbar, aber ich finde, daß sie in der ersten Fassung noch ansprechender sind als in der Form, in der sie später zur Veröffentlichung gekommen sind.

Der Monat Mai führte Thackeray nach England zurück, und er kam vor dem Jahre 1855 nicht wieder nach Amerika.

Der zweite Kursus seiner Vorlesungen behandelte »die vier George« und wurde, wie mir scheint, in Amerika nicht so beifällig aufgenommen wie die früheren über »die englischen Humoristen«. Er spricht in einem seiner späteren Briefe davon, daß diese Vorlesungen in England viel populärer gewesen wären als in »den Staaten«. Wir hatten gehofft, daß er bei diesem zweiten Besuch in Amerika uns seine Töchter als Gäste mitbringen würde; aber es wurde beschlossen, daß sie bei ihrer Großmutter Mrs. Carmichael Smithe bleiben sollten. Auf Mr. Thackerays Bitte kamen wir ihm nach Boston entgegen und blieben einige Tage bei ihm, ehe er nach Buffalo ging, um da seine Vorlesungen zu halten. Meine Schwester stand kurz vor ihrer Verheiratung und dadurch brachte der Herbst für meine Mutter viel Unruhe, die noch durch Krankheit im braunen Hause vergrößert wurde. Nachdem er in Buffalo fertig war, kam die zweite Vortragsreihe in Newyork und später kehrte er nach Boston zurück. Wir sahen ihn während dieses zweiten Aufenthaltes in Amerika im Vergleich zu dem früheren nur selten. Es waren Veränderungen in dem Familienkreise des braunen Hauses eingetreten. Meine Schwester war, wie Thackeray sich ausdrückte, »lächelnd am Arme ihres Mannes davon geglitten«, und die Lücke, die dadurch entstanden war, ließ sich nicht ausfüllen. Im Februar trafen wir in Charleston zusammen. Ich war dorthin gereist, um bei meiner Schwester und meinem Schwager zu sein, und Thackeray spricht sich in einem Brief an meine Mutter in freundlichster Weise über dies Zusammentreffen aus. In Charleston lernte ich Thackeray auch zum ersten Male von einer anderen Seite kennen. Bis dahin hatten wir nie etwas von der Schroffheit wahrgenommen, die ihm vielfach zugeschrieben wird und die bei ärgerlichen Anlässen an den Tag treten sollte.

Bei einer Mittagsgesellschaft, die ich mit Thackeray ohne meine Schwester besuchte, da letztere sich nicht wohl befand, war eine Dame anwesend, die ihm von der ersten Begegnung an höchst unsympathisch gewesen war. Sie war klug und gewandt in der Unterhaltung, hatte aber einige sehr unbedeutende Romane geschrieben, deren Ruf gewiß nicht über die Grenzen ihrer Vaterstadt hinausgedrungen war. Schon bei anderen Gelegenheiten schien sie es, zu Thackerays großem Verdruß, darauf angelegt zu haben, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Als von den Belästigungen die Rede war, die berühmte Autoren sich gefallen lassen mußten, lehnte sich die Dame über den Tisch und sagte mit lauter Stimme:

»Sie und ich, Herr Thackeray, die wir in demselben Boot fahren, können das verstehen, nicht wahr?« Eine Totenstille folgte diesen Worten; auf Thackerays Gesicht zog eine Gewitterwolke auf und das Vergnügen aller Anwesenden war gestört. Es konnte der Gastgeberin nur angenehm sein, als Thackeray sich erhob und, sich mit seiner Vorlesung entschuldigend, aufbrach. Jedenfalls kann ich von mir sagen, daß ich zum erstenmal in meinem Leben froh war, als die Tür sich hinter meinem gütigen Freunde schloß. Diese Taktlosigkeit von seiten der Dame war der Höhepunkt zahlreicher Zudringlichkeiten und traf gerade seine Achillesferse. Die Betreffende wird in Thackerays Briefen an meine Mutter als »das Individuum« erwähnt.

Wir sahen in unserem Verkehr mit Thackeray immer nur die gütige, sympathische, liebevolle Seite seiner großen Natur. Wir hatten nie Gelegenheit, uns vor seinem Zynismus, seiner scharfen Kritik, von welcher andere sprachen, zu fürchten. Er konnte nicht umhin, die Schwächen der menschlichen Natur zu bemerken, aber er wurde allem, was schön oder edel an den Menschen war, vollauf gerecht, oder wie er zu sagen pflegte »er zog seinen Hut davor.« Schwächen des Charakters gegenüber war er sehr geduldig, aber er haßte und verachtete Anmaßung und Tuerei. Das ist alles schon oft ausgesprochen worden, aber ich habe das Gefühl, als müßte ich diese Schilderung seines Charakters nach den Eindrücken, die ich aus dem persönlichen Verkehr gewonnen habe, bekräftigen.

Im Mai entschloß sich Thackeray, wie man aus den Briefen ersehen wird, ganz plötzlich, ohne vorherige Mitteilung nach England zurückzureisen. Es war wirklich ein Schmerz für meine Mutter sowohl, wie für uns alle, daß er so ohne ein Wort des Abschieds von uns gegangen war, aber gerade das Abschiednehmen hatte er vermeiden wollen. Wir haben ihn nie wiedergesehen, aber von Zeit zu Zeit kamen Briefe, die von ihm und seinen Töchtern erzählten, von einem kleinen Ausflug in die Schweiz, den er zu ihrem besten unternehmen wollte, von dem schönen Haus, das er in Kensington baute. »Wenn wir nach London kämen, würden wir sehen, daß es das röteste Haus in der ganzen Stadt wäre,« sagte er. Später schrieb er von dem Tode seines Stiefvaters – des Originals des Colonel Newcome – und von dem Schmerz seiner Mutter. In den letzten Jahren äußerte er in seinen Briefen die liebevollste Teilnahme mit unserer großen Sorge und unserem Schmerz. Sarah Hampton, geb. Baxter, war nach längerem Kranksein gestorben. Anmerk. d. Übers. Diese Briefe sprechen leider auch von zunehmenden Krankheitsanfällen bei ihm, und ließen uns ahnen, daß seine langgehegte Hoffnung, eine Geschichte der Königin Anna zu schreiben, schwerlich verwirklicht werden würde. Trotzdem war die Todesnachricht ein schwerer Schlag für uns. Sie erfüllte viele Herzen mit Trauer, aber ich glaube, von wenigen wurde der Schmerz so tief gefühlt, wie von den Bewohnern des braunen Hauses, die ihn so treu geliebt hatten.

Lucy W. Baxter.


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