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3.
Die Polin und Andreas.


Der Mord auf Schloß Romnike wurde allgemein als ein politischer Mord aufgefaßt, bot auch so noch manches Räthselhafte dar. Weiteres Licht über ihn wäre nur durch die Aussagen der Gräfin Waldern und des alten Wachtmeisters Taudien zu gewinnen gewesen. Aber der Geist der unglücklichen Dame blieb umnachtet, und der alte Soldat verweigerte jede Auskunft, blieb dabei, er wisse von Nichts, und wenn man ihn auch vor ein Kriegsgericht stelle, um ihn erschießen zu lassen, er könne nicht anders sprechen.

Dem Gerichte blieb nichts übrig, als die Genesung der Einen, die Sinnesänderung des Anderen abzuwarten. Die Gräfin werde genesen, glaubten die Aerzte versichern zu dürfen. Der Wachtmeister wolle nur nicht sprechen und wahrscheinlich nur jetzt nicht, glaubte der Gerichtshof annehmen zu dürfen.

Der Zustand der Gräfin war ein bedauernswerther. Körperlich war sie genesen. Aber ihr gesammtes Denk- und Empfindungsvermögen erschien gelähmt. Sie hatte für nichts Sinn, war für nichts zugänglich. Sie glich einem blödsinnigen Kinde, das zu der geringsten Thätigkeit angehalten werden muß, und dann zwar willig, aber mechanisch thut, was man von ihm verlangt. So nahm sie Trank und Speise, so ließ sie sich zu Bette bringen, erhob sie sich wieder von ihrem Lager, ließ sie sich aus- und ankleiden.

Dabei legte sie gleichwohl einzelne Eigenheiten, wenn man will: einen Eigensinn, an den Tag. Nur die Frau Erhardt durfte um sie sein; kein Anderer durfte sich ihr nahen. War ein Dritter zugegen, glaubte sie nur Jemanden in der Nähe, so war sie völlig regungslos; sie that nichts von dem, was von ihr verlangt wurde. Redete die Frau ihr zu, so erwiderte sie nur: »Ich will allein mit Dir sein, Marianne! Ich will keinen Anderen sehen, keinen!« Man mußte ihr nachgeben, um ihrer Gesundheit willen; sie hätte nichts genossen.

So war es lange mit ihr.

Der Mord auf Romnike war bald bekannt im Lande geworden; die Zeitungen verbreiteten die Nachricht schnell weiter.

Die umsichtige Frau Erhardt hatte Zeit gefunden, ihn sofort der Gräfin Randow zu berichten, mit dem Versprechen, über das Befinden Helenens täglich weitere Mittheilung zu machen. Sie fand auch dazu Zeit, sie berichtete wahrheitsgetreu.

Weder der Graf Randow erschien auf Romnike, noch die Gräfin. Der Graf war als Minister zu sehr mit Geschäften überhäuft. Die Gräfin schrieb der Frau Erhardt, sie fürchte, daß ihr Anblick auf die Unglückliche einen nachtheiligen Eindruck hervorbringen möge. Hatte sie nicht Grund zu dieser Befürchtung? Der Frau trug sie zugleich aus, ihr sofort Nachricht zu geben, sobald sie glaube, ihre Erscheinung könne von einem wohlthätigen Einfluß auf die Kranke sein; sie solle dieserhalb mit dem Arzte Rücksprache nehmen.

Allein auch der Arzt durfte der Kranken sich nicht nahen, und die Frau Erhardt hatte wohl manche Veranlassung aus älterer und aus neuerer Zeit, gerade die Mutter von der Tochter fern zu halten.

Der Zustand der jungen Gräfin drohte bedenklicher zu werden. Der General hatte noch vor seiner Abreise nach Romnike in der Residenz ein Testament errichtet, dessen Inhalt Niemand kannte. Es mußte nach seinem Tode eröffnet werden. Nach sechs Wochen geschah dies. Der Verstorbene hatte sein ganzes Vermögen seiner Wittwe vermacht; nahe Anverwandte hinterließ er nicht; den entfernteren, die selbst wohl situirt waren, sollten nur Vermächtnisse zu geringen Beträgen ausgezahlt werden.

Der Schwiegervater, der Namens seiner Tochter bei der Eröffnung hatte zugegen sein müssen, hatte ein Gefühl der Beschämung nicht zu unterdrücken vermocht. Als er seiner Gattin die Nachricht brachte, ihre Tochter sei jetzt die reichste Frau im Lande, hatte die Dame nur die Bemerkung: »Schade, daß die Arme nie Gebrauch von dem kolossalen Reichthum wird machen können!«

Auch Helene mußte die Mittheilung gemacht werden. Die Mutter beauftragte die Kammerfrau damit. »Achte,« schrieb sie ihr dabei, »achte genau, welchen Eindruck die Nachricht auf sie machen wird, und schicke mir vollständigen Bericht darüber.

Die Nachricht hatte auf die junge Wittwe gar keinen Eindruck gemacht. »So?« sagte sie nur gleichgültig.

»Meine liebe Helene,« setzte die Frau hinzu, »Du bist jetzt eine vielfache Millionärin.«

»Ja,« war die eben so gleichgültige Antwort. »Und wie wirst Du Deine Eltern glücklich machen können, die doch manchmal sich Entbehrungen auflegen mußten!«

Da wandte die Kranke sich unwillig zur Seite.

Die Frau erschrak heftig.

Sie hatte doch noch Gefühl! Aber Haß! Nur Haß? War gar Verachtung dabei? Gegen ihre Eltern?

Einer Hoffnung auf Genesen gab der Unwille wohl Raum; aber war da die Genesung nicht entsetzlicher, als die Krankheit?

Der Mutter machte sie nur von der fortdauernden Apathie der Kranken Mittheilung.

Der Sommer war vergangen, der Herbst, der Winter. Der Frühling erwachte wieder. Er erwacht spät in dem preußischen Sibirien.

Auf Schloß Romnike hatte sich nichts verändert seit der Katastrophe des vergangenen Frühlings. Die Generalin lebte den einen Tag wie den anderen, ohne daß ihr apathischer Zustand nur auf einen Moment unterbrochen wurde. Ihr Leben war ein Vegetiren. Ihr Körper stärkte, ja entwickelte sich wunderbar dabei; sie wurde schöner, als sie je vorher gewesen war. Aber es war eine Schönheit ohne Leben; der Geist fehlte ihr; das Auge war todt, und wenn sie, wie so häufig, ohne Bewegung dasaß, glaubte man eine schöne Statue zu sehen.

Von jenem entsetzlichen Ereignisse hatte sie jede Erinnerung verloren. Man mußte es wenigstens glauben. Nie sprach sie davon; nie wies nur eine Bewegung, ein Zug ihres Gesichts darauf hin, daß eine Ahnung des Geschehenen in ihr lebe, jemals in ihrem Innern werde aufwachen können. Die Frau Erhardt wagte auch nicht die entfernteste Andeutung, die eine Erinnerung in der Brust der Unglücklichen hätte hervorrufen können. Die Frau mußte vielmehr mit einem geheimen Schauder an den Augenblick denken, da der entflohene Geist der Armen zurückkehren werde.

Der Wachtmeister Taudien war von seiner Wunde längst geheilt; er war wieder ganz der kräftige Mann; er war aber auch noch immer der finstere, verschlossene Mann. Das Criminalgericht hatte ihn mehrere Male vernehmen wollen. Die Beamten waren nach Schloß Romnike herausgekommen, in der Erwartung, an Ort und Stelle der Ereignisse werde er um so eher bereit sein, über diese Auskunft zu geben, werde seine Aussage um so vollständiger und verständlicher werden. »Er wisse von nichts, er werde nichts sagen,« das war immer und immer wieder seine Antwort.

Die Frau Erhardt hatte ihn in der Mordnacht vor der Thür des Generals gesehen. »Zu welchem Zwecke er dort gewesen?« wurde er gefragt.

»Ich weiß von nichts mehr!«

Er hatte der Frau verboten, den General zu wecken, ihr befohlen, in ihre Stube zurückzukehren. »Warum er das Eine, das Andere gethan?«

»Ich kann nichts darüber sagen!«

Sie hatte nicht einmal zu ihrer Herrin gehen sollen, um ihres Lebens und des Heils ihrer Seele willen nicht! »Warum das Alles nicht?«

»Fragen Sie mich nicht; ich kann es Ihnen nicht sagen.«

»Er war später, am Ende des Korridors, an der Verbindungsthür zwischen dem alten und neuen Schlosse verwundet worden, unter welchen Umständen?«

Er wollte von dem Allen nichts wissen.

Es wurde ihm bemerklich gemacht, daß er seine Aussage beschwören müßte, daß sein Eidschwur namentlich auch die Versicherung enthalte, wissentlich nichts verschwiegen zu haben; wie er mit einem Meineide werde vor Gott treten können?

Da funkelten dem alten Manne die Augen.

»Ja,« sagte er, »vor Gott werde ich treten und ihm werde ich Alles offenbaren, und er wird mir Recht geben, denn seine Gerechtigkeit ist nicht die Gerechtigkeit der Menschen.«

»Glauben Sie an Gott?« glaubte darauf der Richter ihn fragen zu müssen.

Und der alte Soldat fragte zurück: »Waren Sie schon in einer Schlacht, Herr Richter?«

»Nein, aber wozu die Frage?«

»Dann kennen Sie Gott nicht! Sehen Sie, in der Schlacht dachte ich auch nicht an ihn; es gab zu viel Anderes zu thun, und wenn man an ihn denken soll, muß es still um Einen sein. Aber wenn es vorbei war, wenn ich dann in der Nacht auf der nassen Erde lag, an dem Halse meines Pferdes, um mich zu erwärmen, dann, Herr, kamen die Gedanken an Gott, und wahrhaftig nicht blos des Dankes für die Erhaltung meines Lebens; denn was war mein Leben gegen alle die Tausende, die ich hatte fallen sehen! Doch, das gehört ja nicht hierher. Aber vor Gott kann ich treten, Herr Richter.«

Sie fragten ihn nicht weiter.

Auch die Frau Erhardt wollte ihn einmal fragen. Sie hatte es lange nicht gewagt. Zuletzt nahm sie sich den Muth. Sie hatte dieselben Fragen, wie das Gericht.

»Warum durfte ich nicht zu dem Herrn, nicht zu der Herrin?«

Für sie hatte er die einfache Antwort: »Sie haben Ihr Seelenheil bewahrt, Frau Erhardt!«

Sie fragte gleichfalls nicht weiter.

Zwei andere Umstände waren noch auffallend.

Der alte Wachtmeister hatte seit der Mordnacht nie wieder vor der Generalin sich sehen lassen; er mied mit Aengstlichkeit jeden Ort, jede Gelegenheit, da ihr Blick ihn hätte treffen können.

Freilich konnte auch er vermeiden wollen, ihre Erinnerung an die Schrecken jener Nacht wachzurufen.

Ein Zweites dagegen aber! Die Generalin behielt nach dem Tode ihres Gatten dasselbe Schlafgemach bei, das sie früher eingenommen hatte. Wir wissen, die beiden Gatten hatten auf Schloß Romnike jedes ein besonderes Schlafzimmer. Die zwei Zimmer waren durch einen gemeinschaftlichen Salon getrennt, in den aus jedem eine von innen und von außen verschließbare Thüre führte. Außerdem hatte jedes Gemach, wie auch der Salon, eine auf den Korridor führende Thür, an dem die drei Zimmer lagen.

Daß die Generalin in der Mordnacht ihr Gemach und ihr Bett nicht verließ, lag in einer äußeren Nothwendigkeit; sie war in ihrem Bett von der Kammerfrau einer Ohnmacht nahe gefunden; sie hatte dann in einer langen Ohnmacht gelegen, aus der nur ihr Körper erwacht war. In diesem Zustande war mit ihr keine Veränderung vorzunehmen.

Später verbot der Arzt diese. Daß der Geist ihr zurückkehren werde, die Hoffnung hatte er nie aufgegeben. Sie sollte da, wo sie das Bewußtsein verloren hatte, es wiedergewinnen. War sie auch, was nach Allem anzunehmen war, nicht unmittelbar Augenzeugin des Mordes gewesen, so hatte sie doch, in ihrem Bette sitzend, manche Umstände der That vernehmen müssen. Sie sollten ihr um so lebendiger ins Gedächtniß zurückkehren, wenn ihr Erwachen da erfolgte, wo sie die Wahrnehmungen gemacht hatte, vielleicht auf einmal, jedenfalls nach und nach. Der Arzt versprach sich viel davon, für ihre Heilung sowohl wie für die Resultate der Untersuchung. Er war zugleich der Gerichtsarzt. Die Kammerfrau konnte ihm das mittheilen, was er nicht selbst beobachten konnte.

Die Kranke erwachte, aber zu jener völligen Apathie. Dieser war es auch wohl zuzuschreiben, wenn man nach längerer Zeit wahrnehmen mußte, daß keine Erinnerung der Schreckensnacht ihr zurückgekehrt sei.

Sie war bisher zu schwach gewesen, ohne Hülfe das Bett zu verlassen; sie mußte heraus- und hineingetragen werden. Ihre Körperkräfte nahmen zu; man war gespannt auf den Augenblick, da sie im Stande sein werde, sich ohne fremde Hülfe zu bewegen, das Zimmer zu verlassen; wohin sie ihre Schritte lenken werde, in den kleinen Mittelsalon, weiter in das Schlafgemach des Generals, den Schauplatz des Mordes!

Der Augenblick erschien. Sie hatte, gestützt auf den Arm der Frau Erhardt, das Bett verlassen, ein paar Mal das Gemach auf und ab durchschritten. Sie war dann ermüdet; die Kammerfrau mußte sie in einem Fauteuil niederlassen. So war es immer gewesen.

Die Frau ordnete unterdeß im Zimmer.

Auf einmal erhob sich die Generalin, langsam, schweigend. Sie machte einen Schritt, einen zweiten. Sie wollte offenbar versuchen, ob sie allein gehen könne. Sie vermochte es,.

Wohin wird sie gehen?

Der Kammerfrau klopfte das Herz. Sie wagte nicht von ihrer Arbeit aufzublicken.

Die Generalin ging weiter, immer langsam, immer schweigend. Sie ging zu der Thür des kleinen Salons.

Wird sie hineintreten?

Die Generalin hatte die Thür erreicht. Sie faßte den Griff des Schlosses; sie drückte. Die Thür lag nur im Schlosse, öffnete sich. Die Generalin trat in den Salon.

Was wird nun werden?

Die Kammerfrau stand fast athemlos. Folgen durfte sie nicht.

Die Generalin durchschritt den Salon, langsam und schweigend, wie bisher.

Sie stand an der jenseitigen Thür, an der Thür, die in das Mordgemach führte.

Auch diese war nicht verschlossen: der Arzt hatte es für ein Ereigniß, wie es jetzt eingetreten war, so angeordnet. Ein Ereigniß war es.

Die Generalin öffnete die Thür, schritt in das Gemach, langsam, ohne ein Wort zu sprechen.

Die Kammerfrau mußte ihr folgen. Jede nächste Secunde konnte etwas herbeiführen, was ihre Hülfe nothwendig machte. Sie durfte gleichwohl nicht bemerkt werden. Sie schlich leise, kaum hörbar. Sie erreichte den Salon. Die Generalin hatte die Thür hinter sich offen gelassen. Auch die jenseitige Thür. Die Kammerfrau hatte den freien Blick in das ehemalige Schlafgemach des Generals.

Das Gemach war noch völlig in dem Zustande, wie zur Zeit des Mordes. Nur die Blutspuren waren beseitigt, und das einfache Feldbett des tapfern Feldherrn war in einer Ordnung, als wenn es seinen Herrn zum Schlafengehen erwarte. Es stand an der jenseitigen Seitenwand.

Vor ihm stand die Generalin, am Kopfende, still, das Haupt gesenkt. Das Gesicht konnte die Kammerfrau nicht sehen. Aber auf einmal beugte sich die Gestalt nach dem Kopfkissen nieder, auf dem das Haupt des Gatten so oft geruht hatte, auch vor der heißen Feldschlacht, auch in dem Augenblicke, da der tückische Mordstreich ihn traf.

»Sie will die Lippen auf die Stelle drücken, wo er lag!« sagte sich die Frau. »Das Herz lebt ihr wieder auf. Sie ist gerettet!«

Hatte sie in ihrer Freude eine Bewegung gemacht, die sie verrieth?

Die Generalin zuckte zusammen, fiel mit einem lauten Aufschrei an dem Bette nieder.

Die Kammerfrau eilte zu ihr, hob sie auf, blickte in ein Gesicht, in dem keine Empfindung zu sehen war, dessen glanzlose Augen bewußtlos vor sich hin starrten.

Die Frau brachte die Unglückliche in ihr Bett zurück.

Die Scene war gleichwohl ein Ereigniß gewesen.

Die Kammerfrau hatte ihre Herrin mehr tragen als führen müssen. Im Bette lag diese dann lange völlig erschöpft, unbeweglich mit geschlossenen Augen. Als sie nach einer Weile die Augen öffnete, sah man darin nicht mehr jenen, die Geistesabwesenheit bekundenden Ausdruck der Apathie. Der Blick war frei. Die Kranke sprach, zum ersten Male seit dem Morde.

»Sind wir allein, Marianne?«

»Ganz allein.«

»Wo schläfst Du?«

»In diesem Gemache.«

»Ich sehe kein Bett.«

»Ich trage mein Bett des Abends hinein, des Morgens wieder heraus.«

»Wie lange schon?«

»Seit mehreren Wochen.«

»Seit –! Ah, Marianne –«

.Sie schwieg. Nicht nachdenklich, als wenn sie sich besinne, das Geschehene in ihr Gedächtniß zurückrufen müsse. Ein Schauder schien sie plötzlich ergriffen zu haben. Das Geschehene stand also klar vor ihrem Geiste; sie hatte schon früher darüber nachgedacht. Das bestätigten auch ihre ferneren Worte.

»Du trugst mich hierher, Marianne!«

»Ja, gnädige Frau –«

Die Generalin unterbrach die Frau fast unwillig.

»Du sollst wieder Helene und Du zu mir sagen, wie in früheren Zeiten.«

In schmerzlichem Tone setzte sie hinzu: »Es sagt ja sonst Niemand so zu mir.«

Der Gedanke hatte einen anderen in ihr geweckt.

»Meine Eltern waren nicht hier?«

»Nein! Aber ich muß ihnen jede Woche Nachricht geben.«

»Schreibt meine Mutter an Dich?«

»Ja.«

»Was schreibt sie?«

Sie wartete die Antwort nicht ab.

»Ich will es nicht wissen, Marianne!«

Sie sprach es wieder unwillig. Dann nahm sie die Hand der alten Frau und sprach gütig zu ihr:

»Du warst in jener furchtbaren Nacht nicht bei mir?«

»Aber ich war in der Nähe.«

»Wo warst Du? Erzähle mir Alles!«

Die Frau Erhardt erzählte Alles, was sie in jener Nacht gesehen, gehört, selbst gethan hatte.

Die Generalin hörte mit voller Aufmerksamkeit zu und mit voller Ruhe. Ihre Ruhe konnte auffallend erscheinen. Hatte sie ihren Grund noch in der Fortdauer des apathischen Zustandes, oder wiederholte die Frau nur Thatsachen, die der Zuhörerin bekannt waren? Einige Male nickte die Generalin wie bestätigend. Ihre Aufmerksamkeit schien sich zu verdoppeln, als die Frau von der flüsternden Stimme eines Mannes und einer Frau erzählte, die im Korridor, wahrscheinlich unmittelbar vor und nach dem Morde, mit einander gesprochen hatten. Eine Unruhe, eine Bewegung ihrer Zuhörerin nahm die Frau Erhardt aber auch hierbei nicht wahr.

Von der Verwundung des Wachtmeisters Taudien wußte die Generalin noch nichts.

»Der Arme!« sagte sie für sich.

Aber fast unmittelbar nach den zwei Worten trat eine Lähmung ihrer geistigen, wie körperlichen Kräfte wieder bei ihr ein. Sie hatte sich unwillkürlich halb aufgerichtet; sie fiel zurück; ihre Augen schlossen sich wieder. Sie schlummerte ein.

Als sie nach längerer Dauer erwachte, zeigten ihr Blick, ihre Bewegungen wieder ihre frühere Theilnahmlosigkeit, doch in geringerem Grade und mit einzelnen, freilich seltenen und kurzen Unterbrechungen. Von dem Morde und der Mordnacht sprach sie nie wieder.

So war das Frühjahr gekommen, der Jahrestag des Mordes nahte.

Die belebenden Kräfte des Frühlings sind wunderbar, selbst bei Gegenständen, die man leblose nennt. Wenn in den lebendigen Baum der Saft schießt, neue Zweige, grüne Blätter, bunte Blumen treibt, dann knistern und knacken auch die Kisten und Kasten, Schränke und Laden; das alte, seit Menschenaltern von seinem Stamme getrennte, mit Axt und Säge und Messer und Bohrer zerhauene, zerschnittene, zerstochene Holz bekommt wieder Leben, wird unruhig, treibt auf, will aus seinen Fugen, will seine Fesseln zersprengen.

Neues Leben ergießt sich auch in das geistige Wesen des Menschen, zum Schlimmern meist, zuweilen auch zum Bessern.

Schloß Romnike lag in der vollen Pracht des Frühlings. Der große Wald rings umher hatte sein frisches Laub erhalten. In dem weiten Park grünten die Boskets, prangten in weißem und rothem Blüthenschmuck; die Obst- und Fliederbäume und die Blumenbeete trugen reiche bunte Farben; in den Gebüschen sangen die Amseln, in den Bäumen die Nachtigallen.

Der Abend war angebrochen; über den Wipfeln des Waldes hinweg sandte die Sonne ihre letzten Strahlen auf die Dächer des imposanten Doppelschlosses; in dem stillen Schloßhof begann die Tageshelle einer leisen Dämmerung zu weichen. Es war ein Abend, ähnlich jenem, dem die Schreckensnacht auf Schloß Romnike gefolgt war.

Wenige Wochen fehlten an dem Ablauf eines Jahres seit jener Nacht. Der Frühling war in diesem Jahre zeitiger in das Land gekommen.

Wir finden die Generalin auch heute in dem Schloßparke. Sie wurde von ihren Dienern nicht zur Rückkehr in das Schloß erwartet. Die Kammerfrau Frau Erhardt war bei ihr. Der Diener Georg ging, wie zur Wache und zum Schutze, zwischen Park und Schloßhof auf und ab. Der Wachtmeister Taudien hatte sich lange in der Nähe aufgehalten, man sah ihn nicht mehr.

Die junge Generalin war in tiefer Witwentrauer. Schwarze Trauerkleidung trug auch die Frau Erhardt, trug noch Alles, was zum Schlosse gehörte.

Die Generalin und die Kammerfrau befanden sich in einer Laube des Boskets zunächst dem Schloßhofe. Sie saßen auf einer Bank beisammen.

Die junge Wittwe war zu der schönsten Frau entwickelt, aufgeblüht dürfen wir nicht sagen. Ihr Gesicht war bleich, es zeigte fast keinen Blutstropfen. Ihre Schönheit erschien dadurch wie eine verklärte. Denkt das Kind sich doch auch das Antlitz der Engel schneeweiß. Und in dem weißen Gesichte war Leben, das Leben einer mildtrauernden edlen Seele, eines klaren, sinnigen, ruhigen, nur manchmal träumerischen Geistes.

Mit dem erwachenden Frühling war diese Veränderung in dem Innern der Generalin eingetreten, nur nach und nach, mit leisen Anfängen, aber stetig fortschreitend, mithin ganz vollständige Heilung versprechend, wenn kein unglückliches Ereigniß einen Rückfall herbeiführen werde. Befürchten mußte man das noch immerhin, so wie man andererseits nicht der Hoffnung entsagen durfte, die Heilung werde eine vollständige werden, wenn irgend ein glückliches Ereigniß dem Geiste seine volle Kraft und damit dem Herzen die Ruhe und dem Gesichte das frische rothe Blut zurückgebe.

Herrin und Dienerin waren in der Laube beschäftigt, die Generalin stickte, die Kammerfrau nähte. Sie unterhielten sich dabei.

Die Frau Erhardt hatte einen Brief von der Ministerin Gräfin Randow erhalten. Die Dame schrieb regelmäßig noch immer an die Kammerfrau, sich nach dem Befinden ihrer Tochter zu erkundigen, und dieser Nachrichten aus dem elterlichen Hause mitzutheilen. Der Briefwechsel bestand in solcher Weise schon seit der Katastrophe auf Schloß Romnike. Als die Genesung der Generalin bedeutendere Fortschritte gemacht hatte, schrieb die Dame unmittelbar an sie. Die Tochter erbrach aber den Brief nicht, gab ihn der Frau Erhardt und sagte:

»Schicke ihn zurück und schreibe meiner Mutter, ich würde nie einen Brief von ihr annehmen.«

»Helene! Von Deiner Mutter nicht?«

»Schreibe ihr, es würde mich zu sehr angreifen, ich müsse Nachtheile für meine Genesung befürchten.«

Sie sprach das ohne Erbitterung, ohne Bitterkeit, aber mit einem strengen Tone.

Und sie war sonst so milde.

Die Mutter hatte darauf tief bekümmert geantwortet. Frau Erhardt durfte die Antwort vorlesen. Die Generalin sprach kein Wort dazu und veränderte keine Miene dabei.

Die Kammerfrau durfte, mußte auch die ferneren Briefe der Ministerin vorlesen. Sie enthielten stets Klagen des Mutterherzens; sie ließen das Herz der Tochter unberührt, und sie sollten es doch rühren, ergreifen.

Der heutige Brief der Ministerin enthielt eine Nachricht, über welche die Frau Erhardt sichtlich erschrak. Der Baron von Teufen sei wahnsinnig geworden und in das Irrenhaus gebracht. Die Schreiberin hatte einige Bemerkungen hinzugefügt: in der Residenz habe die Nachricht überall eben so sehr Verwunderung wie Bedauern erregt; man habe den Herrn von Teufen für einen ernsten, ruhigen Charakter gehalten; seine Lebensweise für eine geregelte, wie auch seine Vermögensverhältnisse geordnet, gar als glänzend zu bezeichnen seien.

Dieses Urtheil über den jungen Baron, bemerkte die Ministerin weiter, möge in Betreff der Vermögenslage des jungen Mannes nicht ganz der Begründung entbehren; im Uebrigen aber entspreche es den Thatsachen keineswegs. Der Baron Teufen sei ein Mensch von heftigem, auffahrendem und zugleich tückischem Charakter gewesen, der nur eine bewundernswürdige, aber auch schreckenerregende Gewalt über sich besessen, so daß er die Welt über sich zu täuschen gewußt habe. Sie, die Ministerin, habe ihn gekannt, durchschaut, und eine Katastrophe, wie sie jetzt eingetreten sei, schon früher befürchtet. Ihre Furcht sei gestiegen seit der Verheirathung Helenens mit dem General Waldern. Teufen sei seitdem noch ruhiger erschienen; ihren, der Schreiberin, Blicken sei es aber nicht entgangen, daß ein wildes Feuer nur um so verzehrender in seinem Innern lodere, und wie er dann bald, nachdem der General mit seiner jungen Frau die Residenz verlassen, ebenfalls verschwunden sei und Niemand gewußt habe, wo er sich befinde, habe sie immer mit ahnungsvollem Entsetzen an Katastrophen denken müssen, wie die Schreckensnacht auf Schloß Romnike im vorigen Jahre und den Ausbruch des Wahnsinns jetzt. Dem Schreck der Frau Erhardt, als sie das las, mußte tiefes, ernstes Nachsinnen folgen.

»An der Wahrheit der Nachricht, daß Teufen wahnsinnig geworden und sich im Irrenhause befinde, kann allerdings nicht gezweifelt werden. Aber sind die Combinationen der Dame richtig? Und warum schreibt sie mir das Alles? Um es Helenen mitzutheilen? Ach, sie wollte das Kind mit diesem Teufen verbinden! Soll denn die Tochter die Mutter noch mehr verachten, als es schon der Fall ist? Dem Gerichte soll ich vielleicht Anzeige machen, damit es eine neue Spur gegen den unbekannten Mörder verfolge? Aber der Brief enthält nur Vermuthungen, vielleicht gar nur Verdächtigungen.«

Doch hier mußten die Gedanken der braven Frau eine andere Richtung nehmen.

»Verdächtigungen? Habe ich denn nicht selbst so oft an den tückischen Teufen denken müssen? Und wenn ich nicht das Flüstern der fremden Frauenstimme gehört hätte –?«

Ihr Entschluß stand fest, weder der Generalin, noch dem Gerichte Mittheilung zu machen.

Indeß, die Generalin wußte, daß ein Brief ihrer Mutter angelangt war. Die Briefe an die Frau Erhardt kamen regelmäßig jede Woche, und Helene hatte gesehen, daß der Bote des Gutes, der posttäglich die Postsachen von der nächsten Station abholte, der Kammerfrau einen Brief übergeben hatte.

»Du erhieltest einen Brief von meiner Mutter?« fragte die Generalin.

»Ja.«

»Was schreibt sie Dir?«

»Die herzlichsten Muttergrüße für ihre Tochter.«

»Sie schrieb Dir noch mehr!«

»Daß sie sich Alle wohlbefinden.«

»Noch mehr, Marianne! Und ich soll es nicht wissen. Du bist befangen.«

»Du dürftest es erfahren, Helene; aber Du weißt selbst, die unbedeutendsten Gegenstände können Dich noch manchmal beunruhigen, und der heutige Abend ist so schön. Morgen, meine liebe, theure Herrin, wenn Du noch darauf bestehst.«

Die Dienerin hatte die große Gewalt der Liebe, des Vertrauens und der Verehrung über ihre junge Gebieterin. Helene fragte nicht mehr.

Die Kammerfrau war beruhigt. Auch morgen, dachte sie, werde die Herrin sich beschwichtigen lassen.

Aber der heutige Tage war noch nicht vorüber, und man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, und der Abend kann lang werden, auch im Frühjahre, wenn die Nächte schon kürzer sind.

Herrin und Dienerin saßen noch still beisammen in der Laube, als in dem Bosket der Diener Georg erschien. Er ließ sich nur in der Ferne erblicken und nur so, daß die Kammerfrau ihn sehen sollte. Sie sah ihn; er gab ihr einen Wink. Es mußte sich etwas Wichtiges zugetragen haben, das der Generalin geheim bleiben sollte. Frau Erhardt gab ihm ein heimliches Zeichen, daß sie seinen Wink verstanden habe.

Nach einer Weile bat sie die Generalin um die Erlaubniß, sie auf einen Augenblick verlassen zu dürfen, sie habe drüben den Diener Georg bemerkt, dem sie für den Abend etwas aufzutragen habe.

Sie ging zu der Stelle, an der sie den Diener gesehen hatte. Er war zur Seite getreten; sie begab sich zu ihm.

»Was bringen Sie, Georg?«

»Soeben trifft das Criminalgericht ein.«

»Zu welchem Zweck?«

»Um die Frau Generalin zu verhören.«

Die Kammerfrau erschrak auf den Tod. Das wäre der Tod der Armen. »Was sagten Sie den Herren?«

»Ich wisse nicht, wo die gnädige Frau sei; ich wolle die Kammerfrau suchen.«

»Das war gut, Georg. Sagen Sie Ihnen jetzt, ich werde gleich kommen. Noch Eins, Georg, wo sind die Herren?«

»Der Haushofmeister hat sie in ein Geschäftszimmer des alten Schlosses geführt.«

»Bitten Sie sie, dort noch einige Augenblicke zu verweilen.«

Der Diener ging.

Die Frau Erhardt kehrte zu der Generalin zurück. Sie konnte eine unbefangene Miene machen.

»Es wird frisch hier draußen, Helene; befiehlst Du, daß wir zum Schlosse zurückkehren?«

Ein frischer Abendwind war in der That zu Hülfe gekommen. Die Generalin kehrte mit der Dienerin zum Schlosse, in ihr Gemach zurück.

Die Frau Erhardt verließ sie hier; sie hatte ja noch Mancherlei für den Abend zu besorgen.

Sie begab sich in das alte Schloß zu den wartenden Gerichtsherren.

Sie war diesen bekannt als die klare, verständige Frau, mit der sie schon früher vielfach zur Förderung ihres Geschäftes verhandelt hatten. Sie wandte sich an den dirigirenden Gerichtsrath.

Die Generalin sei von ihrem körperlichen wie geistigen Leiden genesen. Der geringste Vorfall könne aber einen Rückfall mit den unheilvollsten Folgen herbeiführen. Ob man ihr, der Frau Erhardt, nicht den Gegenstand des Verhörs mit ihrer Herrin anvertrauen wolle; vielleicht könne sie Auskunft ertheilen.

Der Gerichtsrath fand kein Bedenken, auf die Bitte einzugehen.

Das Gericht war hier in Folge eines Schreibens einer rheinischen Irrenanstalt. Ein Baron Teufen befinde sich in dieser, zu seiner Heilung, aber in einem Zustande, der die Wahrscheinlichkeit einer Heilung um so mehr ausschließe, da die Krankheit zugleich auf einer erblichen Anlage zu beruhen scheine; der Vater des jungen Barons sei geistesschwach gewesen und sein Großvater sei in völligem Wahnsinn gestorben. Zu den Gegenständen, die in seinen Phantasien den Kranken besonders beschäftigen, gehöre der Mord auf Schloß Romnike. Er spreche seltsame Dinge darüber, die aber kaum eine andere Deutung zuließen, als daß er der Mörder sei. Man halte sich daher aus einem doppelten Grunde verpflichtet, dem inquirirenden Criminalgerichte Mittheilung davon zu machen. Einmal, damit, falls die Angaben des Geisteskranken mit den durch die Untersuchung ermittelten Thatsachen übereinstimmen, nicht noch etwa gegen einen Unschuldigen verfahren werde. Zum Anderen, um Anhalt zu weiterer Behandlung des Kranken zu gewinnen, dessen schließliche Heilung, wie wenig wahrscheinlich sie auch sei, doch immerhin nicht außer dem Bereiche der Möglichkeit liege.

Die Angaben des kranken Baron Teufen waren namentlich folgende:

Er bezeichne sich selbst als den Mörder des Generals: manchmal unter Darlegung großer Befriedigung, daß er die junge Frau von dem alten Manne befreit habe; dann wieder unter Klagen, daß sie, der Gegenstand seiner innigen Liebe, durch den Mord noch unglücklicher geworden sei, und daß sie nun doch niemals seine, des Mörders, Gattin werden könne. Aus den Klagen falle er dann gewöhnlich in einen Zustand von Wuth zurück; sie habe ihn gekränkt, beleidigt, unglücklich gemacht; sie verdiene ihr Unglück.

Ueber die Ausführung des Mordes rede er viel, theils Unzusammenhängendes, theils sich Widersprechendes durch einander. Er sei unter den polnischen Hänge-Gendarmen gewesen; die Regierung in Warschau habe den Tod des Generals beschlossen. Er habe mit den anderen Gendarmen sich nach Schloß Romnike begeben; es seien ihrer viele gewesen, weil das Schloß eine Menge Aus- und Eingänge habe. Den Mord habe er vollführt, er allein; er habe auch die Generalin ermorden wollen, weil sie ihn zum Mörder gemacht habe.

Diese letztere Angabe widerrief er aber sofort.

»Nein, nein! Sie bat mich selbst, ich solle sie tödten!«

Dann sprach er wieder anders:

»Die Polin verlangte, ich solle sie tödten.«

Er war darauf nach der Polin gefragt, die er bisher noch gar nicht erwähnt hatte.

»Sie hatte mich in das Schloß geführt,« antwortete er.

»Warum sie?« wurde er gefragt.

»Sie war bekannt im Schlosse,« lautete seine Antwort.

»Und wer war sie?«

»Die Polin!«

»Wohnte sie im Schlosse?«

»Nein; sie war ja in Polen!«

»Hatte sie früher im Schlosse gewohnt?«

»Ich denke! Sie kannte ja die Korridors, Treppen, Zimmer darin.«

»Was war sie im Schlosse gewesen?«

Er wußte es nicht.

Er wurde wiederholt nach der Polin gefragt, nach ihrem Namen, wie er sie kennen gelernt, wie und warum sie seine Führerin geworden, ob sie nur ihn oder auch seine übrigen Begleiter geführt habe? Er konnte auf keine der Fragen Auskunft geben. Es war Alles wirr in seinem Kopfe geworden.

Er wurde ein zweites Mal auf den Mord gebracht; er konnte sich auf nichts besinnen. Ein drittes Mal war seine Erinnerung wieder da, aber merkwürdiger Weise völlig übereinstimmend mit den ersten Angaben, fast schablonenmäßig mit denselben Worten, und was er früher nicht gewußt hatte, darüber hatte er auch jetzt keine Auskunft.

So blieb es später, obgleich ihm die Fragen in anderer Form und in anderer Reihenfolge vorgelegt wurden. Einige Male wußte er wieder gar nichts; dann hatte er wieder die schablonenmäßigen Antworten.

Das wurde von dem Gerichtsrath der Frau Erhardt mitgetheilt. Die Frau war heftig erschrocken.

»Sie müssen zugestehen,« bemerkte ihr der Rath, »im Ganzen, in den Hauptmomenten, stimmen die Angaben des Irren mit den zu den Acten ermittelten Thatsachen überein.«

Sie mußte es einräumen.

»Nur,« warf sie indeß ein, »ist mit keinem Worte der Verwundung des Wachtmeisters Taudien Erwähnung geschehen!«

»Sie war wohl,« meinte der Inquirent, »den Beamten der Irrenanstalt unbekannt. Jedenfalls müßte der Kranke noch darüber befragt werden.«

»Können Sie,« fragte er dann, »über die Polin Auskunft gehen?«

Die Polin! Ihre Erwähnung war ein besonderer Grund des Erschreckens der Frau Erhardt gewesen. Sie hatte bei ihren früheren Vernehmungen nur von einer unbekannten Frau gesprochen, die sie in dem Dunkel der Mordnacht gesehen und deren Flüstern sie vernommen habe.

Wir wissen, daß ihre Ausrufe damals einer Polin gegolten hatten. Warum hatte sie bei jenen früheren Vernehmungen einen wahrscheinlich sehr erheblichen Umstand verschwiegen, also die Wahrheit unterdrückt? sie, die ehrliche, die wahrheitsgetreue Frau?

Auf die jetzige Frage des Inquirenten bekannte sie offen ihre Fehler.

Im Monat März des verflossenen Jahres 1863, als die Revolution in dem benachbarten Polen die wildesten Wogen trieb, war an einem Abende eine Fremde auf Schloß Romnike erschienen und hatte um Aufnahme für die Nacht gebeten. Sie sei eine Polin, gab sie zu erkennen; sie komme aus Polen; sie habe sich über die Grenze flüchten müssen, um das Leben zu retten. Ihr Vater sei Polizeibeamter gewesen, habe als solcher von der Revolution sich fern gehalten, sei dadurch der Menge verdächtig geworden; in der vergangenen Nacht habe man sein Haus gestürmt, ihn und ihre Mutter fortgeschleppt, auch sie fortschleppen wollen, sie habe entfliehen können. Bis zum Anbruche des Tages habe sie sich in der Nähe des kleinen Orts, den sie nannte, aufgehalten, um etwas von dem Schicksale ihrer Eltern zu erfahren. Sie hatte Niemanden zu Gesicht bekommen, den sie hätte fragen können.

Zuletzt hatte sie von Kindern gehört, daß auch sie gesucht werde. Sie hatte sich deshalb der preußischen Grenze zugewandt; nur in Preußen wußte sie sich sicher. Erst als es dunkel war, wagte sie, die Grenze zu überschreiten. Wo dies war, wußte sie nicht; sie hatte den ganzen Tag viel hin und her irren müssen, um Niemandem zu begegnen.

Sie war in einen großen dichten Wald gekommen, in dem sie nach einiger Zeit einen breiten Fahrweg fand. Er führte sie nach Schloß Romnike. Sie bat, hier ausruhen zu dürfen, und um ein Stück Brod. Sie hatte zu ihrer Flucht nichts mit sich nehmen können; sie hatte auf ihrer Flucht den ganzen Tag nichts genossen. Das war ihre Erzählung.

Ihr Aussehen sprach für die Wahrheit des Erzählten. Außer der Kleidung auf ihrem Körper trug sie nichts bei sich; sie war erschöpft und ermüdet. Sie wurde aufgenommen, erhielt Speise und Trank; ihr Hunger, mit dem sie es verzehrte, zeigte, wie lange sie es entbehrt hatte.

Sie trug die Kleidung des niederen Bürgerstandes; nur die nothdürftige häusliche, für die tägliche Beschäftigung im Hauswesen passende. Die Kleidung war sauber und hatte selbst auf der Flucht nur wenig gelitten. Das Benehmen der Fremden war ein anständiges, bescheidenes, blieb so, nachdem sie die erste Angst und Sorge und Schüchternheit überwunden hatte.

Sie hatte bei ihrer Ankunft im Schlosse zuerst die Domestiken angetroffen; diese hatten den Haushofmeister herbeigerufen. Der Hausbeamte hatte zunächst für ihre Verpflegung gesorgt, dann der Frau Erhardt Mittheilung gemacht, damit die Generalin Kenntniß von der Fremden erhalte und über deren Aufnahme bestimmen möge. Die Generalin trug der Kammerfrau auf, mit der Fremden zu sprechen. Die Kammerfrau machte der Generalin einen günstigen Bericht. Daß die Fremde vorläufig bleiben durfte, verstand sich von selbst.

»Hält sie sich gut,« setzte die mitleidige Dame hinzu, »so kann sie ganz hier bleiben.«

Die Fremde hielt sich gut. Sie war immer anspruchslos, bescheiden, still; sie suchte und verstand sich nützlich zu machen; war in mancherlei Frauenarbeiten erfahren. Sie gefiel auch der Generalin, der sie sich vorstellen mußte. Sie durfte ganz im Schlosse bleiben. Sie wurde der Oberaufseherin der Wäsche des Schlosses als Gehülfin zugetheilt. Sie bewährte sich ausgezeichnet in dem Dienste.

Alexia Szladat hieß sie. Sie war einige zwanzig Jahre alt. Sie war eine große, schlanke Gestalt; ihr fein geschnittenes Gesicht hatte anmuthige Züge. Die stille Trauer, die über ihrer ganzen Erscheinung ausgebreitet war, verlieh ihr einen besonderen Reiz.

Sie sprach Polnisch und Deutsch. Ihre Mutter war eine Deutsche gewesen.

Sie war sechs Wochen lang im Schlosse. Ihr Benehmen war immer dasselbe. Sie war still, fleißig, aufmerksam und freundlich gegen Jedermann, geliebt und geachtet von Allen. Ihr Betragen war das sittsamste.

Auffallend konnte nur Eines an ihr sein, sie schloß sich an Niemanden näher an, wurde mit Keinem vertraut. Man konnte das freilich aus ihrer Lage erklären, seit ihrer Flucht aus Polen hatte sie nicht die geringste Kunde aus ihrer Heimath oder über ihre Eltern erhalten; sie mußte fürchten, deren Schicksal sei das unglücklichste gewesen. Dauerte doch noch immer die Revolution drüben fort, wurden doch ihre Gräuel von Tag zu Tag grausamer, blutiger.

Eines Tages war sie plötzlich verschwunden.

Sie hatte sich des Abends zu der gewöhnlichen Zeit in ihr Schlafgemach begeben. Dieses lag in dem alten Schlosse zu ebener Erde. Sie schlief allein darin. Am anderen Morgen kam sie nicht wieder zum Vorschein. Sie wurde bei der Arbeit vermißt. Man suchte sie in ihrem Stübchen. Die Thür war verschlossen. Man rief ihren Namen, es erfolgte keine Antwort.

Die Thür wurde gewaltsam geöffnet. Das Gemach war leer; das Bett war nicht berührt; das Fenster stand offen. Sie hatte durch das niedrig gelegene Parterrefenster ohne Gefahr und ohne Mühe ins Freie gelangen können.

Sie hatte nichts mit sich genommen als die Kleider an ihrem Körper; und es waren dieselben, in denen sie auf Schloß Romnike angekommen war. Sie war hier mit neuer Kleidung beschenkt worden, die sie getragen hatte; sie hatte sie vor ihrer Flucht gegen die alte einfache bürgerliche Kleidung ausgetauscht. Sie hatte andere Geschenke bekommen; sie hatte auch davon nichts mit sich genommen.

Plötzlich und räthselhaft, wie sie erschienen war, war sie wieder verschwunden.

Für eine Person im Schlosse war sie schon seit einiger Zeit eine räthselhafte Erscheinung gewesen, für die Frau Erhardt.

Der Frau, die Vieles erlebt, Vieles zu beobachten Gelegenheit gehabt und daher viele Menschenkenntniß sich erworben hatte, wollte bisweilen der Umstand sonderbar, gar verdächtig werden, daß »die Polin«, wie sie in dem Schlosse genannt wurde, sich an Niemanden anschloß, daß vielmehr das Herz, das von Heimath und Eltern sich hatte losreißen müssen, das täglich Trauerkunden aus jener vernahm, Schreckensnachrichten über das Schicksal der theuersten Angehörigen jeden Augenblick entgegensehen mußte, daß dieses Herz vielmehr gegen alle Theilnahme, gegen alles ihm angetragene Vertrauen sich abschloß. Das sei unnatürlich, sagte sich die erfahrene Frau. Sie beobachtete die Polin. Lange gewahrte sie nichts, was ihrem Verdacht nur irgend einige Nahrung hätte geben können. Sie beschloß, bestimmte Schritte zu thun.

Sie trat eines Nachmittags plötzlich in die Plättkammer, in der sie die Polin und zwar ganz allein beschäftigt wußte. Die Polin war allein darin; sie konnte auch in sofern beschäftigt erscheinen, als sie ein Stück Wäsche zum Zusammenfalten in den Händen hielt. Aber sie war sichtlich erschrocken über das unvermuthete Eintreten eines Menschen und sie hatte so sehr die Geistesgegenwart verloren, daß sie ihr Erschrecken auf unglückliche Weise zu verbergen suchte. Sie stand an einem offenen Fenster der Kammer und wie die Thür sich öffnete, bog sie aus dem Fenster sich hinaus, als wenn sie ruhig hinausschaue.

Die Frau Erhardt hatte die Bewegung gesehen. Sie verrieth dies durch nichts, sprach kurz einen Befehl der gnädigen Frau und entfernte sich wieder. Eine Spur von Verlegenheit hatte die Polin weiter nicht gezeigt. Der Verdacht der Kammerfrau war stärker geworden.

Das Fenster der Plättkammer führte in einen jener vielen schmalen und spitzen Winkel der alten Ritterburg, in denen leicht sich Jemand verbergen konnte; es lag nach der Außenseite des Schlosses, in der Nähe eines Boskets, in dem wiederum ein Mensch sich verborgen halten konnte.

Sie hat eine geheime Unterredung gehabt, sagte sich die Frau Erhardt.

Sie mußte wissen, mit wem.

Auf einen Fremden, Unbekannten fiel ihr Verdacht. Bei dem Gedanken an irgend einen Bewohner des Schlosses mußte sie den Kopf schütteln. Mit dem, der sie hier ausgesucht hat, combinirte die Frau weiter, hat sie ganz sich nicht aussprechen können; sie wurde durch mich gestört.

Der Mensch darf sich hier nicht länger aufhalten, ohne verrathen zu werden. Sie werden sich also heute noch einmal sehen; nicht vor dem Abend; und wo? An demselben Fenster der Plättkammer! Zu dem Fenster ihres Schlafgemachs darf er sich nicht wagen, es führt auf den Schloßhof. Aus ihrem Schlafgemach kann sie durch die inneren Gänge der alten Burg in die Plättkammer gelangen, ein Schlüssel zu dieser ist in ihrem Besitze.

Die Frau Erhardt traf danach ihre Maßregeln. Einem Dritten durfte sie sich nicht anvertrauen; ihr Verdacht konnte ein ungegründeter sein.

Nahe der Plättkammer lag ein Zimmer, in dem die geplättete Leinewand bis zur weiteren Sortirung aufbewahrt wurde. Einen Schlüssel dazu besaß die Frau Erhardt. In dieses Zimmer begab sie sich unbeobachtet, noch vor dem Eintreten der Dunkelheit. Ein Fenster desselben führte in den nämlichen Winkel, an dem das Fenster lag, durch welches die Polin eine Unterredung gehabt haben mußte. Es befand sich ihm in fast gerader Richtung gegenüber. An das Fenster stellte sie sich.

Sie stand lange harrend, in Dunkelheit und Stille, die in ihrem Zimmer herrschten, in der Plättkammer drüben, in dem Winkel unten.

Drüben in der Plättkammer wurde endlich ein leises Geräusch hörbar; Jemand mußte eingetreten sein. Die Frau Erhardt zog sich von dem Fenster zurück, an dem sie ihren Beobachtungsposten eingenommen hatte. In dem Dunkel ihres Zimmers war sie so nicht wahrzunehmen, während sie sehen mußte, wenn drüben sich etwas am Fenster zeigte, diesem nur näher kam.

Es war an dem Fenster etwas erschienen; eine Veränderung des Lichtes oder des Schattens hinter den Scheiben zeigte es an; erkennen konnte man nichts.

»Die Polin!« sagte sich die Frau Erhardt, deren Erwartung in so weit bestätigt war, um so höher gespannt wurde.

Der Schatten drüben veränderte sich noch einige Male, verschwand, war wieder da.

Sie ist ungeduldig, daß der Erwartete noch nicht kommt!

Nach fünf Minuten mußte er da sein. Die Frau Erhardt hatte nichts gehört, keine Stimme, keinen Schritt, kein Zeichen. Aber das Fenster drüben wurde leise, unhörbar geöffnet; eine Gestalt erschien darin, nicht zu erkennen in der Dunkelheit, aber unzweifelhaft die Polin. Die Umrisse einer weiblichen Gestalt waren auch bald zu unterscheiden. Eine Frauenstimme wurde dann hörbar; sie sprach hinunter, flüsternd nur, aber die Frau Erhardt erkannte auch in dem Flüstern die Stimme der Polin. Eine männliche Stimme antwortete von unten herauf, gleichfalls leise, so daß die Frau Erhardt, zumal durch das verschlossene Fenster, nur ein Flüstern vernahm

Die Beiden unterhielten sich lange angelegentlich, wie es schien. Sie sprachen manchmal lauter; sie hatten sich entweder vergessen oder sie wußten sich sicher. Die Stimme der Polin erkannte die Kammerfrau jetzt deutlich; die Stimme des Mannes unten wollte sie erschrecken; sie meinte, sie schon früher gehört zu haben, aber sie konnte sich nicht besinnen, wo, wann, unter welchen Umständen.

Von dem, was die Beiden sprachen, verstand sie kein Wort. Sie unterhielten sich in französischer Sprache; das konnte die Frau unterscheiden; sie hatte in ihrem früheren Dienst oft französische Conversation angehört; der fremden Sprache war sie nie mächtig geworden.

Die Unterhaltung dauerte länger, hatte zuletzt einen ruhigeren Charakter angenommen; es schien der Frau Erhardt, als wenn von beiden Seiten Vorschläge gemacht wurden, über die dann ein gegenseitiger Austausch stattfand, zuletzt wohl ein Einverständniß.

Das Gespräch hörte auf; die Polin verschwand aus dem Fenster, verschloß dieses; auch ihr Schatten war nicht mehr zu sehen. Unten war kein Laut mehr zu vernehmen; der Sprechende war geräuschlos gegangen, wie er geräuschlos gekommen war.

Wer war er? Die Frage wollte die Kammerfrau immer mehr beunruhigen; sie hatte schlechterdings keine Antwort darauf. Hinunterblicken in den Winkel, wo er stand, – hatte sie nicht gedurft, wenn sie sich nicht verrathen wollte.

Sie mußte in ihr Stübchen zurückkehren, später zu ihrer Herrin, der sie beim Auskleiden zu der Nacht Hülfe zu leisten hatte. Ihre Unruhe wußte sie zu verbergen. Sie theilte auch der Generalin nichts von dem mit, was sie gesehen und gehört hatte; es hätte die junge Dame nur ebenfalls beunruhigt. Noch mehr, die Generalin hätte wahrscheinlich ihrem Gatten Mittheilung gemacht, vor dem sie kein Geheimniß hatte. Er würde eine sofortige Untersuchung angeordnet haben, die vielleicht nur eine ganz unschuldige Begegnung herausgestellt, jedenfalls aber sie, die Frau Erhardt, als eine heimliche, gefährliche Horcherin dem ganzen Schlosse verrathen hätte. Am anderen Morgen wollte sie der Polin selbst Alles mittheilen und von dieser eine gleich offene Mittheilung verlangen. Mit dem Entschlusse legte sie sich schlafen, aber ihre Nacht war eine schlaflose.

Am anderen Morgen war die Polin verschwunden.

Sollte sie jetzt noch die Herrin, das ganze Schloß durch eine Entdeckung, die sie sogleich hätte machen müssen, in eine neue Unruhe versetzen und sich dadurch zugleich den Vorwurf zuziehen, daß sie nicht rechtzeitig Anzeige gemacht hatte? Und zu welchem Zwecke? Die Polin hatte nichts Fremdes, nicht einmal ihr sämmtliches Eigenthum mit sich genommen. Führte sie gegen das Schloß oder einen Bewohner desselben etwas im Schilde, so war man durch ihr plötzliches räthselhaftes Verschwinden allein eben so gewarnt, als wenn man auch noch ihre vorherige geheime Unterredung mit einem Fremden kannte.

Die Frau Erhardt beging einen gewöhnlichen menschlichen Fehler; sie machte zu ihrem ersten Fehler den zweiten: sie schwieg.

Sie machte dann den dritten: sie schwieg auch, als der General ermordet war, als das Gericht die Untersuchung über den Mord führte. Als Grund hatte sie ihr erstes Verschweigen, das man ihr zur Last legen könne. Freilich stand ihr zur Seite, daß, wenn sie auch Alles der Wahrheit gemäß bekundet hätte, darauf nur Vermuthungen zu bauen waren, denen mit Erfolg um so weniger weiter nachgeforscht werden konnte, als damals die Revolution in Polen noch in vollem Gange sich befand, die Grenze hermetisch verschlossen war, und das Gericht von den polnischen Revolutionsbehörden kein Entgegenkommen, keine Hülfe und keine Auskunft erwarten durfte, zumal für Verfolgung eines Verbrechers, der wahrscheinlich mit einem Befehle der Warschauer geheimen Nationalregierung in Verbindung stand.

Jetzt bekannte die Frau offen ihre Fehler; sie theilte Alles mit, was wir hier berichtet haben.

Für die Untersuchung konnte es auch bei der gegenwärtigen veränderten politischen Lage Polens nur von sehr zweifelhaftem Werthe sein, Hätte man auch sicher auf ein bereitwilliges Entgegenkommen der russischen Regierung rechnen können, so herrschte doch in dem unglücklichen Lande überall eine solche Verwirrung, es waren alle Verhältnisse, politische wie bürgerliche, so auseinandergerissen, daß die Ermittelung eines Verbrechers aus der Revolutionszeit nur dem Zufalle gelingen konnte. Was aus jener Zeit compromittirt war, hatte sich geflüchtet, oder war erschossen, oder sehnte in den Bergwerken Sibiriens den Tod herbei.

Andererseits hatte die Stimme, die mit der Polin flüsterte, die Frau Erhardt wohl, und zwar in nicht geringem Grade, beunruhigt; sie meinte, sie müsse sie schon gehört haben; aber sie meinte dies in jener Unbestimmtheit, die wir bezeichneten.

Jetzt, da ihr der Name Teufen genannt wurde, dachte sie an diesen; aber es war wohl nur ein Spiel ihrer Phantasie, beruhend auf einer äußerst losen Combination. Das mußte sich auch der Richter sagen, und es blieb für die Untersuchung nichts übrig, als der allerdings sonderbare Moment, daß der Irrsinnige zur Ausführung des Mordes, als dessen Thäter er sich bekannt, den Beistand einer Polin gehabt haben wollte, die im Schlosse genau bekannt gewesen war. Hatte er dabei gesagt, er habe auch die Generalin ermorden wollen, und die Polin habe dies von ihm verlangt, so schien das allerdings wieder damit übereinzustimmen, daß der Mörder mit der flüsternden Frau in der Mordnacht einen erregten Wortwechsel gehabt hatte.

Dagegen war indeß wieder zu beachten, daß die Kammerfrau die beiden Stimmen, deren Flüstern sie in jener Nacht gehört, nicht als die Stimmen der Polin und des in dem Winkel der Plättkammer mit ihr sich unterhaltenden Mannes wiedererkannt hatte.

So war im Grunde durch die Aussage der Frau Erhardt gar kein Resultat gewonnen.

Ein Verhör mit der Generalin mußte mit sicherer Voraussicht nicht minder resultatlos bleiben, wäre also eine unnütze Grausamkeit gewesen. Der Richter nahm Abstand davon.

Der Wachtmeister Taudien war noch da!

Wird er sich jetzt bequemen, zu sagen, wer ihn verwundet habe?

Der Richter ließ ihn herbeirufen.

Der alte Soldat erschien prompt, wie auf ein militärisches Commando. Aber als der Richter die erste Frage an ihn richten wollte, kam er dieser mit jener Festigkeit zuvor, die er schon bei seiner früheren Vernehmung gezeigt hatte:

»Herr Gerichtsrath, geben Sie sich. keine Mühe mit mir. Mein alter Kopf hat die ganze Geschichte vergessen. Sie können mich in das Gefängniß werfen lassen; dann gehe ich ein paar Wochen früher aus dieser Welt.«

Der Richter stand auch von seiner Vernehmung ab.

Dagegen machte er, wie wir hier gleich bemerken wollen, noch einen Versuch, durch die neuen Behörden in Polen etwas zu erfahren. Er hatte sich schon bald nach Niederwerfung der Revolution vergeblich an sie gewandt. Sein jetziger Versuch blieb eben so fruchtlos.

Die Generalin hatte von der Anwesenheit des Gerichts nichts erfahren. Auf Veranlassung der Frau Erhardt machte ihr Niemand eine Mittheilung, die nur nachtheilig auf sie einwirken konnte.

Der Mord auf Schloß Romnike war nach wie vor in das tiefe Dunkel gehüllt. Es sollte sich aufhellen, in entfernter Gegend, in unerwarteter Weise, zwei Jahre nach seiner Verübung.

 

Die Gräfin Randow befand sich wieder in dem Bade unfern der Residenz. Sie bewohnte wieder das schöne, elegante Landhaus, mit den großen Gesellschaftssälen, den kleinen Salons, den reizenden Boudoirs, dem schattigen Garten. Sie machte wieder ein großes Haus, gab glänzende Gesellschaften.

Sie hatte keine Schulden mehr, den abscheulichen Wucherer Moses Levi nicht mehr zu fürchten. Ihre Tochter Helene war durch Testament ihres ermordeten Gatten dessen einzige Erbin geworden, und bei ihrer Minderjährigkeit war der gesetzliche Verwalter ihres kolossalen Vermögens ihr Vater, der Justizminister Graf Randow, der von seiner Verwaltung Niemandem Rechnung abzulegen hatte, wenn seine Tochter sie nicht forderte, und die unglückliche junge Wittwe forderte sie nicht.

Ob die Gräfin Randow auch noch geheime Besuche empfing?

Sie befand sich wieder in ihrem reizenden Boudoir, aus dem man unmittelbar unter die Bäume des Gartens trat. Das Boudoir war heute nicht hell erleuchtet; es brannte darin nur eine einzige Lampe, deren dichter, tief hinunter reichender Schirm kaum ein halbes Dämmerlicht verbreitete, immer genug, um die volle Schönheit der Dame zu zeigen.

Die Gräfin Randow war noch die schöne Frau; das schärfste Auge hätte an ihr keine Veränderung zum Nachtheile ihrer Schönheit auffinden können; und wenn sie mit dem Dämmerlichte sich umgeben hatte, so mußte das zu einem besonderen Zwecke geschehen sein.

Sie saß oder sie lag vielmehr auf einem Sopha in der dunkelsten Ecke des Gemaches. Sie erwartete hier etwas, diesmal nicht mit Ungeduld.

Sie gab heute keinen Ball, keine andere Gesellschaft. Ihr Gatte war in der Residenz. Der Abend gehörte ganz ihr.

In dem Dunkel des Gartens nahte sich ein Schritt der offen stehenden Thür des Boudoirs.

Die Dame hörte ihn, horchte einen Augenblick auf, verblieb in ihrer reizenden Lage.

Der Schritt war an der Schwelle der Thür angelangt, machte draußen Halt, ohne sofort einzutreten.

Die Dame wollte sich darüber verwundern.

Da war er schon an ihrem Sopha, und sie wollte mit einem Schrei des Entsetzens aufspringen.

Eine kräftige Hand hielt sie nieder.

»Gemach, Adele!«

»Elender, Sie wagen es –!«

»Volle Ruhe, meine theure Adele!«

Ein Stilet, in der Hand des Sprechenden blitzend, gab der Drohung einen eigenthümlichen Nachdruck.

Die schöne Frau lag wie in Ohnmacht.

Der Drohende sprach zu ihr: »Meine theure Adele, mein Wiedersehen erschreckt Dich? Ich versprach Dir aber doch, wieder zu kommen. Erhole Dich! Nimm Dir die Zeit dazu, Du hast sie! Auch ich!«

Der Sprechende mußte die Dame genau kennen, und unzweifelhaft genau kannte sie der Fälscher und Galeerensträfling, der sich vor mehreren Jahren hier Graf Mogialski genannt hatte und den wir unter keinem anderen Namen kennen.

Die Gräfin Randow lag in keiner Ohnmacht mehr.

»Mörder!« stöhnte sie

Das Wort nahm dem Verbrecher seinen Humor nicht.

»Hm, Madame, kaufen Sie mir Ihr Leben ab, so werde ich an Ihnen nicht zum Mörder.«

Die Gräfin hatte Geistesgegenwart, wir wissen es. Sie konnte sich auch in Lagen finden, die einmal nicht zu ändern waren. Sie hatte schon dem Juden Moses Levi den Wucherschein unterschrieben.

»Was verlangen Sie von mir, mein Herr?« sagte sie.

»Du bist reizend, Adele!« rief er.

Er zog ein Papier hervor, hielt es ihr hin.

»Ich bitte um die Unterschrift dieser kleinen Anweisung. – Doch nein!«

Er zog das Papier zurück, sah sich in dem Gemache um.

»Ah, hier ist ja noch Alles, wie früher. Ach, der reizende kleine Schreibtisch dort. Möchtest Du Dich zu ihm bemühen, Adele, um diese Anweisung abzuschreiben und zu unterzeichnen? Wenn das Ganze von Deiner schönen Hand geschrieben ist, gehe ich um so sicherer.«

Die Gräfin war in der Gewalt des Menschen. Sie erhob sich. Er gab ihr seinen Arm, sie an den Schreibtisch zu führen, um der Sicherheit willen wohl. Sie nahm den Arm, setzte sich an den reizenden kleinen Tisch. Er blieb an ihrer Seite, legte ihr seine Anweisung hin, Papier für die Abschrift daneben, überreichte ihr eine Feder, setzte ihr das elegante Tintenglas zurecht. Er war die Höflichkeit und Aufmerksamkeit selbst, mit dem blitzenden Dolche in der Hand.

Sie las die Anweisung durch, bevor sie schrieb.

»Das ist eine ungeheure Summe!«

»Für ein schönes und theures Leben nicht zu hoch, Madame.«

Sie las die Anweisung zu Ende.

Ein Strahl der Hoffnung flog durch ihr Gesicht.

Es war ein Accreditiv auf ihren Bankier in der Residenz, der während der Saison ein Comptoir in dem Bade hatte.

»Während er geht,« sagte wohl ihr Hoffnungsstrahl, »sende ich einen Diener zu dem Comptoir, der ihm zuvorkommt.«

Sie schrieb die Anweisung ab, setzte ihren Namen darunter. Sie vermochte es mit fester, sicherer Hand.

Sie übergab ihm das Papier; er selbst nahm sein Concept. Er verglich beides, war zufrieden, wandte sich nach der Thür, die nach dem Garten führte. Sie warf einen Blick auf die gegenüber befindliche, in das Innere des Hauses führende Thür. Sie konnte diese mit einem Sprunge erreichen, während er einen Schritt zu der anderen hin machte. Aber er machte den Schritt nicht.

Er schnalzte mit der Zunge.

Aus dem Dunkel des Gartens erschien eine Frau in der Thür.

Sie war eine große schlanke Gestalt; ihr feingeschnittenes Gesicht war voll Anmuth, die durch den Ausdruck einer stillen Trauer gehoben wurde. Sie trug eine elegante Reisekleidung.

»Die Polin!« zitterte es über die erbleichenden Lippen der Gräfin.

Jetzt erst war sie erbleicht, indem sie die Frau sah, die nach der Beschreibung in den Briefen der Frau Erhardt keine andere sein konnte, als die Polin auf Schloß Romnike.

Der Polin übergab der Graf Mogialski die von der Dame ausgestellte Anweisung. Sie verschwand damit.

»Darf ich bitten, Madame?« sagte der freche Mensch dann zu der Gräfin.

Er bot ihr wieder seinen Arm; sie nahm ihn, diesmal wohl in der Verwirrung ihrer Sinne. – Sie kehrte an dem Arm eines Mörders zu dem Sopha zurück.

Einen Augenblick lag sie hier erschöpft; dann vermochte sie sich zu erheben.

Der Mörder von Schloß Romnike stand ruhig vor ihr, seinen Dolch in der rechten, seine Uhr; in der linken Hand.

Er gebot ihr, sich nicht zu rühren, wenn sie ihr Leben lieb habe; sie legte sich gehorsam in das Sopha zurück. Er sah auf seine Uhr. Als eine Viertelstunde verflossen sein mochte, schob er die Uhr in seine Tasche.

»Gnädige Frau,« sagte er dann, »Sie haben heute einen geringen Beweis meiner Aufmerksamkeit erhalten. Er wird bei mir nicht lange vorhalten. Meine Begleiterin und ich sind Beide gewohnt, auf einem großen Fuße zu leben. So werde ich bald genöthigt sein, Ihnen wieder einen Besuch abzustatten. Finden werde ich Sie, wo Sie auch sein mögen. Leben Sie wohl!«

Damit verschwand er in dem Dunkel des Gartens.

»Mörder!« rief sie ihm nach.

»Mörder! Zu Hülfe!« wollte sie laut rufen, daß es im Hause, im Garten, in der ganzen Nachbarschaft widerhallen solle. Sie vermochte keinen Laut hervorzubringen; ihre Zunge war gelähmt. Eine unnennbare Angst ergriff sie, sie wollte sich erheben, sie vermochte auch das nicht; ihre Glieder waren gelähmt, ihr ganzer Körper war es; ein furchtbarer Nervenschlag hatte sie getroffen, in Folge des Schrecks, der verhaltenen Wuth, der Todesangst. Das Bewußtsein hatte sie nicht verloren, und das war das Schrecklichste ihres Zustandes.

Sie war allein, von Menschen entfernt; sie war ohne Hülfe, in einer Lage, in welcher sie der dringendsten Hülfe bedurfte; sie hatte in naher Zeit keine Hülfe zu erwarten; in das Gemach, in dem sie sich befand, durfte ohne die dringendste Nothwendigkeit Niemand eintreten. Und jeder Augenblick, den sie ohne Hülfe zubrachte, konnte ihr den Tod bringen. Sie sollte sterben; sie sollte allein sein in ihrer Todesstunde!

Sie verbrachte Stunden so! Lange, qualvolle Stunden! Stunden der Todesangst! Auch der Reue, der besseren Vorsätze?

Es war später Abend, als endlich ihre Kammerfrau wagte, sich zu ihr zu begeben, als sie gefunden, erlöst wurde.

Aber war es eine Erlösung? Ihr Nervensystem war unheilbar zerrüttet. Sie mußte gelähmt bleiben für ihr Leben lang, und das Bewußtsein blieb ihr.

 

Sie lebt noch, die Frau der Sünde und des gestraften Leichtsinns.

Ihre Tochter Helene blieb noch manches Jahr ein Engel der Armen auf der Erde. Ganz genesen konnte sie nicht wieder; im vorigen Jahre kam sie zu der Ruhe, nach der sie sich gesehnt hatte.

Die Kammerfrau Erhardt ist seitdem die treue Pflegerin der Gräfin Randow.

Der alte Wachtmeister Taudien starb wenige Jahre nach den erzählten Begebenheiten. Er war immer der starre, verschwiegene Mann gewesen.

Als er seine Sterbestunde herannahen fühlte, ließ er die Frau Erhardt zu sich bitten. Er wollte die Geheimnisse der Mordnacht von Romnike nicht mit sich in das Grab nehmen. Er theilte der Frau Folgendes mit.

An dem Abend vor der entsetzlichen Nacht hatte er auf seinen Streifereien durch die Umgebung des Schlosses die Polin gesehen; nur in der Ferne, und er hatte nur gemeint, daß sie es sei. Bevor er sie genau erkennen konnte, mußte sie ihn erkannt haben; sie war verschwunden. Er setzte ihr nach; er fand sie nicht wieder. Um so beunruhigter wurde er; er war immer mißtrauisch gegen die Person gewesen. Um nicht unnöthiger Weise Andere zu beunruhigen, schwieg er. Den ganzen Abend jedoch befand er sich auf Wache; die Furcht vor einem Ueberfall der polnischen Hänge-Gendarmen war auch ihm nicht fremd geblieben. Er umschweifte das Schloß von allen Seiten, in der Nähe und in der Ferne. Er entdeckte bis Mitternacht nichts; er kehrte zum Schlosse zurück.

Allein überall hatte er nicht sein können, und wie leicht hatten die Menschen, die einen heimlichen Ueberfall vorhalten, durch die von allen Seiten das Schloß umgebenden dichten Waldungen, zumal in der dunklen Nacht, unbemerkt nach Romnike gelangen können! Als er bei dem Schlosse wieder anlangte, fand er es von den Polen besetzt. Sein Nahen war nicht wahrgenommen worden; er wußte sich unbemerkt zurückzuziehen. Aber wie seinem Herrn Rettung bringen?

Er machte mancherlei Versuche; sie mißlangen; überall waren Wachen aufgestellt. Er hätte noch durch ein lautes Zeichen die Bewohner im Innern benachrichtigen können; es hätte ihm sofort das Leben gekostet; er zweifelte nicht daran; und gewonnen war nichts dadurch, gegenüber den vorsorglichen Anstalten der Bande und der allgemeinen Furcht vor den Hänge-Gendarmen. Es zeigte sich ja auch nachher, wie die sämmtlichen Bewohner der »Häuser« durch die an diesen aufgestellten Posten waren zurückgehalten worden.

Eins gelang ganz zuletzt, aber zu seinem Schrecken. Er hatte unbemerkt das äußere, dem Park zugewandte Ende des alten Schlosses zu erreichen vermocht. Er wollte hier zwischen den vielen Winkeln der Mauervorsprünge und der Strebepfeiler einen sichern Platz aufsuchen, von dem er ein nach außen nicht vernehmbares Zeichen in das Innere geben könne. Er war in eine Falle gerathen. Hinter einem Pfeiler sprang ein Mensch hervor: Zwei kräftige Arme umfingen den Wachtmeister. Ein zweiter Mensch kam in demselben Moment und dessen höhnische Stimme sprach:

»Ach, Sie sind es, alter braver Wachtmeister.«

Es war der Graf Mogialski, der also sprach, und der Fälscher und Galeerensträfling fuhr ohne Unterbrechung fort:

»Ich bin unendlich erfreut, Sie hier zu finden. Von der einen Seite kann ich Ihnen das Leben retten, von der andern Ihrer Herrschaft die Ehre. Es werden in der heutigen Nacht auf Schloß Romnike sich wichtige Ereignisse vollziehen, sie sind nicht aufzuhalten, nicht zu verhindern; der tapfere General wird nicht mein Opfer, wenn er auch das Opfer meiner Hand wird, meiner Hand, die ein höherer Wille leitet. Indeß, mein Name darf dabei nicht genannt werden, wie unsere nationalen Acte der Gerechtigkeit überhaupt keinen Namen kennen. Nur Sie hier sahen mich, nur Sie kennen meinen Namen. Kommt der Name Mogialski über Ihre Lippen und wird er genannt, so war er nur über Ihre Lippen gekommen; es wird dann die Welt erfahren, was die Schwiegermutter des Generals und die leibliche Mutter der Generalin, was die Gräfin Randow mir war und daß ich in Wahrheit auf ihr Geheiß hier bin. Ja, mein braver Taudien, ich handele hier für eine heilige patriotische Sache, aber auch für jene Dame, die sich in Ungeduld verzehrt, bis ihre Tochter und durch diese sie selbst die Millionen des Grafen Waldern ihr Eigenthum nennen kann. – Gute Nacht, braver Wachtmeister!«

Der Graf, der Verbrecher, gab seinen Gefährten einen Wink. Der Wachtmeister war frei, konnte frei gehen.

Hatte der Mensch die Wahrheit gesprochen? Gleichviel, mußte der treue Diener sich sagen. Seine Drohung kann er wahr machen, und er würde sie wahr machen!

Er setzte um so mehr seinen Versuch fort, das Leben seines Herrn und jetzt wahrscheinlich auch das seiner Herrin zu retten. Es gelang ihm, in das Schloß zu dringen. Durch die Finsterniß hatte er sich unbemerkt an das Fenster der Portierloge zu schleichen gewußt. Es galt hier Muth. Der alte Soldat fühlte ihn doppelt in sich. Rasch stieß er das Fenster ein und auf. Ehe ein Posten an den Häusern ihn sah, hatte er durch die Oeffnung sich in das Innere des Gebäudes geschwungen. Mochten die Posten das Geräusch vernommen haben, verfolgen konnten sie ihn nicht, sie hatten ihn nicht gesehen; sie durften ihren Platz nicht verlassen.

Im Innern war es still, ruhig. Die Mörder waren noch nicht hineingedrungen. Er begab sich hinauf zu dem Korridor vor den Schlafgemächern der Herrschaft. Niemand war ihm begegnet. Er horchte an den Thüren der beiden Gemächer; er vernahm keinen Laut; der General mußte schlafen, ebenso die Generalin. Sollte er sie wecken?

Ein Schritt nahte sich dem Korridor.

Er ging ihm entschlossen entgegen.

Es war die Frau Erhardt. Sie theilte ihm mit, daß sie den General benachrichtigen wolle.

Da wurde ihm die ganze Situation klar. Der General war einerseits der muthige Mann, der vor keiner Gefahr zurückwich, der, sobald er erfuhr, welche Gefahr ihm hier drohe, ihr unerschrocken entgegengetreten wäre, sein und seiner Gattin Leben vertheidigt hätte, er ganz allein gegen eine ganze Rotte, der er nothwendig hätte unterliegen müssen. Andererseits, hatte die Frau einmal der Herrschaft ihre Mittheilung gemacht, so würde sie namentlich ihre Herrin nicht wieder verlassen haben; sie hätte dann den Grafen Mogialski sehen müssen, der noch kurz vorher gedroht hatte, sobald seine Name genannt werde, der Welt die Schande der Mutter der Generalin zu offenbaren. Er beschwor die Frau Erhardt bei ihrem Seelenheile, zurückzukehren.

Sie kehrte zurück.

Der alte Wachtmeister blieb allein in dem Korridor.

Er hatte einen Entschluß gefaßt; es war still um ihn her geblieben, im Hause, draußen.

»Sie sammeln sich zum Eindringen,« sagte er sich.

Er sah nur einen Weg der Rettung. Es war der, in das alte Schloß zu eilen, dort Alles zur Hülfe zu wecken; es schliefen dort muthige und bewaffnete Männer, die Forstbeamten, andere Beamten und Diener, die Soldaten gewesen waren.

Er eilte zu der Verbindungsthür zwischen den beiden Schlössern. Als er sie erreichte, fühlte er einen Stich in der Brust.

»Armer Wachtmeister, müssen Sie doch der Erste sein, der von meiner Hand fällt!«

Der Graf Mogialski faßte mit den Worten den Verwundeten unter, trug ihn in den Winkel des Korridors, daß er dort sterben solle.

Der alte Soldat starb nicht. Das Bewußtsein hatte er verloren. Als er erwachte, war es still um ihn her. Durch die Stille hörte er den Schritt und die Stimme der Frau Erhardt, die ihm eine Hülfe brachte, die er nicht wollte.

Das war es, was der Wachtmeister Taudien vor seinem Tode der Frau Erhardt anvertraute.

 

Wie aber der Schreiber dieser Zeilen nach dem Tode der übrigen betheiligten Personen die Geheimnisse der Mordnacht auf Schloß Romnike erfuhr, es gehört nicht hierher.

Eins jener Geheimnisse blieb unentdeckt. War die Generalin, die von der Kammerfrau weinend in ihrem Bette angetroffen wurde, auf ihrem Lager Zeugin des Mordes geworden? Hatte sie ihr Bett verlassen gehabt? War der Mörder, nachdem er seine That vollbracht, an ihr Lager gedrungen, um, boshaft und verworfen wie er war, durch sein Erscheinen, vielleicht durch Drohungen die Unglückliche in Wahnsinn zu bringen? Die Generalin hatte von der ganzen Schreckensnacht nie wieder ein Wort gesprochen.

Von dem Grafen Randow noch, dem Minister, dem Verschwender, dem Spieler – was geht er uns an?

* * *


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