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2.
Der Ball der Präsidentin.


Das berühmte Bad hatte im Sommer des Jahres 1862 seine glänzendste Saison. Allerhöchste, höchste, hohe und noch andere vornehme Herrschaften waren da; mit ihnen der eleganteste, feinste, der vornehmste und niedrigste Auswurf der menschlichen Gesellschaft, mit beiden mancher arme und unglückliche, brave Mensch.

Die große Welt findet ja in jeder kleinen Welt sich wieder.

Eins der vornehmsten und elegantesten Häuser war das des Präsidenten Grafen von Randow, vielmehr der Frau Gräfin. Der Graf kam weniger in Betracht; er war der hochgestellte und dabei besonders tüchtige Beamte, der daher den höchsten Stellen im Staate entgegen gehen konnte; er war von hohem, altem Adel, der daher jene höchsten Stellen erreichen mußte, zumal da er kaum die Mitte der vierziger Jahre erreicht hatte. Freilich war er ein Roué gewesen, ein Spieler noch. Um sein Haus und um seine Familie kümmerte er sich wenig.

Die Seele seines Hauses war seine Gemahlin.

Die Präsidentin, Frau Gräfin Randow, war, obgleich sie schon dem Ende ihrer dreißiger Jahre entgegen ging, eine der schönsten Frauen der Residenz, die schönste Frau des Bades, und sie machte ihr Haus zu dem elegantesten des Bades.

Sie gab heute einen Ball.

Sie hatte dazu keine große Gesellschaft geladen, aber eine desto sorgfältiger ausgewählte. Sorgfältig in doppelter Beziehung. Die distinguirtesten Personen sollten in ihren Salons erscheinen. Andererseits hatte die Gräfin ihre Einladungen für einen ganz besonderen Zweck, der für sie und die Ihrigen von der größten Wichtigkeit und der, wenn er erreicht werden sollte, das tiefste Geheimniß bleiben mußte.

Die schöne Dame – die schöne Präsidentin hieß sie in dem Bade, wie in der Residenz – befand sich in ihrem Boudoir. Sie war schon in voller glänzender Balltoilette, obgleich sie von ihren Gästen in der ersten halben Stunde Niemanden erwarten durfte. Sie schien dennoch jeden nächsten Augenblick etwas zu erwarten, ungeduldig sogar; denn sie ging mit Zeichen der Ungeduld in dem eleganten Gemache auf und ab, freilich auch mit Zeichen der Befriedigung Ihre Schönheit war heute eine strahlende; sie mußte Alles besiegen, was sie besiegen wollte.

Wenn sie auf ihrer ungeduldigen Promenade sich in einem der großen Spiegel sah, sie mußte, sich selbst bewundernd, ihren Schritt anhalten. Im Augenblick nachher mußte sie dann in das Dunkel des Gartens schauen, in das Gebüsch lauschen, ob nicht ein Blatt rausche, in den Gängen kein Schritt hörbar werde.

Das Boudoir der schönen Präsidentin lag zur ebenen Erde an dem Garten des Hauses, des Landhauses, das die Präsidentin für die Saison gemiethet hatte. Mit einem einzigen Schritt war man aus dem Gemache zwischen hohen Rosenstöcken, blühendem Oleander, duftenden Gewächsen des Südens.

Die Thür des Gemaches stand offen.

Die Dame glaubte in dem Garten plötzlich ein Geräusch gehört zu haben. Sie warf schnell noch einen Blick in einen der Spiegel. Ihr Antlitz, ihre Gestalt, ihre Toilette, Alles an ihr war in der That bewunderungswürdig. Sie trat in die offene Gartenthür. Sie blieb hier stehen. Sie stand in der vollen Beleuchtung des tageshellen Boudoirs. Wer, aus dem Dunkel des Gartens kommend, sie plötzlich so sah, mußte das schöne Weib für eine überirdische, die Sinne bezaubernde Erscheinung halten.

Ein Schritt im Garten nahete sich; er war noch in weiterer Ferne

Das Antlitz der Frau erröthete vor Verlangen, Sehnsucht; es wurde schöner mit jedem Augenblick!

Sie machte Miene, in den Garten zu treten, dem Schritte entgegen, in den Duft der Blüthen und Blumen, in die erfrischende Kühle des Abends.

Hinter ihr wurde leise die innere Thür des Gemaches geöffnet.

Die Präsidentin wandte, unwillig über die Störung, sich um.

Eine feine, blasse, ältliche Frau stand vor ihr.

»Was willst Du, Marianne?«

»Gnädigste Gräfin, Moses Levi ist da.«

Die Dame fuhr zurück, wie von einem giftigen Thiere gebissen.

»Weise ihn ab!« rief sie.

»Er will sich nicht abweisen lassen.«

»Der Elende!«

»Er drohet – er stößt abscheuliche Drohungen aus.«

Die schöne Präsidentin war wohl eine Dame des raschen Entschließens. Frauen ihrer Art müssen es sein.

»Wo ist er?« fragte sie.

»In dem kleinen blauen Salon hinten.«

»Ich komme. Sorge, daß Niemand ihn sieht. Er wurde doch nicht schon gesehen?«

»Von Niemandem.«

Die Kammerfrau entfernte sich.

Die Dame trat in die Gartenthür zurück.

Der Schritt im Garten war näher gekommen. Noch wenige Augenblicke und ein Herr trat aus dem Dunkel in die Halle, in der die Gräfin stand.

»Habe ich Dich endlich wieder, Adele?«

»Ich sollte Dir zürnen, Adalbert.«

Sie umarmten sich, der junge Mann und die schöne Frau.

Er war noch ein junger Mann, etwa in der Mitte der zwanziger Jahre; aber wie glich die wunderbare Schönheit der um zehn Jahre älteren Frau die Verschiedenheit des Alters aus!

Er war ein schöner Mann; eine hohe, schlanke, kräftig und doch elegant gebaute Gestalt; schwarze blitzende Augen, dunkelbraunes gelocktes Haar, ein fremdländischer Typus, gewandtes, einschmeichelndes Wesen.

Die Dame wand sich aus seinen Armen.

Er stand versunken in ihre Schönheit.

»Adele, wie schön bist Du!«

Er preßte sie noch einmal an sich.

Sie litt es, wie mit Widerstreben.

»Ich sollte Dir zürnen,« wiederholte sie.

»Morgen, morgen,« bat er.

Wollte sie auf seine Bitte nicht eingehen?

»Du bliebst so lange! Wie konntest Du es?«

»Ich mußte!«

»Wer vermochte Dich zu zwingen?«

»Auch das Morgen!«

»Du hast Geheimnisse vor mir, Adalbert! Mache nicht, daß ich Dir im Ernste zürnen muß.«

»Du wirst morgen Alles erfahren.«

»Du bleibst den Abend bei uns?«

»Dein Billet befahl es mir.«

»Verlaß mich jetzt; nach zehn Minuten kehrst Du zurück und läßt Dich anmelden.«

Die Miene des jungen Mannes verfinsterte sich.

»Du verabschiedest mich und Deine Gäste darfst Du vor einer halben Stunde nicht erwarten!«

Die Dame hatte sich schnell besonnen.

»Ich muß Helenens Toilette überwachen. Ich versprach es ihr. In zehn Minuten bin ich wieder bei Dir.«

Sie hielt ihm ihre feine schöne Hand hin.

Er drückte zärtlich die Hand und war aus der Helle des Zimmers in dem Dunkel des Gartens verschwunden.

Die Dame verließ das Gemach.

An dem entgegengesetzten Ende des geräumigen Landhauses lag halb versteckt ein kleiner, mit blauen Tapeten bekleideter Salon. Die Präsidentin empfing dort wohl manchen geheimen Besuch. Auch Moses Levi war da, den sie einen Elenden genannt, der nach der Mittheilung der Kammerfrau abscheuliche Drohungen ausgestoßen, freilich dadurch die Ehre, von der Dame angenommen zu werden, sich erworben hatte.

Sie begab sich geraden Weges zu ihm.

Moses Levi war ein wohlconditionirter Mann, alt genug, um in der Welt viel und vielerlei Erfahrungen gemacht zu haben, nicht zu alt, um diese nicht reichlich und immer zu seinem Nutzen verwerthen zu können; sein scharf ausgeprägtes orientalisches Gesicht zeigte dabei große Schlauheit und eine noch größere Gutmüthigkeit; freilich glaubte man darüber zweifelhaft sein zu müssen, welche von beiden Eigenschaften es verrieth, welche es verbarg.

Er hatte, bis zur Ankunft der Dame, es sich bequem gemacht; er hatte das Sopha des kleinen Zimmers eingenommen; er saß gemüthlich zurückgelehnt, dem Anschein nach in tiefen Gedanken.

Bei ihrem Eintreten erhob er sich, um sich dann desto tiefer, fast bis zur Erde vor ihr zu bücken.

»Unterthänigsten guten Abend, gnädigste Frau Gräfin und Präsidentin.«

Die Dame war kalt eingetreten.

»Sie kommen mir heute sehr ungelegen, Moses!« erwiderte sie seine Begrüßung.

»Habe es zu meinem unterthänigsten Bedauern von Hochdero Frau Kammerfrau bereits vernommen.«

»Warum belästigen Sie mich dennoch?«

»Wie heißt belästigen, gnädigste Frau Gräfin und Präsidentin, wenn man einer so hohen und edlen Dame eine Gelegenheit giebt, die schöne Tugend einer Dankbarkeit zu üben, die sie feierlich zu versprechen so oft die Gnade hatte!«

Die Worte waren von den unterwürfigsten Bücklingen begleitet.

Die Präsidentin blieb kalt.

»Ich verstehe Ihre Worte nicht. Aber lassen wir sie. Ich habe heute keine Zeit.«

»Die gnädigste Frau geben einen großen Ball!« sagte Moses Levi.

»Sie wissen also –«

»Und einen noblen, piquefeinen Ball!«

Die Dame erwiderte nichts; ihr Gesicht zeigte Ungeduld.

»Und,« fuhr der unterthänige Moses Levi fort, »der Ball kostet schweres, schönes, theures Geld.«

Die Dame schwieg.

Und Moses Levi sprach weiter: »Ich hörte in der Residenz davon, und da dachte ich, wenn die gnädigste Frau Gräfin und Präsidentin kann geben den großen und noblen Ball, der kostet das schwere theure Geld, so wird sie in ihrer Casse gewiß haben so viel, um den armen Moses Levi zu befriedigen, der sein letztes Geld für sie hergegeben, der hat Schulden machen müssen, um der gnädigsten Frau aus der Noth zu helfen, und es wird ihr sein eine Freude, mir zu beweisen ihre Dankbarkeit, die sie mir hat versprochen so oft, und wird mir zurückbezahlen mein Geld mit den Zinsen und einem artigen Douceur dazu, nach ihrem noblen Belieben.«

Er hatte immer unterwürfig gesprochen.

Die Dame wurde vornehmer; sie kannte ihn wohl noch nicht recht.

»Moses,« sagte sie strenge, »ich muß Sie in der That bitten, mich heute nicht ferner zu belästigen. Ich erklärte Ihnen schon, daß es mir durchaus an Zeit gebricht.«

Moses Levi wurde ein anderer Mann. Er richtete sich auf.

»Abweisen!« schnarrte er in dem breitesten jüdischen Dialekte. »Moses Levi abweisen? Wie heißt? Der Herr Präsident soll werden Minister, höre ich, hochgebietender Herr Minister! Wissen die gnädigste Gräfin, daß Moses Levi dabei ein Wort mitzusagen hat, ein großes Wort, ein Wort, das schwer wiegt, so schwer wie ein Minister! Wenn ich mich wende an unsern allergnädigsten Herrn und König, und ihm schreibe einen Brief, in welchem steht geschrieben: Allergnädigste königliche Majestät, der Mann, den Sie wollen machen zu Ihrem Minister, steht in meinen Büchern mit so und so viel, und seine gnädigste Frau Gemahlin schuldet mir noch mehr, und von Beiden kann ich nicht bekommen mein Geld und werde hingehalten.«

Die Dame unterbrach den drohenden Gläubiger nicht mehr so hochmüthig.

»In welcher Absicht sind Sie hier, Moses?« fragte sie einlenkend.

»Um zu fordern mein Geld!« sagte Moses in keinem nachgebenden Tone.

»Aber,« versetzte die Dame, »doch sicher nicht in der Erwartung, es gerade heute zu erhalten.«

»Warum nicht?« fragte Moses Levi.

Die Dame stimmte ihren Ton noch mehr herab.

»Sie hatten Recht, Moses, ich gebe heute ein großes Fest; es kostet viel Geld.«

» Mein Geld!« unterbrach Moses Levi.

»Und,« fuhr die Gräfin fort, »wenn man so viel Geld auszugeben hat, so bleibt für Anderes wohl nichts übrig. Das weiß gewiß Niemand besser als Sie. Sie kamen also in einer anderen Absicht hierher, und ich werde Ihnen sagen, in welcher, und einen Vorschlag daran knüpfen. Sie wollten die Lage, in der Sie mich zu überraschen wußten, zu einer Pression gegen mich benutzen, und wie viel soll ich Ihnen verschreiben?«

Die Dame kannte den Mann doch wohl.

»Die gnädigste Frau,« antwortete er, »wollten mir machen einen Vorschlag.«

Darauf erwiderte die Dame:

»Sie haben die Verschreibung gewiß schon aufgesetzt und bei sich. Geben Sie sie her.«

Moses Levi zog ruhig ein zusammengefaltetes Papier hervor, entfaltete es und überreichte es der Dame.

Sie las es.

»Es ist viel, sehr viel!« rief sie aus. »Aber Sie haben mich in Ihrer Hand.«

Moses Levi nickte mit dem Kopfe.

Sie setzte sich an einen kleinen Schreibtisch, der in dem Zimmer stand, unterschrieb das Papier, gab es zurück.

Moses Levi las die Unterschrift, war zufrieden, zog eine Brieftasche hervor, legte das Papier sorgfältig hinein, steckte sie wieder zu sich und sprach:

»Gnädigste Präsidentin und Gräfin, Dero Herr Gemahl wird Minister; das Patent liegt schon zur allerhöchsten Unterschrift im königlichen Cabinet. Ich weiß Alles. Wenn ich auch nur bin ein gewöhnlicher Jude, ich habe überall Bekanntschaften, ich komme überall hin. So weiß ich auch noch mehr. Der König ist ein frommer Herr und also auch ein ordentlicher und anständiger Herr, und wie er will, daß seine Beamten gehen in die Kirche, so sollen sie auch keine Schulden machen. Dero Herrn Gemahl schenkt Seine Majestät eine hohe Zuneigung. Hat er doch schon zweimal dessen Schulden bezahlt; er hat sich aber auch bei seiner königlichen Ehre verschworen, das drittemal keinen Groschen zu bezahlen, und der Herr Graf und Präsident erhielt zwar auch wohl eine Zeitlang Geld von den großen und reichen Bankiers, den Matadoren der Börse; aber da sie ihr Geld nicht bekamen zurück, mußten der gnädige Herr sowohl wie die gnädige Präsidentin sich wenden an Moses Levi, der nur ist ein geringer Mann, aber ein ehrlicher und verschwiegener Geschäftsmann, der hat geholfen bis heute mit Geld, der indeß nun nichts mehr hat, als einen guten Rath, und dieser ist: Machen Sie keine Schulden mehr, lassen Sie den Präsidenten aufhören mit dem Spielen und geben Sie auf die Bälle, die Bäder und die – jungen Herren. Es ist der gute Rath von Moses Levi, der in der Tasche hat den Herrn Präsidenten und auch die Frau Präsidentin, und den Herrn Minister und die Frau Ministerin. Und damit wünsche ich der gnädigsten Frau Gräfin einen fröhlichen und vergnügten Abend.«

Moses Levi verbeugte sich bis zur Erde und verließ das Zimmer.

Die Gräfin war glühend roth geworden; sie ward leichenblaß.

Sie warf sich auf das Sopha; sie mußte Kraft gewinnen; das Weinen war ihr nahe, aber nur dass Weinen des ohnmächtigen Zornes, des gedemüthigten Hochmuthes; sie konnte es unterdrücken; die Thränen hätten die Augen geröthet, matt gemacht, und die schönen Augen mußten doch in der heutigen Nacht so viel glänzen, so viel zu Tage bringen.

Der Gedanke kräftigte sie bald. Sie erhob sich elastisch. Sie trat vor den Spiegel. Der Glanz ihrer Augen war schon wieder da; das schöne Antlitz trug wieder seine frischeste Röthe; die ganze Gestalt war wieder bezaubernd. Die elegante Balltoilette war tadellos geblieben.

Sie verließ den kleinen Salon.

Draußen wartete die Kammerfrau auf sie; sie hatte eine Meldung:

»Der Herr Graf Mogialski!«

Die Frau hatte ein bekümmertes Aussehen.

Das schöne Antlitz der Dame hatte schnell den Ausdruck der Ueberraschung zu finden vermocht, ihn wohl schon vorräthig gehabt.

»Ah! Wo ist der Herr Graf?«

»Im kleinen Empfangssalon!«

»Und Helene? Ist sie mit ihrer Toilette fertig?«

»Die Comteß erwartet die Befehle der gnädigen Gräfin.«

Die Dame sann einen Moment nach.

»Bitte den Herrn Grafen,« sagte sie dann, »wenige Augenblicke auf mich zu warten.«

Sie ging zu ihrer Tochter.

 

Helene, Comteß Randow, war ein vollendet schönes Kind. Alles an ihr trug den Stempel der Anmuth, des Adels, trug den Liebreiz der Jungfrau, deren Bewußtsein noch ein kindliches ist, die nicht weiß, wie schön sie ist, und was ihre Schönheit gilt. Die Mutter wußte es um so mehr, das Eine wie das Andere, und das Kind sollte heute Manches erfahren.

Helene Randow zählte sechszehn Jahre. Sie war das unschuldige Kind geblieben, weil ihre Mutter sich nicht viel um sie gekümmert hatte. Salondamen haben genug mit sich zu schaffen und zudem den Kindern so Manches zu verbergen.

Die junge Comteß sollte heute zum ersten Male in die Welt eingeführt werden, in der kleineren Gesellschaft des Bades lernen für die größeren Gesellschaften der Residenz, für die Zirkel des Hofes.

Mutter und Tochter standen einander gegenüber; Beide so schön, aber wie verschieden schön!

Die Augen der Mutter überflogen prüfend die Schönheit, die Toilette der Tochter; aber mit Blicken, die das Kind erröthen machten, und den Blicken folgten Worte, die dem unschuldigen Herzen noch weniger wohlthun mochten.

»Du bist schön, meine liebe Helene! Wie wird man Dich bewundern! Aber nicht ängstlich, nicht schüchtern darfst Du sein. Die Mimose gedeihet bei uns nur in den Treibhäusern. In unserem frischen, fröhlichen Leben ist kein Raum für sie. Hier muß die Rose ihre Pracht entfalten, und Du bist eine so schön aufknospende, schon aufblühende Rose. Eine schönere, mein Kind, findet man nicht hier, wird man im Winter nicht in der Residenz finden. Darum sei frei und fröhlich Dein Blick, und Deine Lippe zeige Dein schönes Herz und Deinen gebildeten Geist. Du wirst dann alle Welt entzücken; der bescheidene Baron Teufen wird nicht von Deinen Fersen weichen. Und welche Freude wird Dein väterlicher Freund, der General Waldern, haben, wenn er sieht, wie sein kleiner Liebling bewundert wird, und – Ach, beinahe hätte ich vergessen, Dir zu sagen, daß der Graf Mogialski hier ist. Soeben meldet ihn mir die Erhardt an. Ich habe ihn warten lassen, um erst Dich zu sehen. Und da habe ich zugleich eine Bitte an Dich. Er wird hoffentlich den Abend bei uns bleiben. Darf er Dich in die Gesellschaft führen?«

Die Worte der Mutter hatten eigenthümliche Eindrücke auf die junge Gräfin gemacht, besonders die Erwähnung der drei Namen. Als die Dame den General Waldern nannte, hatten die Augen der Tochter wie in freudigem, kindlichem Stolze aufgeleuchtet; eine leise Unruhe hatte sie bei der Nennung des Barons Teufen verrathen; bei der des Grafen Mogialski war sie tief erröthet.

»Du wirst an meiner Seite sein, liebe Mutter?« war ihre Erwiderung auf die Bitte der Dame.

»Mimose!« lachte die Präsidentin. »Ich werde Dich beschützen, setzte sie hinzu, »vorausgesetzt, daß Du in Gegenwart des Grafen Mogialski eines Schutzes noch bedürfen könntest. Ich hole Dich hier ab.«

Sie ging.

Sie begab sich in den Empfangssalon, in welchem der Graf Mogialski auf sie wartete.

Als sie den schönen jungen Mann, der sie umarmen durfte, verlassen mußte, hatte sie ihm versprochen, in zehn Minuten wieder bei ihm zu sein. Mehr als eine halbe Stunde war vergangen.

Er empfing sie übellaunig.

»Du bist eine Andere geworden, Adele, seitdem Du hier bist!«

Sie erwiderte ihm: »Durch die zehn Minuten, die Du auf mich warten mußtest?«

»Es war länger!«

»Pah, gestrenger Herr Rechenmeister, wie viele Minuten enthalten die drei Wochen, die Du mich hier vergeblich auf Dich warten ließest?«

»Ich hatte eine dringende Reise zu machen. Du weißt es! Erst vorgestern konnte ich zurückkehren, und gab ich Dir nicht sogleich Nachricht?«

»Und ich ladete Dich sofort ein. Das wäre also ausgeglichen. Und nun, schmolle nicht weiter; Du bist keine Frau!«

Sie sprach immer in dem halb neckenden Tone; sie schien Alles, wenigstens sehr Vieles leicht nehmen zu können.

Er war noch nicht versöhnt, oder gab sich so.

Sie stellte sich vor ihn.

»Sieh mich an!«

Sie war so schön; ihre Augen glänzten wieder, als wenn kein Moses Levi dagewesen sei.

Ihre Schönheit zerschmolz doch seine üble Laune.

Er wollte sie umarmen.

Sie wehrte ihm es.

»Meine arme Toilette!« lachte sie.

Aber ihre Hände hielt sie ihm hin, und er sollte und durfte sie mit feurigen Küssen bedecken.

»Und nun,« sagte sie, »erwarte mich im Ballsaale. Du wirst Helene hineinführen.«

»Wie glücklich machst Du mich!« rief er.

Er verließ sie.

Sie kehrte zu ihrer Tochter zurück, die auf sie wartete.

Noch einmal musterte sie das schöne, schüchterne und so glückliche Kind.

»Gehen wir, meine liebe Helene!«

Sie gab dem Kinde ihren Arm, führte es bis in das Vorzimmer des Tanzsaales.

In der Thür des Tanzsaales erwartete sie der Graf Mogialski. Er eilte ihnen entgegen, sie, die ohne Herren erschienen, in den Saal zu führen.

Die Sitte gebot, daß er der Mutter seinen Arm lieh.

Es wäre aufgefallen, wenn sie ihn an die Tochter gewiesen hätte. Einen Augenblick drohte ihr eine kleine Verlegenheit. Ein halber Blick zur Seite rettete sie. Ihre Augen begegneten einem Augen- paare, das im Saale auf sie gerichtet war.

»Führen Sie meine Tochter!« sagte sie zu dem Grafen.

Der junge Graf nahm den Arm Helenens.

Ein Greis, dem schneeweißen Haare und auch wohl den Jahren nach, aber mit dem frischen, kräftigen Gesicht, mit der festen Haltung und den elastischen Bewegungen der hohen Heldengestalt, die durch die glänzende Generalsuniform doppelt gehoben wurde, ein Mann, der noch in der vollen Lebenskraft stand, hatte durch die geöffnete Thür die Präsidentin erblickt, ihre Tochter, den jungen Mann an dem Arm der Tochter. Er war ihnen entgegengeeilt. Er bot der Präsidentin seinen Arm, führte sie in den Saal, das junge Paar folgte.

Es folgte eine lange Zeit gegenseitiger Begrüßungen.

Der General Graf Waldern war an der Seite der Präsidentin geblieben.

Comteß Helene hatte sich fast ängstlich in der Nähe der Mutter gehalten, sie erschien zum ersten Male in der Gesellschaft.

Der Graf Mogialski hatte taktvoll seinen Arm aus dem Helenens zurückgezogen und sich selbst fast ehrerbietig hinter ihr aufgestellt.

Die Begrüßungen waren vorüber, auch die Huldigungen, die der Schönheit von Mutter und Tochter wurden, der Tochter mehr als der Mutter, denn nicht Alle, die da waren, wußten, daß dieser Mutter das Lob ihrer eigenen Schönheit höher stand, als der ihres Kindes.

Freilich nicht immer!

»Liebe Excellenz,« sagte die Präsidentin zu dem General, »Sie hatten noch kein Auge für meine Helene.«

»Doch, gnädige Frau, ich sah die Comteß.«

Die Antwort war frostig.

Die Dame sah ihn befremdet an. Sie war entschlossen:

»Was that Ihnen Helene?«

»Nichts –!«

»Dem Nichts sollte ein Aber folgen, Excellenz!«

Die Dame sagte es mit einer gewissen Aufwallung.

Der alte General war ein braver, offener, aufrichtiger Mann.

»Gnädige Frau, Comteß Helene hat mir nichts gethan, wie könnte das edle Kind mich verletzen! Ich habe auch nichts gegen sie, wie könnte ich einem Engel gram sein! Aber der Mann an ihrer Seite – er gefällt mir nicht«

Die Präsidentin athmete aus, wie von einer schweren Bürde befreit.

»O, Excellenz,« erwiderte sie, und ihre Stimme hatte den Ton leiser, schmerzlicher Klage, »der Graf Mogialski –«

Sie brach ab.

Der General, wie ihre Erwiderung ergänzend, sagte: »Gnädige Frau, es würde mich glücklich machen, wenn unsere Ansichten über den jungen Mann zusammenträfen.«

Leise erröthete, leicht erbleichte die Dame doch; aber sie entgegnete mit ihrer bekümmerten Miene: »Ich halte ihn für einen gefährlichen Menschen – ich muß ihn leider schonen.«

Ein »Warum!« schwebte wohl auf den Lippen des Generals, sprachen seine Blicke aus; über die Lippen kam es nicht.

Die Präsidentin hatte es erwartet.

»Mein Mann –«

Sie brach wieder ab, mit einem schweren Seufzer.

Sie wurden gestört.

Neue Gäste waren erschienen, brachten der Frau des Hauses ihre Begrüßungen.

Ein junger Mann unter ihnen fiel auf, er hatte etwas Besonderes; er wurde auch von der Präsidentin ausgezeichnet.

Er war ein hübscher Mann, wohlgewachsen, das nicht minder wohlgeformte Gesicht voll Intelligenz, sein ganzes Wesen voll Ruhe, seine Erscheinung dadurch eine imponirende und auf den ersten Anblick Zutrauen erweckende. Wenn man ihn dann aber näher betrachtete, so mußte man tief in dem Hintergrund der großen, dunklen Augen etwas bemerken, das zwar kein Mißtrauen zu erregen vermochte, das aber eine gewisse Beängstigung hervorbrachte, die Leidenschaft, die dort hinten für den Augenblick schlummerte, könne plötzlich losbrechen, könne und müsse dann furchtbar entfesselt werden.

Die Präsidentin mußte ihre ganze Fassung aufbieten, um einen leisen Schreck zu verbergen, als er mit seiner tiefen, stummen Verbeugung plötzlich vor ihr stand. Sie reichte ihm dann freundlich, gar freudig die Hand.

»Sie kommen spät, lieber Teufen!«

Er drückte ehrerbietig die Lippen auf die schöne Hand, die ein anderer junger Mann vorher mit den heißen Küssen hatte bedecken dürfen.

»Sie wissen, gnädige Frau,« sagte er dabei, »daß ich nicht liebe, mich vorzudrängen.«

Er sprach die Worte mit der Ruhe, mit der Gemessenheit seines ganzen Wesens.

Sie schienen doch der Dame einen kleinen Stich in das schuldvolle Herz gegeben zu haben.

»Warst du vorhin schon hier?« überflog ihr rascher Blick sein Gesicht.

Sie las nichts darin.

»Sahen Sie Helene schon?« fragte sie ihn.

Die erste Frage der zärtlichen Mutter war auch bei ihm nach ihrem schönen Kinde.

»Ich hatte noch nicht das Glück,« antwortete der Baron Teufen.

»Ich muß Sie zu ihr führen. Die Freude des Kindes wird eine große sein.«

Sie nahm seinen Arm.

Auf den General warf sie einen Blick zurück, der ihm sagen sollte und sagte, wie glücklich sie sei, ihre Tochter von dem Grafen Mogialski befreien zu können.

Sie führte den jungen Baron zu ihrer Tochter, freilich auch zu dem polnischen Grafen, der mit dem schönen Kinde noch im Saal promenirte.

Den Grafen hatte der Baron wohl zuerst gesehen; aus jenem Hintergrunde seines Auges schoß ein zuckender Blitz.

Der schönen Präsidentin entging nichts. In ihrem Auge erglänzte etwas wie Freude.

Dass eine Paar erreichte das andere.

»Der Baron Teufen, Helene!« sagte die Mutter zu der Tochter. »Ich weiß, welche Freude es Dir macht, ihn zu sehen. Er ließ sich dennoch zwingen, zu Dir zu kommen. Sei ihm nicht böse darüber.«

Comteß Helene war bei dem Erscheinen des Barons unruhig geworden, wie sie vorher bei der Nennung seines Namens ein leises Herzklopfen nicht hatte unterdrücken können. Einen wohlwollenden Blick hatte sie gleichwohl für ihn.

Der Baron sagte mit seiner Ruhe einfach zu ihr: »Gnädige Comteß, Ihre Frau Mutter las nicht in meinem Herzen.«

Helene erröthete.

Der Graf Mogialski schleuderte einen feindlichen Blick auf den Baron; der Baron gab den Blick mit Ruhe zurück.

Die Präsidentin wußte ihre Freude über die gegenseitige Feindseligkeit der beiden Nebenbuhler zu verbergen.

Helenens argloses Herz hatte nicht die feindlichen Blicke, nicht die heimliche Freude wahrgenommen. Ihrem Erröthen war der Ausdruck der kindlichen Freude über das Erscheinen des jungen Mannes gefolgt, dessen Ruhe für sie stets etwas Wohlthuendes hatte und dessen Ueberlegenheit sie sich gern unterwarf. Daß sie durch ihre Freude den Grafen verletzen könne, kam ihr nicht in den Sinn.

Die Musik gab das Zeichen zum Beginn des Balles.

Eine Situation, die doch peinlich werden konnte, schon wohl werden sollte, wurde dadurch beendigt, freilich, um sofort eine nicht minder peinliche zur Folge zu haben.

»Ich habe Ihre Zusage für den Tanz,« sagte der Graf Mogialski zu der jungen schönen Dame an seinem Arme.

Helene hatte keinen Widerspruch.

Der Herr von Teufen verfärbte sich einen Moment, hatte dann seine volle Ruhe wieder.

»Darf ich um die Ehre des nächsten Tanzes bitten, gnädige Comteß?«

Der Graf Mogialski antwortete für seine Dame:

»Ich bedauere, mein lieber Baron, die gnädige Comteß hat mir auch bereits den zweiten Tanz zugesagt.«

Er sprach die Worte mit einem herausfordernden Hohn.

Die Präsidentin wurde einen Moment leichenblaß. Sie hatte etwas Anderes beabsichtigt, als sie den Baron Teufen zu ihrer Tochter führte, die am Arme des polnischen Grafen promenirte. Sie hatte das Kind so besonders dringlich auf den Grafen aufmerksam gemacht, ihn ihr für den heutigen Abend zum Cavalier bestimmt, mit einer unverkennbaren Ostentation gegenüber der Gesellschaft.

Mit nicht geringerer Ostentation, wenn auch nur dem General Waldern gegenüber, hatte sie dann dem Baron versichert, wie ihre Tochter sich freuen werde, ihn zu sehen. Irgend eine Scene hatte sie dabei beabsichtigt; gleichviel in wessen Interesse, ob in dem des polnischen Grafen, oder in dem des Herrn von Teufen, oder gar des Generals.

Eine Scene, wie die jetzt entstandene, lag unzweifelhaft außer allen ihren Plänen, außer ihrer ganzen Berechnung.

»Ein Duell wird daraus folgen, ein Eclat, der Alles verdirbt!«

Sie erbebte vor den nächsten Augenblicken.

Der Baron von Teufen, dessen Auge in jenem tiefen Hintergrunde ein Inneres von leidenschaftlicher Gluth verrieth, hatte eine große Gewalt über sich. Nicht eine Miene, nicht der leiseste Wechsel der Farbe in seinem ruhigen Gesichte, nicht eine einzige Bewegung seines Körpers zeigte an, daß Hohn und Worte des Grafen nur den mindesten Eindruck auf ihn gemacht hätten. Er trat mit einer kalten Verbeugung schweigend zurück.

Die Präsidentin wollte wohl um so mehr erbeben; sie kannte den Baron. Aber sie war die leichtsinnige Frau.

»Der Abend ist doch gerettet! Bis morgen wird sich Rath finden.«

Das junge Paar trat zum Tanzen an.

»Darf ich um Ihren Arm bitten, lieber Baron?« legte die Dame mit ihrem freundlichsten Lächeln ihren Arm in den des Barons.

»Sie wollen mir diesen Tanz schenken, gnädigste Gräfin?«

Er sprach die Frage aus, wie einen Gedanken, der plötzlich kommt und auf den man kein sonderliches Gewicht legt.

Sie fühlte sich nicht dadurch gekränkt.

»Nein, mein lieber junger Freund,« erwiderte sie mit dem herzlichsten Tone ihrer Stimme. »Ein Tanz mit mir würde Ihnen kein Ersatz, vielmehr keine Genugthuung sein, und diese schulde ich Ihnen so sehr.«

»Sie mir, gnädige Frau?«

Es war zweifelhaft, auf welches der beiden ersten Worte er den Nachdruck habe legen wollen, und doch war der Unterschied ein so wesentlich erheblicher.

Sie erbebte nicht mehr; sie war wieder völlig Herrin ihrer Situation, ihrer Rolle.

»Zürnen Sie meiner armen Helene nicht,« bat sie. »Glauben Sie mir –«

Er mußte sie doch unterbrechen.

»Gnädige Frau, Sie legten meinen Worten einen Sinn unter, den sie nicht im entferntesten haben sollten.«

Sie sah ihn verwundert an, als wenn sie ihn frage, was denn er habe aussprechen wollen.

»Comteß Helene,« fuhr er fort, »ist ein Engel, nur in Einem Punkte anders, als wie wir uns die Engel denken. Sie sind die Beschützer der Menschen; Comteß Helene bedarf des Schutzes, eines besonderen Schutzes, gnädige Frau!«

Die Dame biß sich nicht auf die Lippen, aber im ernsten Nachsinnen hatte sie eine fast wehmüthige Klage.

»Wie sehr haben Sie Recht, mein junger Freund. Sie hat das arglose Herz! Und ich kann nicht immer an ihrer Seite sein. Ich habe so manche andere, so schwere, so bittere Sorge.«

Sie brach ab.

Sie ging schweigend an seiner Seite weiter. Auch er schwieg.

Welchen Eindruck haben meine Worte auf ihn gemacht? dachte sie wohl. Was will sie von mir? fragte er sich vielleicht. Vielleicht bedurfte es auch der Frage nicht mehr bei ihm.

Ein Rittmeister der Gardehusaren, der beste Reiter des Regiments und der erste Tänzer der Residenz, schritt auf das Paar zu.

»Baron Teufen tanzt heute nicht, wie es scheint?«

»Nein,« sagte kurz der Baron.

»Gnädigste Frau, darf ich um die Ehre bitten?«

Die Dame hatte wieder ein freundliches Lächeln.

»Mein verehrter Herr Rittmeister, wenn die Tochter anfängt zu tanzen, hört das Tanzen der Mutter auf.«

»Ich denke, nicht immer, meine Gnädigste,« erwiderte der Rittmeister. »Wenn Mutter und Tochter Beide die Zierde des Tanzes sind, so –«

Der Rittmeister stockte; er konnte seinen Nachsatz nicht finden. Er war wohl ein besserer Reiter und Tänzer, als Denker, auch wenn es sich nur um eine Schmeichelei handelte.

»So hat der Tanz eine doppelte Zierde!« ergänzte die Dame seinen Satz. »Und,« fuhr sie verbindlich fort, »damit unser Tanz in Frage keine doppelte Zierde entbehre, sehen Sie das Fräulein von Holstein dort: sie tritt soeben ein. Sie ist die eleganteste Tänzerin, wie der Rittmeister von Bruch der eleganteste Tänzer!«

»Auf Ehre, gnädigste Frau,« sagte vergnügt der Rittmeister von Bruch, »Sie verstehen einen Korb zu versüßen.«

Er begab sich zu dem eleganten Fräulein von Holstein.

»Mit einem versüßten Korbe!« mußte doch die Dame hinter ihm herlächeln.

Mit einer fast mütterlichen Herzlichkeit wandte sie sich wieder zu ihrem jungen Begleiter.

»Und welche Tänzerin suche ich nun für Sie aus, mein lieber Baron?«

»Keine, gnädige Frau!«

»Ah, so wären Sie mir böse! Das darf nicht sein. Ich habe eine dringende Bitte an Sie, und um sie erfüllen zu können, müssen Sie gerade tanzen.«

Er sah sie doch fragend an.

»Helene,« antwortete sie der Frage, »bedarf eines Beschützers. Sie sagten es selbst. Werden Sie heute Ihr Schutzengel.«

»Ich? Und gegen welche Gefahr?«

Das war zu viel für das Mutterherz.

»Sie kränken das Herz der Mutter,« sagte sie.

»Ich wollte es nicht,« erwiderte er aufrichtig.

Sie drückte ihm die Hand.

»Wohlan! Werfen Sie zu Zeiten Ihre Blicke auf Helene. Sie werden sie sehen, und beobachtende Blicke sind Schutzengel. Die Frau von Bodenbach ist ohne Tänzer. Sie ist eine liebenswürdige Dame und meine Freundin. Ich führe Sie zu ihr.«

Er widerstand nicht mehr. Sie führte ihn zu der Freundin.

»Meine liebe Emilie, der Herr von Teufen ist heute nicht bei guter Laune. Kann Jemand sie ihm verschaffen, so ist es meine reizende und liebenswürdige Freundin. Er bittet Dich um den Tanz.«

Der Herr von Teufen brachte seine Bitte an.

Die muntere und in der That reizende und liebenswürdige junge Frau schwebte an feinem Arm in die Reihen der Tanzenden.

Die Präsidentin athmete auf, aber nicht aus einer erleichterten Brust.

»Wird es zu einem Duell zwischen den Beiden kommen? Der Eine ist der hitzige, aufbrausende, leidenschaftliche Mensch! Der Andere weiß seine vielleicht noch glühendere Leidenschaft zu unterdrücken, bis der Moment für sein Handeln da ist. Wie verhindere ich einen unglücklichen Eclat?«

Nur an jenen unglücklichen Eclat, an kein anderes Unglück dachte sie. Sie sann nach. Sie wurde in ihrem Sinnen unterbrochen.

Ein ältlicher Herr stand vor ihr. Sie hatte in dem Rauschen der Musik, in der Bewegung der Gesellschaft sein Nahen nicht vernommen. Er hatte ein Aeußeres, das auffiel, aber nicht zu seinen Gunsten einnahm. Seine Gestalt war starkknochig, sein graues Gesicht war breit; die Augen darin stachen; zu dem Allen zeigte die hohe gewölbte Stirn Verstand und Geist. Das gesammte Wesen des Mannes wurde dadurch um desto unheimlicher. Er war in einfacher schwarzer Kleidung; die Brust bedeckten indeß mehrere, zumeist fremde Orden.

Er gehörte zu den geladenen Gästen der Präsidentin. Sie schien dennoch, als er plötzlich vor ihr stand, des unheimlichen Eindruckes, den er auch auf sie machte, sich nicht ganz erwehren zu können. Aber sie war die Weltdame.

»Endlich, Excellenz!« rief sie ihm zu, ihm ihre Hand hinhaltend, auf die er respectvoll die Lippen drückte.

»Der Herr Präsident hielt mich so lange,« war die entschuldigende Erwiderung.

»Ah, Sie sahen meinen Mann! Warum brachten Sie ihn nicht mit?«

»Der Herr Präsident war noch beschäftigt.«

»Er wird bald kommen?«

»Hoffentlich!«

Die Antworten des Mannes hatten etwas Eigenthümliches; man wußte nicht, ob es in den Worten lag oder in der Betonung, womit sie gesprochen, oder in dem Mienspiel des grauen Gesichts, oder in dem Stechen der Augen, von welch Allem sie begleitet wurden.

Die Präsidentin konnte eine innere Unruhe kaum verbergen. Eine Frage, die auf ihren Lippen schwebte, unterdrückte sie.

Der Herr sah ihre Unruhe.

»In den Sälen war Ihr Herr Gemahl nicht mehr,« sagte er. Das Wort »Säle« betonte er, als wenn er die Dame dadurch beruhigen wollte.

Sie schien noch unruhiger zu werden.

Auf einmal war er selbst unruhig geworden.

Sein Auge hatte die Reihen der Tanzenden durchflogen.

»Ah, gnädige Frau, Fräulein Helene auch hier?«

»Helene,« antwortete die Dame, »mußte einmal in die Gesellschaft eingeführt werden. Sie ist schon eingesegnet.«

»Ah, eingesegnet! Brave christliche Grundsätze. Ja, ja, eingesegnet, um in's Leben zu treten, und man tritt ja auch durch Gesellschaft und Ball in's Leben, und da bedarf man des Segens wohl am meisten, und Comteß Helene bedarf seiner unzweifelhaft.«

Die Sprache der sonderbaren Excellenz schien für die Präsidentin eine unheimliche zu werden. Die Dame wollte den Eindruck von sich abwehren.

»Warum Helene?« fragte sie herausfordernd.

»Weil sie schön und gut und unschuldig ist!«

Herausfordern konnte nach dieser Antwort die Präsidentin nicht weiter. Eine andere Erwiderung hatte sie nicht sofort.

Aber der unheimliche Herr hatte eine Frage:

»Wer ist der Tänzer der Comteß?«

Und die Frage schien eine Herausforderung an die Dame zu sein, und eine Herausforderung, die ihr Verlegenheit bereitete.

»Der Graf Mogialski,« erwiderte sie zögernd.

»Ach ja, ja!«

Die Antwort des Unheimlichen verrieth, daß er den Grafen kenne. Warum hatte er denn nach ihm gefragt?

»Excellenz kennen den Grafen?« fragte die Dame gereizt.

»Ich sehe den Herrn Grafen heute zum ersten Male.«

Der Unheimliche betonte jedes Wort so sonderbar, und seine Betonungen beunruhigten die Präsidentin. Sie hatte indeß keinen Muth zu ferneren Fragen, auch keine Zeit mehr.

Es waren neue Gäste angekommen, zwei, drei Herren, nicht zu gleicher Zeit, aber einer jedesmal kaum ein paar Minuten nach dem andern. Jeder von ihnen hatte etwas Wichtiges und zugleich Geheimnißvolles mitgebracht. Der Erste suchte bei seinem Eintreten einen näheren Bekannten aus, sprach leise ein paar Worte zu ihm; der Bekannte zeigte Erstaunen; Beide sprachen angelegentlich weiter, blickten dabei fast besorgt umher, ob sie beobachtet würden. Während sie so noch flüsterten, trat der zweite Herr ein; sofort schritten Jene auf ihn zu, es war, als wenn sie ihn erwartet hätten, als wenn er das, was der Erste mitgetheilt hatte, bestätigen, vielleicht ergänzen solle. Beides mußte der Fall sein. Geheimnißvolles Versichern auf der einen, neues Erstaunen auf der andern Seite. Der dritte Herr kam. Er sah Jene; er ging zu ihnen. Seine Miene verrieth eine Katastrophe in der Kette von Ereignissen, die von den zwei Ersten berichtet waren. Alle Vier zogen sich in einen Winkel des Saales zurück, wo sie ungehört und ungestört sich aussprechen konnten.

In dem Winkel standen sie so, daß sie in dem daneben liegenden Saale durch die offene Thür gesehen werden konnten.

Es war der Saal, in dem die Präsidentin mit der unheimlichen Excellenz sich unterhielt.

Die Dame sah die vier Herren, ihre gespannten, geheimnißvollen Gesichter. Sie erblaßte, konnte ihre Augen nicht von ihnen abwenden.

Der Unheimliche folgte den Blicken der Dame; er sah, was sie sah.

»Ah!« sagte er, nicht überrascht, aber errathend.

Dann glitt sein unheimlichster Blick über die Präsidentin.

»Um des Himmels willen, was ist geschehen?« rief die Dame.

»Hm, meine gnädigste Frau, der Herr Präsident hat seine Geschäfte jetzt beendigt. Ich hoffe sogleich die Ehre zu haben, Ihnen das Nähere mittheilen zu können.«

Damit verschwand er zu den vier Herren, die sich noch immer heimlich unterhielten.

Die Dame stand ohne Rath, ohne Entschluß.

Was geheimnißvoll gezischelt und geflüstert wurde, betraf ihren Gatten; sie konnte nicht daran zweifeln, der Unheimliche hatte es zu deutlich zu verstehen gegeben. Und was es war, was es nur sein konnte, auch darüber war ihr kein Zweifel. Sie mußte volle Gewißheit haben.

Der General Waldern kam aus dem Saal, in dem die Mittheilungen der vier Herren stattfanden. Der brave Mann erschrak, als er die Präsidentin sah, er hatte sie hier wohl nicht vermuthet.

Zu der Gräfin Helene, die noch tanzte, war sein zögernder, aber fester Schritt gerichtet.

Die gedrückte Miene des ernsten Soldaten ließ über den Grund seines zögernden Schrittes keinen Zweifel: er hatte dem schönen, fröhlichen Kinde etwas mitzutheilen, was mit Einem Schlage Frohsinn, Fröhlichkeit, Frieden und Glück eines ihm theuren Herzens zerstören, vernichten sollte.

Durfte er an der Mutter vorübergehen?

Sie trat ihm entgegen.

Ihr Weg wurde von einem Diener durchkreuzt, der eingetreten war, zu ihr eilig sprach:

»Der gnädige Herr läßt die gnädigste Frau Gräfin bitten, schleunigst zu ihm in das Cabinet kommen zu wollen.«

»Der Herr Graf zurück?« fragte sie, wohl um sich zu sammeln.

»Seit zwei Minuten.«

»Ich komme.«

Der Diener ging.

Sie setzte ihren Weg zu dem General fort.

Er war doch stehen geblieben, sie zu erwarten, aber nicht für ihre Absicht.

»Lieber General, was ist es mit meinem Mann?«

»Gnädige Frau,« erwiderte ihr der ebenso ernste, wie entschiedene Mann, »gehen Sie zu Ihrem Herrn Gemahl. Ihr Platz ist in diesem Augenblicke nur bei ihm.«

Sie wagte keinen Widerspruch.

»Und Helene?« fragte sie nur noch.

»Ich bin hier!« war die Antwort.

Und durch das Auge der leichtsinnigen Frau zuckte ein Blitz voll Hoffnung und voll Intrigue.

Sie verließ den Saal.

Folgen wir ihr.

Sie begab sich zu dem Arbeitscabinet ihres Gatten.

 

Der Präsident Graf Randow war vom Scheitel bis zur Sohle ein vornehmer Herr, eine hohe, feine Gestalt; die Züge des Gesichts aristokratisch, intelligent; ein geschmeidiges und zugleich würdevolles Benehmen. Der Mann mußte ein Minister oder eine der obersten Hofchargen sein. Zur Excellenz war er geboren. War er es noch nicht; – eine noble Passion hatte ihm schon entgegengestanden, aber nur, weil er sie zu wenig zu zügeln vermochte. Auch noble Passionen verlieren die Noblesse, wenn ihnen der Zügel gar zu frei gelassen wird.

Aber sollte er nicht dennoch Excellenz werden?

Er war allein in seinem Cabinet, als seine Gemahlin zu ihm eintrat. Er schritt darin auf und ab, mit ruhigem, gleichmäßigem Schritt; die Dame hatte es, trotz dem Klopfen ihres Herzens, schon draußen vor der Thür gehört.

Ruhig, ohne irgend eine Unruhe oder Bewegung seines Innern zu verrathen, empfing er sie; in dem vornehmen, glatten Beamten- oder Höflingsgesichte sah man keine Falten.

»Ich danke Dir, Adele, daß Du so freundlich meiner Bitte nachkommst.«

Die Dame kannte ihren Gatten wohl mehr, als er sie. Sie ließ sich durch sein Aeußeres schon längst nicht mehr täuschen; er machte gleichwohl noch immer Versuche, sich ihr zu verbergen. Seine Ruhe, die Glätte seines Gesichts verriethen ihr, wie sehr es in seinem Innern anders aussah.

Welche Rolle sollte sie ihm gegenüber spielen? Gar keine mußte ihr doch diesmal wohl die meisten Vortheile versprechen.

»Ulrich, um des Himmels willen, was ist mit Dir geschehen?«

Sie rief es mit den Tönen, mit allen Zeichen höchster Angst.

Ein Blick vollster Befremdung war seine Antwort.

»Darf ich bitten?« sagte er dann, auf das Sopha zeigend.

Sie ließ sich nieder.

Er setzte seinen Spaziergang fort, in dem sie ihn unterbrochen hatte.

»Nun?« rief sie ungeduldig.

Die Angst sitzt nicht tief bei Lebedamen, wie die Präsidentin war. Der Leichtsinn, der alles Gefühl in ihnen fortschwemmt, herrscht allein, wird zur Herrschsucht. Der Herrschsucht einer Frau gegenüber hat der Mann, der leichtsinnig ist, wie sie selbst, nur Ohnmacht, eine Ohnmacht, die in mancherlei Weise sich kund giebt.

Der Präsident setzte der Ungeduld seiner Frau Nichtbeachtung entgegen. Er spazierte auf und nieder, als wenn er in den tiefsten Gedanken sei.

Sie wurde ungeduldiger.

»Du ließest mich rufen! Du hast mir etwas mitzutheilen! Was ist mit Dir geschehen?«

Er schwieg.

»Was hast Du mir mitzutheilen? Warum ließest Du mich rufen?«

Er antwortete:

»Ich bin zum Minister ernannt!«

Sie sprang auf.

»Ah! Doch! Endlich sind unsere Wünsche erreicht! Theile mir mit!«

Ihr Gesicht glühte, ihre Augen strahlten, in Glück, in Freude.

Er blieb ruhig.

»Nun,« sagte er, »der König hat heute das Patent vollzogen. Es liegt auf dem Arbeitstisch in seinem Cabinet. Morgen soll ich zu ihm befohlen werden, er will es mir selbst übergeben.«

»Von wem hast Du Deine Nachrichten?« fragte die Dame noch.

»Vom Cabinetsrath des Königs.«

Ein Zweifel war nicht mehr zulässig, nicht mehr möglich.

Die Dame empfand etwas, wie ein besseres Gefühl.

»Ulrich!« rief sie, indem sie ihre Arme um ihn schlingen, seine Lippen küssen wollte.

Er wehrte ihrem Ungestüm zurück.

»Bleiben wir ruhig, Adele. So lange das Patent nicht in meinen Händen ist, bin ich noch kein Minister. Der König kann noch im letzten Augenblick das Papier zerreißen, und wenn ich bei ihm bin, es von ihm in Empfang zu nehmen, die Fetzen mir vor die Füße werfen.«

»Wie kannst Du nur auf solche Gedanken kommen?« sagte die Frau.

»Wenn der König von unseren Schulden hört! Du weißt, Adele, er haßt nichts mehr, als ein derangirtes Leben, derangirte Verhältnisse.«

»Pah!«

»Hast Du Geld, unsere Schulden zu bezahlen?«

»Sobald Du Minister bist!«

»Du hörst, daß ich es noch nicht bin.«

»Aber morgen!«

»Und bis morgen kann noch viel geschehen!«

»Beim König? Gegen Dich?«

»Ja!«

Der Präsident sprach das Wörtchen so bestimmt, so ernst, so schwer aus.

Die Angst kehrte zu der Frau zurück.

»Ulrich, Du hast mir nicht Alles gesagt! Dir ist etwas begegnet! Ein Unfall! Ein Unglück! Du willst es mir vergeblich verbergen!«

Er hatte kein Wort der Unterbrechung, der Beruhigung für sie.

Sie fuhr in steigender Angst fort: »Ich mußte schon mit der drückenden Sorge hierher kommen. Ich hatte verlegene Gesichter gesehen, die mich mieden; verdächtige Gruppen flüsterten, und der unheimliche Geheimrath kam aus der Gesellschaft, in der er Dich verlassen hatte und –

Der Präsident unterbrach endlich seine Frau.

»Ah, so weißt Du ja Alles.«

»Du spieltest?« fragte die Dame.

»Ja!«

»Unglücklicher! Und Du verlorst?«

»Ich verlor viel, sehr viel.«

»Elender!«

»Unter Verpfändung meines Ehrenwortes, bis morgen!«

»Ehrloser!«

»Wozu das Schimpfen, Adele? Wir erhalten keinen Groschen dadurch. Und Geld, zunächst Geld, viel Geld müssen wir haben. Und Du mußt es herbeischaffen!«

»Ich? Keinen Pfennig für Dich! Machst Du Schulden, bezahle sie selbst!«

»Und wer, Adele, bezahlte Deine Schulden?«

»Du nicht!« rief die Frau laut und voll Ingrimm.

Der Präsident blieb unerschütterlich ruhig.

»Freilich,« erwiderte er, »Moses Levi gab das Geld, aber nur mir. Dir hätte er keinen Groschen geborgt.«

»Ließest Du nicht zuerst für Dich leihen, Elender? Für Deine Ausschweifungen?«

»Gewiß, Adele! Und dann für Dich, für Deine – Ich will Dir das Wort Ausschweifungen nicht zurückgeben. Es bezeichnet eine öffentliche Verworfenheit, und bis so weit die Untreue einer Frau –«

»Verleumder!« fuhr in Wuth die Dame auf.

Der Präsident aber sagte sehr ruhig: »Woher bekommen wir Geld, Adele? Wir? Willst Du nicht für Dich allein operiren, so berathe Dich mit mir, und zum Berathen gehört vor allen Dingen ruhiges Blut. Geld müssen wir haben, für Dich, für mich, für unser Kind! Wir müssen es bis morgen früh haben. Zu Mittag ist mein Ehrenwort verwirkt und mit ihm mein Patent, auch wenn ich es schon in Händen hätte. Und handeln, operiren wirst doch Du müssen. Ich muß zur Residenz. Ueberlegen wir gemeinschaftlich.«

Die praktische Ruhe des Mannes machte auch die Frau wieder besonnen.

»Ueberlegen wir,« lenkte sie ein.

Und dem Hader folgte ein ruhiges Ueberlegen in vortrefflichster Uebereinstimmung der beiden durch eheliche und andere Bande verknüpften Seelen.

»Du sprachst von Moses Levi,« sagte der Präsident.

»Der Elende war hier,« erwiderte die Dame, »aber um zu mahnen und neue Erpressung zu üben.«

»Du gingst auf sein Verlangen ein?«

»Ich mußte.«

»Er traut uns doch noch; er wird weiter Geld geben«

»Wenn Du Minister bist, früher nichts.«

»Du bist überzeugt?«

»Ich kenne ihn.«

»Hast Du eine andere Quelle?«

»Der Graf Mogialski!«

Der Präsident runzelte die Stirn.

Die Frau verfärbte sich. Es war so selten, daß das glatte Gesicht des künftigen Ministers eine Falte zeigte. Sie mußte fortfahren, sie vermochte es nur zögernd:

»Er ist reich!«

»Bist Du davon unterrichtet?« fragte spöttisch und in sarkastischem Tone der Präsident.

»Der russische Gesandte selbst versicherte mich, daß die Grafen Mogialski zu dem reichsten polnischen Adel zählen.«

»Gewiß! Die Stadt Mogialski gehört ihnen. Aber konnte der russische Gesandte Dich auch versichern, daß dieser junge Herr, der sich Graf Adalbert Mogialski nennt, jenem reichen Grafengeschlechte angehört, daß er überhaupt ein Graf Mogialski und nicht ein herumfahrender Abenteurer ist?«

Die Dame wollte die Parteinahme für ihren Schützling nicht aufgeben:

»Sein vornehmes Wesen, seine gute Erziehung sprechen für ihn.«

»Für seinen Charakter und seine Wahrheitsliebe?« fragte der Präsident nicht ohne gewisse Selbstironie.«

»Er lebt auf einem großen Fuße!« sagte die Dame.

»Parbleu, Adele,« konnte, mußte der Präsident doch laut lachen, »das thun wir auch, und wie reich sind wir denn?«

Die Dame schwieg.

Er aber fuhr wieder ruhig fort: »Indeß, kein Mensch giebt sein Geld umsonst hin, nicht Moses Levi, der wucherische Jude, nicht Dein reicher Graf Mogialski. Was hast Du diesem zu bieten?«

Die Frau verfärbte sich noch einmal und zögerte noch einmal, und hatte zuletzt gar keine Antwort.

»Den Preis hast nur Du zu bestimmen,« wich sie mit leiser Stimme aus.

»Helene?« fragte er, und er blickte sie mit durchbohrenden Augen an.

Sie mußte ihren Blick, ihr ganzes Gesicht niederschlagen, das glühendroth und in der Secunde darauf leichenblaß war.

»Nein!« sagte sie dann entschieden.

»So rechne auf ihn nicht,« versetzte er ruhig. »Wen hättest Du sonst noch?« fragte er dann.

Die Dame sann nach, hatte keine Antwort, oder nicht den Muth, sie auszusprechen.

»Haben wir denn nicht alte Freunde?« wollte er ihr wohl zu Hülfe kommen.

Sie zuckte auf bei der Frage; er hatte in ihrem Innern eine Saite berührt, die hell und wieder dumpf nachklang, wohlthuend, Wunden schlagend. Sie mußte ihn fragend anblicken, forschend und fragend, ob sie seine, ob er ihre Gedanken errathen habe. Ihre Scheu vor seinem Blicke war plötzlich entschwunden. Zwei Secunden sahen die beiden Gatten einander an. Jedes hatte in die Brust des Anderen geschaut; Jedes hatte darin das Einverständniß des Anderen gefunden; Jedes auch die Rettung; der Mann mit dem Vertrauen auf Rettung, die Frau mit einer bangen Ahnung im Hintergrunde. Dennoch konnte kein Theil sogleich Offenheit gegen den Anderen finden.

»An wen denkst Du, Ulrich?« fragte die Frau.

»An alte Freunde, wie ich es aussprach.«

»Doch nur an Einen?«

»Gewiß.«

»Und wer wäre dieser Eine?«

»Warum verstellst Du Dich, Adele?«

»Warum willst Du mit der Sprache nicht heraus?«

»Adele, Du nanntest oft mit Zuversicht für die Zukunft den braven Waldern einen väterlichen Freund Helenens.«

Der Dame war ein Stein vom Herzen gefallen. Aber –

»Ulrich!« rief sie abwehrend.

Der Mann kannte seine Frau.

»Wozu die Komödie?« fragte er.

»Helene, das junge, schöne, Liebe schenkende und Liebe fordernde Kindl«

Es war doch ein Angstruf des Mutterherzens.

»Ich dachte an eine reiche Heirath für sie,« sagte mit seiner Ruhe der Präsident. »Aber geben wir den Gedanken auf.«

»Nein, nein! Aber machen wir vorher einen anderen Versuch.«

»Wüßtest Du noch einen?« fragte er.

»Der Baron Teufen ist reich,« sagte sie.

»Es ist bekannt!« bestätigte er. »Und an ihn wolltest Du Dein Kind verkaufen?«

»Hältst Du ihn für keine angemessene Partie?«

»Ich halte ihn für einen jungen Mann, der sehr besonnen und sehr genau zu rechnen versteht. Indeß, wenn er Deine letzte Rettung ist –«

»Der letzte Versuch!«

»So mache Deinen Handel mit ihm.«

Die Dame erhob sich, in ihre Säle zurückzukehren.

»Wirst Du mir folgen?« fragte sie.

»Nein! Ich habe dringende Arbeiten, sagst Du.«

»In der Nacht!«

»Ich müsse die Nacht zu Hülfe nehmen.«

Die Dame wollte gehen.

Er hielt sie zurück.

»Ah, noch Eins, Adele. Mußt Du unverrichteter Sache wiederkehren, so tragen sie morgen einen Todten aus diesem Gemache.«

Er zeigte auf ein Paar Pistolen, die neben seinem Schreibtische hingen.

»Ulrich!« rief entsetzt die Frau.

»Pah, meine Liebe, was willst Du? In Deinen Augen bin ich zwar ein Ehrloser. Aber die Welt soll mich nicht so heißen. Adieu!«

Die Dame verließ bebend das Cabinet des Gatten.

In ihre Gesellschaftssäle konnte sie nicht sofort zurückkehren; sie machte Umwege durch Korridors, in denen es kühl war. Als sie dann in dem Spiegel eines Vorzimmers sich gemustert und gefunden hatte, daß ihr Aussehen wieder salonfähig sei, begab sie sich zu ihren Gästen.

Unter diesen hatte während ihrer Abwesenheit sich etwas ereignet. Es zeigte sich ihr schon, als sie aus dem Vorzimmer in einen kleinen Salon trat, in dessen Einsamkeit Müde, oder die gern plaudern wollten, vor dem Geräusche der größeren Säle sich zurückzuziehen pflegten. Es standen in den Winkeln einzelne Gruppen, die sich lebhaft aber leise unterhielten, bei dem plötzlichen Erscheinen der Hausherrin plötzlich verstummten. Aus den größeren Sälen kam der Dame gar kein Geräusch entgegen.

»Was ist geschehen?« mußte die bebende Frau sich auch hier fragen.

Sie war im Begriff, in den nächsten größeren Saal einzutreten.

Der unheimliche Geheimrath kam ihr entgegen; er mußte sie gesehen haben; er hatte vielleicht auf ihre Rückkehr gewartet.

»Was war hier?« fragten ihn ihre angstvollen Augen.

»Darf ich um Ihren Arm bitten, gnädige Frau?«

Sie legte den Arm in den seinigen. Er führte sie in das leere Vorzimmer zurück.

»Was hier war, gnädige Frau?« begann er hier. »Stahl und Stein sind auf einander geplatzt; es wird wohl Feuer geben.«

»Der Herr von Teufen?« rief die Dame.

»Er ist der Eine!«

»Und der Graf Mogialski?«

»Hm, ja, dieser Herr ist der Andere.«

»Und was ist vorgefallen?«

»Der Herr von Teufen hat den anderen Herrn auf Pistolen gefordert. Drei Schritte Barrière, wenn ich recht verstand, und wenn –«

»Mein Kind! Wo ist Helene?«

»Im Saale!«

»Und die beiden Herren?«

»Noch leben sie, gnädige Frau. Erst morgen werden sie sich schlagen, freilich ganz in der Frühe, beim ersten Grauen des Morgens. Es wird ein interessantes Schauspiel werden. Unmittelbar vom Ball in den Tod, in elegantester Ballkleidung. Vorausgesetzt freilich –«

»Vorausgesetzt –!« wiederholte er nur mit zufriedener Miene für sich.

Die Präsidentin war eine Dame, der Angst und Schreck ihre Geistesgegenwart nicht zu rauben vermochten. Sie begab sich in den Tanzsaal. In dem Augenblick, da sie in die stille, drückende Schwüle des Saales trat, gab sie einem Diener den Befehl, die Musik spielen zu lassen.

»Einen Galopp!« setzte sie hinzu. Die Musik spielte; in dem Saale wurde es rege. Die heimlich flüsternden Gruppen lösten sich auf. Die jüngeren Herren eilten hin und her, Damen zu dem Galopp aufzufordern, die schon vorhin aufgeforderten in die Tanzreihe zu führen.

Die Präsidentin suchte ihre Tochter auf. Sie fand sie in dem Tanzsaale nicht; es war ihr lieb.

Auf den ersten Ton der Musik waren die beiden Gegner, der Graf Mogialski und der Herr von Teufen, erschienen. Der Graf, um mit einer der vornehmsten und elegantesten jungen Damen an dem Tanze Theil zu nehmen, der Herr von Teufen anscheinend, um zu beobachten, was sich begeben werde; vielleicht auch nur, um sich zu zeigen.

Sein Abenteuer mit dem polnischen Grafen war bemerkt, war bekannt geworden; es konnte ihm nicht entgangen sein, daß es mit seinen weiteren Folgen den Gegenstand der heimlichen Unterhaltungen der Gesellschaft, der mannigfachsten Combinationen bilde; da sollte man wissen, wie gleichgültig ihm das Alles sei, auch sein Leben, das in wenigen Stunden auf der Mündung eines Pistols stehe; er war eisig kalt und ruhig. Für den Gegner hatte er keinen Blick.

Das Benehmen des Grafen Mogialski war doch ein etwas anderes. Auch er hatte sich wohl zeigen wollen; aber er konnte seine Absicht dabei nicht verbergen; man sollte den Helden des Abends in ihm bewundern; er war unstät; seine Bewegungen waren hastig; seine Blicke flogen umher, sollten sicher und ruhig sein, verriethen die innere Aufregung und Unsicherheit.

Welchen Eindruck mußte das eine, das andere Benehmen auf Helene machen!

In einem Nebenzimmer fand die Präsidentin ihre Tochter an der Seite des Generals von Waldern.

Helene war blaß, angegriffen, hatte Thränen in den Augen; der alte General war bemüht, sie aufzurichten.

Das Herz der Mutter wollte aufjauchzen. Sie mußte den Anblick länger genießen. Das Paar hatte ihr Erscheinen nicht wahrgenommen. Sie blieb in der halbgeöffneten Thüre stehen, zu betrachten, zu lauschen. Worte vernahm sie nicht; aber mit welcher liebevollen Zärtlichkeit begleitete der tapferste Soldat seines Königs und vielleicht der reichste Mann seines Landes das, was er aufrichtend zu dem Kinde sprach, und wie treu und innig und glaubend und vertrauend hingen die Augen Helenens an den Lippen des – Greises!

»Aber ist er nicht noch ein stattlicher Mann?« sagte sich die Präsidentin, zufrieden, daß sie ein Ja! sich zurufen konnte.

Dann zog sich doch wohl ein Schmerz durch die Brust der Frau über das frische, jugendliche Kind an der Seite des siebenzigjährigen Greises.

Sie trat unbemerkt zurück. Sie suchte den Baron Teufen auf. Er stand einsam an einem Fenster. Er sah sie sich ihm nahen. Er blieb ruhig.

Sie war bei ihm; ihr schönes Gesicht hatte den Ausdruck des tiefsten Schmerzes.

»Mein lieber Teufen, wie konnten Sie das thun?«

»Darf ich um die Erklärung Ihrer Worte bitten, gnädige Frau?«

Er sprach so eisig kalt, wie sein Aussehen war.

Sie hatte um so mehr Schmerz und Angst.

»Wie konnten Sie mich und meine arme Helene so unglücklich machen?«

»Ich Sie, meine gnädige Frau?«

Er hatte schon einmal in ganz ähnlicher Weise sie gefragt; sie hatte damals ihre Geistesgegenwart nicht verloren; sie bewahrte sie auch jetzt.

»Sie haben den Grafen Mogialski gefordert –«

»Das macht Sie unglücklich?«

»Um Ihretwillen, mein junger Freund. Sie wissen, wie hoch ich Sie schätze –«

»Ich fühle mich hochgeehrt dadurch!«

»Und wie Helene – bei Gott, sehen Sie mich nicht so kalt, so fremd an. Glauben Sie mir, glauben Sie der unglücklichen Mutter, Helenens Herz wird brechen.«

Sie sprach mit Tönen des tiefsten, aufrichtigsten Schmerzes.

Er wurde unruhig; aber er war der Mann des trotzigen und tückischen Ingrimmes, wie man von ihm sagte. Der Ingrimm verbannte die Unruhe.

»Gnädige Frau,« sagte er, »Comteß Helene soll Genugthuung erhalten; ich werde mir alle Mühe geben, den Grafen Mogialski zu erschießen.«

Er verbeugte sich tief vor der Dame.

Sie verließ ihn; sie hätte mit den Zähnen knirschen mögen. Sie hatte ihrem Gatten den Herrn von Teufen als ihren letzten Versuch genannt.

Es war ihr erster gewesen und er war gescheitert, gescheitert für immer; sie konnte es sich nicht verhehlen.

Es flammte in ihren Augen. Ihre Rache machte Pläne.

Dann suchte sie zunächst ihre Tochter wieder auf. Sie mußte die Einzelheiten dessen wissen, was zwischen den beiden Gegnern sich zugetragen hatte; sie mußte ferner wissen, in welcher Weise der General Helene getröstet, aufgerichtet habe.

Danach mußte sie ihre weiteren Pläne einrichten; dann erst für diese den Grafen Mogialski aufsuchen.

Helene war nicht mehr da; aber auch der General nicht. Sie suchte Beide vergebens, in sämmtlichen Sälen. Von einem Bedienten erfuhr sie zuletzt, daß der General ihm befohlen habe, die Frau Erhardt in ein Vorzimmer zu rufen, daß er darauf selbst Helene in das Vorzimmer geführt und der Kammerfrau übergeben habe, und nicht zurückgekehrt sei.

Es war ein Triumph für die Dame; aber wie viel fehlte noch daran, daß es ein ganzer war, für die Rachepläne der Frau, auch wohl für das Herz der Mutter!

Sie mußte weiter suchen, den Grafen Mogialski, der den Baron Teufen erschießen sollte. Auf nähere Auskunft über das Vorgefallene mußte sie verzichten. Die Zeit drängte. Die dritte Morgenstunde war nahe, vielleicht schon angebrochen. Ein Morgengrauen drängte noch nicht in die erleuchteten Säle, konnte aber draußen in dem Dunkel schon beobachtet werden.

Die Präsidentin sah sich um in den hellen Sälen. Der Graf Mogialski war nicht mehr da; auch der Baron Teufen fehlte; mit Beiden waren andere jüngere Herren verschwunden, Officiere, die als Secundanten, Zeugen, Ehrenrichter bei Ehrenhändeln ihre Dienste leisten konnten. Alle mußten still und ohne das geringste Aufsehen die Säle verlassen haben. Es wurde getanzt, geplaudert, gescherzt.

Still wollte sich auch der unheimliche Geheimrath davon machen. Die Präsidentin sah ihm nach.

Auch er? Sie wollte sich darüber verwundern. Er hatte so geheimnißvoll das Wort: vorausgesetzt! ausgesprochen.

Sie eilte ihm nach. Er hatte den Saal schon verlassen; auch in den Vorzimmern war er nicht mehr. Sie kehrte nicht in den Saal zurück. Eine peinliche, angstvolle Unruhe trieb sie weiter. Die schwüle Luft, das heimliche Flüstern, das laute Leben der Gesellschaft hätte sie erdrücken müssen, und sie mußte Auskunft von ihrer Tochter haben, wenn auch nur, um auf einen Moment von der quälenden Angst ihres Inneren befreit zu werden.

Sie suchte das Zimmer Helenens auf.

Die Frau Erhardt trat ihr daraus entgegen.

Die Comteß leide unter den heftigsten Kopfschmerzen. Die Kammerfrau bat um des Himmels willen, die Arme der Ruhe zu überlassen.

Die Dame ging in ihr Boudoir, den reizenden kleinen Gartensalon, aus dem man unmittelbar in das Dunkel der Bäume, in die Frische der Nacht, in den Duft der Blüthen trat.

Es war am Abend, vor wenigen Stunden, so schön hier gewesen. Sie hatte in ihrer blendenden Schönheit hier gestanden, auf der Schwelle zwischen der Halle des Gemaches und dem Dunkel der Bäume; um sie her hatte überall die tiefe Stille geherrscht; durch die Stille hatte ihr Herz sehnsüchtig geklopft, hatte ihr Ohr und ihr Auge ahnend das Dunkel durchdringen wollen, und ein leiser, rascher Schritt hatte sich genaht; der schöne junge Mann hatte sie angestaunt wie ein Bild der Göttin der Schönheit, hatte in ihren Armen gelegen –

Ah, war das Alles nur ein Traum gewesen?

Ein sündhafter, aber ein glücklicher? Der letzte glückliche ihres Lebens?

Ein Frost durchzog ihre Glieder, ein Krampf drohte ihr das Herz zuzuschnüren.

Sie stand wieder auf der Thürschwelle.

In dem Gemach brannten noch die Lampen, Tageshelle verbreitend. Unter den Bäumen herrschte noch das tiefste Dunkel; aber über ihren Kronen lagerte kein Nachthimmel mehr; die Sterne waren erblichen, und ein kalter Wind, der durch die Zweige strich, bestätigte, daß der Morgen erwacht war.

Ein Frost schüttelte die Dame auf der Schwelle der Thür.

Sie wollte sich in das schützende Gemach zurückziehen. Sie vermochte es nicht.

»Jetzt!« rief es in ihr, »der Tag ist da! Die Schüsse müssen jeden Augenblick fallen! Der tödtende!«

»Jetzt!« wiederholten noch einmal die bebenden Lippen.

Da wurde unter den Bäumen ein nahender Schritt laut, leicht, rasch, wie am gestrigen Abend.

Sie stand, wie am Abend, auf der Schwelle zwischen dem tiefen Dunkel und der blendenden Helle.

Aber auch wie ein blendendes Bild der Schönheit?

Ihr ganzer Körper zitterte; ihr Gesicht war kreideweiß; die Züge darin wollten sich verzerren.

Der Graf Adalbert Mogialski trat aus dem Dunkel hervor, eiligen, flüchtigen Schrittes.

Auch er war so weiß; auch seine Gesichtszüge waren verzerrt.

»Adalbert, Du lebst?«

Keine Sehnsucht sprach die Worte; eine unnennbare Angst stieß sie hervor.

»Wie Du siehst,« war die Antwort der dringenden Eile, der kalten Wuth.!

»Und Teufen?«

»Sprechen wir von Anderem!«

Der Ton seiner Stimme wurde zugleich ein streng befehlender.

Die Präsidentin wich angstvoll, entsetzt in das Gemach zurück.

Er folgte ihr mit wilddrohender Miene.

»Was willst Du von mir?« mußte sie aufschreien.

»Geld.«

»Elender!«

»Geld!« wiederholte er ruhig, aber mit einer Ruhe, die mit Entsetzen erfüllen mußte. »Ich muß fort von hier. Ich bedarf Reisegeld! Viel! Du wirst mir Alles geben, was Du hast!«

Er sprach es befehlend, wie der Herr zu seiner Sclavin.

Sie hatte sich gefaßt; sie hatte es auch in diesem schrecklichen Momente vermocht.

»Mein Herr!« sagte sie, »Sie bekommen von mir nichts, gar nichts!«

Und er erwiderte ihr frech: »Erhalte ich kein Geld von Ihnen, so weiß morgen die Welt, was die Gräfin Randow, die Gattin des hochgestellten Präsidenten, der gerade morgen Minister werden soll, was diese Dame mir war!«

»Mein Herr,« sagte die Dame, »ich rufe die Diener!«

»Madame, Sie haben wohl nicht überlegt, was Sie da sprachen. Ihre Diener würden noch in der heutigen Nacht – aber der Morgen ist ja schon da. Also, Ihre Diener würden mit dem anbrechenden Tage erfahren, welch' ein verworfenes Geschöpf ihre Herrin ist.«

Sie wollte das Zimmer verlassen.

»Sie bleiben!« befahl er.

Sie schritt ruhig der Thür zu, die sie in das Innere des Hauses führte. Er stürzte auf sie zu, machte Miene, sie gewaltsam zu halten.

»Sie bleiben, wenn Ihr Leben Ihnen lieb ist.«

Die Dame hatte – man mußte es ihr lassen – Muth neben ihrer Gegenwart des Geistes.

»Räuber!« rief, schrie sie laut, daß es in dem Hause, in dem Garten widerhallte.

»Elendes Weib, Du wirst mich wiedersehen!« rief der Graf Adalbert Mogialski, rasend, mit den Zähnen knirschend.

Aber er entfloh, durch die Gartenthür, durch die er eingetreten war.

Der Hülferuf der Präsidentin war im Hause gehört.

Als man in das Gemach drang, fand man sie ohnmächtig am Boden liegen. Als man sie wieder zum Bewußtsein gebracht hatte, sprach sie verworrene Dinge über einen Raubanfall.


Was sich während der Abwesenheit der Präsidentin in ihren Gesellschaftssälen und als dessen Fortsetzung beim Morgengrauen draußen zugetragen hatte, war Folgendes.

Der Herr von Teufen ging zu einem der in den Sälen anwesenden Officiere.

»Sind hier Waffen zu haben, lieber Stangen?«

»Wozu mein Freund?«

»Zu einem Duell!«

»Pistolen?«

»Pistolen.«

»Gewiß! Ich bin versehen; mehrere meiner Kameraden sind es.«

»Erweisest Du mir einen Freundschaftsdienst?«

»Bedarf es der Frage?«

»Noch in dieser Nacht?«

»Auf der Stelle.«

»So fordere für mich den Grafen Mogialski, auf drei Schritt Barrière. Er hat zwar Zeit und Ort zu bestimmen; aber ich habe morgen eine weite Reise anzutreten; sage ihm, ich erwarte von seinem Muthe, daß er meiner Bitte nachgeben werde, uns noch vor Aufgang der Sonne zu treffen. Die Bestimmung des Ortes überlasse ich ihm.«

Der Herr von Stangen ging zu dem Grafen Mogialski.

»Herr Graf, ich komme im Auftrage des Barons Teufen zu Ihnen.«

»Ich hatte einen Auftrag von ihm, wie Sie mir ihn bringen wollen, erwartet.«

»Er fordert Sie auf drei Schritt Barrière.«

»Ich nehme die Forderung an.«

»Sie haben die Zeit zu bestimmen; indeß –«

»Ich überlasse die Bestimmung dem Herrn von Teufen.«

»Der Herr von Teufen bittet Sie um die Stunde vor Sonnenaufgang.«

»Zum ersten Morgengrauen, wenn es dem Herrn von Teufen gefällig ist.«

»Wir nehmen an. Den Ort wollen Sie bestimmen!«

»Ah, ich hatte schon darüber nachgedacht. Zehn Minuten von hier liegt, vom Walde umgeben, ein reizender einsamer Kirchhof. Kennen Sie ihn?«

»Ich kenne ihn; er wird angenommen. Ihr Secundant und Ihre Zeugen, Herr Graf?«

»Ein Secundant und ein Zeuge werden genügen!«

»Auch für uns!«

»Ich werde den Grafen Liebermann und den Herrn Schindler bitten, und wenn sie meine Bitte nicht abschlagen, die beiden Herren zu Ihnen senden.«

»Ich erwarte die Herren.«

Der Graf Mogialski begab sich zu den beiden Herren, die er genannt hatte; sie waren in der Gesellschaft.

Sie waren bereit, begaben sich mit dem Herrn von Stangen in ein leeres Nebenzimmer.

Ein Baron Weinfelder gesellte sich als Zeuge des Herrn von Teufen zu ihnen.

Die vier Herren vereinigten sich bald über das Nähere, das noch festzustellen war, verließen dann sofort das Haus, um die Waffen zu besorgen, einen Arzt herbeizuholen.

Das Alles war so ruhig, so still, ohne jegliche Ostentation verhandelt, daß vielleicht keine drei Personen unter allen nicht betheiligten Anwesenden eine Ahnung davon hatten, was geschehen war, was ferner geschehen solle.

Einem in der Gesellschaft war nichts entgangen. Es war der unheimliche Geheimrath.

Baron Huber hieß er. Er war Diplomat, er hatte früher vielen Gesandtschaften in vielen Staaten, großen und kleinen, angehört und vor einigen Jahren als Geheimrath mit dem Prädicate Excellenz seinen Abschied genommen, bald hier, bald dort seinen Aufenthalt nehmend. Die heimlichen Krummwege der Diplomatie hatten sein Wesen zu einer gewissen Unheimlichkeit ausgeprägt; er war aber ein ehrenhafter Charakter geblieben. Freilich mußte er sich für frühere amtliche Verschwiegenheit jetzt durch manche Ausplaudereien entschädigen; doch konnte er auch schweigen, wo es ihm geboten schien. Wir hatten schon einen Beweis davon.

Die Waffen waren herbeigeschafft; ein Arzt war gefunden. Graue Streifen verkündeten den baldigen Anbruch des Tages. Die beiden Secundanten begaben sich durch verschiedene Eingänge in die Gesellschaftssäle der Gräfin Randow. Jeder von ihnen hatte seinem Duellanten nur einen halben Blick zugeworfen, um sich dann wieder zu entfernen.

Die Duellanten verließen jeder ihre Umgebung, als wenn sie ein anderes Zimmer aufsuchen wollten, vereinigten sich draußen mit ihren Secundanten, setzten mit diesen den Weg zu dem Kampfplatze fort.

Der Geheimrath von Huber, der die Einleitungen geahnt, dann entdeckt hatte, mußte auch Zeuge des Ausganges sein. Er folgte den Duellanten und Secundanten, ohne daß sie von ihm wußten.

Zehn Minuten von dem Landhause der Gräfin Randow lag, von Wald umgeben, ein kleiner Kirchhof. Er lag still und einsam da, mit seinen grünen Grabhügeln, den schwarzen Kreuzen darauf. Er war der Kirchhof des Bauerndorfes, in dessen Nähe der elegante, von der vornehmsten Welt, namentlich der benachbarten Residenz, besuchte Badeort sich befand.

Die Zeugen und der Arzt hatten zuerst sich auf ihm eingefunden. In die Umgebung des dichten Waldes hatte der erste Schein der Morgendämmerung noch keine Helle senden können. Man mußte in der Dunkelheit nach einem geeigneten Platz zur Aufstellung der Kämpfenden umher suchen. In einem Winkel wurde er gefunden. Es waren dort keine Gräber; eine Trauerweide senkte ihre tiefen Zweige nieder.

»Der Begräbnißplatz für die Selbstmörder!« bemerkte einer der Herren.

»Pah!« erwiderten die Anderen.

Die Mensuren wurden abgemessen, mit Zweigen von der Trauerweide bezeichnet.

Der Arzt breitete sein Verbandzeug an dem Stamme der Weide aus.

Die Duellanten erschienen mit den Secundanten.

Das Dunkel war zu einem Halbdunkel geworden.

Zuerst war der Graf Mogialski da.

Er blickte umher.

»Nicht wahr, meine Herren, es ist reizend hier?«

»Die Todten ruhen hier sanft!« erwiderte einer der Herren.

»Die Seligen!« setzte er hinzu.

»Er ist ein ausgezeichneter Schütze!« flüsterte einer der Herren dem anderen zu. »Ich sah ihn auf dem Schießplatze.«

»Auf dem Kampfplatze,« wurde ihm entgegnet, »kommt es auf etwas Anderes an.«

»Wie mag der Baron Teufen schießen?« wurde gefragt.

Die Herren wußten es nicht.

Der Herr von Teufen hatte sich zur Seite gestellt. Er war mit seiner gewöhnlichen Ruhe erschienen. So blieb er.

Die Secundanten und Zeugen mußten gegenseitig ihre Waffen vorzeigen, diese laden.

»Auf die Mensur, meine Herren!« wurde dann commandirt.

Jeder der beiden Duellanten trat auf die Mensur, empfing von seinem Secundanten seine Waffe.

Das Halbdunkel war der klaren Helle des ersten Scheines der Sonnenscheibe gewichen.

Zeugen und Secundanten sahen noch einmal prüfend nach, ob Licht und Schatten richtig vertheilt, ob sonst Alles in Ordnung sei.

Zum Schießen sollte dann commandirt werden.

Da erschien zwischen den Gräbern und Kreuzen die starkknochige Gestalt, das breite Gesicht des unheimlichen Geheimraths von Huber, nichts weniger als eine diplomatische Erscheinung.

Er war schon wohl seit einigen Minuten in der Nähe gewesen, um in einem Sensationsmomente aufzutreten.

»Gemach, meine Herren!« rief er, als man seiner ansichtig wurde.

Man mußte doch mit dem Beginn des Kampfes warten, bis er da war. Es war möglich, gar wahrscheinlich, daß er Nachrichten, Mittheilungen hatte, die für das Weitere entscheidend waren.

Er erreichte den Kampfplatz. Er wandte sich zu dem Baron Teufen.

»Herr von Teufen, ich muß Sie bitten, von dem Duell abzustehen.«

Die sämmtlichen Herren sahen ihn an wie Jemanden, dem plötzlich durch irgend eine nicht wahrgenommene Veranlassung der Verstand geraubt ist.

Er fuhr jedoch mit einem Ernst und einer Bestimmtheit fort, die der unheimliche Mann früher wohl nie an den Tag gelegt hatte:

»Herr von Teufen, ich wiederhole meine Bitte!«

Der Herr von Teufen war nur scheinbar der ruhige Mann. In seinen Augen lauerte schon die Flamme des Zornes, der Ungeduld.

»Mein Herr,« sagte er, seine Leidenschaft noch unterdrückend, »ich bitte Sie, sich nicht in meine Angelegenheiten zu mischen.«

»Es handelt sich nicht um Ihre Angelegenheit allein, mein junger Herr!« war die Erwiderung des älteren Herrn.

»Um die Ihrige doch nicht etwa!« brach die Ungeduld des jungen Herrn los.

»Unzweifelhaft, mein lieber Baron!«

Man wollte doch glauben, mit dem Verstande der unheimlichen Excellenz habe es seine volle Richtigkeit nicht mehr.

Die beiden Secundanten, als die nächsten Hüter des Gesetzes und der Ordnung des Duells, glaubten einschreiten zu müssen.

Der Graf Mogialski hatte leise mit dem seinigen gesprochen; dieser hatte drei leise Worte mit dem Gegensecundanten gewechselt. Beide traten zu dem Geheimrath.

»Excellenz,« sagte der Eine, »wir bitten Sie dringend, uns hier nicht ferner zu stören!«

»Sie sind Edelmann!« setzte der Andere hinzu.

Das letztere Wort griff die Excellenz auf.

»Ja, meine Herren! Eben weil ich das bin, habe ich ein Recht, eine Pflicht, hier zu sprechen.«

Man stutzte doch. Der Graf Mogialski hatte sich leicht verfärbt. In den Augen des Baron Teufen blitzte etwas wie eine unbestimmte Ahnung auf.

Der Geheimrath fuhr fort: »Der Edelmann hält an Ehre, und ein Mann von Ehre hat nichts mit einem Ehrlosen gemein.«

Der Graf Mogialski war leichenblaß geworden.

Er sprang vor. Seine Waffe trug er schon in der Hand, er hielt ihre Mündung dem Geheimrath entgegen.

»Mein Herr, sollen Ihre Worte mir gelten?«

Er zitterte vor Wuth.

Die beiden Secundanten traten ihm entgegen.

»Herr Graf, was zunächst hier zu thun ist, haben wir Beide auszumachen, wir Beide allein.«

»Es handelt sich um meine Ehre!« rief der wüthende Pole.

»Allerdings –«

»Und meine Ehre vertheidige ich!«

»Als ein Ehrenmann! Und darum vorab geben Sie Ihre Waffe zurück.«

Sein eigener Secundant stellte die Forderung an ihn. Der Secundant des Herrn v. Teufen trat zu diesem.

»Ich bitte um Ihre Waffe; die Lage der Duellanten muß eine gleiche sein!«

Der Herr v. Teufen gab seine Waffe ab.

Der Graf von Mogialski that jetzt schweigend das Gleiche.

Die Secundanten wandten sich an den Geheimrath: »Sie sind uns Allen eine Erklärung Ihrer Worte schuldig!«

»Sie wird eine einfache sein, meine Herren,« erwiderte der unheimliche Mann. »Dieser Herr, der sich Graf Mogialski nennt, ist ein mehrfach bestrafter Betrüger und Fälscher. Seinen wahren Namen kenne ich nicht. Der Beweis meiner Behauptung ist jedoch auf der Stelle zu führen. Der Herr wurde in Rußland bestraft; sein Rücken wird noch die Spuren der Knute zeigen; er wurde in Frankreich bestraft; seine Schulter zeigt noch den Stempel der travaux forcés

Die Anwesenden hatten fast athemlos dem Geheimrath zugehört; ihre Blicke waren nur auf seine Lippen gerichtet. Als er endete und sie nach dem entlarvten Grafen Mogialski sich umschauen wollten, war der Betrüger und Fälscher nicht mehr da.

Man sah ihn noch unter den Bäumen des Waldes, zwei Secunden lang; dann war und blieb er verschwunden.

»Und,« sagte der unheimliche Geheimrath, »verfolgen wir ihn nicht, meine Herren, und vermeiden wir jedes Gespräch über das Vorgefallene! Wer Pech angreift, besudelt sich. Also geschwiegen um unserer Ehre, um der Ehre der Gesellschaft willen, die den Burschen aufgenommen hatte!«


Die Präsidentin hatte Verworrenes von einem Raubanfall gesprochen, als sie aus ihrer Ohnmacht erwachte. Sie wollte auch später nichts Näheres, nichts Bestimmtes angeben können. Sie erschien und war auch vielleicht so schwach, daß sie keinen Menschen mehr zu sprechen vermochte; die Kammerfrau mußte sie in ihr Schlafgemach führen. Dort ertheilte sie der Frau den Befehl, sich zu erkundigen, ob etwas während ihrer Abwesenheit in der Gesellschaft vorgefallen sei.

Die Frau hatte nur wenig erfahren.

Als aus den Sälen die Officiere nach einander verschwunden waren, dann der Graf Mogialski, darauf der Baron Teufen und zuletzt der unheimliche Geheimrath, war die Gesellschaft immer aufmerksamer und flüsternder geworden. Von einem Streit und einem wahrscheinlichen Duell zwischen dem Grafen und dem Baron war schon vorher die Rede gewesen; man sprach jetzt mit Gewißheit davon. Zuletzt herrschte überall die unheimliche Stille der Erwartung, der Furcht vor einer Schreckensbotschaft. Manche wollten auf ihr Eintreffen nicht warten, verließen heimlich die Säle, das Haus; der Morgen wurde ja auch schon hell. Und wie er heller geworden war, traf die Botschaft ein, indeß um mehr als die Hälfte verstümmelt. Ein Duell habe stattfinden sollen, sei aber im letzten Augenblicke durch den Geheimrath von Huber verhindert worden, der die Polizei herbeigeholt habe.

Ob dies auf irgend einer Angabe eines der Betheiligten beruhte, oder lediglich Combination der Gesellschaft war, konnte nicht ermittelt werden. Wahrscheinlich hatte der unheimliche Herr etwas Aehnliches verlauten lassen. Er war in das Landhaus zurückgekehrt.

Die Gesellschaft hatte sich darauf nach allen Seiten zerstreut. Die Säle waren leer. Die Bedienten räumten auf; löschten die Lichter.

Der General Waldern hatte sie früher verlassen, wie wir wissen. Er hatte Helene Randow hinausbegleitet.

Er hatte das Kind voll Angst vor Unglück gefunden. Die heimliche Unruhe, die so vielfach zu herrschen begann, hatte ihr nicht entgehen können; manche Seitenblicke waren dabei auf sie gefallen. Ein Duell zwischen dem Grafen und dem Baron, um ihretwillen! Eine tödtliche Angst wollte sie überfallen. Beide Herren hatten ihr eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit bewiesen, unter Bewilligung ihrer Mutter. Beide waren die angesehensten, die liebenswürdigsten jungen Männer.

Ihre Aufmerksamkeit schmeichelte dem Kinde, fand Dankbarkeit in ihrem treuen, braven Herzen. Sie fühlte zu Beiden sich hingezogen. Die Beiden waren jetzt Feinde, durch sie, standen sich vielleicht in tödtlicher Absicht, mit tödtlichen Waffen gegenüber, um sie. Da war der General zu ihr gekommen.

Er war ein alter Freund des Hauses. Er war befreundet gewesen mit dem Vater der Präsidentin, einem alten braven Officier. Entfernte Garnisonen hatten die Beiden getrennt; zuletzt der Tod des alten Obersten. In der Residenz hatte später der General die Tochter als Gattin des Grafen Randow wiedergefunden

Der Graf Randow war durch seine Geburt, seine Talente, seine Kenntnisse zu einer glänzenden Carrière bestimmt. Sein Leichtsinn, seine Spielsucht, sein Schuldenmachen hatten ihm vielfach im Wege gestanden; er machte sie dennoch. Er machte sie in Folge von etwas Anderem. Von dem Leichtsinn des Gatten kann die Gattin selten unberührt bleiben; sie wird unglücklich, oder mit ihm leichtsinnig.

Die Gräfin Randow wurde das letztere. Sie war es schon, als ihr Gatte in der Provinz angestellt war. Als er in die Residenz versetzt wurde, fand sie ein weiteres Feld, vermochte sie aber auch mehr ihren Lebenswandel vor den Augen der Welt zu verbergen. In der Residenz traf der General sie wieder. Der brave Soldat durchschaute sie bald, mußte sich zugleich überzeugen, daß sie nicht zu bessern, nicht zu retten war.

Da wurde ihm ein Anderes zur Pflicht. Helene, das einzige Kind der Präsidentin, stand damals in ihrem zwölften Jahre; sie war ein schönes, ein braves Kind; sie sollte nicht werden wie ihre Mutter. Das Kind fesselte den alten General an das Randow'sche Haus; er behütete sie; sie wurde sein Liebling; er wurde ihr Vertrauter.

Der leichtsinnige Vater, die sündhafte Mutter bauten ihre schlechten Pläne auf das Verhältniß zwischen der Tochter und dem Greise. Die Mutter freilich mit einem weiblichen Widerstreben in dem Mutterherzen. Aber hatte dieses Weib denn nicht die edle Weiblichkeit längst verloren?

Der General hatte Helene voll Angst vor Unglück in den Sälen gefunden, in denen fast überall bange, wenigstens gespannte Erwartung herrschte.

»So allein, meine liebe Helene?«

»O, lieber General, wie freue ich mich, Sie zu sehen!«

»Du bist gedrückt! Kann ich Dich aufrichten?«

»Wenn Einer es kann, so sind Sie es! Nur Sie!«

»Und was fehlt Dir?«

»Haben Sie beachtet, was hier geschehen ist?«

»Ich sah Manches, was mir nicht gefiel!«

»Auch an mir? Von mir?«

Helene wurde blaß und roth bei der Frage.

»Nein, meine liebe Helene, Du trägst keine Schuld.«

»Schuld! Ah, was wird denn werden?«

»Erwarten wir es ruhig.«

»Ein Duell?«

»Helene,« sagte der General, »beantworte mir offen ein paar Fragen.«

»Bin ich nicht immer offen gegen Sie?«

»Ja, mein Kind. Sei es auch jetzt! Würde es Dich unglücklich machen, wenn der Graf Mogialski erschossen würde?«

»Um meinetwillen?« rief das Kind entsetzt.

»Nimm an, um einer Dir völlig fremden Angelegenheit willen!«

»Wie sollte auch da sein Tod mich nicht unglücklich machen?«

Ein leiser Zug, nicht des Unmuths, aber des Schmerzes zog durch das Gesicht des Generals.

Nach dem Grafen Mogialski fragte er nicht weiter. Aber –

»Wenn aber der Baron Teufen erschossen würde? Gleichfalls um eine Dir völlig fremde Angelegenheit?«

»Es würde mich nicht minder betrüben.«

Das Gesicht des Generals zeigte keinen Schmerz mehr.

»Meine liebe Helene,« sagte er, »beruhige Dich. Ich habe dringenden Grund zu der Annahme, daß weder dem einen noch dem andern der jungen Herren ein Leid zugefügt werden wird.«

»Wir werden Sie hier wiedersehen?« fragte rasch und lebhaft das Kind.

Etwas wie Unruhe konnte der alte General doch nicht verbergen.

»Du bist ermüdet, mein Kind,« sagte er. »Heute Nacht oder in der Frühe des angebrochenen Morgens wird sich hier nichts mehr ereignen. Willst Du nicht Dein Zimmer aufsuchen?«

»Wo ist meine Mutter?« mußte Helene fragen.

Die Abwesenheit der Mutter war ihr erst jetzt aufgefallen.

»Vielleicht bei Deinem Vater. Er kam vor einiger Zeit zu Hause.«

Das Kind stutzte. Die Mutter hatte um des Vaters willen wohl noch nie die Gesellschaft verlassen.

»Was ist denn geschehen?« fragte sie. »Es ist hier Alles so sonderbar.«

»Ein Gebäude, das auf keinem festen Grunde sieht, muß endlich zusammenbrechen,« wollte der General wohl antworten. Dem schuldlosen Kinde gegenüber schwieg er.

»Auch Sie, lieber General, sind so ganz anders!«

Da mußte er doch sprechen.

»Meine liebe Helene, was hier geschehen ist und ferner geschehen wird, ich kann es Dir nicht sagen. Es wäre besser für Dich, Du erführest es nie. Aber was auch kommen mag, was Du erfahren magst, hast Du Vertrauen zu mir?«

Das Kind war auf den Tod erschrocken.

»Hast Du Vertrauen zu mir,« fuhr der General fort, »daß ich nur Dein Bestes, Dein Glück will?«

»Gewiß, gewiß!« rief Helene. »Wie könnte ich daran je zweifeln?«

»So verzage nicht, was auch geschehen mag. Und noch Eins, wenn Du Deine Mutter unglücklich siehst, theile ihr die Worte mit, die ich zu Dir sprach. Es wird ihr das Herz erleichtern.«

»Edler Mann!« seufzte das Kind, die Hand des Greises drückend.

Er winkte einen Diener zu sich.

»Frau Erhardt soll die Comtesse im Vorzimmer erwarten.«

Der Diener ging.

Der General führte nach einer Minute die Comtesse in das Vorzimmer, übergab sie der erwartenden Kammerfrau.

Zum Abschiede küßte er das schöne blasse Kind auf die Stirn. Sie drückte ihm noch einmal die Hand.

»Edler Mann!« hatte sie zu ihm gesagt. Das letzte Ziel seiner Absichten hatte sie nicht ahnen können Aber war es denn ein verwerfliches? Nur ein egoistisches?

Die Frau Erhardt führte die junge Gräfin in ihr Schlafgemach, war ihr beim Auskleiden behülflich, kehrte zu der Präsidentin zurück, um dieser mitzutheilen, was sie wußte.

In einem Korridor begegnete ihr der Geheimrath von Huber.

Er gehörte zu den näheren Bekannten des Hauses.

»Die gnädige Frau noch aus, Frau Erhardt?«

»Ich weiß es nicht, Excellenz.«

»Sehen Sie nach, Frau Erhardt, und wenn die Gnädigste mich noch empfangen kann, so sagen Sie ihr, ich hätte ihr wichtige Geheimnisse mitzutheilen.«

Der unheimliche Mann hatte das Aussehen eines wichtigen und unheimlichen Geheimnisses.

»Ich werde es der gnädigen Frau berichten,« sagte die Frau.

»Und ich werde hier warten.«

Die Frau ging zu der Präsidentin, berichtete die Worte des Herrn von Huber.

Die Augen der Dame leuchteten. Von dem unheimlichen Manne durfte sie Aufklärung erhalten. Gefaßt war sie schon wieder vollständig.

Er wurde sofort vorgelassen

Ihrer Frage kam er schon zuvor.

»Gnädigste Frau,« hob er an, »zunächst habe ich die dringende Bitte, daß Sie die Gnade haben wollen, mir zu verzeihen.«

»Was hätte ich Ihnen zu verzeihen, Excellenz?«

»Sie fragten mich nach dem Grafen Mogialski!«

»Und Sie antworteten mir, daß Sie ihn noch niemals gesehen hätten.«

»Es war eine diplomatische Antwort, meine gnädige Frau!«

»Darf ich um eine Erklärung bitten?«

»Die gnädige Frau fragte mich, ob ich den Grafen Mogialski kenne. Darauf konnte ich, ohne die Wahrheit zu verletzen, ruhig antworten, den Grafen Mogialski hätte ich früher noch nicht gesehen. Den Mann, der den Namen jetzt führte, kannte ich wohl.«

»Und?« fragte gespannt die Dame.

»Haben Sie die Gnade, mir die Mittheilung einer kleinen Begebenheit zu gestatten, die vor einer halben Stunde, wohl auch schon etwas länger, hier in der Nähe sich zutrug. Kennen Sie den reizenden Kirchhof drüben im Walde?«

»Mein Gott, auf einem Kirchhofe! Was geschah dort?«

»Sie kennen ihn also nicht?«

»Nein, nein!«

»Nun wohl, dort wollten die beiden Herren sich schießen.«

Die Präsidentin fragte nicht: welche beiden Herren.

»Sie standen,« fuhr der Unheimliche fort, »mit den Waffen in der Hand einander gegenüber. Da hatte ich jedoch eine Ehrenpflicht zu erfüllen, gegen den braven Teufen und gegen die anderen Ehrenmänner, die da waren, und ich erklärte ihnen, daß mit einem Fälscher und Betrüger ein Duell, ein Ehrenkampf ein unmögliches Ding sei, und der Mensch, der sich Graf Mogialski nenne, trage auf seinem Rücken die Striemen der russischen Knute und auf seiner Schulter das französische Bagnozeichen. Und, meine gnädigste Frau, nach zwei Secunden, womöglich in noch kürzerer Zeit, war der Mensch verschwunden.«

Die Präsidentin verhüllte ihr Gesicht so ganz und gar mit ihrem Batisttaschentuche, daß man von der Leichenblässe, die unzweifelhaft die verzerrten Züge bedeckte, nur eine Ahnung haben konnte.

Der Unheimliche fuhr in seiner Weise ruhig fort: »Die sämmtlichen anwesenden Herren gaben mir und sich das Versprechen, den Vorfall geheim zu halten. Wir waren es unserer eigenen Ehre schuldig und besonders der Ehre des Hauses, dessen Gäste wir sämmtlich heute gewesen waren. Ich, meine Gnädigste, war mir besonders noch schuldig, Ihnen, der ich die Unwahrheit im ersten Momente gesagt hatte, die Wahrheit zu entdecken.«

»Habe ich Ihre Verzeihung, gnädigste Frau?« damit schloß der Unheimliche seine Erzählung.

»Excellenz, Sie haben mich zu lebhaftem Danke verpflichtet.«

Die Dame reichte ihm die Hand; sie bebte nicht; sie zeigte ihm ihr Gesicht; es war nicht mehr blaß.

Er empfahl sich.

Die Präsidentin machte ihre Pläne. Es war wohl nur einer. Aber der Mittel und Wege zu seiner Ausführung waren mehrere. Sie mußte lange nachsinnen.

»Zuerst zu meinem Kinde!« sagte sie dann …

Trieb das Mutterherz sie dahin?

Helene lag bleich und kummervoll auf einem Bette.

»Armes Kind, meine theure Helene, wie hast Du gelitten!«

»Du weißt Alles, Mutter?«

»Alles, auch, daß dieser Graf Mogialski ein Betrüger, ein bestrafter Fälscher war.«

»Mutter, Mutter!« schrie die Tochter auf.

»Und was ist es mit ihm und Teufen geworden?« fragte sie dann.

Die Mutter theilte ihr die Erzählung des Herrn von Huber mit.

Die Tochter hörte still zu; sie sprach auch nicht, als die Mutter schon längst geendigt hatte.

Die Präsidentin nahm zuerst das Wort wieder.

»Ich fürchte nur, daß diese unglückliche Affaire den braven Teufen uns entfremden wird.«

Da fuhr die Tochter empor.

»Mutter, Teufen darf zu uns nicht zurückkehren! Ich könnte seinen Blick nicht ertragen. Er wagte um meinetwillen sein Leben. Ich hatte ihn gegen jenen Elenden zurückgesetzt! Teufen darf nicht zu uns zurück.«

Sie sprach mit einer Leidenschaft und doch mit einer Entschiedenheit, wie man beide noch nie an ihr wahrgenommen hatte.

»Teufen,« sagte die Mutter, »ist ein braver Mensch: er wäre eine gute, eine sehr gute Partie; er ist reich und wir –«

Sie stockte.

Helene aber sprach ohne Leidenschaft, aber mit ihrer regsten Entschiedenheit:

»Ich sehe Teufen nie wieder, Mutter!«

»Wir sind arm, Helene, und –«

Sie stockte noch einmal.

»Liebst Du Teufen?« fragte sie dann plötzlich.

»Ich fürchte ihn,« war die Antwort.

»Fürchten? Wie kannst Du einen braven Mann fürchten?«

Helene schien selbst darüber nachdenken zu müssen.

»Ich weiß es nicht,« antwortete sie dann. »Aber ich darf ihn nicht wiedersehen.«

Die Präsidentin konnte nicht sogleich nachgeben.

»Meine liebe Helene,« sagte sie, »ich hatte – ich muß offen mit Dir sprechen. Ich hatte auf eine Verbindung Teufen's mit Dir große Hoffnungen gebaut. Wir sind arm, wie ich schon sagte. Wir sind, wie ich Dir nicht verhehlen darf, in großen Verlegenheiten; gerade in dem gegenwärtigen Augenblick. Die Existenz Deines Vaters steht auf dem Spiele. Durch eine Verbindung mit Teufen brächtest Du kein Opfer. Er liebt Dich. Ich habe ihn beobachtet. Seine Neigung, seine Leidenschaft für Dich konnte mir nicht entgehen. Du könntest Deinen Vater, uns Alle retten –«

Das Kind kämpfte mit sich. Sie gelangte zu einem Entschlusse.

»Mutter, der Graf Waldern sprach mit mir.«

Die Präsidentin stutzte oder stellte sich so.

»Der General? Was sagte er Dir?«

»Er sagte mir, ich solle Vertrauen zu ihm haben –«

»Und weiter!«

»Er wolle nur mein Bestes, mein Glück.«

»Weiter!«

»Und ich soll Dir seine Worte wiederholen, wenn –«

»Wenn, wenn, Helene?«

»Wenn ich Dich unglücklich sähe.«

»Der edle Mann!« rief die Mutter.

Helene hatte es schluchzend zu dem General selbst gesagt. Ueber die Mutter kam doch eine innere Angst.

»Helene, Helene, Du würdest uns ein schweres Opfer bringen; ich wollte es vermeiden.«

»Opfer, Mutter?«

»Kind, bemerktest Du nie? – Aber wie hättest Du argloses Kind das wahrnehmen können? Und wissen mußt Du es! Das edle Herz des Generals fühlt mehr als väterliche Freundschaft für Dich.«

»So legte auch ich seine Worte aus,« sagte ruhig Helene.

»Was, Du könntest seine Gattin werden?«

»Ja!«

»Kind, mein Kind!«

Die Mutter schloß das Kind in ihre Arme, drückte es an ihr Herz. Ob das Herz mehr von Angst oder von Glück erfüllt war, wer konnte es wissen, gegenüber dieser Frau, die mehr als leichtsinnig war, aber ihr Kind liebte?

Sie verließ Helenen; sie mußte ihrem Gatten Mittheilung machen.

»Man wird keinen todten Mann aus diesem Zimmer tragen,« trat sie zu ihm ein.

»Bringst Du Geld?« fragte er.

»Einen Schwiegersohn.«

»Wer ist es?«

»Der General!«

Einen Augenblick schwieg der Präsident; dann sagte er:

»Bei Lichte besehen, ist es so das Beste! Erzähle!«

Sie erzählte ihm.

»Wer wird mit dem General sprechen?« fragte er, als sie geendigt hatte.

Die Dame erwiderte ihm: »Es kommt darauf an, wie man die Sache auffassen will, ob als eine Herzens- oder als eine Geschäftsangelegenheit. Ich denke, es ist das letztere; sie würde also in Dein Departement fallen.«

»Ich werde um elf zu ihm fahren.«

Um elf Uhr fuhr der Präsident zum General.

»Mein verehrter Freund, Sie sehen einen verlorenen Mann vor sich.«

»Ich denke, Sie werden heute Minister!«

»Oder zum Kirchhof getragen!«

»Erklären Sie mir! Indeß ersparen wir das uns Beiden. Wie kann ich Ihnen helfen? Doch nein, auch das nicht! Lassen Sie mich Ihnen mit einer Bitte zuvorkommen. Gewähren Sie mir die Hand Helenens!«

Der Präsident drückte den General, an sein Herz, küßte ihm beide Wangen!

»Mein theurer, mein alter Freund, Helene liebt Sie, empfangen Sie meinen Segen.«

»Zwei Worte noch,« sagte der General, und er wurde strenge, wie nur ein alter Soldat es werden kann. »Ich habe jetzt eine Pflicht und ein Recht, offen mit Ihnen zu sprechen. Helene ist ein reines, unschuldiges Kind. Sie darf in Ihrem Hause nicht verdorben werden.«

Es waren gewichtige Worte.

Der Präsident hatte keine Erwiderung auf sie.

Der General fuhr in einem verbindlichen Tone fort:

»Sie werden mit dem nächsten Zuge zur Residenz fahren, aus den Händen des Königs Ihr Ministerpatent zu empfangen. Darf ich Sie bitten, diese Anweisung auf meinen Bankier mit sich zu nehmen? Wären Sie mir nicht zuvorgekommen, so war ich jetzt bei Ihnen, das Papier Ihnen zu überreichen.«

Er übergab dem Präsidenten ein Papier.

Der Präsident nahm es mit stummem Danke.

Er war an demselben Tage Minister.

Acht Wochen später war der General Graf Waldern sein Schwiegersohn.

Am Tage der Hochzeit begab das Paar sich auf Reisen. Zum Anfange des Winters kehrten sie zur Residenz zurück.

Als die Wintervergnügungen des Residenzlebens beginnen sollten, zog der General mit seiner jungen Gemahlin nach Schloß Romnike an der russischen Grenze.



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