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VII

Da saßen wir also. – Am Hoftor flackerten die Windlichter, dann wurde es rabenschwarze Finsternis. Meine Herren, das war eine Fahrt!

Die Wagenräder platschen durch die Pfützen: ß – ß – ß ... und der Sturm heult: huij ... und die Wassertropfen trommeln aufs Kutschenleder: taratata – taratata ...

»Was fängst du nun mit ihr an?« frag' ich mich.

Von ihr ist nichts zu sehen, zu hören und zu fühlen ... gerad' so, als ob ich mutterseelenallein durch die Nacht kutschiere.

Erst wie wir in den Wald kommen und sich die Laternen auf den nassen Birkenstämmen spiegeln, so daß ein Widerschein in den Wagen fallen kann, da seh' ich sie in der äußersten Ecke kauern und so enge an die Kutschenwand gedrückt, als ob sie sie mit ihrem Leibe durchbrechen und sich auf den Weg hinauswerfen will.

Mein Gott! So ein armes Ding! Das hat nun alles verloren, was bisher seine Welt gewesen ist. – Und die neue Welt – das ist ein alternder Kerl, der noch eben stierisch betrunken dagelegen hat.

Pfui Deibel, schämt' ich mich da!

Aber reden muß ich doch.

»Jolanthe!« ... Alles muckestill.

»Hast du Angst vor mir?«

»Ja –.«

»Willst du mir nicht deine Hand geben?«

»Ja.«

»Wo ist sie?«

»Da.«

Ein weiches Etwas streift ganz sacht, ganz sacht an meiner Seite entlang. ... Das hasch' ich, das ergreif ich, das umklammere ich.

Armes Ding! armes Ding!

Und gleichzeitig kommt eine Art von – »heiliger Kraft« würd' ich sagen, wenn ich pathetisch werden wollte – über mich, kurz ich finde in meiner Not lauter schöne und warme Worte, um ihr Trost zuzusprechen.

»Siehst du, Jolanthe«, sag' ich, »du bist ja nun meine Frau – daran ist nichts zu ändern – und schließlich hast du es selber ...« und zur Rührung bereit, wie man in solchen Zeiten ist, fang' ich ein bißchen zu flennen an.

Wie der Wagen hält, seh' ich vor der Haustür unter den Inspektoren und Eleven Lothar stehen.

Ich spring' 'raus und reiß' ihn in meine Arme. »Mein Junge, mein lieber, lieber Junge!« Ich hätt' ihm die Hände küssen mögen in meiner Dankbarkeit. –

Und wie ich meine junge Frau aus dem Wagen heben will, fängt das Unglückswurm von Oberinspektor uns mitten im Sturm mit einer feierlichen Anrede zu traktieren an.

»Um Gottes Willen, Baumann«, sag' ich, »ich nehme die Sache für genossen an«, – und trage meine junge Frau mit einem Ruck ins Haus hinein.

Drin stehen die Hausmädchen mit der Mamsell an der Spitze und knicksen und kichern, aber sie schaut mit stieren Augen durch sie hindurch.

Da kriegt mich die Angst zu packen vor dem, was kommen soll. ... »Ach, hättest du doch deine Schwester nicht fortgelassen«, denk' ich bei mir, und wie ich hilfesuchend um mich schaue, seh' ich im Türgewölbe Lothar stehen, der sich augenscheinlich verabschieden will.

Ich mit einem Satz auf ihn los, krieg' seine Hände zu packen und sag': »Du gehst nicht weg; wir trinken nach all dem Trubel noch einen Schluck Warmes miteinander – verstanden?«

Er wird blutrot, aber ich führ' ihn an der Hand vor Jolanthe, der eben Hut und Mantel abgenommen werden.

»Hilf mir, ihn bitten«, sag' ich; »eine Tasse Tee hat er sich um uns wohl verdient.«

»Ich bitte«, sagt sie und schlägt nicht einmal die Augen auf.

Er macht einen steifen Bückling und reißt an seinem Schnauzbart.

Dann führ' ich sie durch die erleuchteten Räume nach dem Esszimmer ... sie sieht nicht rechts, nicht links ... all die Pracht, die nur für sie geschaffen worden ist, bleibt unbeachtet... zwei –, dreimal schwankt sie an meinem Arm ... und jedesmal muß ich mich nach dem Jungen umsehen, ob er auch da ist.

Gott sei Dank! Noch war er da!

Im Speisezimmer siedet der Teekessel, wie's meine Schwester vor ihrem Abgange angeordnet hat.

»Wenn du sie holen ließest?« fährt es mir durch den Kopf. i in Wagen im Karriere nach Krakowitz, ein andrer nach Gorowen – und in einer Stunde konnte sie hier sein.

Aber ich alter Krauter schäme mich, meine Hilflosigkeit zu bekennen. Und meine Angst hat ja auch Lothar, um sich an ihn anzuklammern.

Gott sei Dank, noch war er da!

»Also setzt euch dal, Kinder«, sag' ich und tu', als ist mir wunder wie behaglich zumute.

Ich seh's noch wie heute: das blanke Tischtuch mit den Meißener Tassen und der alten silbernen Zuckerdose drauf – und die kupferne Hängelampe über uns, und in dem grellen Lichte, das sie 'runterwirft: rechts von mir – Sie – blaß, steif, mit halbgeschlossenen Augen, wie eine, die im Schlafe wandelt, links: Er – mit seinem buschigen Haar und den straffen, goldbraunen Backen und der finsteren Stirnfalte – die Augen starr auf den Damast geheftet.

Und weil er sich augenscheinlich unsicher fühlt als überflüssiger Dritter in einer fremden Hochzeitsnacht und am liebsten Reißaus nehmen möchte, fass' ich ihn liebevoll bei beiden Schultern und dank' ihm aus tiefstem Herzen für die Tortur, die er sich auferlegt.

»Sieh ihn dir genau an, Jolanthe«, sag' ich, »denn so wie heute werden wir manches liebe Mal hier sitzen und uns freuen einer an dem andern.«

Sie nickt ganz langsam und schließt die Augen vollends.

Armes Ding! Armes Ding!

Und die Angst benimmt mir fast den Atem.

»Seid fidel, Kinder!« schrei' ich, »Lothar, erzähl mal ein paar Schwanke aus deinem Leben ... vorwärts! Hast du zu rauchen? Wart, ich hol' dir.«

Und in meiner Not renn' ich spornstreichs ins Nebenzimmer, wo der Zigarrenschrank steht, als ob sich durch die guten Glimmstengel alles zum Besten wenden werde.

Da, meine Herren, als ich mit der Kiste unter dem Arm zurückkehren will, seh' ich durch die offene Tür etwas, was mir das Blut in den Adern zum Stillstehen bringt.

Nur einmal im Leben hab' ich einen solchen Schlag empfunden, wie ich als junger Kürassier eines Abends von einer Kneipe heimkomme und eine Depesche vorfinde, wodrin ganz gemütlich die Worte stehen: »Vater soeben verschieden!«

Also, was seh' ich, meine Herren?

Die beiden Leutchen sitzen still und steif auf ihren Plätzen wie zuvor, aber sie haben die Augen sozusagen ineinandergetaucht mit einer solchen wilden, verzweifelnden, wahnsinnigen Glut, wie ich menschliche Blicke deren nie für fähig gehalten habe.

Es war, wie wenn zwei Flammen ineinanderspritzen.

Also, da hatt' ich die Bescherung.

Noch war sie nicht mein Weib, und schon hatte mein Freund, mein Sohn, mein Liebling mich mit ihr verraten.

Der Ehebruch saß schon im Hause, noch bevor die Ehe wahrhaft vollzogen war.

Meine ganze Zukunft – ein Dasein voll Argwohn und Angst und Verdüsterung und Lächerlichkeit, voll grauer Tage und schlafloser Nächte lag wie eine Landkarte aufgerollt vor mir durch diesen Blick.

Was tun – meine Herren?

Am liebsten hätt' ich sie bei der Hand genommen und zu ihm gesagt: »Nimm sie hin – ich habe kein Recht mehr an sie.«

Aber versetzen Sie sich in meine Lage! Ein Blick ist etwas Unbegreifbares und Unbeweisbares. – Er läßt sich lachend ableugnen ... ja, konnte ich mich nicht wirklich getäuscht haben?

Und während ich dies dachte, hingen die beiden Augenpaare noch immer ineinander in vollendeter Vergessenheit dessen, was rings um sie bestand.

Und als ich dann eintrat, zuckten sie nicht einmal mit den Wimpern, sondern wandten sich nur gleichsam unwillig und erstaunt zu mir hin, als wollten sie fragen: »Was stört uns der fremde, alte Mann?«

Ich hätte laut aufbrüllen mögen wie ein gestochenes Tier, doch nahm ich mich zusammen und offerierte meine Zigarren.

Aber ich mußte rasch ein Ende machen, denn allerhand rote Sonnen begannen mir vor den Augen zu tanzen.

Ich sag' also: »Geh heim, mein Sohn, es ist Zeit.«

Er erhebt sich schwerfällig, reicht mir eine eiskalte Hand, macht ihr mit zusammengeschlagenen Hacken seinen Leutnantsdiener und wendet sich zur Tür.

Da hör' ich einen Schrei – einen Schrei, der mir durch Mark und Bein fährt.

Und was seh' ich?

Mein Weib, mein junges Weib liegt ihm zu Füßen, hält seinen Rock mit beiden Händen fest und schreit: »Du darfst nicht sterben – du darfst nicht sterben!«

So, meine Herren, das war die Katastrophe.

Einen Augenblick steh' ich wie vor den Kopf geschlagen, im nächsten fass' ich ihn beim Schlafittchen.

»Halt, mein Sohn«, sag' ich, »jetzt ist's genug. Schindluder lass' ich nicht mit mir spielen.« Und ich führ' ihn bei seinem Kragen sachte auf seinen Platz zurück, schließe die Türen ab und hebe meine Frau, die krampfhaft schluchzend am Boden liegt, auf ein Sofa.

Sie aber kriegt meine Hände zu fassen, küßt sie immerzu und wimmert dabei: »Laß ihn nicht fort! Er will sich töten – er will sich töten.«

»Also, warum willst du dich töten, mein Sohn?« sag' ich; »wenn du ältere Rechte hattest, warum machtest du sie nicht geltend? Warum betrogst du deinen besten Freund?« Er bohrt sich die Fäuste gegen die Stirn und schweigt. Da packt mich doch die Wut, und ich sag': »Sprich, oder ich schlag' dich nieder wie einen tollen Hund.«

»Tu's«, sagt er und breitet die Arme auseinander, »ich hab's nicht besser verdient.«

»Verdient oder nicht, – jetzt wird Rede gestanden.« Na, meine Herren, da erfuhr ich denn von beiden zusammen unter Selbstvorwürfen, Tränen und Kniefällen die ganze saubere Angelegenheit.

Sie waren einander vor Jahren im Walde begegnet und liebten sich seither – hoffnungslos und verschwiegen, wie es den Kindern zweier verfeindeter Geschlechter geziemt. Montecchi und Capuletti!

»Habt ihr euch eure Liebe gestanden?« Nein – aber geküßt hatten sie sich. »Na – weiter!«

Dann war er nach Berlin in Garnison gegangen, und sie hatten nichts mehr voneinander gehört ... zu schreiben riskierten sie nicht, wußten auch nicht, wie der andre gesonnen war.

Da kam der Tod des alten Pütz dazwischen und mein Versuch, den Hader beizulegen.

Als ich auf Krakowitz erschienen war, hatte Jolanthe zuerst den Plan gefaßt, mich zum Vertrauten ihrer Liebe zu machen, hatte wohl auch gehofft, durch mich eine Botschaft zu erhalten. Nichts dergleichen. Statt dessen hatte ich, da ich ihre zärtlichen Blicke mißverstand, selber angefangen, den Verliebten zu spielen. – Weil ihr aber der Wutausbruch ihres Herrn Papas so recht deutlich vor Augen gerückt hatte, daß für sie in alle Ewigkeit nichts zu hoffen war, hatte sie in ihrer Verzweiflung beschlossen, das einzig mögliche Mittel zu ergreifen, um wenigstens in die Nähe des Geliebten zu gelangen.

»Na, das ist doch eine Niedertracht, mein trautes Herzchen«, sagte ich.

»Aber ich bangte mich nach ihm«, gab sie zur Antwort, als wäre damit alles in Ordnung.

»Sehr gut – ausgezeichnet! – Aber du, mein Sohn, warum bist du nicht gekommen und hast gesagt: »Onkel – ich liebe sie, – sie liebt mich. – Hand weg von ihr?«

»Ich wußte ja nicht, ob sie mich noch liebt«, erwidert er mir.

»Famos. Ihr seid zwei Unschuldslämmer. Ganz famos. Und wann seid ihr ins reine gekommen?«

»Heute – während du schliefst.«

Und nun kam eine schreckliche Geschichte. Nach Tisch, beim Gesegnete-Mahlzeit-Sagen war durch einen einzigen stummen Händedruck der ganze Jammer klar geworden. Und weil sie nicht aus, nicht ein wußten, hatten sie beschlossen, noch in derselben Nacht zu sterben.

»Was, du auch?«

Statt der Antwort zog sie ein Fläschchen aus der Tasche, von dem aus mich ein Totenkopf ganz freundlich ansah.

»Was ist da drin?«

»Blausäure!«

Ei, der Deiwel! »Und wo hast du das her?«

Ein Tanzstundenfreund, der Chemiker war und dem sie den Kopf verdreht hatte, hatte ihr auf ihre Bitten das angenehme Wässerchen vor Jahren zum Geschenk gemacht.

»Und das Zeug wollst du saufen, du Kröt' du?«

Sie sah mich mit großen, grellen Blicken an und nickte zwei-, dreimal.

Ich verstand sehr gut, und ein Schauder rann mir über den Rücken.

Das hätte eine schöne Brautnacht werden können!

»Und nu? – Was fang' ich nu mit euch beiden an?«

»Rett uns ... hilf uns ... hab Gnade mit uns!«

Sie lagen vor mir auf den Knien und leckten mir die Hände.

Und weil ich, wie Sie ja wissen, meine Herren, von Profession ein guter Kerl bin, so ersann ich ein Mittel, um meine verunglückte Ehe zu einem raschen Ende zu bringen.

Johann mußte anspannen, und fünfzehn Minuten später fuhr ich mit meiner zwölf Stunden alten Frau geräuschlos nach Gorowen zu meiner Schwester ab, unter deren Schutze sie verweilen sollte, bis die Scheidung ausgesprochen war ... denn zu ihrem Vater wollte sie unter keinen Umständen wieder zurück.

Lothar fragte ganz naiv, ob er uns nicht begleiten dürfe.

»Du Aaskröt'«, sagte ich, »mach du, daß du nach Hause kommst.«

Denn an der rechten Stelle weiß ich auch streng zu sein, meine Herren ...

*

Die Uhr schlug halb fünf, als ich heimkam. –

Ich war todmüde. Die Beine hingen mir wie Klötze am Leibe.

Alles war muckestill, denn ich hatte vor meiner Abfahrt sämtliche Hausleute zu Bette geschickt.

Als ich den Korridor entlang ging, wo noch die Lichter brannten, sah ich eine mit Blumengirlanden bekränzte Tür. Die führte zu dem Brautgemach, das meine Schwester als Überraschung bis heute nacht verschlossen gehalten hatte.

Neugierig öffnete ich sie und sah in ein purpurnes Grabgewölbe hinein, in welchem mir der Atem erstickte vor lauter unbekannten Düften. ... Alles war mit Teppichen verhangen, und an der Decke brannte eine richtige Kirchenlampe. ... Im Hintergrunde aber war auf Stufen eine Art von Katafalk errichtet mit goldenen Zierraten und seidenen Decken.

Dadrin hätt' ich schlafen sollen!

»Brrrr!« machte ich, schlug die Türe zu und rannte so rasch davon, als meine lahmen Beine mir erlaubten.

Und dann kam ich in mein Zimmer und steckte meine schöne, helle Arbeitslampe an; die lachte mich an wie die liebe Sonne.

In der Ecke stand meine alte, schmale Klappe mit ihren rotgebeizten Pfosten, dem grauen Strohsack und dem zerplieserten Elchfell.

Ach, meine Herren, wie wurd' mir da wohl zumute!

Ich zog mich aus, zündete mir eine gute Zigarre an, – 'rin in die Posen! – und las noch rasch ein spannendes Kapitel aus der Geschichte des Deutsch-Französischen Krieges.

Und ich kann Sie versichern, meine Herren: Nie habe ich besser geschlafen als in meiner Hochzeitsnacht.


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