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III

Tags darauf statt' ich dem Jungen Rapport ab. Die eigenen Dummheiten natürlich ausgenommen. Er flammt mich finster mit seinen schwarzen Augen an und sagt: »Schweigen wir drüber ... ich hab's mir gedacht.«

Aber acht Tage später kommt er so beiläufig darauf zurück und meint: »Du solltest doch wieder einmal hinfahren, Onkel.«

»Bist wohl doll, Junge?« sag' ich, aber dabei ist mir so wohl, als hätt' mir eine lauwarme Weiberhand hinten im Nacken gekraut.

»Du brauchst ja nicht von mir zu reden«, meint er und besieht dabei seine Gamaschen, »aber wenn du öfters hinkommst, vielleicht renkt sich's dann allmählich ein.« –

Meine Herren, leichter ist kein Gerstenhalm ins Schwanken gebracht als mein heiliger Entschluß.

Ich fahr' also hin.

Und wieder. Und wieder.

Laß mir vom Alten was vorschwefeln, trinke den Kaffee, den seine Frau mir braut, und höre andächtig zu, wenn Jolanthe mir ihre schönsten Lieder vorsingt, obgleich die Musik ... und überhaupt – je öfter ich auf Krakowitz vorsprach, desto unheimlicher wurde mir die Geschichte, aber es zog mich mit tausend Armen hin; da war nichts zu machen.

Der alte Adam wollte, bevor er für immer schlafen ging, noch einmal ein Nachtmahl haben, und wenn's aus nichts weiter bestand als der molligen Emotion von Weibernähe – denn auf irgend was Reelles wagt' ich im Grunde nicht zu hoffen.

Sie warf mir freilich noch immer verstohlene Blicke zu, aber was darinnen lag, ein Vorwurf, ein Notschrei oder bloß die Lust, bewundert zu sein, daraus wurd' ich nicht recht klug.

Dann – bei meinem dritten oder vierten Besuch – passierte mir folgendes: Es war noch früher Nachmittag – eine Pesthitze dabei –, und ich vor Langeweile oder Ungeduld fahr' nach Krakowitz.

»Die alten Herrschaften schlafen noch«, sagt der Diener, aber das gnädige Fräulein sei im Gartenzimmer.

Mir ahnt allerhand, und ich krieg' Herzklopfen. Will zurück. – Aber wie ich sie im Mullkleide hoch und schneeweiß – wie aus Marmor gehauen – vor mir stehen seh', da packt mich mit neuer Wut meine alte Eselei.

»Das ist schön, daß Sie kommen, Baron«, sagt sie, »ich langweil' mich gerade diebisch ... wir wollen in den Garten gehen – da gibt es eine kühle Laube – drin plaudern wir ganz ungestört.«

Wie sie ihren Arm in den meinen legt, krieg' ich das Zittern. Ich sag' Ihnen, vor Düppel vor Düppel – Anspielung auf die Erstürmung der Düppeler Schanzen durch die Preußen im Krieg gegen Dänemark am 18.4.1864. ging's leichter in die Höh' als jetzt die Terrasse 'runter.

Sie schweigt ... ich auch. ... Auf diese Weise wird's immer schwüler. Der Kies kreischt – um das Spiräengebüsch sumsen die Hummeln ... sonst nichts zu hören weit und breit. ... Sie hat sich ganz vertraulich an mich gehängt und zwingt mich ab und zu anzuhalten, wenn sie einen Grasbüschel ausreißt oder eine Resedastaude pflückt, mit der sie sich die Nase kitzelt, um sie sofort wieder wegzuwerfen.

»Ich wünschte, ich liebte die Blumen«, sagt sie. »Es gibt so viele, die sie lieben oder zu lieben behaupten ... In Liebessachen kommt man ja nie hinter die Wahrheit.«

»Warum nicht?« frag' ich. »Sollt' es denn nicht vorkommen, daß zwei Menschen sich gern haben und es sich sagen ganz einfach – ohne Schikane und Hintergedanken?«

»Gern haben – gern haben«, spottet sie nach. »Sind Sie ein solcher Eiszapfen, daß Sie sich Liebe mit >Gernhaben< übersetzen müssen?«

»Ob ich ein Eiszapfen bin oder nicht, darauf kommt's leider nicht mehr an«, geb' ich zur Antwort.

»Ja, Sie sind eine goldene Seele«, sagt sie und sieht mich'n bißchen kokett von der Seite an. »Alles, was Sie denken, kommt wie aus der Pistole geschossen ans Tageslicht.«

»Ich weiß aber auch zu schweigen«, sag' ich.

»Oh, das fühl' ich«, erwidert sie hastig, »Ihnen könnt' ich alles, alles anvertrauen.« – Und mir ist, als preßte sie leise meinen Arm.

»Was will sie nur von dir?« frag' ich mich, und das Herz schlägt mir schon hoch oben in der Kehle. –

Nun standen wir vor der Laube – eine Aristolochialaube, wissen Sie, mit den breiten, herzrunden Blättern, die jeden Lichtstrahl abhalten. In so einer Laube ist es immer Nacht, wissen Sie. –

Also, nun läßt sie meinen Arm los, wirft sich auf die Erde und kriecht durch ein kleines Loch – denn alles übrige war verwachsen – in das Dickicht hinein.

Und ich – Freiherr von Hanckel auf Ilgenstein, ein Spiegel der Würde und Gesetztheit – krieche auf allen vieren hinterher durch eine Öffnung, die nicht größer ist als eine Backofentür.

Ja, meine Herren, das machen die Weiber aus uns.

Drinnen in der schummrigen Kühle liegt sie halb ausgestreckt auf einer Lehnenbank und wischt sich mit ihrem Taschentuch um den Hals herum bis unter den schweißfeuchten Taillensaum. Und schön sieht sie aus. Schön sieht sie aus! ...

Und wie ich nun in meiner Atemlosigkeit schnaufend wie cm Bär vor ihr stehe – denn mit siebenundvierzig Jahren fuhrwerkt man nicht mehr ungestraft auf allen vieren 'rum, meine Herren –, da bricht sie in ein Lachen aus – kurz, hart, aufgeregt.

»Lachen Sie mich nur aus«, sag' ich.

»Wenn Sie wüßten, wie wenig mir nach Auslachen zumute ist«, sagt sie und verzieht schmerzlich den Mund.

Dann wird es still ... sie schaut mit gerunzelter Stirn vor sich nieder. – Ihr Busen geht auf und ab.

»Woran denken Sie?« frag' ich.

Sie zuckt die Achseln und sagt: »Denken – wozu denken?« sagt sie. »Ich bin müde, – will schlafen.«

»So schlafen Sie doch«, sag' ich.

»Aber Sie auch«, sagt sie.

»Gut, – ich auch«, sag' ich und setze mich halb ausgestreckt wie sie auf die gegenüberliegende Bank.

»Aber die Augen zumachen«, befiehlt sie weiter.

Und ich mache gehorsam die Augen zu.

Ich sehe Sonnen und hellgrüne Räder und Feuergarben immerzu – immerzu ... So was kommt von dem aufgeregten Blute, meine Herren ... und von Zeit zu Zeit fährt es mir durch den Kopf: – »Hanckel, du machst dich lächerlich.«

So still ist es ringsum, daß ich die kleinen Käfer höre, die auf den Blättern herumlaufen.

Selbst ihr Atmen hat aufgehört.

»Du muß doch sehen, was sie treibt«, sag' ich mir mit dem stillen Wunsche, sie in ihrer schlafenden Herrlichkeit nach Herzenslust bewundern zu können.

Aber als ich verstohlen die Augenlider ein bißchen – ein kleines bißchen – in die Höhe hebe, da seh' ich – und, meine Herren, der Schreck fährt mir wie so ein kaltes Geriesel bis in die Zehenspitzen hinein, – seh' ich ihre Augen ganz starr und groß mit einer wilden und – wenn ich so sagen darf – spähenden Glut auf mich gerichtet.

»Aber Jolanthe, liebes Kind«, sag' ich, »warum sehen Sie mich so an? Was hab' ich Ihnen denn getan?«

Sie fährt in die Höhe, wischt sich wie aus dem Traum über Stirn und Backen und versucht zu lachen. Zwei-, dreimal, kurz, stoßweis, wie vorhin, – und dann bricht sie in Tränen aus und weint und weint, als soll sie sich die Seele aus dem Leibe weinen.

Ich spring' auf und stell' mich vor sie hin. ... Möcht' ihr auch die Hand auf den Scheitel legen, aber dazu reicht meine Courage nicht aus. Und ich frag' sie, ob sie was drückt und ob sie es mir nicht anvertrauen möcht', und dergleichen.

»Ach, ich bin das elendeste, das gottverlassenste Geschöpf«, schluchzt sie. »Aber warum denn?«

»Ich will etwas tun – etwas Entsetzliches –, und ich habe nicht den Mut dazu.« »Na, was ist es denn?«

»Das kann ich nicht sagen! Das kann ich nicht sagen.« Und dabei bleibt sie, soviel ich auch auf sie einrede. Aber allmählich verändert sich ihr Gesicht und wird immer starrer und finsterer.

Und schließlich sagt sie verbissen vor sich hin: »Ich will fort ... weglaufen will ich.«

»Herr Gott, mit wem?« frag' ich ganz verblüfft. –

Sie zuckt die Achseln. – »Mit wem? Es ist ja keiner da, der zu einem hält. ... Nicht einmal ein Hütejunge. ... Aber weg muß ich. ... Hier erstickt einem ja die Hoffnung in der Kehle, Hier geht man ja zugrunde. ... Und weil keiner kommt, drum lauf ich allein weg.«

»Aber, mein liebes, teures Fräulein«, sag' ich, »ich verstehe ja, daß Sie sich etwas langweilen auf Krakowitz. ... Bißchen einsam ist es ja – und Ihr Herr Vater krakeelt auch mit allen Menschen. Aber schließlich, wenn Sie heiraten möchten! – Eine wie Sie braucht doch bloß den kleinen Finger auszustrecken.«

»Oh, gehen Sie«, erwidert sie drauf, »das sind ja alles Phrasen. – Wer wird mich wollen? Wissen Sie einen, der mich will?«

Das Herz klopft mir scheußlich. Ich will's nicht sagen – es ist ja Wahnsinn –, aber da hab' ich's auch schon gesagt: Ich wünschte, ihr beweisen zu können, daß ich meinesteils keine Phrasen machte – oder so was in der Art. –

Denn für eine gerade, ordentliche Werbung fand ich auch jetzt – weiß Gott! – nicht den Mut. Sie schließt die Augen und seufzt tief auf, dann faßt sie mich beim Arm und sagt: »Ehe Sie fortfahren, Herr Baron, will ich Ihnen etwas gestehen, damit Sie nicht zu sehr betrogen werden. Meine Eltern schlafen nicht. ... Meine Eltern haben sich, als sie Ihren Wagen hörten, eingeschlossen, daß heißt Mama ließ sich von ihm zwingen ... das ganze Zusammensein hier im Garten ist abgekartet. ... Ich soll Ihnen den Kopf verdrehen, damit Sie um mich werben kommen. ... Seit Ihrem ersten Hiersein quälen mich beide, Papa und Mama, er mit Schelten, sie mit Bitten, ich solle die Chance nicht vorbeigehen lassen, denn solch eine Partie würde sich mir nicht wieder bieten. ... Herr Baron, vergeben Sie mir: ich wollte nicht! Und wenn ich Sie noch so sehr geliebt hätte, dadurch wären Sie mir verleidet worden ... aber jetzt, nachdem ich das vom Herzen 'runter habe, jetzt will ich! Wenn Sie mich mögen, nehmen Sie mich ... ich gehöre Ihnen.«Meine Herren, versetzen Sie sich in meine Lage: Ein junges, schönes Weib, ein Stück Thusnelda, ein Stück Venus, das sich mir aus Stolz und Verzweiflung an den Hals wirft – und ich selbst ein braver, korpulenter Herr zu Ende der Vierzig. War es nicht eine Art von Kirchenraub, solch ein Glück schleunigst auf und davon zu tragen?

»Jolanthe«, sag' ich, »liebes, liebes Kind – wissen Sie auch, was Sie tun?«

»Das weiß ich«, erwidert sie und lächelt ganz jämmerlich, »ich erniedrige mich vor Gott und mir und Ihnen, ich mache mich zu Ihrer Sklavin, Ihrem Geschöpf und betrüge Sie noch dabei.«

»Sie können mich wohl nicht einmal leiden?« frag' ich.

Da macht sie wieder die lieben, alten, blaßblauen Unschuldsaugen und sagt ganz leise und schwärmerisch: »Sie sind der beste, der edelste Mensch auf der Welt. Ich könnte Sie lieb haben – ich könnte Sie vergöttern – aber –«

»Aber?«

»Ach, das ist alles so häßlich – so unsauber. – Sagen Sie nur, daß Sie mich nicht haben wollen ... verschmähen Sie mich nur ... ich hab' es ja nicht besser verdient.«

Mir war, als drehte sich die Welt mit mir im Kreise. Ich mußte mein letztes Restchen von Vernunft zusammennehmen, um das holde, leidenschaftliche Geschöpf nicht schnurstracks an meine Brust zu ziehen, und mit diesem letzten Restchen sagte ich: »Fern sei es von mir, mein teures Kind, die Erregung dieser Stunde für mich auszubeuten ... es könnte Sie morgen gereuen, und dann wär's zu spät. ... Ich werde acht Tage warten – nehmen Sie sie als Überlegungszeit. ... Und schreiben Sie mir inzwischen keinen Widerruf, so ist die Sache abgemacht, und ich komme zu den Eltern um Sie anhalten. Aber erwägen Sie alles, damit Sie nicht etwa in Ihr Unglück rennen.«

Da ergriff sie meine Hand – diese braune, dicke, schwielige, scheußliche Hand, meine Herren –, und ehe ich's verhindern konnte, hatte sie einen Kuß daraufgedrückt.

Erst viel, viel später sollte mir klar werden, was dieser Kuß bedeutet hat.

Als wir zur Laube hinausgekrochen waren – ich auf dem Bauche hinter ihr drein –, da hörten wir schon von weitem den Alten schreien: »Ist es möglich? Hanckel – mein Freund Hanckel ist hier? Warum habt ihr mich nicht geweckt, ihr Halunken, ihr Aaskröten, ihr Schweinezeug! Mein Freund Hanckel ist da, und ich schnarche – ihr Karrnaillen!«

Jolanthe wurde vor Scham blutrot, und ich sagte, um ihr den peinlichen Augenblick zu erleichtern: »Lassen Sie man, ich kenn' ihn ja.«

Ja, ja, meine Herren, den Alten kannt' ich, aber seine Tochter kannt' ich nicht.


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