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Fünfter Aufzug

Kirchhof des Klosters Santa Klara.

Im Hintergrunde ein halbniedergerissenes Klostergebäude, von welchem Arbeiter Bauholz und Schutt forttragen. Links eine Totenkapelle; durch die Fenster schimmert Licht; wenn die Tür später geöffnet wird, sieht man in der Kapelle ein Christusbild in heller Beleuchtung über einem Sarkophag. Hier und dort sind offene Gräber. Der Mond geht allmählich hinter der Klosterruine auf. Windrank sitzt am Eingang der Kapelle und hält Wache. Man hört Gesang von innen.

Erster Auftritt.

Windrank. Nils. Arbeiter.

Nils (kommt herein und geht auf Windrank zu). Guten Abend, Windrank!

Windrank. Redet nicht zu mir!

Nils. Was soll das heißen?

Windrank. Hört Ihr nicht, was ich sage?

Nils. Na so! Spukt Euch der schimpfliche Abschied, den Ihr vom Schiffe bekamt, jetzt so im Kopfe herum, daß Ihr daran denkt, ins Kloster zu gehen.

Windrank. 52, 53, 54, 55, 56, 57.

Nils. Seid Ihr verrückt geworden?

Windrank. 58, 59, 60. Geht Eures Wegs in Jesu Namen!

Nils. Trinkt einen kleinen Hechttrunk mit mir!

Windrank. 64, 65. Dacht ich es doch! Gehe von mir, Versucher! Ich trinke niemals mehr – vor übermorgen.

Nils. Es ist Medizin gegen die Pest. Nehmt Euch in acht vor der Leichenluft hier!

Windrank. 70. Ist es wirklich gut gegen die Pest?

Nils. Ausgezeichnet!

Windrank (trinkt). Aber nur ganz wenig!

Nils. Nur ganz wenig. Aber sagt mir einmal, seid Ihr toll, daß Ihr bis 100 zählt?

Windrank. Still, still! Das wird ein Ereignis werden!

Nils. Ein Ereignis?

Windrank. Ja, übermorgen!

Nils. Und darum zählt Ihr?

Windrank. Nein, das geschieht nur, weil es mir so schwer fällt den Mund offen zu halten! Still zum Teufel! So geht nun Eures Wegs, sonst werde ich unglücklich! 71, 72, 73.

Nils. Wer ist dort drinnen?

Windrank. 74, 75.

Nils. Ist da Begräbnis?

Windrank. 76, 77. Fahrt zur Hölle!

Nils. Noch einen kleinen Schluck, dann geht es leichter mit dem Zählen.

Windrank. Noch einen kleinen Schluck meinethalben. (Er trinkt.)

(Man hört Gesang.)

Nils. Jetzt kommen die Nonnen des Klaraklosters, um zum letztenmal das Gedächtnis ihrer Schutzheiligen zu feiern.

Windrank. Was sollen solche Komödien in unseren erleuchteten Zeiten!

Nils. Sie haben die Erlaubnis des Königs! Seht Ihr, die Pest brach in der Klaragemeinde aus, und man glaubt, es geschah infolge der gottlosen Tat, daß sie das Kloster der heiligen Klara niederrissen.

Windrank. Und nun sollen sie die Pest wieder fortsingen. Das Schreckgespenst müßte dann ein Musikfeind sein! Aber ich würde mich nicht wundern, wenn es vor ihrem heisern Gekrächze die Flucht ergreift.

Nils. Wollt Ihr mir sagen, wer dieses letzte Heiligtum mit Beschlag belegt hat? Denn hier sollen die Gebeine der Heiligen niedergesetzt werden, bevor es niedergerissen wird.

Windrank. Dann wird es wohl Schlägerei geben.

(Der Gesang ist näher gekommen.)

Dominikanermönche und Franziskanernonnen von Morten angeführt, treten in einer Prozession auf. Sie bleiben stehen und singen, während die Arbeiter im Hintergrunde Lärm machen.

 

Zweiter Auftritt.

Die Vorigen. Morten. Äbtissin. Mönche. Nonnen.

Mönche.
Cur super vermes luteos furorem
Sumis, o magni fabricator orbis.
Quid sumus, quam fex, putris, umbra, pulvis
Glebaque terrae!

Morten (zur Äbtissin). Du siehst, meine Schwester, wie man des Herrn Wohnungen verwüstet hat.

Äbtissin. Der Herr, der uns in die Hand der Ägypter gegeben hat, wird uns erlösen, wenn die Zeit erfüllt ist!

Morten (zu den Arbeitern). Hört auf mit der Arbeit und stört nicht unser frommes Vorhaben!

Arbeitsaufseher. Unser Befehl lautet, Tag und Nacht zu arbeiten, bis dies Nest niedergerissen ist.

Äbtissin. Weh uns, daß der Wahnglaube so tief ins Volk hinuntergedrungen.

Morten. Wir feiern dieses Fest mit Genehmigung des Königs.

Arbeitsaufseher. Ja, nur immer zu!

Morten. Infolgedessen befehle ich Euch, mit Euerm Gepolter aufzuhören! Ich werde mich an Euere Arbeiter wenden, die Ihr zu diesem schändlichen Werke gezwungen habt, und sie aufs Gewissen fragen, ob sie noch einige Ehrfurcht vor den Heiligen haben –

Arbeitsaufseher. Das dürft Ihr nicht tun, denn ich bin es, der hier befiehlt, übrigens kann ich Euch wissen lassen, daß sie sehr zufrieden sind, diese alten Wespennester niederreißen zu dürfen, die sie selbst haben bezahlen müssen, und überdies sind sie dankbar dafür, daß sie während der Hungersnot etwas verdienen können. (Er geht fort.)

Morten. Laßt uns die Schlechtigkeit dieser Welt und den Lärm vergessen und in das Heiligtum eintreten, um für sie zu beten.

Äbtissin. Herr! Herr! Die Stätten deiner Heiligtümer sind zerstört; Zion ist verwüstet! Jerusalem liegt in Trümmern!

Windrank. 100. – Hier kommt niemand hinein!

Die Verschworenen (w der Kapelle). Wir schwören!

Morten. Wer hat sich in die Kapelle eingedrängt?

Windrank. Es ist keine Kapelle mehr, seitdem es ein königliches Magazin geworden.

Äbtissin. Darum gestattete der Gottlose unser Fest!

(Die Tür zur Kapelle öffnet sich.)

Die Verschworenen, Olaf, Laurentius Ändreae, Gert, der Deutsche, der Dane, der Smaalander und andere Verschworene (erscheinen).

 

Dritter Auftritt.

Die Vorigen. Olaf. Laurentius Andreae. Gert. Der Deutsche. Der Däne. Der Smaalander. Andere Verschworene.

Olaf (erregt). Was ist das für ein Aufzug?

Morten. Platz den Dienerinnen der heiligen Klara!

Olaf. Glaubt ihr, eure Abgötter können die Pest abwehren, die der alleinige Gott euch zur Strafe gesandt hat? Glaubt ihr, der Herr findet so viel Wohlgefallen an den Knochenstücken, die ihr da in dem Schrein tragt, daß er euch um ihretwillen eure greulichen Sünden vergibt? Fort mit dem Greuel! (Er entreißt den Schrein der Äbtissin und wirft ihn in ein Grab.) Von Erde bist du gekommen, zu Erde sollst du werden, selbst wenn du Santa Clara da Spoleto heißest und des Nachts bei den Schweinen geschlafen hast.

Die Nonnen (schreien auf).

Morten. Wenn du auch nicht das Heilige fürchtest, so fürchte deinen irdischen König! Sieh hier, noch hat er so viel Ehrfurcht übrig vor dem Göttlichen, daß er den Zorn der Heiligen fürchtet. (Er zeigt Olaf ein Papier.)

Olaf. Weißt du, was der Herr mit dem Könige Assyriens tat, da er Abgötterei zuließ? Er schlug ihn und sein Volk, darum muß der Gerechte leiden mit dem Ungerechten! Im Namen des einen allmächtigen Gottes hebe ich diesen Baalsdienst auf, wenn auch alle Könige der Erde ihn gestatten; der Papst wollte meine Seele dem Satan verkaufen, aber ich zerriß den Pakt, besinnst du dich? Sollte ich jetzt einen König fürchten, der sein Volk dem Baal verkaufen will?

(Er zerreißt das Papier.)

Morten (zu seiner Umgebung). Ihr seid meine Zeugen, daß er den König höhnt!

Olaf (zu seinen Anhängern). Ihr seid meine Zeugen vor Gott, daß ich sein Volk von einem gottlosen König abgewendet habe!

Morten. Hört mich, ihr Gläubigen! Um dieses Ketzers willen hat der Herr uns mit der Pest geschlagen; das war Gottes Strafe, die zuerst seine Mutter traf!

Olaf. Hört mich, ihr Wahngläubigen des Papstes! Es war die Strafe des Herrn über mich, weil ich Sanherib gegen Juda diente! Ich werde mein Verbrechen sühnen, ich werde Juda gegen Assyriens und Ägyptens Könige führen.

(Der Mond geht rot auf und wirft einen roten Schimmer über die Szene. Das Volk entsetzt sich.)

Olaf (steht oben auf einem Grabe). Der Himmel weint Blut über eure Sünden und eure Abgötterei, hier wird die Strafe groß werden, denn die Obrigkeit hat sich versündigt! Seht ihr nicht, wie die Gräber ihren Schlund nach Beute öffnen –

Gert (nimmt Olaf beim Arm, flüstert ihm etwas zu und führt ihn hinunter).

(Allgemeines Entsetzen.)

Äbtissin. Gib uns unsern Schrein wieder, damit wir diesen Ort der Vernichtung verlassen können.

Morten. Lieber mögen die Gebeine der Heiligen in dieser heiligen Erde ruhen, als den schändlichen Händen der Ketzer preisgegeben werden.

Olaf. Ihr fürchtet die Pest, ihr Feiglinge. Ist euer Glaube an die heiligen Gebeine nicht stärker als so?

Gert (flüstert Olaf wieder zu).

(Die Prozession hat sich zerstreut, so daß nur noch ein Teil derselben auf der Bühne zurückbleibt.)

Olaf (zu Morten). Du kannst nun zufrieden sein, du Heuchler! Geh und sage ihm, dem du dienest, daß man im Begriff ist, einen Silberschrein zu vergraben, und er wird ihn mit seinen Nägeln aus der Erde herausgraben; sage ihm, daß der Mond, der sonst von Silber ist, sich zu Gold verwandelt hat, nur damit dein Herr einmal seine Augen zum Himmel erheben soll; sage ihm, daß du mit deinem gotteslästerlichen Aufzug es erreicht hast, eines würdigen Mannes Verdruß zu erregen –

Morten (hat sich mit der Prozession entfernt).

Gert. Genug, Olaf! (Zu den Verschworenen, außer Olaf und Laurentius Andreas.) Verlaßt uns!

Die Verschworenen (flüstern untereinander und gehen ab).

 

Vierter Auftritt.

Gert. Laurentius Andreae. Olaf.

Gert (zu Olaf und Laurentius Andreae). Nun ist es zu spät zurückzuweichen!

Olaf. Was willst du, Gert, sprich es offen aus!

Gert (nimmt ein Buch vor). Zu euch beiden, den Dienern Gottes, tritt ein Volk, um zu beichten. Erkennt ihr euern Eid an?

Olaf und Laurentius Andreae. Wir haben geschworen!

Gert. Dieses Buch ist die Frucht meiner stillen Arbeit. Ihr werdet auf jedem Blatte einen Klageschrei lesen, einen Seufzer von Tausenden, welche blind genug gewesen sind, zu glauben, es sei Gottes Wille, daß sie Unterdrückung erleiden sollten, die es für ihre Pflicht angesehen haben, nicht einmal an Befreiung zu glauben zu wagen.

Olaf (liest).

Gert. Ihr werdet Klagestimmen vernehmen von des Nordlandes äußersten Grenzen, bis zum Sund herab – von den Ruinen der Kirchen erbaut der Adel neue Schlösser und neue Gefängnisse für das Volk – ihr werdet lesen, wie der König Recht und Gesetz verkauft, da er Mörder der Strafe entgehen läßt, wenn sie eine genügende Buße zahlen. Ihr werdet lesen, wie er das Laster besteuert, da er die Dirnen dafür Steuer zahlen läßt, daß sie ihrem Gewerbe nachgehen dürfen; ja selbst die Fische in den Flüssen, selbst das Meerwasser hat er sich zugeeignet, aber nun hat das ein Ende, man hat dem Volke die Augen geöffnet, es gärt und siedet, bald wird der Unterdrücker zerschmettert, und die Unterdrückten werden frei sein!

Olaf. Wer hat dieses Buch gedichtet?

Gert. Das Volk! Es sind Volkslieder, siehst du, die man hier singt, wenn man im Joch geht. Ich bin in den Städten und Dörfern umhergereist, ich habe sie gefragt: seid ihr glücklich? und hier ist die Antwort! Ich habe Thing abgehalten! Hier ist der Beschluß eingetragen! Glaubt ihr, daß der Wille von Millionen von einem abhängig sei! Meint ihr, Gott hat dieses Land mit Menschenseelen und Eigentum einem einzigen geschenkt, auf daß derselbe damit nach Gutdünken verfahren sollte, oder meint ihr nicht vielmehr, daß er ausführen soll, was alle wollen! Ihr antwortet nein! Nun wohl, ihr erbebt bei dem Gedanken, daß das ein Ende nehmen kann! Hört nun meine Beichte, und ihr alle seid frei!

Olaf und Laurentius Andreae. Was sagst du?

Gert. Ihr begriffet nicht, was ich bei unsern Zusammenkünften sprach.

Olaf. Du hast uns betrogen!

Gert. Keineswegs! Ihr seid frei! Zwei Stimmen weniger machen nichts aus! Alles ist bereit!

Laurentius Andreae. Hast du die Folgen bedacht?

Gert. Tor, es war doch wohl der Folgen willen, daß ich dieses tat.

Olaf. Wenn du recht hättest, Gert? Was sagst du, Laurentius?

Laurentius Andreae. Ich bin nicht dazu geboren, an der Spitze zu gehen!

Olaf. Alle sind geboren an der Spitze zu gehen, aber nicht alle wollen ihr Fleisch opfern.

Gert. Nur der geht voran, der den Mut hat auszuharren, wenn er verlacht und verhöhnt wird. Was ist ihr Haß gegenüber dem tödlichen Spott!

Olaf. Wenn es mißglückte –

Gert. Waget auch das! Ihr wißt nicht, daß Thomas Münzer ein neues geistiges Reich in Mühlhausen errichtet hat, ihr wißt nicht, daß ganz Europa in Aufruhr ist. Was war Dake anders, als ein Verteidiger der Unterdrückten. Was haben die Darlekarlier bei ihrem Aufruhr andres getan, als ihre Freiheit gegen denjenigen verteidigt, der Glauben und Gesetze brach. Das tut er ungestraft, aber wenn sie sich verteidigen wollen, dann schreit man Verräterei und Empörung!

Olaf. Dahin wolltest du mich also führen, Gert?

Gert. Hat dich der Strom nicht dahin geführt! Du willst wohl, aber du wagst es nicht; morgen in der Hauptkirche wird die Mine springen; das wird das Signal für das Volk werden, sich zu erheben und einen Fürsten nach seinem Gefallen zu wählen.

Olaf (schlägt das Buch zu). Ist es der Wille aller, so kann ihn niemand hindern! Gert, laß mich zum Könige gehen mit diesem Buch und ihm zeigen, was sein Volk will, und er wird ihnen Recht widerfahren lassen!

Gert. Kind! Er wird einen Augenblick bange werden, vielleicht einer Kirche einen silbernen Becher zurückgeben; alsdann wird er gen Himmel weisen und sagen: es ist nicht mein Wille, welcher bestimmt, daß ich hier sitze und euch unrecht tue, es ist der Wille Gottes.

Olaf. So geschehe denn Gottes Wille!

Gert. Wie?

Olaf. Er muß sterben, auf daß alle leben mögen! Mörder, Undankbarer, Verräter werde ich heißen, sei es so! Ich opfere alles, selbst Ehre, Gewissen und Glauben – wenn ich diesen Armen helfen kann, die nach Erlösung schreien. Laß uns gehen, ehe ich es bereue!

Gert. Wenn du es auch tätest, es ist zu spät, du weißt nicht, daß Morten ein Spion ist, das Urteil über den Aufruhrstifter ist vielleicht schon gefällt.

Olaf. Nun wohl, ich werde nicht bereuen; und warum sollte ich auch eine Tat bereuen, die zu vollführen Gottes Ratschluß ist. Vorwärts im Namen des Herrn!

Alle (gehen ab).

Die Dirne (tritt auf und ist bei einem Grabhügel, den sie mit Blumen bestreut, auf die Knie gefallen).

 

Fünfter Auftritt.

Die Dirne. Dann Christina.

Dirne. Hast du mich nun genug gestraft, Herr, so daß du mir vergeben kannst?

Christina (kommt eilig). Sagt mir, Frau, habt Ihr Meister Olaf gesehen?

Dirne. Seid Ihr seine Freundin oder Feindin?

Christina. Ihr beleidigt mich.

Dirne. Vergebt mir! Ich habe ihn nicht gesehen, seitdem ich das letztemal betete.

Christina. Ihr seht so traurig aus! Nun erkenne ich Euch wieder. Ihr wart es, mit welcher Olaf eines Abends bei der Hauptkirche sprach.

Dirne. Ihr dürft nicht mit mir reden, daß es jemand sieht; Ihr wißt nicht, wer ich bin?

Christina. Ja, das weiß ich!

Dirne. Ihr wißt es? Wer hat es Euch gesagt?

Christina. Olaf hat es mir gesagt!

Dirne. O mein Gott, und Ihr verachtet mich nicht?

Christina. Ihr seid ein unglückliches, verfolgtes Weib, hat Olaf mir gesagt, und warum sollte ich eine Unglückliche verachten?

Dirne. So seid Ihr selbst nicht glücklich?

Christina. Nein, wir haben ein und dasselbe Schicksal.

Dirne. So bin ich also nicht die einzige. Welchem Unwürdigen schenktet Ihr Eure Liebe?

Christina. Einem Unwürdigen?

Dirne. Vergebt mir, keiner ist unwürdig, den Ihr liebt! Wem habt Ihr Eure Liebe geschenkt?

Christina. Ihr kennt Meister Olaf?

Dirne. Nein, das müßt Ihr mir nicht sagen; raubt mir nicht auch noch den Glauben an ihn, es ist der letzte, den ich noch übrig habe, seit mir Gott mein Kind nahm.

Christina. Habt Ihr ein Kind gehabt? So seid Ihr also doch einmal glücklich gewesen!

Dirne. Ich danke Gott, daß er meinen Sohn niemals hat erfahren lassen, was für eine Unwürdige seine Mutter war.

Christina. Habt Ihr denn ein Verbrechen begangen, daß Ihr so redet!

Dirne. Ganz vor kurzem habe ich es begraben!

Christina. Euer Kind? Was sagt Ihr? Und ich bitte Gott jeden Tag, er möge nur ein Wesen schenken, ein einziges, das ich lieben kann!

Dirne. Armes Kind! Betet zu Gott, Euch davor zu bewahren?

Christina. Ich verstehe Euch nicht, liebe Frau!

Dirne. Nennt mich nicht so; Ihr wißt ja wer ich bin!

Christina. Betet man nicht in den Kirchen für diejenigen, die in guter Hoffnung sind?

Dirne. Nicht für uns.

Christina. Uns?

Dirne. Für die andern betet man, uns flucht man!

Christina. Was meint Ihr mit den andern! Ich verstehe Euch nicht!

Dirne. Kennt Ihr Meister Olafs Gattin?

Christina. Das bin ich ja selbst!

Dirne. Ihr! Warum sah ich es nicht? Könnt Ihr mir den Zweifel eines Augenblicks vergeben? Konnte die Schuld so aussehen, wie Ihr und er? O weh! Verlaßt mich, Ihr seid ein Kind, das noch nichts vom Bösen weiß! Ihr dürft nicht länger mit mir reden! Gott segne Euch, lebt wohl!

(Sie will gehen.)

Christina. Geht nicht von mir! Wer Ihr auch seid, bleibt um Gottes willen; man ist in unser Haus eingebrochen, und mein Mann ist nirgends zu finden. Geleitet mich von hier fort, heim zu Euch, oder wohin Ihr sonst wollt. Ihr seid so gut, Ihr könnt keine Verbrecherin sein –

Dirne (unterbricht sie). Wenn ich Euch nun sage, daß die Roheiten des Pöbels Euch nicht halb so viel schaden können, als meine Gesellschaft; darum verzeiht Ihr mir wohl, daß ich gehe –

Christina. Wer seid Ihr?

Dirne. Ich bin eine Verworfene, an der der Fluch, welchen Gott bei dem Sündenfall gegen das Weib schleuderte, in Erfüllung gegangen ist! Fragt mich nicht mehr, denn wenn ich Euch mehr sagte, würde Eure Verwerfung mich zur Selbstverteidigung verlocken, welche noch verwerflicher wäre. Hier kommt jemand, der vielleicht edelmütig genug sein wird, Euch zu geleiten, wenn Ihr ihm Ruhm und Ehre und ewige Seligkeit für die Mühe gelobt, denn mit weniger wird er sich zu so später Stunde kaum genügen lassen. Vergebt mir, meine Bitterkeit ist nicht gegen Euch gerichtet.

Windrank (tritt berauscht auf).

 

Sechster Auftritt.

Die Vorigen. Windrank.

Windrank. Da soll mich doch gleich der Teufel holen, daß man nicht allein sein kann. Nicht einmal hier unter Leichen. Hört nun, ihr Frauenzimmer, seid so gut und fragt mich nichts, denn jetzt stehe ich nicht dafür ein, daß ich euch nicht schließlich doch Antwort gebe. Übermorgen werde ich von allem reden, denn dann ist es zu spät. Ihr seid vielleicht obdachlose Nonnen! Ja! ja! Obschon Frauenzimmer nur Frauenzimmer sind, so glaube ich doch das Recht zu haben, unhöflich zu sein, wenn auch die Sonne untergegangen ist, es gibt freilich eine alte Verordnung, daß niemand nach Sonnenuntergang festgenommen werden darf; aber das Gesetz ist ein Schreckgespenst, welches aus Artigkeit sich Frauenzimmer gegenüber nicht geltend machen will. Still! still! Meine Zunge läuft ja wie ein Spinnrocken; daran hat nur der verdammte Branntwein schuld! Aber warum muß man mich auch in solche Geschichten hinein ziehen! Es ist ja wohl mehr, daß ich es gut bezahlt bekomme und ein gemachter Mann bin, aber ihr sollt deshalb nicht glauben, daß ich es nur des Geldes wegen tue. Freilich, nun ist es ja entschieden. Aber ich will nicht, ich will nicht! Ich will des Nachts ruhig schlafen und nicht von Gespenstern beunruhigt werden. Ob ich hingehen und alles erzählen soll? Nein, dann faßt man mich. Wenn jemand anders hingehen und es erzählen möchte! Vielleicht will eine der Nonnen so gut sein und es tun.

Christina (die sich mit der Dirne beraten hat). Habt Ihr etwas auf dem Gewissen, was Euch beunruhigt, so redet nur!

Windrank. Soll ich es erzählen? Das ist es gerade, was ich vermeiden möchte! Aber es ist schrecklich, ich halte es nicht länger aus! Und ich soll es tun! Warum gerade ich? Ich will nicht!

Christina. Mein Freund, Ihr beabsichtigt einen –

Windrank. – Mord zu begehen? Wer hat Euch das gesagt? Gott sei Lob, daß Ihr es wißt? Geht, um alles in der Welt und meldet es – sogleich, sonst kriege ich keine Ruhe; in alle Ewigkeit keine Ruhe mehr!

Christina (erschreckt, faßt sich aber sogleich). Warum sollt Ihr ihn ermorden?

Windrank. Ach, da ist so vielerlei, seht nur, wie er Eure Klöster niederreißt!

Christina. Der König!

Windrank. Ja, gerade er, der Befreier und Vater des Landes; allerdings drückt und plagt er uns, aber deswegen braucht er doch nicht gleich ermordet zu werden!

Christina. Wann soll es geschehen?

Windrank. Morgen, soviel ich weiß, in der Hauptkirche. Ja in der Kirche selbst!

Dirne (geht auf Christinas stummen Wink ab).

Christina. Wie konnte man Euch wählen, eine solche Tat zu vollbringen?

Windrank. Ja seht, ich habe meine kleinen Verbindungen unter den Kirchenbediensteten, und dann war ich arm! Aber die Sache bleibt ja übrigens dieselbe, wer auch die Pistole abfeuert, wenn nur ein gescheiter Mann zielt, und außerdem haben wir manche Unternehmungen noch im Hinterhalt, wenn ich auch das Feuer eröffnen soll. Aber warum geht Ihr nicht und meldet es?

Christina. Das ist bereits geschehen!

Windrank. Na Gott sei Lob und Dank! Adieu mein Geld!

Christina. Sagt mir, wer die Verschwornen sind?

Windrank. Ja seht Ihr, das sage ich eben nicht.

Nils, Kriegsknechte, Volk (ziehen über die Szene).

 

Siebenter Auftritt.

Die Vorigen. Nils. Kriegsknechte. Volk. Dann Olaf.

Christina. Seht Ihr, man ist ihnen bereits auf der Spur!

Windrank. Ich wasche meine Hände in Unschuld!

Nils (tritt auf Windrank zu, ohne Christina zu sehen). Habt Ihr Olaus Petri gesehen?

Windrank. Wieso?

Nils. Man sucht ihn.

Windrank. Nein, ich habe ihn nicht gesehen! Sucht Ihr noch andere?

Nils. O ja, verschiedene!

Windrank. Nein, ich habe durchaus niemand gesehen.

Nils. Wir kommen sogleich zu Euch zurück. (Er geht ab.)

Christina. Sind es die Verschwornen, die man sucht?

Windrank. Ja, gewiß! Nun mache ich mich aber ans dem Staube! Lebt wohl!

Christina. Sagt mir, bevor Ihr geht –

Windrank. Habe keine Zeit.

Christina. Ist Meister Olaf mit dabei?

Windrank. Ja, gewiß!

Christina (fällt ohnmächtig auf einem Grabe nieder).

Windrank (wird nüchtern und wirklich gerührt). Herr Gott im Himmel, das ist sicher seine Frau! (Er geht zu Christina hin.) Ich glaube, ich habe sie getötet! Hans! Hans! Nun kannst du hingehen und dich aufhängen! Was hattest du unter den Großen zu schaffen! Herbei! und helft einem armen Weibe!

Olaf (wird inzwischen von Kriegsknechten mit Fackeln vorübergeführt, er erblickt Christina, reißt sich los und fällt neben ihr auf die Knie). Christina!

Christina. Olaf! Du lebst! Laß uns fortgehen von hier, heim zu uns!

Olaf (zerknirscht). Es ist zu spät!

 

Verwandlung.

Ein Teil der Hauptkirche.

 

Achter Auftritt.

Olaf und Gert in Gefangenenkleidung auf Prangern bei der Tür. Die Orgel spielt. Die Glocken läuten. Der Gottesdienst ist zu Ende, und das Volk kommt aus der Kirche heraus. Der Balgentreter und seine Frau stehen in einiger Entfernung vorn auf der Szene.

Balgentreter. Kanzler Lars wurde begnadigt, aber Meister Olaf nicht.

Die Frau. Der Kanzler ist immer ein friedlicher Mann gewesen, der kein Aufhebens von sich gemacht hat, und ich verstehe nicht, daß er sich an so schrecklichen Geschichten hat beteiligen wollen.

Balgentreter. Der Kanzler ist immer ein Sonderling gewesen, obgleich er nicht viel gesagt hat. Begnadigt wurde er freilich, aber es kostete ihn sein ganzes Vermögen. Ich kann mir nicht helfen, Meister Olaf tut mir leid. Ich habe ihn doch immer gern gehabt, wenn auch schwer mit ihm umzugehen war.

Die Frau. Wie kann man auch einen so jungen Menschen zum Pfarrer machen.

Balgentreter. Ja, er war furchtbar jung, das war allerdings ein Fehler von ihm, aber der verliert sich ja im Laufe der Zeit.

Die Frau. Wie du schwatzest! Er soll doch heute noch zum Tode gehen!

Balgentreter. Ja, Herr Gott, das hätte ich beinahe vergessen, aber es kommt mir auch ganz unglaublich vor.

Die Frau. Weißt du, ob er bereut hat?

Balgentreter. Das glaube ich nicht, denn er ist immer ein eigensinniger Kopf gewesen und wird es bleiben.

Die Frau. Aber er wird schon mürbe werden, wenn er jetzt seine Schüler zu sehen bekommt, die er nicht mehr einsegnen sollte.

Balgentreter. Ich darf wohl sagen, daß der König gradezu gemein verfährt, wenn er erst einmal angreift. Nun läßt er den Pfarrer just an dem Tage öffentliche Buße tun, da seine Schulkinder eingesegnet werden sollen. Das ist beinahe ebenso grausam, als wenn er den Dompropst Göran mit dem Henker Brüderschaft trinken, oder wenn er die Prälaten mit Birkenrindenkörbchen auf dem Kopf durch die Stadt reiten läßt.

Die Frau. Und dann soll sein Bruder Laurentius ihn zum Tode bereiten.

Balgentreter. Siehst du, hier kommen die Kinder; sie sehen betrübt aus, das kann man ihnen nicht verdenken. Ich glaube, ich muß nach Hause gehen und weinen.

 

Neunter Auftritt.

Die Konfirmanden, Mädchen und Knaben, ziehen an Olaf mit Blumensträußen vorüber. Sie sind betrübt und gehen mit niedergeschlagenen Augen. Volk folgt ihnen. Neugierige zeigen mit Fingern auf Olaf, andere weisen diese zurecht. Wilhelm, der erste Schüler, geht als der Letzte in der Prozession, er bleibt schüchtern vor Olaf stehen, fällt auf die Knie und legt seinen Blumenstrauß zu Olafs Füßen nieder, ohne daß dieser etwas merkt, da er die Kapuze über das Gesicht gezogen hat. Ein Teil des Volkes murrt, andere murmeln beifällig. Morten tritt vor, um die Blumen zu entfernen, wird aber vom Volke zurückgedrängt. Kriegsknechte bahnen Laurentius Petri, der im Ornat daherschreitet, den Weg. Das Volk verschwindet in der Kirche. Laurentius Petri, Olaf, Gert bleiben allein.

(Die Orgel verstummt. Die Glocken läuten aber weiter.)

 

Zehnter Auftritt.

Laurentius Petri. Olaf. Gert.

Laurentius Petri (zu Olaf). Olaf! Der König hat das Gnadengesuch der Bürgerschaft abgeschlagen. Bist du bereit zu sterben?

Olaf. Ich kann so weit nicht in die Zukunft denken.

Laurentius Petri. Es ist mir übertragen worden, dich zum Tode zu bereiten!

Olaf. Es muß schnell gehen. Noch rollt das Blut in meinen Adern!

Laurentius Petri. Bereust du deine Tat?

Olaf. Nein!

Laurentius Petri. Willst du unversöhnlichen Sinnes in die Ewigkeit eingehen?

Olaf. Lege das Formular fort, wenn du willst, daß ich dich anhören soll! Ich glaube nicht, daß ich jetzt sterben kann, ich habe noch allzuviel Lebenskraft übrig.

Laurentius Petri. Ich will dir sagen, ich glaube es auch, und darum bereite ich dich zu einem neuen Leben in dieser Welt.

Olaf. Ich darf also leben?

Laurentius Petri. Wenn du anerkennen willst, daß das Bisherige eine Verirrung war, und wenn du deine Äußerungen widerrufst.

Olaf. Wie sollte ich das können? Das hieße ja sterben!

Laurentius Petri. Das war es, was ich dir zu sagen hatte! Entschließe dich nun selbst.

Olaf. Man unterhandelt nicht um Überzeugungen.

Laurentius Petri. Auch ein Irrtum kann zur Überzeugung werden. Ich überlasse es dir, die Sache zu überlegen.

(Er geht ab.)

Gert. Unsere Ernte war noch nicht reif. Es muß viel Schnee fallen, wenn die Herbstsaat gedeihen soll, ja, Jahrhunderte werden vergehen, bevor man einen einzigen Keim erblicken wird! Die Verschworenen sind ergriffen, sagt man, und so hält man Dankgebete ab, man täuscht sich: hier mitten unter uns gehen die Verschworenen umher, in den königlichen Gemächern, in den Kirchen und auf dem Markte, aber sie wagen nicht, was wir gewagt – allein das kommt schon noch einmal. Lebe wohl, Olaf! Du darfst länger leben, denn du bist jung, ich werde mit großer Freude sterben; der Name jedes neuen Märtyrers wird ein neuer Feldruf für eine neue Schar. Glaube niemals, daß eine Lüge eine Menschenseele entflammt, mißtraue niemals den Regungen, die dein Innerstes erschüttert, wenn du jemand geistige oder körperliche Gewalt hast erleiden seyen; wenn auch die ganze Welt sagt, du hast unrecht, so glaube doch deinem Herzen, wenn du den Mut dazu hast. An dem Tage, da du dich selbst verleugnest, bist du tot, und ewige Verdammnis wird eine Gnade sein für denjenigen, der Sünde gegen den heiligen Geist begangen hat!

Olaf. Du sprichst mit Gewißheit von meiner Befreiung?

Gert. Die Bürgerschaft hat 500 Dukaten Lösegeld für dich geboten. Wenn es nur 2000 kostete, die Brigitta zur Heiligen zu erklären, so werden 500 doch wohl genügen, dich schuldlos erscheinen zu lassen. Der König wagt es nicht, dir das Leben zu nehmen.

Lars Siggeson (der Reichsmarschall, kommt mit dem Henker und Kriegsknechten).

 

Elfter Auftritt.

Olaf. Gert. Lars Siggeson. Henker. Kriegsknechte.

Marschall. Führt Gert Boekprenter fort!

Gert (wird fortgeführt). Lebe wohl, Olaf! Nimm dich meiner Tochter an und vergiß niemals den großen Pfingsttag!

Marschall. Meister Olaf! Ihr seid ein junger Mann, der auf Irrwege geleitet wurde! Der König verzeiht Euch Eurer Jugend wegen, fordert aber als Sicherheit eine Abbitte, in der Ihr widerruft, was Ihr gegen oder über die Befehle des Königs hinaus getan habt.

Olaf. Der König braucht mich also auch fernerhin?

Marschall. Es gibt viele, die Euch brauchen. Aber bauet nicht auf Gnade, bevor Ihr die Bedingung erfüllt. Hier ist die Vollmacht des Königs, im nächsten Augenblick können Eure Ketten gelöst sein, wenn Ihr wollt, aber auch dies Papier kann zerrissen sein!

Olaf. Wer mit 500 Dukaten zufrieden ist, macht sich nichts aus einem Widerruf.

Marschall. Das ist eine Lüge! Der Henker wartet bereits auf Euch! Aber ich bitte Euch, einige Worte eines alten Mannes anzuhören: Ich bin auch jung gewesen und von mächtigen Leidenschaften bewegt worden; das gehört zur Jugend, aber diese Leidenschaften müssen ertötet werden. Ich machte es wie Ihr, ich ging umher und streute Wahrheiten aus, aber ich erntete nur Undank dafür, im besten Falle ein Lächeln; ich wollte auch ein kleines Himmelreich errichten, (mit Nachdruck) natürlich auf anderen Grundlagen als Ihr, aber ich kam bald zur Vernunft und scheuchte die Hirngespinste fort. Ich will sicher nicht behaupten, daß Ihr ein Mann seid, der dadurch zur Berühmtheit gelangen will, daß er viel Aufhebens von sich macht, das glaube ich selbst nicht. Ihr tut alles in der besten Absicht, aber diese Absicht ist es, die viel Böses anrichtet. Ihr habt heißes Blut, das Euch verblendet, weil Ihr Euch nicht im Zaume haltet; Ihr predigt Freiheit und stürzt Tausende in die Sklaverei der Zügellosigkeit. Kehret um, junger Mann, und sühnet, was Ihr verbrochen, stellt wieder her, was Ihr niedergerissen, und die Menschen werden Euch segnen.

Olaf (verzweifelt und erschüttert). Ihr redet die Wahrheit, das höre ich, aber wer hat Euch diese Rede gelehrt?

Marschall. Die Erfahrung! Und diese fehlt Euch!

Olaf. Sollte ich gelebt und gestritten haben für eine Lüge: soll ich gezwungen werden, meine ganze Jugend und meine besten Mannesjahre für verloren, verschwendet und verspielt zu erklären? Laßt mich lieber mit meinem Irrtum sterben.

Marschall. Ihr solltet auf Eure Träume etwas früher verzichtet haben. Aber seid ruhig. Ihr habt noch das Leben vor Euch, das verflossene ist eine Schule gewesen, zwar hart, aber desto gesünder. Ihr habt bis heute für Grillen und Torheiten gelebt. Ihr habt verschiedenes versäumt, was die Wirklichkeit von Euch fordert. Vor dieser Tür stehen Eure Gläubiger mit ihren Forderungen. Hier sind ihre Schuldscheine! Die Priesterschaft der neuen Kirche fordert, daß Ihr leben sollt, um zu vollführen, was Ihr so schön begonnen habt. Die Bürgerschaft der Stadt fordert ihren Sekretarius in der Ratsstube, die Gemeinde ihren Hirten, die Konfirmanden fordern ihren Lehrer. Dies sind diejenigen, die mit gesetzlichem Recht ihre Forderungen stellen. Aber es steht noch jemand draußen, dem Ihr vielleicht am meisten schuldig seid, und der doch nichts fordert, und das ist Euere junge Gattin. Ihr habt sie ihrem Vater entrissen und in den Sturm hinausgetrieben, Ihr habt ihren Kinderglauben niedergerissen und Unruhe in ihr Herz geschleudert; Eure Torheiten haben eine rohe Volksmenge erregt, sie aus ihrem Heim zu vertreiben, und sie fordert auch keine Liebe von Euch, sie bittet nur, ihr Leben unter Leiden an Eurer Seite hinschleppen zu dürfen; Ihr seht, daß auch wir uns mit andern beschäftigen, obgleich Ihr uns selbstsüchtig nennt. Laßt mich diese Tür öffnen, die Euch wieder in die Welt hinausführen soll, beuget Euren Sinn, solange er noch weich ist, und danket Gott, daß er Euch noch Zeit gibt, für die Menschheit zu wirken!

Olaf (weint). Ich bin verloren!

Marschall (gibt dem Henker ein Zeichen, worauf derselbe Olaf die Fesseln und die Gefangenenkleidung abnimmt. Alsdann öffnet der Marschall die Tür zur Sakristei).

Deputierte des Rats, der Priester- und Bürgerschaft (treten ein).

 

Zwölfter Auftritt.

Marschall. Olaf. Deputierte des Rats. Priester. Bürger. Laurentius Petri. Christina. Volk.

Marschall. Olaus Petri, früher Pfarrer an der Hauptkirche zu Stockholm, leistet Ihr hiermit Abbitte für das, was Ihr verbrochen, widerruft Ihr, was Ihr gegen und über die Befehle des Königs gesagt habt, und erklärt Ihr Euch bereit, Euren Eid dem Könige Schwedens zu halten und ihm treu zu dienen?

Olaf (schweigt).

Laurentius Petri und Christina (gehen auf ihn zu).

Volk (macht bittende Gebärden).

Olaf (kalt und bestimmt). Ja!

Marschall. Im Namen des Königs, Ihr seid frei!

Olaf und Christina (umarmen einander).

Volk (ergreift Olafs Hand und wünscht ihm Glück).

Olaf (kalt). Bevor ich diesen Raum verlasse, laßt mich einen Augenblick mit meinem Gott allein, ich bedarf dessen! Hier schlug ich einst meine erste Schlacht und hier –

Laurentius Petri. Hier gewannst du heut den größten Sieg.

Alle (gehen ab, außer Olaf).

Olaf (fällt auf die Knie).

Wilhelm (kommt vorsichtig herein und ist erstaunt, als er Olaf allein und frei sieht).

 

Dreizehnter Auftritt.

Olaf. Wilhelm.

Wilhelm. Meister Olaf, ich komme, Euch Lebewohl zu sagen, bevor Ihr in ein anderes Leben eingeht.

Olaf (steht auf). Wilhelm, du verließest mich nicht, laß mich weinen bei dir, bei der Erinnerung an die frohen Stunden meiner Jugend.

Wilhelm. Bevor Ihr sterbt, wollte ich Euch für das Gute danken, was Ihr uns erwiesen habt. Ich war es, der Euch diese Blumen gab, aber Ihr habt sie nicht gesehen. – Sie sind zertreten, wie ich sehe. – Ich wollte Euch ein Erinnerungszeichen an die Zeit geben, da wir unter den Linden auf dem Klosterhofe zu Strengnaes spielten; ich glaubte, es würde Euch wohltun, zu sehen, daß wir Gott nicht dafür dankten, daß Ihr nicht wiederkamt, wie Ihr damals sagtet. Niemals vergaßen wir Euch, denn Ihr befreitet uns von den grausamen Strafen, und Ihr wart es, der die düstern Klostertüren öffnete und uns die Freiheit, den blauen Himmel und das frohe Leben wiedergab. Warum Ihr sterben sollt, wissen wir nicht, aber niemals konntet Ihr etwas tun, was nicht recht ist, und sterbt Ihr, weil Ihr einige unterdrückte Menschen unterstütztet, wie man sagt, so darf es Euch nicht schmerzen, wenn es uns auch viel, viel Weh bereiten wird. Ihr spracht einmal davon, wie man Huß verbrannte, weil er es gewagt hatte, den Mächtigen die Wahrheit zu sagen. Ihr schildertet, wie er den Scheiterhaufen bestieg und sich freudig in Gottes Hand empfahl, indem er von dem Schwan weissagte, der dereinst kommen würde und neue Weisen singen zum Preise der erwachten Freiheit. So, habe ich mir gedacht, würdet Ihr dem Tode entgegengehen mit freier Stirn, den Blick gen Himmel gerichtet, unter dem Zuruf des Volkes: »So stirbt ein Wahrheitszeuge!«

Olaf (lehnt sich zerknirscht an den Pranger).

Gerts Stimme (in weiter Ferne in der Kirche). Abtrünniger!

Olaf (fällt vernichtet auf dem Pranger nieder).

 

Ende.


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