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Zweiter Aufzug

Stockholm.

Eine Bierschenke in der Mauer der großen Kirche. Im Hintergrunde ein Schenktisch mit Bierkrügen und Bechern usw. Rechts davor ein Tisch, hinter welchem man eine eiserne Tür erblickt. An diesem Tisch sitzen zwei vermummte Mönche (Marten und Nils) und trinken Bier. An den übrigen Tischen deutsche Kriegsleute, Bauern und Seemänner. Die Tür zur Gasse hinaus ist auf der rechten Seite. Ein Spielmann sitzt mit seiner Fiedel auf einer Tonne. Kriegsleute spielen Würfel. Alle sind betrunken und sehr laut. Hans Windrank, ein Smaaländer, ein deutscher Bürger und ein Däne sitzen zusammen an einem Tisch.

Erster Auftritt.

Morten. Nils. Deutsche Kriegsleute. Bauern. Seemänner. Spielmann; sein Mädchen. Windrank. Ein Smaaländer, ein Deutscher, ein Däne. Wirt. Bedienung.

Der Deutsche (zu dem Dänen). Na, so, Ihr verteidigt also den Bluthund Christian.

Der Däne. Herrgott, er ist ja doch ein Mensch!

Der Deutsche. Nein, er ist ein Untier! Ein feiger, falscher dänischer Bluthund!

Der Däne. Ach, Ihr solltet nicht von Blut reden! Gedenket des Mordes auf Käppling, da die Deutschen –

Windrank. Hört, liebe Leute, laßt uns nun friedlich beisammensitzen und guter Dinge sein, dann werde ich von Amerika erzählen!

Der Deutsche. Wollt Ihr uns Lübeckern dafür die Schuld geben, was die Deutschen getan haben?

Der Däne. Nein, behüte! Ich sage nur, die Deutschen –

Windrank. Hört, nun solltet ihr aufhören, euch zu zanken! (Er ruft dem Wirt zu.) Vier Schoppen Branntwein! – Nun wollen wir gemütlich sein und Frieden halten miteinander, dann werde ich euch von Amerika erzählen – (Der Branntwein wird gebracht.)

Der Deutsche (kostet ihn). Ein herrlicher Trunk! Bedenkt doch einmal, wie die Aufklärung fortgeschritten ist! Heute wächst das Korn auf dem Felde –

Windrank. – und morgen ist es verwandelt zu Wein! Ich möchte nur wissen, wer die Erfindung gemacht hat.

Der Deutsche. Das ist eine deutsche Erfindung. – Ich sage ausdrücklich Erfindung – denn Amerika entdeckt man.

Windrank. Und mit Entdeckungen geben sich die Deutschen nicht ab.

Der Deutsche. Donnerwetter!

Der Däne. Könnt Ihr mir wohl sagen, wer erfunden hat, daß es die Deutschen waren, welche Schweden seinen jetzigen König gaben?

(Gelächter.)

Der Deutsche. Es waren die Lübecker, die Schweden seinen Befreier gaben, als es am Rande des Abgrundes schwebte.

Windrank. Der König lebe hoch!

Der Däne. Lübeck lebe!

Der Deutsche (geschmeichelt). Ich weiß wirklich nicht, wie ich –

Windrank. Ihr seid ja nicht der König!

Der Deutsche. Nein, aber mein dänischer Bruder –

Der Däne. Ihr seid ja kein Lübecker mehr, seitdem Ihr Bürger von Stockholm geworden.

Windrank (zu dem Smaaländer). Warum trinkt unser stummer Bruder nicht?

Der Smaaländer. Euern Kornbranntwein werde ich trinken, aber in das Hoch stimme ich nicht mit ein. (Er drückt den Blechkrug zusammen und wirft ihn auf den Boden.)

Windrank (faßt nach seinem Messer). Was! Ihr wollt nicht auf des Königs Wohl trinken?

Der Smaaländer. Ich habe so lange seinen bittern Kelch getrunken, daß ich jetzt keine Lust habe, auf sein Wohl zu trinken.

Windrank. Kreuzdonnerwetter!

Der Deutsche (lebhaft). Still, still! Laßt uns den Mann anhören!

Der Däne (ebenso). Na, versteht sich!

Der Smaaländer. Gott helfe nur, wenn ich heimkomme!

Windrank (gerührt). Was ist Euch, armer Mann? Ihr seht so verzagt aus, fehlt's Euch an Geld? Seht hier, seid so gut! (Er nimmt seine Börse vor.) Die halbe Heuer habe ich noch übrig! Was fehlt Euch?

Der Smaaländer. Reden wir davon nicht! Mehr Branntwein! Branntwein! Ich habe auch Geld in der Tasche! Seht her – Gold! (Der Branntwein kommt.) Zwar gehört es nicht mir; aber, bei Gott, bis auf den letzten Heller gedenke ich es zu vertrinken! Und ihr sollt so gut sein, mir dabei zu helfen.

Windrank. Das ist nicht Euer Geld, sagt Ihr – wie geht das zu?

Der Deutsche. Wer hat Euch was getan, mein lieber Mann? Denn ich sehe wohl, daß Euch etwas fehlt!

Der Smaaländer. Ich bin ein zugrunde gerichteter Mann! Seht, ich kaufte zweihundert Ochsen auf Borg, und als ich nach Stockholm kam, mischte der Vogt des Königs sich in die Sache und sagte, ich dürfte sie zu keinem höheren Preise verkaufen, als die seinigen. Der König bestimme die Preise für das Vieh; der König ist es also, der mich zugrunde gerichtet hat.

Der Deutsche. Nein, was Ihr sagt!

Der Smaaländer. Ach, ich weiß noch mehr als das! Man sagt, er wird uns bald die Mönche und die Priester rauben, nur um dem Adel gefällig zu sein.

Der Däne. Dem Adel?

Der Smaaländer. Ja, ja! König Christian könnte schon noch ein wenig dichter gemäht haben, Gott segne ihn!

Windrank. Hilf Himmel, ist der König so? Ich glaubte, er hielte den Adel im Zaume.

Der Smaaländer. Er? O nein, er füttert ihn mit der Gerechtsame, auf meinem Grund und Boden Bäume zu fällen, wenn ich übrigens noch welchen hätte; ja, denn seht, ich hatte einmal ein Stückchen Land, aber dann kam ein großer Herr und sagte, meines Großvaters Mutter hätte von dem Vater seines Großvaters Geld geliehen, und so wurde mir das Ganze weggenommen.

Der Deutsche. Kann der König wirklich so sein? Das hätte ich doch nicht gedacht!

Der Smaaländer. Ja, freilich ist er so! Und dann laufen die adligen Junker mit der Büchse in unsere Wälder und schießen die Rehe aus reinem Mutwillen, aber wenn wir Bauern vor Hunger auf den Tod lägen und dann so ein Tier niederknallten, ho, dann entgingen wir dem wohl, Hungers zu sterben – denn sie hängten uns – nicht an eine Eiche, Gott bewahre, das wäre eine Schande für den königlichen Baum – nein, an eine Föhre! Denn seht, die Föhre ist nicht mit der Krone geboren worden, und darum ist sie nicht königlich – und darum heißt es auch in dem Liede:

Den Bauer hängten wir auf
Am obersten Wipfel der Föhre.

Dort steht nicht Krone, versteht Ihr wohl.

Der Deutsche. Aber die Föhre streckt gleichwohl die Nase in die Höhe, und steht mit geradem Rücken da!

Der Smaaländer. Prost, liebe Leute! Es ist gut gemeint! Das ist ein gesegneter Trunk! Wenn ich nur nicht Weib und Kinder daheim hätte! Ach ja, ja! Aber das macht nichts! Ach ja, ich weiß noch mehr, aber davon bin ich lieber hübsch still.

Windrank. Was wißt Ihr denn?

Der Deutsche. Vielleicht etwas Spaßhaftes?

Der Smaaländer. Seht – wenn man nun alle Fichten in Smaaland zählte, dann glaube ich beinahe, es sind mehr, denn der Eichen!

Der Deutsche. Glaubt Ihr das?

Windrank. Ich kann es nicht dulden, daß man Übles vom Könige redet. Ich muß sagen, ich kenne sein Tun und Lassen nicht so genau, und es geht mich auch nichts an, aber das weiß ich, daß er sich der Seeleute annimmt! Ja, er ist es, der die Spanienfahrer ausgerüstet und mich zum Schiffer gemacht hat, und so kann ich mich auch wohl nicht über ihn beklagen.

Der Deutsche. Aber das hat er nur aus Böswilligkeit getan, um den Handel der Lübecker zu schädigen, denen er soviel verdankt!

Der Smaaländer. Er bekommt schon seinen Lohn dafür! Die Ochsen haben noch Hörner, wenn man sie ihnen auch beschnitten hat! Dank für gute Gesellschaft. Nun muß ich fort.

Der Deutsche. Ach nein! Noch ein Gläschen, wir sind jetzt in so nettem Gespräch.

Der Smaalander. Nein, danke schön, ich darf nicht mehr trinken, denn ich fürchte, daß es dann nicht gut abläuft. Ich habe Weib und Kind daheim, müßt Ihr wissen, und nun muß ich mich auf den Heimweg machen – und ihnen erzählen, daß wir zugrunde gerichtet sind – nein – das darf ich nicht. Ja, vielen Dank, deutscher Herr – noch einen Schluck allenfalls will ich nehmen!

Der Deutsche. Na, das gefällt mir.

(Sie trinken.)

Der Smaalander (leert seinen Becher und springt auf). Pfui Teufel, ist das bitter! (Er taumelt hinaus.)

Der Deutsche (zu dem Dänen). Ich möchte nicht an seiner Stelle sein, wenn er nüchtern wird.

Der Däne (nickt zustimmend).

(Der Lärm hat zugenommen, der Spielmann spielt. – Man vernimmt aus dem Innern der Kirche Orgeltöne.)

Windrank. Es ist doch sonderbar, daß der König ihnen erlaubt, in der Kirchenmauer eine Schenke einzurichten.

Der Deutsche. Bekommt Ihr Skrupel, Schiffer? Davon weiß der König nichts.

Windrank. Ja, aber es hört sich nicht gut an, die Orgelmusik zu dem Gesang hier. Ich meinesteils bin nun immer gottesfürchtig gewesen, müßt Ihr wissen; das habe ich von meinem Elternhause her.

Der Deutsche (ironisch). Glücklich derjenige, der eine gute Erziehung erhalten hat! Ihr habt eine Mutter gehabt –

Windrank (gerührt). Ja – ja!

Der Deutsche. Die für Euch am Abend nähte und stopfte und Euch lehrte: »Es ging ein Engel um unser Haus!«

Windrank. Ach ja!

Der Deutsche. Es war ein herrliches Weib!

Windrank (wird immer berauschter). Ihr solltet nur wissen –

Der Deutsche. Gott hat ihr Flehen erhört! Ihr weint? Ihr seid ein guter Mensch!

Der Däne. Das ist er!

Der Deutsche. Wenn Eure Mutter Euch jetzt sähe! Mit diesen Tränen in den Augen!

Windrank. Ach, ich bin ein armer Sünder, das weiß ich, aber seht – Herz habe ich, hol' mich der Teufel! Kommt ein Armer zu mir und sagt, er sei hungrig, so ziehe ich mir das Hemde vom Leibe!

Der Deutsche. Wollen wir nicht noch eins trinken?

Windrank. Nein, das hat wohl keinen Zweck!

(Man vernimmt einige Schläge gegen die eiserne Tür. Allgemeine Unruhe.)

Windrank. O weh, o weh!

Der Deutsche. Ihr braucht keine Angst zu haben! Das ist nicht die Pforte zum Himmelreich!

Windrank. Ich werde niemals mehr trinken! Das gelobe ich!

Der Deutsche (zum Dänen). Ist der Branntwein nicht ein gesegneter Trank, daß er solch einen Schlingel in solche Rührung zu versetzen mag, daß er schwärmerisch wird und sogar Enthaltsamkeitsgedanken bekommt.

Der Däne. Ja, Ihr habt recht; es gibt kein besseres Getränk.

Der Deutsche. Er öffnet weit das Herz und schließt den Kopf zu, das heißt: er macht uns zu guten Menschen, denn gut ist man ja, wenn man ein großes Herz und einen kleinen Kopf hat.

Der Däne. Ja, ich gehe noch weiter und sage, der Branntwein macht uns religiös, denn er tötet ja die Vernunft, und die Vernunft ist die Klippe, welche die Religion hindert, in unser Herz einzudringen.

Der Deutsche. Der Branntwein ist ein heiliger Trank! Wunderlich genug, daß nicht –

Der Däne. Laßt es genug sein!

(Man vernimmt wieder Schläge gegen die Eisentür.)

Windrank (der eingeschlafen war, fährt auf). Hilfe, ich sterbe!

Der Deutsche. Schade um eine so schöne Seele!

(Die Tür wird aufgestoßen, wodurch der Tisch, an dem Morten und Nils sitzen, mit Kannen und Bechern umgeworfen wird.)

Ein Weib (mit schwarz-rotem Kleide, der Kleidung der öffentlichen Dirnen, und Nonnenschleier um den Kopf stürzt herein).

Gert (zeigt sich einen Augenblick hinter ihr in der Tür, die sogleich wieder zugeschlagen wird).

 

Zweiter Auftritt.

Die Vorigen ohne den Smaaländer. Die Dirne.

Die Dirne (sieht sich verwildert um). Rettet mich! Man trachtet mir nach dem Leben!

Ein deutscher Kriegsmann. Eine Dirne mit Nonnenschleier! Hahaha!

(Gelächter.)

Morten (bekreuzigt sich). Eine Dirne! Wer führt sie in diese ehrwürdige Gesellschaft ein? Herr Wirt, werft sie hinaus, wenn Ihr nicht das Ansehen des Platzes schädigen und die Heiligkeit der Kirche verletzen wollt.

Die Dirne. Will mich denn niemand erretten?

Der Wirt (hat sie am Arm gepackt, um sie auf die Gasse hinauszusetzen).

Die Dirne. Wirf mich nicht zu den rasenden Menschen hinaus! Ich wollte mich in des Herrn Haus schleichen, um ein wenig seiner Gnade teilhaftig zu werden, ich wollte ein neues Leben beginnen – aber die Mönche trieben mich zurück und hetzten die Menge auf mich; dann kam Vater Gert und hieß mich hier Schutz suchen.

Morten. Da hört ihr selbst! Sie hat das Heiligtum Gottes geschändet! Sie wollte das Gewand der Schande mit dem Schleier der Heiligkeit decken!

Der Deutsche. Aber der Schleier war nicht lang genug!

Morten (geht ihr entgegen, um ihr den Schleier abzureißen). Fort mit der Maske, damit wir den Greuel zu sehen bekommen!

(Er stutzt, als er ihr Gesicht sieht.)

Die Dirne. Bist du es, Morten! Du Mörder!

Der Deutsche. Alte Bekannte!

Morten. Das ist eine schändliche Lüge! Ich habe sie niemals früher gesehen! Ich bin der Dominikaner Morten, und mein Bruder Nils ist mein Zeuge.

Nils (betrunken). Ich kann bezeugen – daß Bruder Morten das Weib niemals mit seinen Augen gesehen hat.

Die Dirne. Und doch warst du es, Nils, der mir Mortens Ablaßbrief zeigte, als ich aus dem Kloster gejagt wurde, und er bleiben durfte.

Nils. Ja, das ist wahr, das muß ich sagen.

Morten (außer sich vor Wut, zerrt Nils am Arm). Du lügst! Ihr seht ja, daß er betrunken ist!

Der Deutsche. Liebe Leute, ich bezeuge, daß der heilige Bruder betrunken ist, und darum lügt er.

Die Anwesenden (unwillig). Ein betrunkener Priester!

Der Deutsche. Na ja! Der Rausch erteilt Ablaß für die Lüge, nicht wahr, Vater Morten?

Der Wirt. Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, daß in meinem Hause kein Spektakel stattfinden darf; sonst kann ich leicht meine Kunden verlieren und vielleicht vor das Kapitel gefordert werden. Ihr müßt mir daher den Dienst leisten, das Weibsbild da, das an all dem Lärm schuld ist, hinauszujagen.

Morten. Werft sie hinaus, oder ich werde veranlassen, daß Ihr in den Bann getan werdet! Wißt Ihr nicht, daß wir uns innerhalb der heiligen Kirchenmauern befinden, wenn das Kapitel auch dieses Nebengebäude zur leiblichen Erquickung der Reisenden eröffnet hat?

Der Deutsche. Liebe Leute, hier ist eine heilige Stätte, und hier wohnt wahrlich Gott!

Die Anwesenden (schleppen die Dirne nach der Tür hin).

Die Dirne. Jesus Christus, hilf mir!

 

Dritter Auftritt.

Die Vorigen. Olaf.

Olaf (der an der Tür erscheint, drängt sich vor, faßt die Dirne bei der Hand und entreißt sie den betrunkenen Menschen). Antwortet mir, wer ist das Weib?

Morten. Das ist kein Weib!

Olaf. Was sagt Ihr?

Morten. Das ist auch kein Mann, obschon sie verkleidet ist.

Olaf. Ihr sagt sie, ist sie denn kein Weib?

Morten. Nein, es ist eine Dirne!

Olaf (läßt erschreckt ihre Hand los). Eine Dirne!

Der Deutsche. Laß sie nicht los, Meister Olaf, sonst läuft sie davon.

Olaf. Warum legt Ihr Hand an sie? Was hat sie begangen?

Der Deutsche. Sie ist in die Kirche gegangen.

Olaf. Nun verstehe ich! (Er sieht sich um.)

Morten. Was sucht Ihr?

Olaf (wird Morten gewahr). Ein Priester!

Morten. Ich bin ein Dominikaner!

Olaf. Ja so! Das konnte ich mir denken. So seid Ihr es, der das Volk auf sie gehetzt hat?

Morten. Ich bin es, der die Kirche gegen Unzucht schützt und sie vom Laster reinhalten will. Das ist ein exkommuniziertes Weib, das mit seinem Leibe Wucher treibt, der ein Tempel Gottes sein sollte!

Die Dirne (fällt vor Olaf auf die Knie).

Olaf (ergreift ihre Hand). Siehst du, Bruder Dominikaner! Ich wage es, ihre Hand zu fassen und sie dir Angesicht zu Angesicht gegenüberzustellen. Sie hat ihren Leib verkauft, sagst du, wie viele Seelen hast du gekauft? Auch ich bin ein Priester! Nein, ich bin ein Mensch, denn noch bin ich nicht so vermessen, daß ich Gottes Haus abschließen will, und als sündiger Mensch reiche ich meinem Mitmenschen die Hand, die nicht sündlos sein kann. Derjenige von euch trete hervor, der rein ist und den ersten Stein auf sie werfen will. Tritt hervor, Bruder Morten, du Engel des Lichtes, der du dich mit dem schwarzen Gewande der Unschuld angetan und dein Haar geschoren hast, auf daß niemand sehen kann, wie du in Sünden ergraut bist! Oder hast du vielleicht keinen Stein zur Stelle? Wehe dir, wo hast du sie alle gelassen, die du dem Volk reichen sollst, wenn es um Brot bittet? Hast du sie bereits alle fortgegeben? Tritt hervor, du ehrsamer Bürger, (zu Windrank, der auf dem Boden schläft) du, der den Schlaf eines Tieres schläft, warum erwachst du nicht, um dein Messer zu schleudern? Seht ihr, wie er errötet? Geschieht es vor Schamhaftigkeit über die schlechte Gesellschaft, in die ihr ihn geführt habt, oder aus Wollust?

Die Umstehenden (murren unwillig).

Olaf. Ihr murrt? Tut ihr es aus Scham über meine Worte oder aus Scham über euch selbst? Warum werft ihr nicht mit Steinen? Es ist wahr, ihr habt keine. Nun wohl! Öffnet die Tür, ruft das Volk zu Hilfe und laßt das Weib hinaus. Glaubt ihr nicht, daß fünfzig Männer imstande sind, sie in Stücke zu reißen, dann seid überzeugt, daß fünfhundert Weiber es vermögen würden! Na! Ihr schweigt! Steh auf, Weib, du bist frei! Gehe fort und sündige nicht mehr; aber laß nicht die Priester dich sehen, denn sie würden dich den Weibern vorwerfen!

Morten (der mehrmals versucht hat, Olaf zu unterbrechen, aber von dem Deutschen zurückgehalten ist, zieht ein Papier hervor). Dieser Mann, dessen Worten ihr hier lauscht, ist ein Ketzer, wie ihr aus seiner Rede vernommen habt; aber er ist überdies auch verflucht. Seht her! Lest selbst! (Er nimmt von einem der Tische ein Licht und wirft es mitten auf die Bühne.) »Wie dieses Licht erlischt, welches wir hier zu Boden werfen, so möge für ihn alle Freude und aller Erfolg und alles erlöschen, was ihm von Gott noch Gutes zuteil werden möge!«

Die Anwesenden (bekreuzigen sich und weichen zurück).

Olaf (bleibt mit der Dirne allein mitten im Raume stehen).

Die Anwesenden. Anathema!

Morten (zu der Dirne). Da hörst du, welche Kraft Meister Olafs Ablaß hat.

Olaf (der verzagt dagestanden). Weib! Wagst du noch auf meine Worte zu bauen? Fürchtest du mich nicht? Hörst du nicht die Bannstrahlen um unsere Häupter zischen? Warum gehst du nicht zu diesen zwanzig Gerechten hinüber, die noch innerhalb der Einfriedigung der heiligen Kirche übrig sind? – Antworte mir! Glaubst du, Gott hat mich verworfen, wie diese es getan haben?

Die Dirne. Nein!

Olaf (nimmt die Bannrolle an sich). Nun wohl! Der große Bischof in der kleinen Stadt Linköping hat meine Seele dem Satan für Lebenszeit verkauft, denn weiter reicht seine Macht nicht, weil ich dem Volke zu ungelegener Zeit gebot, sich an Gott zu wenden: hier ist der Kontrakt: wie mich die Kirche dadurch an die Hölle gebunden hat, so löse ich mich selbst von ihr los (er zerreißt das Pergament) und von dem Fluch der Kirche! Gott helfe mir, Amen!

Die Anwesenden (schreien). Anathema!

Morten. Schlagt ihn nieder! Tötet ihn! Er ist verflucht!

Olaf (stellt sich vor die Dirne). Hörst du, wie die Teufel nach ihrem Opfer schreien! Komm mir nicht nahe!

Morten. Vorwärts! Nieder mit ihm!

Ein Krieger (erhebt seine Waffe).

(Die eiserne Tür wird aufgeschlagen.)

Die Wiedertäufer (von Knipperdollink angeführt, stürzen schreiend herein, mit zerschlagenen Kruzifixen, Heiligenbildern und zerrissenen Meßgewändern).

(Alle Anwesenden werden gegen den Ausgang hingedrängt.)

 

Vierter Auftritt.

Die Vorigen. Knipperdollink. Wiedertäufer.

Knipperdollink (der voranging, als die Tür geöffnet wurde). Hierher, Leute! Hier ist noch ein heiliges Haus! Was bedeutet das? Eine Schenke im Tempel! Seht, seht: der Greuel ist so weit gekommen, daß man das Heiligtum schändet! Aber ich werde es mit Feuer reinigen! Legt Feuer an die Kirche, und die Heiligenbilder auf den Scheiterhaufen!

Olaf (tritt vor). Bedenkt, was Ihr tun wollt!

Knipperdollink. Fürchtest du, daß die Bierfässer von der Hitze bersten könnten, du Belial? Bist du der päpstliche Schenkwirt, der es für keinen Raub hält, dem Laster in der Kirchenmauer eine Kapelle zu bauen?

Olaf. Ich bin Ratssekretarius, und ich gebiete Euch im Namen des Königs, Ruhe zu halten.

Knipperdollink. Ach so, du bist der Mann, den der König ausgeschickt hat, um unsere heilige Sache zu bekämpfen? Vorwärts, vorwärts, ihr Männer Gottes, und ergreift zuerst ihn, dann werden wir das Haus des Herrn von Abgötterei reinigen!

Morten. Vorwärts, vorwärts, liebe Leute! Er ist ein Ketzer und verflucht!

Knipperdollink. Ein Ketzer? So gehörst du nicht zu den Papisten?

Olaf. Da ich in den Bann getan bin, gehöre ich nicht mehr der Kirche an.

Knipperdollink. So stehst du auf unserer Seite!

Olaf (schweigt).

Knipperdollink. Antwort! Bist du gegen uns oder für uns?

Morten. Es ist Olaf Pederson, den der König ausgesandt hat.

Knipperdollink. Bist du Olaf Pederson?

Olaf. Ja.

Knipperdollink. Aber du bist ein Ketzer?

Olaf. Ich rühme mich, es zu sein!

Knipperdollink. Und stehst im Dienste des Königs?

Olaf. Ja.

Die Wiedertäufer (schreien und umringen Olaf).

Gert (stürzt durch die eiserne Tür herein).

 

Fünfter Auftritt.

Gert. Olaf. Die Dirne. Windrank. Dann die Mutter. Christina. Morten.

Gert. Haltet inne! Was tut ihr?

Knipperdollink. Gert! Wer ist der Mann?

Gert. Er ist einer der Unsern! Laßt ihn los, Freunde! Da stehen die Sendlinge des Teufels! (Er zeigt auf Morten und Nils, die hinauseilen.)

Die Wiedertäufer (laufen ihnen mit Hieben und Schlägen nach).

Gert (wendet sich in der Tür gegen Olaf um).

Die Dirne (hat sich in einen Winkel zurückgezogen).

Windrank (schläft noch immer unter dem Tisch).

Olaf (steht gedankenvoll mitten auf der Bühne).

Gert (wirft sich ermattet auf eine Bank). Das ist eine schwere Arbeit, Olaf?

Olaf. Was habt Ihr getan?

Gert. Wir haben eine Reinigung vorgenommen, für den Anfang.

Olaf. Das wird euch teuer zu stehen kommen!

Gert. Noch haben wir die Übermacht! Die ganze Stadt ist in Gärung. Rink arbeitet droben in der St. Georgs-Kapelle. Höre, hat dich der König gegen uns ausgesandt?

Olaf. Ja!

Gert. Das war sehr vernünftig.

Olaf. Morgen werde ich von der neuen Kanzel herab predigen.

Gert. So! Aber wie nimmst du den königlichen Auftrag wahr? Du stehst hier noch mit gekreuzten Armen!

Olaf. Nimm deine Brüder morgen mit dir in die Kirche.

Gert. Wird es eine hochpäpstliche Predigt?

Olaf. Ich bin heute verflucht worden!

Gert (fährt auf und umarmt Olaf). Gott segne dich, Olaf! Das war die Taufe der Wiedergeburt.

Olaf. Ich verstehe euch noch nicht. Warum gebärdet ihr euch wie wilde Tiere? Ihr schändet ja alles Heilige!

Gert (nimmt ein zerschlagenes Heiligenbild auf). Ist das hier vielleicht heilig? Ein St. Nikolaus, glaube ich. Hat denn Jesus Christus vergebens gelebt, daß man noch Holzklötze anbetet. Ist das ein Gott, was ich so zerschlagen kann? Sieh nur!

Olaf. Aber es ist heilig für das Volk.

Gert. Das war das goldene Kalb auch, das war Zeus auch, das waren Tor und Odin ebenfalls, und doch wurden sie zerschlagen! (Er erblickt die Dirne.) Wer ist das Weib da? Ach so, das ist die, welche ich zu dir einließ, um sie zu erretten. – Olaf! Sage mir das eine: hat der König dich erkauft?

Olaf. Verlasse mich, Gert! Ich hasse dich!

Gert. Was ist das für ein Schwein, das dort liegt und schläft?

Olaf. Wenn ich mit dir Angesicht zu Angesicht stehe, schrumpfe ich zusammen. Geh von mir! Ich will meine Tat vollbringen und nicht die deine!

Gert. Höre nun –

Olaf. Du willst unser Schicksal zu einem gemeinsamen machen!

Gert. Höre mich nun –

Olaf. Du hast ein unsichtbares Netz über mich geworfen; du proklamierst mich als Wiedertäufer. Wie soll ich das vor dem Könige erklären?

Gert. Welchem Könige?

Olaf. König Gustav!

Gert. Ach so! – Er! Lebe wohl, Olaf! – Du wirst morgen also predigen? – Warum geht das Weib nicht? – Lebe wohl. (Er geht ab.)

Die Dirne (geht zu Olaf hin und fällt auf die Knie). Laßt mich Euch danken!

Olaf. Danke Gott allein, der deine Seele erlöst hat, und glaube nicht, daß, was du verbrochen hast, heute gesühnt ist. Verschaffe dir Kraft, den Fluch eines ganzen Lebens zu tragen! Gott hat dir vergeben – die Menschen tun es niemals! (Er ergreift ihre Hand und leitet sie zur Tür hinaus.)

Morten (erscheint mit Olafs Mutter und Christina, Gerts Tochter, in der eisernen Tür). Wir gehen sicher fehl!

Die Mutter (erblickt Olaf und die Dirne, außer sich). Olaf! Olaf!

Christina. Wer ist das Weib? Sie sieht so unglücklich aus!

Morten. Laßt uns diese unreine Höhle verlassen!

Olaf (wendet sich um und eilt nach der Tür hin, die von Morten zugeworfen wird). Mutter! Mutter! (Er eilt durch die andere Tür hinaus; es wird auf der Szene dunkel.)

 

Zwischenspiel.

Die Tür zur Kirche öffnet sich wieder vorsichtig.

 

Sechster Auftritt.

Der Balgentreter und seine Frau schleichen sich mit einer Laterne herein.

Der Balgentreter. Halte die Laterne, Kathrinchen, während ich das Hängeschloß vorlege.

Die Frau. Wir müssen uns wohl erst in all dem Elend ein wenig umsehen, Bengt! Das hätte ich mir doch niemals gedacht, daß es so nah bis zum Wirtshaus wäre. Das ist ja schrecklich! Siehst du die großen Tonnen mit Bier!

Der Balgentreter. Und Branntwein; riechst du nicht, wie es stinkt; ich bekomme Kopfschmerzen, wenn ich noch länger hier bleiben soll.

Die Frau. Gott erbarme sich, was für ein gottloses Leben hier herrscht!

Der Balgentreter. Du, Kathrinchen!

Die Frau. Ja, mein Freund!

Der Balgentreter. Ich glaube, mir wird übel. Es ist hier drinnen so kalt und feucht.

Die Frau. Wollen wir denn nicht lieber nach Hause gehen?

Der Balgentreter. Ich glaube, ich muß mich ein wenig setzen und auf der Bank da ausruhen.

Die Frau. Du sollst dich in der Feuchtigkeit und Kälte lieber nicht setzen; gehen wir wieder in die Kirche hinein.

Der Balgentreter. Nein, weißt du was, ich glaube beinahe, dort drinnen war es noch kälter.

Die Frau. Du hast doch nicht etwa Fieber?

Der Balgentreter. Ja, ich glaube es fast. Mir ist so warm.

Die Frau. Vielleicht willst du etwas zu trinken haben?

Der Balgentreter. Ja, das wäre sicher nicht so übel.

Die Frau. Ich werde nachsehen, ob etwas Wasser zu finden ist.

Der Balgentreter. Das gibt's in solch einer Höhle kaum.

Die Frau. Ja, Bier kannst du doch nicht trinken, wenn du Fieber hast.

Der Balgentreter. Ich glaube beinahe, das Fieber hat ein wenig abgenommen; mich friert auch so sehr.

Die Frau. Dann werde ich nach ein wenig schwachem Bier suchen.

Der Balgentreter. Nein, soll es etwas nützen, dann muß es stark sein; sieh da – da liegt ein Faß Rostocker Nr. 4, gezeichnet A. W.

Die Frau (sucht). Das kann ich nicht finden. Aber hier liegt eins: »Amsterdamer Nr. 5.«

Der Balgentreter. Kannst du es nicht dort auf dem vierten Brett von oben links sehen?

Die Frau (sucht weiter).

Der Balgentreter. Der Hahn liegt links neben dem Trichter.

Die Frau. Ich kann es wirklich nicht finden.

Der Balgentreter. Ich weiß aber doch, daß es dort sein muß.

Die Frau. Nun habe ich es.

Der Balgentreter (steht auf, um ihr zu helfen, und tritt dabei Windrank).

Windrank (erwacht). Ach Gott, ach Gott! Sankt Peter und Paul und Ferdinand und Isabella und Georg und der Drache und all die andern und hinein kam Domen in Dejom pote potentum aernumtaernum, Jesu Christ, der große Wagen ist versichert. Ein Engel ging um unser Haus. Gloria Doria, Amen! Amen! – Wer tritt mir da auf den Leib?

Der Balgentreter (erschreckt). Seid so gut und sagt, ob Ihr ein Geist seid oder ein Mensch!

Windrank. Im Augenblick bin ich ein Schwein; sonst für gewöhnlich ein Seemann; aber darum braucht Ihr mir ja nicht auf den Balg zu treten.

Der Balgentreter. Ihr müßt wissen, daß es gerade mein Amt ist, den Balg zu treten, nämlich bei der großen Orgel.

Windrank. So habe ich also die Ehre, mit dem Balgentreter –

Der Balgentreter. Eigentlich bin ich Aufseher bei der Kirche, aber außerdem habe ich noch ein kleines Geschäft mit alten Kleidern bei der Kirchenmauer.

Windrank. Also Balgentreter und Kirchenaufseher und Kleiderhändler –

Der Balgentreter. – in ein und derselben Person, ohne Vermischung oder Verwandlung –

Windrank. Das wäre eine achtbare Dreieinigkeit!

Der Balgentreter. Mit solchen Worten treibt man nicht seinen Scherz.

Windrank. Uha! Ich ersaufe! Hilfe!

Der Balgentreter. Was gibt es in des Herrn Namen?

Windrank. Da kommt ein Strom – uha!

Der Balgentreter. Kathrinchen! Wo bist du, mein Engel. (Er läuft umher.) I du allmächtiger Gott! Jetzt habt Ihr meiner Frau einen solchen Schreck eingejagt, daß sie vom Bierfaß fortgelaufen ist und den Hahn mitgenommen hat! Steht auf! Steht auf! Und laßt uns machen, daß wir aus dieser gottlosen Höhle herauskommen.

Windrank. Lieber Freund, ich bin jetzt gerade in mein Element hineingekommen, und so ist es wohl am besten, ich bleibe da.

Der Balgentreter. Um Gottes willen, die Uhr schlägt zwölf, nun beginnt die Gespensterstunde.

Windrank (springt auf). Das ist etwas andres!

Der Balgentreter (führt Windrank).

Windrank. Hört einmal, Aufseher! Ich fange an, von starkem Zweifel an die Dreieinigkeit geplagt zu werden.

Der Balgentreter. Ja, das sagte ich ja!

Windrank. Nein, ich meine an Eure Dreieinigkeit!

Der Balgentreter. Wie meint der Herr Kapitän –

Windrank. Ihr seid eigentlich vier Personen –

Der Balgentreter. Vier? Was sollten das für vier sein?

Windrank. Natürlich noch Bierzapfer! Solltet Ihr das nicht auch sein?

Der Balgentreter. Still, still! Das ist nur des Nachts!

Beide (fallen über das zerschlagene Heiligenbild).

Windrank. Hu! Gespenster! Hilfe! Jungfrau Maria!

Der Balgentreter (steht auf und hebt das Heiligenbild vom Boden auf). Ja, sollten einem da nicht die Haare zu Berge stehen können? Hier liegt, Gott hilf mir, der heilige Nikolaus kurz und klein geschlagen und schwimmt im Bier herum! Das geht doch über den Spaß, daß das Göttliche so in den Kot gezogen wird. Die Welt steht sicher nicht mehr lange; geht es so dem trocknen Holz –

Windrank (der sich gefaßt hat). – dem nassen, meint Ihr!

Der Balgentreter. Halt deinen Mund, du Gotteslästerer! Der heilige Nikolaus ist mein Schutzpatron. Ich bin an seinem Tage geboren.

Windrank. Daher liebt ihr beide vermutlich so sehr das Bier.

Der Balgentreter. Ja, es ist jetzt freilich Mode, Ketzer zu sein.

Windrank. Das muß wohl in der Luft liegen, denn ich bin sonst ein sehr gottesfürchtiger Mensch. Na, seid nun nicht mehr verdrießlich, dann werde ich sehen, Euch den Sankt Niklas wieder zusammenzuleimen.

Der Balgentreter (ruft in die Kirche hinein). Kathrine!

Windrank. Still, still! Ruft doch, zum Teufel, nicht die Gespenster herbei!

Der Balgentreter. Ach, schämt Euch was!

Beide (gehen ab).

 

Verwandlung.

Die Sakristei der Kirche.

Im Hintergrunde eine Tür, seitwärts eine kleine Tür zur Kanzel hinauf. Chorröcke und Meßgewänder an den Wänden. Betschemel und einige kleinere Truhen. Die Sonne scheint durch ein Fenster hinein. Die Glocken läuten. Man hört von der linken Seite her ein ununterbrochenes Gemurmel.

 

Siebenter Auftritt.

Der Balgentreter und seine Frau kommen herein, bleiben an der Tür stehen und verrichten ein stilles Gebet.

Der Balgentreter. So; spute dich jetzt, abzustäuben, Kathrinchen!

Die Frau. Ach, das kommt wohl nicht so darauf an, heute soll ja nur der Meister Olaf predigen. Ich begreife nicht, wie das Kapitel so etwas hat gestatten können.

Der Balgentreter. Er hat die Erlaubnis vom Könige, mußt du wissen!

Die Frau. Ja so!

Der Balgentreter. Und dann hat er eine Kanzel, die einem Korbe gleicht, an der Wand aufstellen dürfen; stets neue Einfälle! Ja, der Luther, der Luther!

Die Frau. Das wird heute wohl dieselbe Geschichte werden wie gestern! Ich glaubte wirklich, sie hätten die ganze Kirche niedergerissen.

Der Balgentreter (trägt einen Becher Wasser auf die Kanzel hinauf). Er kann heute wohl etwas brauchen, sich die Kehle anzufeuchten, der Arme.

Die Frau. Ach, das wird den Kohl nicht fetter machen, meine ich.

Der Balgentreter (oben auf der Kanzel). Kathrine! Dort kommt der Magister!

Die Frau. Das ist ja schrecklich, und sie haben noch nicht die Priesterglocke geläutet! Ja, für ihn wird wohl nicht einmal geläutet!

Olaf (tritt ernst und feierlich herein, geht zu einem Betschemel hin und fällt auf die Knie).

 

Achter Auftritt.

Die Vorigen. Olaf.

Der Balgentreter (kommt herunter und nimmt ein Meßgewand, das er Olaf hinhält).

Olaf (steht auf). Gott zum Gruß!

Die Frau (verneigt sich und geht).

Der Balgentreter (hält Olaf das Gewand hin).

Olaf. Laßt es hängen!

Der Balgentreter. Will der Magister kein Ornat anlegen?

Olaf. Nein.

Der Balgentreter. Aber das pflegt man immer zu tun! Und die Stola?

Olaf. Ist nicht nötig.

Der Balgentreter. Na, das muß ich sagen!

Olaf. Seid so gut, mich allein zu lassen, lieber Freund!

Der Balgentreter. Soll ich fortgehen? Ich pflege sonst –

Olaf. Tut mir den Gefallen.

Der Balgentreter. Ja so! Na, aber ich muß doch erst den Magister wissen lassen, daß ich das Meßbuch rechts hingelegt habe, wenn man hinaufkommt, und dann habe ich ein Zeichen hineingelegt, wo der Magister aufhören soll, und daneben habe ich einen Becher Wasser hingestellt. Aber der Magister muß nicht vergessen, das Stundenglas umzukehren, sonst könnte es leicht geschehen, daß es zu lange währt –

Olaf. Seid ohne Furcht, es werden schon genug Leute kommen, die sagen, wenn ich schließen soll.

Der Balgentreter. Ja, Gott behüte, ich bitte um Vergebung! Wir haben hier nun so unsern Brauch.

Olaf. Sagt mir, was ist das für ein dumpfes Murmeln, das ich hier nebenan höre?

Der Balgentreter. Das ist ein frommer Bruder, der für eine arme Seele betet. (Er geht ab.)

Olaf. »So begürte nun deine Lenden und mache dich auf und predige ihnen alles, was ich dir heiße.« – Gott hilf mir! (Er wirft sich auf einem Betschemel nieder, entdeckt ein Stück Papier und liest.) »Tritt heute nicht auf; man trachtet dir nach dem Leben!« – Das hat der Versucher geschrieben! (Er zerreißt das Papier.)

Die Mutter Olafs (tritt herein).

 

Neunter Auftritt.

Olaf. Die Mutter Olafs.

Die Mutter Olafs. Du bist auf Irrwegen, mein Sohn!

Olaf. Wer weiß!

Mutter. Ich weiß es! Aber als Mutter reiche ich dir die Hand. Kehre um!

Olaf. Wo willst du mich hinführen?

Mutter. Zu Gottesfurcht und Tugend!

Olaf. Ist der Kanzleibeschluß des Papstes Gottesfurcht und Tugend, dann ist es zu spät.

Mutter. Es handelt sich nicht um die Lehre allein, sondern um das Leben.

Olaf. Ich weiß, du spielst auf die Gesellschaft an, in der ich mich gestern abend befand, aber ich bin zu stolz, um dir darauf Antwort zu geben. Es würde auch nichts nützen.

Mutter. O, daß ich solchen Lohn für die Opfer erhalten sollte, die ich gebracht habe, damit du in die Welt hinauskommen konntest und etwas lernen!

Olaf. Dein Opfer soll bei Gott nicht ohne Frucht bleiben! Dir, Mutter, habe ich für diesen Tag zu danken, da ich endlich mit offener Stirn hervortreten und Worte der Wahrheit sprechen darf.

Mutter. Sprichst du von Wahrheit, du, der du dich zum Propheten der Lüge gemacht hast!

Olaf. Das war ein hartes Wort, Mutter!

Mutter. Habe etwa ich und alle Geschlechter vor mir im Glauben an eine Lüge gelebt?

Olaf. Es war keine Lüge, aber es ist eine geworden. Als du jung warst, hattest du recht, Mutter; wenn ich alt werde – ja, dann habe ich vielleicht unrecht. Man wächst nicht mit der Zeit um die Wette.

Mutter. Ich verstehe dich nicht.

Olaf. Nein, und das ist mein einziger, meines Lebens größter Kummer! Alles, was ich in reinster Absicht tue oder unterlasse, muß dir als Verbrechen und Gottlosigkeit erscheinen.

Mutter. Olaf! Ich kenne deinen Entschluß, ich kenne deine Verirrung – sie kann ich nicht erschüttern, denn du besitzest mehr Gelehrsamkeit als ich, und Gott wird dich schon auf den rechten Weg zurückführen, aber ich bitte dich, schone dein Leben, auf daß du nicht heute gerade in die Verdammnis hineinstürzest – verkürze nicht dein Leben!

Olaf. Was meinst du damit? Man schlägt mich auf der Kanzel doch wohl nicht tot.

Mutter. Hast du nicht gehört, daß Bischof Brask mit dem Papst wegen Einführung eines Gesetzes unterhandelt, das Ketzer zum Feuertode verdammt?

Olaf. Die Inquisition?

Mutter. Ja, so nennt man es.

Olaf. Vergib mir, Mutter, ich muß jetzt auf die Kanzel hinauf und predigen!

Mutter. Du sollst nicht!

Olaf. Nichts wird mich daran hindern!

Mutter. Ich habe zu Gott gebetet, er möchte dein Herz bekehren – ich will dir sagen, aber du mußt zu niemandem davon reden – ich war schwach von Alter, und meine Knie konnten mich nicht tragen, da suchte ich einen Diener des Herrn auf und bat ihn, der Gott so viel näher steht, für deine Seele Messen lesen zu lassen. Er verweigerte es, denn du wärest verflucht! O, es war entsetzlich! Gott vergebe mir die Sünde, ich bestach sein reines Gewissen mit Gold, mit teuflischem Golde, nur um dich zu erretten.

Olaf. Was höre ich, Mutter! Das ist nicht möglich!

Mutter (ergreift Olafs Hand und führt ihn an die linke Wand). Hörst du? hörst du? Das ist er, der für dich dort drinnen in der Kapelle betet.

Olaf. So, das war das Murmeln, welches ich vernahm! Wer ist es?

Mutter. Du kennst ja den Dominikaner Morten –

Olaf. Du läßt den Satan für mich Gebete lesen! Verzeihe, Mutter – für deine gute Meinung danke ich dir – aber –

Mutter (weint; auf den Knien liegend). Olaf! Olaf!

Olaf. Bitte mich nicht! Einer Mutter Flehen kann Engel im Himmel zum Abfall verlocken. Nun ist der Psalm zu Ende, ich muß hinauf! Das Volk wartet!

Mutter. Du bringst mich ins Grab, Olaf!

Olaf (heftig). Der Herr wird dich erwecken! (Er küßt ihre Hand.) Sprich nicht mehr zu mir, ich weiß selbst nicht, was ich rede!

Mutter. Hörst du! Hörst du! Das Volk murrt!

Olaf. Ich komme! Ich komme! Der Gott, der seine Hand über Daniel in der Löwengrube hielt, wird auch mich schirmen!

(Er geht hinauf.)

(Während der folgenden Szenen in der Sakristei hört man eine laute Stimme, ohne die Worte unterscheiden zu können. Wenn die Predigt eine Weile gewährt hat, vernimmt man ein Murren, welches nach und nach in Geschrei übergeht.)

 

Zehnter Auftritt.

Die Mutter. Christina, Gerts Tochter.

Christina (kommt herein). Sahst du ihn, Mutter?

Mutter. Du hier, Kind? Ich bat dich doch, zu Hause zu bleiben.

Christina. Warum soll ich nicht in das Haus des Herrn? Du verbirgst mir etwas!

Mutter. Geh heim, Christina!

Christina. Darf ich Olaf nicht predigen hören? Es ist doch Gottes Wort, nicht wahr, Mutter?

Mutter (schweigt).

Christina. Du antwortest nicht. Was bedeutet das? Hat Olaf nicht Erlaubnis, die Kanzel zu besteigen? Warum sehen alle Leute so geheimnisvoll aus? Sie murrten, als ich kam.

Mutter. Frage mich nicht! Geh heim und danke Gott für deine Unwissenheit.

Christina. Bin ich denn ein Kind, dem man nichts erzählen darf?

Mutter. Deine Seele ist noch rein, sie darf nicht besudelt werden. Was hast du im Kampfe zu schaffen!

Christina. Kampf? Ich ahnte so etwas!

Mutter. Ja, hier gibt es Kampf, ziehe dich darum zurück. Du weißt, was unser Los ist, wenn die Männer Krieg führen.

Christina. Laß mich nur wissen, worum sich der Kampf dreht! Die Unwissenheit macht mich unglücklich. Ich sehe ein entsetzliches Dunkel und Schatten, die sich darin bewegen. Gib mir Licht, auf daß ich Gewißheit bekomme! Vielleicht kenne ich diese Gespenster.

Mutter. Du wirst erbeben, wenn du siehst, was es für welche sind.

Christina. So laß mich denn erbeben, das ist mir weit lieber, als unter dieser entsetzlichen Ruhe zu leiden.

Mutter. Rufe nicht den Blitz aus den Wolken hernieder – er zerschmettert dich!

Christina. Du erschreckst mich! Aber sage mir die Wahrheit, ich muß sie wissen, sonst wende ich mich an jemand anders.

Mutter. Ist es dein fester Entschluß, in die heiligen Mauern des Klosters einzugehen?

Christina. Es war der Wille meines Vaters!

Mutter. Du schwankst?

Christina (schweigt).

Mutter. Es gibt ein Band, das dich zurückhält?

Christina. Du weißt es!

Mutter. Ich weiß es – aber du mußt es zerreißen.

Christina. Das ist fast unmöglich.

Mutter. Ich werde dich befreien, Kind, denn noch kannst du befreit werden; ich will dem Herrn mein größtes Opfer bringen, wenn nur eine Seele von der Verdammnis errettet werden kann! Mein Sohn –

Christina. Olaf –

Mutter. Olaf ist verloren – hörst du – und ich, seine Mutter, muß es dir sagen!

Christina. Verloren?

Mutter. Er ist ein Prophet der Lüge! Der Teufel hat sich seiner Seele bemächtigt!

Christina (heftig). Das ist nicht wahr!

Mutter. Wollte Gott, es wäre so!

Christina. Warum – warum sagst du mir das erst jetzt? – Aber es ist nicht wahr, es ist ja eine Lüge! (Sie geht zur Tür und öffnet sie ein wenig.) Sieh ihn, Mutter, wie er da steht! Ist das der böse Geist, der aus seinem Munde spricht, ist das eine Lohe der Hölle, die in seinen Augen brennt, verkündet man Lüge mit bebenden Lippen, kann das Dunkel Licht ausstrahlen, siehst du nicht die Glorie um sein Haupt? Du hast unrecht, das fühle ich! Ich weiß nicht, welche Lehre er verkündet, ich weiß nicht, was er verleugnet, aber er hat recht! Er hat recht, und Gott ist mit ihm!

Mutter. Du kennst nicht die Welt, Kind! Du kennst nicht die Ränke des Teufels – hüte dich! (Sie zieht Christina von der Tür fort.) Du darfst ihn nicht hören, deine Seele ist schwach, er ist der Apostel des Antichrist!

Christina. Wer ist der Antichrist?

Mutter. Er ist lutherisch!

Christina. Du hast mir niemals gesagt, wer Luther ist, aber ist Olaf sein Apostel, dann ist Luther groß!

Mutter. Luther ist vom Teufel besessen!

Christina. Warum hat man mir das nicht früher gesagt? Jetzt glaube ich es nicht.

Mutter. Ich sage dir es jetzt – weh mir! Ich wollte dich von der Welt des Bösen fernhalten, darum hielt ich dich in Unwissenheit –

Christina. Ich glaube dir nicht! Laß mich los, ich muß ihn sehen, ich muß ihn hören, denn er spricht nicht wie die andern!

Mutter. Jesus, mein Erlöser! Auch du bist vom unreinen Geiste besessen!

Christina (an der Tür). »Ihr sollt die Seelen nicht fesseln,« sagte er – höre nur! »Ihr seid frei, denn Gott hat euch frei gemacht!« Siehst du, das Volk erbebt bei seinem Wort – nun stehen sie auf, sie murren. »Ihr wollt die Freiheit nicht haben, wehe euch, das ist Sünde gegen den heiligen Geist.«

Der Balgentreter (kommt herein).

 

Elfter Auftritt.

Die Vorigen. Der Balgentreter.

Der Balgentreter. Ich glaube nicht, daß es rätlich ist, daß die Frauen hier bleiben, denn die Menge fängt an, unruhig zu werden. Das nimmt sicher kein gutes Ende für Meister Olaf!

Mutter. Jesus Maria! Was sagt Ihr?

Christina. Fürchte nichts – Gottes Geist ist mit ihm!

Der Balgentreter. Ja, das ist wohl möglich, predigen tat er wie ein Meister; ich bin ein alter Sünder, aber ich konnte es nicht unterlassen zu weinen, als ich dort oben auf dem Orgelchor saß. Ich kann gar nicht begreifen, wie ein Ketzer und Antichrist so reden kann! Ja, der Luther, der Luther! (Geschrei in der Kirche.) So, nun wird hier wieder großer Lärm entstehen, und der König muß gerade fort sein!

Mutter. Laß uns gehen! Ist Gott mit ihm, können sie ihm nichts Böses antun! Und ist es der Teufel – dann geschehe dein Wille, Herr, aber vergib ihm!

(Geschrei von draußen.)

Alle drei (gehen ab)

( (Die Szene ist einen Augenblick leer, man hört nur Olafs Stimme deutlicher, unterbrochen von Rufen und Steinwürfen.)

Christina (kommt allein zurück und schließt die Tür von innen; sie kniet auf einem Betschemel nieder. Man hört starke Schläge gegen die Tür; Tumult in der Kirche, der nach und nach abnimmt).

Olaf (kommt mit blutiger Stirn und verstörtem Aussehen zurück).

 

Zwölfter Auftritt.

Olaf. Christina.

Olaf (ohne Christina zu sehen, wirft sich auf einen Stuhl). Vergebens! Sie wollen nicht! Ich löse die Fesseln des Gefangenen, und er schlägt mich; ich sage: »Du bist frei!« und er glaubt mir nicht! Ist das Wort denn so groß, daß es in einem Menschenhirn nicht Platz finden kann? O, daß es nur einen gäbe, der glaubt – aber nun, so einsam – ein törichter Mensch, den niemand versteht –

Christina (tritt hervor). Olaf! Ich glaube an dich!

Olaf. Christina!

Christina. Du hast recht!

Olaf. Wie weißt du das?

Christina. Ich weiß es nicht, aber ich glaube es! Ich hörte dich soeben reden!

Olaf. Und du fluchst mir nicht?

Christina. Was du predigst, ist es nicht Gottes Wort?

Olaf. Ja!

Christina. Warum hat man uns das nicht früher gesagt, oder warum spricht man eine Sprache, die wir nicht verstehen?

Olaf. Wer hat dir die Worte in den Mund gelegt, Mädchen?

Christina. Wer? Darüber habe ich nicht nachgedacht.

Olaf. Dein Vater?

Christina. Er will, daß ich ins Kloster gehen soll.

Olaf. Ist es so weit gekommen? Und was willst du selbst?

Christina (sieht Olafs verwundete Stirn). Olaf! Man hat dich getroffen; um Gottes willen, laß mich die Wunde verbinden!

Olaf (setzt sich). Christina, habe ich deinen Glauben erschüttert?

Christina (nimmt die Stola, reißt sie entzwei und verbindet Olaf während des Folgenden). Meinen Glauben? Ich verstehe dich nicht! – – Sage mir, wer ist Luther?

Olaf. Das darf ich nicht sagen.

Christina. Immer dieselbe Antwort! So sagt mein Vater, so sagt deine Mutter, und so sagst du. Darf man mir denn nicht die Wahrheit sagen, oder ist die Wahrheit gefährlich?

Olaf. Die Wahrheit ist gefährlich! Das siehst du ja! (Er zeigt auf seine Stirn.)

Christina. So willst du also, ich soll in eine Klosterzelle eingesperrt werden, um ein lebloses Leben in Unwissenheit zu verbringen?

Olaf (schweigt).

Christina. Du willst, ich soll mein Leben, meine Jugend hinweinen und die langen, ewigen Gebete hermurmeln, bis meine Seele eingeschlafen ist. Nein – das will ich nicht, denn nun bin ich erwacht, man kämpft um mich herum, man leidet und verzweifelt; ich sehe es, aber ich darf nicht mit dabei, nicht einmal Zuschauer sein, nicht einmal wissen, wofür man kämpft. Ihr haltet mich in tierischem Schlaf, glaubt ihr denn nicht, daß auch ich eine Seele habe, die nicht von Brot oder trockenen Gebeten, die man mir in den Mund gelegt hat, satt wird. »Fesselt nicht die Geister,« sagtest du. O, wenn du wüßtest, wie dieses Wort mich traf – es wurde Tag, und das wilde Schreien dort drinnen klang wie der Vögel Morgengesang –

Olaf. Christina, du bist ein Weib, du bist nicht geboren, um zu streiten.

Christina. Aber so laß mich denn in Gottes Namen leiden, wenn ich nur nicht mehr zu schlafen brauche! Seht ihr, Gott erweckte mich doch! Ihr hattet niemals gewagt mir zu sagen, wer der Antichrist sei, ihr hattet mich niemals wissen lassen, wer Luther sei, aber als deine Mutter mich damit erschreckte, daß du ein Anhänger Luthers wärest, da segnete ich Luther. Ist er ein Ketzer oder ein Rechtgläubiger? Das weiß ich nicht, und ich mache mir auch nichts daraus, es zu wissen, denn weder Luther, noch der Papst, noch der Antichrist kann meine unsterbliche Seele zufriedenstellen, wenn ich nicht den Glauben an den ewigen Gott habe.

Olaf. Christina! Willst du mir in dem Kampf folgen? Du kannst mich stützen, denn du bist die einzige!

Christina. Nun kann ich dir ein offenes Ja antworten, denn ich weiß, was ich will, und ohne meinen Vater um Erlaubnis zu fragen, denn ich bin frei! O, ich bin frei!

Olaf. Weißt du auch, was für ein Leben dich erwartet?

Christina. Nun kenne ich es! Und du sollst nicht nötig haben, erst falsche Traumbilder zu zerstören, denn sie sind entschwunden; aber wissen sollst du, daß auch ich von dem Ritter geträumt habe, der kommen sollte und mir ein Königreich bieten, und der von Blumen und Liebe sprach. – Olaf, ich will dein Weib werden, hier meine Hand! Und doch sage ich dir: du warst niemals der Ritter meiner Träume, und ich danke Gott, daß er niemals kam, denn dann wäre er wieder entschwunden wie ein Traum.

Olaf. Du willst die Meine werden, Christina, und du sollst glücklich werden, denn du warst es, die mir in ihren Gedanken folgte, als ich traurig war und in Versuchung, und nun sollst du mir zur Seite stehen! Du warst die Maid meiner Träume, die im Turm bei dem gestrengen Burgherrn gefangen saß, und nun bist du mein!

Christina. Hüte dich vor Träumen, Olaf!

(Es ertönen Schläge gegen die Tür.)

Olaf. Wer ist da?

Gerts Stimme (von außen). Gert!

Olaf. Was wird er sagen? Mein Versprechen!

Christina. Fürchtest du dich? Soll ich öffnen?

Olaf (schließt auf).

Gert (tritt herein).

 

Dreizehnter Auftritt.

Die Vorigen. Gert.

Gert (stutzt). Christina? – Olaf! Du hast dein Versprechen gebrochen!

Olaf. Nein!

Gert. Du lügst! Du hast mir mein Kind, meinen einzigen Trost gestohlen.

Christina. Olaf lügt nicht!

Gert. Du bist in der Kirche gewesen, Christina?

Christina. Ich habe gehört, was du nicht wolltest, daß ich hören sollte.

Gert. Herr, du vergönntest mir nicht meine einzige Freude!

Olaf. Der Strom, den du loslassen wolltest, fordert seine Opfer, wo er sie trifft.

Gert. Du hast sie geraubt, mein Kind!

Olaf. Gib sie mir, Vater Gert!

Gert. Niemals!

Olaf. Ist sie nicht frei?

Gert. Sie ist mein Kind!

Olaf. Predigst du nicht Freiheit? Sie ist mein! Gott hat sie mir gegeben, und du kannst sie mir nicht nehmen.

Gert. Du bist, Gott sei gelobt – ein Priester!

Olaf und Christina. Ein Priester!

Gert. Und darfst also keine Ehe eingehen.

Olaf. Aber wenn ich es nun doch täte?

Gert. Wagst du das?

Olaf. Ja!

Gert. Willst du einen Mann haben, Christina, auf dem der Bann ruht?

Christina. Ich weiß nicht, was das ist.

Olaf. Siehst du, Gert! Siehst du!

Gert. Du strafst mich hart, mein Gott!

Olaf. Die Wahrheit ist für alle!

Gert. Eure Liebe ist größer als die meine! Sie bestand nur in Selbstsucht. Gott segne euch! Nun stehe ich allein!

(Er umarmt sie.) So, geh nun heim, Christina, und beruhige die Mutter. Ich will mit Olaf reden.

Christina (geht ab).

 

Vierzehnter Auftritt.

Gert. Olaf.

Gert (zu Olaf). Nun bist du mein!

Olaf. Was sagst du?

Gert. Mein Verwandter! – Bekamst du meinen Brief?

Olaf. Warst du es, der mir riet, nicht zu predigen?

Gert. Im Gegenteil, obschon ich mich ein wenig sonderbar ausdrückte.

Olaf. Ich verstehe dich nicht.

Gert. Nein, du bist noch zu jung dazu – darum bedarfst du eines Leiters! Zu einem Menschen wie du sagt man: »Laß das sein,« wenn man etwas getan haben will.

Olaf. Warum warst du mit deinen Freunden nicht in der Kirche?

Gert. Nur die Kranken bedürfen des Arztes – wir arbeiteten auf unserer Seite. Du hast heute ein gutes Stück Arbeit vollbracht, und ich sehe, du hast deinen Lohn bekommen! Ich habe dich heute befreit, Olaf!

Olaf. Du?

Gert. Der König befahl dir, die Aufrührer zur Ruhe zu bringen, und was hast du getan?

Olaf. Nun fange ich an, dich zu verstehen, Vater Gert!

Gert. Das freut mich! – Ja, du hast die Ruhigen in Aufruhr versetzt!

Olaf. Ja, das habe ich.

Gert. Was, glaubst du, wird der König dazu sagen?

Olaf. Das nehme ich auf mich!

Gert. Gut!

Olaf. Der König wird meinem Tun beistimmen, denn er will eine Reformation, wagt es aber selbst noch nicht.

Gert. Tor!

Olaf. Ich sehe, du willst mich gegen meinen gesetzmäßigen König aufwiegeln.

Gert. Sage mir: wieviel Herren, glaubst du, kannst du dienen?

Olaf (schweigt).

Gert. Der König ist hier!

Olaf. Was sagst du?

Gert. Der König kehrte jetzt gerade zurück.

Olaf. Und die Wiedertäufer?

Gert. Sind natürlich gefangen.

Olaf. Und du stehst hier ganz ruhig?

Gert. Ich bin jetzt alt, ich habe auch ebenso wie du getobt, aber ich wurde nur müde. Rink und Knipperdollink sind mein Vortrab gewesen. Sie mußten fallen, das war klar; nun beginnt meine Arbeit.

(Trommelschlag draußen auf der Straße.)

Olaf. Was ist das?

Gert. Das sind die königlichen Trommler, welche den Gefangenen auf dem Wege zum Gefängnis Gesellschaft leisten! Komm, dann wirst du sehen!

Olaf (steigt auf eine Bank und sieht durch das Fenster hinaus). Was sehe ich! Weiber und Kinder werden von den Trabanten fortgeschleppt.

Gert. Nun ja, sie haben die Wache des Königs mit Steinen beworfen, das geht doch nicht an.

Olaf. Soll man denn kranke und verrückte Menschen ins Gefängnis werfen?

Gert. Es gibt zwei Arten Verrückter. Die einen bringt man ins Hospital und gibt ihnen Pillen und kalte Bäder, der andern Art haut man den Kopf ab; das ist eine radikale Kur, aber das ist auch eine gefährliche Art Verrücktheit.

Olaf. Ich gehe zum König; er kann zu diesen Schändlichkeiten nicht seine Zustimmung gegeben haben.

Gert. Hüte deinen Kopf, Olaf!

Olaf. Hüte dich selbst, Vater Gert!

Gert. Mit mir hat es keine Gefahr; ich bin auf dem Hospital eingeschrieben.

Olaf. Ich kann es nicht ertragen, das anzusehen; ich gehe zum König, und sollte es mein Leben kosten! (Er geht nach der Tür.)

Gert. Das ist eine Sache, die der König nicht entscheidet! Du mußt dich ans Gesetz wenden.

Olaf. Der König ist das Gesetz!

Gert. Ja, leider! – Wenn das Pferd seine Kraft kennen würde, dann wäre es nicht so verrückt, wie es ist, unterm Joch zu gehen – wird es einen Augenblick klug und läuft seinen Unterdrückern davon – dann nennt man es verrückt. – Laß uns für den Verstand dieser Armen zu Gott beten!


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