August Strindberg
Die Leute auf Hemsö
August Strindberg

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Fünftes Kapitel

Man prügelt sich am Tage des dritten Aufgebots, geht zum Abendmahl und feiert die Hochzeit

Die Wahrheit des alten Sprichworts: »Niemand ist besser, als wenn er stirbt, und niemand ist schlechter, als wenn er sich verheiratet«, sollte Carlsson bald genug an sich erfahren. Gustav hatte gebrüllt wie ein hungriger Seehund und hatte drei Tage hindurch gerast und gestürmt, während welcher Zeit Carlsson unter irgendeinem Vorwand eine kleine Reise unternahm. Der alte Flod hatte keine Ruhe in seinem Grabe, er wurde zu jeglicher Zeit und Stunde hervorgeholt und als der beste Mensch geschildert, den je die Sonne beschienen, wohingegen Carlsson, der gleich einem alten Rock gewendet wurde, auf der Innenseite als sehr fleckig befunden ward. Man wollte wissen, daß er eine berüchtigte Persönlichkeit sei: er wäre Bibelhändler gewesen, von drei Stellen fortgejagt worden und auf einer vierten selbst davongelaufen; schließlich wäre er wegen einer Prügelei verhaftet, aber wegen mangelnder Beweise wieder freigelassen worden. Dies alles wurde Madame Flod unter die Nase gerieben; aber das alte Herz stand nun einmal in hellen Flammen, und sie schien sich bei der Aussicht auf den baldigen Abschluß ihres Witwenstandes verjüngt zu haben, sie war gleichsam ein neuer Mensch geworden, hielt das taube Ohr hin und redete alles kurz und klein.

Die feindliche Stimmung gegen Carlsson entsprang hauptsächlich dem Umstand, daß er aus einer andern Gegend war, ein Fremder, der nun durch Heirat in den Besitz dieser Erde und dieses Wassers gelangen würde, das die Eingeborenen gewissermaßen als ihr gemeinsames Eigentum anzusehen gewohnt waren. Und da die Witwe Universalerbin war und aller Wahrscheinlichkeit nach noch viele Jahre leben würde, verringerten sich die Aussichten des Sohnes, Selbstbesitzer zu werden. Seine Stellung auf dem Hofe würde nach der Hochzeit ungefähr der eines Knechtes gleichen, und zwar unter der Oberhoheit eines früheren Knechtes und von dessen Wohlwollen abhängig. Deshalb war es nicht zu verwundern, daß der Entthronte außer sich war und die Mutter scharfe Worte hören ließ; er drohte damit, den Beistand des Gerichtes anzurufen und den angehenden Stiefvater vor die Tür setzen zu lassen. Am heftigsten wurde er, als Carlsson von seinem Ausfluge zurückkehrte, angetan mit dem Sonntagsrock und der Pelzmütze des seligen Flod, welche Gegenstände er in der ersten schwachen Stunde als Morgengabe erhalten hatte. Gustav sagte nichts, bestach aber Rundquist, Carlsson einen Streich zu spielen. Eines Morgens, als man sich an den Frühstückstisch setzte, lag auf Carlssons Platz ein Handtuch, das allerlei verbarg. Carlsson, der nichts Böses ahnte, nahm das Handtuch weg und sah dann, daß auf seinem Tischende all das Gerümpel stand, das er oben auf der Kammer unter seinem Bette aufbewahrt hatte. Es waren dies leere Hummerdosen, Champagnerflaschen, eine Porterflasche, eine Unzahl von Korken, ein schadhafter Blumentopf und vielerlei andres. Er wurde grün und gelb vor Ärger, wußte aber nicht, gegen wen er seine Wut auslassen sollte. Rundquist bemühte sich, den Eindruck zu mildern, indem er erklärte, daß dies hier in der Gegend eine ganz gebräuchliche Neckerei sei, wenn sich jemand verheiraten wolle. Das Unglück wollte, daß Gustav gerade ins Zimmer trat und gleich seiner Verwunderung darüber Ausdruck gab, daß der Lumpensammler in diesem Herbst schon so früh gekommen sei, er pflege sich ja sonst doch erst um Neujahr einzustellen. Gleichzeitig ergriff Norman die Gelegenheit zu der Erklärung, daß der Lumpensammler nicht dagewesen, dies seien nur Carlssons Erinnerungen an Ida, mit denen Rundquist ihn ein wenig habe necken wollen, da die Sache zwischen den beiden nun ja doch aus sei. Dann fielen heftige Worte, und das Resultat war, daß Gustav nach dem Pfarrhofe fuhr und Einspruch gegen die Hochzeit erhob, weil Carlssons Papiere nicht in Ordnung seien, was einen sechsmonatigen Aufschub zur Folge hatte. Dies war ein Strich durch die Rechnung, den Carlsson jedoch zu mildern suchte, indem er sich zum Ersatz verschiedene kleine Vorteile verschaffte. Im Anfang war er sehr feierlich in seiner neuen Würde aufgetreten; da dies aber nicht imponierte, beschloß er, wenigstens den Leuten auf dem Hofe gegenüber seine Stellung mehr scherzhaft aufzufassen, was auch ausgezeichnet ging, – nur Gustav setzte einen giftigen, versteckten Krieg fort, ohne das geringste Zeichen der Versöhnung zu zeigen.

So verlief der Winter in aller Stille mit Holzfällen und Eisfischerei; zuweilen unterbrachen eine Partie Karten, ein Kaffeepunsch, ein Weihnachtsschmaus oder eine Vogeljagd das tägliche Einerlei.

Und dann kam der Frühling wieder. Die Eidergansjagd lockte auf die See hinaus, aber Carlsson verwendete alle Kraft auf die Frühjahrsarbeit, die eine reiche Ernte vorbereiten sollte; und deren bedurfte man wohl, um die Ausgaben für die Hochzeit zu decken, um so mehr, als man bei dieser Gelegenheit ein großartiges Fest abzuhalten gedachte, das noch viele Jahre in der Erinnerung weiterleben sollte.

Mit den Zugvögeln stellten sich auch die Sommergäste ein, der Professor war unverändert und fand alles hier draußen »herrlich«. Glücklicherweise war Ida nicht mitgekommen; sie hatte im April ihre Stelle verlassen und wollte bald heiraten. Ihre Nachfolgerin war nicht anziehend, und Carlsson hatte zu viel im Kopfe, um Zeit für dergleichen Sachen zu haben; er hielt ein Spiel in der Hand, das er ungern verlieren wollte.

Am Johannistage wurde das Paar zum erstenmal aufgeboten, und zwischen der Heuernte und der großen Ernte sollte die Hochzeit stattfinden, denn dies war die ruhigste Zeit sowohl auf dem Lande wie auf der See.

Nach dem Aufgebote machte sich eine keineswegs angenehme Veränderung in Carlssons Benehmen bemerkbar, und Madame Flod war die erste, die dies erfahren sollte. Sie hatten natürlich seit ihrer Verlobung nach Landessitte wie Eheleute miteinander gelebt, und der Verlobte der Alten, über dessen Haupt der Einspruch des Sohnes noch unentschieden schwebte, wußte sein Benehmen stets nach den zwingenden Umständen zu richten, aber jetzt, wo die Gefahr beseitigt war, steckte er die Nase in die Luft und zeigte die Krallen. Dies hatte jedoch auf Madame Flod, die sich gleichfalls fest im Sattel fühlte, keine andre Wirkung, als daß auch sie die Zähne zeigte, so viele sie noch hatte, und am Tage des dritten Aufgebots stießen die beiden zusammen.

Die ganze Bevölkerung der Insel, mit Ausnahme von Lotte, war zur Kirche gefahren, um zum Abendmahl zu gehen. Wie gewöhnlich hatte man das kleinste Boot genommen, um, falls man gezwungen war zu rudern, die Arbeit so leicht wie möglich zu machen. Es war deswegen kaum Platz im Boot, um so mehr, als man ein halbes Liespfund getrockneter Fische für den Pastor mitgenommen hatte, sowie einige Pfund Kerzen für den Küster, und alle möglichen Kleidungsstücke, Segel und Ruder, Füllschaufeln und Ballen, Schemel und dergleichen mehr.

Wie es die Sitte erheischte, hatte man am Morgen ein besseres Frühstück zu sich genommen und einander aus dem gemeinsamen Bierkrug und der Schnapsflasche tüchtig zugetrunken. Auf See war es sehr heiß, und niemand wollte rudern, weswegen sofort ein kleiner Streit unter den jungen Burschen ausbrach, von denen keiner in Schweiß gebadet zur Kirche kommen wollte. Die Frauen hatten sich ins Mittel gelegt, und als man die Kirchenbucht erreichte und die Glocken läuten hörte, die man seit Jahr und Tag nicht vernommen hatte, verstummte der Streit. Aber es wurde erst zum erstenmal geläutet, weshalb man reichlich Zeit hatte. Madame Flod ging daher ins Pfarrhaus, um die Fische abzuliefern. Der Pastor war noch beim Rasieren und befand sich in sehr gereizter Stimmung.

»Nun, das ist auch etwas Seltenes, daß die Leute aus Hemsö zur Kirche kommen,« begrüßte er das Brautpaar, indem er den Barbierschaum mit dem Finger vom Messer strich.

Carlsson, der die Fische getragen, wurde dann aufgefordert, sich in der Küche einen Schluck geben zu lassen.

Darauf ging man mit den Kerzen zum Küster, und auch hier erhielt man einen Schnaps.

Schließlich versammelten sich alle auf dem Kirchenhügel, besahen die Pferde des Großbauers, lasen die Inschriften auf den Grabhügeln und begrüßten alte Bekannte. Madame Flod machte dem Grabe des seligen Flod einen kurzen Besuch, während Carlsson allein umherging. Und dann läutete und knarrte es in dem Glockenturm, und die ganze Versammlung wanderte langsam in die Kirche. Nachdem die alte Kirche abgebrannt war, hatten die Leute aus Hemsö keinen Kirchenstuhl wieder bekommen, weshalb sie jetzt im Gange stehen mußten. Es war entsetzlich warm, und sie fühlten sich so fremd in dem weiten Raum, daß sie vor lauter Verlegenheit schwitzten und wie Verbrecher am Schandpfahl aussahen. Es war elf Uhr geworden, ehe man bis zum Hauptgesang kam, und die Hemsöer hatten die Beine über Kreuz geschlagen und abwechselnd bald auf dem einen, bald auf dem andern Fuß gestanden. Die Sonne sandte glühendheiße Strahlen, so daß der Schweiß in hellen Tropfen von der Stirn perlte; aber die Leute standen eingeklemmt und konnten sich nicht rühren. Dann kam der Kirchendiener und steckte die Nummer »128« aus dem Gesangbuch auf. Die Orgel stimmte ein Präludium an, und der Küster begann den ersten Vers zu singen. Die Anwesenden fielen ein, und dieser Vers wurde mit Lust und Liebe gesungen, als erwarte man, daß die Predigt unmittelbar darauf folgen würde; aber dann kam der zweite und danach der dritte Vers.

»Es ist doch ganz unmöglich, daß wir alle achtzehn Verse durchsingen sollen?« flüsterte Rundquist Norman zu.

Aber es war doch der Fall. Und in der Sakristeitür ward Pastor Nordströms erzürnter Blick sichtbar, der trotzig und herausfordernd auf der Versammlung ruhte, als wolle er die Gelegenheit benutzen, seinen Beichtkindern jetzt, wo er sie einmal unter den Händen hatte, eine gehörige Strafpredigt zu halten.

Als nun alle achtzehn Verse gesungen waren, zeigte die Uhr auf halb zwölf, und der Pastor bestieg die Kanzel. Aber da waren die Zuhörer auch so mürbe geworden, daß viele auf ihr Angesicht fielen und – einschliefen. Lange sollten sie jedoch die Ruhe nicht genießen, denn plötzlich donnerte der Prediger los, so daß die Schlummernden in die Höhe fuhren, die Köpfe erhoben und ihre Nachbarn mit blödsinnigem Blick anstarrten, als wollten sie fragen, ob etwa Feuer sei.

Carlsson und seine Braut hatten sich so weit vorgedrängt, daß jeglicher Versuch zu einem Rückzug abgeschnitten war. Die Alte war dem Weinen nahe, sie war todmüde, und ihr enges Schuhwerk wurde ihr, je mehr die Wärme stieg, immer unerträglicher. Zuweilen wendete sie sich um und warf ihrem Verlobten einen flehenden Blick zu, als wollte sie ihn bitten, sie doch gleich direkt in die See hinabzutragen; aber Carlsson, der Flods bequeme juchtenlederne Stiefel trug, ging so vollständig in dem Gottesdienst auf, daß er nur strafende, ungeduldige Blicke für die Unglückliche hatte. Die andern dagegen hatten sich langsam nach rückwärts gedrängt und waren so unter die Orgelverkleidung gelangt, wo es weit kühler war und wo man im Schatten stand. Dort entdeckte Gustav auch die Feuerspritze, auf die er sich setzte, Klara auf den Schoß nehmend.

Rundquist hielt sich an einem Pfeiler fest, und Norman stand, als die Predigt begann, neben ihm. Sie währte volle anderthalb Stunden. Der Text handelte von den weisen und den törichten Jungfrauen, und weil die Männer der Ansicht waren, daß dies Thema sie nicht berühre, so schliefen sie alle, im Sitzen, Hängen und Stehen.

Nach Verlauf einer halben Stunde stieß Norman Rundquist an, der vornübergebeugt mit der Hand vor der Stirn stand, als sei ihm unwohl, und zeigte mit dem Daumen auf Klara und Gustav, die auf der Feuerspritze saßen. Rundquist wendete sich vorsichtig um und riß die Augen auf, als habe er den leibhaftigen Teufel gesehen, dann lachte er verständnisvoll. Klara saß nämlich mit geschlossenen Augen und aus dem Munde hängender Zunge, dem Ausdruck böser Träume, da; Gustav hingegen starrte Pastor Nordström unverwandt an, als verschlänge er jedes Wort und bemühe sich, den Sand in dem Stundenglas laufen zu hören.

»Das ist wirklich zum Lachen,« flüsterte Rundquist und ging leise und vorsichtig rückwärts, mit den Absätzen behutsam über die Ziegelsteine schleifend. Norman war sich gleich über Rundquists Plan klar; geschmeidig wie ein Aal schlich er sich auf den Kirchhof hinaus, wo sich Rundquist bald nach ihm einfand, und dann ging es in größter Eile hinab nach dem Boot.

Hier wehte eine kühle Seebrise, und diese im Verein mit den hastig eingenommenen Erfrischungen gab ihren Kräften bald wieder Spannkraft. Ebenso leise und vorsichtig, wie sie die Kirche verlassen, kehrten sie wieder dahin zurück und fanden hier Klara sanft in den Armen Gustavs entschlummert.

Die Predigt währte noch eine volle halbe Stunde, und dann verging eine zweite halbe Stunde mit Gesang, worauf endlich die Abendmahlsfeier begann. Die Gnadenmittel wurden unter großer Gemütsbewegung genommen, und Rundquist weinte. Madame Flod, die sich nach Schluß der Feier in einen der Stühle drängte, war nahe daran, Zank anzufangen, und wurde deshalb hinausgewiesen, worauf sie die letzte halbe Stunde vor dem Stuhl des Kirchenvorstehers, auf den Absätzen stehend, zubrachte, als brennten sie die Ziegelsteine durch die Schuhsohlen; und als dann endlich der Prediger das Aufgebot verlas, wußte sie nicht, was sie anfangen sollte, weil alle Leute sie ansahen.

Schließlich war der Gottesdienst zu Ende, und die Leute stürzten zu den Booten hinab. Madame Flod konnte den Druck der engen Beschuhung nicht länger ertragen, und sobald sie die Glückwünsche auf dem Kirchhofe in Empfang genommen hatte, zog sie ihre Stiefel aus und trug sie hinab ins Boot, wo sie sofort die Füße ins Wasser steckte und anfing, mit Carlsson zu schelten.

Als endlich alles an Bord gekommen war, erinnerte sich Carlsson plötzlich, daß er vergessen hatte, eine Tonne Teer zu holen. Aber da brach das Unwetter los. Die Frauen schrien, daß sie keinen Teer im Boote haben wollten, nein, um keinen Preis der Welt, denn sie trugen ihre neuen Kleider. Carlsson indessen holte trotzdem die Teertonne und verstaute sie hinten ins Boot. Darüber entstand ein förmlicher Aufruhr, denn niemand wollte in der Nähe des gefährlichen Gegenstandes sitzen.

»Worauf soll man denn eigentlich sitzen?« klagte Madame Flod.

»Nimm dein Kleid in acht und setze dich dann nur immer nieder,« antwortete Carlsson, der, nachdem das letzte Aufgebot glücklich überstanden war, noch ungenierter auftrat als vorher.

»Was für Reden führt Er da?« schrie die Alte.

»Ja, das ist meine aufrichtige Meinung. Setz dich nun nur ruhig hin, damit wir endlich fortkommen können!«

»Wer hat das Kommando hier im Boote, wenn ich fragen darf?« donnerte Gustav los, denn er war der Ansicht, daß man seiner Ehre zu nahe trete.

Und dann setzte er sich ans Steuer, ließ die Segel hissen und nahm die Halse an sich. Das Boot lag ziemlich tief, der Wind war äußerst schwach, die Sonne brannte, und die Gemüter waren erregt.

Die Fahrt ging also sehr langsam vonstatten, und es half nichts, daß die Männer einen »Segelschluck« nahmen. Die Geduld war daher erschöpft, und Carlsson brach das Schweigen, indem er vorschlug, daß man die Segel streichen und rudern solle. Aber Gustav war entschieden dagegen. »Wartet nur, bis wir zwischen den Inseln heraus sind, dann bekommen wir schon Wind,« meinte er.

Und dann wartete man, bis schließlich ein dunkelblauer Streif in der Ferne sichtbar wurde und man hören konnte, wie sich die See an den äußersten Klippen brach.

Ein starker Ostwind war im Anzuge, und es kam Fahrt in die Segel. Als man die Spitze der Insel hinter sich hatte, erfaßte der Wind das Boot, so daß es sich legte; es kam aber gleich wieder in die Höhe und schoß in rasender Fahrt dahin, während die Wellen hoch aufspritzten. Nun mußte man wieder einen Schluck nehmen, weil Zug in die Sache gekommen war. Aber dann wurde der Wind so stark, daß die eine Seite des Bootes ganz unter Wasser lag. Carlsson wurde bange, hielt sich an der Bank fest und bat, daß man die Segel reffen solle.

Gustav antwortete nicht, sondern zog die Segel straffer, so daß das Boot Wasser einnahm.

Da sprang Carlsson ganz außer sich auf und wollte ein Ruder auslegen. Aber die Alte ergriff ihn am Rock und drückte ihn nieder.

»Um des Himmels willen, Mensch! Bleib doch sitzen!« schrie sie.

Carlsson setzte sich wieder, kreideweiß vor Angst; aber er hatte nicht lange gesessen, als er wie ein Besessener aufsprang und die Rockschöße aufhob.

»Gott du Gerechter! Der Satan leckt!« brüllte er und schüttelte die Rockschöße.

»Wer leckt?« fragte man von allen Seiten.

»Die Tonne, zum Teufel!«

»Ach, Herr Jesus!« schrien nun alle durcheinander und bemühten sich, so weit wie möglich vom Teer wegzukommen, der umherfloß und alle Schwankungen des Bootes mitmachte.

»Setzt euch!« donnerte Gustav, »sonst segle ich um.«

Carlsson hatte sich gerade erhoben, als ein neuer Windstoß kam. Rundquist, der die Gefahr sah, erhob sich vorsichtig und versetzte Carlsson einen Schlag, so daß er niedersank.

Eine Prügelei schien unvermeidlich, als Madame Flod, zum Äußersten getrieben, sich veranlaßt fand einzuschreiten.

Sie ergriff ihren Bräutigam am Kragen und schüttelte ihn:

»Welch ein Feigling Er ist! Er ist wohl noch nie auf See gewesen! Kann Er sich nicht benehmen wie ein Mann und sitzenbleiben?«

Nun wurde Carlsson wütend, machte sich frei, riß dabei aber ein Stück von seinem Rock ab.

»Willst du meine Kleider zerreißen, du Frauenzimmer!« brüllte er und setzte die Stiefel auf den Bootsrand, um sie gegen den Teer zu schützen.

»Was für Unsinn redet Er da?« raste die Alte. »Sein Rock! Von wem hat Er ihn denn erhalten? Ich bin kein Frauenzimmer für so einen Lumpen, der nichts mitgebracht hat!«

»Halts Maul!« brauste Carlsson auf, dessen empfindlichster Punkt hier berührt war, »sonst gebe ich dir die wohlverdiente Antwort!«

Gustav, dem die Sache doch zu weit zu gehen schien, fing an, einen kleinen Schottischen zu jodeln, in den Norman und Rundquist einfielen, worauf der giftige Wortwechsel verstummte und die üble Laune sich gegen Pastor Nordström richtete, der sie fünf Stunden hatte stehen lassen und sie mit achtzehn Gesangversen gequält hatte. Schließlich machte die Flasche die Runde, der Wind flaute ab, die Gemüter beruhigten sich, und endlich glitt das Boot zur allgemeinen Befriedigung in die Bucht und wurde an der Brücke vertaut.

Danach fing man mit den Vorbereitungen zur Hochzeit an; sie sollte drei Tage währen. Man schlachtete ein Schwein und eine Kuh, kaufte zweihundert Pott Branntwein, legte Heringe in Salz und Lorbeerblätter, buk, scheuerte, kochte, briet und mahlte Kaffee. Während dies alles vor sich ging, wanderte Gustav mit geheimnisvoller Miene umher. Er ließ die andern gewähren, ohne sich einzumischen. Carlsson aber saß gewöhnlich an dem Pult und schrieb und rechnete, reiste nach Dalarö und war die Seele des Ganzen.

Als der Tag vor der Hochzeit kam, packte Gustav in aller Frühe seinen Reisesack, nahm die Büchse über die Schulter und wollte ausgehen. Die Mutter erwachte jedoch, ehe er fortging, und fragte, wohin er wolle; Gustav antwortete, er beabsichtige hinauszufahren und sich nach dem Dorsch umzusehen, und damit ging er.

Unten am Strande lag sein Boot, in das er Proviant für mehrere Tage geschafft hatte. Auch mit einer Decke, einer Kaffeekanne und andern für einen Aufenthalt zwischen den Klippen unentbehrlichen Gegenständen hatte er sich versehen.

Er hißte sofort die Segel, und statt in die Bucht zu steuern, um zu sehen, ob die Fische in das warme, sandige, seichte Wasser am Strande gegangen waren, richtete er seinen Kurs geradeaus zwischen den Inseln hindurch.

Es war gegen Ende Juli, und der Morgen war blendend klar. Blauweiß wie Milch, von der man die Sahne geschöpft, breitete sich der Himmel über ihn aus, und die Inseln, Werder, Klippen und Steine verschwammen so völlig mit dem Wasser, daß man nicht genau sagen konnte, ob sie zum Himmel oder zur Erde gehörten. Auf den dem Lande zunächst gelegenen Holmen wuchsen Tannen und Erlen, und in den Buchten lagen Fischreiher, Samtenten, Fischenten und Möwen; weiter hinaus erblickte man nur Zwergtannen und Ginster, und Lummen und Alken umkreisten kühn das Boot, um die Aufmerksamkeit des Jägers von ihren in den Klippenhöhlen verborgenen Nestern abzulenken. Zuletzt wurden die Schären niedriger und nackter, nur hin und wieder gewahrte man eine einsame Tanne, deren einzige Aufgabe es scheinbar war, die Nester zu tragen, in denen die Eidergänse brüteten, oder einen vereinzelten Vogelbeerbaum, über dessen Krone eine ganze Wolke von Mücken schwebte.

Da draußen lag das große Meer, auf dem die verschiedenen Möwengattungen in ewigem Kampfe miteinander begriffen waren und über das man den Seeadler mit schwerem Flügelschlag dahinfliegen sah, um sich auf eine brütende Eidergans herabzustürzen. Weit hinaus, bis an die äußerste Klippe steuerte Gustav, der mit dem Steuer in der Hand und der Pfeife im Munde dasaß und sich von einer warmen südlichen Brise treiben ließ; gegen neun Uhr ging er bei Nordsten an Land. Es war dies eine kleine, klippenartige Insel, wenige Tonnen Land groß, die von einer Talsenkung durchschnitten wurde. Dort standen nur einzelne blattlose Vogelbeerbäume zwischen den Steinen; leuchtende, dunkelrote Beeren schauten aus den Klippenriffen hervor, und ein dünner Streifen von Heidekraut und Berghimbeeren bedeckte die Talsenkung; einzelne Wacholderbüsche lagen über den Klippen, als seien sie flachgetreten und müßten sich jetzt festklammern, um nicht fortgeweht zu werden. Hier war Gustav zu Hause; hier kannte er jeden Stein, hier wußte er unter den Wacholderbüschen die brütende Eidergans zu finden, die sich von ihm streicheln ließ und ihn ins Hosenbein biß. Hier stieß er seine Aalstange in eine Felsspalte hinab und zog eine Alke heraus, der er den Hals umdrehte, um sie dann zum Frühstück zu verzehren. Hier draußen war der Heringsfang der Hemsöer, und hier hatten sie zusammen mit andern Fischerdörfern eine Hütte erbaut, die ihnen als Nachtherberge diente. Hierhin lenkte nun auch Gustav seine Schritte, nahm den Schlüssel von seinem gewöhnlichen Platz unter dem Dachfirst und trug seine Sachen hinein. Die Hütte bestand nur aus einem fensterlosen Raum mit Bettkrippen, die wie die Fächer eines Wandbretts übereinander angebracht waren; ein Feuerherd, ein dreibeiniger Stuhl und ein Tisch vervollständigten die Einrichtung.

Nachdem er seine Sachen geborgen hatte, kletterte er auf das Dach, öffnete die Schornsteinluke und kroch wieder hinab. Dann nahm er die Schwefelhölzer von ihrem Platze unter einem Balken, zündete Feuer auf dem Herd an, auf dem der letzte Gast nach althergebrachter Sitte das Brennmaterial für seinen Nachfolger in Bereitschaft gelegt hatte, setzte den Kessel mit den Kartoffeln auf, legte eine Schicht gesalzener Fische oben auf die Kartoffeln und stopfte, während er wartete, seine Pfeife.

Als er gegessen und getrunken hatte, nahm er die Flinte und ging nach dem Boote hinunter, wo die Lockvögel lagen, ruderte mit ihnen hinaus und legte sie vor Anker, dann kroch er in die aus Stein und Reisig gebaute Schießhütte. Die Lockvögel schaukelten auf den langen Wellen, die sich am Lande brachen, aber keine Eidergans wollte sich locken lassen. Die Wartezeit wurde dem Jäger zu lang, er gab sein Vorhaben auf, trieb sich am Strand umher und suchte eine Otter aufzustöbern, aber er stieß nur auf schwarze Nattern und Wespennester.

Allein es schien ihm auch nicht sonderlich viel daran gelegen, etwas zu finden; er streifte nur umher, um die Zeit totzuschlagen, oder weil es ihm Vergnügen machte, hier draußen zu sein, wo ihn niemand sah und hörte.

Am Nachmittag legte er sich in der Hütte nieder, um zu schlafen, und zur Vesperzeit ruderte er mit den Dorschschnüren hinaus, um sein Glück auf diese Weise zu versuchen. Die See lag nun spiegelblank da, und im Golde des Sonnenunterganges erschienen die Umrisse der Inseln wie leichter Rauch. Es war so lautlos ringsumher wie in einer windstillen Nacht; man konnte den Ruderschlag eine halbe Meile weit hören. Die Seehunde »badeten« in passender Entfernung vom Boote, steckten ihre runden Köpfe heraus, prusteten und tauchten wieder unter.

Der Dorsch biß, und es glückte Gustav, einige der Weißmägen ans Trockne zu ziehen; sie schnappten mit ihrem großen, ungefährlichen Rachen nach Wasser und schnitten Gesichter in der Sonne, als sie aus ihrer dunklen Tiefe heraufgezogen wurden und über dem Bootsrande zappelten.

Er hatte sich zwischen den nördlichen Schären gehalten und bemerkte deshalb erst gegen Abend, als er umlegte und an Land zurückkehren wollte, daß aus dem Schornstein der Hütte Rauch aufstieg. Indem er darüber nachdachte, was das zu bedeuten habe, eilte er schnellen Schrittes auf die Hütte zu.

»Bist du es?« rief ihm von innen eine Stimme entgegen, die er als die des Pastors erkannte.

»Sind Sie es, Herr Pastor?« rief Gustav aus, als er den Prediger am Feuerherde sitzen sah, beschäftigt, Heringe zu braten. »Sind Sie ganz allein hier draußen?«

»Ja, ich bin hier, um Dorsch zu fischen, und habe auf der andern Seite gelegen, deshalb habe ich dich nicht gesehen. Aber warum bist du denn nicht zu Hause bei den Vorbereitungen für die morgige Hochzeit?«

»Ich mache die Hochzeit nicht mit,« erwiderte Gustav.

»Unsinn! Warum solltest du sie nicht mitmachen?«

Gustav führte seine Gründe an, so gut er konnte, und es ergab sich, daß er nicht allein deswegen von der Hochzeit wegbleiben wollte, weil diese ihm widerwärtig war, sondern weil er dadurch auch denjenigen zu »stempeln« beabsichtigte, der an dem Ganzen schuld war.

»Ja, aber deine Mutter?« wendete der Pastor ein; »ist es nicht unrecht von dir, sie so an den Pranger zu stellen?«

»Das finde ich nicht,« antwortete Gustav. »Ich finde, sie fügt mir ein weit größeres Unrecht zu, indem sie mir einen solchen Burschen zum Stiefvater gibt; denn solange der lebt, bekomme ich den Hof nicht.«

»Ja, mein Junge, daran ist nun nichts mehr zu ändern, später läßt sich vielleicht Rat finden, aber morgen früh nimmst du dein Boot und segelst nach Hause. Bei der Hochzeit darfst du nicht fehlen.«

»Daraus wird doch wohl nichts,« versicherte Gustav; »wenn ich mir erst etwas in den Kopf gesetzt habe ...«

Der Prediger tat, als habe er es nicht gehört, und fing an, seine Heringe zu verspeisen.

»Du hast wohl nicht einen Schluck?« begann er nach einer kleinen Pause. »Siehst du, meine Frau hat die Angewohnheit, alle starken Getränke zu verschließen, und so früh am Tage kann ich mir nichts verschaffen.«

Gustav hatte wirklich Branntwein, und der Pastor bekam einen gehörigen Schluck, der ihm die Zunge löste, er redete nun darauflos, über die äußern und innern Gemeindeangelegenheiten. Auf den Steinen draußen vor der Hütte sitzend, sahen sie die Sonne untergehen und die Dämmerung sich gleich einem melonenfarbenen Tuch über Werder und Meer legen. Die Möwen gingen auf den Tanghaufen zur Ruhe, und die Krähen kamen über die Schären dahergeflogen, um im Walde ein Nachtquartier zu suchen.

Es wurde Schlafenszeit, und nun mußten die Mücken aus der Hütte vertrieben werden, zu welchem Zweck die Tür geschlossen und der ganze Raum mit Rauch angefüllt wurde, worauf man die Tür wieder öffnete und eine Jagd mit Vogelbeerzweigen begann. Dann zogen die beiden Fischer ihre Röcke aus und kletterten jeder in seine Krippe.

»Jetzt gib mir noch einen Schlaftrunk,« bat der Pastor, der schon mehr bekommen hatte, als ihm zuträglich war, und auf der Bettkante gab ihm Gustav die letzte Ölung, worauf man zu schlafen gedachte.

Es war dunkel in der Hütte, nur ein einziger Lichtstreif bahnte sich den Weg durch die undichte Wand; aber selbst in dieser spärlichen Beleuchtung wußten die Mücken die Müden zu finden, die sich wanden und sich von einer Seite auf die andre warfen, um den Plagegeistern zu entgehen.

»Nein, nein, das ist wirklich zu arg!« stöhnte der Pastor. »Schläfst du, Gustav?«

»Ach, Gott steh uns bei! Aus dem Schlafen wird über Nacht wohl nichts. Was soll man aber nun einmal anfangen?«

»Uns bleibt nichts andres übrig, als wieder aufzustehen und Feuer anzumachen. Wenn wir nur ein Spiel Karten hätten, dann könnten wir eine Partie machen, du hast wohl keine bei dir?«

»Nein, ich habe keine; aber ich glaube, ich weiß, wo die Quarnöer die ihren liegen haben,« antwortete Gustav, kroch vom Lager herab und holte unter einem der Betten ein fettiges Spiel Karten hervor.

Der Pastor hatte auf dem Herd vermittels eines Talglichtes und einiger Wacholderzweige Feuer angefacht. Gustav setzte den Kaffeekessel auf und zog einen Heringstrog heraus, der über die Knie gelegt und in einen Spieltisch verwandelt wurde. Und dann begann das Spiel, die Karten fielen, und die Zeit verstrich.

»Ich kaufe drei! Paß! Trumpf!« erklang es abwechselnd, und wenn eine Mücke einmal auf den Einfall kam, den Hals oder die Hände der Spielenden schröpfen zu wollen, so ertönte ein kräftiger Fluch.

»Hör einmal, Gustav,« unterbrach plötzlich der Prediger, dessen Gedanken sich nicht ausschließlich mit Karten und Mücken beschäftigt zu haben schienen, das Spiel, »könntest du ihm nicht doch einen Possen spielen, ohne von der Hochzeit fernzubleiben? Es sieht doch feige aus, einem solchen Lumpen aus dem Wege zu gehen; und wenn du ihn ärgern willst, so will ich dir einen guten Rat geben, wie sich das am besten anfangen läßt.«

»Nun, wie sollte sich das machen lassen?« fragte Gustav, der es doch im Grunde langweilig fand, daß er die Hochzeit nicht mitmachen sollte, die ja von seinem väterlichen Erbteil bezahlt wurde.

»Komme am Nachmittage gleich nach der Trauung nach Hause und sage dort, daß du auf der See aufgehalten worden bist. Das ist schon an und für sich scherzhaft, hierauf tun wir uns zusammen und machen ihn so betrunken, daß er sich nicht ins Brautgemach finden kann, und dann sorgen wir dafür, daß die Jugend ihren Scherz mit ihm treibt. Meinst du nicht auch, daß das genügt?«

Gustav schien nicht abgeneigt zu sein, darauf einzugehen; der Gedanke, drei Tage hier draußen auf der Klippeninsel allein zuzubringen und sich des Nachts von Mücken auffressen zu lassen, machte ihn zugänglich, um so mehr, als er wirklich Lust hatte, all die schönen Dinge zu kosten, die zu Ehren des Tages bereitet waren. Der Pastor entwarf nun einen Schlachtplan, der von Gustav angenommen wurde. Und mit sich selber und miteinander zufrieden, gingen sie endlich in ihre Kojen, als das Tageslicht durch die Türpfosten schien und die Mücken von ihrem nächtlichen Tanz ermüdet waren. –

Als Carlsson von den Heringsfischern erfuhr, daß sowohl Gustav wie der Prediger mit ihren Booten den Kurs nach Nordosten zu genommen hatten, ward es ihm sofort klar, daß eine Verschwörung gegen ihn angezettelt wurde. Er traute dem Prediger nicht, weil dieser bei dem Aufschub der Hochzeit seine Hand mit im Spiel gehabt hatte und ihm auch sonst bei jeder Gelegenheit seine Mißachtung bewies. Carlsson hatte sich vor ihm gedemütigt, war vor ihm gekrochen, hatte ihm geschmeichelt, aber alles ohne Erfolg. Wenn sie zusammen in einem Zimmer waren, so wandte ihm der Prediger stets seinen breiten Rücken zu, hörte niemals, was er sagte, und erzählte stets Geschichten, die Andeutungen auf die bevorstehende Begebenheit enthielten. Als daher Carlsson erfuhr, daß der Prediger ein Stelldichein mit Gustav auf den Schären gehabt, vermutete er, daß dies in einer bestimmten Absicht geschehen sei; und statt die Ausführung der bei der Zusammenkunft gefaßten Beschlüsse abzuwarten, entwarf er einen Plan, wie er seine Gegner fangen könne. Zufälligerweise hatte der Bootsmann von dem Distriktzollkutter Urlaub und war für den Augenblick als Mundschenk und Gehilfe bei dem Hemsöer Festschmaus angestellt; seine Anordnungen bei Tanzfesten und ähnlichen Gelegenheiten waren weit und breit bekannt und wurden sehr geschätzt. Carlsson hatte sich nicht geirrt, wenn er auf seine Hilfe zählte, wo es sich darum handelte, dem Prediger einen Possen zu spielen; denn der Bootsmann Rapp hatte noch ein Hühnchen mit dem Pastor zu rupfen. Er war seinerzeit aus triftigen Gründen von der Konfirmation zurückgewiesen worden, und der einjährige Aufschub hatte ihm viele Unannehmlichkeiten im Dienst bereitet. Bei einem Kaffeepunsch schmiedeten deshalb die beiden Predigerfeinde einen Plan gegen den Pastor, der darauf hinausging, diesem einen rechten Possen zu spielen; es handelte sich um nichts Geringeres, als um die Absicht, ihn betrunken zu machen, die erforderlichen Nachspiele, zu denen die Zeit und die Umstände den nötigen Impuls geben würden, nicht zu vergessen.

Von beiden Seiten waren also die Minen gelegt; der Zufall mußte entscheiden, welche die wirksamste sein würde.

Und dann kam der Hochzeitstag. Die ganze Hofbevölkerung erwachte müde und in schlechter Laune nach den angreifenden Vorbereitungen, und da die ersten Gäste zu früh eintrafen – die Wasserverbindungen ließen die Zeit nicht so genau bestimmen –, so war niemand unten an der Brücke, um sie zu empfangen; sie schlichen verlegen zwischen den Hügeln umher, als seien sie ungebetene Gäste. Die Braut war noch nicht geschmückt, und der Bräutigam lief in Hemdärmeln umher, trocknete Gläser, zog Flaschen auf und steckte Kerzen auf die Leuchter. Das Haus war frisch gescheuert und mit Laub geschmückt, und alle Möbel waren ausgeräumt und standen in einer Ecke hinter dem Hause, so daß es aussah, als ob eine Auktion abgehalten werden sollte. Draußen im Garten war eine Flaggenstange errichtet, auf der man die eigens zu diesem Zweck geliehene Zollflagge gehißt hatte. Über der Haustür hingen ein Kranz und eine Krone aus Preiselbeerstrauchwerk, und zu beiden Seiten standen junge Birken. Auf den Fensterbrettern waren ganz wie in einem Laden Flaschen mit den leuchtendsten Farbendrucketiketten aufgestellt, die bis weit vor das Haus sichtbar waren; Carlsson liebte nun einmal die starken Effekte. Der goldgelbe Punsch schien gleich Sonnenstrahlen durch das seifengrüne Glas; der Purpur des Kognaks leuchtete wie Kohlenfeuer, und die silberähnlichen Zinnkapseln auf den Korken glichen neugeprägten Fünfzigörestücken. Einige von den kühnsten Bauernburschen kamen näher heran, um alle diese Schätze zu bewundern; sie betrachteten sie neugierig wie ein Schaufenster und empfanden schon beim bloßen Anblick der Flaschen ein angenehmes Gefühl im Halse.

Auf jeder Seite der Tür lag eine hundertundzwanzig Pott enthaltende Tonne, die gleich schweren Mörsern den Eingang beschützten; die eine war mit Branntwein gefüllt, die andre mit Schwachbier; und dahinter lagen, gleich Kugelpyramiden, zweihundert Lagerbierflaschen. Es war ein prachtvoller und kriegerischer Anblick; und Bootsmann Rapp ging als Artillerist umher, mit einem am Leibriemen befestigten Korkzieher, das Kriegsmaterial ordnend, das unter seinem Kommando stand. Er hatte die Tonnen mit Tannenzweigen geschmückt, sie mit Messinghähnen angestochen und schwang nun seinen Spundhammer wie einen Stückwischer und schlug von Zeit zu Zeit an die Fässer, um zu zeigen, daß sie voll seien. In seiner Paradeuniform, blauer Jacke mit breitem Kragen, weißen Beinkleidern und blankem Hut, aber der Vorsicht wegen ohne Seitengewehr, flößte er den Bauern einen ungeheuren Respekt ein, und er hatte auch außer seinem Amt als Mundschenk die Verpflichtung übernommen, Ordnung zu halten, nötigenfalls Hinauswerfer zu sein und bei etwaiger Prügelei einzuschreiten. Die reichen Bauernburschen taten freilich, als sähen sie auf ihn herab; aber im Grunde waren sie neidisch, denn sie hätten für ihr Leben gern in einer so hübschen Uniform gesteckt, wenn nur nicht die Furcht vor der »Katze« und dem bösen Unteroffizier gewesen wäre.

In der Küche standen zwei Kessel mit Kaffee auf dem Feuer, und die von allen Ecken und Kanten zusammengeliehenen Kaffeemühlen knarrten und kreischten; Zuckerhüte wurden mit Äxten in Stücke zerschlagen, und Weizenkuchen standen in langen Reihen an den Fenstern. Die Mädchen liefen hin und her zwischen den Vorratskammern, die mit allen möglichen gekochten und gebratenen Sachen und ganzen Säcken frischgebacknen Brotes angefüllt waren. Von Zeit zu Zeit sah man die Braut in Hemdärmeln den Kopf mit den flatternden falschen Flechten aus dem Kammerfenster stecken, um Klara oder Lotte zu rufen.

Ein Boot nach dem andern steuerte jetzt in die Bucht, machte einen flotten Schlag, um an dem Brückenkopf vorüberzukommen, strich dann die Segel und legte unter Gewehrsalut an. Aber es währte lange, ehe man sich nach dem Hause hinaufwagte, und noch immer trieben sich Scharen von Gästen zwischen den Hügeln umher.

Glücklicherweise hatte die Frau Professor mit den andern eines Geburtstags wegen verreisen müssen, nur der Professor war zu Hause. Er hatte deshalb freundlichst die Einladung angenommen und seinen großen Saal zur Trauung überlassen, ebenso den Rasenplatz unter den Eichen, wo der Kaffee getrunken und die Abendmahlzeit eingenommen werden sollte. Hier waren nun vermittels Tonnen und Böcken, über die man lange Bretter gelegt hatte, Bänke und Tische zusammengestellt, welch letztere schon fertig gedeckt waren.

Auf dem Hofplatz hinter dem Hause bildeten sich jetzt kleine Gruppen. Rundquist, mit Tran in den Haaren, frisch barbiert und in einer schwarzen Jacke, hatte es übernommen, die Gäste mit spöttischen Bemerkungen zu unterhalten, und Norman, dem im Verein mit Rapp das Vertrauensamt des Salutierens, hauptsächlich mit Dynamitpatronen, übertragen war, hielt sich abseits und übte sich in kleinerm Maßstabe mit einer Pistole. Er hatte dafür aber seiner Handharmonika entsagen müssen; denn der feinste Violinspieler der Gegend, der Schneider aus Fifang, hatte die Musik übernommen, und dieser Herr gestattete keine Eingriffe in seine Rechte.

Dann kam der Pastor, in heiterster Hochzeitslaune, zu Scherzen mit dem Brautpaar aufgelegt, wie das Sitte und Gebrauch war.

Jetzt trat der Professor ein, im Frack, mit weißer Halsbinde und hohem Hut. Der Prediger legte sofort Beschlag auf ihn als ebenbürtige Standesperson und begann ein Gespräch, dem die Frauen mit gespanntester Aufmerksamkeit lauschten; denn sie waren alle fest davon überzeugt, daß der Professor ein grundgelehrter Mann sei.

Aber dann erschien Carlsson in der Tür und meldete, daß nun alles bereit sei, man vermisse nur Gustav, um beginnen zu können.

»Wo ist Gustav?« rief eine Stimme draußen, und der Ruf hallte bis zur Scheune wider.

Niemand antwortete, niemand hatte ihn gesehen.

»Ach, ich weiß wohl, wo er ist,« sagte Carlsson.

»Aber wo kann er nur sein?« fragte der Pastor mit einer listigen Miene, die von Carlsson wohl bemerkt ward.

»Ein Vögelchen hat davon gesungen, daß man ihn draußen auf Nordosten gesehen hat, und er wird wohl irgendeinen Lumpen bei sich gehabt haben, der ihm zu trinken gegeben.«

»Nun, wenn er in schlechte Gesellschaft geraten ist, wird es wohl das beste sein, nicht länger auf ihn zu warten,« meinte der Pastor. »Es ist eine Schande, daß er sich nicht zu Hause hält, wo er so gute Vorbilder vor Augen hat, nach denen er sich richten kann. Aber was sagt denn die Braut? Sollen wir uns erheben oder sollen wir noch sitzenbleiben?«

Man holte die Ansicht der Braut ein, und obgleich ihr die Sache sehr fatal war, hielt sie es doch für das richtigste, zu beginnen, weil sonst der Kaffee kalt werden würde. So brach man denn unter einer Dynamitsalve auf. Der Spielmann kratzte und fiedelte, der Pastor legte sein Ornat an, die Brautführer bildeten den Vortrab, und der Prediger führte die Braut, die ein schwarzseidenes Kleid, einen weißen Schleier und einen Myrtenkranz trug und die so stark nach Parfüm duftete, daß man es von weitem merken konnte. Und so zog man nach der Wohnung des Professors unter den Tönen der Violine und dem Knallen der Sprengschüsse.

Die Braut blickte sich noch im letzten Augenblicke forschend nach allen Seiten um, in der Hoffnung, daß der verlorene Sohn sichtbar werde, und als man bis an die Tür gelangte, mußte der Prediger sie hineinziehen, während sie den Kopf nach rückwärts wendete. Aber schließlich kamen sie ins Haus; die Gäste stellten sich an den Wänden auf, als sollten sie Wache auf einem Richtplatz halten, und das Brautpaar erhielt seinen Platz vor zwei umgekehrten Stühlen, die mit einem Brüsseler Teppich bedeckt waren. Der Pastor hatte das Buch hervorgeholt, zupfte an dem Kragen und wollte sich eben räuspern, als die Braut die Hand auf seinen Arm legte und ihn bat, einen Augenblick zu warten. Es wäre ja möglich, daß Gustav noch käme.

Es wurde still im Zimmer, und man hörte nur das Knarren der Stiefel und das Rascheln der gesteiften Unterröcke, das nach Verlauf von einigen Minuten auch verstummte. Schließlich sagte der Prediger, auf den aller Blicke gerichtet waren:

»Diese Wartezeit zieht sich denn doch zu sehr in die Länge. Nun fangen wir an. Ist er bis jetzt nicht gekommen, so kommt er auch nicht mehr.«

Und dann begann er zu lesen: »Geliebte Gemeinde! Die Ehe ist eine von Gott eingesetzte heilige Handlung ...«

In diesem Tone hatte er eine Zeitlang fortgefahren, und die älteren Frauen hatten schon ihre Taschentücher herausgezogen und fingen an zu weinen, als plötzlich ein lauter Knall und dann ein Klirren von Glasscherben erklang. Man lauschte einen Augenblick, ließ sich aber nicht weiter dadurch stören; nur Carlsson schien unruhig zu werden und schielte zum Fenster hinaus. Bald folgte ein erneutes »Paff! Paff! Paff!«, das ungefähr so klang, als würden Champagnerflaschen entkorkt, und die jungen Burschen, die in der Nähe der Tür standen, fingen an zu kichern. Die Unruhe legte sich jedoch wieder, und der Prediger wendete sich gerade an den Bräutigam: »Im Namen des allwissenden Gottes und im Beisein dieser Versammlung frage ich dich, Johannes Eduard Carlsson, ob du diese Anna Eva Flod zu deinem Eheweibe haben und Freude und Leid mit ihr teilen willst« – als statt einer Antwort eine neue Salve erklang, Korke knallten, Glassplitter klirrten und der Hund bellte, als wenn er toll geworden wäre.

»Wer wagt es, da draußen Flaschen aufzuziehen und diesen heiligen Akt zu unterbrechen?« donnerte nun Pastor Nordström los.

»Ja, danach wollte ich auch eben fragen,« entfuhr es Carlsson, der seine Neugierde und Unruhe nicht länger zügeln konnte; »macht Rapp da den Spektakel?«

»Was ist los? Was soll ich getan haben?« brauste Rapp auf, der sich durch diese Verdächtigung gekränkt fühlte.

»Paff! Paff! Paff!« knallte es ohne Unterbrechung.

»So geht in Jesu Namen hinaus und seht nach, ob da ein Unglück geschehen ist!« schrie der Pastor; »dann können wir nachher fortfahren.«

Ein Teil der Hochzeitsgäste stürzte hinaus, andre drängten sich an die Fenster.

»Es ist das Bier!« riefen einige.

»Das Bier springt, das Bier!« rief der Professor.

»Ja, wie kann man aber auch das Bier in die Sonne legen?«

Die aufgestapelten Bierflaschen lagen wie Mitrailleusen da und knallten los, daß der Schaum über die Erde floß.

Die Braut war empört über diese unerwartete Unterbrechung der Trauung, die sicher kein gutes Omen war, der Bräutigam erhielt Scheltworte wegen seines schlechten Arrangements und war nahe daran, in Schlägerei mit dem Bootsmann zu geraten, auf den er alle Schuld schieben wollte. Der Pastor war ärgerlich, daß die heilige Handlung durch den unangenehmen Zwischenfall unterbrochen wurde, aber draußen auf dem Berge standen die Bauernburschen und tranken die Neigen aus den Flaschenscherben.

Als sich der Sturm endlich gelegt hatte, versammelte man sich abermals im Zimmer; die Stimmung war freilich etwas weniger andächtig als vorher, doch nachdem der Prediger die Frage an den Bräutigam wiederholt hatte, wurde die Zeremonie ohne weitere Unterbrechungen fortgesetzt, ein unterdrücktes Kichern der Jugend draußen im Vorsaal abgerechnet.

Die Glückwünsche hagelten auf die Neuvermählten herab, und so schnell wie möglich verließ man das Zimmer, in dem es nach Schweiß, Branntwein, feuchten Strümpfen, Lavendel und welken Blumensträußen roch. Und dann begab man sich in aller Eile an den Kaffeetisch.

Carlsson nahm zwischen dem Professor und dem Pastor Platz, die Braut dagegen hatte keine Ruhe zum Sitzen, sie mußte hin und her laufen, um die Bedienung zu beaufsichtigen.

Der Juliabend war prächtig; die Sonne schien, und unter den Eichbäumen herrschten Lärm und Fröhlichkeit. Nach dem Kaffee mit Zubehör kam der Kaffeepunsch an die Reihe, und der Branntwein floß in Strömen, oben am Ende des Tisches aber, bei dem Bräutigam, wurde schwedischer Punsch serviert, wogegen weder die Alten noch die Jungen etwas einzuwenden hatten. Das war ein Getränk, das man nicht alle Tage bekam, und der Pastor goß sich deshalb auch noch seine Kaffeetasse damit voll.

Heute war er ungewöhnlich liebenswürdig gegen Carlsson, trank ihm fortwährend zu, lobte ihn und er zeigte ihm die größte Aufmerksamkeit, ohne darum den Professor zu vergessen, dessen Gesellschaft ihm um so mehr Vergnügen bereitete, als er so selten mit gebildeten Leuten zusammenkam. Aber es ward ihm schwer, das richtige Thema zu treffen, denn die Musik war nicht seine Stärke, und als der Professor das Gespräch höflichkeitshalber auf das Gebiet des Pastors bringen wollte, wich er ihm aus. Die Schwierigkeit, einander zu verstehen, trug auch dazu bei, eine Annäherung unmöglich zu machen, umso mehr, als der Professor, der gewohnt war, seinen Gefühlen in Musik Luft zu machen, ungern lange sprach.

Nun kam der Spielmann, dem es sehr sauer geworden war, sich so lange zurückzuhalten und unbemerkt zu bleiben; nachdem er seinen Mut durch eine gehörige Anzahl von Gläsern Kaffeepunsch gestärkt hatte, wollte er mit dem Professor über Musik sprechen.

»Ich bitte um Entschuldigung, Herr Kammermusikus,« grüßte er und klimperte auf seiner Violine, »sehen Sie, wir beide haben so ungefähr dieselben Interessen, denn ich spiele auch, das heißt auf meine Manier.«

»Scher dich zur Hölle, Schneider, und sei nicht unverschämt!« fuhr Carlsson ihn an.

»Ja, ja, entschuldigt, Carlsson, Euch geht das nun gerade nichts an; aber Herr Kammermusikus, untersuchen Sie einmal meine Violine, probieren Sie dieselbe und dann sagen Sie mir, ob sie nicht gut ist; ich hab sie bei Hirsch gekauft, und sie hat mich volle zehn Reichstaler gekostet.«

Der Professor klimperte auf der Quinte, lachte und sagte:

»Sehr schön, mein Lieber!«

»Ja, so ist es: wenn sich jemand auf eine Sache versteht, dann kann man ein wahres Wort zu hören bekommen; will man aber über Kunst mit diesen, diesen« – er wollte flüstern, aber seine Stimme versagte ihm diese Abstufung, so daß er statt dessen ganz laut schrie – »mit diesen verfluchten Bauernlümmeln ...«

»Gib dem Schneider eins über den Schnabel!« riefen mehrere Stimmen.

»Du, Schneider, du darfst dich nicht betrinken, hörst du! Denn dann können wir ja nicht tanzen.«

»Rapp, gib acht, daß der Spielmann nicht mehr trinkt!«

»Was, bin ich etwa nicht zum Trinkgelage eingeladen? Bist du vielleicht auch noch geizig, du Schmarotzer?«

»Setz dich nun ruhig hin, Friedrich, und sei stille,« sagte der Pastor; »sonst bekommst du Prügel!«

Aber der Schneider wollte sich absolut über seine Kunst aussprechen, und um die Vortrefflichkeit seiner Violine zu beweisen, fing er an zu spielen.

»Hören Sie doch einmal zu, Herr Kammermusikus, hören Sie diesen Baß, der klingt geradeso wie eine kleine Orgel.«

»Halt das Maul, Schneider!«

Es entstand eine Bewegung am Tisch, und die Aufregung nahm zu, da rief plötzlich einer: »Gustav ist da!«

»Wo, wo?«

Klara sagt, daß sie ihn unten beim Holzstapel gesehen hat.

»Sagt mir Bescheid, wenn er hineingegangen ist,« bat der Pastor, »aber nicht eher, als bis er im Hause ist, hört ihr?«

Jetzt wurden die Groggläser hingesetzt, und Rapp öffnete die Kognakflaschen.

»Das geht ja sehr hoch her,« meinte der Pastor; aber Carlsson war der Ansicht, daß es sich so gehöre.

Rapp ging in aller Stille umher und forderte sämtliche Anwesenden auf, mit dem Pastor anzustoßen, der auch schnell sein erstes Glas geleert hatte und sich nun ein zweites brauen mußte.

Der Pastor rollte schon mit den Augen und fing mit der Zunge zu schnalzen an. Er sah sich Carlssons Gesichtszüge so genau wie möglich an und bemühte sich, ausfindig zu machen, ob er wohl schon genügend zu sich genommen habe. Aber das Sehen ward ihm schwer, deswegen begnügte er sich mit ihm anzustoßen.

Da kam Klara und rief:

»Jetzt ist er hineingegangen, Herr Pastor! Jetzt ist er im Hause.«

»Zum Teufel auch, was du sagst! Ist er wirklich schon im Hause?«

Der Prediger hatte vergessen, wem diese Frage galt.

»Was für ein ›er‹ ist im Hause, Klara?« fragte man im Chor.

»Gustav natürlich!«

Der Prediger erhob sich, ging nach dem Hause hinab und holte Gustav, der scheu und verlegen an den Tisch geführt wurde. Dann wurde er mit einem Glase Punsch und lauten Hurrarufen begrüßt. Gustav und Carlsson stießen miteinander an, und Gustav sagte kurz:

»Ich gratuliere!«

Carlsson wurde gerührt und trank das Glas bis auf den letzten Tropfen aus, indem er erklärte, daß es ihm große Freude bereite, Gustav zu sehen, obwohl er spät käme; daß er zwei kenne, deren alte Herzen glücklich wären, ihn doch noch hier zu begrüßen.

»Und glaube mir,« schloß er, »es kommt nur darauf an, daß man den alten Carlsson richtig nimmt; dann zeigt er sich auch so, wie er wirklich ist.«

Gustav war nicht gerade sehr entzückt, forderte Carlsson aber trotzdem auf, ein spezielles Glas mit ihm zu trinken.

Die Dämmerung brach herein, die Mücken tanzten, und die Menschen zechten; die Gläser klirrten, das Lachen schallte, und zwischen den Büschen vernahm man schon Kichern und Hurrarufe, Schreien und Schießen unter dem blauen Sommerhimmel. Und von der Wiese herauf klang das Zirpen der Heimchen und der Gesang der Wachteln.

Jetzt wurden die Tische abgeräumt, denn das Abendbrot sollte aufgetragen werden. Rapp hängte bunte Lampen, die er von dem Professor geliehen hatte, in die Kronen der Eichen; Norman lief mit Tellerstapeln umher, und Rundquist lag auf den Knien und zapfte Dünnbier und Branntwein ab. Die Mädchen trugen Unmengen von Butter und Heringen, hohe Stapel von Pfannkuchen und große Schalen mit Fleischklößen auf. Und als endlich alles fertig war, klatschte der Bräutigam in die Hände:

»Seid nun so freundlich und nehmt einen Bissen Brot zu euch!«

»Aber wo bleibt denn der Herr Pastor?« wendeten die Frauen ein. Ohne den Pastor wollte niemand anfangen.

»Und der Herr Professor? Wo sind sie nur geblieben? Nein, das geht unmöglich, so können wir nicht anfangen.«

Man rief und suchte, aber niemand antwortete. Man umstand die Tische zusammengedrängt mit begehrlichen Augen wie ausgehungerte Hunde, bereit, über das Aufgetragene herzufallen; aber keine Hand rührte sich, und die Stimmung war anfangs sehr gedrückt.

»Der Herr Pastor hat sich erkältet,« sagte Carlsson; »er will sich ein wenig ausruhen, oder er hat sich heimlich auf den Heimweg gemacht. Seid nur so gut und fangt an!«

Man ließ sich nicht zweimal nötigen, sondern stürzte über die Schüsseln her und überließ den Pastor seinem Schicksal.

Es wurde viel Bier und Wein getrunken, und die Fröhlichkeit wurde immer größer. Nachdem man alle Speisen vertilgt hatte und auf dem Grunde aller Teller und Schüsseln angelangt war, begab man sich ins Haus, um zu tanzen.

Der Spielmann saß auf dem Feuerherd und fiedelte, und der Tanz ging wie ein Mühlwerk; aus den offenen Fenstern steckten die Tänzer ihre durchschwitzten Rücken zur Abkühlung, und vor der Tür in der frischen Nachtluft saßen die Alten und freuten sich über das fröhliche Treiben, rauchten, tranken und scherzten im Halbdunkel und in dem schwachen Schein des Küchenfeuers und der Lichter aus dem Tanzsaal, der durch die Fenster drang.

Aber draußen in Tal und Wiese wanderte Paar auf Paar in dem taufrischen Gras unter dem schwachen, flimmernden Licht des Sternenhimmels, um beim Duft des Heus und dem Zirpen der Grillen das Feuer zu löschen, das die Wärme des Tanzsaals, der starke Geist des Branntweins und die wogenden Töne der Musik entfacht hatten.

Die Mitternachtsstunden wurden vertanzt, und im Osten rötete sich der Himmel; die Sterne verkrochen sich in die Himmelswölbung, und die Deichsel des Wagens ragte in die Luft, als sei er umgestürzt; aus dem Schilf ertönte das Geschnatter der Enten, und in der stillen, blanken Bucht spiegelten sich die Zitronenfarben der Morgenröte wider, unterbrochen von den dunklen Schatten der Erlen, die im Wasser auf dem Kopf zu stehen und bis auf den Grund der See zu reichen schienen. Aber das währte nur eine kurze Zeit, dann kamen vom Lande her dichte Wolken gezogen, und es wurde abermals Nacht.

Plötzlich erklang von der Küche her der Ruf: »Der Punsch! der Punsch!« und in langem Zuge kamen nun die Knechte mit einem großen Kessel, aus dem der Spiritus mit bläulichem Schimmer aufflammte, während der Spielmann einen Marsch anstimmte.

Carlsson schlich sich inzwischen auf seine Kammer hinauf. Als er hineintrat, wandelte ihn eine momentane Schwäche an, überanstrengt wie er war von den Beschwerden der letzten Tage und der verflossenen Nacht. Er dachte daran, wie ganz anders es mit Ida gewesen sein würde, wenn ihr Verhältnis nicht gestört worden wäre, dann trat er ans Fenster und blickte mit langem, wehmütigem Blick über die Bucht hinaus. Die Wolken da draußen waren fortgetrieben und sammelten sich wie ein weißer Schleier über dem Wasser; die Sonne ging auf und schien in die Brautkammer, das bleiche Gesicht und die geschwollenen Augen beleuchtend, die sich zusammenkniffen, als kämpften sie mit Tränen. Das Haar hing in feuchten Strähnen über der Stirn, das weiße Halstuch war beschmutzt, und der Rock hing schlaff am Körper herab. Die Sonnenwärme erzeugte kalte Fieberschauer, und indem sich Carlsson mit der Hand über die Stirn fuhr, wendete er sich von dem Fenster ab.

›Ia, aber es ist doch hart!‹ sagte er zu sich selbst, raffte sich auf und machte sich daran, die Bettücher abzunehmen.

Der Pastor und der Professor aber hatten sich längst auf den Heimweg gemacht – die beiden Predigerfeinde hatten ihren hinterlistigen Plan nicht ganz zur Ausführung bringen können.

Erst am frühen Morgen verließen die letzten Hochzeitsgäste das Haus.


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