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Das Haus der Schatten

 

Widmung

Blut, immer wach und scheu, Blick, immer zu und hart,
Wenn sich dir nahn will, was nicht dir geordnet ward,
      Nun neig dich ihm, da es im Tod erstarrt.

Beruhend scheuchtest du ein Schattenheer von dannen,
Stumm lehrtest du die ungebärdigen Geister bannen.
      Nun fang die Tränen auf, die ihnen rannen.

Um tausend Möglichkeiten witterte mein Sehnen.
Du gabst der Wucht das Maß, zu füllen statt zu dehnen.
      Nun nimm die Klage um die Ungeschehnen.

 

Nichts

 

I

Herbst, entfruchtet schon und in den letzten Fetzen
      Laubes nackt, der leere Herbst umstrich
Meinen leeren Leib, und schwache, frostige Hauche
      Überwältigten und trieben mich.

Langsam fuhr ich hügelan, in graue Höhe
      Ausdruckslose Augen aufgetan.
Wie ein Regen sich verliert in feines Sprühen,
      Aufgelöst der Raum um mich verrann.

Gleitend sah ich, wie entfärbt vom Graun der Grenzen
      Mir der letzte Stern vorüberschoß.
Ohne Grund noch Licht bin ich hinausgetaumelt
      Aus der Welt, die hinter mir sich schloß.

 

II

Den ich einst erstürmt, die Brust voll neuer Schöpfung,
      Als mein Schritt sich selber Grund gebar,
Den mein Hauch durchwölkt mit weißen Sternennebeln,
      Als mein Herz noch Traum von Sternen war:

Unerschaffner Raum, uralte Öde, heute
      Zieht ein Traum von Öde in dich ein.
Ungestirnter Raum und stimmenloser, nimm, was
      Ohne Stimme ist und ohne Schein.

Nimm den ledigen Leib, der aus dem ledigen Herbste
      Ziellos in dein offnes Schweben fand.
Mitten in dir wird er ruhn, erstaunend nur, wenn
      Fremd ins Aug ihm rückt die eigne Hand.

 

III

Nichts erwarten sich die dämmerigen Sinne,
      Fühlen lischt, und Pulse werden schwach.
Doch wie langer Blick Gestirne schält aus Dünsten,
      Wird es mir vor starren Augen wach.

Nicht Gestirne – nur das Nichts beginnt zu schweifen,
      Dichtet neblig wechselnde Gestalt.
Und es weitet sich und es versucht zu rauschen
      Grenzenlos ein geisterhafter Wald.

Nicht ein Rauschen – nur die Stille, die verzweifelt,
      Wächst in ein zerreißend Flüstern aus.
Wer denn bohrt mir dies ins wehrlos offne Herz, wer
      Ist denn im lebendigen Tod zu Haus? –

 

IV

Wer wir sind?
Die, welche nicht sind. Den Rauch aus den Dächern,
Drunter du haustest, den Wind
Fallen wir an um ihr Fleisch.

Sieh die Raumlosen
Jagen im Nichts von sich selber undeutliche Träume.
Gib vom traumlosen
Blut uns ein Tröpfchen nur hin, und wir sind.

Wer sind wir?
Weh uns herüber den raumtragenden Atem,
Schaff uns ein Hier,
Fragender, daß du uns findest.

 

V

Der du Hände hast, o du,
Balle den Nebel,
Schließ den verrinnenden Hauch zu.
Ach.

Wölb dir entgegen zur Lieb du
Lippen aus unsrer andrängenden Ahnung.
Daß wir bewältigen farbigen Leib, gib du,
Gib uns Gesicht.

Finger zu tasten das Rund des Beständigen form uns,
Ohren zu trinken die quellende Stimme heft uns,
Nüstern zu spüren den Ruch des Lebendigen form uns.
Ach. –

 

VI

Wenn noch Leiden mir wär,
Rührtet ihrs zum Erwachen.
Hätt ich noch irgend Begehr,
Ich wollte euch heilen mit Welt.

Euch treiben in dichte Gestalt
Und dehnen, grenzen, bannen.
Doch innen verdunste ich kalt
Und erreich meine Hände nicht mehr.

Nehmt aber, wenn es euch taugt,
Nur immer dies Fleisch ohne Herz.
Schwärmt an die Haut mir und saugt,
Ob ihr noch Blut daraus holt. –

 

VII

Ein Antlitz scheint im Nebelziehen auf und lischt
      Und glüht sich wieder wach.
Ins Leere schlägt ein Wort, hört sich, erschrickt, verzischt,
      Wird neu und hundertfach.

Was an der Haut mir saugt, wird Mund bewegt und warm,
      Nachtaugen sind entbrannt,
Halbleiber tauchen hoch, schon sitzt mir um den Arm
      Verklammert eine Hand.

Raum wölbt sich, ist zu eng. Das stößt sich aus der Bahn,
      Läuft irr, lacht auf, verdampft.
Verschlingt sich, bläht sich, ängstet, wirbelt laut heran,
      Blick mir in Blick gestampft.

 

VIII

Schwankend durch Sein und Nichts, an meines Blutes Schwäche
      Wirr blühende Unzahl,
Wen nähr ich auf von euch, daß er gehärtet breche
      Ins nah geschwebte All?

Du ähnlich ihm, den Trug gefälscht hat und gefangen,
      Ob du ihn neubeginnst?
Du ihm gleich, der im Staube seines Laufs vergangen,
      Ob du für ihn erschienst?

Verpaßte Tat, versäumter Mensch, wird möglich, wieder
      Zu fügen, was zerschellt?
Und rings euch bildend andre Stimmen, fremde Glieder,
      Bringt ihr die neue Welt?

 

IX

Doch tränk ich einen, stürmen tausende zum Bronnen
      Und stürzen ihre Gier
Mir auf den Leib. Wer Mund und Stirn aus mir gewonnen,
      Will Aug und Brust aus mir.

Erwachend seh ich mich besät mit brennenden Malen
      Von eurer Lippen Wut.
Da spring ich auf. Zurück nach innen strömt in Qualen
      Mir das empörte Blut.

Durch zähes Schwirrn verstörter Brunst, verhakt, verkettet,
      Jagt es mich weltenwärts.
Da fühl ich Luft – und schwindelnd sink ich und gerettet
      Dem Sternenraum ins Herz.

 

All

 

I

      Weckend, heilend wiegt der Hauch der Welt
Mich leuchtend auf in seiner Wesen Reigen.
      Geist, der ordnend scheidet und gesellt,
Gibt jedem Bund und Ort und Schritt zu eigen.

      Gott der Leiber, der uns formend flicht,
Dem Raum sich einzuzwingen Meil um Meile,
      Helle Strenge wandelt dein Gesicht,
Dirs neu zu eignen jede neue Weile.

      Wie sichs rings herausprägt Zug um Zug,
Gestalten tauchen aus kristallnem Wetter,
      Spielen aus Gewölk und Vogelflug,
Aus Wald und Wassern rauschend fahren Götter.

 

II

      Doch der Reigen, der mir Einen Schritt
Bestimmt zu seligem Tanz im seligen Ganzen,
      Ach, er regt unzählige Schritte mit
In mir herauf, die blaß durch Träume tanzen.

      Drum begreift der Sternenraum mich ein,
Mich klar umziehend mit den sichern Bahnen,
      Daß ich mich errette, Eins zu sein,
Aus einem Mannigfalt von Schein und Ahnen.

      Stets im Glockenschlag löst aus dem Glanz
Ein Bote sich, ein Wort aus ewigem Munde.
      Schau und wähle ihn, so sinkt der Kranz
Auf deine Stirn und weiht dich deiner Stunde.

 

III

      Horch, die Stimme schüttert mir mein Zelt,
Doch tausend Stimmen hüllen sie in Schäume.
      Schaffend steh ich in der Schöpfungswelt,
Doch aus der Urnacht schwirrn mir nach die Träume.

      Einer gibt der Stunde meinen Sinn,
Doch heimlos wollen Scharen in ihr wohnen.
      Einer naht, dem heut ich eigen bin,
Doch Mich und Heut ersehnen Millionen.

      Greif ich Stoff, der seines Bildes wert,
Sie wollen Bild und Leben dran gewinnen.
      Die ich karg im Schlaf an mir genährt,
Sie haften mir an Weg und Werk und Sinnen.

 

IV

Welch ein Dürsten, irres Flehen –
Volk von Fürsten ohne Lehen!
Sieh's ergossen an den Stoffen:
Was verschlossen, wühlt es offen.

Geil durchwitternd sprengts die Feste,
Windig zitternd brichts die Äste.
Meer durchschnaubt es, Dunst durchblitzt es,
All beraubt es, Nichts besitzt es.

Einiger Einer, Aller Meister,
Komm uns, reiner Hort der Geister! –
Ja er teilt des Schwarmes Welle,
Rettet, eilt, der Morgenhelle.

 

V

Der durchdringt und nicht zersplittert,
Zornlos ringt, in Lieb gewittert,
Tausende stiebt sein Hauch ins Leere,
Einem gibt er Leib und Wehre,

Element und Geist durchfahrend,
Keim und End im Sturm gewahrend,
Wirft das Steife den Gewalten,
Schlägt das Reife zu Gestalten,

Läßt vernichtend oder stählend,
Immer richtend, immer wählend
Blind und Öd und Stoff und Wesen
Wach und stet in Eins genesen.

 

VI

Tief aus Flut und hoch aus Brodem
Zieht er Blut und läutert Odem,
Glüht geschmeidig Herz und Arme –
Nun verteidig dich im Schwarme!

Säfte pur und edle Hauche
Gab er nur zu reinstem Brauche.
Vor der Wehr, die sie umschimmert,
Sei Begehr und Not zertrümmert.

Nur dem Reifen Leib zu schaffen,
Darfst du schweifen, spenden, raffen,
Aus dem Grunde dich verschwendend,
Stund um Stunde Ihm vollendend.

 

VII

Allanbetende, schnürend erfaß ich dich in mir, Begierde,
      Bis der Atem dir stockt,
Lösch aus dem Blick durchschwindelnde Lust und quellende Zierde,
      Die unerschöpflich mich lockt.

Und der Armut, die rührt, dem Lächeln, das barfuß aus Trauern
      Laufend mich kindlich verstrickt,
Lös ich die Arme von meinem Hals, und will mich vermauern
      Allem, was Er nicht geschickt.

Wach und furchtlos und schön durchtanzt die Schluchten und Klippen
      Einfacher Pfad, den du zeigst.
Dennoch, mein Herz geht langsam und schwer: ich küßte die Lippen,
      Herr, in denen du schweigst.

 

VIII

Ja, ich schaue durch Tränen, Retter immer wieder,
      Allgestaltender Geist,
Wie dein Flug mich ergreift, dein lichtdurchtropftes Gefieder
      Brausend zur Höhe mich reißt.

Himmlische Härte, aber vermagst du heute zu lösen
      Blicke, schmerzlich gesenkt
Auf die beschwörenden Guten, auf die verschmachtenden Bösen,
      Die ich mit Blute getränkt?

Heut ist nicht heldisch der Tag, vergißt nicht der Finsternisse.
      Panzerlos steh ich dem Fluch,
Den Verlassene schleudern, und der Verzweifelten Bisse
      Dringen durch dünnes Tuch.

 

IX

Denn sie sammeln sich her, indes ich dir mich ergebe.
      Endlos umwölken sie mich,
Flüstern unendlich mich an: »Gedenk, daß ich niemals lebe
      Oder jetzt und durch dich.«

Dir, Herr, schwor ich, Ein Sein und tausend Tod zu entscheiden.
      Aber ich fühle mir tief
Schaudern das Blut und zaudern die Hand, bis aus Wolken von Leiden
      Blitzt der gestaltende Griff.

Da durchfährt das All ein Schrei zerstäubender Brüste,
      Schattenhand bricht vom Gestad.
Aber es strahlt herauf und schwebt über sinkender Wüste
      Fühllos und göttlich: die Tat.

 

Versöhnung

 

I

Warum mit überreichen Händen
Sätest du in mich die Gestalten,
Um immer doch die eine nur
      Ins Licht zu entfalten?

Trieb denn ein andres sie ins Glühn
Als dein Hauch, Herr, der in mir kreiste
Den Leib umlodernd, den du Geistern
      Geordnet im Geiste?

Und wenn die Möglichen verfallen,
In Nacht gestürzt von den Geschehnen,
Darf ich die brüderlichen Gräber
      Nicht feuchten mit Tränen?

 

II

Und warf nicht deines Sturmes Schwung
Mich wrack an ewiger Öde Strand,
Wars nicht ein Herbst aus dir, der mich
      Ins Leere gebannt?

Denn die im Vollen bildend schalten
Und die im Leeren sehnend wohnen –
Du gabst die Brust mir, drin begegnend
      Sich wirrn die Dämonen.

Daß ich mich allen wehrlos weihn,
Durch aller Träume tauchen sollt
Und blutend, blutend mich befrein –
      Du hast es gewollt.

 

III

So gibst du doch aus deiner Fülle,
Daß einer sei, der für sie stöhne,
Daß Opfer dampfen deinen Opfern,
      Daß einer versöhne.

Zwängst Höhlen durch dein hell Gebirg
Und führst den Blick ins stumme Grauen,
Pflegst bittre Hände auf, den Tempel
      Des Grames zu bauen.

Ich schöpf der Stoffe Hauch und Schäume,
Die schwachem Schattenvolk verwandten,
Und richt aus Schauer und aus Schein
      Ein Haus den Verbannten.

 

IV

Darum machtest du wach aus dem Abgrund
Mir den Sturzgeist, der schwebend mich zog,
Und aus Taten, nie zu begehen,
      Duft, der mich umflog.

In den Werken, halb nur geründet,
In den Leibern, entweiht und verzerrt,
Wiesest du mir die Reinen, erstöhnend
      Unter Gift oder Schwert.

In Vollendeten schaut ich durch rollende
Kreise des Lobes und Lichts
Ihre Geister, die arm einst geflattert
      Bei den Armen im Nichts.

 

V

Darum riefst du das Kind in die Frühjahrsnacht,
Wo der Wind unterm Summen von Sternen und Glocken
Weich und schwer hin und her Elemente geregt –
      Und ich stand ohne Atem erschrocken.

Darum hast du mir Landschaft verzaubert,
Daß ihr Blau war wie Stein und ihr Fels wallend hing
Und der Stoff geistig spielend sich Geister
      In Gestaltungen fing.

Darum silbern glomm faulendes Holz auf
Mir am Weg und verwesender Leib,
Und ihr Schein sog aus Boden und Lüften
      Ein Geflieg und Getreib.

 

VI

Denn aus Form, die verfiel, quoll glühend der Stoff,
Lockte her aus der Nacht, was in Leib sich gesehnt.
Von Dämonen durchlief eine Jagd seinen Dunst
      Und verging unbelehnt.

Aber mir schufst du ein der Fremdlinge Qual,
Daß sie Blut in mir werde und Atem am Tag,
Wo ich laut durch das Meer deiner Leiber
      Um die Leiblosen klag.

Hier erstarre, du ewige Welle,
Steh und schweig um den zartesten Raum,
Wo wir opfern und sühnen vor Träumen
      In dem Tempel aus Traum.

 

VII

Daß Welt sich runde,
Tragt ihr die Wunde.
Duldet das Sinnlose
Um den Sinn.

Ich will euch wärmen.
Stillt euer Schwärmen.
Empfangt, was ich gebe.
Laßt, was ich bin.

Trinkt meine Klage.
Schont meine Tage.
Nehmt meiner Dämmrungen
Gabe hin.

 

VIII

Der Schritt gegangen
Noch schlafbefangen
Ins Ungewisse
Ohn Ziel und Pfad –

Des Traumes Schweifen,
Der Schmerz im Reifen,
Das Glück im Welken
Euch opfernd naht –

Des Blutes Schaudern,
Der Hände Zaudern,
Das klagend Langsame
Mancher Tat.

 

IX

Doch löse die Hände,
Das Opfer ende,
Eh Geistern Wucht wächst
An deinem Blut!

Eh Fleisch der Schein wird,
Der Tempel Stein wird,
Dein Leib sich auflöst
In Trank und Flut!

Aus Dunkels Ehrung
Kehr zur Verklärung
Und raff ins Eine
Der Scharen Glut!


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