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IV. Teil.
Sommer

Schule der Arbeit

 

Wundervoll ist das Leben mit
der Kraft, die es uns schenkt, Gutes
zu tun und Großes zu schaffen.

 

 

22. Juni.

Die Jahre gingen hin und die Erzieherinnen wechselten bei Lilli. Eine so treffliche Lehrerin, wie meine Mutter sie für mich erwählt hatte, fand ich nicht mehr. Ich beschloß, das aufblühende Mädchen in eine Pension nach Dresden zu schicken, wo ihr nach Vielem verlangender Geist sich entwickeln und ihre starke künstlerische Begabung die rechten Meister finden sollte. Franz, der dauernd auf seiner Pachtung lebte, nur zwei Luftstunden von uns entfernt, war mit meinen Plänen für Lillis Ausbildung völlig einverstanden und mein guter Vater gab seufzend das Geld für sie her. Nur Tante Sophie grollte heimlich. »Sie werden noch so ein verrücktes Frauenzimmer, so eine Künstlerin aus ihr machen«, murrte sie und blickte ärgerlich mit ihren schwarzen, stechenden Augen umher.

»Lassen Sie nur«, sagte der Vater in der milden Ergebung seines Alters. »Ändern kann man doch nichts.« – –

 

Wieder einmal kehrte die Fünfzehnjährige aus Dresden zu den Ferien heim. Sie glich einem jungen blühenden Kirschbaum im Frühling. Sie sah die Dinge in anderer Art als wir, viel frischer, heiterer. Nach zwei Tagen schon besuchte sie ihren Vater und kam fröhlich wieder. Es ginge ihm sehr gut, berichtete sie, aber die Landwirtschaft beginne ihn zu langweilen, es gäbe wenig Jagden dort und er denke schon daran, seinen Wohnsitz in eine waldreiche Gegend zu verlegen.

Ich stutzte. Mir schienen diese Worte auf eine neue Wendung hinzudeuten.

Lilli war reizend in ihrer elfenhaften Schlankheit. Ihr Blondhaar floß in reicher Fülle über die Schultern und die Linien ihres Gesichtes waren wunderfein, sie hatte noch immer die Züge wie einst, da sie in der weißen Korbwiege gelegen war. Ein wenig weit auseinanderliegende Augen und liebliche schmale Lippen. Sie hatte nicht meinen Lumpenmund, wie Baisée einst meine lachenden Lippen genannt; es war alles zarter und feiner an ihr, sie glich Mädchengestalten, von Präraffaeliten gemalt. Einmal sah ich sie im Garten schlummernd auf einer Bank mit zurückgelegten Armen. Der grünliche milde Schatten der Bäume lag über ihrem Gesicht, das in dieser Beleuchtung etwas Märchenhaftes gewann.

Vettern kamen zu Besuch. Daß Lilli eine große Künstlerin werden müsse, stand bei ihnen fest. Sie aber lief am liebsten mit den Dorfkindern umher, die sie in Scharen umringten, ihrer Befehle harrend. –

Eines Morgens erhielt ich einen Brief von Franz, der mich um eine Zusammenkunft auf dem Eichendamm nahe dem Stationsgebäude bat. Ich fand mich pünktlich ein. Als wir dem Walde zugingen, mußte ich an längst entschwundene Waldgänge denken, die ich einst an der Seite eines geliebten Menschen genossen ...

Franz sah ein wenig verstört aus. Groß und wuchtig schritt er neben mir hin.

»Ich hab' dir etwas Unangenehmes zu sagen«, begann er mit seinem gütigen verlegenen Lächeln. »Ich bin gestern gepfändet worden –.«

Wieder einmal, dachte ich.

»Es macht ja nichts, weißt du –« nein, ihm machte es nichts, er setzte sich über solche Kleinigkeiten stets mit großmütiger Geste hinweg.

»Aber jetzt will ich mir alles anders einrichten. Die Landwirtschaft liegt mir gar nicht, das ist ja ein entsetzlich langweiliger Beruf, immer mit Rindern umzugehen und den dalketen Knechten und Verwaltern, die einen bestehlen – Nein, davon hab' ich genug. Ich bin ganz froh, daß es so gekommen ist. So bin ich die Wirtschaft auf einmal los ... Jetzt will ich mich ganz dem Forstwesen zuwenden ...«

»Ja – wie willst du das machen?«

»Ich habe schon alles geordnet. Dein Vater wird mir gewiß recht geben. Ich ziehe tief ins Gebirge, wo die erzherzoglichen Jagden sind. Ich hab' dort früher selbst oft gejagt – noch von Ruppin aus –«

»Ja, ja«, sagte ich in sorgenvoller Erinnerung.

»Die Förster kenne ich alle, auch die Forstmeister und das ganze Jagdpersonal. Die freuen sich schon alle auf mich –«

»Also hast du schon alles abgeschlossen?«

»Natürlich. Ganz fest.«

»Und wovon – wovon –?«

»Ich leben werde? Du – das hab' ich riesig gescheit gemacht –«

»Ich bin neugierig.«

»Geld hab' ich keines, weil das letzte jetzt beim Konkurs draufgeht, aber das macht nichts. Heute braucht man kein Kapital, man muß nur ein gesichertes Monatseinkommen haben!«

»Und das hast du?«

»Ja,« sagte er befriedigt, blieb stehen, stützte sich auf seinen Riesenstock und wippte ein wenig auf und nieder, wie es der Erzherzog stets getan, wenn er einen harmlosen Kurgast zu mehrstündiger Langeweile ausgezeichnet. »Das hab' ich so gemacht. Ich hab' an meine reichen Geschwister geschrieben, daß mich unverschuldete Unglücksfälle getroffen haben, was ja immerhin richtig ist, denn wie komm' ich dazu, daß mir so eine Pachtung aufgehängt wird – das war schon ein Unglücksfall – Mein Schwiegervater kann mir nicht helfen, denn er steht selbst vor dem Bankerott –«

»Was sagst du?« schrie ich auf.

»Vor ein paar Wochen sagte mir der Grosser, daß er deinen Vater in der Tasche hat – ganz fest –«

»Er wird ihm aber doch entkommen! –«

»Umso besser. Hör' mich jetzt an. Ich bat also jedes meiner Geschwister, mir monatlich eine kleine Apanage auszusetzen, dafür verpflichte ich mich, sie nicht zu besuchen und ihnen nicht zu schreiben. Ich stellte die Rente sehr niedrig – für den Einen bedeutet sie den Entgang zweier Hummer im Monat, für den Zweiten ein paar Sektflaschen, deren Nichttrinken ihm nur förderlich ist – So kriege ich ein genügend großes Monatseinkommen zusammen. Und ich habe keine Sorgen, werde den Förstern helfen; meine Gewehre sind im brillanten Zustand und wohl verwahrt, so daß sie jetzt nicht draufgehen können. Die Luft ist in den Bergen sehr gesund. Niemand wird mich herumjagen und zur Arbeit anhalten, ich werde ein vollkommen freier Mann sein. Wenn Lilli mich besucht, wird ihr der Gebirgsaufenthalt auch sehr gut tun und wir werden sehr glücklich zusammen sein –«

»Du hast dich sozusagen von deiner Familie pensionieren lassen –«

»Ja, das ist das rechte Wort – oder man könnte auch sagen, sie hat sich von der Familienfessel losgekauft.«

»Ich finde, daß das ausgezeichnet ist.«

»Ich lasse jeden in Frieden – aber ich will auch meine Ruh' haben. Da reden die Leute immer so blöd herum von der Freude an der Arbeit. Mir hat die Arbeit noch nie eine Freude gemacht. Ich glaub' auch, daß sie sich das vortäuschen ...«

»Nein, mein Vater täuscht sich die Freude an der Arbeit sicherlich nicht vor.«

»Weißt du, Biffi, jetzt freu' ich mich zum erstenmal auf das Leben!« – –

 

Recht ergötzlich war es in jener Zeit, den lieben Verwandten zu begegnen.

»Wie?« entrüstete sich meine Schwägerin Emma, die ich im Eisenbahnwagen traf. »Deine Tochter soll Künstlerin werden? Laß sie doch lieber Lehrerin werden. Das trägt mehr!!!« Schwägerin Fanny lud Lilli freundlich zu sich ein, um ihr zu sagen: »Sei nur brav und fleißig, damit du uns bald hilfst, Papa zu erhalten!« –

Am 30. Juni – das Datum ist mir unvergeßlich geblieben, erhielt ich ein Schreiben Grossers, der mich um eine wichtige Zusammenkunft bat und gleich hinzufügte, am liebsten wäre sie ihm in seiner Kanzlei. Er wolle mich um meine Fürsprache bei meinem Vater bitten.

Gegen Männer, die meine Fürsprache in geschäftlichen Angelegenheiten suchten, war ich seit Ruppin mißtrauisch geworden, hatten doch die Kompagnons meines Mannes sich nur zu üblen Ratschlägen meine Hilfe erbeten. Ich wußte, daß im Grunde genommen der Mann nichts vom Weibe hält, es verachtet und nur Ausnahmen gelten läßt bei jenen Frauen, die er liebt. Aber die Frau als Geschlecht verachtet der Mann, – so wie die Frau den Mann als Geschlecht liebt und beneidet ... Beneidet um seine Selbständigkeit, um sein frohes Herrentum, denn tief in sich fühlt sie doch immer das Magdtum ihres Schicksals.

Jede Frau, die Stolzeste und Stärkste mehr noch als die Schwache, möchte, wenn sie ehrlich gegen sich ist, Mann sein wollen. Doch gibt es keinen Mann, der lieber – Weib wäre, anstatt Mann zu sein. Gewiß, unser ist die Dornenkrone des Leides, unser ist die herrlichste Duldung, das ungeheure Glück, unter Schmerzen Kinder dem Leben zu schenken – wir sind im Heim die Gesegneten, die Gebenedeiten, die Verwöhnten, die Geliebten – aber im ernsten Kampf des Lebens noch immer die Geduldeten, oft die Verachteten, und man bedient sich unserer Hilfe nur dann, wenn man uns unterdrücken will. Man bietet uns gütig Waffen an – und hofft, daß wir uns selbst durch sie mit ungeschickter Hand vernichten werden.

 

23. Juni.

Sommer, Sommer! Welche leuchtende Freude! Wie könnte man stillstehen, wenn alles umher drängender Jubel ist über die selige Empfängnis im Frühling, alles drängendes Reifen. In Wald, Feldern und Fluren treiben einander Millionen heimlicher, geheimnisreicher Kräfte. Schimmernde Klarheit webt durch die Lüfte, Vögel schweben wie trunken, Blumen gleißen, als wollten sie nicht Käfer und Insekten, sondern die Sonne selbst vom Himmel niederlocken.

Im Walde unter den alten Bäumen verraten es verhauchende Gräser und Blüten, wo ein Liebespaar sich selig umfangen gehalten in schweigender, monddurchglänzter Sommernacht, während fliegende Käfer goldene Laternchen schwangen.

Und nun schwingt sich der blaue Tag über die Weiten in die namenlose Lust und die jauchzende Schönheit. – Mensch, wenn du all die quellende Kraft in dich aufnehmen solltest, du müßtest verzagen vor so viel Herrlichkeit und ins Innerste von ihr getroffen, tot zusammenbrechen. Ist vielleicht der Tod nichts anderes als solche Überfülle des Genusses? Sinkt ein Mensch dann nieder, wenn die Schale seines Herzens überfloß von unsagbarem Reichtum – und heißt Sterben nichts anderes als ein Zurückgeben der ungeheuren Werte, die ein Menschenleben empfangen durch die Reihe seiner Tage – ein Zurückgeben, damit andere nehmen dürfen? – Und ist so die Kette des Lebens ein unendliches Nehmen und Geben – von Jahrtausenden her – durch Jahrtausende hin? O geheimnisvolle Gottheit, die du in hocherhobenen Händen die Schalen der Menschheit wiegst – ihr Nehmen und Geben ...

Heilige Wunder der Welt – ein Sommertag umschließt euch, ein Sommerherz versteht euch und neigt sich anbetend vor eures unermeßlichen Segens Schönheit! – –

 

Am nächsten Tag fuhr ich nach Kronstadt und ging zu der Villa des Wilhelm Grosser. Im Garten lag im Kinderwagen seine blonde christliche Enkelin. Eine junge Pflegerin in weißer Haube stand auf dem Kiesweg. Das Kind hob sich leicht und blickte mich mit blauen Augen an. In einer Laube saß, in Tücher gehüllt, des Kindes Urgroßmutter. Ihr schwarzer Blick war leidenschwer auf mich gerichtet. In ihm lag eines Volkes Trauer. Frau Grosser war bekannt durch ihre Wohltätigkeit, mit der sie die großen Geschäftszüge des Sohnes auszugleichen suchte in Taten der Nächstenliebe. Doch sie konnte es nie verwinden, daß er und seine Söhne sich hatten taufen lassen. Nie fand sie den Weg zu dem Herzen der flachsblonden Schwiegerenkelin und das lichte Urenkelkind in der Wiege schien ihr fremd, nicht ihres Blutes Samen entsprossen. Eine Tragik lag über dem Leben der alten Frau, die sich in tiefe Einsamkeit zurückzog. Meinen Gruß erwiderte sie mit kühlem Nicken. Ich gedachte der Worte, die Grosser mir jüngst leichtfertig gesagt: »Bei uns können Se alle Gebetbücher der Welt finden, a jüdisches is' auch noch da! Bei meiner Mutter.«

Grosser empfing mich mit freundlicher Höflichkeit. Er erkundigte sich nach dem Befinden meines Vaters, hoffte, daß er uns allen noch viele Jahre erhalten bleiben möge, ein Vorbild kräftigen Schaffens.

»Warum ich Sie herbitten ließ, gnädige Frau, will ich Ihnen gleich sagen. Sie sind die echte Tochter des Herrn Vaters. Ich habe schon lange Ihren scharfen Verstand bewundert –.«

Ich blickte mißtrauisch auf. Der Mann wollte viel.

»Nun muß ich Ihnen eine Mitteilung machen. Ich hoffe, das heißt, ich bin sicher, Sie werden mich verstehen. Vor allem bitte ich Sie, überzeugt zu sein, daß nur das lebhafte Interesse an Ihrem Herrn Vater und Ihnen mich zu den Schritten veranlaßt hat, von denen ich sie jetzt in Kenntnis setzen werde –.«

Was wird er noch lügen? fragte ich mich.

»Sie werden vielleicht wissen – oder vielleicht wissen Sie es auch nicht, daß Ihr Herr Vater in den letzten Jahren in allerlei geschäftliche Schwierigkeiten geraten ist. Ich setze voraus, daß Sie es nicht wissen, denn Damen haben ja stets schönere Dinge zu tun, als mit nüchternen Geldfragen sich zu beschäftigen, sie haben ja das Geld nur auszugeben, das Einnehmen, Verdienen, ist unsere Sache.«

Er hatte galante Regungen. Jetzt rieb er sich sein schlecht rasiertes Kinn und sagte:

»Ich habe nun schon seit längerer Zeit und von vielen Seiten gehört, daß Ihrem Herrn Vater vielleicht in der nächsten Zeit eine unangenehme Überraschung drohe, daß er es mit vielen Gläubigern zu tun haben werde – er hat ein bischen viel der länglichen Zettelchen unterschrieben –.«

Dämmernd erwachte in mir die Erinnerung, wie leicht und fröhlich er das getan ...

»Nun hätte die Geschichte für ihn recht unangenehm ausfallen können – Sie werden begreifen, meine Gnädige, es ist überaus fatal, von einer Meute Gläubiger verfolgt zu werden. – Da ich nun aber Ihren Herrn Vater seit Jahrzehnten schätze und verehre, habe ich, um ihm die Sache leichter zu machen, alle diese Papierchen an mich gezogen, so daß er es nur mit mir zu tun haben wird – das ist wesentlich einfacher –.«

Mir wurde sehr angst. Der Mann kam mir wie ein leise mich umkreisendes Raubtier vor, trotz seines samtenen Blickes.

»Ich habe es für meine Pflicht gehalten, Ihnen davon Mitteilung zu machen, gnädige Frau. Sie brauchen es ja Ihrem Herrn Vater noch nicht zu sagen. Sie aber müssen es wissen, denn ich verbinde mit meiner Mitteilung noch einen Vorschlag.«

Was wird noch kommen? bangte ich.

»Hören Sie mich genau an und überlegen Sie sich die Sache. Sie brauchen sich nicht heute, nicht morgen zu entscheiden. Wir haben Zeit. Der Herr Vater ist alt. Wenn er heute oder morgen die Augen schließt«, – der zartfühlende Mann vermied ein stärkeres Wort –, »stehen Sie allein auf der Welt.«

Er will mich heiraten! schrie ich angstvoll.

»Haben Sie schon nachgedacht, was Sie dann beginnen? Denn von dem schönen Gute, meine Gnädige, wird wohl nicht viel für Sie übrig bleiben. Sie haben noch nicht daran gedacht? Das ist begreiflich. Schöne Frauen leben immer in der Gegenwart. Nun aber gestatten Sie es wohl Ihrem aufrichtigen Freunde«, – er legte die Hand auf sein Herz, – »daß er ein wenig an Ihre Zukunft denkt. Ich habe mir da einen Plan zurechtgelegt und ich hoffe, daß Sie ihm zustimmen werden.«

Er nahm jetzt einen Bleistift zur Hand, aber nur, um ihn wie eine Dolchspitze gegen mich zu erheben.

»Sehen Sie, meine Gnädigste – Ihr Vater zählt heute wie viel? 83? Nein – erst 80, also 80 Jahre – sagen wir, er lebt noch 5 bis 6 Jahre – nach dieser Zeit – bestenfalls nach dieser Zeit – es kann aber auch schon vor dieser Zeit sein – fällt das Gut an seine Gläubiger, wenn wir nicht vorbauen, und Sie müssen in die Welt hinausziehen. Darum mache ich Ihnen einen Vorschlag. Bestimmen Sie den Herrn Vater, daß er Ihnen das Gut heute schon übergibt und Sie machen mich dann zu Ihrem Kompagnon! Dadurch retten Sie sich das Gut, ich trete in Ihr Geschäft ein, wir richten die – verzeihen Sie mir – ein bischen altmodische Wirtschaft nach meinen Prinzipien her, der alte Herr hat seinen Frieden, seine Ruhe, braucht sich um nichts zu kümmern – Sie können Ihre Reisen machen, so viel Sie wollen und wohin Sie wollen, ich regle inzwischen das Geschäft, wir werden uns als Kompagnons vortrefflich vertragen – ich weiß, was man Damen schuldig ist –.«

Sie wie Gänse zu behandeln, dachte ich.

»Und wenn der Herr Vater einmal –.«

»Die Augen schließt –« half ich.

»Ganz richtig, dann sind Sie nicht so verlassen – Sie haben ein Heim, Sie haben einen Kompagnon, der für Sie sorgt und die Hälfte eines wunderschönen Besitzes. – Ich glaube, die Vorteile meines Vorschlages liegen derartig auf der Hand, daß sie gar nicht zu erörtern sind. Wenn ich jetzt an Ihrer Stelle wäre, ich würde heute noch zuschlagen – glauben Sie mir!«

Wieder lag die breite fleischige Hand über der Brieftasche, die das Herz bedeckte.

»Gewiß – gewiß –«, sagte ich verwirrt. – »Ich will aber doch noch darüber nachdenken –.«

»Tun Sie das, meine Gnädige – das Nachdenken kostet nichts und ist jedem unverwehrt. – Aber eines bitte ich noch zu bedenken. Wenn Sie meinen Vorschlag nicht annehmen sollten, stellt sich die Sache ganz anders. Dann werde ich wahrscheinlich gezwungen sein, dem Herrn Vater die Wechsel zu präsentieren. Ich hoffe nur, daß er in der Lage sein wird, sie zu bezahlen – –.«

»Und wenn er es nicht sein sollte?« zitterte ich.

»Ja, dann – meine Gnädige, dann steht es sehr schlimm. Ich bin kein reicher Mann. Ich dürfte – so verzweifelt ich auch darüber wäre, gezwungen sein, die Wechsel protestieren zu lassen und kann der Herr Vater noch immer nicht zahlen – er hat ja dazu ein paar Monate Zeit – dann käme eben das schöne Gut auf die Trommel.«

Ich mochte sehr erblaßt sein, denn er machte eine ungeduldige Bewegung.

»Das eine wollen Sie nicht – und das andere wollen Sie auch nicht – mit Frauen ist es schwer, Geschäfte zu machen ...«

Er legte den Bleistift nieder. Ich stand auf.

»Wann darf ich auf die Entscheidung hoffen?« fragte er.

»In 14 Tagen –.«

»Nein, meine Gnädige, so lange kann ich beim besten Willen nicht warten. Hören Sie meinen Rat.« Noch einen! zitterte ich.

»Sie kommen heute nach Hause, sondieren Sie vorsichtig die Stimmung Ihres Herrn Vaters, teilen Sie ihm mit von unserm Gespräch, was Sie für gut finden, verschweigen Sie das andere – Frauen haben darin einen untrüglichen Takt –«

Takt nannte es der taktvolle Mann –

»Übermorgen nachmittag reise ich für ein paar Tage fort. Da kommen Sie, bitte, für ein paar Sekunden zur Station und sagen Sie mir nur ja – oder nein – das genügt vollkommen –«

Ich versprach es und wurde entlassen.

 

27. Juni.

Welche Fülle der Liebe solche Juninacht birgt! Dies Duften in allem Gesträuch, dies schwüle Begehren und Gewähren. Die Frösche im Teich schwimmen einander nach mit ungeschickten menschlichen Gebärden und umfangen sich und kämpfen eine Sekunde und lassen einander blitzschnell fallen und schwimmen weiter mit stoßender Schnelligkeit. In ihren Bewegungen ist eine stete Furcht und ein ruckweiser Mut. Sie sind ängstlich und tollkühn. Von heiterer Gemütsart scheinen die Kröten. Übermütig lustig jagten sie sich heute abend, munterer noch als die Goldfische, sprangen ins Schilf oder ließen die gestreckten Beinchen auf dem Wasser ruhen, stießen eine weiße Hautblase unter ihrem Hals hervor, wie eine gespannte Trommel und dann gurrten sie den zärtlich gurrenden Laut, den leise rollenden Ruf, das Liebesjauchzen, die Liebesklage. Nur die Fröschin versteht die feinen Untertöne und das Zittern von Leid und Lust.

Über den dunklen Wiesen schwebten goldene Fünkchen, schwangen sich auf und schwangen sich nieder, glitten fliehend empor – glitten sehnend nieder. Ein Reigen verliebter Sternchen – als wären die Blüten, die tagsüber geblüht, nun mit einmal vom Zauber der Nacht ergriffen, zu ruhelosen Sternen geworden. Welche Stille in diesem Liebeswerben, welch' ein sanftes Leuchten und schnelles Erlöschen.

Da klingt es von fernher über die Wiese: »Josef – Josef!« eine Mädchenstimme, die ihren Liebsten ruft. Zagend und suchend und bangend, daß er sie nicht finden könnte – »Josef – Josef!«

Und schweigend webt die Liebe weiter. Die Liebe der dunklen Juninächte, wenn Wolken am Himmel stehen und ein schwüler warmer Hauch über den Büschen ruht.

Josef – Josef! – O du ewige, heilige Liebe – in jeder Lebensform bist du gleich groß, gleich unermeßlich süß und hold. – – –

 

Was hab' ich in den nächsten Tagen gelitten! Vor meinem Vater mußte ich den Plan meines rettenden Freundes geheimhalten. Ich hatte niemand, an den ich mich wenden, den ich hätte um Rat fragen können. Meine Freunde von einst? Ach, die standen allen Geschäften so fern und es lebte noch zu lebendig die Erinnerung in mir an die kindliche Dummheit, mit der ich mich einmal um Hilfe an Freunde gewendet!

Auch handelte es sich jetzt um eine weit größere Summe. – Freilich wußte ich, wie hoch mein Vater sein Gut einschätzte, um die drückende Schuldenlast als leicht zu empfinden.

In meiner Verzweiflung fiel mir der Name eines guten Bekannten ein, den ich öfter auf Jagden begegnet war. Er war Slave und ein kühner Unternehmer dabei. Einst hatte er die Goldwäsche in Sibirien betrieben, nun schien er in der Heimat noch besseres Gold zu finden. Zu ihm fuhr ich und suchte ihn in seiner Kanzlei auf.

Ingenieur Renner saß vor seinem Eichentisch, der mit Steinproben bedeckt war und erhob sich überrascht bei meinem Eintritt. »Gnädige Frau – und so verwirrt – was ist denn geschehen?« Ich teilte ihm vertrauensvoll alles mit. Er sah mich mit seinen tiefblauen, von buschigen Brauen überwölbten Augen zuversichtlich an.

»Sehr schlau –«, rief er, »ausgezeichnet hat der Mann sich die Sache zusammengestellt. Aber er hat nur eines übersehen: daß die anderen nicht auf den Kopf gefallen sind. Da gibt es nur eines: jemanden finden, der das Geld hergibt und die Wechsel bezahlt.«

»Wer könnte das sein?«

»Nur eine Bank, die das Gut im zweiten Satz belehnt. Das läßt sich schon machen. Man muß nur Zeit gewinnen.«

»Er will aber heute die Antwort.«

»Man muß ihn hinziehen. Kommen Sie, meine Gnädige, wir gehen zu meinem Advokaten, der ist findig und klug und absolut verläßlich, der wird schon das Rechte wissen.«

Wir gingen durch ein paar Straßen. Ein neugebautes Haus nahm uns auf. Im dritten Stock in einer durch rote Lederstühle belebten Kanzlei empfing uns der Anwalt. Er wog 240 Kilo und sah aus wie eine freundlich lächelnde Frau. Auch er überblickte sofort die Sachlage. »Ein schlauer Herr«, meinte er, »ein sehr schlauer Herr! Aber wir werden noch schlauer sein. Da gibt es nur eines, gnädige Frau – Sie müssen vor allem lügen – und wenn Sie noch nie gelogen haben in Ihrem Leben – jetzt müssen Sie es tun – mit der Wahrheit ruinieren wir in diesem Falle alles. Der Geschäftsfreund muß so lange hingezogen werden, bis wir das Geld sicher haben und dann zahlen wir ihn aus.«

»Aber – werden wir das Geld bekommen?«

»Dafür lassen Sie mich sorgen. Ei, was dachte denn der Patron? Rupfen wollte er uns?« Der Advokat Dr. Donahal fühlte sich schon eins mit seinem Klienten. »Aber warte, mein schlauer Vogel – wir werden dir den Bissen vom Schnabel wegreißen!«

Der Advokat suchte offenbar Bilder und Worte, die sich dem Verständnis der Frau anpaßten.

»Heute nachmittag, meine Gnädigste, gehen Sie ganz einfach zum Zug und sagen, so schnell ließe sich die Sache dem alten Herrn nicht beibringen, Sie haben schon einige Andeutungen fallen lassen und hoffen, bis zur Rückkehr des Geschäftsfreundes Klarheit zu haben. Sie sagten, er reise auf ein paar Tage fort? Das ist ausgezeichnet, da haben wir ein paar Tage gewonnen.«

»Aber das Geld – das Geld –.«

»Seien Sie ohne Sorge, – Gnädigste! Ich habe Verbindungen in der ganzen Welt, das Geld ist heute billig, die Leute sind froh, wenn sie es sicher anbringen können – aber Zeit muß man haben – denn da gehen Besichtigungen voran, Schätzungen – vor zwei Monaten ist an einen Erfolg gar nicht zu denken –.«

»Um Gotteswillen – so lange wartet er nicht – –.«

»Ihn hinzuhalten, das eben wird Sache der Diplomatie sein. – Das ist Ihre Aufgabe, meine Gnädige. – Das Geld zu beschaffen – die meine. Ich kann Sie versichern, daß Ihre leichter ist.«

Er tänzelte und schwebte und lächelte zierlich und diktierte Briefe und erzählte von Millionen in zahllosen Banken, über die er verfügte.

Im Nebenzimmer klapperten junge Typfräulein an drei Maschinen und das weibliche Oberhaupt der Kanzlei, eine magere, ältere Jungfer mit öligem Schwarzhaar, bog sich über dicke, aufgeschlagene Riesenbücher und schrieb Rechnungen. –

 

Acht Tage lang hatte ich Grosser hingehalten. Da ward er ungeduldig.

»«Wenn Sie nicht selbst mit dem Herrn Vater reden, werde ich mit ihm sprechen«, sagte er mir, als ich wieder mit Vorwänden auf den Bahnhof gekommen war. Er lehnte aus dem Fenster des Zuges und blickte mich zornig an. Um seine breiten Lippen zitterte der Ärger. »Ich komme in den nächsten Tagen zu Ihnen.«

»Mein Vater ist krank!« entgegnete ich.

»Ich kann nicht warten, bis er gesund wird. Er ist alt, also ist er krank.«

Es gab kein Entrinnen mehr. Ich bereitete meinen Vater auf Grossers Besuch vor.

Der alte Herr nahm seine ganze Kraft zusammen und wie ein König erwartete er den Mäkler.

Der kam. Ich sehe ihn noch vor mir in einem heugrünen Überrock, den weichen Filzhut schief im Nacken.

Im dunklen Vorzimmer legte er stöhnend und fauchend ab, als wäre ihm die Fahrt zu meinem Vater ein großes Opfer und nicht ein Hochgenuß.

Dann trat er mit viel jovialem Lärm, seiner großen Glatze und angefeuchtetem Schnurrbart ins Zimmer.

Er begrüßte meinen Vater mit hundert Fältchen, die er um seine Augen zog, zeigte ihm alle Zähne, was mir symbolisch vorkam, schien sich unbändig über das Wohlbefinden seines alten Freundes zu freuen – er habe schon gefürchtet, ihn im Bette zu finden.

»Also dann wären Sie auch gekommen?« fragte mein Vater ruhig, während er den ernsten Blick, in dem so viel Kummer lag, auf den Gast richtete.

Herrn Grosser verletzten solche Blicke durchaus nicht.

Er fand das Aussehen meines Vaters vorzüglich, wünschte sich in so hohen Jahren auch so kräftig und rüstig, so »gut beieinander« zu sein – in diesem Augenblick war er sogar ehrlich – fragte nach der Ernte, begann über die schweren Zeiten zu klagen – nicht jedem gehe es so gut wie einem, der sein Leben lang auf dem Lande gelebt – das Geschäft in der Stadt sei aufreibend, jetzt noch das Telephon, das habe der Teufel erfunden – man werde geradezu irrsinnig bei dem ewigen Angerufenwerden.

Mein Vater hörte das eine Zeitlang an, dann sagte er: »Aber um mir über das Telephon zu klagen, sind Sie ja wohl nach so vielen Jahren doch nicht hergekommen.«

»Sehr richtig – sehr richtig!« freute sich Grosser und schlug meinem Vater auf das Knie, daß es klatschte. Dabei überzeugte er sich, daß er noch immer keinen Greis, sondern einen kräftigen Mann vor sich sehe.

»Ich bin heute in einer guten Sache gekommen – ich möchte geradezu sagen, ich bringe Ihnen das Glück ins Haus – Sie brauchen nur zugreifen – –.«

»Legen Sie los«, sagte der Alte.

»Ihrer Frau Tochter hab' ich schon einiges angedeutet – aber sie scheint mich nicht recht verstanden zu haben. Frauen sind manchmal zerstreut – da dachte ich mir – s'is am Ende besser, du sprichst mit dem alten Herrn, mit dem Besitzer, der hat einen klaren Kopf, ist sein Lebtag ein tüchtiger Geschäftsmann gewesen – und so komm' ich jetzt gewissermaßen als Freiwerber – –.«

»Als was?« fragte der Vater irre gemacht und sah im Geist Grosser als Bewerber um meine Hand.

»Als Freiwerber. Wollen Sie mich als Kompagnon haben? Ja oder nein? Na, Sie werden doch nichts gegen mich einzuwenden haben, Sie kennen mich lang genug –.«

»O ja –«, nickte der Vater, »schon zu lang –.«

»Na also, ich weiß, Sie sind in kleine Schwierigkeiten geraten. Ich richte Ihnen alles glänzend her. Wenn Sie heute ja sagen, schwimmen Sie morgen in Geld! Wir bauen alle alten Fabriken neu auf – das ist ja ein schrecklicher Rumpelkasten, den Sie haben – ich hab' mir ihn grad im Vorüberfahren angesehen, der stürzt Ihnen ja in einem halben Jahre zusammen – und dann sind Sie ganz fertig, das heißt«, verbesserte er sich, »dann können Sie in große Schwierigkeiten geraten. Diese Fabrik sollen Sie in einem Jahre sehen – eine Schmuckschachtel baue ich Ihnen hin.«

»Ich brauch' keine Schmuckschachtel«, brummte der Vater.

»Na, Sie werden mich doch als Kompagnon nicht zurückweisen?« meckerte Grosser. »Sie sehen ja, daß ich Ihnen ja alle Vorteile bringe –.«

»Es wär' alles recht schön«, nickte der Vater, »aber ich werde schon auf Ihre Vorschläge nicht eingehen!«

»Warum?« fragte Grosser scharf.

»Ich bin seit fünfzig Jahren hier Besitzer –.«

»Das merkt man –«, höhnte Grosser leise.

»Und es ist mein Ehrgeiz, meine Ehre, hier weiter alleiniger Besitzer zu bleiben –.«

»Das wäre ja recht schön, wenn Sie es bleiben könnten. – Aber Sie übersehen vielleicht die augenblickliche Lage nicht. Ihre Lage ist ernst, Herr, sie ist sehr ernst –«, auch Grosser war ernst, sehr ernst geworden.

»Ich war schon in viel ernsteren Lagen und hab' mich wieder herausgearbeitet – ich werde mich auch jetzt herausarbeiten –.«

»Das glauben Sie. Ich aber glaube nicht, daß es Ihnen gelingen wird. Die Sachen liegen jetzt anders.«

Ob er es wagen wird, von den Wechseln zu sprechen? fragte ich mich. Ich hatte bis jetzt die stumme Rolle des Sekundanten gespielt.

»Ich habe Gläubiger«, sagte mein Vater. »Das ist kein Geheimnis, aber die Gläubiger kennen mich und vertrauen mir und lassen mit sich reden ...«

Herr Grosser räusperte sich und rückte umher. »Nun, Herr – entschuldigen Sie – heute steht die Sache ganz anders als Sie glauben. Ich habe aus reiner Freundschaft für Sie, damit Sie es nicht mit so vielen zu tun haben – Ihre Wechsel aufgekauft – –.«

Mein Vater starrte ihn wild und fassungslos an. Dann erhob er sich leicht, stützte sich mit der schweren braungebrannten Hand auf den Tisch und schrie:

»Herr Grosser, was soll das heißen?«

Grosser nahm den Kampf auf. Es galt jetzt eine Überrumpelung. Mit den schönen Worten war nichts zu erreichen. Und so änderte er die Methode – aus seinen schwarzen Augen schossen Blitze – er sprang auf, als wollte er sich vor meinem Vater flüchten. Zugleich aber rief er laut: »Das heißt, daß ich Ihre Wechsel in meiner Hand habe – daß ich mit Ihnen machen kann, was ich will! Sie haben meinen Vorschlag mit dem Kompagnon nicht angenommen, ich erkläre Ihnen jetzt, daß ich meinen Vorschlag zurückziehe. – Ich war Ihnen wohl nicht gut genug? So bleiben Sie bei Ihrer Ehre und gehen Sie zu Grunde mit ihr!«

Grosser rannte im Zimmer auf und ab wie ein Tiger, mit rollenden Augen, seine Zähne fletschend, er keuchte umher und sprühte.

Mein Vater war tief zurückgesunken.

»Das haben Sie mir getan?« rief er dumpf. »Sie mir? Ein anderer Schuft hat sich dazu nicht gefunden? Sie mußten es sein? Nach so vielen Jahren, die wir zusammen gearbeitet haben? Aber ich hab' mich immer vor Ihnen gefürchtet. Sie waren mir immer unheimlich und jetzt sehe ich, daß ich recht gehabt hab' – – –.«

Jetzt erhob sich die Stimme des Vaters zu ungeheurer Wucht, sein Geist, der für Augenblicke in die Vergangenheit zurückgeschaut hatte, wandte sich mit erhöhter Kraft der Gegenwart zu.

»Aber noch haben Sie mich nicht umgebracht – noch werde ich Wege und Mittel finden, mich von Ihnen zu befreien, Sie – Schurke Sie – – –.«

Ich fiel meinem Vater in den Arm, er hatte ihn hoch emporgehoben, als wollte er ihn in einem Blitzstrahl auf das Haupt des Feindes niederschmettern.

»Was hat er gesagt?« schrie Grosser. »Schurke, hat er gesagt? Na warte, du – du – du – das sollst du mir büßen!«

Wie ein Rasender stürzte Grosser zur Tür hinaus. Ich sah ihn am Fenster vorbeieilen, die Arme in die Ärmel seines grünen Oberrockes reckend, den Hut im Nacken – – eine wahnsinnig gewordene Vogelscheuche.

Als ich mich um meinen Vater mühte, drang ein Schmerzenslaut aus seiner Kehle, wie ein wundgeschlagenes Rind ihn ausstößt. Der alte Mann fiel zusammen. Und da er sich erheben wollte, vermochte er seinen linken Fuß nicht zu bewegen und seine linke Hand hing schlaff nieder. Der Schlag hatte ihn gelähmt.

 

5. Juli.

Heute sah ich ein Weib am Wege mit Zügen wie ein rissiger Baum. Etwas Furchtbares lag in ihnen. Als sie den Mund öffnete, da war's, als spräche das Grauen der Armen aus ihr. Alles Werkzeug des Volkes lag in ihrem Gesicht, Beil, Axt, Hammer und ein Räderwerk. Und diese Werkzeuge schlugen durcheinander und bewegten sich, während sie redete.

Qual der Vielen sprach aus ihrem Antlitz, Hunger und Not und schwere körperliche Arbeit und Angst – die fürchterliche Angst, daß es noch schlimmer kommen könnte, die Angst vor etwas Ungewissem, die so oft im Blick der Armen mit zitternden Linien bangt. – – –

 

Es schien, daß der Fluch der Lüge mich verfolgte. Vielleicht hätte Dr. Donahal von einem Mann die Lüge nicht so leichten Sinnes verlangt wie von einem Weibe, das ja wohl, seiner Ansicht nach, in der Lüge aufwuchs. Wieder traf mich fast unbewußt und sicherlich ohne Absicht die Verachtung, die der Mann dem Geschlecht des Weibes entgegenbringt.

Es blieb nicht bei der gesprochenen Lüge, sie genügte nicht. Grosser schrieb mir persönlich drängende Briefe und Doktor Donahal setzte die Antwort auf, diplomatisch hinziehend, Ausflüchte gebrauchend.

»Mein Vater wäre nicht abgeneigt, er wolle die Sache noch mit seinen Neffen besprechen, die uns nächste Woche besuchen.«

Grosser glaubte es und wieder war eine kostbare Woche gewonnen.

Dr. Donahal schwelgte jetzt geradezu in Lügen, die er mich schreiben ließ. Es war, als bräche sich das weibische Element in ihm Bahn.

Über unseren Plänen lag das strengste Geheimnis. Wenn Dr. Donahal telegraphierte, unterschrieb der Koloß mit dem Frauennamen Ninetta. – Kein Stelldichein hatte ich je vorsichtiger eingeleitet als den Besuch der Schätzungskommission aus Böhmen.

Dreimal sagten die Herren ab. Ich war in Verzweiflung, denn Grossers Geduld schien sich dem Ende zuzuneigen. Schon drohte er, in den nächsten Tagen selbst zu kommen und mit meinem Vater zu sprechen.

Endlich kam das ersehnte Telegramm.

»Wir eintreffen morgen. Ninetta.«

Und Ninetta kam mit Schwung, 260 Kilo wog sie inzwischen und einen tadellosen, neuen Anzug trug sie, einen langen, grauen Schlußrock.

Mein Vater war auf alles vorbereitet und empfing die sieben Herren mit seiner herzlichen Frische.

Die Herren hatten einen gemeinsamen Zug freundlicher Verschmitztheit und stellten mehrere Lebensalter dar. Einzelne trugen Schnauzbärte, andern stand das Kopfhaar in Büscheln hoch.

Mein Vater betrachtete den Besuch als eine angenehme Abwechslung. Die Herren fuhren über die Felder, sahen die Fabriken an, warfen einen kurzen Blick über allerlei Papiere, die man ihnen vorlegte, und aßen dann mit vortrefflichem Appetit. Das meiste aber aß Ninetta.

In den ernsten, traurigen Stunden gab der Blick auf sie mir einige Heiterkeit.

Der Vater unterhielt sich prächtig mit seinen Gästen und entzückt von seiner Gastfreundschaft reisten sie ab. Ninetta flüsterte mir beim Abschied zu: »Alles in Ordnung – sie sind begeistert.«

Die Begeisterung äußerte sich aber nicht in Briefen. Die Herren schwiegen beharrlich wochenlang.

Ninettas Achselzucken bei meinen Besuchen ward immer kühler.

Eines Tages teilte sie mir die erschreckende Nachricht mit, daß die Kommission es abgelehnt habe, sich mit der Angelegenheit weiter zu beschäftigen.

Ninettas Millionen zerflossen in der Luft und es blieb ihr nur eine nette Expensnota zurück, die sie mir überreichte.

Mein Freund, Ingenieur Renner, hatte sich inzwischen selbst mit Ninetta überworfen und mühte sich, uns auf andere Weise zu helfen.

 

12. Juli.

Ich war wieder in Kronstadt. Immer versteinter scheint mir die Stadt.

Beim Giraffenmajor flochten sie Girlanden für ein Kinderfest, sauber und genau. Die Majorin erzählte, wie teuer alles sei – wie furchtbar teuer. »Man wird bedürfnislos –.«

»Weil man keine Bedürfnisse haben darf«, sagte der Major mit den eingefallenen Wangen. Standesgemäß unterernährt. Gagenerhöhung – 10 Gulden monatlich. Die Majorin welk, mit harten Schwielen auf den Händen, nur ihr Profil hat den köstlich vornehmen Zug ihrer adeligen Rasse bewahrt. Drei gesunde Kinder verraten die Geschichte eines verschwiegenen Heldentums.

Beim Kaufmann traf ich die Baronin Titi. Sie ist sehr fett geworden und hat viele Neuerscheinungen im Gesicht. Doch ihr Korsett ist noch immer gut. Sie kaufte Waren für 15 Kreuzer.

»Sie voisinieren mit der Baronin Nini Wimberg?« fragte sie mich. Das klang sehr vornehm, doch als ich nieste, sagte sie: »Zum Wohlsein!« Das klang sehr gewöhnlich.

Von einem Diner bei der Exzellenz erzählte sie mir: »Auch die Nonne war zugegen. – Wenn ich da 'was Lustiges gesagt hab' – es hat mich geniert – mein Gott. – Ach, es gibt so wunderschöne unter ihnen, aber die Gestalt verdirbt sich so bald ...« Die ihre verdarb sich nie.

»Beim Grafen war ein Rout vor zwei Monaten ... Und wissen Sie schon, Benskys fahren im November nach Wien!« Ich wußte es, denn das geschah alle Jahre, im Juli begann man davon zu sprechen und erzählte es sich bei allen Gesellschaften. Im Dezember veränderte sich der Satz in die Worte: »Wissen Sie schon? Benskys waren im November in Wien –«, und blieb dauerhaft bis Juli. – – –

 

Grosser protestierte die ersten Wechsel. Ich fuhr in meiner Todesangst zu ihm. Um Gnade, um Barmherzigkeit flehte ich ihn an. Ich schilderte ihm die Krankheit meines Vaters. Ich bat ihn um eine Frist von sechs Monaten.

Er hatte mich in seiner Kanzlei empfangen und mich erst ruhig zu Ende sprechen lassen. Er weidete sich an der Genugtuung, die ihm die Tochter gab, nachdem der Vater zu trotzen gewagt. Denn nur der Trotz des Alten hatte ihn in Wut versetzt, – gegen die Beschimpfung war er unempfindlich gewesen.

Als ich zu Ende gesprochen, entzündete sich sein Zorn.

Ich, die ihn angelogen und wochenlang an der Nase herumgeführt hatte, wagte überhaupt noch vor ihm zu erscheinen? Eine Lügnerin, eine Intrigantin sei ich in seinen Augen, nie habe er sich in einem Menschen so getäuscht wie in mir – ich möge zurückkehren zu meinem Vater ... Seine Stimme schrie, seine Blicke waren giftige Schlangen, die mich umzuckten.

Von seinen Schmähungen in tiefster Seele verwundet, im Weibesstolz verletzt, stürzte ich hinaus. Ein Bekannter, Bankdirektor Pollak, ging eben über die Straße und sah mich die dunkle Gasse durcheilen, alle Spuren der Verzweiflung in den Zügen.

»Was haben Sie – um Gotteswillen – was haben Sie?« Der freundliche Mann blieb stehen und faßte mich an der Hand. Seine hellen Augen blickten mich tief erschrocken an, die goldenen Eckzähne blitzten.

»Ach nichts – oder ja – Sie sollen es wissen. Mich hat eben Grosser in der erbärmlichsten Weise beleidigt –.«

»Was haben Sie denn mit ihm?«

»Eine geschäftliche Auseinandersetzung.«

»Ach so –«, sagte der Direktor aufatmend. »Das ist weiter nicht schlimm. Im Geschäftsleben kommt so etwas öfter vor. Da darf man keine Nerven haben – und keine Tränen – aber um Gotteswillen ...«

Ich lehnte mich an einen Pfosten und schluchzte – schluchzte verzweifelt.

»Kommen Sie, Gnädige, treten Sie hier zu mir ein, in mein Büro. Warten Sie, – ich will doch an den Grosser telephonieren. Das ist doch eine Gemeinheit, daß er mit einer Frau in einer solchen brutalen Weise verkehrt ...«

Er öffnete eine Tür. Wir traten in seine Kanzlei, die mit vornehmem Geschmack ausgestattet war. Die Wände trugen kostbare Ölgemälde. Auf dem Schreibtisch standen in silbernen Rahmen Familienbilder. Pollak eilte sofort ans Telephon, klingelte Grosser auf, nickte mir zu und flüsterte: »Ich habe ihn schon.«

Dann sprach er eindringlich und vorwurfsvoll zu Grosser und gab mir das zweite Hörrohr.

Und Grosser antwortete lachend:

»Aufgeregt? Geben Sie ihr eine Limonade – –.«

»So einfach ist die Sache nicht«, erwiderte der Direktor ernst. »Frau Schellenberg hat mich orientiert. Sie werden wohl nicht das Odium auf sich laden können, den alten Herrn zu ruinieren. Das würde ein sehr unliebsames Aufsehen machen.«

»Was liegt mir am Aufsehen!« schnarrte Grosser. »Die Frau hat alles in der Hand ... Ich wer' nachdenken, vielleicht fällt mir noch was Besseres ein ...« Er hing das Hörrohr an.

Ich wandte mich zum Direktor, dankte ihm herzlich und habe ihm seine Hilfe nie vergessen.

 

7. Juli.

Sommersturm! Mit rasender Kraft jagt er dahin. Grüne Blätter schüttelt er von den Bäumen, weil er die braunen noch nicht finden kann. Das tost und saust mit ungeheurem Wogenschall. Bald rauscht es wie verbrandend in der Ferne, bald hebt sich's auf und schwingt herüber, eine Flut, die sich immer wieder erneuert. Welch ein Regen in den schwergehängten Zweigen, wild tanzen Lichter über den Weg – oder sind es Schatten? Lichter tanzen mit Schatten und Schatten mit Lichtern. Grüne Blättchen heben sich behutsam vom Boden, als wollten sie zurückfliegen zu ihren Ästen.

Der Sturm ist das große Ereignis im Leben der Bäume, er ist die Leidenschaft, die sie erfaßt, mit der sie kämpfen, die sie niederbricht – oder über sie hinwegbraust.–

 

Mein Vater konnte die Wechsel nicht einlösen. Das Gerichtsverfahren trat in Kraft.

Die exekutive Feilbietung des Besitzes war für Dienstag, den 12. Oktober, festgesetzt worden.

Mein Vater lag schwerkrank darnieder. Wenn er den Tag erleben sollte – – so würde er wohl die Feilbietung nicht zu überleben vermögen, sagte ich mir.

Ich ging umher wie eine Taumelnde. Ruiniert, vernichtet. Es würde uns sicherlich so viel bleiben, daß wir behaglich davon zu leben haben würden, sagten die Leute, die uns nicht zu helfen vermochten – – oder nicht helfen wollten. Ich war zu einsichtsvoll geworden in all den Jahren, ich sah ein, daß keiner dazu verhalten werden konnte, auch nicht vor dem Richterstuhl der Freundschaft, dem Nächsten zu helfen. Es gab zu viele Nächste, die seiner Hilfe bedurften und so würde jeder schließlich durch jene, die er retten wollte, in die Tiefe gezogen. Nein, nein, ich bat keinen. Ich konnte nicht verhindern, daß einer oder der andere mit mir über die Sachlage sprach, mir seinen Rat gab und dabei die letzten Vorteile für sich herauszuholen trachtete.

Und so hörte ich es öfter: »Es wird Ihnen genug bleiben. Sie werden mit dem Herrn Vater sorglos in der Stadt leben –.«

»Warum kann er nicht in der Stadt leben?« hatte mich Grosser gefragt, damals, als wir noch zusammen sprachen.

»Weil er selbst ein Stück Land, ein Stück Natur ist –.«

»Papperlapapp! Wird er aus der Stadt aufs Land spazieren gehen und kann sich fremde Felder anschauen, kann ihm auch a Vergnügen sein. Wenn er sich's recht überlegt, gehören ihm die seinigen auch nicht mehr so recht –.«

Mein Vater in einer kleinen Stadtwohnung von drei Zimmern – ich selbst mit Tante Sophie und einer Magd ihn betreuend – die alte Waldeiche in einen Stadtgraben versetzt, zwischen enge Häuser – keinen Sommer hielte sie's aus.

An mir lag ja nichts. Ich fände schon mein Brot. Aber der alte Herr – – nach fünfzigjährigem Schaffen so elend zu enden – – so herausgestoßen aus seinem Besitz – –.

Mir verschlug's den Atem. Nachts erwachte ich und stierte vor mich hin in die Finsternis, eine wahnsinnige Angst im Herzen, oder ich träumte von meiner Mutter und sah sie weinend, sie, die im Leben alles Leid aufrecht getragen mit dem Blick, in dem der Trost einer starken Seele lag ...

Das war so ergreifend, als mein alter Vater mitten in einer geschäftlichen Unterredung plötzlich aufschrie: »Wenn man jünger wäre!«

Da verriet er zum ersten Mal den Schmerz des Alters. »So lang man noch da ist, möchte man's noch besser machen, noch alles herausreißen –.« Es ist wie eine Furcht in ihm, nicht mehr lange da zu sein. Die ganze ungeheure Wehmut des Alters sah ich in ihm und nie liebte ich ihn so heiß, wie in dieser Minute.

 

Die Sache ging ihren Gang. Und auch ich ging meine Wege. Ich umkreiste das Schloß und sah zu seinen grauen, trauten Mauern auf. Wie viele Geschlechter schon hatten sie beherbergt – – was verschlug es ihnen, daß nun ein neues kam, der Zweig Derer von Grosser. Grafen und Fürsten und Herzöge und spanische Ritter hatten hier gewohnt – eine Herberge war dies alte Haus den Geschlechtern gewesen – uns hatte es länger bei sich geduldet als andere – was galt es ihm, daß nun wir auszogen, wie so viele vor uns – – und noch viele nach uns. – – Denn auch die Grossers würden eines Tages weichen ...

Über die Beamten war ein gelinder Schrecken gekommen. Einen so guten Herrn, wie sie ihm durch so viele Jahre nicht gehorcht hatten, würden sie wohl kaum wieder bekommen. Ein neuer Herr bringt neue Leute. Über den Verwalter kam eine große Angst und ein Fleiß fuhr jetzt in ihn. Jeder tat, was er vermochte, um dem neuen Besitzer zu zeigen, welche Tüchtigkeit in ihm steckte, und daß er für das Gut eine nicht zu unterschätzende Kraft bedeute.

Auf ihren Herrn sahen sie bald mitleidig herab. Gott ja, er hatte es eben nicht recht verstanden. Unter der neuen Regierung würde das eine Freude sein zu dienen, kein Zweifel! Und sie priesen den neuen König, noch ehe sie ihn kannten.

Ich sah ihnen das alles an.

Auch im Dorfe merkte ich die Teilnahme für den »Neuen«. Man war ja dem alten Herrn anhänglich, gewiß – – aber fünfzig Jahre lang war er nun dagewesen, da schien es wirklich Zeit, daß jemand anderer ans Ruder kam. Die neue Zeit will neue Leute. Grosser ist Jude gewesen, die Juden waren wohltätig. Was hatte denn schließlich der alte Besitzer so vieles getan?

Hatte er irgend etwas Neues ins Leben gerufen? Da konnte man sich am Ende von dem Nachfolger Besseres erwarten. – – –

Die Versteigerung versprach ein belebtes Schauspiel zu geben, Käufer waren in den letzten Tagen aus vielen Teilen des Landes gekommen und hatten das Gut besichtigt und hatten sehr viel zu tadeln gefunden und nicht einmal den herrlichen Park anerkannt, den ich so innig liebe in seiner Schönheit. Der Meierhof lag zu nahe am Schloß – das Schloß war nicht modern, der Garten verwildert – – – nichts gab es, das sie nicht zu tadeln wußten.

Ich sprach nicht mit ihnen. Ich sah nur durch meine Fenster die fremden Gestalten umhergehen, Gestalten mit gebogenen Rücken und vorhängenden Köpfen – die leicht wackelten, wie bei chinesischen Porzellanfiguren, – und hörte dann vom Verwalter, was sie gesagt, wonach sie gefragt hatten.

 

10. Juli.

Ich ging durch die abendstillen, der Ernte zugereiften Felder. Wie ein Warten lag es über ihnen, ein sattes, fast müdes Warten, die Ähren neigten sich tiefer und hauchten jenen schweren wundervollen Duft aus, der alles Vollgereifte erfüllt, alle gesegneten Früchte, und der berauschender ist als der Duft der Blüte. Wie eine unsichtbare Flut – schwer und heiß umwogt dieser Duft die Fluren.

Die Gebete der Bauern ruhen über den Feldern und steigen wie Abels Opferrauch zu den Himmeln empor.

Auf der Brücke über dem Bach hing in Spinnweben gefangen ein Schwarm seltsamer Elfenflügler, jener Eintagsfliegen, deren Leben sich in wenigen Stunden entfaltet und vollendet. An schwülen Abenden nach glutvollen Sonnentagen erheben sie sich in lichten Wölkchen, umschwärmen die feuchten Ufer – und sterben. Mit den durchsichtig blassen Flügeln gleichen sie ausgebleichten Blütenblättchen. Spinnwebfäden genügen, die schlanken Leiber wie Seile zu halten. In den Netzen hing auch eine Fülle länglicher, winziger, gelber Eier, die Eintagsfliegen der Zukunft bergend. Auch im Zerstören vergißt die Natur nicht ihren heiligen Zweck – die Entfaltung der Art.

Meinem Vater war es nachts sehr schlecht gegangen. Ich fürchtete, daß er den schauervollen Tag nicht erleben würde. Die große Schwäche hatte zugenommen und die Lähmungserscheinungen. Seine Zunge war schwer, er konnte kaum reden, nur seine Augen sprachen immerfort die Sprache des Leidens.

Nach der durchwachten Nacht blickte ich des Morgens aus dem Fenster, schmerzensvoll, das Herz erfüllt von einem grenzenlosen Haß gegen den Feind, der uns so viel Qualen geschickt. Die Sonne leuchtete ruhevoll über dem Garten, der vielleicht morgen schon einem anderen gehörte. Da fuhr ein Wagen in den Hof und hielt vor dem Schlosse. Grosser entsprang ihm. Ich zuckte jäh zusammen – was wollte der hier, zu dieser Stunde?

Im nächsten Augenblicke meldete mir der alte Diener den Gast, der schon in der Tür stand. Das war ein Überfall. Ich hatte mit Grosser nie mehr im Leben ein Wort sprechen wollen – – nun stand er mir gegenüber, Stirn gegen Stirn, sich höflich verneigend, artig grinsend. Ob ich ihm die Ehre geben würde? Ein paar Worte nur – – aber von größter Wichtigkeit.

Ich hörte ihn stehend an und zwang ihn auch zu stehen, wie einen Diener.

Was weiß ich mehr von den Torheiten, die er murmelte, von den Entschuldigungen, die er vorbrachte. Er griff wieder um Jahrzehnte zurück. Wir kannten ihn doch, er sei ein guter weicher Mann, aber er sei auch ein einsamer Mann – und die Einsamkeit mache schroff, was ich ja übrigens auch an mir bemerken könnte. Es sei wahr, er wäre sehr aufgefahren letzthin, aber ich müsse bedenken, wie weh es ihm getan habe, daß ich, gerade ich ihn wochenlang getäuscht hatte. Wenn ich eine Menschenkennerin sei, müßte ich doch längst bemerkt haben, wie viel ihm gerade an meiner Behandlung läge ...

Ich blickte ungeduldig auf mit einer heftigen Bewegung des Unmutes.

»Fahren Sie nicht auf – –«, sagte er, »ich bin gleich zu Ende. Ich komme Ihnen wieder einen Vorschlag machen, wie ich es Herrn Bankdirektor Pollak versprochen habe. Ihr Herr Vater soll im Schlosse bleiben – – ich will ihn behandeln wie einen Sohn – aber ich möchte heute von Ihnen wissen, ob ich die Hoffnung haben kann – – wie soll ich nur sagen – ich bin ein ehrlicher Mann – ich sag's geradeaus – – ob ich die Hoffnung haben kann, daß mein Sohn und Ihre Tochter – wie könnte ich es nur am schönsten sagen – ein Paar würden?«

Ich war fassungslos. Das deutete er zu seinen Gunsten. »Daß ich's grad' heraussag' – – als ich Ihnen die Kompagnie antrug, meine Gnädige, war das auch ein versteckter Heiratsantrag – – aber Sie haben mich nicht verstanden. Und anstatt mit mir einig zu gehen, haben Sie sich gegen mich mit weiß Gott – – wem – –.«

»Genug, Herr Grosser!« rief ich in bebendem Zorn, »Beleidigen Sie mich nicht in solcher Stunde mit solchen heuchlerischen Anträgen. Was wollen Sie eigentlich von mir?«

»Wenn Sie Ja sagen, ist alles in einer Stunde perfekt. Die Exekution wird zurückgezogen, der Herr Vater wird mit einem Schlage gesund, so wie er mit einem Schlage krank geworden ist – – haha –.« Grosser freute sich seines Witzes. »Und wir – – na, meine Gnädige, ich will Ihnen Zeit lassen, sich an mich zu gewöhnen.« –

Er wollte meine Hand ergreifen. »Zurück!« schrie ich. »Rühren Sie mich nicht an!« Ich sprang auf meinen Schreibtisch zu, zog eine Lade auf und riß meinen Revolver hervor. Grosser sah mit Entsetzen mein Tun und wich zur Tür zurück, beide Hände vor sich hinstreckend mit ausgebreiteten Fingern, wie einen durchlöcherten Schild sie vor die Brust haltend.

»Was treiben Se! Sind Se verrückt?« rief er.

»Ich habe Sie jetzt satt mit Ihren ganzen Vorschlägen, Herr!« rief ich, sprang vor und stellte mich mit dem Rücken an die Tür. Grosser wich gegen den Ofen. »Ich habe jetzt das ganze Treiben satt – satt – satt! Das ganze Leben satt! Sie ziehen uns den Boden unter den Füßen weg, Sie ruinieren das bischen Leben meines Vaters, Sie umkriechen, umlauern, verfolgen uns seit Monaten wie eine Beute, die Ihnen zufallen soll. – – Wissen Sie, daß ich eine wahnsinnige Lust habe, Sie niederzuknallen wie ein schädliches Raubzeug, das in fremdes Revier eingebrochen ist – – Sie – – Sie – –.«

Ich hob den Revolver und mit gieriger Lust berauschte ich mich an dem Anblick seines kalten Stahles und ließ die Augen trunken zu meinem Opfer schweifen, das in Todesangst Deckung hinter meinem Schrank suchte.

»Sie sind wahnsinnig – – zu Hilfe – – zu Hilfe!« schrie Grosser.

»Da können Sie lange rufen – – kein Mensch hört Sie in dem alten Haus – wir sind ja nur von alten, tauben Leuten umgeben.« Über mich war eine wunderbare Ruhe gekommen, als ich die wilde Angst in meinem Feinde sah und mein Rachedurst langsam verebbte.

»Sie sind wahnsinnig – – lassen Sie mich hinaus –.«

»Wenn ich wahnsinnig wär', hätte ich Sie schon niedergeschossen, aber weil ich's nicht bin, genieße ich länger diese Lust des Überlegens«, – höhnte ich ihn. »Mir liegt nichts am Leben – – das mögen Sie wissen – – mir liegt jetzt nur an dem Einen – Sie büßen zu lassen für das, was Sie uns getan – –.«

»Lassen Sie mich aus« schrie er. »Ich – versprech Ihnen – ich will gar nichts mehr von euch beiden wissen – – ich pfeif' auf das Gut, ich pfeif' auf euch alle – – lassen Sie mich aus ...«

Jetzt dämmerte das Verständnis in mir. Vielleicht hatte ich ihn in der Hand, konnte ihn zwingen zu dem, was ich wollte – – konnte Zugeständnisse von ihm erpressen – – jawohl, erpressen. Ich schäme mich meiner Mörderrolle nicht, – einem Banditen mußte man wie ein Bandit begegnen.

»Versprechen Sie mir, daß Sie die Exekution zurückziehen?« fragte ich kalt.

»Ja – ja, alles, was Sie wollen, aber lassen Sie mich hinaus ...«

»Versprechen Sie mir, daß Sie unsere sämtlichen Wechsel prolongieren?«

»Ja – – ja – –«

»Durch zehn Jahre prolongieren von Fall zu Fall?«

Er stutzte. Die Sache kam ihm zu bunt.

»Sie versprechen das nicht?« rief ich und hob spielend die Waffe. »Es kann auch ein zufälliger Schuß Sie treffen – – übrigens – das wissen Sie wohl, daß ich eine geübte Jägerin bin –.«

»Jetzt hören Sie mit der Komödie auf!« rief er unwirsch und mutiger geworden.

»Durch zehn Jahre prolongieren. – – Ja oder nein?«

»Sagen wir durch acht – –.«

»Nein durch zwölf – – wenn Sie länger zögern – –.«

»Also gut, durch zehn Jahre. – – Sie müssen mich aber jetzt hinaus lassen, denn das geht mir über den Spaß.«

»Treten Sie dort an den Schreibtisch. In der Mappe liegt Papier – und schreiben Sie mir alles, was Sie mir zugesagt haben, sofort auf und unterfertigen Sie es – –.«

»Sie sind wirklich raffiniert, meine Gnädige, das muß man sagen. Ich habe nicht umsonst immer eine Scheu vor Frauen gehabt ... Das ist das letzte Mal, daß ich mich in ein Geschäft mit einer weiblichen Führung eingelassen habe ...«

»Dort ist der Schreibtisch! ..« Ich wies mit dem Revolver hin.

Er zog ein Blatt Papier hervor und schrieb stehend.

»Ich weiß gar nicht, was wir verabredet haben«, murmelte er.

»Daß Sie alles zurückziehen, die Exekution aufheben, die Wechsel durch zehn Jahre von Fall zu Fall prolongieren werden. – – Daß Sie in der ganzen Zeit keinerlei Ansprüche gegen meinen Vater stellen werden – –.«

»War das auch im Pakt?«

»Ich verlange es.«

»Gut.« Er unterzeichnete mit scharfem Strich und hob das Blatt. »Hier hat sich dem Teufel eine reine unschuldsvolle Seele verschrieben.«

Ich kam näher mit der Waffe in der Rechten.

»Haben Sie die Güte und legen Sie das gefährliche Ding da zur Seite – –.«

»Bis ich gelesen habe.« Ich überflog das Blatt. »Es stimmt, Sie sind frei.«

»Ich danke bestens.« Er eilte zur Tür. »Ich habe mir meinen Abgang freilich anders vorgestellt. Übrigens – meine Gnädige – gar so groß ist Ihr Triumph nicht. Die Exekution hätte ich für alle Fälle abgesagt – das muß ich Ihnen doch noch gestehen – denn die Rechnung wäre mir zu teuer gekommen. Es haben sich nämlich zu viele ernste Käufer gemeldet – – haha – – und das Gut hinaufzulizitieren stand nicht in meinem Programm. – – Unter der Hand wollte ich's haben – – ja – ja – und wär's unter der Ihren. – – Adieu, meine Gnädige – – auf Wiedersehen in zehn Jahren. Grüßen Sie mir den alten Herrn recht herzlich. Ein braver Mann – – und hat eine tüchtige Tochter – nix zu sagen – – Donnerwetter, die Courage ...«

»Die war noch größer als Sie glauben, Herr Grosser. Jetzt will ich Ihnen auch ein Geständnis machen. – – Denken Sie nur – – der Revolver ist gar nicht geladen!«

Grosser schob wutentbrannt hinaus.

 

15. Juli.

O du tausendfach gesegnete Erde, die du geheiligt bist durch die Gebete, die aus bangenden Herzen emporstiegen und über dich hinwallten – die du alles Leben weckst, nährst an deinen Brüsten, erhältst und wieder einschlummern läßt und zurückziehst in deine Schatten, um es neu hervorblühen zu lassen – Deine Kraft und deine Größe, deine Innigkeit wie deine Macht können wir nur dann so recht ermessen, wenn du die goldene Königskrone der Ernte trägst, der Weihrauch der Fluren dich umwallt und über dir die Sonne wie eine reife Himmelsgarbe flammt! – – –

Grosser hatte Wort gehalten. Ruhe kam wieder auf den Hof. Mein Vater war zufrieden und genas langsam. Ich aber ließ mich durch die Nachgiebigkeit des Geschäftsfeindes nicht täuschen und fühlte nur einen Wunsch und ein Ziel: los von Grosser. Ninetta hatte nichts erreicht, nur sich selber bereichert. In der Ferne war kein Geld zu holen, doch mit einem Mal, ganz unversehens, lag es vor uns auf der Straße. Zwei kürzlich reichgewordene Konkurrenten des Grosser, die Gebrüder Emanuel Geier, ließen mir durch ihren Vertrauensmann Salomon Glück sagen, daß sie bereit wären, Grosser zu guten Bedingungen abzulösen. Mein Vater wollte nichts davon wissen, ihm behagte die alte Verbindung, die bösen Gefahren und Drohungen hatte er verziehen, ich aber vergaß nichts und wußte, daß Grosser nur auf eine Gelegenheit lauere, um mich seine Zähne und seine Pranken fühlen zu lassen.

Mit Hilfe des braven Salomon Glück, der mit seiner hohen Stirn und dem grauen Patriarchenbart ein Idealist war und trotz großer Vermittlergeschäfte sich aus kläglicher Armut nicht zu erheben vermochte, gewann ich die Firma Emanuel Geier in der dürftigen Wohnung Salomons zu einem für uns überaus günstigen Vertrag, der dann meines Vaters volle Zustimmung fand.

Die Brüder Geier, Emanuel und Gabriel, beide blond, klein, dick und rotbäckig, stellten sich mir als edle Menschenfreunde vor, denen es nur darum zu tun sei, einen so achtunggebietenden Mann, als welcher mein Vater in der Gegend bekannt sei, den Händen eines argen Wucherers zu entreißen, eines nichtswürdigen Renegaten, in dessen Hause sich die Religionen abwechselten. Jetzt erst sollten wir erfahren, wie der geschäftliche Verkehr mit einer hochanständigen Prima-Firma sich abwickle.

Grosser fiel aus allen Himmeln, als ihm eines Tages die Konkurrenz Geier durch ihre Bank die Mitteilung zukommen ließ, daß sie das Vergnügen haben werde, die Forderungen der Firma Grosser an Josef Koronski in vollem Ausmaße zu übernehmen.

Er kam eilends zu meinem Vater mit leuchtender Glatze und elegischen Tönen, herzergreifenden Vorwürfen, Versicherungen treuer Freundschaft bis über den Tod hinaus, Hinweisen auf die angenehmste Geschäftsverbindung seit Jahrzehnten ... Mir streckte der Erbfeind beide Hände entgegen, Tränen erstickten seine Stimme, während er von meinen Vorzügen zu lallen begann. Allein ich blieb so ungerührt, wie er es geblieben war bei meinem Flehen. Ich wußte nun: im Geschäft gibt es keine Gefühlsmomente, da entscheidet der Vorteil, niemals das Herz.

Als er die Unmöglichkeit erkannte, durchzudringen, begann er Übles zu weissagen.

Die Goldzähne blitzten in seinem Munde. Mit der Stimme der Patriarchen des alten Bundes warnte er vor dem Feinde, der nun kommen würde, der reißende Wolf im Schafspelz, und grauenvoll griffen seine Prophezeiungen wie Drohungen in die Zukunft. In seinen Augen war der Konkurrent ein Schuft. Mit der Beschwörung, daß wir es uns noch im letzten Augenblick überlegen sollten, einen durch die Zeiten so geweihten Bund wie den unsern zu zerreißen, langte Wilhelm Grosser endlich nach seinem Hute. Mir flüsterte er noch beim Abschied zu: »Wenn Sie vielleicht zur Mitgift für Ihr Fräulein Tochter – sie wird ja doch früher oder später heiraten – hunderttausend Kronen brauchen – Sie kriegen se von mir sofort – auf meine Ehr' –.«

Ich wußte nicht, ob diese Ehre schon ein katholisches oder noch ein mosaisches Gewissen hatte, versicherte aber, sie im Bedarfsfalle in Anspruch zu nehmen.

Für eines aber war ich Grosser dankbar. Er hatte uns auf die Gefahren unserer Verbindung mit Geier u. Co. aufmerksam gemacht und während mein Vater bei unserm alten Advokaten den bindenden Vertrag unterschrieb, waren wir uns schon darüber klar, daß wir trachten müßten, einen neuen Geldgeber zu finden, der für die Ware, die mein Vater erzeugte, kein Käufer war, wie Grosser und Geier und daher keinen Vorteil daraus zog, ihren Preis niedrig zu stellen.

Emanuel und Gabriel hatten den Wunsch ausgesprochen, daß ich die Prokura erhalte, in der richtigen Erwägung, mit der Frau würden sie leichteres Spiel haben als mit dem eigensinnigen alten Herrn.

Sie hatten nicht schlecht gerechnet. Mir fehlte die reife Erfahrung meines Vaters und sie brachten mich anfangs zu Abschlüssen, die verhängnisvoll waren. Doch allmählich durchschaute ich ihre listige Art.

Die Brüder jonglierten häufig mit ihrem Namen und schoben einander abwechselnd die Geschäfte zu.

Hatte man mit Gabriel günstig abgeschlossen – so war mit einmal Emanuel damit nicht einverstanden und umgekehrt. Beide zusammen aber bekam man nie an einen Tisch.

Hatte Grosser mich auf den Bahnhof bestellt und mir dann aus dem nur zwei Minuten haltenden Zuge seine geschäftlichen Verfügungen gnädig herabgerufen, so bestellte mich bald Gabriel, bald Emanuel in den Wartesaal 1. Klasse einer entfernten Bahnstation. Ich war mit meiner Prokuraführung für jede Zusage haftbar, die sie mir erpreßten. Gelang es aber einmal mir, einen günstigen Vorteil bei Gabriel zu erlangen, so hob Emanuel ihn auf und die Zusagen Emanuels erkannte Gabriel nicht an.

Es war kein Zweifel, sie waren tüchtiger als Grosser, gewandter. Emanuel war der Sanftere, Ungefährlichere. Gabriel aber hatte einen scharfen Raubvogelzug im Gesicht, vielleicht der einzige Zug an ihm, der nicht log. Nach zwei Jahren schon hatte die Firma einen Prozeß von mir wegen Erpressung auf dem Halse. Es verlautete, daß Gabriel des Schreibens unkundig sei, doch ich besaß einen schwerbelastenden Brief Emanuels in der Hand, den er unbedachterweise der Prokuristin geschrieben hatte, und genoß die Genugtuung, die Brüder vor dem Richter in Nervenkrisen zu sehen, die ihnen Tränen und einen für mich günstigen Ausgleich erpreßten. Seither war ihre Freude an mir gebrochen, ihre Hoffnung vereitelt. Sie nahmen es schmerzlos hin, daß ein Bankhaus ihre Beziehungen zu meinem Vater ablöste.

Im Hause hatte ich allerlei Neuerungen durchgeführt, auch einige der alten Beamten verabschiedet. Überall suchte ich Ersparungen zu machen. Ich genoß alle Kraftgefühle, die in festen Entschlüssen wurzeln.

Mir war zu Mut wie jemand, der hoch auf dem Kutschbock sitzt und sechzehn Pferde kutschiert. Alle Zügel ruhen sicher in der einen Hand, die Finger spielen nur – und die Rosse müssen gehorchen.

Ich fühlte die Willenswellen vom Gehirn ausstrahlen und vermochte den geringsten wie den stärksten Widerstand zu beugen.

Das dünkt mich die schwerste Arbeit, das Abwärtsrollen eines Vermögens zum Stillstand zu bringen und nie vermag sie ein Einzelner zu leisten, stets müssen günstige Umstände auf dem Geschäftsmarkte ihm zu Hilfe kommen. Manchen Fehlgriff hab' ich in jener Zeit getan. Trotzdem ließ mein Vater seine gütigen Blicke oft mit wunderbarer Innigkeit auf mir ruhen.

Ich liebte es, daß ein Sturm in die Leute fuhr, sobald ich nahte. »Es brennt – oder die Gnädige kommt!« hieß es und sie jagten im Hof durcheinander und duckten sich oder flohen. So wollte ich es. Wenn meine Stimme durch das Haus hallte, verkroch sich das Gesinde, denn jeder hatte irgend etwas angestellt und fürchtete meine Augen, die alles bemerkten. Trat ich in die Küche, dann gab es kein Entrinnen mehr – und doch sah ich es ihnen an: die Köchin hätte sich am liebsten in die Bratröhre geflüchtet, das Küchenmädchen wollte an der Wand hinaufkriechen und das Stubenmädchen den Kopf in das Wasserfaß stecken. Und nun sausten sie durcheinander, jede griff ihre Arbeit an, mein Blick weckte stählerne Kräfte und in fünf Minuten war getan, was sonst zwei Stunden währte.

Oft ließ ich auf der Tenne, wo die Weiber zu langsam das Korn zum Langstroh droschen, in einer Ecke meinen offenen Regenschirm stehen, wenn ich fortging, und sofort flogen die Dreschflegel mit schnellerem Takte.

Die neuen Beamten hatten ihre Stellungen angetreten; ein junger Verwalter mit wuchtigen Schritten, die die Erde zu zertreten schienen; ein Adjunkt, der einem Kalbe glich mit seinen aufgerissenen Glotzaugen, und eine magere Buchhalterin mit Jahreszeugnissen und kurzgeschnittenem Haar, einer Verirrung ins Männliche, wie Tante Sophie erschrocken bemerkte.

An einem Sonntag vormittag berief ich sie alle in die Kanzlei und neben dem hundertjährigen, verrosteten eisernen Geldschrank stehend, der meist leer war, hielt ich ihnen eine Ansprache, in der ich sie auf ihre Pflichten gegen den Chef aufmerksam machte, ihnen gute Lehren erteilte und sie sicherlich mit einer starken Voreingenommenheit gegen mich erfüllte. Es war eine Ministerrede an Sektionsräte. Die Buchhalterin ärgerte sich, daß sie einer Frau unterstellt sein sollte, der Verwalter dachte sich: mit dir werd' ich schon noch fertig! und das Kalb dachte überhaupt nichts, es glotzte mich nur stier an.

»Ein schrecklicher Blödsinn, den die Vally sich wieder ausgedacht hat«, sagte inzwischen mein Vater zur Tante.

»Aber lassen nur, sie meint es ja gut!« besänftigte ihn die treue Pflegerin.

Der alte Herr ließ den alten Kutscher die alten Füchse einspannen und fuhr hinaus auf die Felder, die alte Freundin neben sich. Mochte die Tochter dort in der Kanzlei treiben, was sie wollte – die Herrschaft über seine Felder blieb mir. Eigen. Die Liebe zu ihnen vermochte kein Ärger zu drosseln. Sah er ein Gelände vor sich, erwachte in seinen halb erloschenen Augen der Glanz der Sonne und mit dem Blicke des Patriarchen, mit biblischer Größe segnete er ringsumher die Fluren und Wälder und fühlte sich Herr seiner Erde.

In diese Zeit fiel mein erster Romanerfolg. Eine große Zeitung in Deutschland, deren Herausgeber meiner literarischen Entwicklung mit besonderer Anteilnahme gefolgt war, telegraphierte mir, daß er mein eingesandtes Manuskript mit Begeisterung gelesen habe und den Roman für sein Blatt erwerbe. Ich brach fast nieder unter der Welle des Jubels, der mich erfaßte.

 

Prämiierung.

25. Juli.

Jedes Jahr gibt es bei uns die Prämiierung eines Arbeiters für vierzigjährige treue Dienste. Denn da nie ein Arbeiter von meinem Vater fortging und mein Vater schon an die fünfzig Jahre lang den Besitz leitet, häufen sich nun die Feste.

Meinem Vater sind sie überaus lästig, sie kommen in der Natur nicht vor und erscheinen ihm daher völlig überflüssig. Prämiierte jemals der Himmel die Felder? Jedes tut seine Pflicht und damit ist die Sache abgetan. Die Menschen nur suchen überall nach Belohnungen, auch wo sie sie nicht verdienen. Zu seinen ödesten und peinlichsten Erinnerungen zählte der Augenblick, da ihm ein Bezirkshauptmann den Franz-Josefs-Orden an die Brust geheftet hatte, den er nach diesem ehrenvollen Akt nie wieder ansah und dessen gerührtes Betrachten er meiner Mutter überließ.

Das Dekorierungsfest nahm auch diesmal den üblichen Verlauf. Der Landauer mit den Füchsen im Silbergeschirr holte den Bezirkshauptmann vom Bahnhof. Vor dem Schloß versammelten sich Veteranen und Feuerwehr. Das Festkind, diesmal der alte Kalus, erschien tief bewegt im Kreise seiner Kollegen, der Gutsherr mit Gästen und Angehörigen. Dem Bezirkshauptmann stand der Angstschweiß auf der Stirn, während er mit bebenden Lippen – die Anwesenheit der vielen Damen war dem Hagestolz entsetzlich – dem Ehrenarbeiter im Fässerrollen unter durch Stottern mehrfach unterbrochener Rede das Ehrenzeichen an die Brust heftete, wobei alle Augen sich pflichtgemäß mit Tränen der Rührung füllten, die Kameraden ihrer eigenen Ehrungen gedachten, aller Diebstähle vergaßen, die sie im Laufe ihrer langen Dienstzeit ausgeführt hatten, und erschüttert sich unter einer Glorie von Ehre fühlten. Kalus verschlug es die Sprache, er fand sie erst im Wirthaus wieder, wohin der lange Zug von Veteranen, Feuerwehr und Arbeitern sich begab, indeß der erlöste Bezirkshauptmann von uns zum Festmahl geleitet wurde. Beim Abschied sagte mein Vater dem Vertreter Seiner Majestät aufatmend: »Leben Sie wohl, Herr Bezirkshauptmann – ich bin nur froh, daß ich jetzt wieder meine Ruh' hab'!« – –

 

»Was schreibt denn der Franz?« fragte mein Vater oft. Und ich berichtete ihm, wie Franz sich behaglich und zufrieden fühle in seinen Wäldern, die er so grenzenlos liebte wie das Wild, dem er nachspürte, mit immer neuer Lust.

Er wohnte im Gasthof eines kleinen Städtchens inmitten der Sudetenwälder. An jedem Sonntag Abend fanden sich die Forstbeamten in der Extrastube ein und erzählten einander die Erlebnisse der Woche. Wie ein Fürst thronte Franz unter ihnen. Auf seine Worte wurde gehört, seine Ratschläge wurden beachtet. Kein Jäger war so weidgerecht wie er. Hinter den Kulissen führte er die Aufsicht über die Forste, nicht der jüngste Forstgehilfe kam Franz an Eifer nach. Er wurde nicht müde zu pirschen und das Wild zu verhören. Brach der strenge Winter herein mit viel Schnee, dann zog Franz ein langes, weißes Nachthemd an und durchstreifte nachts die Gegend wie ein unheimliches Gespenst. Stundenlang saß er unbeweglich in der Verkleidung auf den Strünken alter Bäume und äugte um sich – und manche Eule stieß auf ihn nieder und wollte auf seiner Schulter aufbäumen. An hartgefrorenen Flüssen saß er so, als wär' er ein Umriß der Landschaft, zu ihr gehörend, und lugte nach der Fischotter aus. Den Hirschen und Rehen folgte er und spürte den Fuchs auf und den Iltis und räucherte das schädliche Raubgesindel aus dem Bau, den es sich in morsche Bäume gegraben hatte. Er war erfahren wie kein Förster in der Runde. Er erteilte gern Rat und half überall mit und machte manchmal aus Gefälligkeit Patronen für den Forstmeister. Niemand kannte so gut wie er die Schlupfwinkel des Wildes, wußte, wo es wechselte, wo es zur Tränke hinab stieg zum Bach. Mit einer Lust ohnegleichen durchstrich er die Wälder, stieg auf die höchsten Koppen und schritt die Straßen hin, durch die er einst, ein sorgenvoller durch Schulden zerquälter Mann vierspännig gefahren war.

Hei, wie froh genoß er heute jene Wege, von keinem Besitz beschwert, frei wie der Hirsch war er, wie das Reh – wie das, Wiesel im Grund, nur nicht ganz so behend wie diese.

Die Förster schätzten, die Heger liebten ihn. Er hatte Herzlichkeit und Güte für alle, die mit dem grünen Weidwerk zusammenhingen. Großmütig war er und glücklich, wenn es ihm möglich ward, eine ersparte Gabe an einen Förster zu verschwenden.

Kamen die erzherzoglichen Jagden, dann war eigentlich Dr. Franz Schellenberg der heimliche Drahtzieher der fürstlichen Puppen, denn er war der Ratgeber aller Forstmeister und wußte am besten, wie man jeden Trieb anzupacken hatte und bei besonders schwierigem Gelände war es ihm ein Genuß, mit den Treibern zu gehen und ihre Linien in Ordnung zu halten.

Fand dann nach so gelungener Jagd sich am Abend das Jagdvolk in dem kleinen Gasthof zusammen, in dem Franz wohnte, dann nahm er den Ehrenplatz ein und lachte mit den andern und erzählte mit tiefer Stimme aus dem ungeheuren Schatz seiner Erlebnisse die Geschichte von der Bärenjagd, dem Ritt auf dem Eber und dergleichen gefährliche Jagdabenteuer. Dick und behäbig sah er aus und viel Bier trank er und vom Aristokraten von einst war kein Faden mehr an ihm. Eher einem Bierbrauer sah er ähnlich. Den Kaiserbart hatte er in einen Spitzbart verwandelt, aber selbst dieser vermochte nicht am runden Gesicht eine Verlängerung vorzutäuschen. Die Förster aber sahen noch den alten Edelmann in ihm und bewunderten seinen ausgezeichneten englischen Kugelstutzen. Er hatte noch immer seine dauerhaften, unverwüstlichen Anzüge aus englischen Stoffen und das Steirerjankerl und den Hut mit grünem Band und hohem, echten Gemsbart, keinem, der aus Schweinsborsten nachgeahmt war. So war er am Gasthoftisch noch immer der große, noble Jäger, von allen Weidmännern geliebt.

Doch abends, wenn er in seinem Zimmer stand, da legte er den Hemdkragen ab, um ihn zu schonen, zog die Stiefel aus dem gleichen Grunde von den Füßen und nahm das Stückchen Rindfleisch vor, das er sich vom Mittagmahl aufbewahrt hatte und das ihm besser mundete, als ehedem Austern und Hummer.

Sein Leben hatte einen Zweck gewonnen: »Durchzuhalten.« Eine Tätigkeit war ihm, dem ehemaligen Verschwender, geworden: zu sparen. Und beides führte er zu seiner innern Befriedigung prächtig durch.

Festtage bedeuteten es für ihn, wenn Lilli ihn besuchte. Ihr sonnenhelles Wesen berauschte ihn, seine grenzenlose Liebe gehörte seinem Kinde. Er darbte sich Geschenke ab für sie, er lauschte ihren Erzählungen mit feuchten Blicken. Stolz und entzückt zeigte er das holde Mädchen den Jagdgesellen in der Abendrunde. Was Lilli in den Bergen an der Seite ihres heißgeliebten Vaters empfand, verschloß sie tief in ihrer Brust, doch sie erwies ihm mehr Liebe als mir, weil er ihrer bedürftiger war als ich, wie sie wohl meinte.

Ging sie zu ihren Studien zurück, dann war sie glücklich, daß gerade die Herbstjagden anbrachen und dem Vater Zerstreuung und Freude winkte.

 

27. Juli.

... Wie anders als die Frühlingsnacht duftet die Sommernacht. Es ist alles wonnig, gesättigt – verweht die wild aufreizende Sehnsucht des Frühlings. Wie der Atem einer gereiften Frau duftet die Sommernacht. Jeder Lufthauch ist eine Liebkosung weicher Hände. Die Bäume sind schwarz wie träumender Locken Fülle. Der Himmel ein blasses Antlitz, zärtlich niedergebeugt auf die reife schwellende, wissende Erdenfrau. – – – Franz erkrankte. Er hatte seit Jahren schon über einen Schmerz an einer ganz bestimmten Stelle unter den linksseitigen Rippen geklagt und so oft wir ihn mit Hilfe des Arztes auslachten und um die Fülle seiner Gesundheit beneideten, sagte er: »Ihr werd'ts schon sehen – ich werd' auf einmal weg sein –.«

Das Leiden machte Fortschritte, zu der Leberentartung trat die Wassersucht. Ein Spezialist in Wien sollte befragt werden.

Dort traf ich mit Franz zusammen. Er war noch immer ein schöner Mann in seiner reckenhaften Größe mit den freundlichen blauen Augen. Doch sein Gang war langsam und müde geworden. Wir saßen traulich zusammen im Rathauskeller, wo er so viele Feste genossen, und sprachen von seiner Genesung. Der Arzt hatte ihm geraten, ein Krankenhaus in meiner Heimat aufzusuchen. Es sei von den besten Ärzten geleitet, dort würde er sich rascher erholen. Ich sprach ihm zu, diesen Rat zu befolgen und lud ihn ein, sich auf der Fahrt einen Ruhetag in Gudrichau zu gönnen. Freudig willigte er ein. Die natürliche, verlegene Schüchternheit seines Wesens war noch stärker geworden, seit er in den Wäldern lebte und bildete einen seltsamen Gegensatz zu dem Riesenkörper. Der Lärm der Stadt war ihm furchtbar quälend. Er konnte es gar nicht fassen, daß er einstmals in solchem lärmenden Kreise sein Vergnügen gefunden hatte. Machtvoll zog es ihn zu der stillen Bergeinsamkeit zurück. Er erzählte mir von den letzten Kahlwildjagden, dabei flammten seine Augen auf, sein Blick gewann Schärfe und die Muskeln der Arme strafften sich.

Am nächsten Tage besuchte ich heimlich Franzens Arzt. Der ernste vollbärtige Mann mit den prüfenden Augen, die scharf blickten unter der, goldumrandeten Brille, sagte mir, daß Franz verloren sei.

Ich erstarrte.

»Keine Rettung?« bebte ich.

»Keine. Es kann ja noch eine Operation versucht werden, der Doktor, an den ich ihn empfahl, ist sehr geschickt –.«

Das kannten wir. Die Operation glückte, jede Operation glückt, – wenn der Kranke stirbt, ist es sein eigenes Versehen.

 

Schrecklich war meine nächste Begegnung mit Franz, nun ich eine Wissende geworden.

Es ist furchtbar, Einen zu sehen, der aus dem Leben schreitet. Und daß er es nicht weiß, gibt ihm das unschuldsvoll verlorene Lächeln, das unsere Herzen bluten läßt, die zuversichtlichen Worte, vor denen wir in Tränen ausbrechen möchten, die wir mit zusammengebissenen Lippen hören. Wir blicken sorglos umher – nur damit er sorglos bleibe, und lächeln, damit er uns glaube.

Wir saßen diesmal in der kleinen Gaststube seines Hotels. Er war sorgfältig gekleidet in den ältesten, seit Jahren geschonten Kleidern. Das verfallene Gesicht mit dem ausrasierten Kinn – der leere Blick, der schon den nahenden Tod trug ich merkte das alles erst heute.

»Ich muß jetzt schauen, daß ich gesund werd'«. sagte er und griff immer mit der Hand nach dem Herzen, als schmerze ihn dort ein Muskel.

»Tut es dir weh?«

»O nein, – ich greif nur so – das ist mehr Gewohnheit.«

Aber die Gewohnheit blieb.

Wie er da saß, mit dem langgestreckten mageren Hals, den der viel zu weite Kragen umstand, und mit den halberloschenen Blicken in den Saal sah, da packte es mich ans Herz.

Jeder Kellner nannte ihn »Herr Graf«. Keiner mutete ihm das Studium der Speiskarte zu und empfahl ihm sofort Speisen, die nicht auf ihr standen, besondere Gerichte, leckerer zubereitet.

Und er nickte dazu, genau wie damals, als er über Hunderttausende verfügte, und gab noch besondere Winke, »nicht zu sauer«, »knusprig« – »braune Butter«.

Er aß nicht mit Lust, nur mit Willen, »damit ich mich ein bissel kräftige«. Er trank auch Wein. »Weil ich so schwach bin«. Und das Geld gab er aus, wie einer, der es nie zählt, mit der unnachahmlichen Anmut des Verschwenders. Er holte es aus der Westentasche und rollte es durcheinander. Kronen – Nickel – Heller – ihm galt alles gleich.

Einige kleine Stücke ließ er in die Hand des Kellners gleiten – so gewiß abwehrend, wie man Gemeines von sich streift, froh, es los zu sein.

Die Kellner halfen dem Riesen in den Rock, – der schlotterte an dem dürren Körper und warf eine breite Falte im Rücken, – sie reichten dem Herrn Grafen den Hut, der altmodisch und zu weit geworden, über den abgemagerten Schädel bis an die Ohren glitt – und dann ging er, langsam, unsicher – sich steif und gerade haltend – ein Elender, Kranker – ein Verlorener und doch ein Herr.

 

Vier Tage später traf Franz in Gudrichau ein. Warm begrüßte ihn mein Vater und die beiden Männer sprachen nach Jahren zum ersten Mal wieder herzlich und freundschaftlich miteinander. Dann setzte sich Franz. Jetzt sah man erst, wie elend er war. Wie fremd. Er erzählte, daß es ihm besser gehe, daß er sich kräftig fühle – und die Ärmel hingen leer über den Armknochen.

Die mageren Hände spielten immerfort und die Daumenfläche rieb sich an der Fläche des Zeigefingers.

»Jammervoll schaut er aus«, sagte der Vater später.

Ich führte Franz in das Zimmer, das er als Bräutigam so oft bewohnt hatte und das unverändert geblieben war, wie alle Zimmer in dem alten Hause. Er klagte, daß die Reise ihn sehr angestrengt habe, und blieb hilflos auf einem Sessel sitzen. »Ihr habt jetzt alles viel schöner«, bemerkte er, um sich blickend.

»Aber nein, lieber Franz, das kommt dir nur vor, es ist alles so, wie es war.«

»Ja, vielleicht kommt es mir nur so vor –«, nickte er. »Weil ich doch alles viel einfacher hab'. Aber ich bin glücklich in meinen Bergen, eigentlich wohn' ich ja im Walde – und die Menschen sind alle so gut zu mir – sogar das Wild, das kennt mich schon«, lächelt er. »Ich sag' dir, da ist ein Zwölfender, ein Kapitalstück – wenn den nur nicht der Erzherzog erschießt!« So sorgte er um das Wild, indes er selbst schon nahe daran war, auf himmlischem Grunde zur Strecke zu kommen. »Wenn ich mich nur schnell erholen könnt', daß ich bald wieder bei meinen Freunden, den Förstern im Gebirg sein könnt!«

»Aber sicherlich wirst du das –«, rief ich zuversichtlich. »Jetzt schlaf nur gut und erhol' dich!«

Franz sah sich wieder um. »Du, Putzi, ist das nicht das Zimmer, wo ich als Bräutigam immer geschlafen hab'?«

»Freilich ist es dasselbe –.«

»Mein Gott, wie die Zeit läuft – und ein ganzes Leben mit sich nimmt –.«

»Nicht eines, viele, alle –.«

»Bist du mir nicht böse, Putzi?«

»Nein – du hättest ja viel mehr Grund, mir böse zu sein, Franz –.« Und ich dachte daran, wie meine sterbende Mutter ihn gut und edel genannt hatte. Bei Gott, beides war er.

 

Ein Tagebuchblatt fand ich aus jener Zeit, das lautet: 27. März. Also jetzt ist er da und ist – erkrankt. Heute sollte er wegfahren, er wollte aufstehen, der Arme, und vermochte es nicht. Jetzt liegt er, ein Verzweifelter, von Schmerzen und Leiden zerquält, ein Verlorener, der dem Tode entgegenstöhnt, ein Vergessener, über den die andern längst hinweggeschritten sind – ein Drohender denen, die noch die fürchterliche Last seines Siechtums fürchten.

Sie haben seine neuen Nachthemden auf mein Bett gelegt. Was sollen seine Hemden auf meinem Bett? Ich nahm sie fort, scheu, ängstlich und trug sie ins nächste Zimmer. Ihr Anblick störte mich, Hemden, die sich über seinen abgezehrten Körper legen sollen – das eine oder das andere wird vielleicht sein – Totenhemd sein – seinen letzten Kampf, seine letzte Qual verhüllen – wird sich über den erkaltenden Körper strecken. – Mich ergreift ein Grauen vor seinen Hemden. – Ich mag sie nicht mehr sehen. Ich lege ein Tuch über sie. –

Daß er nicht gestern in den Blicken ringsum zu lesen vermochte, wie schwer – unrettbar krank er ist! Aber Kranke verlernen zu lesen.

Wie so von Zeit zu Zeit Tante Sophies Blick aufirrte vom Teller und über sein Antlitz hinglitt und seinen aufgequollenen Leib, in dem die schrecklichen Wasser ihr furchtbares Geheimnis treiben ...

»Mir geht es jetzt viel besser«, sagte er. »die Leber ist ganz gesund. – Jetzt muß ich nur schauen, daß durch eine strenge Diät die Stauungen aufhören –.«

Wieder erhoben sich die Blicke, die fremden und lauerten mit Grauen über ihn hin.

»Mein Aussehen ist ja ganz gut – und auch meine Haut – die Farbe von ihr, die ist ja nicht so, wie wenn ich schwer krank wäre – –.«

»Ja, ja, freilich«, sagt einer, dem es gerade einfiel, daß doch etwas geantwortet werden mußte. »Freilich – die Haut ist ganz rosig – ganz frisch –.«

»In paar Monaten wird sich das schon bessern, glaub' ich. Ich muß mich nur ruhig verhalten –.« Ein seltsam qualvoll aufgerissener Blick –

»Ist dir schlecht?« rief ich erschrocken.

»O nein – nur so leichte Beschwerden –.« Der Blick richtete sich in die dunkle Ecke des Zimmers, wo der Diwan steht. Jetzt erhebt sich die schwere Gestalt mit dem abgemagerten Kopf – und langsam schreitet sie dem Diwan zu und läßt sich halb liegend nieder.

»Mir is' so besser, wenn ich mich anlehn'.«

Aber seltsam schauen die Augen – so leer – so weit –.

Das war gestern abends und heute liegt er krank. Und das Haus zittert – wenn die Krankheit wüchse – wenn – wenn – – –

Er ist abgereist. Aber sein Geist lastet weiter auf dem Haus, seine schwere Krankheit. Als er fort war, empfanden wir es, wie wenn ein Toter hinausgetragen worden wäre. –

Es war eine grenzenlose Schwäche von mir, ihn einzuladen, eine jener halben Taten, in der schwache Naturen ihre halben Kräfte auslösen. Ein Seufzer zwischen Ja und Nein. Es gab nur ein versagendes Nein – oder ein alles verzeihendes Ja.

Dies Gestatten einer Rückkehr für zwei bis drei Tage war eine Qual und Marter für ihn wie für uns. Eine mißglückte Operation, weil es beim Schnitt blieb, nicht zum Wegschneiden kam und kein Heilen folgte.

Ich war feig und schwach. Es hätte hundert Gründe gegeben, ihm das Kommen auszureden. Ich wollte ihm die Barmherzigkeit gewähren, Gudrichau wiederzusehen – und ich verursachte ihm körperliche Martern durch die veränderte Kost – und seelische Qual durch den veränderten Geist, den er hier fand. Ich tat ihm und uns Arges. Niemanden Gutes.

Die Tante und ich saßen im Speisezimmer, sie beim Spiegel, ich an der Tür, wo ich nie sitze – und die Zimmer schienen so öde, wie leergestorben und wir lauschten, bis der Zug vorbeirasselte, der ihn fortführte, den meine Schwäche hergebracht. –

Lange – lange Stille – endlich dröhnte es rauschend näher. Das war der Zug. Jetzt hielt er. Jetzt mochte der Schwerkranke die Stufen hinansteigen. – Ein Pfiff – ein Rasseln, träge – schleppend, als wäre plötzlich eine schwere Last im Zug – ein Davonkeuchen – ein Verhallen in der Ferne.

Ist er auch wirklich eingestiegen? Wir sitzen und lauschen angstvoll und blicken durch die Fenster. Jetzt eilen Mägde im Hof zusammen und starren nach einem Punkt, sie scheinen erregt – sie laufen näher. –

Ich reiße das Fenster auf:

»Wonach blickt ihr – was gibt's?«

»Ach nichts – wir sehen, ob der Verwalter kommt – – Ein Aufatmen.

 

Ich liege vor Erschöpfung und Mattigkeit in meinem Zimmer und erkenne die Totkrankheit meines Lebens: die Schwäche. Ich erkenne jetzt alles. Daß er mein Wesen hingemordet hat. Daß jedes Wiedersehen mit ihm einen Rückfall in meine Schwäche bedeutet. Daß er zu Grunde gehen mußte, weil er so verschwenderisch wie träge war.

Darum zerrannen die Hunderttausende in seinen Fingern, wie Millionen zerronnen wären, darum raffte er sich nie auf zu einer Arbeit, darum blieb er die große ungeheure Last für seine Familie, darum zerdrückte er mein Wesen, bis ich den Kressen glich, die ich unter schweren Brettern beim Glashaus gesehen, wie sie durch alle Ritzen und Sparren sich drängten und in jubelnde Blüten schossen – bis mein Wesen diesen Blumen gleich durch alle heimlichen Ritzen und Sparren des Zwanges seine Zweige jagte und seine Blüten trieb.

Zum ersten Mal überblickte ich mich, wie ich mich noch nie gesehen. Aus der Vogelperspektive sah ich auf mich nieder. Und jetzt – jetzt erst fühlte ich mein Wesen losgelöst aus der morschen Wucht der alten Last und wollte zu wundervoller Kraft genesen, meiner Art ureigenste Blüten treiben in der Freiheit, die mir geblieben.

Sein Bruder war beschränkt, aber geizig und fleißig; darum hat er sein Vermögen noch vermehrt. Franz war der Begabteste aller Geschwister und dennoch war sein Untergang von allem Anfang vorbestimmt. Großmut und Güte, wenn sie den Halt der Arbeit nicht besitzen, arten aus in Verschwendung und Verschwendung bringt den Zerfall. –

 

Franz war operiert worden. Ich besuchte ihn im Krankenhaus. Er lag auf seinem Dulderbett und nickte mir leicht zu. Ich drückte ihm die Hand, setzte mich nieder und schimpfte über seine Krankheit. Das tat ihm wohl.

»Ja, das ist ein fürchterliches Leiden«, sagte er. »Wenn ich nur schon weg könnt' aus dem Spital! Ich hab' so eine Sehnsucht nach Luft. Da hab' ich mich gestern 'raus führen lassen im Wagerl, das hat mir so gut getan.«

Seine Schläfen waren eingefallen, die Stirn leuchtend weiß, die Wangen noch immer rosig. Ich streichelte sein feines Handgelenk, das so schwach war wie meines und tastete nach dem Puls.

»Willst du den Doktor sprechen?« fragte er.

»Ja – ich geh' jetzt gleich hin –.«

»So geh' –.«

Ich ging und kam mit der barmherzigen Lüge.

»Der Doktor ist sehr zufrieden, seit zwei Tagen ist eine entschiedene Besserung da«, sagte ich.

»Also er ist zufrieden?«

»Sehr zufrieden! Du mußt nur Geduld haben.«

Er schloß die Augen. »Schlaf ein bissel – ich bleib' ganz ruhig hier sitzen.«

Ich lehnte mich zurück und sah durchs Fenster. Auf dem Hügel in der Ferne standen kleine Häuschen, wie aus einem Spielkasten hingestellt. Kinder liefen einen Pfad herab – blaue und rote Röckchen flatterten.

Durch den Gang hallte Lärm, lustige Stimmen sprachen durcheinander.

»Eine Unruhe ist hier –«, sagte ich, »die könnte ich als Gesunde gar nicht aushalten.«

»Ja – das ist immer so. Ich bin nur froh, daß der Leutnant weg ist. Das war schon schrecklich, dieses Gebalze an jedem Abend mit den Wärterinnen. Hinter der spanischen Wand haben sie dort geflirtet bis tief in die Nacht, immer gelacht und geschwatzt – aber sag' nichts – ich will nicht – der Direktor möcht' einen Spektakel machen –.«

Schon lag heiliger Ernst in seinen Zügen. Ich blickte ihn nicht an, damit er den Blick nicht fühle.

»Orangen hast du da –«, sagte ich.

»Ja, vom Doktor ... Nimm dir ... nimm sie dir nach Hause.«

Ich nahm zwei in meine Handtasche.

»Nimm – nimm mehr!« bat er mit der Großmut, die ihm stets eigen gewesen – »nimm mehr!«

Noch beim Abschied bat er: »Nimm dir die Orangen – glücklich, daß er wieder schenken durfte.

»Also auf Wiedersehen! Ich bin froh, daß es dir jetzt besser geht – hab' nur Geduld!«

»Ja, Geduld muß ich halt haben –«, hauchte er, wie ermattend.

Dann ging ich.

Das waren die letzten Worte, die ich von ihm gehört. –

 

Fassungslos stand ich vor dem Entschlafenen in überquellendem Schmerz. Der Tod hatte die feinen Linien der Jugend in Franzens Antlitz zurückgerufen und zeigte so, was aus ihm hätte werden müssen, wenn er seine natürliche Entwicklung genommen hätte, die ein Weg der Schönheit und des Adels war, des rechtschaffenen Strebens in gegebenen Linien. Ein Pfadfinder war Franz nicht und darum konnte er nie ein Geschäftsmann sein. In vollkommener Verkennung seiner Wesensart hatte ihm sein Vater einen Beruf erwählt, der nicht nur seine edlen Keime in ihrer Entwicklung gehemmt hatte, sondern auch sein Leben und das jener, für die er die Verantwortung auf sich genommen, in Unglück und Wirrnis stürzte.

Wie seine Hände ihr bleiches Gerüst hoben, die Finger so spitz sich verjüngten, so leicht ruhten, selbst unter dem schweren Zwang des Todes, da zeigten sie klar: das waren keine Hände, die wehrten und schufen, drehten und hämmerten, keine Arbeitsfäuste – sondern Hände von fester bestimmter Form, die nach Schönheit verlangten, nach dem Genuß, nicht nach dem Erwerb. Und er hätte dem Genuß in bester Form zugeführt werden können, einer Arbeit, die ihm Genuß gewesen wäre: als Staatsbeamter, als Richter, würde er anderen und sich zum Segen gewirkt haben. Welche Qualen aber hatte er gelitten in dem ihm aufgezwungenen Stand des Geschäftsmannes und im Bewußtsein seiner inneren Unzulänglichkeit!

Ich übersah sein Leben, alles Harte, das er mir angetan, da er stärker gewesen als ich – und alles Böse, das ich ihm angetan, da ich stärker geworden als er. Und mir war, als reichten wir uns versöhnend die Hände und sagten uns leise, einer zum andern: Vergib mir! du hast viel durch mich gelitten – den Irrtum unseres Lebens – unsere Ehe haben wir nicht verschuldet. – Wir sind beide arm und elend durch sie geworden. Wir haben aneinander vorbei geliebt – als du mich liebtest – liebte ich dich nicht – als ich dich liebte – liebtest du mich nicht mehr – nun du mich wieder lieben möchtest – ist alles vorbei. –

So würdelos war das Begräbnis. Seine Geschwister waren alle gekommen. Sein Bruder trug einen hellgelben Oberrock – es hatte ihm nicht dafür gestanden, sich für den Tag in Auslagen zu stürzen. Die Reise kostete genug Geld und zu erben gab es nichts. Die drei Schwestern waren prächtig ausgestattet. Die neuen Trauerkleider lohnten sich, da es so viele Verwandte zu beerdigen gab. Alle Schwestern brachten kostbare Kränze, das war man dem Ansehen der Familie schuldig. – Von dem Erlös der Blumen hätte Franz drei Jahre sorglos leben können.

Anfangs flossen viele Tränen. Lilli und ich mußten immer wieder die Geschichte der Krankheit erzählen. Doch die Trauernden trösteten sich merkwürdig schnell und bald wallten die dichten Crepeschleier über heitere Gesichter. Auf der Straße lag so allerlei und zwang zum Ausweichen. Viel Volk stand an den Häusern. Ein Spalier von Kindern. Die Kleinsten riefen – » to voní – ju! to je vune –«, und schnupperten begierig an den Kränzen, die die Feuerwehr trug. In der Kirche folgte nun eine Litanei ohne Ende – gleichmäßig hoben sich die Stimmen. – Ein Beten, ein Beten! Und der arme Mensch, der nie in die Kirche gegangen, mußte jetzt die ganze Feier mitmachen, geknebelt in seinem Sarge.

Als sie ihn ins Grab senkten und der Priester in seiner Rede sich der Zitate lateinischer und englischer Schriftsteller bediente, empfand ich mit tiefem Schmerz – alles war falsch diesem Toten gegenüber, alle Tränen, die Kirchenluft selbst und der Weihrauch.

Nach Natur schrie seine Seele. Nur ein Kranz mit dem Gruß: »Weidmannsheil!« stimmte zu dem Entschlafenen. Mein roter Kamelienkranz lag über ihm, als drückten sich rote Küsse auf seine Lippen. Lilli bekam plötzlich einen Lachkrampf – es schüttelte sie vor all dem Wirren und Falschen, ihr Körper bebte, sie preßte das Taschentuch an die Lippen.

Ich aber fühlte nichts, grauenvolle Leere war in mir. Der Tote ist etwas Abgefallenes, wie weggeschnittene Nägel, wie weggekämmtes Haar. Es greift keine Hand vom Toten nach dem Lebendigen – und das Lebendige wendet sich ab vom Toten. Nur was er uns war, lebt weiter in uns. Darum vergessen wir so schnell und so völlig die vielen, die uns nichts bedeuteten.

Von Blumen überschüttet ruhte das Grab, ein Hügel von Palmenblättern, verwelkten Nelken und Rosen wölbte sich über ihn – und ich sah nur die leere Fläche, die der Hügel deckte. – Dort unten ruhte im schwarzen Sarg ein wachsbleicher Mann – das wußte ich, aber es sagte mir nichts. Mir krampfte sich das Herz nicht zusammen bei dem Gedanken, daß jene Arme in der Tiefe sich einst um mich geschlungen, daß jene toten Lippen mich einst geküßt – das alles war verweht, als wär' es nie gewesen. Mit dem Hügel hatte es nichts gemein. Der Geist des Toten aber lebte in mir. Und darum lebte auch die Vergangenheit.

Meine Freunde und Freundinnen versicherten mich alle ihrer aufrichtigen, herzlichsten und innigsten Teilnahme. Da ich seit der schweren Erkrankung meines Mannes, also seit Monaten, innerlich völlig einsam gelebt hatte, kam mir nun das Beileidsgemurmel vor wie das ferne Wogenrauschen eines fremden Meeres. Ich lauschte dem Schall, doch ich verstand ihn kaum. Und ich blieb dem Meere fern.

Die Telegramme und Briefe und Kundgebungen eines Mitgefühles, das keiner empfand, erwiderte ich mit Briefen und gedruckten Karten. Das einzige Wertvolle an solchen Austausch höflicher Gesinnung ist oft nur der Verdienst, den der Kartendrucker gewinnt.

Wie wenig im Grunde einem jeden die Gesellschaft bedeutet, das zeigt sich in der Form solchen Dankes. Und doch ist es nicht möglich, daß die Gesellschaft beim Tode eines ihrer Mitglieder mehr als eine leere Höflichkeit bezeugt; wollte sie echte Tränen weinen, sie käme zu keiner Heiterkeit mehr und der Frohsinn bleibt doch immer ihr erster Lebensgrundsatz, die Bedingung ihres Bestandes.

In einer dumpfen Verzweiflung schrieb ich Verse über Verse nieder. In ihnen löste sich mein nun emporquellender Schmerz.

Ich weiß, wer dich am treuesten geliebt.

Ich weiß, wer dich am treuesten geliebt,
Die Kinder nicht und nicht der Diener Scharen,
Und nicht die Dirnen, die dir eigen waren,
Und nicht der Freund, der oft dich schwer betrübt.

Auch nicht die Bettler, die bei deiner Pforte
Niemals vergeblich flehend dein geharrt,
Und nicht die Brüder, die dich gern genarrt,
Dich liebten nicht der Gattin leere Worte ...

Doch andre weiß ich und ihr Geisterzug
Hetzt wild an mir vorbei mit tollem Kläffen
Und heult und wittert, will dich wieder treffen,
Dem er des Waldes liebste Beute trug.

Schlug deine Hand auch manchem eine Wunde,
Er kam doch winselnd zu dir hingekrochen,
Hat keiner jemals dir die Treu' gebrochen –
Die so dich liebten, waren deine Hunde!

Der Schmerz um meinen Mann wuchs in mir. Er heiligte und klärte mein Wesen. Mir war es oft, als liebte ich ihn jetzt, wie ich ihn als Braut geliebt, mit der gleichen Tiefe, der gleichen Kraft und einer keuschen Sehnsucht. Alles Häßliche, das sich zwischen uns gestellt vom ersten Augenblick der Ehe war hinweggeweht wie ein trüber Nebel. Keine Schuld mehr stand zwischen uns, nur die Reinheit einer süßen Empfindung. Der Tod hatte mir den Mann wiedergegeben, den ich mit wirklicher Innigkeit geliebt. Er war nun meinem Herzen ganz nahe, seitdem er meinen Augen entrückt blieb. Ich erkannte, daß der Mann, dem die Jungfrau sich hingegeben hat, für alle Zeit ihres Lebens eine bestimmende Macht über sie behält.

In meine Träume kehrte Franz immer wieder und immer in seiner jungen, blonden Mannesschönheit. Nie zeigte er sich mir, wie er in späteren Jahren ausgesehen hat, mit manchem scharfen Zug und einem Blick, der nichts Liebes mehr hatte und einem Lächeln, das allen Zauber verloren.

Dieser Mann war gestorben, der andere aber lebte immer köstlicher in mir auf.

 

10. September.

Die Natur bleibt nichts schuldig. Fällt der Regen nicht früh, dann fällt er später – war der Sommer kühl, bringt der Herbst die Wärme.

Und auch das Leben bleibt nichts schuldig. Gibt es die Tränen am Anfang, so bringt es das Lächeln zum Schluß – zumeist aber verteilt es Tränen und Lachen in gleicher Weise.

Die Natur kennt keine Reue, nur ein neues Schaffen. Sie verweilt nicht bei dem Vergangenen, sie sorgt für das Kommende.

Einen tiefen Blick in das Leben der Menschen gab mir das Studium der Natur. In ihr sehe ich die großen Symbole für Menschenglück und Menschenweh, – weil eben der Mensch ein Stück Natur ist und die Natur die Menschheit umfaßt. – – –

 

Ich stand nun allein da neben meinem Vater und besann mich auf mich. Ich begann den Mann mit gleichgiltigen Augen anzusehen, denn ich hatte nicht Lust, mich selbst zu betrügen. Und einen andern gab es nicht mehr zu hintergehen.

Und auch mich sahen die Männer mit gleichgiltigen Augen an. Es ist merkwürdig, wie sehr eine Frau reizt, so lange sie der gesetzlich geschützte, verbürgte Besitz eines andern ist – und wie sehr die Herrenlose zur Vorsicht mahnt.

Eine Witwe ist etwas Gefährliches, der kleine Teufel in der verschlossenen Schachtel. Drückst du auf den Deckel, fliegt er dir an den Hals und du hast vielleicht Mühe, ihn los zu werden.

Erst als ich Witwe ward, hörte der Mann für mich auf, Zauberer zu sein. Wenn er mir von Liebe flüsterte, sah ich ihn verwundert an, – mir war, als rede er eine Sprache, die ich nicht verstand. Ich glaubte keinem. Es ging mir mit den Leidenschaften wie unsern Gästen mit den Klingeln. Den Leuten im Haus fiel es nicht ein, einem Klingeln zu gehorchen, sie dachten sich, es hört von selber wieder auf.

So ließ ich die Herzen nach mir klingeln und dachte mir, sie hören ja von selbst wieder auf. Und so war es auch.

Wohl fühlte ich manchmal eine Glutwelle über mich hinschlagen und heiße Lieder entquollen meiner bewegten Seele, aber nie wieder habe ich die Tiefe zartester Hingabe empfunden, wie ich sie mit unermeßlicher Demut meinem Mann geboten und nie wieder die brennende Leidenschaft, wie sie mich Alphons Kollins zu Füßen geschmettert hat.

 

28. September.

Das Unkraut wuchert im Garten und duftet von heimlicher Verderbnis. Die Überreife bringt die berauschendste Süße mit dem Verfall. Der Boden öffnet die hungrigen Lippen, um in sich aufzunehmen, was da goldig von den Ästen herabsinkt.

Ein lockender Hauch der Fäulnis strebt vom Boden empor, als riefe er die runden, wangenfrischen Früchte zu sich nieder. Das mag ein heimliches Werben sein in stillen Mondnächten, ein Sehnen und Beugen, ein Locken und Rufen ... Das mag ein heimliches Ächzen sein, ein Brechen und Seufzen, ein Schaudern und Zittern ... Zu viel Reichtum macht arm. – – –

 

Lilli lebte in Paris, versenkt in ihre Studien, im Hause eines berühmten Meisters, der die junge begabte Schülerin in seine Familie aufgenommen hatte und seinen Töchtern gleich hielt. Eines Tages ging es wie ein Feuer durch das Haus: »Lilli kommt!«

Und als sie kam, war es, als wären alle Räume mit Licht gefüllt. Zwei Nächte und einen Tag war sie gereist und blickte doch voll Frische.

Man fühlte sofort ein Wesen von starker Willenskraft vor sich, von beherrschter Zucht und jener ruhigen Stärke, die der Hauch der großen Welt gibt.

»Es ist unglaublich«, sagte sie. »Sobald ich hier in diesen Zimmern bin, glaube ich, die Gouvernante wohnt hier und ich muß üben gehen. – Alles ist ausgelöscht, was ich seither getan. Ich verstehe gar nicht den Zusammenhang mit meiner Kunst. Das Bild, an dem ich jetzt monatelang arbeite, ist ganz vergessen – von dem weiß ich nichts mehr. – So reißt die alte Umgebung Einen wieder in die alten Gedanken und Empfindungen zurück.« Einem jungen Baum glich sie, der frei sich entwickelt und nicht verkümmert an jener Seite, wo das Haus steht, das ihn zu schützen meint.

Dem Vater war sie zu mager und der Tante zu gescheit.

Sie sagte nichts, aber ihren schwarzen Funkelaugen sah ich es an, wenn sie prüfend über Lilli glitten und wegschauten, sobald Lilli irgend ein besonderes Wort sagte ...

»Du mußt jetzt trachten, daß du zehn Kilo zunimmst, damit du nach 'was ausschaust«, meinte der Großvater. Der Landwirt sprach aus ihm, der die Kälber gern bei Fleisch sah. Dick zu werden wünschte Lilli sich gar nicht.

Sie lebte in ihrer Arbeit. Unsere Gesellschaft suchte sie nicht allzu oft auf. Am liebsten war sie allein.

Wir hatten Sommergäste, Freunde und Verwandte meines Vaters. Eines Abends sagte mir Lilli:

»Wenn ich mich zu Tisch setz', denk' ich immer: Zwölf Personen! Wie viele gescheite Menschen könnten dabei sein in dieser Ziffer!« ...

»Es ist auch jeder gescheit in seiner Art –«, erwiderte ich.

»Du bist nachsichtig!« sagte sie, verwöhnt durch die geistvollen Männer und Frauen, die im Hause ihres Meisters verkehrten und deren Gesellschaft sie mitgenießen durfte. »Heute hab' ich übrigens eine herrliche Stunde des Alleinseins gehabt. Vor dem Haus. Aber der Genuß ist nicht recht zur Entfaltung gekommen, denn ich hab' jede Weile irgendwo Schritte gehört ... Dann hab' ich jeden gefragt, wohin er spazieren geht und bin dorthin gegangen, wo keiner war. Die andern haben sich unterwegs gefunden und waren selig ... Diese Menschen müssen immer mit andern zusammen sein, das tut ihnen wohl. Weil jeder von sich besser denkt, als er es wert ist, so hält er immer den andern für dümmer als sich selbst.«

Lilli hatte sich stark von uns weg entwickelt.

Ich hatte ihr ein geräumiges Atelier im Garten vorbereitet, neben der fünfhundertjährigen Linde. Sie heiligte es, indem sie keinem Menschen den Eintritt gestattete, außer jenen, die sie zur Sitzung berief.

Vormittags malte sie, nachmittags nähte sie zur Erholung der Nerven und ließ sich aus der Bibel vorlesen, um einen großen Stil in ihre Werke zu bekommen.

Oft las ihr ein Pudel vor. Das war einer der jungen Dichter, die stets bei uns zu Gaste waren im Sommer. Manchmal las sie und er hörte zu. Der Zuhörer nahm unbewußt irgend eine gekrümmte Stellung ein, wenn das archaistische Empfinden in ihm überströmte und glich dann einem der Auswüchse der Phantasie ursprünglicher gotischer Künstler.

Ein Pudel war Lilli gar so sympathisch, ein Student aus Graz. »Sie haben einen Riesenschädel«, sagte sie ihm bewundernd, »und Zähne wie eine Bürste. Ihre Augen sind tief in den Höhlen und Ihre Lippen sieht man nicht.« Er war der vollendete Wasserspeier.

Im Atelier Lillis hoben sich Binsen, lagerten abgelegte Polster. Nie lud Lilli einen Gast zur Ruhe ein. Einer hatte sich verstohlen ins Atelier geschlichen, den warf sie hinaus.

»Sie müssen sie verstehen«, sagte ich entschuldigend, »sie will sich erst den Genius loci schaffen –.«

Der Genius loci, den sie züchten wollte, war jener der Einsamkeit. Darum ließ sie niemand zu sich ein. Das Atelier sollte verwachsen in die Wildnis des Gartens, sie wollte darin hausen wie der Klausner in der Höhle, wie die Nymphe in der Grotte.

Etwas ganz Fremdes war um sie, wenn sie im Garten stand mitten unter den blühenden Blumen, im hellen Kleid, einen roten spanischen Seidenschal über die Schultern geschlungen, zwei gelbe Dahlien hinter den Ohren, wie die Geishas sie tragen. Ihr Gesicht war bleich mit wunderbar feinen Linien, die Augen schienen groß und dunkel, die Lippen so schmal, als waren sie zu fein, um geküßt zu werden, das Kinn zeigte die klassische Rundung der Kameen. Wie schön sie war – wie ein Märchen aus 1001 Nacht – wie ein lockendes Geheimnis. Doch wehte eine scharfe Kühle um das Geheimnis.

 

Offiziere kamen und Regierungsbeamte und Künstler. – sie flogen herbei wie die Motten zum Licht. Tante Sophie hatte keine Freude an den Gästen, denn sie blieben stets bei den Mahlzeiten und vermehrten die Arbeit. Der alte Diener Franz schimpfte weidlich, weil sie keine Trinkgelder gaben, doch der Großvater liebte sie. In jedem sah er einen Freier für seine Enkelin und wog die Männer im Geiste auf der Fläche seiner Rechten ab.

Die Regierungsbeamten wogen am schwersten, denn sie hatten eine gesicherte Zukunft; die Offiziere ließ er noch allenfalls gelten, wenn sie nicht leichtsinnig waren und verschuldet, doch von den Künstlern hielt er gar nichts. Kam aber einmal ein lediger Industriedirektor, dann kannte das Entzücken meines Vaters keine Grenzen. Alle irdischen Tugenden dichtete er ihm an und sagte ganz offen zu Lilli:

»Das wär' mir schon der liebste Mann für dich!« worauf die Enkelin entrüstet aus dem Zimmer lief. Sie dachte gar nicht an einen Mann und fühlte nur, daß sie auf einem Sterne lebte, der von der Welt des Großvaters himmelweit getrennt war.

»Aber Vater, Lilli ist doch erst siebzehn Jahre alt –«, bat ich begütigend.

»Früher hat man mit sechzehn geheiratet und es war ganz gut«, behauptete er.

Lilli sagte mir: »Der Großvater will nur wieder einen Mann im Hause haben – es ist ihm zu langweilig mit uns Weibern. Weißt du was, – heirate du!«

»Aber Kind, ich bin doch ein Mann. – Ich bin doch Prokurist!« rief ich entrüstet.

 

21. August.

Sommer! – jubelt der Himmel. – Sommer! – rauschen die Bäume. Die Käfer summen, die Blüten nicken, die Schmetterlinge gaukeln es in die Luft. Eine stille leuchtende Schönheit ist über die Welt gegossen.

Wie hold ist es, so still im Grase dazuliegen und zu träumen! Bette die Stirn tief in die Gräser und spüre den zaubervollen Düften nach – wie sie heiß und geheimnisreich aufströmen zu dir. Ein Summen und Schwirren um dich von liebeglühenden und hungrigen Insekten, die von Blüte zu Blüte jagen und über jeder in den Lüften zu stehen scheinen ...

Unter dem Tulpenbaum darfst du liegen, den Kopf dicht an den Stamm geschmiegt und hinaufblicken in die Zweige, so lange, bis du dich eins fühlst mit den Baum, als wär' er hinausgewachsen aus dir in eine Fülle von Leben und streckte segnend die Arme über dich. Du aber fühlst dich seine Wurzel, die ihn trieb, trägt und hält.

Und statt des Baumes stelle dein Kind über dich, dein großgewachsenes Kind – laß es die Arme ausstrecken und du fühlst es wie einen jungen, kraftvollen Baum über dir, der mit seinen Zweigen und Ästen dich schirmend beschützt.

Du aber bist seine Wurzel, aus der er hinauswuchs, die ihn trieb, trägt und hält. – Du bist seine Wurzel – der Quell seiner Lebenskraft. Vergiß das nie, wenn auch er es hundertmal vergißt ...

 

»Weißt du, Lilli, mit der Liebe ist das so eigen. Die meisten Menschen glauben, jeder kann lieben. Das ist nicht wahr. Zur Liebe muß man erzogen sein«, sagte ich ihr eines Abends, als ich in ihrer Schlafstube saß, während sie das Goldgespinst ihres Haares löste.

»Schule – Schule!« lachte sie.

»Nicht Schule – aber direkte Erziehung. Zur Liebe braucht man die Fähigkeit des Sichsammelnkönnens.«

»Muß furchtbar langweilig sein und steht gar nicht dafür – – –.«

»Das verstehst du noch nicht! Die Griechen waren sehr klug. In die eleusischen Mysterien wurde man nicht gleich aufgenommen, zu denen mußte man sich erst lange vorbereiten. Und so sollte man sich auch zur Liebe vorbereiten.«

»Um irgend einen dummen Kerl zu lieben! Aber Mama, gibt es denn einen Menschen, der es wert ist, daß man sein ganzes Innere auf ihn schüttet? Ich kenne so viele – so viele – und alle sind gleich. Alle habe ich gleich durchschaut und dann langweilen sie mich. Ich behandle sie alle schlecht und das ist das Merkwürdige, jeder kommt sich so rein vor, wenn er mit mir spricht. Sie schütten mir ihre Herzen aus und das ist entsetzlich langweilig! Sie reden immer dasselbe. Einen riesigen Respekt haben sie vor mir. Der Beschränkteste von ihnen, der Fedor, ist der einzige, dem manchmal in seiner Dummheit ein gescheites Wort einfällt. Er glaubt dann, daß er einen Spaß gemacht hat und ist sich dessen gar nicht bewußt, daß er die Wahrheit sagte. Das unterhält mich dann. Ich bin gar nicht kokett mit ihnen, mit keinem. Ich geb' ihnen nur gute Lehren.«

»Mit der priesterlichen Gebärde deiner Hand ...«

»Am liebsten von allen hab' ich noch den Walter, den hab' ich wirklich gern, vielleicht weil ihn alle verachten und weil er keinen einzigen Freund hat, also aus Widerspruchsgeist.«

»Und hereinfallen wirst du einmal schrecklich und dich in ein paar hübsche Augen verlieben ...«

»Oho! Der Mensch liebt nur einmal!« sann ihre Mädchenhaftigkeit vor sich hin. »Es gibt ja Blumen, die jeden Monat blühen, an denen ist nie etwas dran. Die dort an der Ampel – wenn die einmal zu blühen anfängt, hat sie jede Weile eine neue dumme Blüte – Aber da lob' ich mir die Aloe. Wirklich stolze Menschen sind wie die Aloe. Die blüht nur einmal – dann stirbt sie. Sie ist wie ein einsamer Mensch –.« Sie ließ die gelben Schlangen ihres Haares durch die schmalen, langen, weißen Finger gleiten. »Der Mann, den ich einmal lieben werde, ist zu beneiden.«

»Wer sagt das?«

»Ich! – Aber wer weiß, ob ich noch lieben werde. Vielleicht hab' ich schon geliebt, wie ich ein kleines Kind war ...«

Eines Nachmittags kam ich zu ihr.

Sie schrieb einen Brief. Ich habe sie nie mit Fragen gequält. Meine Mutter hatte mich zu streng gehalten und dadurch nur erreicht, daß ich sie hinterging. Ich wollte nicht hintergangen werden.

Als ich eintrat, hob Lilli den Kopf. Unsere Mütter haben darauf geachtet, daß wir aufstanden, wenn sie nahten, – so kleinlich sind wir nicht. Wir geben unsern Kindern alle mögliche Freiheit, auch jene des Sitzenbleibens.

Ich ließ mich auf den Schaukelstuhl nieder, neben ihrem Schreibtisch.

»Ich will dir nur schnell sagen«, begann ich, um sie auf die Kürze meines Besuches vorzubereiten, »worin du erkennen kannst, daß du liebst.«

Sie sah mich befremdet an und lächelte. »Ja – Mama – wie kommst du denn darauf?«

»Ich denke mir eben, es ist recht schwer für so ein armes, junges Mädel, sich über sich selbst klar zu werden und darum will ich dir einen Wegweiser geben.«

»Also wie lautet der?« fragte sie belustigt.

»Meine liebe Kleine!« fuhr ich gönnerhaft fort. »Was du jetzt für diesen oder jenen empfindest, ist gar nichts wert. Erst wenn du dir darüber klar bist, daß hinter dem Kopf dieses Mannes die Welt für dich zu Ende ist – erst dann liebst du ...«

»Aber Mama – das werde ich mir doch nie denken«, sagte sie mit großer Entschiedenheit.

»Wieso?« fragte ich verblüfft.

»Weil so eine verrückte Liebe ein Unsinn ist. Wie kann hinter einem Mann für mich die Welt zu Ende sein. Wie kann ein Mann für mich die Welt sein? Nein, solche Übertreibungen sind mir verhaßt. So aufgeben werde ich mich nie.«

Ich war starr. Die Liebe, wie sie mein Leben bestimmt hatte, galt dem Kinde nichts.

»Ich begreife überhaupt nicht wie ein Mädchen sich derart erniedrigen kann, den Mann so hoch zu stellen! Als ob ein Mädchen nicht viel mehr wert wäre als ein Mann. Die Lieder von Chamisso sind mir immer unausstehlich gewesen. Ich hab' kaum schreiben können, da war ich schon wütend über sie. ›Er, der Herrlichste von allen – –‹.«

Ich ward immer entsetzter. Chamisso – mein Liebling, seine »Frauenliebe und Leben« hatte ich nachgebetet. Da gab es keinen Vers, den ich nicht auswendig wußte.

»Aber Lilli!« rief ich. »Ist das vielleicht nicht herrlich, wenn man fühlt:

Seit ich ihn gesehen
Glaub' ich blind zu sein – –.«

»Ja, und:

Wie hat er doch unter allen
Mich Ärmste erhöht und beglückt!

das ist so fürchterlich, daß ich überhaupt nicht begreife, wie das ein Dichter schreiben konnte. Aber strafen möchte ich das Mädchen, das so empfindet – –.«

»Lilli!«

»Gewiß, das ist mein voller Ernst. Jeder Mann steht so tief –«, sie zeigte am Boden die Höhe an – –, »unter einem Mädel – aber natürlich, wenn sie solche verrückte Lieder singen, dann müssen sie die Männer eitel und eingebildet machen. – Gerade so schrecklich ist es, wenn die Männer vor Frauen knien und sie anbeten. Denn die Frauen verdienen das nicht. Und es ist auch gar nicht notwendig.«

»Notwendig ist es gerade nicht, doch die Männer empfinden es.«

»Man soll nichts empfinden, was so übertrieben ist. Wenn man aber schon solche Stimmungen hat – denn die hat ja vielleicht jeder – dann soll man sie wenigstens niemanden verraten und sie ganz für sich behalten. In Stimmungen, in denen man alles so verstärkt fühlt, soll man keine Briefe schreiben, oder, wenn man sie schreibt, soll man sie nicht abschicken. So tue ich es. Ich schicke nie einen Brief fort, den ich nicht ruhig geschrieben habe.«

»Aber Lilli – woran willst du denn erkennen, daß du liebst?« fragte ich.

»Das weiß ich nicht. Aber sicherlich nicht daran, daß die Welt für mich ein Ende hat hinter einem Mann.«

 

23. August.

Wie in der Wärme die Adern glühen und die weiße Haut durchleuchten! Feiner ist sie als die Haut der Blumen. Die blauen Lebensadern durchschimmern sie gleich Geheimnissen. Wie sie sich streckt und einbiegt, atlasglänzend oder pfirsichmatt, immer ist sie Schönheit, Atem, Hauch, Leben.

Einmal vor undenklichen Zeiten mögen die keuschen Frauen und Jungfrauen einer heimlichen Sehnsucht gefolgt sein – sie verließen ihr Lager in leuchtenden Mondnächten, traten hinaus in die schlummernden Haine, ließen die Hüllen fallen und wie lichte Blumen, der Erde entsprossen, wiegten sie sich leise, hoben die weißen Arme und schlangen wonnige Reigen ... Die Menschen, die sie sahen, nannten sie Nymphen und Göttinnen, denn sie ahnten nicht, daß ein irdisch Weib solche Fülle an Schönheit und Anmut offenbare. Weil aber die Menschen in allem töricht sind, selbst in ihrer Bewunderung, erfanden sie Schleier und auf ihren Bildern ließen sie sie dorthin flattern, wo der Menschenkinder keuscheste Schönheit blüht. – – –

 

Ich mußte nun öfter nach Wien fahren und unsere Firma bei den Sitzungen des Spiritukartells vertreten. Es machte mir Freude, Mannesarbeit zu tun und meine Erfolge brachten mir die Zufriedenheit des Vaters, der mich oft noch des Nachts nach meiner Rückkehr in sein Zimmer rufen und sich von mir berichten ließ. Ich tat es mit froher Lebendigkeit und spielte ihm die ganze Sitzung vor mit Reden und Gegenreden. Das unterhielt ihn köstlich.

Eines Tages traf ich im Vorzimmer des Sitzungssaales Alphonse Kollins. Wir sahen einander überrascht an und schüttelten uns warm die Hände. Sein Haar war spärlich geworden, aber der Blick der großen Augen hatte den gleichen Glanz wie einst.

»Sie hier, gnädigste Frau? Welche Überraschung!«

»Überraschter noch bin ich, Sie bei einer geschäftlichen Enquete zu finden!«

»Ja, meine Gnädige, man muß sich jetzt seinen Geschäften zuwenden. Die Zeiten sind ernster geworden, wir müssen den Karren selbst kutschieren und können uns leider nicht mehr so ganz dem frohen Genuß des Lebens hingeben wie einst –.«

»Gott sei Dank!« rief ich. »Denn dadurch haben wir gewiß große Vorteile gewonnen, nicht nur äußerlich, sondern auch in der Entwicklung unseres Charakters und unseres Besitzes!«

»So ernst geworden?« lächelte er.

»Ja, sehr ernst«, lächelte ich zurück. Wir gingen in den Saal und saßen getrennt, was mir lieb war. Denn immer noch verwirrte mich seine Nähe.

Der alte Präsident Doktor Stern eröffnete die Sitzung und gab einen Bericht über die augenblickliche Lage auf dem Markte. Seine Augen schauten wie verschleiert und doch war sein innerer Blick von durchdringender Schärfe und er vermochte aus der Vergangenheit und den Merkmalen der Gegenwart mit untrüglicher Sicherheit auf die Zukunft des Geschäftszweiges zu schließen, mit dem er sich eben beschäftigte. Sein Gesicht wies scharfe Falten auf, seine Gestalt war dürr. Zur Linken saß mit dem glattrasierten Gesicht eines englischen Diplomaten sein junger Advokat, der sein Neffe war, zur Rechten der Vizepräsident, sein Sturmbock genannt. Er war der Puffer zwischen zwei Staatengruppen, dem Präsidenten mit seinem Anhang und den Industriellen. Der Präsident ließ seine Anträge durch seinen Vertrauten einbringen, den Sturmbock, und ließ die ihm nicht genehmen Wünsche der Gegner durch den Sturmbock abweisen, ehe er sein Wort in die Wagschale warf. Ich hatte das Intrigenspiel längst durchschaut und machte später Baron Kollins, der hier noch Neuling war, darauf aufmerksam.

An der langen Tafel saß ich zwischen den Männern so vertraut, als wäre ich zeitlebens eine Geschäftsfrau gewesen und nicht einst die – Grande Amoureuse.

An jenem Tage verteidigte ich die Angelegenheit meines Vaters gegen eine Anzahl erbitterter Gegner, die den alten Herrn zu schädigen trachteten in lang erworbenen Rechten. Kollins nickte mir freudig zu. Beim Fortgehen begleitete er mich und sagte: »Ich beglückwünsche Sie, gnädigste Frau. – Das also ist aus der kleinen Frou Frou geworden? Solch ein kämpfendes Weib? Ich hätte es nicht für möglich gehalten. Doch es ist wahr, Sie hatten manchmal kleine Anfälle von Energie, die mich Schlimmes ahnen ließen ... Sie werden hier Ihre Sache gewinnen, daran ist kein Zweifel. Sie haben Ihr Recht eindringlich verfochten und dazu geschickt versteckte Drohungen ausgesprochen. Die wirken besser als daß Recht. Ich habe gestaunt – Wo hat sie das alles her, die kleine zarte Frou-Frou? Gott, wenn ich an Ihren kleinen Finger unter dem schweren Rubin denke – hat sie noch den Ring? Ach ja – sie hat ihn – und so viel Schönes dazu! Aber nachdenklich ist sie geworden –.«

»Nur heute«, sagte ich, »als Prokuristin –.«

»Prokuristin? Alle Wetter – da muß man Respekt vor Ihnen haben –.«

»Den haben auch alle –.«

Kollins und ich trafen uns nun öfter bei den Sitzungen in Wien. Es war wie ein Hohn auf die zarte Vergangenheit unserer Liebe. Eines Tages bekannte mir Alphonse: »Ich habe mir ein Haus gebaut an der Stelle der alten Eiche, die unsere Briefe bewahrte – so tief und unauslöschlich war mein Erinnern an dich –.«

Es rührte mich tief – vielleicht war meine Liebe, die heftiger gebrannt hatte als die seine, eher erloschen. –

Unsere Gespräche hatten einen tiefen Zauber für uns beide, das wußten wir. Holde Erinnerungen erwachten und umspannen uns. Jeder staunte das gute Aussehen des andern an und sah in ihm beglückt die Züge, die ihn einst entzückt und beseligt hatten.

»Eigentlich habe ich nie aufgehört dich zu lieben«, sagte mir Alphonse, als er mich eines Abends in mein Hotel geleitete. »Hier an dieser Stelle war es, kleine Frou-Frou, – wo du mich im Wagen warten und maßlos leiden ließest – weißt du es noch?«

Und ob ich es wußte. Ich konnte vor Bewegung gar nicht sprechen, ich nickte nur.

»Sag' mir, bist du damals wirklich bei der Schneiderin gewesen und nicht bei dem Brück, auf den ich so eifersüchtig war?«

»Wirklich bei der Schneiderin –.«

»Heute glaub' ich es dir. Sonderbar, du bist glaubwürdiger geworden. Ich vertraue dir willig. Der Geist der Arbeit hat dich auf eine hohe Stufe gehoben. – Und doch bist du so süß wie je. Weißt du, daß ich große Lust habe, dich zu küssen –.«

»O nein –«, rief ich und wich erschrocken zurück.

»Nein? Du willst kein Liebchen mehr sein? Willst du vielleicht geheiratet werden? Auch dazu bin ich bereit –.«

Er blieb stehen und sah mir in die Augen.

»Nein, Alphonse«, sagte ich, »ans Heiraten denke ich nicht.«

»Das kann dein letztes Wort nicht sein. – Wäre Franz nicht mein Jugendfreund gewesen, hätte ich dich ihm damals entrissen!«

»Wer weiß, ob ich mich ihm hätte entreißen lassen. Eine Frau kann einen Mann noch so sehr lieben, – eine seltsame Macht hält sie für immer an den gefesselt, der sie zum ersten Mal bezwungen und ihre Magdlichkeit geraubt hat.«

Eine Wehmut erfüllte mich, so tief, daß sie sich in Schönheit wandelte. Ich wollte mich keinem Mann mehr beugen. Ich fürchtete die Ehe, ihren Alltag. Ich fürchtete, daß alles, was köstlich gewesen in unserer Liebe, ihn nicht überwinden könnte und allen Zauber verlöre. An manchen Tagen hatte ich keine Zeit zu hochfliegenden Gedanken – das würde Alphonse verdrießen. Wir würden zwei gequälte Menschen sein. Ich hatte mich umgestellt zur Arbeit und ich war glücklich. Die Entfaltung der größten einem innewohnenden Energie, das ist Glück. Liebe ist auch eine Energie, die höchste vielleicht, deren der Mensch fähig ist – darum beseligt sie so unendlich. Sie ist Gefühl, doch Arbeit ist Kraft.

Das Gefühl ist an die Zeit gebunden, nicht so die Kraft. Die Liebe nützt sich ab, nicht so die Kraft. Sie verstärkt sich mit den Jahren. Auch der Geist hat Muskeln, die sich immer mehr stählen. Es gibt geistige Akrobaten. Ich sagte ihm das alles.

»Und solch eine geistige Akrobatin sind Sie wohl geworden, kleine Teufelin?«

»Noch nicht – aber vielleicht werde ich es. Ich habe keinen Raum mehr für die Liebe und ihre Enttäuschungen – ich denke über sie hinaus –.«

»Schade, es war so schön, sich in sie hineinzudenken, zu fühlen.«

»Jedes Lebensalter hat sein Glück. Meine polnische Freundin sprach stets von den Frauen, die um zwei Uhr die Mittagsstunde suchen und unglücklich sind, sie nicht zu finden. Zu diesen Frauen will ich nicht gehören, ich schreite fröhlich in den Nachmittag hinein und später ruhig in den Abend, in die Nacht.«

»Sie sind eine tapfere Frau«, sagte Alphonse.

 

25. August.

Die wahre Größe findet der Mensch nur in der Einsamkeit. Darum sind Propheten in die Einsamkeit gezogen, wo die Götter in feurigen Büschen sich ihnen offenbarten – und dort haben sie die erhabenen Gefühle gefunden und große Gedanken von der stillen Klarheit des Himmels abgelesen und sie aus der Weite der Natur geholt. Nur in der Einsamkeit wurde jene Gewalt ihnen zuteil, die sich die Geister dienstbar macht.

Kein Religionsstifter hat seine Weisheit aus dem Buch der Geselligkeit gelesen. – – –

Das große Leben von Paris hatte auf Lilli in vieler Hinsicht erzieherisch gewirkt, vor allem war ihr Blick geschärft für die Mängel des alten Heimes und wohl auch für die seiner Bewohner. Sie begann zu tadeln, zu kritisieren. Ich empfand das wohl mit leisem Mißbehagen, doch meine Liebe zu ihr war so groß, daß ich gefügig, ja dankbar hinnahm, was ich hätte rügen sollen. Bald fand sie hier, bald dort etwas auszustellen, empfahl tiefgreifende Veränderungen, nannte geschmacklos, was uns lieb war, und suchte einen fremden Stil in unsere trauten althergebrachten Gewohnheiten zu bringen.

Da besann ich mich und erkannte, daß aus Lilli eine neue Zeit sprach, die nicht übel Lust hatte, die alte zur Seite zu schieben und vorzeitig das Zepter an sich zu reißen. Sicherlich weiß sie vieles und manches besser, aber ich sagte mir, wir, die wir festgegründet in unsern Tagen stehen, dürfen unsere Selbstbestimmung uns nicht verkleinern lassen. Was hätte noch Bestand, wenn wir uns so erniedrigen würden, jenen, die aus uns hervorgegangen, das Recht einzuräumen, unsere Mängel zu tadeln, unsere Richtung zu ändern und kleiner Fehler wegen die Bedeutung unserer Taten zu schmälern? Denn nicht nach der Zahl unserer Fehler sind wir abzuschätzen, sondern nach der Wirkung unserer Werke.

Schmerzvoll dachte ich daran, meine Tochter könnte sich einst dieser Heimat entfremden, aber stark blieb mein Glaube, daß sie zu ihr zurückfinden würde, und ich beschloß, wenn ich Enkel haben sollte, sie in der Liebe zur Scholle zu erziehen, die ihre Urväter gehütet und beschützt haben. Denn die Zersplitterung eines Geschlechtes hängt tief zusammen mit der Zersplitterung seiner Scholle.

Sonderbar, wie sich im Laufe der letzten drei Geschlechter die Schranken zwischen Eltern und Kindern verändert haben. Mein Vater war in völliger Unterwürfigkeit aufgewachsen und hatte seine Eltern nicht einmal duzen dürfen. Jede Anmaßung einer Kritik an ihren Taten wäre auf das Schärfste zurückgewiesen und geahndet worden. Zwischen mir und meinen Eltern war schon eine Vertraulichkeit aufgekommen durch das gestattete Du, aber noch hielt Liebe und Bewunderung die Grenzen lebendig. Nie würde ich ihnen unehrerbietig begegnet sein.

In den Kindern von heute aber haben wir unsere Richter gefunden und spüren ihren Willen, uns zu unterjochen. Vielleicht beherrscht eine Regel das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Je leichter und sorgloser das Leben der Eltern hinfloß, um so geringer entwickeln sich Zuneigung und Ehrfurcht in den Kindern. So mag in der starken pflichterfüllten Arbeit der Eltern die Wurzel aller tiefen Gefühle der Kinder liegen, der Ehrerbietung und der Liebe.

 

26. August.

Der alte Trauerrosenstock im Garten ist von weißen Blüten überschüttet. Sie halten sich an den Ranken fest, klettern an ihnen hin und flechten Gewinde zu Kronen. Hier formen sie Schneewittchens Palast, dort Dornröschens Schlummerbett. Wo die Vollerblühten sich dehnen, drängen schon junge Knospen sich vor, neugierig, aufstrebend, bereit, die Mütter zu verdrängen und sich selbst an das hellste Licht zu setzen mit ausgeweiteten Seidenröckchen.

Daß der Baum elf Monate verlassen von aller Schönheit im einsamen Grün steht – was liegt daran! Darf er sich doch einmal im Jahre ausleben in überreicher Blütenpracht. –

 

Eines Tages empfing ich den Besuch Wilhelm Grossers. Er wollte seinen Sohn von meiner Tochter malen lassen. »Ein feiner Kopf ist mein Jüngster, der Weltreisende, er sammelt jetzt Spinnen«, sagte er stolz. »Was wollen Sie, viertausend Spinnen hat er in Afrika gesammelt. Die ganze Villa, Sie kennen sie, hab' ich ihm zur Verfügung gestellt und er hat sie mit Ungeziefer angefüllt, aber es ist zum Glück tot. Mein Sohn wird bald einen großen Namen haben in den Naturwissenschaften, heute schon ist er eine Leuchte in der Gelehrtenwelt. Die Museen werden einmal sein Bild hinhängen wollen und da wollt' ich Ihre Tochter bitten –.«

 

Lilli kam eben herbei. Sie kannte Grosser aus ihrer Kindheit. »Schön ist sie geworden, bei Gott, ein schönes Weib«, flüsterte Grosser mir zu, doch mit seinem Anliegen hatte er kein Glück. Sie wies die ehrenvolle Bitte zurück. »Sie fühle sich noch nicht reif genug –.« Sie drückte Grossers Hand und ging.

»Wann will sie sich reif fühlen?« fragte mich Grosser verdutzt. »Ich finde, sie ist in voller Reife – Wissen Sie was, gnädige Frau, ich wer' meinen Sohn selber herschicken – er soll werben um sein Bild, vielleicht läßt sie sich erweichen. Frauen sind nicht unerbittlich –.«

»Sie kennen meine Tochter nicht – was sie abschlägt, bleibt abgeschlagen –.«

»Vielleicht hat sie 'was von der Mama geerbt – mit der war auch nicht gut Kirschen essen. – Übrigens möcht' ich jetzt dem Herrn Papa meine Aufwartung machen –.« Er war überaus höflich geworden, der Wilhelm Grosser. Es ging ihm geschäftlich nicht gut. Die Geiers – hol sie der Geier! – hatten ihm das Geschäft verdorben und waren dann schließlich selbst zu Grunde gegangen, die einzige Freude, die er in seinen alten Tagen erlebte. Und so kam er jetzt zu seiner Jugendliebe, meinem Vater zurück.

Die ehemaligen Geschäftsfreunde drückten einander mit aufrichtiger Freude die Hände. Sie hatten sich tausend Dinge zu erzählen, wie ein liebendes Paar ließ ich sie allein.

Abends rief mich mein Vater zu sich. Er sah feierlich aus. An seinem Lehnstuhl saß Tante Sophie mit dem gleichen festlichen Glanz in den abgewelkten Zügen. Ich erschrak. »Jetzt wollen sie sich heiraten«, flog es mir durch den Kopf. Doch es kam anders.

»Ich muß dir etwas sagen«, begann mein Vater und sah mich mit seiner gütigen Wärme an. »Der Grosser ist als Freiwerber für seinen jüngsten Sohn zu mir gekommen. Der hat irgendwo die Lilli gesehen und hat sich bis über die Ohren in sie verliebt.«

»Das ist ja schrecklich!« rief ich.

»Warum schrecklich? Die Sache wär' nicht ohne, denk' ich mir. Der Junge wird ins Geschäft eintreten. Es ist eine sehr ehrenwerte Familie –.«

»Das sagst du!« rief ich aus.

»Aber natürlich ich! Ich kenn' ihn länger als du – die Lilli wär' gut versorgt –.«

»Hast du vergessen, was er dir antun wollte?«

»Im Geschäft, liebes Kind, hat man kein langes Gedächtnis, das ist unpraktisch. Der Grosser ist ein Gauner, aber kein Räuber!«

»Soll Lilli in Kronstadt Spinnen züchten?« schrie ich in Verzweiflung.

»Man soll sich doch nicht so aufregen!' besänftigte die Tante, das Du vermeidend. »Wenn's nicht wird, so wird es halt nicht, aber überlegen sollte man sich's vielleicht doch!«

»Ich werde meine Tochter nicht verkaufen –«, wimmerte ich.

»Und ich lasse mich nicht verkaufen«, sagte mit ernster Gelassenheit Lilli, die aus dem Nebenzimmer, durch die lauten Stimmen gerufen, herbeitrat. »Es fällt mir nicht im Traum ein zu heiraten, lieber Großvater, ehe ich nicht noch einen langen Künstlerweg zurückgelegt habe. Und dann wird es kaum Herr Grosser sein, den ich wähle, so groß auch meine Achtung vor seinem Sammeltrieb und seiner Gelehrsamkeit ist. Denn ich schätze alle Menschen, die ein Ziel der Arbeit haben. Darum lieb' ich dich auch so sehr, Großvater, weil du dein Leben lang gearbeitet und Großes erreicht hast.« Sie bückte sich über seine Hände und küßte sie.

»Mach' das schon mit deinem Heiraten wie du willst«, sagte er gerührt. »Aber die Idee vom alten Grosser ist nicht schlecht.«

»Gewiß«, rief ich. »Vom Standpunkt der Firma Grosser ist sie ausgezeichnet.«

»Ja«, freute sich der Vater, »der Grosser war immer ein gescheiter Kopf. Er will mich bald wieder besuchen, wir unterhalten uns prächtig ...« Daß es nur beim Unterhalten bliebe, dafür wollte ich sorgen.

Lilli bat mich, nun wieder abreisen zu dürfen und zu ihrem Meister zurückzukehren. Unser Abschied war innig und liebevoll. Ich wußte sie auf dem besten Wege, in ihrer Kunst das reiche Ziel ihres Lebens zu finden. Und sollte sich einmal dies herbe Herz der Liebe erschließen, dann würde der Mann ihrer Wahl – das empfand ich tief – eine Lebensgefährtin in Lilli finden, die, wenn auch nicht in Chamissos Liebesträumen befangen, doch eine Heldin der Liebe würde.

Nach Lillis Abreise fand das Haus sein Gleichgewicht wieder und wir alle kehrten zu unserer Tätigkeit zurück. Ich nahm meine künstlerische Arbeit auf, fühlte die starke Kraft in mir wachsen, die in der Nähe meiner Tochter zeitweilig zu Wachs zerflossen war und erkannte daraus das große Naturgesetz, daß der reife Mensch nicht mit seinen Kindern leben soll, wenn er keine innere Vernichtung erdulden will. Auch hier sei die Natur sein Vorbild. Jeder Vogel und jedes Wild erzieht seine Jungen zur Selbständigkeit und gibt sie dann frei, ohne das eigene Leben durch sie zu beschweren, dessen köstliche Freiheit es sich nicht rauben läßt.

 

31. August.

Hoch durch das Blau glitt ein Schneegeier, ruhevoll mit ausgestreckten Schwingen, – es war als trügen ihn die Lüfte mit unsichtbarer Kraft einem bestimmten Ziele zu. Durch ein geheimnisvolles Naturgesetz, das er spielend beherrscht, senkte und hob er sich mit der immer gleichen Flügelbreite. Seinem Willen gehorchten die Lüfte.

Der Wille ist es, der auch den Menschen trägt. – – –

 

Eines Morgens erhielt ich ein Telegramm von Kollins. Er bat um die Erlaubnis, mich besuchen zu dürfen. Vor Jahren ist er einmal bei den Hühnerjagden hier gewesen, damals, als unsere zauberhafte Liebe begann. Und nun kam er wieder.

Mein Vater begrüßte ihn mit seiner warmen Herzlichkeit. Jeder Gast war ihm ein Fest. Mit lebhaften Fragen holte er aus Jedem das für ihn Wissenswerte heraus. So fragte er Kollins nach den Aussichten auf dem Zuckermarkte und erzählte ihm, daß er der erste Rübenbauer in Österreich gewesen sei. Zu ihm kamen die Direktoren der rings aufwachsenden Zuckerfabriken, um mit ihm ihre Jahresabschlüsse zu machen. Staunend sah Kollins den alten Mann an, der in der Einfahrt des Schlosses saß, die greisen Hände über dem Stock gefaltet, den treuen Blick, der aus Unergründlichkeiten zu kommen schien, auf den Gast gerichtet. Die Mundwinkel meines Vaters neigten sich in einem schmerzvollen Zug, der ihn nie mehr verließ.

Kollins blickte mit Ehrfurcht auf den Greis, dessen Leben eine Fülle der Arbeit und der Enttäuschungen gewesen und der doch immer wieder mit nie gelähmtem Schaffensdrang sich emporgehoben hatte zu neuem Erfolg, der Erdscholle gleichend, die nach Not und Gewittersturm stets freudig auf ihre Sonne harrt.

Bei unserm ersten Spaziergang durch den Garten und Meierhof sah Kollins verwundert um sich. »Ich bin überrascht, gnädige Frau. Wie ist das alles anders und schöner und besser und geordneter geworden! Wahrlich, Sie haben mit sicherer Hand den Lebensabend Ihres ehrfurchtgebietenden Vaters verschönt. Ich darf es Ihnen ja heute sagen, daß mir damals der ganze Besitz einen trostlos verwahrlosten Eindruck gemacht hat. Der Mörtel war von den Mauern abgefallen, die Scheunen drohten zusammenzustürzen, nur die Stallungen und die Felder waren in musterhafter Ordnung –.«

»Ja – ihnen gehörte die ganze Sorgfalt meines Vaters!«

»Auch den Beamten sah man es an, daß ihnen eine starke Führung fehlte. Wie haben Sie das umgeformt, welchen Schwung in alles gebracht! Man steht einem blühenden Unternehmen gegenüber. – Und das hat nun eine Frau gemacht, da der Mann versagte –!«

Wir waren ins Haus getreten und schritten in mein Zimmer, wo die alte Rosentapete von den Wänden blickte, das Telephon auf dem Schreibtisch stand neben Geschäftsbriefen und literarischen Entwürfen und von den Wänden und aus Glasschränken liebe Erinnerungen grüßten.

»Ich sehe, daß Sie hier unumgänglich nötig sind – aber – ließe sich nicht doch das Notwendige mit dem Wunderschönen vereinen – mein Leben mit dem Ihren, Sie liebe, kühne Frau?« fragte Kollins bewegt.

»Nur in Freundschaft«, sagte ich. »Ich kann nicht anders –.«

»Dann aber für's Leben«, erwiderte er ernst. »Einmal verlangten Sie die Ewigkeit der Liebe von mir, wissen Sie noch? Heute bitte ich Sie um die Ewigkeit Ihrer Freundschaft. Wollen Sie einschlagen?« Er bot mir die Hand.

»Ja, Alphonse – von ganzem Herzen!«

»Ich danke Ihnen. Ich weiß, daß Sie verläßlich sind, treuer in der Freundschaft, als Sie es je in der Liebe waren.«

Er neigte sich zu mir und unsere Lippen berührten sich in einem Kuß, der etwas Heiliges hatte.

 

1. September.

Das Leben wird schöner, je älter man wird, weil man es um so besser begreift. Die vielen Wolken, die in der Jugend uns den Sinn umdüsterten, sind einer lichten Klärung gewichen. Wir fühlen die Natur immer größer und reicher, und uns selbst aufgehend in dem All einer blauen Verklärung. Wir sind heiter, weil nur Heiterkeit dem Leben frommt und die höchste Weisheit in sich birgt.

Noch immer sehen mich alte Herren mit verliebten Blicken an, jene, vor deren Augen sich die Altersgrenzen verwischen und denen ein Jahrzehnt mehr oder weniger nicht mehr viel bedeutet. Ihnen erscheine ich sprühend jung. Aber an der Ehrfurcht, mit der mich Kadetten behandeln, merke ich, daß ich auf diese matronenhaft wirke.

Und doch bin ich weder jung noch alt, ich bin das, was man in der besten Lebenskraft wird: reif. Lächelnd vorwärts und lächelnd rückwärts blickend und mit sicherer Hand die Äste zurückbiegend, die sich über den Lebensweg neigen, so schreite ich voran – durch den Sommer meiner Tage, dem Herbst entgegen.

Im Kreislauf eines Jahres habe ich ein Vierteljahrhundert meines Lebens überblickt.

Wir waren zwei Frauen, die ausgeschritten sind vor fünfundzwanzig Jahren. Wie sonderbar hat sich unser Schicksal geformt, streng den Gesetzen der natürlichen Entwicklung folgend.

Baisée, der zarte Sproß eines alten ermatteten Geschlechtes, trug im rauschenden Blut alle orgiastische Lust ihrer Vorfahren und brach frühe zusammen. Sie war eine Staude, kranken Wurzeln entsprossen. Kaum eines Sommers Länge blieb ihr beschieden, ehe sie verwelkte und niedersank, erschöpft vom Leben.

Ich bin Stamm. Entsprungen der zähen Kraft bäuerlicher Erde, hatte ich von Haus aus im Blute den Drang zu gesunder Arbeit. Durch meine Vorfahren erbte ich die Natürlichkeit des Empfindens. Die Gesellschaft mit ihrem Müßiggang hatte mir schwüle Sinnlichkeit als künstliches Reis aufgepfropft und als die Triebe der von meinen Vätern ererbten Natur sich in mir zu regen begannen, da starb das aufgepfropfte Reis. Die Zweige und Äste meines Lebensbaumes aber reckten sich jetzt erst recht auf zu voller Kraft. In der Arbeit habe ich meinen Lebensmut, mich selbst gefunden.

 

19. September.

Sonnenjubel über den Fluren! Die braunen Ackerkrumen locken so locker, als könnten sie die Samenkörner kaum erwarten, die sie zu seligem Erwachen aufküssen werden.

Über die Felder herüber kommt mein Vater im braunen Rock, langsam und stetig, mit gebücktem Kopf.

»Das ist eine Wärme – das ist eine Wärme!« ruft die liebe Stimme. »Und der Luzernklee – solche Wurzeln hat er!« Der Vater maß eine Meterlänge an seinem Arm ab. »Das kann nächstes Jahr eine kolossale Heuernte geben!« Welche frische Lebensfreude, die schon im Herbst die Felder des künftigen Jahres voll Segen sieht!

»Dort sitzt ein Hase!« Ich deutete ins Grüne.

»Aha«, nickte der Vater. »Das wird heuer wieder prächtige Jagden geben! Wir haben einen wundervollen Herbst!«

»Wie vor sechsundzwanzig Jahren –.« Nachdenklich schritt ich neben dem Vater hin. Welche Veränderungen haben diese sechsundzwanzig Jahre gebracht. Wir sind in ein neues Jahrhundert eingetreten, nicht das des Kindes, wie man anfänglich geglaubt, sondern das der Arbeit. Vorüber die Menschen, die nur an Vergnügen dachten und in gedankenlosem Nichtstun die kostbaren Tage verschwendeten. Die Zeiten haben uns ernst gemacht, uns die Binden von den Augen gerissen.

Wir wissen, daß Liebe und Leidenschaft nicht mehr den Inhalt unseres Lebens bilden dürfen wie in den Jahren, die vergangen sind. Denn wir alle sind uns unserer Pflichten gegen uns selbst bewußt geworden und gegen jene, die neben uns leben. Auch gegen unsern Besitz, an dessen Verwaltung wir mitarbeiten müssen, soll er uns nicht verloren gehen ...

 

Ich sitze im Garten und sehe hinüber auf die blauen Berge. Über den Himmel gleiten rosa Wolken und mein Herz ist voll Liebe. Eine selige Verklärung liegt über mir wie über der Natur ... Es wird dunkler und kühler, ein Lufthauch streicht über den Boden, doch nur die niedern Äste regen sich. Die Wipfel der Bäume schweigen und schauen zu der Sternenwelt empor, die sich allmählich offenbart.

Vielleicht wird die Bildung, die man heute den Mädchen gibt, Frauen wie mich nicht mehr gestalten, sie werden nicht mehr die lachende Lust im Herzen haben. Viel Ernst und keinen Rausch.

Wenn ich heute mein Leben überblicke mit seinen Freuden und seinen Schmerzen, sage ich mir heiter: es ist alles gut und schön gewesen. Jedes Glück und jedes Leid hatte den Zweck, mich zu entwickeln. Denn im Leben des Einzelnen ist es wie im Leben der Natur: dem großen Gedanken der Entwicklung dienen die zartesten wie die rauhesten Kräfte. Nichts ist gut und nichts ist böse – zu dem einen wie zu dem andern bestimmt es nur unsere eigene Empfindung. Was geschieht, geschieht nach dem unaufhaltsamen Gesetz des Vorangeschehenen. Alles ist Notwendigkeit.

Wundervoll aber ist das Leben mit der Kraft, die es uns schenkt, Gutes zu tun und Großes zu schaffen.

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