Otto Stoessl
Negerkönigs Tochter
Otto Stoessl

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Dieser lange Weg – die abendlichen Gelage beim Doktor Hesky waren eine vertraute Gewohnheit geworden und durften schon wegen ihres tieferen Zweckes nicht vernachlässigt werden – brachte Herrn Silberstern auf den Gedanken, die tägliche Rückkehr dadurch zu verkürzen, daß man sich eines seiner Fahrzeuge bediente. Nun wäre es freilich die einfachste Sache von der Welt gewesen, wenn er ein Wägelchen und Pferd beigestellt, die kleine Gesellschaft allabendlich aufgeladen und heimgeführt hätte. Aber als besonnener und erfindungsreicher Geschäftsmann dachte er daran, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Ein angesehener Herr wie Hesky, hatte doch tagüber mancherlei Wege zu machen, Besuche abzustatten, Gönner zu beehren, Einkäufe zu besorgen. Da schickte es sich doch wahrlich nicht, daß er zu Fuß gehe, bestaubt, beschmutzt in fremde Wohnungen trete und seinem Rufe durch so dürftige Haltung schade, war es doch nicht nur standesgemäß, sondern auch ganz zweckentsprechend, ja geradezu höchst vorteilhaft, wenn er sich ein solches Zeugelchen zulegte, zumal er es auf billige Art erwerben könnte, denn es hätte unter Brüdern sonst mehr gekostet, als unter zukünftigen Verschwägerten, so daß er, genau genommen, eigentlich – die Notwendigkeit der Wagenbenutzung vorausgesetzt – mit diesem Kaufe sogar wahrhaftige Ersparnisse erzielte.

Diese Erwägungen trug Herr Silberstern eines Abends dem Doktor vor, stellte ihm die Aussicht auf ein schönes Fuhrwerk als die angenehmste Verheißung weltmännischer Würde und Bedeutung, von ökonomischem Nutzen, Zeit- und Geldersparnis dar und führte die ganze Schar vor das Gebäude, um sie das zierliche Kabriolett nach Gebühr bewundern zu lassen. Dieses stand nun freilich wohlgeraten, wenn auch mit deutlichen Spuren langen Gebrauches auf hohen Rädern mit zwei Vorderplätzen da, während ein erhöhter gepolsterter Hintersitz zur Aufnahme eines Dieners bestimmt war, der entweder mit gekreuzten Armen aufrecht das Gleichgewicht halten oder, wenn ihm der Herr das Kutschieren überließ, über dessen Kopf hinweg die Zügel regieren sollte.

Vor das Wägelchen war ein ausgefahrenes, bejahrtes Pferd geschirrt, das recht gottergeben den Kopf hängen ließ, aber eine prächtige Mähne und einen wallenden Schweif besaß.

Hesky betrachtete das Dargebotene von allen Seiten, und da ihm den ganzen Abend eine inständige Neigung für diese Fahrgelegenheit eingeredet worden, schwankte er, wie er sich zu äußern habe, weil er zwar weder im allgemeinen, noch im besonderen vom Fuhrwesen etwas verstand, es sei denn von den afrikanischen ochsenbespannten Farmerwagen mit Plachen, aber sich doch ein vornehmes Zeug immerhin anders vorstellte. Er schüttelte daher nur höflich anerkennend mit kühlem Entzücken den Kopf und sagte, vorsichtig und bedächtig nicht ja, noch nein, sondern blickte bald auf die Familie Silberstern, die in einmütiger bewundernder Fassungslosigkeit dastand, bald auf seinen Berater und Freund Dieter, welcher ziemlich ungerührt schien, bald auf Tesař, den Zimmermann, der eine grimmige Miene hatte. Diese war aber nicht etwa auf besondere Mißstimmung zurückzuführen, sondern auf seine eigentümliche Gesichtsbildung, deren breite vorstehende Backenknochen und tiefliegende Augen, deren herabgezogener, schmaler, zusammengekniffener Mund im Verein mit einem allgemeinen Gefühl unabwendbarer Weltverachtung und Geringschätzung sein Schweigen immer als bösartige Verstocktheit erscheinen ließen. Wenn es nun einem derart verzückten Anpreisen, das sich selbst auf den höchsten Grad der Bewunderung hinaufgehitzt hat, nicht gelingt, die übrigen mitzureißen, wird deren einsilbiges und abwehrendes Verhalten beim fortdauernden müßigen Beisammenstehen leicht peinlich, ja feindselig. Darum schwang sich Herr Silberstern endlich elegant auf den Vordersitz, lud Gattin und Tochter ein, nachzufolgen, bat die kranke Frau Dieter herablassend, auf dem Hintersitze Platz zu nehmen, da er sie nach Hause bringen wollte, schnalzte verlockend mit der Peitsche und trieb den braunen Gaul an, so daß das stark beladene Kabriolett in Bewegung kam. Unbemerkt hatten sich Josef und Bella auf die Hinterachse gesetzt und beschwerten den Gang des Fahrzeuges, welches knirschend und unwillig durch die Allee rollte, während der Doktor Hesky, Dieter und Tesař ihm gedankenvoll nachsahen, dann schweigsam in den verlassenen Ausstellungssaal zurückkehrten und schließlich ihre Eindrücke auszutauschen begannen.

Hesky fragte den Diener, wie er über das angebotene Geschäft denke. Der schüttelte den Kopf und nickte ja, ja und nein, nein und äußerte sich nicht allzu deutlich über die Angelegenheit, um den Entschlüssen des Doktors nicht vorzugreifen. Unvermerkt geriet dieser auf die zweite, größere, im Hintergrunde emporragende Angelegenheit der möglichen Heirat, die ihm von den Eltern Silberstern mit zarter Bestimmtheit angedeutet und ähnlich verlockend nahegelegt zu werden pflegte, wie der Ankauf des Wagens. Wunderlich verschmolzen bei dieser Beratung beide Geschäfte in eins, so daß man nicht immer wußte, welches gerade gemeint war, wenn der eine die Elastizität und Wohlerhaltenheit, das vornehme Aussehen pries und an das Kabriolett dachte, während der andere Rosa, die Heiratsfähige, vor Augen hatte, oder wenn Tesař wieder versicherte, die Stute habe recht breite Hüften und eine solide Kruppe, während Hesky von seiner in Aussicht stehenden Gemahlin sprach, oder wenn Dieter berechnete, daß solche Passionen ein hübsches Geld kosteten, um alles instandzuhalten und zu befriedigen, indessen der Doktor die Möglichkeiten einer Lebensgemeinschaft erwog.

Schließlich fragte Hesky geradeaus: »Was halten Sie von der Familie?«

Dieter schüttelte den Kopf und sagte nur: »Ja, ja und nein, nein und hm, hm,« dann brummte er: »Na, es werden ja ganz anständige Leute sein.«

»Und solid?« fragte Hesky in unbestimmtem Tone.

»Weiß man's?« antwortete Dieter.

»Penise!« bedeutete Tesař und machte die Gebärde des Geldzählens. Das war ein wichtiger Punkt, und Männer durften sich schon aufrichtig auseinandersetzen, ohne sentimentale Bedenken. Dieter meinte: »Das erfährt man leider meist nachher, und da ist's erst noch nicht immer bestimmt.« Wenn Rosa tatsächlich eine anständige, bare Mitgift hatte, konnte der Doktor Hesky seine gewesene Braut abschütteln und erleichtert in den Ehestand treten, ja vielleicht eine künftige Exkursion ins Werk setzen, ohne die Mittel hiezu erst mühselig zusammenscharren zu müssen. Natürlich kam die Rede auch auf die körperlichen Eigenschaften der anziehenden jungen Dame.

Tesař war von ihren Reizen recht befriedigt. Sie hatte eine stattliche Figur, üppiges Aussehen, begehrliche Augen und verstand sich wohl auf ihre Sachen. Das mußte ihr der Neid lassen.

Dieter war nicht neidisch und gab alles zu.

Hesky schwieg und sann. Dann sagte er mit einem Male recht unvermittelt: »Das wäre alles recht schön und gut, aber . . .« und verstummte wieder.

Dieter fragte: »Was aber?«

»Sie ist doch eine Jüdin!«

Dieter schüttelte bedächtig den Kopf: »Freilich, freilich! Aber das ist ja noch nicht das Ärgste. Haben Sie sich mit den Weibern genug herumgeschlagen und sogar mit wilden Negerinnen zusammengetan, so wird das auch nicht so schwer halten. Wenn nur sonst alles stimmt. Aber das weiß man, wie gesagt, immer erst nachher, wenn es zu spät ist.«

Im stillen schwur sich Dieter zu, genaue Erkundigungen über Familie, Geschäft, Kapitalien und Glaubwürdigkeit der Silbersterne einzuziehen und den Doktor vor nachträglichen Enttäuschungen, wenn's irgend anging, zu schützen. Nur durfte dieser nicht von der begeisterten Sippe in den Verlobungs- und Liebschaftstaumel hineingerissen werden, der einen unerfahrenen Mann blind und sinnlos in den verzweifelten Entschluß treibt, ehe die Überlegung auch nur ein Wörtlein dreingeredet.

Seine Nachforschungen lieferten leider kein deutliches Ergebnis, man sprach dies und das, der Vater Silberstern galt als geriebener Handelsmann, das wurde allgemein unter augenzwinkernden Berichten von ganz auserlesenen Roßtäuscherheldentaten zugegeben, stand aber nicht in Frage, denn für einen geschickten Kunden hielten ihn unsere Herrschaften ohnedies. Was jedoch die verfügbaren Mittel anlangt, so müßte er eben ein rechter Pfuscher gewesen sein, wenn er gerade darüber nicht das dichteste Dunkel zu verbreiten gewußt hätte. So gab es nur zweierlei: Vertrauen und dann die Möglichkeit, gründlich hineingelegt zu werden, oder Vorsicht und geschickten Rückzug, falls Herr Silberstern nicht zu ganz bestimmten Zusagen und beruhigenden Nachweisen sich vermögen ließ.

Glücklicherweise entschloß sich Hesky nicht zur liebenden Arglosigkeit, sondern zur Vorsicht, und Dieter konnte ihn daher vorläufig für geschützt halten.

Weil aber das vorgeschlagene Geschäft mit dem Kabriolett von dem absichtsreichen Silberstern keineswegs aufgegeben, sondern täglich mit neuen Gründen angeboten und um- und umgewendet wurde, wobei es für ihn immer prachtvoller, für Dieter und Hesky allerdings immer fragwürdiger und wie eine dringlich symbolische Vorfrage für das zweite, größere Unternehmen der Heirat auftrat, so daß eine Vertrauenssache die zweite nur vorbereitete und als Bedingung gedeihlichen weiteren Übereinkommens dastand, mußte man sich gerade hier schlau davor hüten, ihm auf den Leim zu gehen. Daher zögerte Dieter nicht, dem Doktor einen Gegenvorschlag zu unterbreiten.

Allerdings war es notwendig und begreiflich, daß Hesky als Afrikareisender nicht wie alle gewöhnlichen Leute stand und ging, doch mußte nicht gerade ein Kabriolett diese besondere Haltung bezeugen, vielmehr schien es weit angemessener, wenn er seine afrikanischen Reiterkünste übte und pflegte, um sich nicht hier im Lande zu verliegen und Fett anzusetzen, wozu er leider Neigung zeigte. Ein Pferd anzuschaffen und zu reiten, entsprach seinem Stande und seinen Lebensgewohnheiten weit besser, als ein Fahrzeug zu kutschieren. Der weite Prater mit seinen Auen, den Hesky sehr liebte, war für solche einsame Spazierritte und Übungen wie geschaffen, hier konnte er gesunde Bewegung machen, und was die Kosten betraf, das wäre schlimm, wenn er einem Roßhändler sich ausliefern und sein schwer erworbenes Geld in den Rachen schmeißen würde! Er mußte dank seinem Stande umsonst ein Pferd bekommen, ohne das Königreich seiner Freiheit dranzugehen. Weshalb war er denn der Schützling des Monarchen? In den kaiserlichen Stallungen gab es mehr als einen ausrangierten Hengst oder eine ältere Stute, die sonst von Hofbediensteten zugeritten, ihr Futter verzehrten, ohne irgendwem sonderlich zu nützen und zu dienen. Von dort mußte er beziehen, was er brauchte, und was seine Würde als österreichische Berühmtheit gebieterisch verlangte. Er sollte nur wieder einmal Audienz nehmen, schuldete er doch noch den Bericht über die huldreich unterstützte Ausstellung, da ergab sich gewiß Gelegenheit, einen solchen Wunsch geziemend vorzubringen, denn der wohlgeneigte Monarch unterließ bei solchen Unterredungen niemals die gütige Frage, ob der Besucher nicht sonst irgendein Begehren habe.

Hesky schüttelte zwar über dieses Ansinnen bedenklich das Haupt und zweifelte, eine so unbescheidene Bitte wagen zu dürfen, aber da Dieter seine Angst durchaus grundlos, seine Bescheidenheit sehr übel angebracht nannte und geradezu empört tat, daß ein großer Mann nicht einmal einen ausrangierten Hengst sollte ansprechen können, verhieß er kleinlaut, die Sache zu erwägen. Bei der Pflege, Fütterung und Unterbringung des erwarteten Pferdes gab es schon gar keine Hindernisse, lag doch ganz nahe dem Amateurpavillon der Rennplatz mit den schönsten Stallungen, wo magere Jockeis und Pferdeknechte zu Dutzenden hausten, die sich bereits alle mit dem Doktor Hesky als mit einem Nachbarn angefreundet hatten. Die Engländer führten mit ihm englische Konversation und freuten sich an seinen englischen, die Deutschen an seinen deutschen Sprachfehlern und betrachteten ihn als ihren komischen Schützling, denn er war zwar berühmt, aber eben deshalb für sie ein wenig lächerlich mit seinem ganzen Gelehrtenwesen und weltunkundig zaghaften Benehmen.

Das scheinbar dreiste Unterfangen glückte vollkommen. In der Audienz nahm der Monarch den Bericht des größten tschechischen Mannes über das außerordentliche Gelingen der Ausstellung sehr huldvoll entgegen, begrüßte das allgemeine Interesse der Wiener mit Genugtuung und erkundigte sich sowohl um die Aussichten des geplanten Reisewerkes, als auch um Heskys sonstiges Befinden. Dieser ergriff die Gelegenheit, zu klagen, daß ihm die ruhige abenteuerlose Lebensweise hier im Lande nicht recht behage, da er Anstrengung und Bewegung gewohnt und sieben Jahre lang beinahe nicht aus dem Sattel gekommen sei. Der Kaiser, selbst ein leidenschaftlicher Reiter und wahrlich lieber zu Pferd bei Manövern und Jagden, als im Zimmer bei Akten und papierenen Geschäften, vernahm teilnehmend diese Not, und es ergab sich fast von selbst die Bitte, und das einfachste Mittel, ihr abzuhelfen, indem man dem reisigen Manne einen ausrangierten Hengst aus dem Marstalle zuwies. So verließ Hesky den Saal um ein Pferd reicher, das schon am nächsten Morgen von einem feierlichen Bereitet vor den Pavillon gebracht, ihn nach dem Frühstück mit hellem Wiehern begrüßte. Welch ein Prachttier, braun, mit zierlichen Fesseln, federndem Gange, freundlichen Augen! Hesky bestieg es auf der Stelle, saß sogleich fest im Sattel und brauchte nur den leichtesten Schenkeldruck, da flog das gehorsame Tier schon gestreckten Laufes durch den weichen Sand. Nach ein paar Stunden kam der Doktor munter, wie neubelebt, schweißbedeckt zurück, das Roß dampfte, die Flocken stoben ihm von den bebenden Nüstern und die Jockeis, denen es der Reiter zur sorglichen Wartung übergab, bedeckten es achtsam mit den warmen Tüchern und sagten bewundernd, mit einem solchen Tiere müßte man ohneweiters ein Wettrennen gewinnen, wenn es darauf ankäme. Hesky schüttelte stolz und befriedigt den Kopf und ritt fortan täglich stundenweit aus, seinen gelben Tropenhelm kühn auf dem Haupte, in seiner afrikanischen Khakitracht. Der kleine, untersetzte Mann mit dem schwarzen Spitzbart und der absonderlichen Kleidung wurde dadurch noch mehr, als durch seine vergangenen Taten in der Stadt bekannt und eine der vertrauten Figuren, die jeder zu nennen wußte.

Herr Silberstern empfand freilich diesen Triumph als eine Niederlage, doch durfte er sich davon nichts merken lassen, denn die hohe Gnade eines solchen Geschenkes hatte den Marktwert des erwünschten Schwiegersohnes bedeutend gesteigert, und es war nun doppelt wichtig, ihn doch zu gewinnen. Ein scheinbarer Unfall verhalf schließlich dem Doktor Hesky zu seiner Rettung aus der Gefahr der Verlobung, von derer sich halb willig, halb unwillig bald hätte umgarnen lassen. Das kam so.

Es war Spätfrühling geworden und die Zeit der vielen Rennen. Hesky, der seine Reiterkünste täglich erprobt und gesteigert hatte, sah sich zu den kühnsten Stücklein berechtigt und befähigt. Nicht bloß das Gerede der sachverständigen Jockeis, das eigene Selbstgefühl sagte ihm, mit diesem Pferde könne er jedes Rennen ehrenvoll bestehen. Da befiel ihn plötzlich der Ehrgeiz, derlei auch tatsächlich zu versuchen. Seinem vertrauten Dieter enthüllte er diesen Plan. Der schüttelte wie immer bedenklich den Kopf, sagte ja, ja und nein, nein und gab seinem Schützling zu verstehen, daß er doch eigentlich mehr sei, als ein Jockei, und wenn er Afrika entdeckt, brauche er eigentlich keine Steeplechase mitzumachen und zu gewinnen. Aber halte einer das Kind zurück, das sich in einem Manne regt! Ist doch gerade der Ernsthafteste den Anfällen kindischer Wünsche und Träume am gefährlichsten unterworfen. So erklärte Hesky eines Tages den Reitknechten, er werde an einem Rennen mit seinem Hengste teilnehmen. Auf die Frage, wen er damit betrauen wolle, das Pferd zu reiten, antwortete er, das werde er selbst tun. Die Burschen sahen einander verständnisinnig an und grinsten.

Dank seinen guten Beziehungen zu den Turfleuten im Prater und dank dem neuartigen Spaß, den man sich von der Teilnahme des berühmten tschechischen Mannes am Wettrennen billig versprechen zu dürfen glaubte, begegnete seine Nennung keinen Schwierigkeiten. Zwar redete man ihm freundlich zu, sich ordnungsgemäß zu trainieren, die erforderliche Abmagerung zu erzielen und dergleichen sportgerechte Vorfragen geziemend zu erledigen, bestand aber keineswegs darauf und freute sich eigentlich, daß der halsstarrige Böhm', alle Mahnungen mit hocherhobenem Haupte in den Wind schlug.

Dieter schüttelte bedenklich den Kopf und hatte einige Angst vor dem Ausgang der Sache, hielt jedoch die Absicht des Doktors geheim, denn die Leute würden ohnedies früh genug davon erfahren.

So kam der große Tag. Der Rennplatz, von den grünen, belaubten Bäumen eingesäumt, war von neugierigen Menschen aller Stände erfüllt, deren heiserer, aufgeregter Lärm sich in die blaue Juniluft erhob. Alle Tribünen waren von den schönsten geputzten Damen, von den modischesten Herren besetzt, tausend Wetten schwirrten auf, und nicht die geringsten galten dem Doktor Hesky. Gab doch diese Nennung das herzlichste Vergnügen des Tages.

Und als die Fahne aufgezogen wurde, die Teilnehmer alle mit ihren Farben erschienen, weckte der kühne Reitersmann kein übles Lächeln auf allen Gesichtern, denn er allein zeigte sich in seiner gewöhnlichen und wieder hier doppelt seltsamen Khakitracht, den Tropenhelm ein wenig schief im Nacken sitzend und auf seinem Hengst recht herausfordernd, während alle anderen mit ihren üblichen Seidenwesten in den Farben ihres Stalles sich als die gewöhnlichen gewerbsmäßigen, über den Hals des Tieres gebeugten Wettreiter darstellten. Als Hesky den Start beschritt, wurde er von lachenden Beifallsrufen begrüßt, die er nicht einmal zu bemerken schien. Auch sein Pferd stach hier im Grunde von den schmächtigen, zierlich gebauten und sorgsam aufgezogenen übrigen Rennern ab, denn als ausrangierter Hengst erfreute es sich bei aller Schönheit der Gestalt doch einer gewissen auffallenden Üppigkeit.

Nachdem das Zeichen zum Beginn gegeben worden, flogen die übrigen wie die Pfeile dahin, während Heskys Roß zwar tüchtig ausgriff, aber solcher aufregenden Kämpfe ungewohnt, in schönem Trab verhältnismäßig gemächlich weit hinter den ehrgeizigen übrigen zurückblieb, und sein Reiter schließlich allein daherjagte, indessen vor ihm eine Staubwolke die Mitbewerber, das Ziel und das ganze Rennen neidisch verhüllte. Hesky schaute sich verdutzt um und war gescheit genug, sofort einzusehen, daß er nun wohl oder übel sich bescheiden mußte und nicht auf einem aussichtslosen Kampf bestehen durfte, daher gab er, die Lippen zusammenbeißend und zwischen den Zähnen ein »Satrazeni! Hol' euch der Teufel!« murmelnd, seinem Hengst die Sporen und setzte ohneweiters über die Barrieren, welche den Rennplatz von dem übrigen Gelände abgrenzten, mit einem wohlgelungenen Sprunge heil hinweg und ritt von dannen.

Darüber erhob sich ein unendlicher Lärm der ganzen unermeßlichen Menge und scholl als ein wahrer Jubelruf und Beifallssturm dem unerschrocken sich Zurückziehenden nach, so daß alle der sonst so aufgeregten Teilnahme an den mutmaßlichen Siegern vergaßen und sich die Hälse nach dem sicheren Besiegten ausreckten, der gelassen und mit einem höhnischen Lächeln als kleiner gelber Reitersmann auf seinem behaglichen Gaule sich den Blicken der gemeinen Menge entzog. Noch lange nachdem der stolze Tropenhelm hinter den Bäumen verschwunden war, folgte ihm das halb gutmütige, halb schadenfrohe Gelächter, das sich einem ungewöhnlichen Beginnen so gern an die Fersen heftet.

Hesky zögerte unterwegs, sofort nach dem Pavillon zurückzukehren, da er unliebsame Ovationen Neugieriger befürchtete, ritt daher noch eine kurze Weile in die Kreuz und Quer spazieren und wandte das Pferd erst dann seinem Hause zu, als er das Rennen längst beendet und den Schwarm verzogen wußte.

Vor dem Gebäude angelangt, begegnete er eben der Familie Silberstern, die höchst aufgeregt dastand, während Dieter sich bemühte, sie zurückzuhalten und zu beschwichtigen.

Hesky schwang sich herab, band eilends den Zügel an einen Baum und trat auf seine Bekannten mit einem verlegenen Lächeln zu. Er legte salutierend die Hand an seinen Helm und gewahrte staunend, daß die stattliche junge Dame, über und über rot im Gesichte, sich zornig von ihm abwandte und ihr Haupt an dem Busen der Mutter verbarg.

Sie schluchzte auf und sagte ein über das andere Mal: »Das ist zu viel! Das ertrage ich nicht!«

»Ja, was ist denn geschehen, meine Lieben?« fragte Hesky ganz unschuldig.

»Sie fragen noch?« sprach die Mutter voll Würde und in gerechtem Zorn. Herr Silberstern konnte sich nicht enthalten, einen halb ungewissen, halb strafenden Blick auf den verlorenen Schwiegersohn zu werfen und sagte: »Das war ein arges Hirschhauerstücklein, mein Lieber! Sie haben viel Kredit, aber das übersteigt die Grenzen!«

»Er hat mich lächerlich gemacht vor der ganzen Welt. Man wird mit Fingern auf mich zeigen,« stöhnte Rosa.

Dieter beruhigte: »Lassen Sie die Leute, Sie haben ja nichts angestellt, Fräulein!«

Aber Rosa schluchzte nur um so heftiger.

Hesky näherte sich ihr und streichelte ihr hilfeflehend ganz bescheiden das schwarze Haar und flüsterte leise: »Ich kann wirklich nichts dafür, liebes Fräulein!« Bei diesen Worten erhob die Trostlose trotzig den Kopf, schleuderte ihm einen vernichtenden Blick zu, richtete sich in ihrer ganzen Größe auf, sprach: »Komm Mama!« und wandte sich zum Gehen, auch Herr Silberstern folgte rastlos und kopfschüttelnd, während die Zurückbleibenden einander verlegen ansahen und den unaufhaltsamen Abzug der Gesellschaft geschehen ließen.

Als derart Heskys Hoffnung auf eine etwaige Mitgift sich langsam durch die menschenleere Allee fortbewegte, begann er zu verstehen, daß er sein Glück verscherzt hatte, seufzte halb bedrückt, halb erleichtert auf, machte seinen Gaul vom Baume los und führte ihn zu den Ställen. Verspürte er auch ein gewisses Gefühl der Befreiung, so war es doch merkwürdig mit dem des Unbehagens und der Enttäuschung vermischt, wie immer, wenn man der Umworbene gewesen ist und sich plötzlich verlassen und verachtet sieht. Aus den mit Bretterwänden eingehegten Boxes hörte er lauten Lärm und Streit zwischen einer weiblichen Stimme und mehreren männlichen, die den bekannten Jockeis, seinen Gönnern angehörten. Unwillkürlich blieb er stehen und lauschte.

»Du kannst sagen, was du willst, Anna, der Böhm' ist doch der verrückteste Narr von Wien. Setzt sich auf einen alten Krampen und will ein Wettrennen gewinnen. Wenn das nicht das kindischste Affenstück heißt, bin ich ein Afrikareisender!«

»Du bist ein dummer Dalk und glaubst nicht, daß einer tausendmal gescheiter sein kann, als du, wenn er euch aufgesessen ist. Geh du nur einmal zu den Wilden und fahr sieben Jahre in der wüsten Welt herum, wie der, und laß dich dann anschauen.«

»Wenn ich so einer wär', möcht' ich anders dastehen und nicht von unsereinem mich zum Narren halten lassen.«

»Ja, du! Ihr seid ein gemeines Gesindel, alle miteinander, ich will von euch nichts mehr wissen. Einen anständigen, freundlichen Menschen, der keinem was Böses getan hat, uzen und hineinlegen, das ist weiter ein Heldenstück! Von Rechts wegen sollt' er euch fünfundzwanzig aufmessen auf den Reiterhintern. Aber er ist viel zu gut und bedankt sich noch für die Blamage, die ihr ihm eingebrockt habt. Schämt euch über euren Stallwitz in die Erde hinein.«

Die anderen lachten, daß es völlig wie das vergnügteste Wiehern ihrer Gäule klang.

»Es war ein Hauptspaß. Soll uns einer den Witz nachtun! Das Wettrennen macht den böhmischen Wastl berühmter, als das ganze Afrika!«

»Euer Witz ist ein Roßmist, nichts weiter, der wird weggekehrt nur euer Stall stinkt davon.«

»Geh, Anna, gib mir ein Bussel und sei g'scheit, was hast du denn von dem böhmischen Afrikaner.«

Damit begann ein Handgemenge, man hörte eine kräftige Maulschelle, einen Wutausbruch des Beleidigten und die abwehrenden Rufe des Frauenzimmers, dazwischen das vergnügte Gelächter der übrigen, die zu weiterem Streit aufhetzten.

Da öffnete Hesky die Tür und führte das Pferd hinein. Bei seinem Eintritte wichen die Burschen zurück und einer, der mit dem Mädchen rang, ließ sofort ab von ihr, die hochatmend und über und über rot im Gesichte dastand, eine handfeste, schlanke, wohlgestellte Person mit einfacher, sauberer Arbeitskleidung, einer blauen Schürze und bloßen Armen. Hesky hatte das Mädchen bereits wiederholt gesehen, sie war die Tochter des Hausverwalters, die in den verschiedenen Gebäuden scheuerte und Ordnung hielt, zuweilen im Freien die Wäsche wusch und zwischen den Bäumen zum Trocknen aushing, ein munteres Geschöpf, das für jeden einen Scherz hatte und nicht maulfromm die derben Annäherungen der verschiedenen Leute, die in der verlassenen Gartenwelt umherstrichen, erwiderte. Freilich schien sie bei diesen Gefechten sich zu behagen und namentlich mit den jungen Stallburschen und Reitern nicht ungern anzubinden, aber sie war ihm eben deshalb recht vergnüglich erschienen, wenngleich er bisher mit ihr keine nähere Bekanntschaft angefangen hatte.

Nun grüßte er kurz und freundlich und ließ sich über die schmerzlichen Begebenheiten des Nachmittags kein Zeichen des Mißvergnügens anmerken. Die Stallburschen nahmen ihm daher schweigend das Pferd ab und führten es zur Krippe, während er mit höflichem Dank umkehrte. Als er wieder draußen war und langsam seinem Hause zuschritt, vernahm er hinter sich einen leichten Gang, wandte sich um, und da stand auch schon ganz erhitzt und verlegen das Mädchen und erwiderte seinen freundlichen: »Guten Abend!«

Dann sagte sie: »Herr Doktor, Sie müssen mir nicht böse sein, mich geht's ja nichts an, aber Sie sollten sich doch mit dem Gesindel da nicht einlassen,« dabei wies sie, die Schultern verächtlich zurückwerfend, nach den Ställen.

Hesky senkte beschämt seinen Kopf und ging weiter, indes sie neben ihm blieb.

»Die haben ein recht dummes Stück mit Ihnen aufgeführt! Sie sind doch zu gut für diese Leute und glauben, jeder ist so wie Sie. Dann passiert Ihnen ein Unsinn wie heute nachmittag.«

»Liebes Fräulein! Der Narr war ja ich, warum soll ich denn einem anderen die Schuld geben? Mich hat der Teufel, und ich habe das Wettrennen geritten. Wer im Leben noch keine Dummheit gemacht hat, ist besser daran als ich. Ich mache nichts als Dummheiten.«

»Reden Sie doch nicht so, Sie sind ja zehntausendmal gescheiter als das ganze Pack, das sich an Sie heranmacht und von Ihnen maust und Sie bei lebendigem Leib auffressen wird, wenn das so weitergeht. Sie merken nichts und denken, alles ist in der Ordnung. Wenn einer sich in der Welt nicht auskennt, führen ihn eben alle an der Nase herum.«

Damit waren sie vor dem Pavillon angelangt, und das Mädchen streckte ihm die Hand entgegen: »Nichts für ungut, ich hab's nicht bös gemeint, Sie werden es schon recht verstehen und sich daran halten.«

Hesky ließ sie aber nicht fort und lud sie dankbar zum Abendessen ein, sie müsse jetzt mit ihm kommen, denn gerade heute hätte ihn seine gewohnte Gesellschaft im Stiche gelassen, und er brauche nach den Abenteuern des Tages ein bißchen Aufheiterung und Gesellschaft und so guten Rat. Da lachte sie und folgte ihm ohne Ziererei in den Saal.

Jede Ausstellung findet ihr natürliches Ende, wenn das Publikum sich an ihr sattgesehen und -geschwatzt hat. Auch die unseres Afrikareisenden hatte ihre Tage hinter sich, ein nettes Sümmchen eingebracht, von welchem der Doktor Hesky recht angenehm ein Jahr hier leben, sein Werk schreiben und seine nächste Reise angemessen vorbereiten konnte. Jetzt war freilich die Niederschrift des Buches, welches er der Wissenschaft, dem Monarchen und der Öffentlichkeit sozusagen schuldete, das Allerwichtigste. Sollte es doch auch endlich das Honorar einbringen, um der ungeduldigen fernen gewesenen Braut ihre Unbill zu vergüten und ihren Verzicht zu bezahlen.

Dieter war nicht müßig geblieben. Er hatte einen wohlhabenden Buchhändler für das geplante Reisewerk zu interessieren gewußt, ja sogar einen ansehnlichen Vorschuß erwirkt, der als Zeichen von Heskys Vertragstreue und gutem Willen nach Prag geschickt wurde, damit sich die verlassene Jungfrau bis auf weiteres mit der Abschlagszahlung zufrieden gebe.

Nun wurde die Ausstellung geschlossen, die Tiere wieder verpackt, das Negerhüttlein auf den Mist geworfen, die Gerätschaften eingeräumt, die Sammlungen in Kisten getan und als große Haufen verstaut. Hesky blieb mit Tesař, seinem Zimmermann, in dem wüsten Raume weiterhin wohnen, während er Bella auf Dieters Zureden diesem in Kost und Quartier gab. Denn Dieter sagte: »Das Mädel wird groß und soll hier was lernen, damit sie auch was von Europa hat. Zu euch ledigen Männern paßt sie doch nicht recht. Das gibt nur dummes Gerede unter den Leuten. Bei mir zu Hause wird sie schon ordentlich gehalten werden.«

Dies sah der Doktor auch ein und gab Bella seinem Gönner mit, zumal er sich von ihrem Verhalten und Wohlergehen ohnehin jeden Tag überzeugen konnte, da er sein Werk mit Dieter recht eigentlich gemeinsam verfaßte. Der deutschen Sprache nicht eben sicher, hielt er sich gerne an Dieters Gefühl, Grammatik und Rechtschreibung. Nachdem er morgens eine Stunde spazieren geritten war, setzte er sich an seinen Tisch im verödeten Saal, nahm seine Tagebücher und Notizen vor, strengte sein Gedächtnis und all seine Kenntnis an und schrieb unter Angst, Schweiß und Mühsal ein Kapitel um das andere. Zuweilen geriet er in arge Nüchternheit und verwünschte den ruchlosen Plan, zuweilen erfaßte ihn wieder das hohe Gefühl des fernen, wunderbaren Landes, dessen Luft und Erde, Wuchs und Leben er im schönsten Bilde vor sich sah, ohne es doch mit Worten fassen und wiedergeben zu können. Jedes Tier, das er belauscht, schien darauf zu lauern, ob ihm sein Recht werde, und all die feierlichen, komischen, entsetzlichen Augenblicke, die er einst in Abenteuern mit den Eingeborenen durchgemacht, befielen ihn in der Erinnerung wie Mahnungen ernster Zeugen, die Wahrheit zu sagen und lasteten wie ein Alpdruck auf seinem bösen Gewissen, denn wie vieles mußte er bloß deshalb verschweigen, weil er es nicht auszudrücken vermochte. Kam er dann zu Dieter, so las er bänglich das Geschriebene vor, und sein Gönner als ein unverdrossener Kunstrichter schüttelte hier den Kopf, da lächelte er zufrieden, manches fand er überflüssig, woran der Schreiber mit ganzem Herzen hing, anderes wieder hielt er für wichtig, das Hesky unterdrücken wollte. Was aber die Sprache betraf, so war auch Dieter selbst gerade kein zuverlässiger Meister. Das Manuskript ging, wenn es nach solchem Zusammenarbeiten schlecht und recht zustande gebracht war, kapitelweise zum Buchhändler. Dieser hatte einen romantisch veranlagten Gehilfen, der den nötigen letzten Schliff besorgte, den ungefügen Satzbau nach dem Gefühle des kaufmännischen Stils einrenkte, über die nüchterne Darstellung einige sentimentale Seufzerchen und scherzhafte Einfälle nach Belieben wie eine rosenrote Erdbeersauce goß, damit der Reisebericht auch dem großen Publikum Rührung, Schauer und innige Empfindung entlocke. Freilich bekam das Ganze durch diese dreifache Mitarbeit ein wunderliches Ansehen. Statt fest und einfältig daherzugehen, wie sein Urheber, ungeschickt und nüchtern, aber aufrichtig, erhob es sich bald pathetisch auf den Stelzen einer halbgebildeten Beredsamkeit, bald senkte es sich in die Aufregungen einer niedrigen Kommisphantasie hinab, so daß es recht eigentlich hinkte und wieder nach der Mode abgeschmackter Romane eigentlich nicht die sonngebräunte Miene eines in wilder Luft und wüster Zeit umhergeschlagenen Wandersmannes, sondern das verzärtelte geschminkte Gesicht eines schwatzhaften, blassen, letzten Rousseaujüngers trug. Aber derlei Züge werden Gott sei Dank weder vom Publikum gemerkt, noch waren sie dem ehrlichen Doktor Hesky bewußt, der sich vielmehr auf die Kapitel, die aus der Hand des begabten Buchhandlungsgehilfen und letzten Redaktors mit einem findigen Schmiß herauskamen, allerhand zugute tat und auf das Ganze so stolz war, daß er sich für einen wohlberufenen Autor hielt, der es getrost mit den windigen Dichtern aufnehmen mochte. Gerade daß er sich aus seinem Werk gar nicht wiedererkannte, schien ihm der Hauptvorzug und die eigentliche Würde der Darstellung, denn wie alle Laien, die von sich erzählen sollen, bewahrte er immer eine Art demütiger Scham, sich vor den Leuten zu zeigen. Nicht sich selber wiederzufinden, sondern um Gotteswillen nur endlich von sich loszukommen und sich in einer erhöhten Figur und Stattlichkeit vorteilhaft darzustellen, schien ihm als einem einfältigen Erzähler das Um und Auf seiner Arbeit.

Hesky hatte aber noch einen dritten stillen Mitarbeiter, und das war der kleine Josef Dieter, der aufmerksam in der Wohnstube saß, wenn der Vater mit dem großen Manne an der Reisebeschreibung arbeitete.

Es kam nämlich oft vor, daß beide über ein Wort, über einen Sprachgebrauch oder über die Rechtschreibung uneins waren und eines Schiedsspruches bedurften, der die Sache ins reine brachte. In solchem Falle wandte sich der alte Dieter mit strenger Miene, wie um ihn zu prüfen, nach seinem Sohne.

»Josef, wie schreibt man Gebirge? Mit einfachem i oder mit einem ie«, und wieder, »wie schreibt man gibt, mit oder ohne e«. Josef entschied sich für Gebirge ohne, für gibt mit e und nun waren für ihn Gebirge und gibt zwei urweltliche Gegensätze für alle Zeit. Derlei Auskünfte erteilte er mit allem Anschein gehorsamer Bescheidenheit, nicht ohne im stillen die Wichtigkeit seiner Aussage nach Gebühr einzuschätzen und ihr einen wesentlichen Anteil an dem Zustandekommen des Werkes beizumessen.

Bella aber spielte in der kleinen Wirtschaft des Dieners eine große Rolle und brachte Bewegung, Lärm und Eifer in das ruhige Hauswesen. Es war nur gerecht, daß sie tüchtig bei der Arbeit helfen und ihren Anteil am gemeinsamen Essen, Trinken, an Kleidung und Wohnung getreulich mitverdienen mußte, denn in einem solchen bescheidenen, reinlichen, aber engsten Stande gibt es keinen müßigen Zuschauer und Kostgänger, und das afrikanische Königskind gilt auch nicht mehr, als der kleine Bub, der in diesen vier Wänden aufgewachsen. Da sie in recht schwere Zeiten gekommen war, wo Dieters Frau sich nur mühselig auf den Beinen halten konnte und unter der gewohnten Tageslast schier zusammenbrach, mußte sie mit ihrer wilden Kraft gründlich zufassen und angreifen, wo es etwas zu tun gab. Dabei verhielt sie sich aber durchaus willig, freundlich und vergnügt, und weil man sie mit Wohlwollen behandelte, zeigte sie jedem grinsend ihre weißen Zähne, so daß sie wirklich als ein zweites Kind im Hause gelten konnte, das nur zufällig schwarz geraten war. Besonders das Scheuern und Waschen schien ihr zu gefallen, und sie hantierte überaus eifrig mit der groben Seife und dem Reibsand, wobei sie wie ein bewegliches, schwarzes Tier singend, brüllend, lachend, zischend auf dem Bretterboden mit Eimer und Fetzen hin und herfuhr und fegte, daß es eine Art hatte. War die Arbeit getan, so sprang sie mit einem wahren Triumphgesang auf Frau Dieter los, daß diese immer wieder erschrak, trotzdem sie daran schon hätte gewöhnt sein sollen und wies ihre Hände vor, die an den Innenflächen zusehends blasser und zugleich röter geworden waren. Bella hielt nämlich gerade das Reiben und Scheuern für die große versprochene Kur ihrer Umwandlung in eine Weiße. Und allmählich lernte sie auch in der deutschen Sprache diesen ihren einzigen Wunsch ständig zu wiederholen. Da pflegte Frau Dieter freundlich zu lächeln, besah die dargebotenen Handflächen, nickte freundlich und sagte: »Ja, ja, sie sind schon beinahe ganz weiß.«

Wenn der Abend gekommen war, stellte Frau Dieter ein Wasserschaff in die Küche, um ihren Buben von Grund aus zu waschen. Jetzt hatte auch Bella an dieser Sorgfalt ihr Teil. Und da war es recht wunderlich anzusehen, wie sie diesen guten Brauch über sich ergehen ließ. Das Waschen und insbesondere mit kaltem Wasser war nämlich in der afrikanischen Heimat nicht Sitte gewesen, wo die heiße Sonne und der Sand, den man über den ganzen Körper reibt, allein Schmutz und Schweiß und Ungeziefer wegzubringen bestimmt sind. Aber jetzt wußte sie: die Sonne macht schwarz und das Wasser macht weiß. Die Menschen hierzulande hatten vom Wasser ihre schöne bleiche Farbe. Darum stieg sie jedesmal zitternd, bebend, angstvoll und zähneklappernd in den Bottich und lachte heulend, wenn sie mit dem kalten Guß überschüttet wurde und konnte nicht genug davon bekommen, obgleich es ihrer armen heißen Haut recht sauer wurde. Und welche Freude hatte sie gar, wenn sie über und über eingeseift, leider nur kurze Zeit weiß wie ein Schneekind dastand. Wie schade, daß diese Herrlichkeit mit dem Schwamm weggewischt wurde und immer wieder ihre verfluchte Schwärze herauskam! Sie bestand aber wie auf ihrem höchsten Recht darauf, daß Frau Dieter bei der Kur den erprobten Reibsand reichlich anwendete, obgleich er recht schmerzhaft über alle Glieder fuhr. Der übrige Körper mochte weniger wichtig sein und dunkel bleiben, aber das Gesicht mußte doch zumindest auf die Farbe ihrer Hände gebracht werden. So rieb sie es denn mit zornigem Eifer selbst eine gute Viertelstunde lang, bis man sie endlich mit sanfter Gewalt wegbrachte. Dann trat sie ernsthaft vor den Spiegel, besah ihr Werk und grinste ihrem Ebenbilde zu. Ihr Antlitz war jetzt freilich nicht schwarz, sondern blutunterlaufen und sowohl bleicher, als röter, wie die Hinterseite eines Pavians violett, was ihr jedoch nur als der erfreuliche Übergang zur künftigen Weiße erschien.

Und dann wurde ihr Haar vorgenommen. Auch das gab ein bitterliches Leidwesen. Es stand nämlich in kleinen, verfitzten, schwarzen Wollkräuseln auf ihrem Haupte. Zwischen den einzelnen ineinander gerollten Löckchen schien die Kopfhaut rötlichbraun durch. Das war ihr ein Greuel, sie zeigte auf Frau Dieters glatten Scheitel und reinlichen Haarknäuel mit flehentlicher Gebärde. Das Striegeln dieses Hauptes ging aber wirklich über die schwachen Kräfte ihrer Pflegemutter. Da mußte der Hausvater helfen und gab sich gutmütig dazu her, ließ Bella niedersetzen und nahm die Reibbürste aus der Küche, denn eine gewöhnliche Haarbürste hätte nicht gefruchtet.

Als dieses Frisieren zum ersten Mal stattfand, schauerte auch der lebenskundige Dieter zurück. In den vielen Nestern der einzelnen Wollkräusel verbarg sich noch das wilde Afrika. Schmutz und Sand und Läuse hausten hier, bisher noch völlig ungestört, wie in einem kleinen Urwald. Sie hatten das ungebärdige Haar zusammengebacken und wehrten sich gründlich ihres angestammten Besitzes. Reibsand und Petroleum hielten her. Und es wurde nach Leibeskräften gestriegelt und geschmiert, gewaschen und gefettet. Die afrikanischen Bewohner mußten endlich aussterben, und die Kräusel lösten sich zwar nur unwillig und äußerst mühselig, aber erschienen wenigstens glänzend und machten einen gewöhnlichen Lockenkopf, der Bellas Ehrgeiz freilich keineswegs genügte, aber vielleicht später einmal sich schlichten und glätten mochte, wie sie sehnlich wünschte.

Mit dieser großen letzten Reinigungsarbeit hatte man sich allerseits das Nachtmahl redlich verdient, das nun mit Dampf und Wohlgeruch auf den Tisch kam. Nachher lehnte sich Dieter behaglich in seinem Stuhl zurück, ließ sich von seinem Buben die lange Pfeife bringen und schmauchte, während er seinem Söhnlein gestattete, auf seinen Knieen zu reiten, was dem großen Jungen noch immer als der Inbegriff würdiger Belohnung und Annehmlichkeit erschien, der schaukelnd seine Schulerlebnisse berichtete und sich vom Vater ausfragen ließ. Bella aber ihrerseits wetzte auf ihrem Sessel hin und her und konnte sich vor Ungeduld nicht fassen, starrte mit glühenden Augen auf den großen weißen Mann, sprang endlich zornentbrannt auf, stieß den Knaben mit einem ihrer wüsten tschechischen Schimpfworte von seinem Ehrensitz und begehrte selber auf Dieters Kniee. Und da durfte der kleine Josef, wenn er auch über diese Gemeinheit noch so aufgebracht war, nicht wehleidig tun, denn das litt der Vater nicht: »Laß jetzt auch die Schwarze reiten, später kommst du wieder dran!« Und nun schaukelte er gutmütig das große afrikanische Kind, das eigentlich schon ein ganzes Weib und doch noch dümmer war, als sein vernünftiger Junge. Aber sie war auch gewiß und wahrhaftig noch niemals auf eines guten Vaters Knieen gesessen und geschaukelt worden. Damit sie aber auch etwas zur Unterhaltung beitrage, die sie mit anständigen gesetzten deutschen Worten nicht wohl führen konnte, sagte er ihr: »Also Bella, sing' was!« Weil es schön behaglich warm war und kein Fremder sie beirrte, fing sie, langsam auf den Knieen des Ziehvaters sich wiegend, zu singen an, weiche Silben in merkwürdiger schwermütiger Tonfolge aneinanderreihend: die Gesänge ihrer Landsleute, die ihr unvergessen eigen waren, wie ihre Haut und ihr Haar, Gesänge, die sie vor langer Zeit abends im Freien unter dem hohen Himmel beim Brunnen oder vor den Hütten beim Mahlen des Korns, beim Melken der Kühe, beim Flechten von Bast selbst gesungen hatte. Kam aber irgendein Fremder, so sprang sie mit einem Husch von ihrem guten Sitze, verstummte, verkroch sich in eine Ecke und glühte den unwillkommenen Gast mit ihren wilden Augensternen gehässig an. Auch vor dem Doktor Hesky sang sie um keinen Preis diese Lieder, deren sie sich schämte, die sie vergessen wollte, wie sie ihre Haut und ihr Haar verleugnete, und von denen sie sich nur gleichsam überkommen ließ, wenn sie sich ganz unbeachtet dem Wohlsein der Abendruhe ergab. Sie schien überhaupt den Doktor fast zu verabscheuen, jedenfalls recht zu fürchten, obgleich sie ihm durchaus und ohne Widerstand gehorchte. Aber an ihren Blicken sah man den Kampf, das Widerstreben, den Zorn, diesem Manne untertan zu bleiben. Befahl er etwas, so erfüllte sie es schweigend, mit trotzigem Mund und gesenkten Augen, aber nur das, was sich erzwingen ließ, nicht mehr. Befahl er ihr zu singen, so krähte sie irgendeinen tschechischen Gassenhauer, den sie bei ihrem Prager Aufenthalt gelernt, ingrimmig falsch, laut und höhnisch, daß sich alle die Ohren zuhielten und froh waren, wenn sie aufhörte und voll Genugtuung nach beendetem Gesang die Zunge herausstreckte.

Auch in ihren Unterhaltungen mit dem jungen Dieter – die beiden spielten und schwatzten lange Nachmittage miteinander in einer Zimmerecke – lehnte sie jede Auskunft über ihre Heimat mit einem wegwerfenden Kopfschütteln ab. Die Kinder hatten sich eine unbeholfene Umgangssprache gebildet, in der sie sich, für die Erwachsenen völlig unverständlich, nach ihrer Art ganz wohl einander mitteilen konnten. Josef sprach Deutsch und verstand von seiner Mutter her – Frau Dieter war eine Landsmännin Heskys – ungefähr ebensoviel Tschechisch, wie Bella; diese wieder redete ein mit afrikanischen Sprachfetzen behängtes Deutsch, dazwischen englische Brocken und tschechische Floskeln, letztere besonders, wenn es einen Schimpf galt, sei es, daß diese Sprache sich zum Schelten vorzüglich eignet, sei es, daß Bella bei ihrem Aufenthalt in Böhmen durch Heskys Mutter gewisse Ausdrücke sozusagen auf ihren Rücken gekerbt und in der rhythmisch eindringlichen Begleitung von Schlägen dem Gedächtnis eingeprägt bekommen hatte. Derlei Redensarten haften besonders gründlich und kommen bei ähnlichem Anlaß unwillkürlich wieder hervor wie alte strenge Striemen. Ihre Erziehung in Böhmen mochte überhaupt sowohl schwierig als schmerzlich genug gewesen sein. Auch davon liebte sie nicht sehr zu reden. Josef, der eben in dem Alter war, wo sich die Knaben mit den höheren Dingen auseinanderzusetzen beginnen, jegliche Betätigung derben Mutes und männlicher Rücksichtslosigkeit suchen und es gerade darauf abgesehen haben, wovor man ihnen Respekt einbläuen will, befaßte sich in allen seinen Gedanken und Bestrebungen mit einer wilden und ruchlosen Gottesleugnung. Nicht bloß, daß er den geduldigen alten Himmelvater sich zugleich vorstellte und mit allen Schimpfnamen schmähte, die er aufzubringen und zu erfinden verstand, um ihn nur wieder aus der Welt wegzufluchen, sondern er setzte ihn auch täglich und stündlich ins Unrecht, indem er ihn jeder bösen Wendung beschuldigte, die etwa eintraf, so daß ein nicht vorhandener Herrgott zugleich den Sündenbock für alles abgeben mußte, was Josef irgend mißfiel. Dieser Kampf gegen den lieben Gott bildete des Knaben eigentliche feierliche Lebensaufgabe, auf welche er sich »bei Gott«, man muß schon so sagen, nicht weniger zuguttat, wie von je die Aufklärung auf ihren heiligen Beruf. Man kann sich denken, daß Josef seine Kameradin vor allem in diese Grundtatsache einzuweihen, mit dem ersten und letzten Ergebnis seiner Weltanschauung vertraut zu machen suchte: »es gibt keinen Gott«.

Doch wie merkwürdig: Bella war von dieser Nachricht, die wie Josef glaubte, all ihre eingeborenen Vorstellungen erschüttern und sie in den bittersten Zustand des Nichts und der Zerknirschung stürzen mußte, gar nicht sonderlich berührt! Sie hörte zu und nickte gedankenlos. Er mußte ihr nun auseinandersetzen, was er meinte. Gott! Was war, wer war Gott? Das war ein Mann, ein Geist, ein Vater, ein Sohn, dreierlei und einerlei, der angeblich alles erschaffen hatte, was auf der Welt war, Baum und Sonne, Boden und Himmel, Feuer und Wasser. So hieß es. Aber das war nicht richtig. Es gab keinen Gott. Bella bestätigte das, Feuer zündete der Mensch, Wasser kam aus dem Wasserleitungsrohr, wenn es regnete, machten es die Wolken. Diese Erklärung erschien wieder dem Knaben gar zu flach und grob, denn im Hintergrunde blieb doch etwas stehen. Bella warf hin, in Prag seien viele, viele Götter gewesen. Nein, meinte Josef, es gibt doch nur einen oder dreierlei in einem: Gott Vater, Sohn und heiliger Geist. Auch in Prag könne es nicht mehr geben. Doch! Dort seien viele, viele große, hohe, steinerne Götter mit Gold und Farbe gewesen. Das waren ja nur die Kirchen, die sie meinte. Dort sollte bloß der Gott wohnen, aber die hohen, steinernen, goldenen Dinge waren nicht Gott selbst, sondern nur von Menschen gemacht, um ihn anzubeten. Auch das war Bella recht. Ihretwegen brauchte keiner einen lebendigen Gott zu glauben oder zu leugnen. Es ging doch alles ganz ruhig, ob man von solchem Zeug schwatzte oder nicht. Was sollte sie mit einem Gott anfangen? Josef ärgerte sich wieder über diese gemeine Gleichgültigkeit und alltägliche, rohe Nüchternheit. So war es nicht gemeint. Wenn man einen Gott verleugnet, muß man ihn unter Furcht und Zweifeln von seinem angestammten Himmel herabziehen, ihn einen toten Hund heißen und dabei warten, ob er einem nicht im nächsten Moment die Zunge im Mund verbrennen läßt. Man muß seine Allgegenwart verlachen, wenn man irgendwas anstellt, das keine strafende Gerechtigkeit erblicken soll und dabei immerzu denken: sieht er's und tut nichts dergleichen? Nein, er sieht es nicht, weil er ja gar nicht ist, ich darf machen was ich will. Man konnte eine Türklinke auf- und zudrehen. Auf! Hab ich das jetzt mit meinem freien Willen getan, oder hat mir das der Herrgott bestimmt? Zu! Weiß er das? Auf! Er weiß es nicht! Das war der Herrgott.

Und daß man überhaupt auf der Welt war, wer hatte das angeschafft? Die Wolken am Himmel, den Baum, die Tauben auf dem Dache, alles Tun und Treiben der Menschen, das Gute und das Böse, schwarze, rote und weiße Menschen, die Donau, den Prater, was sie hier redeten und taten, das alles sollte ein Gott gemacht haben, ein einziger Gott, der sollte mit einem großen roten Mantel und wallendem weißen Bart unsichtbar über sieben Himmeln sitzen und mit einem Blick anschaffen: da scheint die Sonne, da springt ein Wasser, da sitzen zwei, einer ist schwarz, einer weiß! So war der Herrgott.

Und wieder mußte man dessen, der nicht war, des geleugneten, beschimpften, immer wieder denken. Ja, mit dem lieben Herrgott geht es den Menschen nicht anders, als jenem Schatzgräber, dem man einen goldenen Fund verheißen, aber unter einer einzigen kleinen Bedingung: er dürfe dabei nicht an ein Nashorn denken. Und nun konnte er den Schatz niemals heben, denn immer fiel ihm das Nashorn ein. So durfte Josef auch den verteufelten Herrgott nimmer und nimmermehr aus seinen Gedanken bringen, da er ihn einmal hatte nennen hören. Er mußte ihn glauben, indem er ihn leugnete, von ihm reden, indem er ihn höhnte und ihn überaus groß und wichtig nehmen, wenn er ihn der kleinen Negerin doch als eiteln Wahnwitz und nicht vorhandenen Menschenunsinn recht eindringlich verleiden wollte, die an Gott so wenig dachte, wie der Schatzgräber vor der Verheißung an das Nashorn.

Nicht in allen Stücken erschien aber Bella so untergeordnet, wie bei diesen metaphysischen Unterhaltungen, denn sie erfreute sich eines vornehmen Verkehrs, hatte sie doch, wie wir schon früher erzählten, während ihrer Ausstellung allerhand Freunde gewonnen, die ihr nach wie vor Aufmerksamkeit schenkten, da diese kleine Negerin in den üblichen Gesellschaften recht wohl eine eigenartige Sehenswürdigkeit abgab. Man konnte sich mit ihr vor den anderen Leuten hervortun, eine nähere Verbindung mit der Wissenschaft, mit einem zur Zeit berühmten und populären Manne aufweisen und mit einer afrikanischen Spezialität Staat machen. Daher wurde Bella wiederholt zu Nachmittagsgesellschaften eingeladen, wo sich die verschiedenen jungen Mädchen mit Ach und Oh, Zärtlichkeiten und schwärmerischen Huldigungen, Seufzern und Küßchen um sie bemühten, was die Negerkönigstochter teils mit würdiger Geduld, teils mit zähnebleckendem Hohn und tschechischen, gottseidank hier im Lande nicht gemeinverständlichen Flüchen über sich ergehen ließ und nur, wenn eine der versammelten Damen ihr allzu schmachtend lästig fiel, sich etwa mit einer ausholenden Ohrfeige wehrte. Solche unerwartete Grobheiten machten sie zwar recht gefährlich, aber wiederum doppelt merkwürdig, so daß man dieses possierliche, wilde Tier ohne Maulkorb und Kette neben sich duldete und ihm sein Böses belustigt zugutehielt. Man fütterte Bella mit Zuckerwerk und bewunderte ihre Leistungsfähigkeit auf diesem Gebiete, indem sie recht wohl auf einen Sitz ein Kilogramm Schokoladenbonbons verschlingen konnte, woran sich die ganze Gesellschaft als an einem gotterschaffenen Naturschauspiele weidete. Freilich hatte sie nachher zu Hause gewisse Beschwerden, wogegen der Doktor Hesky eine beträchtliche Quantität Rhizinusöl verordnen mußte, um ihre unverwüstliche Gesundheit wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Was aber das Geistige betraf, so zeigten ihr die verzückten Fräulein ihre Photographiealbums und goldstrahlenden Prachtwerke und erbaten sich von der neuen Freundin auch den üblichen Tribut des Andenkens und der guten Gesinnung in ihren Stammbüchern. Hier sollte auch Bella neben den zierlichsten Zeichnungen, den bekanntesten Wunsch- und Unschuldsverslein, fein gestochenen Melodieen, Gebinden aus gepreßten Blumen und all dem verlogenen Kram der weiblichen Jugendeselei sich verewigen. Das war leichter verlangt, als erfüllt, denn sie konnte weder schreiben noch lesen, weder zeichnen noch malen, und verstand sich auch nicht auf die tieferen Zwecke solcher Unternehmungen. Mithin schüttete sie auf eine schöne weiße Seite ein Tintenfaß aus, und das mußte als bleibendes Zeichen ihrer Freundschaft gelten, in ein anderes dargereichtes Album spuckte sie wieder kräftig hinein, womit sie ein schlichtes Geschenk ihres Innenlebens darbot.

Dieser Zustand gröblicher Unbildung erweckte in ihrem Ziehvater Dieter den Gedanken, das Mädel sollte etwas lernen. Herr Dieter begab sich daher in die Volksschule, die auch sein Sohn besuchte und fragte den Oberlehrer, ob er nicht eine kleine Negerin aufnehmen möchte. Das war eine rechte Verlegenheit. Dafür gab es noch kein Beispiel in der Schulvergangenheit.

»Ist sie schulpflichtig?«

»Ja, sie ist noch nicht vierzehn Jahre alt.«

Bei diesem erschwerenden Umstande konnte man im Grunde ihre Aufnahme nicht verweigern, wenngleich die Negerin doch nicht unbedingt nach Wien gehörte. Aber wer zu einem Geistlichen kommt, darf der Segnungen der Religion, und wer von einem Lehrer Unterricht verlangt, nicht des seligen Brotes der Bildung beraubt bleiben. Also mochte die Vorfrage, ob Bella aufgenommen werden müsse, zwar rechtlich strittig sein, menschlich, sittlich, pädagogisch war sie es nicht. Der Lehrer gedachte daher, so lange als möglich sich zu sträuben, aber schließlich, wenn darauf bestanden wurde, ja zu sagen.

Dieter war nicht der Mann, von seinem Verlangen so leicht abzulassen und eine beschlossene Sache preiszugeben. Er blieb so lange ruhig vor dem verlegenen Schulmanne und wiederholte, das Mädel müsse endlich etwas lernen, bis der Herr Oberlehrer in Gottesnamen ein Formular hervorzog. Dieter lächelte befriedigt, denn wenn einmal ein Formular erscheint, taucht doch der Beginn einer Erledigung, wenngleich erst in weiter Ferne, auf dem Horizont empor.

Das Nationale. Die mannigfachen Rubriken dieser Urkunde wurden vorgelesen. Was es alles für Dinge gab, die diesem Falle durchaus widerprachen!

»Aber lieber Herr. Das alles stimmt ja nicht. Was soll denn dem Mädel zum Lesen- und Schreibenlernen ein Nationale? So streng wird's ja nicht sein.«

»Ich brauche das vor der Schulbehörde, um die Aufnahme zu rechtfertigen.« Seufzend ergab sich Dieter.

»Name!«– Wie hieß sie? Liapaleng. Das war kein Name. »Sagen wir also Bella.« – »Zuname?« – »Nicht daß ich wüßte.« – »Geburts- und Taufschein!« – »So etwas gibt's in Afrika nicht. Aber geboren ist sie, darauf können Sie sich verlassen!« – »Konfession!« – Dieter kraute sich hinter den Ohren. »Sie wird wohl die Negerreligion haben.«

»Ist sie vielleicht katholisch getauft?«

»Beileibe nein!«

»Das wäre aber gut, dann hätten wir wenigstens einen Taufschein.«

»Meinetwegen, auf ein bißchen kaltes Wasser mehr oder weniger kommt es ihr nicht an, sie wird vielleicht eher weiß davon.«

»Name und Stand, Titel und Charakter des Vaters!« – »Wie der Kerl heißt, weiß ich nicht, schreiben Sie einfach: König in Afrika.« – »Aber das geht doch nicht um Gottes Christi willen!«

»So geben Sie mich als Ziehvater an!« – Kopfschütteln des verzweifelnden Schulmannes.

Zuständigkeit! »Afrika.« Afrika! Das war wieder eine Antwort! Afrika war groß. Sie mußte doch eine Heimatsgemeinde haben, oder nicht?

Von dem hartnäckigen Bildungswerber bezwungen, ergab sich der Oberlehrer in die völlig ordnungswidrige Existenz und Schulunwürdigkeit Bellas, nicht ohne sich als Verbrecher gegen alle Vorschriften recht unbehaglich und von einer peinlichen Rüge seiner Vorgesetzten bedroht zu fühlen.


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