Otto Stoessl
Negerkönigs Tochter
Otto Stoessl

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Als er jetzt nach sieben Jahren davon erzählte, überlief ihn ein Schauer, und er bedeckte sein Gesicht mit den Händen und schämte sich. Aber da er schon im Beichten war, verschwieg er nicht, daß er auch hier seinem Schicksale nicht entgangen. Hatte er in Prag eine liebende Braut gefunden, so geriet er hier leider an ein nicht minder dringliches Weib. Ihr habt leicht reden, ihr ordentlichen Männer in Europa, die ihr wählen könnt und Genossinnen nach freiem Ermessen findet! Aber was gilt in den Diamantenfeldern ein Weib! Die schlechteste weiße Frau ist dort ein Schatz des Himmels! Man lauert auf sie, man umwirbt sie mit Revolver und Peitsche, man jagt sie einander ab, sie steht hoch im Preis, wie die Diamanten. Und wer kommt in diese Gottverlassenheit! Sind das noch Frauen? Schön oder häßlich! Er lachte bitterlich. Die Ärgste ist noch ein Wunder Gottes. Wenn einer dort ein Weib hat, starren ihn die anderen an, wie hungrige Wölfe den satten. Jedes Weib ist schön, wie eine Lache dem Verdurstenden gepriesen ist. Mit einer solchen lebte er in seinem Zelt. Er hatte ein Kind mit ihr. Er ernährte sie und erduldete sie. Vor ihm aber dehnte sich die fremde, unermeßliche, wüste Welt und er dünkte sich weiter von dem Afrika, das er erforschen wollte, als da er noch in seinem schönen heimatlichen Prag davon träumte. In diesem Elend darbte er sich den Groschen vom Munde ab und legte sich eine Summe zurück, um zu entfliehen. Einerlei wohin! Das Entdecken galt ihm wahrlich weniger als das Entkommen. Weg aus dem Schmutz dieses Erwerbes, dieses Daseins, weg von diesem Weib, weg von diesem Herd, fort aus dieser tobenden Einsamkeit, die ihn verschlang! Und eines Nachts, nach drei Jahren, brannte er durch; eine Flinte um die Schulter, sein Geld in einer Katze um den Leib gebunden, so machte er sich davon, tagelang durch unwegsame, öde Gebiete, bis er in der freien, fernen Welt aufatmete. Nun ging das Wandern an. Er kaufte in einem Farmerhaus einen Plachenwagen, sechs Rinder als Zugtiere, mietete drei Neger als Diener und Führer und fuhr in das Landinnere, in die Reiche der schwarzen Eingeborenenstämme und jagte; erschoß die Steinbockgazellen, welche am Tage blind sind, die behenden Blauböcke, die hurtigen Schakale, er kam zu den grauen Salzseen, an deren Ufern der Lärm der mannigfachen Vögel zu der heißen Sonne emporstieg. Er reiste durch die Weiler der dürftigen Hottentotten, deren Hütten ärmlicher und kunstloser sind, als die von den Bäumen herabhängenden und im Winde schaukelnden Nester der Webervögel. Wenn es regnete, wurde seine Straße zu einem Strome. Er lauerte auf die eilenden Reiher, auf die bunten Wildenten, auf die vorüberspazierenden Strandläufer, Paviane grimassierten von den Sykomoren auf den armen Menschen nieder, der ihnen wunderlich dünkte, und sie zeigten ihm ihren purpurnen Hintern. Er lebte unter den Negern und lernte ihre einfache, bilderreiche Sprache, indem er sie etwa nach der nächsten Quelle fragte und die Antwort erhielt: »Wenn Ihr jetzt diese Stelle mit Eurem Wagen verlasset, so werdet Ihr zur Zeit, wenn sich der Gebieter Sonne zur Ruhe gelegt, mit der klaren Flut des Wassers, in dem die Springböcke ihren Durst stillen, auch Eure Gefäße füllen können.« Er wurde krank, so krank, daß er fiebernd vor seinem Wagen lag und seine Schwarzen reden hörte: »Wenn er nicht schon tot ist, wird er doch gewiß nicht lange mehr Mais essen und das Zuckerrohr saugen.« Er war Gast von Häuptlingen und Königen und genoß ihre Freundschaft wie ihre Tücke und sah die menschliche Gemeinheit nackt gehen, sie stahlen ihm höchsteigenhändig aus seinem Zelt, was ihnen gefiel und verrieten ihn um ein Pfund Glasperlen. Er litt Durst in der wahnsinnigen afrikanischen Hitze, wo weit und breit keine Spur von Wasser war und glaubte den Himmel offen, als er am glühenden Abend von weitem den erlösenden Gesang der dunklen Mädchen aus dem fernen Dorfe vernahm. Er nächtigte bei großen Feuern, umbrüllt von Löwen, die nach einem Rinde lechzten, dem sie den Bauch aufbeißen wollten, die Zebrahengste wieherten, und aus dem trockenen Boden drang ein Geräusch, als wühlten sich die Toten aus den Gräbern hervor; es waren aber Scharrtiere, die im Sande ihr Futter suchten. An die Stämme des Waldes schlug es wie mit Knütteln. Das taten die Antilopen, die ihre Hörner an den Stämmen wetzten. Oder bei Tage stampfte ihm ein Nilpferd entgegen, man brauchte nur zur Seite zu treten, und es hatte schon vergessen, daß es einem Eindringling drohen gewollt. Welche große, fremde, reiche, unendliche, wunderbare Welt! Und welcher Lärm der Einsamkeit! Tausende Vögel, tausende Arten im Rohr, auf den Bäumen, im Wasser! Herden von Tieren, die ihren Trunk, ihr Futter suchten und mit ihren Stimmen, Tritten, Rufen die Luft erschütterten, dazwischen das tausendfältige Summen der Insekten, langgezogene Schreie der Adler, höhnende Weiberstimmen bunter Sittiche, das schallende Flügelsausen ziehender Wildgänse. Durch diese Welt streifte er mit Flinte und Medizinen, als Jäger und Wunderdoktor, von den Eingeborenen bestaunt, gefürchtet, verehrt, als ein fremder und verabscheuter Gottmensch. Er gab Glasperlen und Ketten und empfing die kindlichen Werke ihres Negerfleißes: Flechtwaren, Felle, Elfenbeinbüchsen, Kalebassen, Holzschnitzereien, Pfeifen, Haarkämme, Armbänder aus trockenen Beerenfrüchten. Er rastete wochenlang in ihren Hütten am Flusse und behandelte des einen krankes Bein, des anderen offene Wunde, einer Königin half er bei der Entbindung und zog ein Negerlein an das Licht, das sich beharrlich weigerte, in diese wunderliche Welt einzutreten.

Und als er endlich, mit Beute beladen, den Wagen mit Kisten gefüllt und mit Naturwundern vollgepfropft, aber arm an Geld und krank vor Sehnsucht nach weißen Menschen, nach der Heimat und Rückkehr, die Küste wieder aufsuchen wollte, bekam er noch ein lebendes Andenken an die schwarze Welt mit: Bella, des Negerkönigs Tochter. Hesky war nämlich wochenlang Gast eines großen Fürsten dieser Stämme gewesen, zu seinen Ehren wurde von der eingeborenen Musikbande auf Kürbisschalen Lärm geschlagen, gezupft, getrommelt, er hatte unter den Damen des Monarchen wählen dürfen und war unter dem Tosen der Eingeborenen in des Königs Barke auf dem Strom gefahren. Und eine der jungen Töchter des Herrschers hatte an ihm ihr Wohlgefallen gefunden, so daß sie bei Tag und Nacht nicht von ihm weichen mochte. Dort hieß sie Liapaleng, er nannte sie Bella, und sie bewunderte sein weißes Gesicht, seine Kleidung, seine Sprache, seine Gebärden, seinen Hochmut, alles was sie nicht verstand. Sie folgte ihm wie ein Hündlein, und wäre sie schon alt genug gewesen, daß man sie ins Dickicht hätte führen, salben, scheren und eine Woche lang vorbereiten können, so hätte man sie nach einem Hochzeitstanz von drei Tagen und Nächten ihm sicherlich als Weib zugeführt. So aber war sie noch ein zehnjähriges Mädchen, dort in dem Lande der frühen Reife unmittelbar vor der Mannbarkeit, man überließ sie ihm daher als lebendes Zeichen der Freundschaft. Er konnte sich dieses merkwürdigen Menschengeschenkes nicht erwehren. Denn ob er zu ihr sprach oder schwieg, sie kauerte zu seinen Füßen, wenn er saß oder lag, sie ging drei Schritte hinter ihm, wenn er unterwegs war, sie grinste, wenn er lächelte, sie heulte, wenn er eine finstere Miene zeigte, war er allein, so warf sie ihr Fellchen ab und tanzte, um ihn zu erheitern, sie half seinen Dienern das Korn mahlen und Brot backen, kochen und Wasser tragen, sie spaltete Holz, sie schichtete Reisig, eines hohen Königs Tochter diente sie wie eine erwachsene Magd bei dem weißen Doktor. Dies alles, weil sie einmal unter der Schar der Frauen ihm zugesehen hatte, wie er schrieb, wie er Kranke behandelte. Als er ihrem erlauchten Vater eine eiternde Wunde gereinigt und den bohrenden Schmerz durch einen duftenden Balsam erleichtert hatte, schrie sie ihm mit bleckenden Zähnen in ihrer Sprache etwas zu. Der Fremde sah sie erstaunt und lächelnd an, und der Dolmetsch gab ihm bekannt, was sie wollte. Sie forderte nämlich den Doktor auf: »Du sollst mich weiß machen!« Hesky ging auf den Scherz ein und sagte: »Da mußt du nur lang genug bei mir bleiben.« Seitdem folgte sie ihm und vertraute seiner Kunst. Auch ihr königlicher Vater zeigte nicht übel Lust, diese Kur einmal wirken zu lassen, und als Hesky endlich Abschied nahm, eröffnete er ihm: Liapaleng sollte dem Njaka anvertraut werden, er möge sie in das große Dorf mitnehmen, wo er im Norden zu Hause sei und sie nach ihrem Wunsche weiß machen, hierauf aber zurückbringen. Denn er werde wiederkehren. Und dann solle sie, die erste Weiße unter ihren Schwestern, göttliche Ehren genießen. Bis dahin sei sie ihm geschenkt.

Da sie gehorsam, demütig, willfährig und anstellig war, ließ er es sich gefallen, nahm sie mit und trat mit all der leblosen und dieser lebenden Beute den Heimweg an.

Nun kam er abermals an die Küste, nach drei Jahren wieder unter Menschen, seit er aber aus der Heimat fortgezogen, waren sechs Jahre vergangen. Jetzt war er freilich ein anderer geworden, ein gebräunter, von Sturm und Hitze, Fieber und Entbehrungen durch und durch geglühter, sozusagen ein dreimal gehärteter Mensch, aber wenn er es bedachte, war er eigentlich weiter gekommen, als da er, ein schmächtiger Bursch, ausmarschiert, seine Zukunft zu erobern? Bettelarm stand er da, seine Ersparnisse dreimal angesammelt, waren dreimal zerronnen. Freilich hatte er unbekannte, weite Länderstrecken durchstreift, die vor ihm keines Europäers Fuß betreten, hatte Karten aufgenommen und sorgfältig jeden Hügel, jedes Tälchen, jedes Wasseräderchen eingezeichnet, hatte wie ein schaffender Gott dieser Welt Namen gegeben und nicht unterlassen, einen Berg, welcher ein väterliches Haupt aus der Niederung erhob, Chaloupka-Spitze, zu Ehren des Gönners und Vaters der Reisenden, eine Salzpfanne nach seiner Heimat: Chrudimer-See zu nennen, ganz abgesehen von allen den Bächen, Hügeln, Ebenen, die fortan aus dem unerschöpflichen Schatze der Namen des österreichischen Erzhauses getauft, an sein Vaterland erinnern sollten, wo bisher niemand und künftighin wohl nur wenige daran denken würden. Er besaß Sammlungen, die ihm als das Liebste auf der Welt galten und sein ganzes Selbst in diesen Jahren gekostet hatten, aber er kam, wie es das Los der Fahrenden seit jeher gewesen, doch recht arm und bloß unter die Menschen zurück, ein Fremdling und angestauntes Wunderwesen, halb wild wie ein Eingeborener, halb wissend wie ein Gelehrter, aber von einer Kenntnis erfüllt, mit der wenig anzufangen war. Sie taugte gerade noch, einen berühmt und merkwürdig zu machen, so daß die anderen nützlicheren Mitglieder der Gesellschaft ehrerbietig sich über den Wandernarren im stillen verwunderten, aber zu wenig, ihm auch nur ein Gewand und des Lebens Notdurft zu verschaffen. Für seine Sammlung erhielt er keinen Bissen Brot, und es hieß nun, sich die Heimreise wieder zu verdienen. So mußte er sich in dem britischen Küstenstädtchen neuerlich als Arzt niederlassen und durch eine mühselige Praxis die Mittel zur Rückkehr nach der Heimat ersparen. Aber außerdem beschrieb er seine Erlebnisse in den englischen Zeitungen, die dort erschienen, stellte seine Sammlungen aus, hielt Vorträge über die Eingeborenen, erstattete der britischen Regierung Anträge zur Förderung der Gesittung, des Ackerbaues der Neger, zur Erschließung von Handelswegen nach dem inneren Gebiete und erwarb sich in England und an der britischen Küste Afrikas immerhin einen ehrenvollen Namen, dessen Kunde von seinen beflissenen Landsleuten in Prag sehr begierig aufgenommen und weiterverbreitet wurde, so daß er auch zu Hause, wenngleich noch fern, doch bereits als der dankbare und bedeutende Sprößling der Nation galt. Chaloupka, der Vater der Reisenden, erwies sich wiederum besorgt um seinen Günstling, sandte ihm eine Geldsumme zur Heimfahrt, und die österreichische Regierung erwirkte ihm den frachtfreien Transport seiner Schätze. So konnte er nach einem letzten Arbeitsjahre mit all seiner Habe und mit der kleinen Negerin das Schiff besteigen, das ihn nach London führen sollte, von wo er nach Prag zurückzukehren gedachte.

Dort war unterdessen eine bedeutende Bewegung im Gange, ihn zu feiern und als reisigen Nationalhelden zu begrüßen. Chaloupka hatte alle tschechischen Zeitungen zu schwungvollen Artikeln begeistert, und die Kunde von dem Afrikabezwinger Doktor Hesky drang durch das ganze Land. Natürlich befiel diese Siegesnachricht auch seine alte Braut und erweckte längst begrabene Wünsche und Hoffnungen. Nun gedachte sie den Flüchtling endgültig zu gewinnen und sich seiner zu versichern. Sie suchte Chaloupka auf und stellte sich dem Erstaunten als die Braut des berühmten Mannes vor, die herzlich und zuversichtlich acht lange Jahre, ohne der früheren Zeit zu gedenken, des Abwesenden geharrt. Zwar war sie recht derb und herb geworden, aber jedes graue Haar, jede Falte um ihren Mund, jede Runzel in ihren Augenwinkeln legte höchst ehrenvolles Zeugnis für ihre Geduld ab. Und wenn auch Chaloupka den Geschmack seines Schützlings nicht teilen wollte, so war doch die Legende solcher, alle Hindernisse der Trennung überdauernden bräutlichen Treue zu köstlich, um nicht vor der ganzen tschechischen Öffentlichkeit als rührender Beweis der nationalen Weibeswürde zu dienen. Die Außenstehenden brauchten ja nicht zu wissen, wie die Heldin aussah, wie alt sie war, und daß ihr die Vorderzähne fehlten. Genug, die acht- und mehrjährig Verlobte hatte sich dem Geliebten aufbewahrt. Der Ausschuß, der sich zur Begrüßung und weiteren Förderung Heskys gebildet hatte, zog sie als Ehrenjungfrau bei, und schließlich reiste Chaloupka mit zwei anderen Herren und mit der berühmten Jungfrau nach London ab, um Böhmens großen Sohn beim Betreten europäischen Bodens willkommen zu heißen.

Diese kleine Schar stand am Ufer der Themse an der Landungsbrücke und erwartete das Schiff, das den Ersehnten hierher bringen sollte. Nichtsahnend, zufrieden, die Beschwerden der sieben afrikanischen Jahre und die letzten Mühseligkeiten der Seefahrt hinter sich zu haben, bestieg Hesky mit der kleinen Bella das Boot, das vom Schiffe abgelassen wurde, um die Reisenden ans Land zu setzen.

Von ferne sah er die tschechischen Fahnen winken, Sacktücher wurden geschwenkt und eine gemietete Kapelle spielte das »Kde domov mui«, Himmel und Hölle, wer stand dort am Landungsstege neben Chaloupka? Berta, seine gewesene Braut! Und darum Afrika und sieben Jahre der Mühsal! Hesky winkte mit beiden Händen zur Abwehr und rief, mitten in die Hurrahrufe der Begrüßenden, mitten in das Dröhnen der Blechmusik: »Liebe Berta, das ist nichts mit uns! Ich habe dir ja geschrieben! Du hast meinen Brief bekommen! Daraus wird nichts!« Er wollte gar nicht aussteigen und lieber nochmals nach Afrika zurückkehren, als in die Arme seines Begrüßungsausschusses sinken. Aber schon war der beleibte Chaloupka auf das Boot gesprungen und holte den Widerstrebenden rettungslos ans Ufer.

Da stand er nun wieder im alten Elend! Nur mit Mühe konnte man ihn daran hindern, auszureißen und vor der ganzen tschechischen Heimat das Weite zu suchen. Mit seiner gewesenen Braut sprach er kein Wort und zeigte nur ein finsteres Gesicht, denn nun war ihm seine ganze Biographie versalzen. Das arme törichte Frauenzimmer wußte sich nicht zu helfen, so wandte sie sich mit bittersüßer Zärtlichkeit an Bella und tat ihr schön, obgleich sie im Herzen einen gewissen Argwohn nicht unterdrücken konnte, als sei die kleine Negerin irgend ein Zeugnis von Heskys unerlaubten Erlebnissen im fernen Afrika. Diese aber ging auf die täppischen Annäherungsversuche nicht ein, sondern fletschte ihr einmal mit einem Schrei entgegen, so daß Berta entsetzt zurückfuhr, und als sie, um das innige Interesse für alles, was den geliebten Mann betraf, zu beweisen, ihr wiederum den seidenweichen, braunen Arm streichelte, bekam sie von dem schwarzen Kind einen so gründlichen Schlag auf die Hand, daß sie mit einem teilnahmesuchenden Blick auf die Gefährten, entrüstet von der Wilden abrückte und weitere Bemühungen, die Spröde zu gewinnen, aufgab.

Unterdessen hatte Hesky Gelegenheit gefunden, seinem Gönner das Nötige zu erzählen. Um keinen Preis wollte er mit dieser zudringlichen Person heimkehren und sich ein Verlöbnis aufzwingen lassen, vor dem er seinerzeit bis nach Afrika entflohen war. Genug hatte er ausgestanden, genug unternommen, um endlich vor ihr Ruhe zu haben. Er mochte nichts mehr von ihr hören, am wenigsten aber die Unselige vor seinen Augen wissen. Chaloupka sollte sie irgendwie wegschaffen, sonst müsse er unbedingt wieder davongehen und sich vor dieser ungebetenen Treue in irgendeinen Winkel verkriechen. Der Vater der Reisenden bedurfte jetzt seines höchsten politischen Talents, ihn zur Vernunft zu bringen. Dieses Mädchen sei vor der ganzen Nation mit seinem Schicksal verbunden. Er schulde seinem opferwilligen Volke doch auch einige Achtung. Freilich, hätte er, Chaloupka, früher gewußt, wie die Dinge lagen, so wäre das Ärgste etwa zu verhindern gewesen, aber jetzt seien alle Blätter von ihrer Treue durchdrungen, Berta gelte nachgerade als Verkörperung der tschechischen Weiblichkeit, die nicht straflos beleidigt werden dürfe. Nun könne er ihr und sich nicht die Schande antun, das Mädchen zu verleugnen, welches – so stand ja überall zu lesen – auf den fahrenden Helden treu gewartet habe, wie einst eine gewisse Griechenfrau – wie hieß sie doch nur – auf einen viel umhergetriebenen Gemahl. Aus Rücksicht auf den würdigen Mann, dessen Zorn er nicht heraufbeschwören wollte, ließ sich Hesky bewegen, in der peinlichen Gesellschaft zu verbleiben, und so kehrte der Begrüßungsausschuß etwas niedergedrückt heim, wo er sich schleunig zerstreute, die enttäuschte Braut ging zu ihrem erbitterten Vater, Chaloupka in sein Gasthaus, Hesky in sein elterliches Dörfchen, wohin er Bella zu seiner Mutter brachte, die als rüstige Greisin den großen Sohn bewillkommte, und die übrigen in ihre Behausungen.

Aber es wurde dem vielduldenden Manne nicht leicht gemacht, Ruhe und Behagen zu finden, denn Berta, die auf gute Weise nicht in seinen Besitz kommen konnte, versuchte es nun im Bösen, nämlich auf dem ordentlichen Rechtswege, indem sie einen Advokaten mit der Klage gegen Hesky wegen Bruches eines Eheversprechens betraute. Nur gegen eine beträchtliche Summe war sie bereit, von dem geliebten Manne abzulassen, um derart wenigstens in gutem Gelde einen Anteil an ihm zu gewinnen. Wollte er daher sich endlich ganz von ihr losmachen, so mußte er eine Summe in die Hand nehmen, die ihn instandsetzte, mit Ehren auf die treue Berta zu verzichten. Um dieser Summe willen mußte er berühmt werden. Da zeigte sich nun, wie schwierig und ungleich es um die Berühmtheit steht. Der Doktor Hesky erfreute sich in England eines guten Namens und die tschechischen Blätter priesen ihn, in der Heimat galt er viel, aber eben darum verschwiegen ihn die deutschen, und in dem übrigen Österreich war er ganz und gar unbekannt. Der britische und tschechische Ruhm vermochte ihm nicht mehr zu bieten, als was er eben bisher bereits erlangt, einen Begrüßungsausschuß und eine eifrige Braut. Das Geld, diese wieder los zu werden, konnte er nur von der deutschen Wissenschaft und Bevölkerung erwarten, denn der begrenzte Kreis der Stammesgenossen war zu arm, seine Leistung mit irdischen Gütern zu belohnen. So stand er nun, fremd und hilflos, in all seiner unschuldigen Glorie recht verlassen da und mußte sich, obgleich von Herzen tschechisch gesinnt, auf den Weg nach Deutschland machen, um den schnöden aber unentbehrlichen Mammon zu gewinnen. Denn er wollte die treue Berta abfinden, und da er nun einmal wohl oder übel Afrikareisender geworden, galt es, diesem Berufe auch fernerhin nachgehen zu können. Und auch dazu bedurfte er des Geldes und des Ruhmes. Während jeder nichtige Bürger sonst im Lande für seine Arbeit einen bescheidenen Lohn fand, wovon er leben konnte, mußte er, der ein Gebiet von vielen hundert Meilen der zivilisierten Welt eröffnet hatte, betteln gehen. Das ist so das Schicksal der ungewöhnlichen Leute, daß sie die Menschheit, für die sie leben, noch inständig darum bitten müssen, es gütigst zu erlauben. Dies waren die Gründe, warum er in aller Stille seinem heimatlichen Ansehen entwichen und nach Wien gefahren war. Er hatte geglaubt, sein Ruf sei ihm längst vorausgeeilt, die gelehrte Gesellschaft zumindest würde doch seinen Namen kennen, die Vertreter seines Faches ihm freundlich entgegenkommen, aber siehe da, keiner wußte von ihm. Der verehrte Präsident hatte ihn höflich allerdings, aber entschieden abgelehnt und schien es keineswegs für seine Pflicht zu halten, einen Forscher der Völkerkunde auch nur anzuhören. Vielmehr wies er ihn an seinen Diener. Offenbar sei es auf der Welt der Brauch, daß ein Gastwirt einem Reisenden, ein armer Diener einem Afrikaforscher, etwa ein Gemischtwarenhändler einem Dichter oder ein Strumpfwirker einem Musiker sich als väterlicher Beschützer erweise, während die ehrenwerten Berufsgenossen einen rechten Spaß hatten, zuzuschauen, ob der Ertrinkende einen Halm fände, sich über Wasser zu halten. Erst wenn er glücklich ersoffen sei, hätte er wohl Aussicht auf ein schönes Begräbnis und auf eine ehrenvolle Denkrede des Präsidenten der ethnographischen Gesellschaft. Das heiße dann allenthalben: Opfer der Wissenschaft. Aber in Wahrheit sei wohl jeder Mensch, der nicht im Gewöhnlichsten aufgehe, ein Opfer seines Willens und seiner Torheit.

Dieter, welcher dem bitteren, wie im einsamen Selbstgespräch vorgetragenen Bericht des radebrechenden Gastes geduldig und mit Teilnahme zugehört hatte, tröstete ihn heiter und zuversichtlich. So sei es nun einmal in der geistigen Welt eingerichtet, daß jeder, was ihn am nächsten angehe, am wenigsten wahre und sich vielmehr nur um das Fernste bekümmere, darum müsse man eben dort die Hilfe suchen, wo sie sich biete und sie von denen nicht erwarten, deren Pflicht sie von Rechts wegen sei. Er wolle sich schon des Herrn Doktors annehmen und eine Ausstellung zuwegebringen, die allen Leuten die blöden Augen aufreißen werde. Aber zunächst gelte es, in der Audienz beim Kaiser recht zuversichtlich aufzutreten und möglichst viel herauszuschlagen, ferner einen Zimmermann anzuwerben, der den Saal herrichte und schließlich die Negerkönigstochter nach Wien zu bringen, die als lebendes Zeichen und Zeugnis der Reise die Hauptanziehung des Unternehmens darstellen müsse.

Hesky erklärte, er wisse für diese Arbeiten einen Vetter in seinem Dorf. Der hieß Tesař, was zu deutsch Zimmermann bedeutet. Obgleich vielleicht auch hierin der Stadt einer dem schwierigen Werk, ein paar Bretter an einen Fußboden zu nageln, sich gewachsen gezeigt hätte, bestand Hesky gerade auf seinem Landsmann und Anverwandten. Der sollte auch gleich Bella mitbringen, die unterdessen als Magd bei seiner Mutter grobe Arbeit verrichtete.

In den nächsten Tagen nahm das Unterfangen mit der eifrigen Hilfe Dieters den erwünschten Fortgang. Hesky wurde in der Audienz gütig und huldreich empfangen, in seiner Muttersprache über alle seine Erlebnisse ausgehört und um seine Wünsche befragt, so daß er auch die Bitte vorbringen konnte, im Amateurpavillon seine Schätze ausstellen zu dürfen. Dies wurde ihm gnädig gewährt und sogar der allerhöchste Besuch verheißen. Schließlich fragte die Majestät, ob der kühne Mann seine Erlebnisse nicht in einem Werke für Mit- und Nachwelt niedergelegt habe. Hesky, der zwar zu reisen, aber nicht zu schreiben verstand, merkte gleich, daß ihm hier eine ernste Pflicht auferlegt sei, da selbst die schönste Exkursion nicht geglaubt zu werden braucht, wenn sie nicht schwarz auf weiß überliefert ist. So bejahte er denn mehr dreist als wahrhaftig, er habe zwar vorerst nur Tagebücher und Notizen, hoffe aber jetzt die endliche Muße zur sorgfältigen Niederschrift zu finden und erbitte sich die hohe Gnade, dem kaiserlichen Herrn das vollendete Werk seinerzeit zueignen zu dürfen, wie denn sein ganzes Leben und Streben dem großen Vaterlande gewidmet sei, für das er jede Mühsal, selbst den Tod in der Fremde zu erdulden als das höchste Glück schätze. Auch dies wurde huldvoll anerkannt und der kleine tschechische Doktor mit der Zusicherung jeder wünschbaren und möglichen Unterstützung wohlwollend entlassen.

Nun ging in dem Praterpavillon das eifrigste Arbeiten an. Tesař der Zimmermann, ein junger kräftiger Bursch, der in einem abgetragenen schwarzen Anzuge mit brennroter Krawatte erschienen war, hämmerte und sägte nach Leibeskräften. Man packte die Kisten aus, ordnete die Schätze, in dem großen Saale wurden Wände behängt und ausstaffiert. Dieter beschaffte die nötigen Schränke. In einer Ecke schlug man die dürftigen Lagerstätten auf, wo Hesky, Tesař und Bella schlafen konnten, in einer anderen stand ein Tisch, an dem sie ihre Mahlzeiten einnahmen. Ein Pratergasthaus stellte das nötige Geschirr bei, und so richtete man sich in dem Wirrwarr der künftigen Ausstellung häuslich ein.

Dieter ließ mächtige schwarzgelbe Plakate drucken, in denen die bevorstehenden Sehenswürdigkeiten vernehmbar angekündigt waren, und er selbst ging mit seinem Buben, einen Kleistertopf und Pinsel in der Hand, in der Stadt umher und beklebte die verfügbaren Wände mit diesen Zetteln. Für den Knaben bedeutete dies die schönste Arbeit der schulfreien Zeit. Er fühlte sich dabei als Miturheber des großen Werkes.

Endlich war alles so weit fertig, daß man eröffnen konnte. Geweihe und Gezähn aller Art, bunte, verschiedenartige Felle hingen an den Wänden, ausgestopftes Getier stand schweigend und doch beredt umher, ein Krokodil sperrte seinen drohenden Rachen auf, eine Cobra wand sich an einem Stamme empor, als wollte sie gleich niederzischen, in der Mitte war eine Negerhütte aufgerichtet, aus Zweigen und Reisig und Bambus naturgetreu hergestellt, wie in der afrikanischen Gegend selbst, darin die Hausgeräte der besuchten Stämme. Ferner gab es kolorierte Zeichnungen, die der Doktor Hesky selbst angefertigt hatte, auf denen die Gestalten der verschiedenen Negerrassen prangten mit ihren Wulstlippen und Locken, Nasenringen und tätowierten Leibern, Karten, die seinen Weg durch diese unermeßlichen Weiten zeigten. Kurz er gab, was er hatte und Dieter fügte aus eigenem noch etwas mehr dazu, indem er manche sonstigen Schätze beistellte, die nicht gerade aus Afrika stammten, aber ohneweiters mittun konnten und die Fülle vermehrten.

Schließlich galt es, Bella als das lebende Zeugnis dieser Reisen auszustaffieren. Dieter meinte, sie solle von Rechts wegen so herumlaufen, wie sie daheim lebte, und wie es sich für sie gehörte, in einem schönen Schurz vom Schabrakenschakal, mit blauen Glasperlen um den Hals, mit bloßen Armen, einem feinen Nasenring, Beerenbändern an den Knöcheln und mit ihren natürlich geringelten Haaren. Aber da kam er schön an, als er sie auf diese Weise herrichten wollte, denn sie trug seit ihrer Ankunft im Norden ein buntes Wollkleid, Schuhe, Strümpfe und war recht europäisch-tschechisch ausgeziert. Und dies gefiel ihr auch, da sie ja eben keiner Negerin, sondern einer Weißen gleichen wollte, um dereinst, wie ihr versprochen war, auch in Wahrheit eine Weiße zu werden. Sie schlug und biß um sich, als Dieter sie bewegen wollte, ihre heimatliche Tracht umzutun und schrie den braven Mann mit tschechischen Scheltworten an: »Du verfluchter Hundsknochen, du schmutziger Lausekerl, du stinkender Rekrut« und wie dergleichen Ausdrücke ihr beikamen, die sie in den etlichen Monaten ihres Aufenthaltes im tschechischen Dorf sich sehr rasch angeeignet hatte. Wußte sie auch nicht genau, was die Worte bedeuteten, so kannte sie doch die abwehrende Kraft eines wohlgelungenen Schimpfes und bediente sich ihrer weidlich. Das gab nun einen Heidenspaß, bei dem Tesař und Hesky und wohl oder übel auch Dieter ihr Vergnügen hatten. Der Doktor schüttelte den Kopf: »Lassen wir sie. Man glaubt ihr schon, was sie ist«

Es blieb schließlich nichts übrig, als daß ihr die Frau Dieter aus weißem Zeug ein Konfirmationskleidchen nähte, mit offenem Halse und spitzenbesäumten kurzen Ärmeln. Das ließ sich Bella wohlgefallen, besah sich eitel im Spiegel und duldete nun auch die Glasperlenhalsbänder, die ihr als allgemeiner Schmuck nicht unlieb erschienen.

So wurde die Ausstellung mit Gepränge eröffnet. Bella stand vorne beim Eingange an der Kasse, um den Besuchern einen richtigen Vorgeschmack der fremden Dinge zu geben, bald mit mürrischem Gesicht, bald grinsend, so daß ihr Mund bis zu den Ohren zu reichen schien und ihre weißen Zähne aus dem roten Rachen leuchteten; versuchte einer, sie zu streicheln, so fauchte sie ihn an, lächelte ein anderer, so zeigte sie ihm die Zunge oder spuckte verächtlich aus, kurz, ohne es zu wollen, verübte sie allerhand Kurzweil und diente als Beweis ihrer eigenen Ungezähmtheit, wie es ja beabsichtigt war. Nicht geduldig genug, sittsam an der Kasse zu stehen oder zu sitzen, fuhr sie mit einemmal wie mit einem Katzensprung durch die Besucher auf den Doktor los und redete in ihrer Muttersprache auf ihn ein, oder sie ersah bei einem Gaste irgendein Ding, das ihr wohlgefiel, eine glänzende Berlocke, einen interessanten Spazierstock oder dergleichen und trachtete es entweder mit unterwürfiger Gebärde zu erbetteln oder mit Drohungen zu entreißen. Immer wurde sie zurückgehalten und mußte wie ein wildes Tier bewacht und vor sich selbst geschützt werden. Für Geschenke war sie empfänglich, sie nahm Geld und band es gleich in einem Schnupftuche ein, Zuckerwerk fraß sie, elegante Damen umschmeichelte sie wie ein Hündlein und liebkoste ihre weichen Kleider. Als ein würdiger Gelehrter, der einen schönen schwarzen Lockenkopf hatte, eintrat und sie heiter ansah, grinste sie ihm vertraulich zu und zerrte ihn unversehens bei den Haaren, indem sie mit der anderen Hand auf ihren eigenen Kopf wies, der ähnlich ausgestattet erschien.

Es kam ein Kadett in seiner glänzenden Uniform, ein hübscher Bursch. Da war es vollends um sie geschehen. Sie begann unaufhaltsam um den verlegenen jungen Mann umherzutanzen, sich zu drehen und zu beugen mit vorgestreckter keuchender Brust, die sie ihm zu zeigen und wieder zu entziehen schien, dann mit frech herausgetriebenem Bauch und ausschlagenden Beinen, wie sie es daheim gesehen hatte, wo die Natur die Weiber solche Tänze lehrt, sich anzubieten und ihren Trieb zu offenbaren. Sie zerrte lachend und toll an ihren Kleidern, um sie sich vom Leibe zu reißen und aus freien Stücken in einem echteren Naturzustand sich darzustellen, als ihn Dieter früher gemeint hatte, der sie nun als Aufseher der ganzen Veranstaltung mit vieler Mühe bändigte und in ein finsteres Nebenzimmer einschloß, wo sie Zeit hatte, über die guten Sitten Europas und der weißen Tugend nachzudenken und ihrer eigenen schwarzen Seele inne zu werden. Drin aber schämte sie sich keineswegs, sondern tobte und schlug rasend an die Tür, so daß ihre Schreie, ihr Geheul und Gestampf halb belustigend, halb schauerlich hervordrangen. Ein Kind an Jahren und Vernunft war sie doch hier in der Gefangenschaft in dem Alter, wo ihresgleichen zu Hause dem Gatten gegeben wird und den Mann verlangt. Da hatte sie es freilich nicht leicht, so zahm und fromm zu werden, wie die Weißen.

Später trug man Sorge, ähnliche zwar interessante, aber peinliche, ja gefährliche Zufälle dadurch zu vermeiden, daß man Bella entfernte, wenn von weitem ein Offizier oder andere Besucher sich zeigten, die etwa ihre lebhaftere Teilnahme erregen konnten. Sonst führte sie sich auf ihre Weise ziemlich artig, halb sittsam, halb ungebärdig, von heiter ausgelassener, nicht unliebenswürdiger Wildheit, so daß sie als die interessanteste Sehenswürdigkeit unter dem ganzen toten Kram geschätzt war. Wie es nun einmal die Art der Wiener ist, zu ernsten und fremden Dingen ein gemütliches und lustiges Verhältnis herzustellen, freundeten sich die Besucher bald gerade mit ihr an, kamen ihr zuliebe wieder, brachten ihr Süßigkeiten, Backwerk, Schokolade, Obst mit, oder billige Schmuckstückchen, blaue Ringlein Vergißmeinnicht, blinkende Ketten aus Katzengold, Lebzeltherzen oder bunte kleine Bilder mit Heiligen und frommen Sprüchen und ließen sich mit ihr in Gespräche ein, fragten sie um allerhand, wobei sie die Worte durch eine unbeholfene Gebärdensprache verdeutlichten, die Bella entweder mit Urlauten ihrer heimatlichen Rede oder mit Zeichen beantwortete, oder wenn ihr die Sache zu bunt wurde, mit einem tschechischen Fluch oder indem sie mit der Hand zu einer Ohrfeige ausholte.

Diese Ausstellung, namentlich aber Bella, die Negerkönigstochter machten den Doktor Hesky in Wien bald volkstümlich und zu einer halb interessanten, halb lächerlichen Figur, wie es immer der berühmte Mann in der gemeinen Welt ist, die an allem Ungewöhnlichen nur den Spaß sucht und würdigt. Den Hauptteil der Besucher stellten die Einwohner der Leopoldstadt. Dieser merkwürdige Bezirk hat vor allen übrigen seine besondere Eigenart und Geschichte. Er streckt sich bekanntlich auf der großen, von zwei umfassenden Donauarmen gebildeten Insel aus, die mit der inneren Stadt durch Brücken verbunden, ihr eigenes Leben, ihre wunderliche Bevölkerung, ihre besonderen Sitten wahrt. Hier hatten die Juden, nachdem das Ghetto gefallen war, sich aus freien Stücken, wie sie es nun einmal gewohnt sind, ein neues errichtet, wo sie vom Strome, wie ehemals von Schutzmauern umfriedet, ihre natürliche Gemeinschaft aufs lebhafteste erhielten und recht eigentlich genossen. Hier blieben sie unter sich und gingen ihren Geschäften und Geselligkeiten nach; in den alten und neuen Gassen des Bezirkes stehen ihre verschiedenen Läden, lebt der eigentümliche Schmutz der untergeordneten Wirtschaften, erschallen die ursprünglichen, südlich lebhaften Laute ihres Gespräches, da sieht man noch heute ihre schwungvollen Gebärden, die Frauen erfreuen sich hier der auffallenden, prunkvollen Kleider und grellen Schmucksachen, an Festtagen bewegt sich die ganze Menge, arm und reich, zu Wagen oder zu Fuß in den nahegelegenen Prater, wohin auch die Leute der übrigen Stadt, nach Erholung und Lustbarkeit gierig, zusammenströmen. Im Prater vollzieht sich dann die ungezwungene Sammlung aller Stände der Bevölkerung, indem die prächtige Hauptallee mit ihren hohen, üppigen Kastanien von Fußgehern wimmelt, die mehr oder minder laut, je nachdem sie in der Leopoldstadt zu Hause sind, oder von weiter herkommen, die Wagen bestaunen und bekritteln, in denen die Reichsten spazieren fahren: die Angehörigen des österreichischen Hochadels, die Damen der guten bürgerlichen Gesellschaft oder reich gewordener ehrsüchtiger Emporkömmlinge, törichte Schwindler mit ehelichen oder unehelichen schöneren Hälften, Schauspielerinnen oder Halbweltdamen von großartigem Ansehen, kurz was immer in Wien Geld hat oder borgt. Im »Wurstelprater« aber vereinigt sich das harmlosere niedrige Volk beim Vergnügen an Speise und Trank, an Lärm, Musik und Tanz, an dürftiger Liebesleidenschaft, an phantastisch-ärmlichen Sehenswürdigkeiten. In der ganzen beweglichen, vielgestaltigen Masse bleibt aber die Leopoldstadt der zähe, unvermeidliche Bodensatz, ihre Stimme und Art bildet den Grundton des mannigfachen Lärms, und sie ist vom grünen Lustgarten bis zu den Brücken, die nach der inneren Stadt führen, die Heimat und Herrin des ganzen abenteuerlichen, wogenden Lebens, das sich auf ihrem Boden abspielt. Jede Stadt hat ihren Sammelbezirk der Wunderlichkeiten, wo alles Abenteuer aus allen Weiten seinen Eingang sucht und wie in einem Staubecken zurückgehalten wird, damit es die übrigen Gebiete nicht überflute und zerstöre. In Wien aber bleibt die Leopoldstadt ohne Zweifel diese Herberge alles Fremden, das von der Residenz aus allen Gegenden herbeigelockt, irgendwo anfliegt und haftet. Nach manchen Sprichwörtern und volkstümlichen Gassenhauern kommt in Wien jegliches Absonderliche bei der»Taborlinie« hereingezogen in die östlichste deutsche Großstadt. Tag um Tag wandert der Osten in allen seinen Gestalten immer neu durch die offene Gasse in diese Stadt, und was die nähere und ferne Welt draußen an merkwürdigen Erscheinungen und Leuten erzeugt, spaziert in der Tracht des Märchens durch die Taborlinie. Da kommen die slowakischen Bauern mit den Schafpelzen, ihre Frauen mit den bunten Kitteln und Kopftüchern, da kommen die Viehwagen, auf denen die großen Kälber wehmütig brüllen. Bierwagen rollen, von schwarzhäutigen, krummhörnigen Ochsen gezogen, mit schweren Fässern herein, beladene Karren und ländliche Fuhrwerke, von Bauern und beleibten Wirten gelenkt, rasseln auf den Markt, aus den Bahnzügen, welche die Rohstoffe herbeischleppen, die zu all den bunten Schätzen verarbeitet werden, führt man die Ware weg. Da kommen aber auch die schmutzigen, fremden Juden herein, mit ihren langen schwarzen Röcken, mit ihren grauen Patriarchenbärten und mit den gedrehten Locken an den Schläfen, mit den schweren Bündeln auf dem Rücken, worin ihre ganze Habe und vielleicht der Marschallstab künftiger kaufmännischer Herrlichkeit verborgen sein mag, manch einer führt etwa einen kleinen Knaben an der Hand, der über seinen Kaftan stolpert und mit großen, wehmütigen Augen die grausame, unendliche Welt betrachtet, die sich auftut, um ihn zu verschlingen und zu verwandeln. Denn irgendwo findet er hier, in der Leopoldstadt ein Quartier und lernt, sich unter den Leuten umzutun und zu behaupten. Und das ist wahrlich keine geringe Sache, denn mehr als jeder andere Fremdling bleibt er einer in jedem Lande, dem der Fluch seines Volkes, das Los der Fremdheit bitterlich ins Gesicht gezeichnet ist und nie verschwindet. Aber ein paar Jahre vergehen, und er hat seine alte Tracht abgetan, seine östlichen Sitten, so gut es geht, zu verheimlichen, zu vergessen gesucht und den Europäer, den Einheimischen spielen gelernt, wenn er es vielleicht auch noch nicht geworden ist. Er heiratet, er treibt seine Geschäfte, und Frau und Kinder stolzieren schon in der übermäßigen Herrlichkeit der westlichen Mode; Seiden aus Paris, leuchtende Hüte, wallende Federn, lebhafte Brillanten und durchschlagender Naturlaut der heftigen Rede verraten die Herkunft aus einer fernen fremden Zeit und einem fernen fremden Land. Gerade indem sich einer demütig und ehrgeizig angleichen will, tut er um eins zu viel und bleibt, was er gewesen: der ungebetene Gast. Aber eine tiefe, eingeborene unverlierbare Lust fesselt ihn an alles Abenteuerliche, das irgendwo auftaucht und ihm brüderlich nahe tritt. So bietet gerade dieser Bezirk die willkommene Zuflucht für alles, was unerhört, wunderbar, besonders und lebhaft erscheint. Alle Sitten und Bräuche, die in der strengen Arbeitswelt der Großstadt an die Urtriebe der spielerischen, leidenschaftlichen Menschheit mahnen, entfalten sich hier und finden ihre Stätte. Der Geschäftseifer kommt dem innersten Drange des Gemütes entgegen. Im Prater stehen die einfältigen Schaubuden, bei denen sich der Pöbel belustigt, aber hier tragen auch die reichen Leute ihre Vergnügungssucht zu Markt, mitten in den tiefen Auen sind die Rennplätze, wo die Pferde nach dem Ziele gepeitscht werden, wo das Publikum atemlos die Farben der Jockeis durch das Feld jagen sieht, wettet, auf die Bänke steigt, brüllt und dem Sieger zujubelt, wie immer und immer, seitdem die Welt zwischen Arbeit und Spiel die kurzen Tage des menschlichen Lebens teilt.

So war auch der Doktor Hesky, der Afrikaforscher nicht ohne tiefere Weisheit des Zufalles just in den Prater geraten und fand in den Bewohnern der Leopoldstadt die eifrigsten Schätzer seiner Taten und seines Ruhmes.

Wie es nun geht, hatten sich bald auch Bewunderer, Neugierige, Gönner um ihn gesammelt, und es galt manchem als standesgemäß, mit ihm bekannt zu sein, ihm gar freundschaftlich auf die Schulter klopfen und etwa im Kaffeehause sagen zu können: »Mein Freund, der Doktor Hesky, Sie haben ja gewiß schon von dem berühmten Afrikareisenden gehört!« Gutmütig und vielleicht auch vom unerwarteten Erfolg ein wenig geschmeichelt, ließ sich dieser die Huldigungen gefallen, sind sie doch die einzige Art, der eigenen Bedeutung inne zu werden, die sich in der Torheit der Mitwelt wunderlich verzerrt abspiegelt und darstellt. So kam es, daß manches Mal am Abend nach Schluß der Ausstellung allerhand Gäste zurückblieben und sich um den Forscher scharten, der nun als freundlicher und geduldiger Wirt seine Abenteuer in Afrika zum besten gab. Am nächsten hatten sich drei Ureinwohner der Leopoldstadt angeschlossen: Herr Silberstern, seine Gattin und Tochter. Herr Silberstern war ein, wie es hieß, wohlhabender Händler mit Pferden und Fahrzeugen. Er wußte zumindest diesen Ruf des Vermögens durch eine zuvorkommende und zugleich leutselige Manier zu behaupten, indem er dem Doktor Hesky allemal Geschenke mitbrachte, die an sich keinen großen Wert hatten, aber immerhin Zeugnis ablegten, daß er fein zu leben verstand: bald ein Fäßchen Slivowitz, bald eine Büchse Astrachankaviar oder eine Flasche Kognak von angeblich besonderer Marke oder ein Taschenmesser, welches fünfundzwanzig Werkzeuge enthielt, die ein Afrikaforscher auf Reisen durchaus nicht entbehren kann. Seine Gattin segelte mit größerem Prunk als eine breite Gallion zu seiner Linken und erzählte von ihrem Salon, wo sich allwöchentlich eine gleichgesinnt und beleibte Damenschaft zum Tee und Pokerspiele einfand. Die Tochter aber war der Glanzpunkt seines Hauses und das gediegenste zweifelloseste Erzeugnis, das er aufzuweisen hatte, eine üppige Jungfrau in den zwanziger Jahren der Blüte, mit weißer Haut, starken, gesunden, leuchtenden Zähnen, lüsternen Augen, mit glänzenden Brillantboutons und einer stark geschwungenen Nase. Die drei bezeugten dem Doktor Hesky die stärkste Teilnahme. Die Jungfrau, weil ihr der Gedanke schmeichelte, ihr Schicksal an den Namen eines zur Zeit in aller Munde lebenden Helden geknüpft zu wissen und derart von allen Freundinnen beneidet und bewundert zu werden. Bedeutet für den Mann eine große Tat, eine angesehene Stellung, reichlicher Erwerb das Endziel, so ist es für die Frau doch schließlich immer die Eroberung des bestmöglichen Gemahls, und eine gute Ehe gilt stets als die höchste und beste weibliche Laufbahn. Die Eltern wieder hielten in ihrem heimlichen Rate den interessanten Mann zweifellos für eine gute Partie. Freilich mochten seine Reisen beschwerlich und gefahrvoll sein, aber eine hohe Lebensversicherung konnte diese Drohung ausgleichen und ein anvertrautes Gut, wie die heiratsfähige Tochter, mochte doch reichliche Zinsen tragen, wenn der künftige Gatte es verstand oder lernte, die großen Schätze richtig zu heben, die in dem fremden Erdteil zweifellos auf dem Boden lagen und nur des Finders warteten. Welche Möglichkeit bot eine solche Verbindung kommerziellen Geistes mit wissenschaftlicher Führung! Freilich mußte man in den Kauf nehmen, daß der kleine Mann ein hartnäckiger Böhme war, der durchaus nur dem Entdeckungsdrange leben zu wollen schien, aber eben darum war er ja berühmt geworden, ein solcher Name galt als Kapital an sich, mit welchem Rosa in der ganzen Welt Staat, der künftige Herr Schwiegersohn aber Geld und Glück machen konnte.

Diese drei blieben am häufigsten im Amateurpavillon zurück, und nach Schluß der Ausstellung ergab sich ein ungezwungenes Abendessen im weiten Saale.

Über den Tisch wurde ein rotgeblümtes, grobes Tischtuch ausgebreitet, Hesky hatte kalten Aufschnitt in erheblichen Mengen eingekauft und auf einer Schüssel einladend ausgelegt.

Vom benachbarten Pratergasthause, das Teller, Messer, Gabeln und Gläser herlieh, holte der kleine Josef Dieter mit Bella in mehreren Krügen eine gehörige Tracht Bier, und die Gesellschaft setzte sich auf ein paar alte Rohrsessel, auf Bretter, die über Fässer gelegt worden, behaglich zum Schmause. Da waren versammelt: Doktor Hesky an der Spitze der Tafel als Gastherr, ihm zur Rechten Rosa Silberstern, die heiratsfähige, zur Linken ihre Mutter, die hochwogende Prachtgallion, weiter dann Tesař, der Zimmermann, Dieter, der Vater und seine hustende, müde, verlegene und stille Frau, am unteren Ende der kleine Josef Dieter und Bella, die bald Spielkameraden geworden waren und sich recht gut miteinander vertrugen. In dem hohen weiten Raume war die Dämmerung angebrochen, die rauschenden Bäume standen draußen mit ihren starken Schatten und verdunkelten den Saal. Da das Gebäude für eine Wohnung nicht eben eingerichtet, keine Lampen hatte, behalf man sich und stellte zwei Windlichter auf den Tisch, die zwar die Tafel selbst ziemlich hell beleuchteten, aber den übrigen Raum nur um so finsterer und größer erscheinen ließen, so daß die unruhigen kleinen Flämmchen die hängenden Gehörne, ragenden Tiergestalten, den runden Hügel des Negerhüttleins ängstlich umfingen und drohende Schatten von allen Wänden her über die Dielen zittern ließen, was dem kleinen Josef Dieter einen wunderbaren Schrecken durch die Glieder jagte, so oft bei der lustigen Bewegung der Tafelnden der wackelige Tisch auch die Windlichter ins Flackern brachte, und dies wieder die ungeheuerlichen dunkeln Umrisse in schwankende, gefährliche Bewegung versetzte. Dann dünkte es ihn, die Affen kämen ins Klettern, der Rachen des Krokodils klappe zu, die Schlange ringle sich empor, die Hörner stießen los, die Gläser mit den Lurchen klirrten und die ganze eingesperrte, ausgestopfte afrikanische Welt fange leise zu murren und zu drohen an.

Indessen bediente man sich fleißig und verspeiste das Eßbare, trank das gute Bier und sprach. Jeder redete auf seine Weise und was ihn anging, und indem einer dem anderen antwortete, gab es das merkwürdige Durcheinander, als welches zumeist das Gespräch von verschiedenartigen, einander innerlich fremden Leuten sich verrät. Hesky war ziemlich verschlossen und wortkarg, mußte aber als Wirt immerhin eine gewisse Liebenswürdigkeit entwickeln und den freundlichen, zuvorkommenden Gastgeber spielen. In der weltmännischen Konversation nicht erfahren, beschränkte er sich darauf, nach rechts und links die Schüssel anzubieten und zum reichlicheren Genuß aufzufordern. Herr Silberstern brachte das Gespräch am liebsten auf die geschäftliche Bedeutung von Südafrika, erkundigte sich um dessen Ein- und Ausfuhrwaren, um die Möglichkeiten, dort das Geld aufzuklauben, während seine Frau sich für die Diamantengruben interessierte in der leisen Erwartung, von dem zurückhaltenden Reisenden endlich zu erfahren, daß er eine Anzahl beträchtlicher Brillanten irgendwo verwahrt habe, mit denen doch von Rechts wegen eine begeisterte Schätzerin der Erdkunde zu belohnen sei. Rosa, die schöne Heiratsfähige, fragte wieder nach der afrikanischen Weiblichkeit und konnte nicht genug zu hören bekommen von den aufregenden Tänzen und sonstigen Sitten der Vermählung und Liebe in dem heißen Lande, von dem Tausch der Gattinnen zwischen Mulekau-Freunden, von der eigentümlichen Vorbereitung zur Ehe, welche die mannbaren Afrikanerinnen über sich ergehen lassen müßten. Dabei lächelte sie mit ihren blanken Zähnen zugleich neugierig und verschämt, wandte sich bei Heskys allzu deutlichen Aufklärungen errötend ab, nicht ohne zugleich einen feuchten Blick aus ihren mandelförmigen Augen nach ihm zurückzusenden, um das Weitere doch noch wie mit einer Angelrute einzuholen.

Dieter redete von der Ausstellung und rechnete ihre Besucher zusammen, Tesař warf zuweilen ein paar Worte in seiner Muttersprache ein, die Frau Dieter hustete und schaute ängstlich um sich, der kleine Bub und Bella aber verhandelten über ihren besonderen Gewinn. Sie hatten nämlich eine Art Vermögens- und Geschäftsgemeinschaft begründet. Bella bekam von den Besuchern allerhand Geschenke, mit denen sie oft nichts anzufangen wußte. Diese gab sie an den kleinen Josef ab. Dafür verwahrte sie in einem Schnupftuch sorgfältig das Bargeld, konnte es aber nicht zählen und trachtete doch nach einem gewissen Überblick über den Stand ihres Vermögens, wobei sie den Knaben zu Hilfe nahm, der ihr mit seinen und ihren zehn Fingern ihren Besitz vorrechnete, während sie die kleinen Silberzwanziger von den Kupferkreuzern sonderte und gleich zu raufen, Zähne zu fletschen und auszuschlagen begann, wenn er ihr eine höhere Münze herauszuschwindeln oder gegen eine geringere auszutauschen versuchte.

Hatte man gespeist und getrunken, so lehnte man sich, wie es eben gehen mochte, zurück und widmete sich ganz der Unterhaltung.

Die Frau Dieter begab sich dann in die Ecke, wo die Lager der drei Bewohner des Pavillons standen. Dort setzte sie sich nieder, von den bösen Anfällen ihres Hustens geschüttelt Der Doktor Hesky hüllte sie sogleich in seine Wolldecken und gab ihr Medizin, da er ihre Behandlung übernommen hatte. Sie blieb in sich gekehrt und gebückt und still und schlummerte leicht ein, nicht ohne jedes lautere Wort im bangen Halbschlafe zu vernehmen.

Frau Silberstern und Tochter überließen sich ihren hochfliegenden Versorgungs- und Ehestandsträumen, die Wechselrede wurde einsilbiger und zu guter Letzt war der Vorschlag des Doktors recht willkommen, ein Spielchen zu machen.

Tesař zog die bereitgehaltenen Karten hervor, und Herr Silberstern, Dieter, der Zimmermann und Hesky vereinigten sich zu einer Partie »Zwicken«, einem mäßigen Glücksspiel, dessen Zufällen der kleine Josef und Bella mit Teilnahme zuschauten. Herr Silberstern war zumeist im Glücke und nahm seinen Partnern die kleine Münze mit lauter, fröhlicher Biederkeit ab, wobei Dieter ziemlich gleichgültig, Tesař ingrimmig, der Doktor mit wissenschaftlichem Ernste beteiligt waren. Jeden Schaden, den Tesař der Ungeschicklichkeit Heskys zu verdanken hatte, wenn dieser als sein Partner einen Spielfehler beging, rügte der Zimmermann, indem er seinen Doktor, Brotherrn und Vetter weidlich ausschalt und jede Rücksicht auf die höhere Stellung, Gönnerschaft und Würde außer acht ließ. Die Tschechen unterscheiden sich von den Polen, die mit größter Demut und Unterwürfigkeit die Unterschiede des Standes wahren und betonen, durch eine natürliche bürgerliche Freiheit und ungezwungene Gleichstellung aller. Der eine ist zwar der Pane Doktor und gilt so viel, als er wert ist, aber der andere bleibt, wenn er nicht augenblicklich im Dienste zu gehorchen hat, auch immer der Pane Tesař und braucht es sich nicht gefallen zu lassen, daß der gelehrte Mann ihn in Geldverlust bringt.

Der Eifer des Spieles hinderte aber den Gastgeber nicht, sich zuweilen mit ungeschickter Galanterie der Damen anzunehmen. In dem hohen Raume herrschte eine dumpfe Kühle, und Frau Silberstern schauerte zusammen. Sofort sprang Hesky auf, holte zwei Leopardenfelle von der Wand und breitete sie den Frauen sorglich um die Schultern. Die zierten sich zuerst und weigerten sich, dann aber taten sie die wunderliche Hülle willig um und trugen nicht ohne heimliches Gruseln die gescheckten, haarigen, eigentümlich riechenden und knisternden Felle, von denen die Köpfe mit den blinkenden Zähnen über ihre Schultern herabhingen. Die beiden also Geschmückten und Geschützten sahen mit lüsternem Grauen auf die toten Leopardenschädel hinab, die auf ihren Busen baumelten und einst wahrlich solche Gelegenheit, in volles weiches, weißes Weiberfleisch und Fett zu beißen, besser auszunützen verstanden hätten.

So wurde es Mitternacht, bis sich die Gäste endlich erhoben, aufbrachen und als einträchtige kleine Karawane durch den stillen Prater heimzogen, die Familie Silberstern in die Zirkusgasse, Dieter mit der kranken Frau und dem müden Knaben bis in die innere Stadt.


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