Otto Stoessl
Nachtgeschichten
Otto Stoessl

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Weltenmaler

Ein Märchen

Der Windgott Ungefähr und der Lichtgott Laune saßen auf einer Urwolke, vom Nichts umrauscht und nahe den Schauern des Ungewordenen. Götter spüren die Kälte nicht, sonst hätten sie tüchtig gefroren, aber Laune war ungehalten, es zuckte ihm in den Fingern und leuchtete ihm aus den Augen. Ungefähr wollte Laune etwas zu tun geben und selbst dadurch eine Anregung bekommen. »Wie wär's, wenn du etwas maltest«, schlug er vor. Laune fuhr mit einem Ruck seiner breiten Schultern zu ihm zurück und nickte gewaltig. »Du hast es gesagt. Ich will mir einmal den Spaß machen.« Damit reckte er beide Arme aus, so weit etwa wie von der Sonne bis zum Mond und vom Uranus bis zum Drachen, gerade weit genug für ein Bild im Erdenformat, beschrieb mit diesen Armen das erforderliche Rechteck, kniff die Augen zusammen, des Blickpunktes und der Abschätzung der Wirkung halber, und so war die unsichtbare Leinwand gespannt, aufgetan und stand auch gleich wie ein richtiger Malgrund und ohne Staffelei vor Laune, dem Weltenmaler, da. Ungefähr wartete grinsend. Farben brauchte Laune nicht erst zu kaufen, die hatte er, indem er bloß die Finger rührte. Mit denen konnte er gleich alles bunt und natürlich hinmalen ohne 6 klebrige Tuben, borstige Pinsel und widrige Mischungen. Ohne Verzug begann er. Bald waren Nacht und Morgen, Sonne, Mond und Sterne und das ganze atmosphärische Drumherum angebracht: eine Kleinigkeit. Ungefähr grinste: »Ist das alles? Zu viel Grau und Schwarz und zu viel Weiß, übrigens wirken die kleinen Goldpunkte der Sterne gar zu kindlich. So stellen sich nur Engelchen die Himmelskörper vor.«

»Für wen male ich denn, Ungefähr, für dich, alten Esel, oder für irgendeinen dummen Wissenden? Ich male doch nur für die Unschuldigen.«

»Damit redet sich jeder Künstler aus. Mißfällt er der Unschuld, um deren Gunst er buhlt, so erklärt er: ich male nur für mich. Wagt es aber ein Verständiger, etwas auszusetzen, so beruft er sich auf die Unschuldigen. Kennen wir!«

Laune warf ihm mit der Rechten einen Haufen Urnebelgrau und Milchstraßenschimmer ins Gesicht, daß Ungefähr prustete, nieste, schnauben und eine Weile Ruhe geben mußte mit Bemerkungen und Anregungen seiner Überlegenheit. »Der Zuschauer weiß stets alles besser,« dachte Laune, zog aber eine Fläche Land und eine Endlosigkeit Meer über die Tafel und teilte sie in zwei ungleiche Hälften, in eine riesige Oberwelt und in eine winzige Erdenwelt. »Wo bleibt die Symmetrie,« grinste Ungefähr. »Du Urdummer. Seit wann ist die Symmetrie ein Malgrundsatz? Unendlichkeit ist unendlich, nicht symmetrisch. Mit gleichem Recht könntest du vielleicht verlangen, sie sei musikalisch. Symmetrie ist eine Voraussetzung 7 beschränkter Betrachter, nicht unbeschränkter Schöpfer, eine Denk- und Schauhilfe, ein Einteilungsgrund, aber kein Urgedanke.«

»Aha,« sagte Ungefähr und stellte sich überzeugt, um handgreifliche Erörterungen zu vermeiden.

Nun versteifte sich Laune just auf die kleine untere Erdenhälfte und konnte gar nicht genug tun, sie mit Sichtbarem auszustatten. Er brachte Riesenbäume an mit hunderterlei Laub, unter großen Urwäldern pinselte er winzige Halme mit Millionen Blüten, deren jede ihre besondere Form hatte. Er hielt, um sie herauszubringen, Daumen und Zeigefinger wie ein Vergrößerungsglas vors Auge, so fielen ihm noch Staubfäden, Stempel und allbeliebige Kleinigkeiten ein, die er sämtlich ausführte. Für den geringen verfügbaren Flächenraum war es eigentlich zu viel und bunt, unglaublich bunt. »Stilleben,« sagte Ungefähr und freute sich, daß er den Fachausdruck wußte, in dem er die Sache unterbringen konnte. »Ich werde dich gleich stilleben,« knurrte Laune und malte sofort Tiere in die Urwälder, Tiere in die Berge, in die Halme, Riesenelefanten, Mammute, Mordseidechsen, Löwen, Tiger, Dromedare, Känguruhs, Vögel zwischen die Äste und in das bißchen leere Luft kleine Insekten, Käfer in die Graswälder. Er vergaß die Biene nicht, die über dem Kelch des Klees hängt, den Schmetterling nicht, der sich in den Sonnenstrahlen wiegt, und die Fliege nicht, die den Ochsen peinigt. Ja, er ließ sich bis zu den Flöhen und Läusen und zu noch viel kleinerem Ungeziefer herab, aus malerischen Gründen. 8 Für ihn gab es kein Groß oder Gering. Bunt sah es aus. Auf der Erdoberfläche hatte schon nichts mehr Platz, während der ungeheure Raum darüber, Sonnen-, Mond- und Sternengegend, Wolken- und Luftregion, sich großartig ausbreitete. Gerade dieser Gegensatz gefiel ihm, wenn er das Auge zukniff. Nur das Meer schien ihm noch im Verhältnis zur Erde und zum oberen Bildraum zu unlebendig. So pinselte er denn geschwind in die Flut bis tief zur purpurnen Dunkelheit hinab Urwälder und Tiere mit Spottgesichtern, Flossen, Schuppen, Fangarmen, Saugrüsseln, Stielaugen, Freßmündern. Das zog sich hin wie ein buntseidenes Tuch mit einem tollgesprenkelten Muster. Nichts mehr konnte er anbringen.

»Stilleben«, grinste Ungefähr rechthaberisch.

Laune hatte keine Freude mehr an der Sache und pinselte, aus Überdruß eher, denn aus besonderer Absicht, noch etwas da und dort auf die Erdoberfläche hin: Wesen auf zwei Beinen, mit gerader Gestalt, mit hängenden zwei Armen, mit vorwärts gerichteten Augen. Ungefähr dachte: »Was sind das für spaßige Tiere?« Laune zuckte die Achseln.

»Stilleben.« »Dir wäre jedes Bild ein Stilleben. Du hättest nie genug. Bild ist eben nicht Wirklichkeit. Schein ist nicht Sein.«

»Wenn du nur ein Maler wärst, könntest du recht haben, aber du bist ein Gott. Da mußt du Geschichte und Bedeutung malen, mußt Ewigkeit hervorbringen, Raum und Lärm, Geruch und Geschmack. Deine Bäume müssen ihre Zeiten, deine Blumen Früchte 9 haben, deine Tiere müssen stinken. Nichts als Flecken und Tupfen, zu fromm für eine Welt, zu wenig oder zu viel für ein Bild.«

»Na, was möchtest du malen, du blutiger Unverstand, du Auchgott, du Ungefähr, du Windbeutel!«

»Windbeutel sagst du? Du sollst einen Wind haben und ich werde dir etwas malen«, schrie Ungefähr erbost, erhob sich, unförmlich wie er war, indem er seinen Wolkenkittel breit auseinanderzog und ließ einen über die Tafel hinstreichen, daß die steife Luft erzitterte und nicht mehr zur Ruhe kam. Das Meer geriet in Bewegung und flutete auf und ab, spritzte das Wasser angstvoll weithin über die ganze Erde, daß es von den höchsten Bergen wieder mühselig zurückfließen mußte, oder sich zusammenballte und hinunterregnete – oder schneite. Durch den plötzlichen Stoß gerieten die Fische ins Wimmeln und Drängen, die Saugarme griffen umher, die Stielaugen rollten vor, die Kiemen atmeten, die Mäuler fraßen, und die weißen Bäuche laichten oder entleerten sich. Es war strittig, ob mehr geboren oder gefressen wurde. Ebenso teilte sich der Stoß auf der Erde nach allen Seiten aus und machte die Löwen springen, die Schlangen sich ringeln, die Elefanten stampfen und die Flöhe beißen. Die Vögel wurden durch die Luft geworfen, die Affen von Zweig zu Zweig geschleudert, und wenn einer gerade eine Kokosnuß in der Hand hatte, schmiß er sie herunter und schrie schallend. Alles brüllte, sang und knaufte. Die Erde bekam Risse, Sprünge, Klüfte, die krachend das Echo des 10 einmaligen gewaltigen Hauches unendlich wiederholten. Hier brach Feuer aus, wehte Dampf, verbrannte überlaufend, was im Wege war, dort fror Wasser zu Eis und starrte, eine blaue Silberkruste. Die Wolken schossen hin und her und wußten nicht, was sie sollten. Sie regneten oder schneiten, der weite obere Raum ward von dem tollen unteren mitregiert, die Sterne gebärdeten sich nicht anders als die Fische: sie stießen, fraßen und gebaren und die einmal angefangene Bewegung hieß Sonnenkreisen, Nebelwallen. Der Mond blieb sein Leben lang blaß vor Schrecken.

Inmitten dieses Lärmes taumelten die Herden der gewissen aufrechten Wesen umher, flüchteten, suchten Schutz, schafften sich Raum, gaben den Stoß weiter. Der eine war zum Drängen da, der andere zum Gedrängtwerden. Sie fielen einander in die Arme und man wußte nicht, mordeten sie oder zeugten sie.

»Liebe,« grinste Ungefähr. Jeder Schoß war ein Abgrund und wahnsinnig vor Angst hielten die Mütter ihre Kleinen an die Brust, wahnsinnig vor Angst stürzten sich die Männer gegeneinander oder sammelten sich, gruben das Feld oder bohrten sich mit gierigen Blicken in die Berge hinein, oder setzten sich auf Hölzer und schwammen im Meer, bewarfen einander wie Affen und gaben dabei Laute von sich, lachten, ächzten und deuteten.

»Ssst,« machte Ungefähr: »Sie reden.« Damit wendete er sich stolz zu Laune: »Das heiß' ich Phantasie und Schöpfung, jetzt ist Leben in der Sache, 11 einen Odem habe ich hineingeblasen und das bedeutet Ewigkeit. Ich bin der Maler!«

»Es ist aber auch danach,« zuckte Laune die Achseln und hielt sich die Nase.

»Leben ist nicht Kunst, und Bewegung ist kein Bild. Kakatum non est pictum.« Damit gab er der Tafel einen Fußtritt, erhob sich und entflog. Ungefähr aber rief ihm lachend nach, daß der Weltraum schütterte: »Neid, Künstlerneid, mein Lieber, du Stillebenmaler! Ich bin der Lautlebenmaler!«

Er hielt sich den Weltbauch vor Lachen. 13

 


 


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