Otto Stoessl
Egon und Danitza
Otto Stoessl

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VI

Danitza war nach Hause zurückgekehrt und setzte sich, an allen Gliedern zerschlagen, auf den Rand ihres Bettes. Egon kam nicht. Dafür präsentierte nachmittags zuerst der Kanzleidiener mit einer Verbeugung die Schuldenliste, welche sie kümmerlich lächelnd und fast schon gleichgültig betrachtete. Sie gab dem Boten ein kleines Trinkgeld und ließ Herrn Dieter für seine Mühe danken. Kurz darauf erschien der Vertreter der Möbelfirma, von zwei Packern gefolgt, um sein Geld oder die schöne Einrichtung zu holen. Sie stellte ihm die Möbel zur Verfügung, worauf die 133 Lastträger in die Hände spuckten und die zwei hohen, ihres geringfügigen Inhalts rasch entleerten Schränke aus falschem Palisander mit den englischen Messingbeschlägen ergriffen und forttrugen. Danitza räumte rasch die paar Teller, Schüsseln und Bestecke aus dem schweren Büfett auf den Boden und flugs war auch dieses Prachtstück weggeschafft. Desgleichen wanderten nach und nach die Stühle mit dem gepreßten Leder und die übrigen Stücke aus, so daß nicht mehr als eine Viertelstunde verging, bis die Wohnung kahl und stumm in ihrem alten Winter dalag. Danitza sah sich auf dem Rand ihres in die Ehe mitgebrachten Bettes dem dürftigen, grob gehobelten Küchentische, dem alten Rohrsessel und dem großen Koffer gegenüber, ihrem ganzen Heiratsgute und war im Grunde zufrieden, die falsche Herrlichkeit abgezogen zu wissen. Weshalb saß sie nun da, und worauf wartete sie eigentlich? Weshalb auf diesem Bettrand? Sollte sie sich denn noch einmal in dieses Bett hineinlegen, das für zwei zu schmal, und in dem der Mann wahrlich einer zu viel war? Sie sah gedankenlos auf die ungeordnet über Tisch, Koffer und Sessel hingeworfenen Wäsche- und Kleidungsstücke, auf Egons und ihre Garderobe und auf die Schüsseln zu ihren Füßen, aus denen sie die 134 Speise der Sorgen gegessen. Verlohnte es sich, in diese Wirtschaft noch Ordnung und Reinlichkeit zu bringen? Es kam ihr vor, als hätte sie eigentlich auch ihren Gemahl nur auf Vorschuß und Ratenzahlung bekommen und jetzt mit allen den großartigen Möbeln selber als eine schlechtgelungene Nachahmung edleren Holzes drangeben müssen. Wäre wenigstens das kleine Kind noch dagewesen und hätte nach ihr verlangt. Nun aber schuldete sie niemand mehr irgend etwas. Was sie gegeben, konnte sie nicht mehr zurückverlangen: alle ihre Hoffnungen und Wünsche, ihre Jugend und Kraft, ihre Fröhlichkeit und Zuversicht. Sie hatte den Sommerhut noch von ihrem Ausgang her auf dem Kopf behalten, den Sonnenschirm in der Hand, wie sie vom Amt hierher gekommen war. Ebenso erhob sie sich wieder, faltete die schöngeschriebene Schuldliste auseinander, legte sie zu oberst auf den Küchentisch und verließ die Wohnung. Auf dem Hausflur gedachte sie zuerst, die Türe nach Gewohnheit sorgfältig hinter sich zu schließen, als ihr aber einfiel, daß Egon dann etwa nicht hineinkönnte, wenn er zurückkäme, hing sie den Schlüssel an die Klinke und stieg die Treppe hinab. Sie fand sich auf der Straße im vollen Sonnenschein unter eilenden Leuten, die im 135 heiteren Licht alle ganz unbesorgt schienen. Unwillkürlich schloß sie sich dem Strom der Menschen an, der sich gegen den Ring vorwärts schob, folgte ihm über den Donaukanal, denn die Menge strebte dem Prater zu. Aber auf dem Praterstern besann sie sich, daß sie doch in der Hauptallee wahrlich nichts zu schaffen hatte; so bog sie in jene Straße ein, welche, von Lastfuhrwerken durchdröhnt, an den Kohlen- und Frachtenhöfen der Nordbahn vorbei zur Reichsbrücke führt. Auf diesem öden Wege war alles traurig und gottverlassen, wie sie selber, die hohen, nachlässig gebauten Mietkasernen, die kleinen Holzhütten, ärmlichen Gastwirtschaften, die ächzenden Kohlenfahrzeuge, die eilenden und läutenden elektrischen Tramwaywagen. Die Sonne brannte heiß, aber es fiel der Danitza nicht einmal ein, ihren Schirm aufzuspannen, sondern sie ging unablässig weiter, einerlei wohin, einerlei warum.

So fand sie sich mit einemmal auf der mächtigen Brücke über der breiten, gelassen hinströmenden Donau. Im Hafen lagen große, weiß gestrichene Dampfer neben Flößen, Kohlenschiffen und Schleppern. Auf der anderen Seite aber glänzte das Wasser im Licht, während der Leopoldsberg in schönem Schwung zum Strome abfiel und weiterhin eine strahlende Landschaft offen lag. Als 136 sie die blaue Linie dieser Höhen sah, lächelte sie, ohne es zu wissen, und ging weiter längs der Reichsstraße, die nun durch Gehölz inmitten toter Donauarme rüstig in die Ebene hinausstrebte.

Doch störte sie der Lärm und die ausgesetzte Bewegung der Wagen und Leute, weshalb sie einen Seitenweg einschlug, der in die ruhigen Auen führte, welche sich mit Baumgruppen und Gesträuch, dann mit Wiesenflecken und sandigen Dämmen an dieser stillen Uferseite ausbreiten. Sie ging zuerst auf einem mäßig hohen, aufgeschütteten Weg und begegnete keinem Menschen, kam hierauf durch immer dichteres Buschwerk, bis sich unversehens eine freie Fläche eröffnete mit dem Ausblick auf eine ganz absonderliche Stätte. Sie mußte unwillkürlich an eine Kolonie denken, und dieses kleine, der Au und dem Wald eben erst abgewonnene Stück Bau-, Acker- und Gartenlandes war in der Tat nichts anderes, als ein in solcher Nähe der Großstadt wahrhaft wunderliches Gleichnis ursprünglichen Gemeinlebens, eine dürftig einfältige Ansiedlung unweit aller Riesenbauten, Straßen, Eisenbahnen und technischen Werke und dabei einsam wie die Dorfschaft von Ausgewanderten im Urwald.

Diese Auen gehören dem Stifte 137 Klosterneuburg, wie so mancher Besitz längs der Ufer des Stromes weithin und seit Jahrhunderten unter der geistlichen Herrschaft steht. Es ist noch nicht allzulange her, daß die Regulierung der Donau diesen schmalen Landstrich hinreichend vor Überschwemmungen geschützt, welche ihn vordem im Frühjahr oft unter Wasser gesetzt. Sowohl die bedrohte Lage, als auch die Beschaffenheit des beweglichen Sandbodens, der schwere Stadtbauten kaum zuläßt, zumindest nicht begünstigt, sowie die unbekümmerte Wirtschaft der geistlichen Grundherren ließen das ganze Augebiet, wie nahe es auch der Stadt lag, ungestört als solches bestehen. Es blieb ein Jagdrevier, bevölkert von Stromvögeln, Hasen und vielleicht von kleinen Raubtieren und dergleichen billigen Opfern für Büchsen und streichende Hunde. Erst in den letzten Jahren nahm infolge der Verscheuchung des Wildes durch den Lärm der ringum vordringenden Stadt die Jagdbarkeit so beträchtlich ab, daß dieser und jener Flecken um einen bescheidenen Zins verpachtet wurde, der gerade nur eine Anerkennung des Eigentums bot. Schier von ungefähr hatten sich ein paar Menschen hier eine Stätte bereitet, zumeist Arbeiter aus den nahe gelegenen städtischen Betrieben, Bauhandwerker, Schwerfuhrleute, 138 Tramwaykutscher, Donauschiffer, Bedienstete der technischen Unternehmungen, die, etwa vom Lande stammend, den Zusammenhang mit einem noch so dürftigen Stückchen Boden nicht entbehren können und mit dem ursprünglichen Mut zur sauren Arbeit, mit der Nötigung zur Entbehrung auch die Lust bewahrt hatten, mit ihren Händen selbst sich ihr Dach zu zimmern, ihr Gemüse und ein paar Blumen zu bauen und ein eigenes Haus, eine eigene Wirtschaft gleichsam aus dem Nichts aufwachsen zu lassen.

So ergab sich denn dies Bild einer Rodung und eines dürftig, aber freundlich aufgrünenden kleinsten Gemeinwesens. Da bestimmte kein hochfahrender und weitschauender Stadtplan Straßenzüge, Kanalisation, Beleuchtung, Kirchen- und Schulbau und all das Um und Auf des großartigen Massenunfriedens, sondern die Lage der einzelnen Hütten gegen Wind und Sonne, die bescheidenen Bedürfnisse bedingten nur zwei gekreuzte Wege, welche etwa in die vier Himmelsrichtungen gingen und die kleinen Baracken zu einem losen Ganzen sowohl verbanden, als auseinander hielten.

Langsam wandelte Danitza an diesen Wohnstätten vorbei. Die Menschen hier waren wohl 139 nicht viel anders als Vögel, die ihr Nest bauen, indem sie von überallher zusammentragen, was sich verwenden läßt: ein Endchen Tuch, einen Faden Wolle, einen Splitter Holz, einen Halm und, wenn es sie nach Glanz gelüstet, einen messingenen Hosenknopf oder dergleichen. So bestanden auch diese Häuschen aus den dürftigsten Resten und Teilen, die, in der Großstadt unbeachtet, weggeworfen, auf dem Müllhaufen lagen, bis einer dieser Nestvögel sie auflas oder zusammenbettelte. Alte verwitterte Ziegel zu Haufen geschichtet, verkümmerte Fensterkreuze, Dachpappe, Balken und morsche Bretter waren sorgsam zu Vorräten gestapelt und kamen hier zu neuen Ehren wie überraschende Kostbarkeiten. Aus solchem armseligen Material waren schon viele Behausungen aufgerichtet. Vier Holzwände, geteert oder mit Kalk beworfen, mit Dachpappe gedeckt, aus welcher ein verbogener eiserner Rauchfang hervorstieg, der ehemals etwa auf einem Fabrikschornstein gesessen. Aber in dem kleinen Raum brannte schon ein Ofen, kochte schon eine Suppe oder ein Kaffee, denn ein blauer Rauch kräuselte sich in die Luft. Eine alte Tür öffnete sich ins Freie und war von unten bis oben mit Blechschilden gepanzert, wie sie von verschiedenen Firmen zur dauerhaften 140 Anpreisung ihrer Erzeugnisse ausgegeben zu werden pflegen. Man sah einen Neger, der die weißesten Zähne fletschte, neben einem vergnügten Jungen, der mit der großartigsten Wichse von der Welt einen glänzenden Stiefel bürstete und dergleichen praktische Gemälde mehr. Hier dienten diese offenbar von Gewerbsleuten im Überdruß weggeworfenen Blechschilde sowohl zum Schmuck als zur Verstärkung der morschen Türen und Wände. Um jedes Häuschen war ein kleiner Flecken eingezäunt, denn der Ärmste hat immer noch dies und das, was Neid erweckt und gestohlen werden kann, und hätte er nichts als das bißchen Boden und Elend, so bleibt ihm der strenge Wille, das Seine vor der Welt zu bezeichnen und einzugrenzen. Auch diese Umfriedung war wieder aus einer Art Strandgut hergestellt, nicht höher als eine Elle liefen alle Latten, so viele gerade zu Gebote standen, durch rostige Eisenreifen verbunden, dann waren ehemalige Staketen verwendet, daneben gar nur allerhand verdorrtes zusammengestecktes Astwerk und Gestrüpp. Innerhalb der Zäune aber lebten Gärtchen mit Bohnen, Kartoffeln, Vergißmeinnicht und Stiefmütterchen, an Holunderbäumen vor Gebüschen waren Ziegen angebunden, Hühner liefen auf den Sandwegen und Hunde bellten.

141 So sahen alle diese Wohnhäuser aus, nicht ohne daß jedes die Unterschiede der menschlichen Anlagen, ja sogar vergleichsweise erheblicheren oder geringeren Wohlstandes deutlich verriet. Da gab es größere mit zwei oder drei Räumen, mit einem Verschlag für die Ziegen und einem aus altem Drahtgitter gebildeten Hühnerhof, unfertige, die neben einem vollendeten den Anbau eines Zimmers zeigten, der zu Ende gebracht werden sollte, wenn der Besitzer Zeit und Material genug fand. Einstweilen blieben die Balken eingerammt und der Dachstuhl vorgerichtet, während auf dem Boden noch das Gras wuchs. Da war ein Häuschen aufs sorgfältigste geweißigt, ein Bild bescheidenen Behagens, gegen Osten von einer Veranda geziert, ein anderes bestand aus Holz und war ganz dunkel und geheimnisvoll anzusehen, wie ein Rätsel selber. Überhaupt gab es welche, die sich gegen den Wald zurückzogen, und wieder andere, welche die Sonne suchten. So mochte aus den einen ein Geschlecht mit finsteren Schicksalen, aus den anderen Menschen von heller Einsicht hervorgehen. Und selbst den Beginn der Kunst konnte man in einer Wand an einer sorgsam ausgewölbten Nische wahrnehmen, welche darauf wartete, bis der Eigentümer ein Gipsfigürlein der Muttergottes bekam 142 und vielleicht auch das nötige Glas, die buntbemalte Heilige zu bergen. Überall bestimmte Art und Umfang der dürftigen erbeuteten Bestandteile Grundriß und Größe der Anlage. Die Häuser waren so recht um ein altes Fenster, um eine gefundene Tür gebaut, oder nach den verfügbaren Metern Dachpappe geraten. In den Gärtchen sah man Frauen und Kinder beschäftigt, Männer aber wenige, denn die hatten wohl noch bei ihrer Stadtarbeit zu tun. Durch dieses in seiner Einfalt doch nach der Verschiedenheit alles Menschentums abgestufte stille Bild genügsamer und schöpferischer Armut wandelte unsere ausgeplünderte Danitza und wünschte sich zum ersten Male in ihrem Leben, so nach Lust arm sein zu können, wie diese Leute hier, aber wie diese auch ein ruhiges Dach über einem ruhigen Herzen zu wissen. Wahrlich es gibt nichts, das gering genug wäre, von einem Geringeren nicht noch begehrt zu werden. Baue ein Tor, himmelhoch, es gibt immer einen Übermut, der sich daran die Stirne blutig stößt, und laß ein Pförtlein noch so niedrig sein, es gibt immer eine Bescheidenheit, die gern und frei und gerade hindurchgeht. Nun hatte auch diese Ansiedlung, wie jede, ihren Adel und eine Großartigkeit, einen Palast auf seine Manier. Danitza kam zu diesem 143 Gebäude, dessen Stirn die weißen geschriebenen Lettern »Jagdfarm« trug.

Es lag etwa fünfzig Schritte von den übrigen entfernt unter den hohen Pappeln des noch ungeholzten Waldstrichs, durch eine dreifache Umzäunung von dem Forst, aber auch nur andeutungsweise getrennt, denn die äußerste bestand aus einem meterhoch laufenden Stacheldraht, die zweite aus einer spärlich und schlecht geratenen Hecke, die niemand abhalten konnte, die innerste schließlich aus einem Drahtnetze, welches so hoch über dem Boden gezogen war, daß das Geflügel bequem durchzuschlüpfen vermochte. Welche Mannigfaltigkeit nun innerhalb dieses Gevierts!

Zuerst das Haus, ineinandergewürfelt und aufeinandergestellt wie aus vielen Schachteln, deren jede ihre Unabhängigkeit anzeigte, doch mit den übrigen verbunden ein merkwürdiges Ganzes ergab. Der Ursprung der Anlage wie überall die Küche, in deren Fenster man hineinsah, war gerade groß genug, einen Herd und einen Menschen zu enthalten. Aus ihr ging ein Vorräumchen einerseits unmittelbar ins Freie, anderseits in das Nebengelaß. Dieses und die anstoßenden Teile waren ähnlich wie die Kojen eines Schiffes neben- und übereinander gelagert, jedes eigentlich unter einem 144 besonderen Dache. Den einen Raum deckte das Wellblech eines ehemaligen Kapitänsplatzes, einen anderen das Oberlichtfenster einer einstigen Schiffskajüte, die übrigen ein spitzer Dachstuhl, der mit geteerter Pappe bezogen war. Längs der Wände aus altem braunem Holze liefen senkrechte weißgestrichene Latten, und auf den Brettern der weißen Fensterrahmen standen blühende Topfgewächse. Ein Hausteil trat heraus, ein anderer hielt sich zurück, zwischen zwei solchen Vorsprüngen war durch Querlatten eine weite Laube gebildet, die, wenn der angepflanzte, jetzt noch schüchterne Wein gedieh, später einmal eine grüne Veranda ergab. Das höchste Dach enthielt einen Taubenschlag, und längs aller Gesimse führten Leitern als Übungslaufbahn für die spazierengehenden Vögel. Dies Wohngebäude war so mannigfaltig und seine Glieder griffen so sinnreich ineinander, daß lange Zeit dazu gehört hätte, die Bedeutung aller Einzelheiten, jede scheinbar schrullige Besonderheit in ihrem Zwecke zu würdigen. Denn wie die kleinen Häuschen draußen war auch dieses von ungefähr und nur mit dem jeweils Verfügbaren zusammengestoppelt worden. Aber eine reifliche Überlegung wußte den Zufall zu verwerten und die Willkür des Gegebenen der Notwendigkeit durchaus zu 145 unterwerfen. Unserer unerfahrenen Betrachterin fiel es allerdings schwer, die geheime Ordnung eines solchen launenhaften Weltganzen herauszufinden. Auch in der Umgebung des Gebäudes gab es die sinnreichsten Spiele der Ausnutzung, etwa einen tief in den Sand gegrabenen Keller, der von einem niedrigen Ziegelgewölbe knapp über dem Erdboden gedeckt war, eine alte Tonne, die als Hundehütte diente, ein Stück ehemaligen Gartengitters, vor welchem eine Bank wie in einer Nische stand, ein Hohlraum aus Gestrüpp zur Unterkunft für die Hühner bei Regen. Auf ein weiland Kanalrohr war ein Brett gelegt. Das stellte einen Tisch vor. Inmitten des Hofes sah man einen Brunnen, dessen Röhre, in den Boden gerammt, mittels ihrer Pumpe das reichliche Grundwasser emporsaugte, während der Überfluß, in eine kleine Bodenvertiefung geleitet, den erforderlichen Gänse- und Ententeich füllte. Die Jagdfarm war nämlich so recht eigentlich ein Geflügelhof und Paradies. Da schrie und flatterte es durcheinander und vermehrte die schwebende Verwirrung des wunderlichen Bauwesens.

Eben stiegen drei graue Perlhühner wie zierliche Jungfern durch das Gras und schlüpften in die innerste Umzäunung. Ein Truthahn kollerte. 146 Tauben wandelten auf ihren Leitern und ließen sich in rauschendem Flug auf den Boden nieder. Ein Trupp Gänse wackelte nach dem Teichlein. Ein Mann schaffte im Hof unter dem Federvieh. Er streute gerade Futter. Die Tauben stießen hinzu, die Hühner eilten herbei. Aber da hatten zwei Pfauen, bisher kühl abseits sich ihrer Schönheit erfreuend, mit ihrem Fächer den Boden gefegt und wollten nun mittun. Die unnützen Prunkvögel verstanden es recht gut, sich ihres faulen Daseins zu erwehren, im Nu gab es ein Klagen unter den Tauben und Hühnern, Federn flogen in der Luft, denn die Pfauen stachen mit geschickten Schnäbelhieben die Nebenbuhler weg und erhoben darauf mit bedeutendem Schwung ihre edlen Hälse.

Danitza wandelte schauend und staunend um die Farm bis an den Eingang. Dieser öffnete sich mit einer Brücke über einem Graben. Ein scheckiger Jagdhund bellte eindringlich, aber nicht überlaut, er meldete, und als Danitza stehen blieb, fuhr er fort zu fragen und zu warnen, endlich kam der Bewohner der Farm herbei, nahm die Fremde wahr und beruhigte ihn. Nach all dem sonderbaren Anblick erschien es der Danitza gar nicht weiter erstaunlich, als er sie mit einer Gebärde zum Nähertreten einlud. Sie folgte ohne 147 weiteres, wenn auch zögernd dem hochgewachsenen, gebräunten, hemdärmeligen Manne.

Er sagte: »Wollen Sie sich meine Sachen näher anschauen? Bitte.« Und nun führte er Danitza durch das ganze Haus- und Hofwesen, ohne viel zu sprechen, auf die besonders eigentümlichen Einzelheiten deutend, wobei er ihr jeden Raum aufschloß, zuletzt sogar ein gewisses Örtchen, mit Modebildern und Figuren eines alten Damen-Journals tapeziert, in welchen sie Idealgestalten der angeblichen eleganten Welt zum Schmucke eines der sinnigen Betrachtung gewidmeten Lokales dienen sah. Aber indes Danitza vor allem die Ballkostüme, Federhüte, Schneiderkleider wahrnahm, machte er sie auf die bei weitem wichtigere sinnreiche Verwendung der Dachrinnen aufmerksam, die, vom ganzen Hause hier einmündend, ihr Wasser einem Behälter ablieferten, welchem die nötige Spülung oblag, so daß auch der Regen passend ausgenützt wurde.

Bei diesem Rundgange war es spät geworden und dämmerte schon. »Wollen Sie mir jetzt mein Geflügel einbringen helfen?« fragte der Mann. Und da hatten sie genug zu tun, die Hühner in ihren Stall zu nötigen. Dieser war, aus Latten und Drahtgeflecht gebaut, in eine Ecke der 148 Hauswand geschmiegt, derart, daß zwei Schamotteplatten an seiner Front aufgehoben, den Eingang öffneten, niederfallend abschlossen. Der Farmer ließ Danitza aus der Schürze, die er angebunden trug, zwei Hände voll Körner fassen, welche sie auf sein Geheiß von oben in den Schlag streute. Da es im ganzen Hofe kein einziges Stückchen Futter mehr gab, bequemten sich die Hühner endlich in den Kotter. Die Pfauen schwangen sich schwerfällig und langsam empor und erstiegen die Wipfel der Pappeln, denn sie hausten dort oben.

So kam sachte das Treiben zur Ruhe. »Nun wollen wir auch unser Futter,« sagte der Herr, und Danitza konnte gar nicht Abschied nehmen, wie es sich jetzt gehört hätte, denn er bat sie, aus dem Keller Butter und Eier zu holen, welche letztere sie am Herde zu einer Omelette verarbeiten sollte, wenn sie so gefällig sein mochte. Aus einer Ecke zog er ein Bündel Holz und machte sich daran, es mit der Hacke zu zerkleinern, während Danitza vor dem Block allmählich in ihren Armen die nötige Feuerung aufnahm. Damit ging sie dann in die Küche und richtete den Herd zu, in welchem das dürre Holz gastlich knatterte. Dann prasselte das Fett in der Pfanne, und die großen Eier schwammen mit den schönsten gelben Augen. Danitza lachte innerlich über dies 149 Abenteuer und ihre Arbeit, ihr alter Mensch zupfte sie am Rock: was soll das, was hast du hier zu suchen, schau, daß du weiter kommst! Aber ihre neue Freiheit und Erlösung und Müdigkeit wiesen ihn zurecht: Laß mich in Frieden, ist's nicht eins, wo ich bin, wohin soll ich denn sonst? Ich möchte doch einmal sehen, wo die Sache hinausläuft mit diesem Vogelkäfig und mit mir.

Dabei war sie mit ihrer Eierspeise fertig geworden und trug sie in den Hof, wo der Farmer schon ein blaugeblümtes Tischtuch über die Platte auf der alten Kanalröhre gebreitet, zwei irdene Teller, zwei hörnene Eßbestecke, einen Laib Brot, ein Salzfaß, eine Butterdose aufgestellt hatte. Er lud seinen Gast ein, neben ihm Platz zu nehmen. Danitza setzte sich. Er holte aus dem Keller noch zwei Flaschen Bier, wusch zwei große Gläser am Brunnen und goß ein. Er schnitt zwei mächtige Scheiben Brotes und bestrich sie ordentlich mit Butter. Bei diesem Anblick spürte Danitza erst ihren guten Hunger und griff tüchtig zu. Es dünkte sie, noch niemals in ihrem ganzen Leben so köstlich gespeist zu haben. Und läuft denn nicht so manches Menschen- und Abendglück, wo es am besten sich anläßt, auf ein sorgloses Butterbrot nach Sonnenuntergang hinaus? Sie achtete 150 nicht einmal darauf, daß der Farmer sie vorsichtig und prüfend betrachtete, während sie tapfer aß. In der Dämmerung breitete sich langsam die feuchte Kühle des nahen Wassers aus. Plötzlich sagte der Herr: »Es wird Ihnen kalt werden, Sie haben nichts Warmes mitgenommen.« Danitza sah verlegen an ihrem modischen leichten Sommeranzuge und dem überflüssigen Sonnenschirmchen, das neben ihr lehnte, hinab und fröstelte. Mit einem Satze sprang der Farmer ins Haus und brachte gleich ein altes, großes, gestricktes Wolltuch, das er über ihre Schultern legte, und unter dessen Schutz sie sich doppelt angenehm gewärmt und gestärkt fühlte. Danitza duldete Speise und Trank, Abend, Kühle und Gastfreundschaft und Wolltuch, wie eine unverhoffte Pflege. Als sie aber endlich mit dem Essen fertig war und gleichsam von innen her sich einen Ruck geben wollte, um aufzustehen und dem Ungefähr ein Ende zu machen, brachte sie in ihrer Müdigkeit gerade nur zuwege, aufzuschauen und den Blick ihres Gastfreundes zu treffen, der eine Pfeife in Brand gesetzt hatte und in Gedanken den blauen Rauch vor sich hinblies.

Er sagte: »Jetzt werden Sie wohl irgendwo schlafen müssen.« »Ach ja, ich will in die Stadt 151 zurück!« antwortete Danitza verlegen und sah zu Boden.

»Es ist schon zu spät für den weiten Weg. Auf dem Damme haust ein Lumpengesindel. Sie kommen da nicht leicht zurecht. Es hat keinen Sinn, jetzt zurückzuwandern. Wenn Sie vorlieb nehmen wollen, kann ich Sie ganz gut in meinem Hause beherbergen. Unterm Dach habe ich noch eine Bodenkammer mit einem Bett. Dort werden Sie ruhig schlafen, und in der Früh wecken die Hähne Sie auf.«

»Aber wie kann ich denn?«

»Ach, da ist weiter nichts zu sagen, wir machen keine Geschichten. Kommen Sie nur.«

Beim Aufstehen spürte sie erst, wie bleiern die Müdigkeit auf ihr lag. Sie hätte keine zwanzig Schritte tun können. Also folgte sie ihm in das Vorräumchen, wo er von der Wand eine Handlaterne nahm, deren Kerze er vorsichtig anzündete. Er schritt ihr voran durch die drei winzigen Stuben, die sie bereits kannte, und wies in der dritten mit hocherhobnem Lichte auf eine Holzleiter, die durch eine Luke in den Dachraum führte.

»Da müssen Sie hinaufsteigen, vorsichtig mir nach!«

Sie schürzte sich und kletterte über die Sprossen 152 sachte empor, während er die Klappe oben offen hielt, welche in das Bodengelaß mündete. Nun standen sie beide in einem Raum, der außer einem Bett, über welchem ein Spiegelchen hing, und einem Wandschrank nur mit Mühe zwei eng nebeneinanderstehende Leute umfaßte, von denen einer unter dem schrägen Dach sich bücken mußte.

»So, da ist Ihr Bett. Legen Sie sich nur hin, es ist frisch bezogen, ich wollte schon lange jemand zur Hilfe für die Wirtschaft aufnehmen, weil meine Frau gestorben ist. Darum ist der Verschlag bereit. Doch darüber können wir morgen weiter sprechen. Gute Nacht.«

Und damit hob er auch schon die Bretterluke auf und tauchte nieder und versank mit seiner Laterne, mählich die Leiter hinabsteigend, und ließ endlich die Bodenplatte hinter sich zufallen.

Danitza warf sich, rasch entkleidet, auf das Bett und versank in den tiefsten traumlosen Schlummer.

In aller Frühe erwachte sie von den mächtig rufenden, grüßenden, antwortenden Hahnenschreien, oder von dem vollen Morgenlicht, das durch die kleine Glasluke vor dem Bett in den Verschlag schien.

Sie öffnete die Augen, blinzelte und besann sich, wo sie war und was dies wunderliche 153 Quartier wohl bedeute. Da pochte es auch schon an der Bodenplatte.

»Ja,« rief sie und zog beschämt die Decke über ihr Gesicht.

»Sind Sie schon wach?« hörte sie den Farmer fragen.

»Ja.«

»Wenn Sie vielleicht dableiben wollen, habe ich Ihnen ein Gewand mitgebracht, denn in Ihren Kleidern können Sie nicht arbeiten. Es ist von meiner Frau. Sie brauchen sich nicht zu schämen. Ich will's Ihnen reichen. Dann kommen Sie und waschen sich beim Brunnen.«

»Ja«, sagte sie, und schon langte durch die halbgeöffnete Luke des Farmers Arm mit einem Bündel, das sie vom Bett aus ergriff. Dann fiel die Platte wieder zu. Rasch fuhr sie auf, löste ihr Haar, kämmte es mit den Fingern zurecht, steckte es in einem großen Knoten auf und zog eilig das neue Gewand an: eine blaue, weite, kurzärmelige Bluse, einen Leinenrock, mit Bändern umzugürten. Solche Tracht hatte sie freilich noch nie angehabt, aber alles roch nach frischer Wäsche, es fehlte kein Knopf an der Bluse, und so wollte sie sich nicht schämen, mochte auch ihr Hals weit hervorschauen und ihre mageren Arme.

154 So angetan, kletterte sie über die Leiter hinab. Sie fand weder im Hause unten, noch im Garten den Herrn und konnte mitten unter dem schreienden Federvieh wohl unbemerkt an den Brunnen gehen, sich waschen. Dort war über das Laufrohr ein Handtuch gelegt, ein Stückchen Seife daneben. Sie schöpfte sich Wasser, und das tat dem Gesicht, dem Hals, den Armen gar wohl. Als sie fertig war und sich umschaute, stand der Farmer schon vor dem Häuschen, und der Tisch war bereits zum Frühstück gedeckt. Er begrüßte sie und es fand sich von selbst, daß sie wieder neben ihm Platz nahm und zugriff. Diesmal dauerte es aber nicht so lange, wie gestern am Abend. Denn er verzehrte eilig seine Mahlzeit und sie sputete sich. Als sie fertig war, sagte er: »Wenn Sie nichts dagegen haben, können Sie hier bleiben und meine kleine Wirtschaft führen, im Garten und beim Geflügel helfen, was es gerade zu tun gibt. Sie hätten mein Essen zu kochen. Viel ist's ja nicht. Das Gemüse und die Eier haben wir selber, das Fleisch bringt der Bursch ins Haus. Das andre kauft man beim Krämer ein. Der wohnt ganz draußen an der Sandgrube, Sie werden schon sehen. Um mich haben Sie sich sonst nicht weiter zu kümmern. Meine Kleider und 155 Schuhe putz ich mir selber. Aber im Garten kann ich schon eine leichte Hilfe brauchen. Ich habe nämlich auch draußen ein kleines Grundstück, wo ich Gemüse baue. Meine Frau hat dazu eine gute Hand gehabt. Sie werden noch alles lernen und zuwege bringen. Wegen des Lohnes dürften wir uns nicht streiten, wenns Ihnen sonst recht ist.«

Danitza konnte nicht ja, noch nein sagen, aber da ihr dies Leben, Hof und Haus, die Müdigkeit am Abend, das stille Essen, der tiefe Schlaf, die heitere Morgenfrühe wohlgetan hatten, und da sie ja weder etwas Besseres, noch etwas Schlechteres, überhaupt gar nichts mit sich anzufangen wußte, räumte sie stillschweigend den Tisch ab, faßte die Milchgläser, das Brot, tat das rotgeblümte Tischtuch zusammen, beutelte es aus, so daß die Hühner gierig nach den Brosamen pickten, und ging ins Haus. Mit dem sicheren Blick jedes wirtlichen Frauenzimmers fand sie in der Küche ein heilloses Durcheinander. Der Farmer ging ohne weiteres seinen Geschäften nach, und sie hatte Zeit sich umzutun, alles Vorhandene anzusehen, ihre Geschäfte zu erkennen und über ihre neuen Pflichten einen ersten Überschlag zu machen. In dem Häuschen gab es also neben der Küche drei winzige, mit reinlichem Gerät gefüllte Stuben, 156 in einer standen zwei truhenartige, blaubezogene Lager nebeneinander, von denen nur eines offen war, in welchem der Farmer schlief. Sie schüttelte die Federkissen und breitete das ganze Bettzeug über das offene Fenster. In der zweiten gab es zwei nußbraune Schränke, eine Kommode mit gehäkelter Decke. An der Wand hing unter Glas und goldenem Rahmen ein Myrtenkranz, das Denkzeichen von des Farmers Ehe. Und daneben die Photographie wohl dieser verstorbenen Frau, ein stilles, freundliches Antlitz unter schlichtem, gescheiteltem Haar. In der dritten Stube fand sich eine Hobelbank, die zugleich als Tisch diente, an der Wand Sägen, Werkzeuge aller Art, und auf einem Bord Gläser mit Sämereien. In der Küche hatte sie mehr zu schaffen, putzte das Geschirr, die Töpfe und Teller und Gläser und stellte das Essen zurecht: Wasser, Gemüse und Fleisch zu Suppe und Zukost. Den Holzvorrat wußte sie bereits in seiner Hausecke und richtete sich selbst mit dem Beil die nötige Feuerung zu.

Bis sie in dieser Zwergwirtschaft Ordnung gemacht hatte, war es doch schon heiß und spät geworden. Die Sonne brannte ordentlich auf die ebene Gegend nieder. Aber es tat der Danitza wohl, zu schaffen, sich zu rühren und ohne viel 157 Nachdenken alles Erforderliche zu besorgen, indes die Luft um Hals und Wangen und durch die weite Bluse fuhr, welche um ihren mageren Körper schlotterte. So hatte sie nicht einmal Zeit, sich nach dem Geflügel und dem Herrn umzusehen, die Suppe zischte im Topfe und das Fleisch war gar, sie trug die Speisen auf den Tisch vors Haus, und von ferne läutete es Zwölf. Der Farmer kam und sie aßen wieder. Es wurde kein Wort gesprochen.

Nachmittags – sie hatte bald das Geschirr gewaschen – sollte sie im Garten helfen. Der Wirt führte sie ein Stück weiter zu einem sonnigen, umzäumten Geviert, das unter den übrigen kleinen Plätzen lag, da bekam sie allerhand leichte Arbeit. Und wieder war es Abend und Nachtmahlzeit wie gestern. Wieder fiel sie oben in ihrem Verschlage in den eiligsten, herrlichsten, traumlosesten Schlaf. Und was am ersten Tage unerhört, ein Abenteuer und unverantwortliche Laune scheint, wird am zweiten vertraut und leicht genommen, am dritten selbstverständlich und nach einer Woche eine neue, starke Pflicht. Sie ist unversehens in den Kreislauf eines Arbeitsuhrwerkes eingestellt, wie die Hähne, die morgens zu schreien haben, wie die Hühner und Enten und Gänse und Tauben und 158 Pfauen, die scheinbar zwecklos durch den Hof streifen und Körner suchen, aber sehr pünktlich ihre Eier legen, schließlich gerupft und im Topf gesotten oder verkauft werden und auf ihre Weise von der Erde kommen und zur Erde kehren.

Dies Leben und Tun aber schlug ihr so trefflich an, daß sie nicht einmal wußte oder spürte, wie ihre Wangen wieder rot, ihre Arme fest und braun, ihre Augen hell wurden und ihr Mund statt eines bekümmerten und verächtlichen ein frohes und herzliches Lächeln annahm.

Sie merkte nicht einmal, wie sie gar bald im Garten statt einer vollen Gießkanne deren zwei in jeder Hand fassen und tragen konnte, wobei sich ihre Brust straffte und wölbte und das Haupt kühn zurückbog.

Aber der Farmer sah es wohl, wie sie gedieh gleich einem seiner Beete oder einem fein umherstelzenden Perlhuhn, wie sie einen festen Schritt und Tritt bekam und zuversichtlich ihre Arbeit tat. Er sprach nicht viel und fragte nichts. Und auch sie erfuhr von ihm nichts weiter, als was sie sah, daß er im Garten sein Hausgemüse und ein bißchen Zwergobst, und zum Vergnügen ein paar Rosensträucher und Blumenbeete zog, im Hof aber als Geschäft und Hauptsache die Pflege 159 des Geflügels betrieb, von welchem er allwöchentlich einem Händler etwa ein Dutzend abgab. Aber die Rosen und das Gemüse und die Pfauen, Tauben und die weißbehosten Hühner merken es auch nicht, wenn der Farmer sie wohlgefällig oder besorgt anschaut und dies oder jenes als notwendig erkennt und mit sich berät.

So wußte auch die Danitza nicht, daß der Herr sie gelegentlich ansah oder ihr nachblickte, wenn sie durch die schmalen Wege längs der Beete des sonnigen kleinen Gartens ging, zwei Gießkannen in den Händen, wenn sie dann mit sicherer Gebärde das Wasser über die Pflanzen strahlen ließ oder sich jätend niederbeugte. Sie dachte selbst nicht, daß sie wohlgerichtet und wieder in Ordnung gebracht war, wie ein arg zerzauster, verkümmerter Busch, der gerade noch ein paar halbverdorrte Blätter hat, so daß es recht fraglich ist, ob er noch aufkommen wird. Und siehe da, eines Tages steht er in Rosen.

Es wurde Sommer, da glühte es im Gartengeviert vor Hitze, der Sandboden schien die Sonne und das Licht doppelt gierig aufzusaugen. Es war kein Ende des Gießens und Wasserverlangens, und keines des Schwitzens und Plagens. Die Danitza schaffte unter hellen Perlen auf dem Halse 160 und der Stirne. Aber am Sonntage gab es Ruhe. Sommersonntage in der Farm. Nur die Hühner wandern, scharren und lärmen. Die Arbeit ist getan. Das Essen wird rasch gekocht und verzehrt. Jetzt hat sie ihre Rast verdient, und vor der Farm im Wald lockt ein guter Schatten. In den kleinen Häusern schlummert alles. Hier ins Gehölz kommt kein Mensch. Da legt sie sich hin und schaut zu den Bäumen hinauf in ein rauschendes Grün, durch dessen Lücken der Himmel blau, heiß und herrlich scheint. Sie liegt und schläft mit offenen Augen, denn es gibt nichts zu denken und zu sorgen.

Einmal steht der Farmer vor ihr, stattlich, in seinem blühweißen Hemde, sorgfältig rasiert, er hat einen feinen braunen Schnurrbart und kurzgeschorenes braunes Haar, seine Haut ist freilich gegerbt von allem Wetter, aber gesund, man weiß nicht, wie jung oder wie alt er ist. Sie dreht den Kopf zur Seite, zum erstenmal spürt sie den blauen, überlegenen Blick seiner Augen. Aber sie denkt nichts weiter, es ist zu still und zu heiß. Er wirft sich neben sie aufs Gras und zieht einen Halm durch die Zähne. Sie rückt ab, will aufstehen, ist aber viel zu müde. Wenn man täglich miteinander arbeitet bis spät in den Abend und bis zum Umsinken vor Schläfrigkeit, denkt man 161 nichts Arges, oder nichts ist arg, was man auch denken mag. Was gibt's zu schämen, oder zu fürchten? Wie man steht und geht, sich bückt und Wasser holt, schöpft, gießt, das Hühnervolk füttert, die Ziegenmilch seiht, so liegt man wohl auch und ruht.

Da liegt also der Herr neben der Dame Magd. Nach einer Weile beugt er sich über sie, so daß sie sein Gesicht über sich spürt. Jetzt fährt sie mit einem Ruck auf. Er faßt sie an beiden Armen und bringt sie wieder zur Ruhe.

Sie stammelt: »Was fällt Ihnen ein, ich bin ja verheiratet.«

Er lacht leise: »Aber das macht ja nichts.«

Und so geschieht es, daß sie aus dem Dachverschlage hinunterzieht und in dem zweiten Bette neben dem seinen schläft. Wie sie die Kleider und die Wäsche seiner Frau getragen, so trägt sie jetzt den Mann selber. Und nichts ändert sich in dem ruhigen Lauf dieser Dinge, sie bleibt ein Glied im Gefüge dieses wunderlichen Menschenspielwerks, es geht ihr wohl, sie wird stark, wie nie zuvor.

Die kleine Welt dieser arbeitsamen Gemeinschaft ringsum hat so viel zu schaffen, daß niemand unnütz fragt und forscht, zumal derlei stille, zweifelhafte Ehen gerade hier eine bescheidene Zuflucht finden. Sie tut einer Hausfrau Arbeit und Hilfe 162 und hat einer Hausfrau Sorge, Anteil, Wäsche und Gewand. So wird es wohl eine Art Ehe sein, die sie führt und keinen geht es an.

In der Nähe der großen Stadt, aus der sie verschollen ist, fühlt sie sich gleichwohl sicher, als könnte sie keiner hier ausfindig machen und suchen. Wo sind ihre Leute, die Mutter, oder gar der einstige Gemahl? Denen bleibt sie wohl in der Donau versunken und gestorben. Wenn man ein anderer Mensch geworden ist, mag die frühere, abgestreifte Hülle getrost bestattet und vergessen bleiben. Das gehört sich.

So sicher fühlte sie sich, daß sie, wie sie war, in ihrer Bluse und ihrem groben Rock manchmal in die Stadt ging und dies und das besorgte. Niemand konnte sie erkennen.

Als der Herbst und Winter in der Kolonie still vergangen waren und wiederum der Frühling kam, fiel ihr die Stadt und ihr einstiges Leben einmal bei, und sie mischte sich in das Gedränge der Menschen, welche beim Eingang des Praters der Auffahrt der Wagen zu einem sogenannten Blumenkorso neugierig zuzuschauen pflegen. In ihrem einsamen Leben, das wie ein Traum und wie die Erfindung eines launigen Schicksals in dieser kleinen Farm verlief, mochte der Wunsch 163 auftauchen, den anderen Traum, den Irrtum, die Eitelkeit der Welt von ferne zu betrachten, der sie einmal angehört, schien ihr doch diese Zeit so weit zurückzuliegen, als sei ihr Selbst längst in einen anderen Leib, in andere Sinne geschlüpft. Und da sah sie nun die reichen, geschmackvoll oder leidig ausgezierten Wagen mit den modischen Herren und Damen vorüberziehen, dem ewig gesuchten Vergnügen nach.

Aber hei! Es gab ihr einen Stich. Da fährt in einem fliedergeschmückten Zweispänner Herr Egon de Alamor an der Seite seiner Mama und Schwester, zweier hochgeputzter, in Eleganz und Mode wippender Damen, strahlend vorbei. Er trägt einen feinen Anzug und lächelt glücklich. Wo mag er sich das Geld ausgeliehen haben? Er schaut um sich nach allen Seiten mit seiner herzlichen Art zu blicken, die nichts auf der Welt bemerkt, als sich selber, so trifft sein Auge auch seine weiland Gemahlin, aber wie sollte er sie in dieser Gestalt erkennen? Danitza lächelt wehmütig vergnügt und sieht ihr einstiges Glück und Ende in dem Fliederfahrzeug vorbeifahren. Sie blickt dem hinstolzierenden Wagen nach, der in der schnurgeraden Allee sichtbar bleibt, so daß sie Herrn Alamor lange in seiner schlanken Haltung inmitten seiner Mama und 164 Schwester sitzend wahrnimmt, er verkleinert sich mählich, aber weit weg fährt er noch als ein prahlerischer Punkt in die unendliche Perspektive seines Lebensspieles hinein. Da sie aber die Rückkunft und etwaige bedrohliche Vergrößerung des unwandelbaren einstigen Gatten nicht abzuwarten wünscht, taucht Danitza wieder unter den Menschenschwarm zurück und wandert dieselbe Straße, die sie vor einem Jahre bekümmert gezogen, an Lastwagen, Kohlenhöfen und Lärm vorüber. Da ist die Reichsbrücke über einen weiten Strom gespannt, der Menschen und Dinge scheidet. Da liegen die buschigen Auen, Sandbänke, Wiesen, der Pappel- und Erlenwald und wieder die fabelhafte kleine Kolonie, Ausgang neuer Schicksale, Abenteuer, Sitten und Ende, wie Anfang eines Traumes und Spieles. Und da ist die Jagdfarm unter den Bäumen, ihr munterer Vogelkäfig, in dessen Verschlägen sie haust. Es tut gut, sich wieder still zu ducken. Was sollte sie in aller Welt mit Egon de Alamor, ihrem angetrauten Gemahl, anfangen, wenn er sie wiederfände?

Im Hofe fegte ein Pfau mit dem bunten Federfächer den Sand, und der Farmer zeigte ihr vergnügt einen alten Kinderwagen, den er irgendwo erbeutet hatte.


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