Otto Stoessl
Egon und Danitza
Otto Stoessl

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IV

Egon verbrachte die Honigwochen in einem kleinen Dörfchen vor der Stadt, das, in die schmale Talfurche eines Bergabhanges eingeschmiegt, seinen Kirchturm gerade noch im Wasser der ruhig dahinströmenden Donau spiegeln konnte, während seine alten schlichten Häuser mit den weiten Schindeldächern gemächlich unter dem Schatten von Kastanien und Linden die Anhöhe erstiegen. Obstbäume und Flieder hatten bereits ausgeblüht, dafür duftete der Jasmin, und die Schwalben schossen umher, und abends wenn die Sonne vor ihrem Untergang den ganzen Himmel aufleuchten 93 machte, von allen Seiten her die Kirchenglocken tönten und die vollbesetzten Passagierdampfer unter Sang und Klang und Wellenschlag auf der Donau vorbeizogen, ließ es sich am Tische eines kleinen Gasthauses, welches das Ufer überschaute, an der Seite eines zärtlich angeschmiegten jungen Frauenwesens recht wohlig bei einem Glase Bier oder Klosterneuburger Wein sitzen und von einer schönen Zukunft träumen, was ja zumeist die Hauptbeschäftigung einer glücklichen Gegenwart ausmacht. Egon berichtete im Amt hochentzückt, wie er sich in diesem herrlichen Örtchen auf den Rat seiner Mutter eingemietet habe, welche in der Kirche desselben Dorfes einst seinem gottseligen Vater angetraut worden und dort das erste schönste Ehejahr verbracht hatte, dessen Ergebnis er selbst darstelle. Der Pfarrer, noch heute in rüstigem Alter sein Amt versehend, habe sich als braver, unverbrüchlicher Freund der Eltern erwiesen, an ihnen und den heranwachsenden Kindern allzeit die werktätigste Teilnahme bezeugt, so daß die Mama ihrem Sohne keine bessere Stätte eines jungen Eheglückes empfehlen konnte, als diese. Dieters rhetorische Frage, ob Alamor jetzt, als griechischer Orientale, bei dem Herrn Pfarrer nicht ausgespielt habe, überhörte Egon. Ein 94 Versuch des mit Schreibangelegenheiten beschäftigten Herren, den jungen Ehemann zur Übernahme einer neuen Arbeit auf dem ›Ideal‹ zu bewegen, scheiterte an seiner Weigerung. Die Frau wolle ihn in der freien Zeit auch ganz besitzen und nicht bei einer klappernden Buchstabenmühle sich abrackern lassen.

Im Herbst aber hieß es mit einemmal, Egon de Alamor sei wieder nach Wien übergesiedelt. Die einsame Lage des Dörfchens, der Mangel an städtischer Bequemlichkeit, an zuverlässigen Verkehrsmitteln, die völlige Weltentrücktheit des unwirtlichen Ortes erwies sich für seine Gattin als gar zu beschwerlich, darum habe er eine Wohnung im Gesandtenviertel der Landstraße bezogen. Dieter gegenüber erklärte er errötend, wenn ein freudiges Ereignis rasche Hilfe nötig mache, sei er im Dorfe völlig aus der Welt und brauche zwei Stunden bis zum nächsten Arzt, während sich in der Stadt alles aufs bequemste ordnen lasse. Weil solche diskrete Angelegenheiten der menschlichen Berechnung unterworfen zu werden pflegen, kalkulierte das Amt sogleich, daß der nunmehr doppelt hoffnungsvolle Mann und Gatte wohl anläßlich seiner Fahrt nach Innsbruck auch in der Liebe einen erfreulichen Vorschuß genommen habe. Leider machte er aber keine Miene, seine anderen bedenklich aufgelaufenen Schulden zu tilgen, vielmehr verbreitete sich bald die Nachricht neuer, gelungener und bedeutender Anleihen bei neuen gutmütigen Opfern, und es schien fast ein Wunder, wie dieser vielverlachte Knabe immer wieder Geldquellen gleichsam mit der wünschenden Rute seiner Bitten, seiner Demut, seines Vertrauens und seiner unglaubhaften, doch zuversichtlichen Versprechungen zu eröffnen verstand.

Eines Tages schlich aber Egon recht als zerbrochener Krug in Dieters Kämmerchen und lehnte sich, das Haupt verzweifelnd auf beide Hände gestützt, dem eifrig Schreibenden gegenüber, an den von Akten beschwerten Tisch.

Dieter tat wie immer, als merke er nichts, und schrieb heftig weiter.

Egon seufzte erst leise, dann tiefer.

Dieter schrieb.

Egon seufzte noch einmal, und dieser schwere Atem verdichtete sich zu einem »Hm«.

Dieter antwortete »Mhm«.

Egon seufzte zum drittenmal, da sagte Dieter »Jawohl!«, was wie das Endergebnis seiner allgemeinen Weltanschauung und seiner Meinung über Egons besonderes Schicksal klang.

96 »Schauen Sie, Herr Dieter! . . .«

»Ich schaue«

»Mir fällt es so schwer . .«

»Ei!«

»Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.«

»Gar nicht.«

»Sie könnten mir helfen!«

»Warum denn ich? Übrigens, Ihnen ist nicht zu helfen.«

»Herr Dieter, ich bitte Sie, geben Sie mir die Hand!«

»Es sind ja andere Herren genug im Amt, vielleicht geben Ihnen die ihre Hände.«

»Nein, geben Sie mir die Hand.«

»Warum denn?«

»Daß Sie niemand etwas sagen, niemand. Auf Ehrenwort!«

»Wissen Sie was, sagen Sie mir auch nichts, das ist das einfachste.«

»Aber Sie sind doch mein Freund.«

»Wie oft muß ich Ihnen noch erklären, ich habe Sie zwar ein paarmal gesehen und leider auch, ohne mein Zutun, ein paarmal mit Ihnen reden müssen, aber Freund? Das ist eine weitgehende Beleidigung, zu welcher ich Ihnen kein Recht gegeben.«

97 »Sie sind der Einzige, der mir raten und helfen kann.«

»Raten schon, aber helfen wird es nichts.«

Egons Fassung war zu Ende, er ließ seinen Kopf auf den Tisch niedersinken und heulte und schluchzte zum Steinerweichen. Dieter schob seine Akten beiseite und ließ den Ausbruch dieses Schmerzes still vorübergehen; endlich hob der stehend über den Tisch Gebeugte sein tränenüberströmtes Gesicht auf und sagte: »Ich kann nicht mehr! Ich halts nicht länger aus! Mir tut ja der Rücken so weh.« Und nun gestand er, zu Hause müsse er in seiner Wohnung im Gesandtenviertel auf einem Koffer sitzen, denn sie hätten nur ein Bett und nur einen Stuhl, welchen seine Frau einnehme. Drum sei sein Platz auf einem harten Koffer. Sonst gäbe es gar kein Mobiliar. Dieter schüttelte den Kopf und schwieg. Darauf zog Egon aus der Brusttasche ein Papier und reichte es Dietern hin. Das war ein aus Innsbruck datierter Brief, worin ein gewisser Amlech, Hausbesitzer, folgendes vorbrachte: Herr Egon de Alamor habe anläßlich seines Frühjahrsaufenthaltes eine Wohnung in seinem, des Schreibers Hause, bestehend aus vier Zimmern und Zubehör gemietet. Auf Begehren des Bestandnehmers habe der Hausherr 98 im Hofe einen kleinen Stall für ein Pferd mit anstoßender Wagenremise erbauen, weiter die Gemächer nach den angegebenen Mustern in sezessionistischem Geschmack ausmalen lassen, was insgesamt einen Kostenaufwand von zweitausend Kronen verursacht. Herr Egon de Alamor hätte nicht nur kein wie immer geartetes Angeld, oder auch nur den bescheidensten Spesenbeitrag geleistet, sondern sei zu Beginn des Viertels gar nicht eingezogen, so daß nun die Wohnung leer stehe, von Stall und Remise ganz zu schweigen. Er, Amlech, ersuche nunmehr ebenso höflich wie dringend, die aufgelaufenen Kosten, deren Einzelheiten aus den zuliegenden Rechnungen von Maurer, Dachdecker, Zimmermann, Glaser, Installateur, Anstreicher, Ofenputzer auf den Heller zu ersehen, samt dem Zinse für drei Monate ehestens einzuschicken, worauf von der Einhaltung des Mietvertrages dankend abgesehen würde. Widrigenfalls aber müßte der gesetzliche Weg betreten werden und so weiter.

Dieter las dies Schreiben, schüttelte den Kopf und sah Herrn Egon an, welcher ihm fassungslos den Blick zurückgab.

Egon stammelte, er habe freilich die Wohnung gemietet, denn die Anstellung in Innsbruck sei ihm so gut wie sicher gewesen.

99 Dieter sagte: »Auf Ihr Ehrenwort, nicht wahr? Und der Stall? Den benötigten Sie wohl für sich und Ihren Koffer, während die vier Zimmer für die Frau Gemahlin und dero Sessel und Bett bestimmt waren.«

Die Danitza habe sich so gefreut, im Wägelchen kutschieren zu dürfen, und es sei ihr Herzenswunsch gewesen, darum konnte er nicht anders, als Stall und Remise in Auftrag geben, zumal er doch auch mit der Mitgift gerechnet habe.

»Nun und?«

Egon gestand weinerlich: »Ich habe ja nichts bekommen.«

Dieter verhörte weiter: »Nichts? Und was macht die alte Serbin? Wie Sie verheißen haben, sollte sie ja reich sein!«

»O diese Kanaille,« knirschte Egon, »kenne sich einer aus, wieviel sie hat, sicher vierzigtausend Gulden oder mehr, aber sie gibt nichts her, bevor ich definitiv bin. Ich hab die Danitza immer gebeten, sie soll Geld verlangen, aber meine Frau will eher betteln gehen, als von ihrer Mutter etwas ansprechen, so eigensinnig ist sie. Sie tuts und tuts nicht. Ich kann nicht mehr länger so leben, es bricht alles über meinem Kopf zusammen. Damals ist meine Frau mit mir durchgegangen, 100 weil die Alte um keinen Preis die Heirat erlaubte. Erst als wir von unserer Fahrt nach Innsbruck zurückkamen, hat sie zustimmen müssen.«

»Aber unentgeltlich?« fragte Dieter.

»Jawohl,« bestätigte Egon.

»Jawohl,« schloß Dieter ab.

Von neuem schluchzte de Alamor. Da wurde Dieter unwillig: »Wissen Sie, Bester, was ich Ihnen hiermit erkläre: Sie sind ganz einfach ein Heiratsschwindler.«

Egon schwieg, um nach einer kurzen Weile aufzujammern. »Wenn meine arme Mama das erfährt, die überlebts nicht. Ich bringe sie ins Grab, sie, die so viel Sorgen gehabt hat um mich und meine Schwester! Herr Dieter, helfen Sie mir!«

»Wenn ich auch nur eine Minute noch mit Ihnen versäumen soll, dann schweigen Sie augenblicklich von Ihrer Mama. Ihre verehrten Herren Eltern sind noch schlechter, als Sie ungeratener Schlingel. So gescheit sollten Sie doch schon in Ihrem Alter sein, wenigstens einzusehen, daß Ihre werte Mama an Ihnen schuld ist, wie Sie dastehen. Schon daß sie Sie geboren hat, war unverzeihlich, das muß wohl hingehen. Aber wer hat Sie denn zu dem Jüngling erzogen, der Sie sind? Wer hat Ihnen denn Ihre gesellschaftliche 101 Stellung, Ihr hohes Standesbewußtsein ins Vogelgehirn gesetzt und Sie mit lauter Lug und Trug aufgefüttert? Wer? Und warum? Damit die Frau Mama als Dame faulenzen und nobel tun kann! Schon Ihr gottseliger Herr Papa ist auf diesem Vornehmheitsmisthaufen gesessen und hat Schulden gemacht, damit die Familie nach was Rechtem aussieht, und hat ehrbar mitgelogen und mitbetrogen, statt den Stock zu nehmen, Ihren vererbten Stock mit der geschmackvollen Krücke, und ihn auf dem Rücken Ihrer verehrten Frau Mama tanzen zu lassen, damit sie endlich was arbeitet und zu was taugt, sowie auf Ihrem Buckel, mein Bester. Hätte Sie zur rechten Zeit das Gesäß von Erziehungsschlägen geschmerzt, dann täte es Ihnen jetzt nicht von dem Koffer weh, auf dem Sie sitzen, und morgen nicht von der Pritsche im Arrest, auf der Sie wegen Betruges liegen sollen und werden. Ihre Mama ist eine alte Galgenvogelmutter, von der Sie die einzige Beamtenwissenschaft gelernt haben, wie man Vorschüsse nimmt und von allen Seiten Geld herauslockt, das man nicht verdienen kann. Aber nicht einmal diese Wissenschaft beherrschen Sie, und selbst zum Schwindler fehlt Ihnen das Talent. Sie glauben sich freilich dazu berufen, aber 102 auserwählt sind Sie nicht! Und Ihr Herr Papa ist ein Simandl, ein Pojazer, ein braver Hosenhocker gewesen, der sich von Ihrer Mutter hat alles vorsagen lassen, bis er Sie glücklich zustande gebracht, Sie Sohn und Erbe. Jetzt können Sie diesen Stamm halten!«

»Herr Dieter, Sie beleidigen meine Eltern. Mein armer Papa würde sich im Grabe umdrehen, wenn er mein Schicksal erführe.«

»Gewiß, ich beleidige Sie und Ihre ganze Aszendenz und Deszendenz, und wenns Ihnen nicht recht ist, vertrauen Sie sich jemand anderem an, der Sie für einen Ehrenmann hält.«

Egon stand still da und ließ das Unwetter auch dieses Zornes ruhig über sich ergehen.

Dieter konnte sich noch immer nicht fassen. Da stand dieser Knabe in einem eleganten Anzug, wie Dieter sich niemals einen leisten konnte, wohlgenährt, noch roch er nach seinem täglichen Gabelfrühstück, stand da und weinte. Stand da und glotzte mit blöden Augen über das Unheil, das er angerichtet, und wollte noch die Leute um ihr Vertrauen beschwindeln, wie um ihr Geld. Dieter packte ihn an beiden Schultern und führte ihn vor den Spiegel, der über dem Waschkasten der ärmlichen Amtsstube hing. »Da schauen Sie sich 103 nur an. Das ist der Triumph Ihrer Frau Mama und Ihres Herrn Papas. Betrachten Sie gütigst Ihr Gesicht, Ihre Augen, Ihren Mund. Und jetzt bedanken Sie sich bei Ihren Herren Eltern. Sind Sie noch über etwas unklar?«

Egon sah gehorsam in den Spiegel, dann kehrte er zum Schreibtisch zurück und vermied es, ein Wort zu sagen, bis sich seines Gönners Zorn gelegt hatte.

Man hörte geraume Zeit nur das Ticken der Wanduhr, indes die Sonne langsam über den öden Hof hinaufkroch und endlich in einem lichten, warmen Streifen über den Akten dalag.

Dieter hatte sich wieder an den Schreibtisch gesetzt. Egon stand in ehrfurchtsvoller Entfernung und wagte nicht, sich zu nähern. Endlich begann er wieder mit schmeichelndem Flehen: »Herr Dieter, Sie sind wirklich wie ein Vater zu mir, ich beschwöre Sie, geben Sie mir dreitausend Kronen als Darlehen. Ich biete Ihnen keine Zinsen an, gar nichts. Nur mein Ehrenwort. Ich will Ihnen das Geld abzahlen, wenn ich kann. Und Sie allein sollen mich retten. Mein ewiger Dank wird ihr Lohn sein.«

»Ihr gütiger Antrag schmeichelt mir ungemein. Ihr Vertrauen zu mir kennt keine Grenzen. Aber 104 daß Sie mich für so dumm halten, ist wieder eine der Beleidigungen, die Sie auf mein Haupt zu häufen belieben. Ich besitze leider keine dreitausend Kronen, und wenn ich sie hätte, würde ich damit alles andere eher bestreiten, als Ihre Schuldentlastung. Doch will ich sehen, ob ich Ihnen einen Rat geben kann, denn der ist für Sie augenblicklich noch dringender, als das Geld. Setzen Sie sich also nieder, nehmen Sie ein Blatt Papier und schreiben Sie.« Damit stand er auf, ließ Egon an seinem Tische Platz nehmen und bot ihm Feder und Tinte an. Alamor zog aber aus der Brusttasche eine goldene Füllfeder hervor, welche er wie manches andere wertvolle Schreibmaterial erstanden hatte, um sich nie von ihr zu trennen. Mit diesem kostbaren Werkzeuge saß er da und blickte seinen Gönner aus den ängstlich offensten Augen voll Spannung an.

»Also jetzt schreiben Sie eine genaue Liste aller Ihrer Schulden. Vorwärts.«

Egon begann, sein Gedächtnis anstrengend, postenweise das Bekenntnis abzulegen und zu Papier zu bringen, wobei er einzelne Stellen nur zögernd eingestand. Dieter, welcher sofort jedes Bedenken merkte, drängte dann immer: »Bloß dies? Es wird wohl mehr sein!« Und seufzend erhöhte 105 Egon die betreffende Ziffer auf ihren wahren Stand. Auf der Liste fanden sich alle Namen des Amtes, vom Vorstande abwärts bis zum Kanzleidiener, der Egons tägliches Gabelfrühstück besorgte. Als diese Post auch mit etlichen zwanzig Kronen stöhnend einbekannt war, schlug Dieter mit der Faust auf den Tisch: »Nicht einmal den armen Teufel haben Sie verschont?«

»Ich bitte, ihm habe ich ein monatliches Trinkgeld ausgesetzt, ein Pauschale!«

»Weshalb?«

»Für das tägliche Besorgen des Frühstücks!«

»Ich will davon gar nicht reden, daß Sie statt Fleisch und Bier ein trockenes Stück Brot genießen sollen, aber wenigstens holen könnten Sie sich diese Mahlzeit doch selber! Natürlich, Herr Egon de Alamor braucht einen Bedienten!«

Egon versicherte, gerade dieser einfache Mann habe mehr Takt im Herzen, als mancher hochgestellte Beamte. Von ihm sei noch keine Mahnung oder andeutende Ungeduld laut geworden, er benehme sich seinem Schuldner gegenüber nach wie vor respektvoll und unterwürfig, während der Herr Vorstand ihn schon mehrmals recht hart und schonungslos angelassen und gedroht habe, seine Frau Mama vorzuladen, für welche Alamor das Geld 106 angesprochen, und auch der Herr Konzipist und die anderen Gläubiger hätten ihn unsanft genug behandelt, so daß man sehe, wie Armut und niederer Stand oft mehr echte Vornehmheit und brave Gesinnung wahrten, als Wohlergehen und höhere Bildung.

»Sie dreister Schafskopf!« resümierte Dieter Egons sittliche Betrachtung.

Auf die Frage, wohin denn alle diese Summen gegangen seien, gestand Alamor, er habe Danitza gegenüber vorgegeben, mit einer Nebenbeschäftigung so viel einzunehmen, daß er das von ihr beanspruchte Wirtschaftsgeld aufbringen könne. Da er aber in Wahrheit natürlich keine Nebenbeschäftigung besaß, mußte er deren angebliches Erträgnis allmonatlich entlehnen.

Außer den vom Innsbrucker Hauswirt eingeforderten, ergab das Schuldenverzeichnis eine sichere Belastung des Alamorischen Daseins mit zweitausend Kronen.

Dieter sagte nun: »So! Jetzt kennen wir hoffentlich Ihre ganze Schmach. Was Ihre Gegenwart und Zukunft betrifft, so belieben Sie gefälligst zu hungern, wenn Sie kein Geld haben. Ihre Frau Gemahlin könnte doch ganz wohl in ihr früheres Schokoladengeschäft zurückkehren und auch ihr Teil mitverdienen?«

107 »In ihrem Zustand?« mahnte Egon.

»Ach so! Nun, da sie mit der Fortpflanzung ihres Geschlechtes beschäftigt ist, mag es hingehen. Warten wir also. Aber nach der Lotterieziehung soll sie nur wieder beginnen.«

»Nein, Herr Dieter, das kann ich nicht übers Herz bringen, eine Frau gehört an den häuslichen Herd.«

Dieter lächelte ingrimmig: »Auf Ihre Meinung über die Bestimmung des Weibes kommts jetzt nicht an. Zunächst müssen Sie die Vergangenheit aufs Gleiche bringen. Da sie den genialen Gedanken hatten, Ihre sämtlichen Schulden auf einen neuen Gläubiger zu überwälzen, dadurch eine gewisse Vereinfachung des Geschäftsganges zu bewirken und die zahlreichen zerstreuten Forderungen sich vom Halse zu laden, muß ich, von meiner Person dankend abgesehen, immerhin zugeben, daß diese Entlastung allerdings den einzigen möglichen Ausweg für Sie bieten könnte. Die Frage ist nur, ob Sie wirklich einen Menschen auf der Welt finden, der so dumm ist, Ihnen das ganze Geld zu geben, also noch dümmer als Sie. Übrigens haben Sie ja als Knabe dank Ihrer guten Erziehung in vornehmen Häusern verkehrt, vielleicht finden Sie noch einen bisher 108 vernachlässigten Freund, an den Sie sich wenden können. Bekommen Sie dieses Geld, dann zahlen Sie Ihre riesigen Schulden auf den letzten Heller ab, dem Innsbrucker Hausherrn schreiben Sie einen hochanständigen Brief, bekennen Ihre Verhältnisse wahrheitsgetreu, schicken ihm zweihundert Kronen als Beweis ihres guten Willens, handeln ihm seine Forderung entsprechend herab und sichern ihm für die Restsumme pünktliche Ratenzahlung. Darauf wird er eingehen, denn er verdient seine Strafe dafür, daß er einem solchen Hochstapler aufgesessen ist.«

Egon sann nach, er wisse wohl einen reichen Schulkollegen, dessen Schwester – er lächelte bei der Erinnerung – ihm einst Zeichen eines merklichen Wohlgefallens gegeben, welche er indessen unerwidert gelassen habe, da sie nicht hübsch genug gewesen sei. Diesen lang vernachlässigten Freund wolle er aufsuchen.

Dieter bestärkte ihn darin, noch heute den Weg anzutreten und dann seiner Frau zu Hause alles, aber auch alles zu beichten. Nur so könne Egons Schicksal eine neue, freilich unverdiente Wendung zum Guten nehmen. Mit innigem Dank empfahl sich de Alamor, um seinem Gönner zu gehorchen. Man sah ihn langsam, auf den Ebenholzstock 109 gestützt, den Zylinder auf die sorgenvolle Stirn gedrückt, das Amt verlassen.

Tags darauf saß Dieter, einigermaßen gespannt auf den Ausgang des Alamorischen Bitt- und Bußganges, über seinen Akten und schrieb eifrig weiter, als Egons hohe Gestalt, festlich gekleidet, eintrat. Seine Begrüßung von edlem Anstand, wie auch sein in den Hüften sich wiegender Schritt war als Triumph zu deuten. Dieter sah auf und prüfte Alamors Gesicht, welches, hoch gerötet, von innerer Befriedigung und genußvollem Stolze zeugte. Ohne weitere Einleitungen begann der junge Mann seinen Bericht, indem er eine feine, saffianlederne Brieftasche hervorzog und Herrn Dieter ihre Füllung mit wirklichen Banknoten aller Art vorwies.

»Alle Achtung, Herr de Hochstapler,« sagte Dieter mit einer Verbeugung.

Auf dem Wege nach Mariahilf, wo sein ehemaliger Schulkamerad wohnte, habe er den tiefsten Schmerz eines gequälten Gewissens, eines reuevollen Stolzes durchempfunden und oft genug umkehren wollen, um, statt nach Westen vorwärts, zur Donau und an die Reichsbrücke zurück zu wandern und sich durch einen Sturz ins Wasser aus seiner unwürdigen Lage für immer 110 zu befreien. Dieter nickte zustimmend: »In der Tat, das wäre kein übler Ausweg gewesen. Ich habe gestern ohnedies daran gedacht. Dazu darf man jedoch leider nicht raten. Aber Sie haben sich diese Entscheidung erspart und der Menschheit, dem Amt, der Frau Gemahlin und dem präsumptiven Leibeserben Ihr kostspieliges Dasein erhalten, wie ich sehe.«

»Sie haben leicht lachen, Herr Dieter, mir war nicht spaßig zumute.«

»O ich bitte sehr, was ich sage, meine ich höchst ernst.«

Schließlich sei Alamor wirklich zum Hause des einstigen Freundes gekommen, auf der Stiege überfiel ihn die äußerste Angst, Scham und Beklemmung, so daß er die Treppen nur wie ein Taumelnder erstieg und die Zeit, welche er dazu brauchte, wie eine Ewigkeit in der Hölle durchlitt. Eben während er Stufe um Stufe nahm, begann im Hofe ein Leierkasten jenes Tanzduett aus der Operette zu spielen, die er so liebte und in glücklicheren Zeiten mit seiner Danitza angehört hatte. Jeder Ton brachte ihm eine entsetzliche Mahnung an sein verscherztes einstiges Glück, an seine trostlose Gegenwart, schnitt ihm wie ein klirrendes Messer ins Herz, und noch klang diese Musik, als 111 er an der Tür schellte. Man öffnete ihm, er konnte nur nach dem Freunde verlangen, wurde in ein Zimmer geführt, und als gleich der Gesuchte eintrat, vermochte Egon kein Wort mehr zu sagen die Sinne schwanden ihm, er fiel in Ohnmacht. Nach einer Weile – er wußte nicht, wie lange er so gelegen – fand er sich auf ein Sofa gebettet, Weste und Hemd geöffnet, eine kalte Kompresse auf Stirn und Brust, von dem Freund und dessen Schwester betreut und lächelnd und voll Besorgnis begrüßt.

Das Weitere ergab sich leicht. Er gestand alles unter Tränen, und alles wurde begriffen und verziehen, denn er war ja krank und elend genug. Der Freund war ein Freund. Seine Schwester ein Engel. Kurz, er bekam die ganze verlangte Summe. Es gab noch Menschen auf der Welt.

»Ja, ja, nur ein Weiser braucht sie mit der Laterne zu suchen, Sie finden sie in Ihrer Ohnmacht.«

Man lud ihn zu einem Imbiß ein, stärkte ihn mit dem besten Rotwein, erkundigte sich aufs teilnehmendste nach seiner Gattin, seinem Amt und sprach von den Zeiten der Jugend. Getröstet entließ man ihn erst, nachdem er alle seine Kräfte wiedergewonnen.

So konnte er denn noch abends nach Hause 112 fahren. Man hätte ihm gegen allen seinen Widerstand einen Wagen aufgenötigt, fügte er sofort bei, als Dieter über diesen vornehmen Abschluß der Bettelei die Stirn runzelte.

»Und wie haben Sie sich mit der Frau Gemahlin auseinandergesetzt?« inquirierte Dieter weiter.

Alamor seufzte.

»Was hat sie gesagt? Wie brachten Sie ihr die Sache bei?«

»Schonend. Aber nach und nach hat sie alles erfahren.«

»Und dann?«

Alamor senkte das Haupt.

Dieter sah ihn an und machte eine bedeutungsvoll ausholende Handbewegung. Egon nickte bestätigend und fuhr unwillkürlich an seine linke Wange.

Dieter war befriedigt: »Das gefällt mir sehr gut. Meinen Respekt! Und dann?«

Ja dann habe seine Frau sehr zu weinen begonnen und er habe seine Not gehabt, ihr ein Messer zu entwinden, welches sie gegen sich gezückt. Aber endlich beruhigte sie sich, war versöhnt und forderte nur, was auch Herr Dieter verlangt, die genaueste Erfüllung aller Verbindlichkeiten, die strengste Wirtschaft, die sie in die Hand 113 nehmen wollte. Nun würde ein neues Leben beginnen. Wenn nur die Schwiegermutter Vernunft annähme. Aber Danitza wollte um keinen Preis mit ihr reden.

»Also gehen Sie zu ihr als Mann und sprechen Sie. Gebrauchen Sie alle Verführungskünste Ihrer Schwindelberedsamkeit, malen Sie Ihre häuslichen Zustände mit den stärksten Farben, trumpfen Sie Ihre Bedeutung als Gatte, Beamter und Standesperson auf und setzen Sie ihr einen Revolver an die Brust, vorsichtshalber einen ungeladenen.«

Egon war von diesem Rat begeistert. Er brauche das Geld ja nicht um seinetwillen, er habe jedes Opfer gebracht und werde auch weiterhin dazu bereit sein, aber wegen der teuren Frau und des Kindes müsse die Serbin doch etwas tun.

»Ja. Halten Sie ihr nur diese Rede und bald, aber jetzt schauen Sie zu Ihrer Arbeit und lassen Sie mich das gleiche leisten.«

Nochmals für alles Empfangene unter lebhaften Beteuerungen dankend, dienerte Egon zur Tür hinaus.

In den nächsten Tagen war der Gerettete eifrig mit Zirkel und Linealen, Reißfedern und rauhem Zeichenpapier beschäftigt und entwarf üppige Pläne mit strahlender Miene. Als Dieter dieses künstlerische Unwesen bemerkte, folgte ihm Egon auf den Zehenspitzen in sein Kämmerchen.

»Nun, haben Sie der Serbin was entlockt?«

Egon lachte halb verlegen, halb befriedigt und begann zu erzählen: freilich sei er dort gewesen und ordentlich aufgetreten. »Gnädige Frau, habe ich gesagt, Sie können ja durch ihren Starrsinn meine brave Frau und mich zugrunde richten, aber Sie sollen es wissen, daß Ihrer Tochter und vielleicht eines Enkels Leben aufs Spiel gesetzt wird, gnädige Frau sind doch kein wildes Tier, sondern ein Mensch, habe ich gesagt, und ich habe ihr den Revolver gezeigt.«

»Ungeladen?«

»Herr Dieter, das war kein Scherz: gnädige Frau, habe ich gesagt, noch gibt es eine Rettung, treiben Sie mich nicht zum Äußersten, ich rede zum letztenmal in Güte zu Ihnen, in meinem, im Namen meiner Frau und meines unschuldigen Sohnes.«

»Darf ich wirklich bereits zu einem Herrn Sohne gratulieren?« fragte Dieter.

Egon entschuldigte sich lächelnd, er habe nur den künftigen Sohn gemeint, denn sie rechneten so sicher auf einen Knaben, daß sie sogar schon 115 seinen Namen bestimmt hätten, er müsse und solle einst Wladan heißen nach dem Willen seiner Gemahlin, wie die edelsten serbischen Helden und Retter des Vaterlandes. Nach dieser Unterbrechung rief ihn Dieter zur Sache und Egon sprach wie aus einem hochgemuten Traume voll erhabener Redewendungen, seine ebenso würdige, wie männliche, drohende und entschlossene Art habe die alte Serbin in der Tat bewegt, so daß sie sich bereit gefunden, wenigstens ein anständiges Mobiliar zu kaufen, denn eine standesgemäße Einrichtung sei doch das Mindeste, worauf eine Tochter und deren Gatte Anspruch hätten. Weitere Geldmittel zur Einrichtung des Haushaltes konnte sie allerdings nicht versprechen, da ihr Vermögen, angeblich irgendwie festgelegt, sich nicht ohne weiteres flüssig machen ließ. Aber wenigstens eine Einrichtung modernsten Stils aus Nußholz in Palisanderimitation habe er sogleich beschafft, hochvornehme Schränke mit englischem Messingbeschlag, Stühle mit gepreßtem Leder, Tische, Waschkasten, kurz, was eben nötig und in einem Warenhause um einen Spottpreis verfügbar war. Es erregte sein Staunen, da er doch von diesen Dingen viel verstehe, wie die Möbel ganz und gar den Anforderungen seines Geschmacks entsprachen und seine 116 zeichnerischen Entwürfe nahezu völlig verwirklichen konnten. Was aber die Wirtschaft betreffe, so habe Danitza alles in ihre kleinen, strengen Hände genommen, arbeite trotz ihrem gefährlichen Zustande wie eine Magd, wobei er ihr helfen müsse, ja er reibe die Küche, wasche das Geschirr, putze die Schuhe und begnüge sich mit einer dürftigen, aber ehrbaren Nahrung, denn seine Frau wolle nun mit seinem Monatsgelde durchaus zurechtkommen, die Schulden pünktlich abzahlen, und er habe allen Herren die empfangenen Darlehen bei Heller und Pfennig erstattet, zu ihrer nicht geringen Überraschung und zur Erhöhung seines Ansehens. »Wenn ich wirklich ein Lump wäre, könnte ich jetzt das Dreifache aufnehmen, man stellte es mir mit Freuden zur Verfügung,« schloß er.

In der nächsten Zeit benahm sich Egon aufgeregt, schoß ängstlich durch die Zimmer, erklärte sich zu jeder Arbeit unfähig, denn er glaube deutliche Vorzeichen der Wehen seiner Gattin wahrgenommen zu haben. Er kam erst gegen Mittag auf eine Viertelstunde ins Amt und verließ es, nachdem er über alle Zustände und Anzeichen den teilnahmsvoll Fragenden jede wünschenswerte Auskunft erteilt, so daß sie recht eigentlich seine Vaterleiden 117 und der Danitza bittere Körperlichkeit miterlebten.

Dietern berichtete er von den täglichen Besuchen einer bedeutenden Hebamme, welche bereits eine großmächtige altdeutsche Pendeluhr ins Haus geliefert habe, die seinerzeit die Stunde der Geburt seines Wladan schlagen sollte, indem die Zeiger in diesem Augenblick feierlich in Gang gesetzt werden würden.

Dieter sah ihn kopfschüttelnd an, er kannte diese Opferbräuche und ebenso sinnigen, wie einträglichen symbolischen Fürsorgen der Hebammenzunft gar wohl. Wie sollte dieser Knabe-Vater nicht das rechte Schaf sein, sich von einer weisen Frau scheren zu lassen! Paßte dem Alamor doch jede Torheit und saß ihm wie angegossen, als sei sie gerade für ihn erfunden und zugeschnitten. Der Hebamme wünschte er freilich im argen Herzen eine gerechte Enttäuschung.

Täglich wechselten die Aspekten von Egons Schicksal, zu seinen sonstigen Kümmernissen kamen, wie er Dieter einbekannte, neue Aufregungen, die er in seiner Eigenschaft als Bruder und Sohn erdulden müsse. Seine Schwester habe es nämlich recht schlecht getroffen. Ihr Gatte besaß nicht das vermutete große Vermögen, seine Eltern leisteten keine 118 Subsidien, die Wirtschaft war auf zu hohem Fuße eingerichtet worden, indem seine Schwester ihre Ansprüche nach dem bisherigen Lebensstande des Gatten bemessen hatte, woraus sich Schwierigkeiten, dann Streit ergeben, und nun weigere sich der Elende, mit der Schwiegermutter länger unter einem Dach zu hausen, welche er der Urheberschaft alles Unheils bezichtige. Er verlange von der Gattin, daß sie sich von der Mama lossage, was seine Schwester als treues zärtliches Kind mit Recht verweigere; schon rede der rohe Mensch unverhohlen von Scheidung, er, Egon de Alamor, sei um sein Dazwischentreten ersucht worden und habe alles mögliche getan, beide Teile zu versöhnen, nicht ohne vom unverschämten Schwager schnöden Hohn und das Verbot jedes unberufenen Dreinredens zu erfahren. Nur die Rücksicht auf die äußerst delikaten Verhältnisse hätten ihn, Egon, bewogen, von einer Austragung des Konfliktes abzusehen, aber Dieter könne sich nunmehr beiläufig vorstellen, wie durchaus bewölkt und gewitterig seine Zukunft sich anlasse. Seufzend schloß er: »Ja, lieber Herr Dieter, es ist schwer, Mensch zu sein.«

»Sehr wahr, Sie haben es schwer, Mensch zu sein.«

Die Stunde kam, Egons schwere Stunde, in 119 welcher Danitza von einem toten Knäblein entbunden und nur mit Mühe selbst am Leben erhalten wurde; schlechte, ungenügende Nahrung und wohl der schwache Körperzustand der beiden Gatten hatten nach der Meinung des Arztes die Daseinsunfähigkeit des Kindes verschuldet.


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