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Bello.

Es giebt schöne Hunde und häßliche; Bello gehörte zu den letzteren. Er war ein kleines, so garstiges Thier, daß selbst die Knechte und Mägde ihn abscheulich fanden und über ihn spotteten. Und das war sehr viel, denn auf dem Lande kümmern sich die Leute nicht allzu sehr darum, ob Etwas mehr oder minder unschön ist, so viel Häßliches giebt es dort an Menschengesichtern, die eintönig geworden sind wie das Einerlei der täglichen Arbeit, an Händen und Armen, die groß und steif und ungelenk, wie die hölzernen Hacken und Schaufeln sind, als wenn sie einen Theil derselben ausmachten, an dumpfigen Häusern und schiefen Dächern, schiefen Thüren und schiefen Fenstern, an armen, elenden Kleidern, die von armen, elenden Menschen getragen werden. Die grünen, schönen Bäume, die Blumen am Rande der Gräben und auf den Wiesen sehen die Leute nicht; sie haben kein Auge für Das, was ihnen immer wieder begegnet, es sei denn, daß sie es ihr Eigen nennen und seinen Nutzen abmessen. Eine Ausnahme machen jedoch die Kinder, die nicht häßlich sind, so lange sie noch nicht in das arme elende Zeug hineingesteckt werden. Nach und nach aber werden auch diese häßlich, ebenso wie die struppigen rothen Georginen zwischen den kranken Kartoffeln und die schwefelgelben Stockrosen an den baufälligen Ställen.

Und in all' dieser Häßlichkeit war Bello der Häßlichste.

Nur die Drescher in der Scheune sagten, er sei ein tüchtiger Hund, der Mäuse fangen und Ratten beißen könne. Deshalb gaben sie ihm auch von ihrem Frühstück: grobes Schwarzbrot, auf das ein wenig Schmalz gestrichen war. Sonst hatte Niemand Mitleid mit dem Thiere.

In das Herrenhaus durfte er nicht kommen; der alte Kammerherr liebte die lebenden Wesen nicht, und da der Herr ihm keine Zuneigung schenkte, die als Freipaß für den Park, für die große Treppe und die alterthümlichen Räume des schloßartigen Gebäudes hätte dienen können, sahen weder die Haushälterin noch das Gesinde sich gemüßigt, dem Hund auch nur einen Schritt über die Grenze zu erlauben, die den Hof vom Herrenhause in Gestalt eines altmodischen Gitters trennte. Der Hund ging auch nicht auf das verbotene Gebiet – er war in der Noth groß geworden und klug und überlegend.

Die Gutsuntergehörigen mieden Schloß und Park ebenfalls, sie hatten eine Scheu vor dem alten grauen Hause. Wenn im Sommer das Getreide auf den Feldern sich den Strahlen der Sonne neigte, jeden Tag tiefer, jeden Tag glänzender, goldener und reicher; wenn die ganze Natur in stiller Schwüle emsig an ihrer Vollendung wirkte, an den Gaben, die der Herbst mit voller Hand auszustreuen sich bereitete, dann lag das alte graue Haus mitten in dem Segen wie Haß aus vergangenen Zeiten – wie ein Gespenst, das am hellen Tage umgeht.

Den Kammerherrn sah selten Jemand von seinen Gutsangehörigen. Hin und wieder wurde der Arzt aus der Stadt geholt, zuweilen kam der Justitiarius, der die Geldgeschäfte besorgte, sonst waren es nur der Inspector und die Haushälterin, die mit dem alten Herrn umgingen.

Man sagte, der Kammerherr habe keine Erben, sein ganzes Hab und Gut würde an den Staat fallen, wenn er davon ginge, denn von seiner Familie lebe Keiner mehr, er stände ganz allein.

Allein? – Nur allein? O nein. Es war Jemand bei ihm, der ihn nicht verließ, so fürchterlich ihm seine Anwesenheit auch war. Kein Bitten, kein Flehen verscheuchte diesen Jemand; er blieb unbewegt mit seinem Gefolge und der Kammerherr konnte ihm nicht wehren. Die Vergangenheit saß neben ihm bei Tische, sie ging mit ihm in den Park, sie kauerte neben seinem Lager und durchzog seine Träume wie ein Spuk. Peinigende nagende Gedanken waren das Gefolge der Vergangenheit und die Reue, welche von Zeit zu Zeit anklopfte, war ein quälender Gast. Die Vergangenheit hatte kein Lächeln für ihn, wenn sie vor sein geistiges Auge trat; die Zukunft lag offen vor ihm, wie eine wüste Haide, und die Gegenwart ließ ihn fühlen, daß er allein war, verlassen, wie ein verzweifelnder Scheintodter in seinem Sarge.

Früher, in seinen jüngeren Jahren hatte der Kammerherr in der Residenz gelebt. Der Inspektor wußte, welche Summen das gekostet hatte; auch standen diese alle bis auf Heller und Pfennig in den Büchern, die er geführt; er konnte jederzeit die großen Blätter aufschlagen und mit dem Finger auf die Zahlen deuten. Da waren Rechnungen bezahlt worden, die der Juwelier geschickt hatte, und doch trug der Kammerherr keinen Schmuck; die Modemagazine hatten viel Geld erhalten für Sammet und Seidenstoffe, und doch war der Kammerherr nie verheirathet gewesen. Der Inspektor schüttelte den Kopf, wenn er die Summen buchte, deren Verbleib ihm Kopfzerbrechen machte. Die Ausgabe für Pferde und Equipagen dagegen wußte er sich von jeher zu erklären, soviel verstand er von den Bedürfnissen eines Cavaliers.

Dann kam in den Büchern ein dicker Strich und unter denselben waren ähnliche Posten nicht mehr verzeichnet. Datum und Jahreszahl stimmten mit der Zeit überein, in welcher der Kammerherr eines Tages unerwartet auf seinem Gut anlangte und sich zu längerem Bleiben einrichtete. »Wir haben es ein wenig arg gemacht in der Residenz,« warf er einmal dem Inspektor gegenüber leicht hin, als geschäftliche Abmachungen unwillkürlich das Gespräch auf die kostspieligen Zeiten brachten.

Das Geld allein trieb jedoch den Kammerherrn nicht in die Zurückgezogenheit. Das Gut war schuldenfrei und ergiebig, das vom Vater hinterlassene Vermögen trug reichliche Zinsen, eine dahin bezügliche Einschränkung war noch lange nicht nöthig, aber der Kammerherr hatte ein Gut verloren, das nicht wieder zu erwerben war: die Achtung der Besseren. Sein Geld, sein Stand, sein Titel schützten ihn lange vor dem zudringlichen Lautwerden der öffentlichen Meinung, aber als er deutlich fühlte, daß er trotz seines Ranges und seines Besitzes geächtet war, verließ er die Stadt und seine Cumpane, Menschen, die bis zu guter Letzt mit ihm ausharrten, weil sie moralisch ebenso bankerott waren wie er. – –

Ein anderes Leben war es freilich auf dem Gute in dem alten grauen Hause, als wie das in der Residenz.

Anfangs wirkte das Landleben zerstreuend durch seinen Gegensatz, allein Jagen und Reiten behagte dem Kammerherrn nicht auf die Dauer; die Gesellschaften in der Nachbarschaft gefielen ihm nicht, wohl hauptsächlich aus dem Grunde, weil er kein besonderes Gefallen erregte. Auch war man über ihn unterrichtet und wußte, was man an ihm hatte.

Da fing es schon an, um ihn einsam zu werden, aber er achtete nicht darauf. War er doch auch in dem tollen Treiben der Residenz allein gewesen, nur hatte er nie einen Augenblick gehabt, in dem er Muße gefunden hätte, zu fühlen, wie verwaist er dastand. Wann ihn nun die Langeweile plagte, als die Zerstreuungen, welche das Landleben bot, den Reiz der Neuheit verloren, suchte er sich ihrer nach Möglichkeit zu erwehren. Die Jugend hatte ihn noch nicht verlassen, sie half ihm allerlei Pläne für die Zukunft bauen, der Leichtsinn sprach auch ein Wort mit hinein, und diese Beiden trösteten den Kammerherrn nach besten Kräften. Aus der Residenz ließ er sich Bücher schicken, in denen er las, und da sie ihm viel Vergnügen bereiteten, mußten sie wohl seinem Geschmack entsprechen. Sein Geschmack konnte aber nicht der beste sein, andernfalls hätte man ihn wohl in der Residenz geduldet.

Als Gutsherr war er allmächtig den Menschen gegenüber, die an die Scholle gebunden waren, die ihm gehörte. Was er sagte, mußten sie thun, die Menschen in den armen, elenden Kleidern, mit den Gesichtern, auf welche die Arbeit ihr herbes Weh geschrieben, das ihnen Allen verwandte Züge verlieh, als gehörten sie Alle zu einer großen, traurigen Familie.

Es kam auch vor, daß zuweilen Weh und Leid an einem Gesichte vorübergingen und es nicht zeichneten, so daß es seine kindliche Frische behielt und nicht vor der Zeit alt und gram wurde, gerade so, wie in einem verödeten Garten, den Niemand pflegt, zwischen Disteln und Dornen, wilden Winden und Unkraut mitunter eine Centifolie neu ausschießt und blüht, wie einst in den guten Tagen, als man den Garten einen Rosengarten nannte.

Diese Rose war zwar keine Centifolie, sondern nur ein schlichtes Heckenröschen, aber inmitten der unschönen Umgebung trat sie merkbar hervor und zeichnete sich vor den Anderen aus, daß es nur eines Blickes bedurfte, um sagen zu können, sie sei schöner als viele. Das hatte der Kammerherr bemerkt, sein Auge ruhte mit Wohlgefallen auf ihr, obgleich sie das Weib eines seiner Untergebenen war. Er aber war allmächtig auf seinem Territorium, und in den Büchern, die ihm die Zeit vertrieben, fand er, daß die Helden der Erzählungen für sich nahmen, was ihnen beliebte. Er ward auch ein solcher Held und freute sich dessen, wenn auch nicht lange. In den Büchern war nur von der Lust die Rede, von dem Elend dagegen wurde nichts gesagt. Das hätte den Leser nicht befriedigt und das Buch langweilig und unverkäuflich gemacht.

Der Kammerherr aber lernte einsehen, daß die wichtigsten Capitel fehlten. Als ihm gesagt wurde, daß die junge Frau von ihrem Manne mit Schlägen aus der Hütte getrieben sei, hatte er ein ungläubiges Lächeln dafür, denn er konnte sich nicht denken, daß die elenden Menschen Stolz besäßen, Begriffe von Ehre hätten und sich verletzt und beleidigt fühlen könnten.

Als aber die todte Frau aus dem Wasser gezogen wurde, lächelte er nicht mehr, da überlief es ihn kalt, eiskalt. Ihm machte Niemand einen Vorwurf, denn das hätte keiner seiner Untergebenen gewagt, aber er las schwere Anklage in ihren Augen, in den Augen, die sie kaum zu ihm erhoben; er fühlte, daß die Leute, welche sonst nur die Scheu zeigten, die sie ihrem Herrn schuldig zu sein glaubten, sich nun vor ihm graueten. Sein Leichtsinn, seine Jugend kannten bisher keine Furcht – jetzt überschlich es ihn wie Furcht – Furcht vor sich selber! –

Der Mann der todten Frau war verschwunden, ohne Jemandem zu sagen, wohin er gehen wollte; die Frau hatte man ohne Sang und Klang, ohne Gebet und Segen in einer abgelegenen Ecke des Kirchhofes begraben, und daher mußte die Gutsherrschaft bestimmen, was mit dem Kinde geschehen sollte, dem die Frau das Leben gegeben hatte. Das Kind war vorläufig bei der Mutter der Frau untergebracht, allein diese war arm und mußte auf die Arbeit gehen. Wer sollte das Kind pflegen? Der Kammerherr erließ der Frau die Arbeit und wies den Inspektor an, sie mit dem Nöthigen zu unterstützen. In den Büchern wurden wieder Ausgaben notirt, aber wie klein waren sie gegen die Summen von früher. Wie groß aber war das Leid, das sie gut machen sollten!

Der Kammerherr ging auf Reisen, aber er fand keine Ruhe, es zog ihn wieder zurück nach dem Ort, den er zu meiden gedachte; er mußte wieder zurück nach dem alten grauen Schloß und dem großen Park, in dem der See lag.

Zwei Jahre war er fort gewesen und zwei Jahre war das Kind alt geworden. Er erkundigte sich nach demselben, und als es ihm gebracht wurde, freute er sich seiner Rückkehr, denn das Kind lächelte ihm zu und verlangte mit den kleinen Händen nach der goldenen Uhrkette.

Der Kammerherr nahm die Kette und die Uhr und überließ sie dem Kleinen als Spielzeug.

Von dieser Zeit an blieb der Knabe im Schloß und wuchs fröhlich heran. Am Tage spielte er im Park, während der Nacht stand sein Bett im Schlafzimmer des Kammerherrn. Das Gitter, welches den Park von dem Hofe schied, auf welchem die Wirtschaftsgebäude lagen, wurde ergänzt, die Pforten erhielten neue Schlösser, und ein Verbot wurde gegeben, das den Leuten jeglichen Zutritt zum Park untersagte. Der Kammerherr fürchtete die Berührung seines Sohnes mit der Außenwelt und wollte nicht, daß dem Kinde etwas aus vergangener Zeit zugeraunt würde. Das Kind nannte den Kammerherrn seinen Vater und hatte ihn lieb. Der Kammerherr liebte das Kind und war glücklich wie zuvor niemals. Er sprach mit dem Justitiarius über die Schritte, welche gethan werden müßten, um das Kind zu adoptiren, damit es erbberechtigt werden könnte. Der Justitiarius, ein praktischer Geschäftsmann, aber meinte, man müsse erst sehen, wie das Kind sich entwickele, damit zu viel Güte an keinen Unwürdigen verschwendet werde. Und dann, wenn der Kammerherr – er sei am Ende doch ein Mann in guten Jahren – sich standesgemäß verheirathen wolle, dann wäre eine Adoption immer ein Hinderniß und mache mancherlei Beschwer. Der Justitiarius meinte es wirklich aufrichtig mit dem Kammerherrn.

Daher unterblieb dieser Act und wurde verschoben.

Viele Jahre kamen und gingen: ein jedes drückte dem Kammerherrn ein kleines Fältchen in's Gesicht und mischte ihm ein wenig Weiß unter die einst dunklen Haare, den Knaben aber ließen sie heranblühen wie eine junge Buche im Walde, schlank und kräftig, und schön anzusehen.

Mit ängstlicher Sorge hütete der Kammerherr den Knaben, damit er von der Vergangenheit nichts erfahre. Er sandte ihn weit fort in eine Erziehungsanstalt und gestattete ihm nur spärlich den Besuch der Heimath. In den größeren Ferien machte er Reisen mit ihm und zeigte ihm der Erde Schönheit. – Aus dem Knaben ward ein Jüngling, der nun begann, dem Mannesalter entgegen zu reifen, und da das Studium der Jurisprudenz am meisten Anziehungskraft auf ihn ausgeübt hatte, widmete er sich der juristischen Carriere. Das war dem Kammerherrn recht; hielt doch der Beruf den jungen Mann fern von dem grauen Schloß und von den Leuten, die im Stillen wußten, wer in dem Grabe an der Kirchhofsmauer moderte, und umsomehr mußte der Kammerherr eine Erklärung zu vermeiden wünschen, als der junge Advokat feste, unbeugsame Ansichten von Recht und Ehre besaß, wie sie auf deutschen Universitäten im ritterlichen Corpsleben gewonnen werden, die aber mit der Vergangenheit des Kammerherrn schlecht zusammenpaßten.

Der junge, begüterte Advokat mit dem stolz klingenden Familiennamen des Kammerherrn erschien mancher Mutter begehrenswerth für ihre Tochter, und manches junge Mädchen bedurfte keines mütterlichen Hinweises auf den stattlichen Mann; sie wußten schon, weshalb das Herz lebhafter schlug, wenn sie ihn sahen oder in seine Nähe kamen. Die braven Mütter wurden nicht müde, die Angeln nach ihm auszuwerfen, und ob diese Angeln nun die Gestalt eines Tanzkränzchens hatten oder die einer Landpartie oder sonst einer künstlich herbeigeführten Gelegenheit, die ein Entweichen nicht gestattete, das blieb sich Alles gleich – geangelt wurde, bis einen schönen Tages das Gerücht ging, der junge Advokat sei verlobt. Die Dienstmädchen hatten zuerst davon gesprochen, und da wußten es auch bald die fischenden Mütter und die um eine Hoffnung ärmer gewordenen Töchter.

Die jungen Leute hatten sich gefunden wie so viele Menschenkinder vor ihnen. Sie sahen sich zufällig und konnten einander nicht wieder vergessen; sie näherten sich und konnten sich nicht wieder trennen, sie liebten sich und konnten sich nicht in die Zeit zurückdenken, in der sie einander nicht gekannt und nicht geliebt hatten. Das ewige Geheimniß der Liebe war auch an sie herangetreten: sie mußten sich lieben und konnten nicht sagen, warum.

Die Mutter des jungen Mädchens war die pensionirte Wittwe eines höheren Militairs; ihr Einkommen gewährte ein bescheidenes Leben, zum Auswerfen kostspieliger Angeln war sie nicht im Stande und das mochte auch wohl ein Grund sein, weshalb der junge Advokat, der den Zwang nicht liebte, so gewählt hatte und nicht anders.

Der Kammerherr wußte nicht, ob er sich freuen sollte, als er die Nachricht der Verlobung erhielt; er gab den Befehl, die Fremdenzimmer in Bereitschaft zu halten, da sein Sohn ihm gemeldet, er werde demnächst mit der neuen Verwandtschaft kommen, um sie seinem Vater vorzustellen. –

Eines Tages trafen sie ein, das Brautpaar und die Mutter der Braut, eine Dame, die an den Grundsätzen und Ansichten einer vergangenen Zeit starr festhielt. Sie spielte mit dem Kammerherrn Ecarté oder unterhielt sich mit ihm über die Herrlichkeit verflossener Jahrzehnte, während draußen im Park zwei glückliche Menschen wandelten, die sich so unendlich viel zu erzählen hatten. Sie erkundigte sich bei dem Kammerherrn nach Allem, nach der verstorbenen Gemahlin und welchen Familiennamen sie geführt habe. Der Kammerherr mußte lügen. Sie besprach mit ihm den Heirathscontract; der Kammerherr vermachte seinem Sohne Alles. Sie wußte auch nicht anders, als daß der junge Advokat der rechtmäßige Sohn des Kammerherrn sei. Die jungen Leute kümmerten sich um derlei irdische Angelegenheiten nicht, sie lebten eine eigene schöne Welt für sich, sie waren wie die Kinder, die sich nicht mühen mit den Sorgen für den nächsten Tag. Der weite Park bot einen zu köstlichen Aufenthalt in den herrlichen Sommertagen, als daß sie ihn hätten mit den alterthümlichen Gemächern des grauen Schlosses vertauschen mögen; es machte ihnen große Freude, im Nachen auf dem kleinen See, langsam wie im Traume dahinzugleiten, auf demselben See, in dem damals vor vielen Jahren die todte Frau gefunden worden.

Nur einen Begleiter hatte das Brautpaar, das war ein kleiner, häßlicher Hund, den sie eines Tages vor dem Parkgitter mißtrauisch stehen sahen. Sie lachten Beide über ihn, als sie ihn erblickten. Und wie sie lachten, bellte der Hund sie an. Sie lockten das Thier, es kroch durch das Gitter, kam und warf sich nieder; als sie weiter gingen, folgte der Hund.

Am anderen Tage, um dieselbe Zeit, stellte der Hund sich wieder ein. Die junge Braut holte ihm ein Stück Zucker, aber er nahm es nicht. Zucker war ihm unbekannt, ein Stück Brot behagte ihm besser.

Von dieser Zeit an datirte sich die Zuneigung des Thieres zu den beiden glücklichen Menschen. Das häßliche Geschöpf hielt zu ihnen, als wollte es sich an dem Glücke sonnen, sich entschädigen für die bisher erlittene Zurücksetzung der Menschen, die ihn verlachten ob seiner Häßlichkeit, denn hin und wieder fiel hier ein gutes Wort für ihn ab und zuweilen ward ihm ein leichter schmeichelnder Schlag mit der Hand zu Theil. Thiere haben ein gar gutes Gedächtniß für Wohlthaten ebensowohl, wie für Beleidigungen und zugefügten Schmerz. Dem Hunde Bello war wenig Gutes je erwiesen, und deshalb mochte ihm die jetzige freundliche Behandlung besonders wohlthun. In das Schloß wagte er sich trotz der erwiesenen Freundlichkeit nicht, sondern nahm stets mit einem langen Blicke an der Freitreppe von dem Paare Abschied. Wenn er die Stimme der Haushälterin hörte, eilte er, rasch davon zu kommen: er mochte sie einst von übler Seite kennen gelernt haben. – –

Als die Sommertage heißer wurden, die jungen Störche schon begannen, sich im Fluge zu üben und die Schwingen zu kräftigen für die weite Reise über das Mittelmeer nach dem schwarzen Welttheil, die Schwalben sich schaarten zum gemeinsamen Zuge in Länder, die den Winter nicht kennen, rückte auch die Stunde des Abschiedes für den Besuch des grauen Schlosses heran. Die Gerichtsferien liefen ab, der Dienst nahm wieder seinen Anfang. Der junge Advokat hätte seine Ferien unter gewöhnlichen Umständen verlängern können, allein ihm war ein Fall übertragen, der seine Gegenwart erheischte, die Vertheidigung eines Missethäters. Ein College schrieb ihm, daß besonders Interessantes nicht vorliege, sein Client sei ein Herumtreiber der gewöhnlichen Sorte, der mit den allergewöhnlichsten Paragraphen des Strafgesetzbuches in Conflict gerathen sei. Der Jurist müsse aber die Feste feiern wie sie fallen, und eclatante Fälle, die neben dem Vergnügen, das sie gewährten, gleichzeitig für das Renommée des Vertheidigers etwas erübrigten, gehörten mehr zur Ausnahme, denn zur Regel, das sei nun einmal nicht anders.

Im Grunde war es auch gleich, ob der alte Park und das Schloß Zeugen eines glücklichen Brautstandes waren oder nicht, denn die Pflicht erforderte keine Trennung der Brautleute, sie blieben einander nahe in der Stadt, in welcher der junge Advokat seine Carrière begann.

Der Abschied vom Kammerherrn war ein leichter. Man hatte abgemacht, daß im Herbst die Hochzeit sein sollte, und dann sah man sich selbstredend wieder. Der Hund lief hinter der Kutsche her, welche die Abreisenden bis an die nächste Eisenbahnstation bringen sollte, als aber die Pferde scharf ausgriffen, und er einsah, daß man nicht nach ihm verlangte, stellte er sich mitten in den Weg und heulte erbärmlich. Eine dichte Staubwolke hüllte ihn bald ein und er kehrte langsam zurück zu den Hütten des Dorfes. Die Davonfahrenden kümmerten sich nicht um ihn. Sie fuhren durch schattige Forste, wo der Waldesduft sie begrüßte, an Aeckern vorbei, deren Aehren ihnen zunickten, als neigten sie sich glücklich liebenden Fürstenkinder aus dem Märchenlande, denen die Natur aus freien Stücken huldige. Sonnenschein auf der Flur, Liebe im Herzen, fröhlich lockende Zukunft, das waren die Begleiter der beiden seligen Menschen. Der Staub, die schiefen dumpfen Hütten und der heulende Hund blieben zurück. –

Bald nach seiner Ankunft in der Stadt unterrichtete sich der Advokat über den ihm übertragenen Fall. Der Mensch, der ihm zur Vertheidigung gegeben war, hegte andere Meinungen über den Besitz als das Gesetzbuch und hatte diesen seinen Ansichten Ausdruck durch die That verliehen. Da er bei der offenen That des Einbruchs erfaßt war, konnte ihm Straflosigkeit kaum erwirkt werden, eine Minderung des Strafmaßes dagegen war erreichbar, wenn es gelang, den Verbrecher vor den Geschworenen so weit moralisch wieder herzustellen, als es einem Vertheidiger im Gerichtssaale möglich ist. Deshalb mußte der Advokat seinen Clienten kennen lernen, ihn von Angesicht zu Angesicht sehen und im Gefängnisse persönlich mit ihm Rücksprache nehmen. Er hatte seiner Braut versprochen, den Abend bei ihr zuzubringen und gedachte vorerst seinen Clienten zu besuchen. Unwillkürlich fiel ihm auf dem Wege nach dem Gefängnißgebäude ein, wie doch Licht und Schatten, Trübes und Heiteres sich im Leben dicht an einander drängen. Der kahle Kerker mit seinem Insassen, dem nur gewährt wurde, was zur Fristung des Lebens erforderlich, und das wohnliche Gemach in dem Hause der Mutter seiner Braut, das so reich war an so manchen kleinen Ueberflüssigkeiten, die, wenn sie einmal vorhanden sind, unentbehrlich erscheinen, traten als zwei Gegensätze vor ihn hin, die ihm diesmal besonders auffielen. Er lächelte über sich selbst. »Für einen Jünger der Themis ist die Sentimentalität eine schlechte Beigabe,« sprach er vor sich hin. »Für einen Bräutigam mag sie verzeihlich gefunden werden.« – Der Schließer ging ihm vorauf und führte ihn zu dem Gefangenen.

Die Unterredung dauerte lange, sehr lange, und als der junge Advokat das Zeichen zur Oeffnung der Thür gab, erschrak der Schließer ob seines Aussehens. Ohne ein Wort zu sagen, verließ der Advokat das Gefängnißgebäude und schritt durch die Straßen der Stadt, wie Einer, der fühlt, daß ihn plötzlich eine schwere Krankheit erfaßt hat, und der nun sein Daheim aufsucht. Bekannte gingen an ihm vorüber und grüßten ihn – er dankte nicht; Leute blieben stehen und blickten ihm verwundert nach – er sah sie nicht; Straßenjungen machten laute Bemerkungen über ihn – er hörte sie nicht, wie geistesabwesend wankte er vorwärts. Er kam an dem Hause seiner Braut vorbei, aber er ging nicht hinein, wie er versprochen; er lenkte ab und begab sich zu seinem Chef, den er in dringender Angelegenheit um eine Audienz bat, die ihm sofort gewährt wurde. Dann erst suchte er seine Wohnung auf und schrieb einen Brief an seine Braut, in dem er mittheilte, daß eine unaufschiebbare Angelegenheit ihn nöthige, augenblicklich zum Kammerherrn zu reisen, und sein Ausbleiben zu entschuldigen bat. Der nächste Bahnzug schon führte ihn seiner Heimath entgegen.

Noch vor wenigen Tagen hatte er dieselben Gegenden als ein glücklicher Mensch durchflogen. Das Leben lächelte ihm damals zu wie das mit reichem Segen beladene Gefilde; waren doch seine Hoffnungen auf die Zukunft so verlockend, so schön, so herzerfreuend, wie der Blick auf das wogende Gold der Aecker. Und nun war es wie ein vernichtender Hagelschlag gekommen, jedes Wort, das der elende Mann im Kerker zu ihm geredet hatte, traf ihn umbarmherzig, niederschmetternd wie ein Unwetter, das ungeahnt aufzieht und zerstörend daherbraust.

Der Mann hatte ihm erzählt, wie er auf den Weg des Verbrechens getrieben worden sei. Er wälzte alle Schuld von sich auf den Kammerherrn, der in dem alten grauen Schlosse wohnte. Er erzählte von dem Weibe, das er geliebt hatte, wie er die Hand erhoben hatte gegen das Weib und es in den Tod getrieben mit herben Worten und harter Mißhandlung. Da habe es ihn nicht mehr geduldet in der alten Heimath, da sei er hinausgewandert in die Weite und habe Gesellen gefunden, die ihn lehrten, sich an dem Gut Anderer zu vergreifen, damit sie nicht Hungers stürben. Und das gefiel ihm wohl. Hatte doch der Kammerherr ihm Alles genommen, sein einzig Gut, sein Weib. »Gäbe es Gerechtigkeit,« so schloß er, »dann müßte der Kammerherr hier sitzen an meiner Statt und sein Sohn leistete ihm Gesellschaft. Was soll das Kind der todten Frau auf seidenen Betten schlafen, da sie selbst doch an der Kirchhofsmauer liegt, wo die unehrlichen Leute eingescharrt werden. – Sagen Sie das den Richtern, Herr Advokat, damit sie nicht zu hart mit mir umgehen. Im Gefängniß ist es schrecklich, wenn man an alte Zeiten denkt.« –

Das war es, was ihn forttrieb. Gewißheit wollte er von dem haben, der sie ihm allein geben konnte. Dieser eine war der Kammerherr. Seinen Chef hatte er gebeten, den Fall einem Kollegen zu übertragen, und diese Bitte hatte Gewährung gefunden.

Als er sich dem grauen Schlosse näherte, rüstete sich der Nachmittag bereits. Friede begann sich über die Natur zu legen, milder, weicher Abendfriede. In seinem Innern aber herrschte unheilvolle Schwüle, wie sie dem Sturm vorangeht.

Und der Sturm brach los. Der Kammerherr konnte nicht leugnen, er durfte nicht, denn die Zeugen jener Zeit lebten noch und würden gesprochen haben, wenn sie gefragt worden wären. Die gefürchtete Stunde war gekommen; er wußte, daß sie einmal kommen werde, aber er hatte sie noch nicht erwartet.

Der vor ihm stand, sein Richter, war sein eigener Sohn, und je heftiger die Worte fielen, um so unausfüllbarer wurde die Kluft zwischen Vater und Sohn.

Auf der einen Seite hielt die Ehre Wacht, auf der andern stand die erbleichende Schande. Kein Wort der Verzeihung, der Gnade fand der Sohn, kein Wort der Entschuldigung kam von den Lippen des Vaters. Als der Kammerherr zuletzt den Sohn leise fragte, ob er nicht Dank verdiene, dafür, daß er ihn gehalten habe, wie es seinem Stande zukomme, da lachte dieser höhnisch auf und erwiderte, er wäre der unehrlichen Leute einer, das sei sein Stand. Und wieder fielen böse Worte, wie sie der Haß eingiebt und der Ingrimm über leichtsinnig zerstörte Hoffnungen und vernichtetes Lebensglück.

Als der junge Advokat das graue Schloß verließ, war der unheilvolle Bruch geschehen, den keine Menschenhand je wieder zusammenfügen konnte. Noch einmal war der Alte heiß geworden wie in früheren Tagen, noch einmal begann das Blut in den Adern des Kammerherrn rascher zu fließen, wie in der Jugend. Bis zu einer solchen Demüthigung, wie sie ihm jetzt wurde, hatte er mit der Vergangenheit nicht gebrochen. Er wies den Sohn hinaus und schalt ihn einen Proletarier, seine Ehre höhnte er Bettelstolz. Das waren die letzten Worte. Von dieser Zeit an war der Kammerherr ganz einsam und verlassen. – –

Der junge Advokat ging durch den Park, an dem kleinen See vorbei dem Dorfe zu, das in einer Tiefe seitwärts von der Kirche lag, deren schindelgedeckter Thurm noch von der scheidenden Sonne beleuchtet wurde, während ein leiser Dunstflor die Niederung bereits einhüllte. Leichter Rauch stieg aus den Schornsteinen der ärmlichen Häuser auf und mischte sich kaum bemerkbar mit der stillen Abendluft. Die Vögel gingen zur Rast, kein Laut unterbrach den Frieden der Natur. Unwillkürlich lenkte der junge Advokat seine Schritte dem Kirchhofe zu und gar bald hatte er das einsame Grab an der Kirchhofsmauer gefunden, das fernab lag von den hölzernen Kreuzen und kümmerlichen Brettchen, die mit halbverwitterter Schrift mühsam verkündeten, wem zum Gedächtniß sie gesetzt waren. Hier an der Mauer nannte keine Schrift den Namen, nur langes, hoch aufgeschossenes Gras schlug über dem Hügel zusammen, keine Blume, kein Strauch gab ein Zeugniß davon, daß, als man die arme Frau hinabgesenkt hatte, auch nur ein Herz auf Erden geblieben, das ihrer in Liebe gedacht oder ihrer hätte gedenken dürfen. War sie doch unehrlich in den Augen der Leute, die mit der Noth ringend, sich durch das Leben schleppten.

Nun saß der Sohn der geschmähten Frau auf der niederen Kirchhofsmauer und blickte ernst hinab auf den Rasen. Ob er sie geliebt haben würde, wenn er sie gekannt hätte? Er konnte sich nicht hineindenken in die Liebe eines Kindes zur Mutter, da er ohne sie aufgewachsen war. Aber es fröstelte ihn bei dem Gedanken, daß sie Beide betrogen waren um diese Liebe, und bei dem Gedanken an die Schmach, die ihr angethan von den Menschen, die so selbstgerecht waren, daß sie eine Frau, die den Tod gesucht hatte, nicht in der langen Reihe ihrer Ruhestätten dulden wollten. Wer gab ihnen das Recht zu richten über einen ihres Gleichen?

Die armen elenden Leute im Dorfe hatten aber auch ihre Gesetze und ihre Ansichten und richteten ebenso strenge, ebenso unbarmherzig wie die große menschliche Gesellschaft draußen in der Welt in den stolzen Häusern und in den glänzenden Palästen.

Dieser Gesellschaft gehörte er an, so lange er denken konnte. Die würde ihn unausbleiblich eines Tages fragen, über wen sich der Hügel an der Kirchhofsmauer wölbe, wer der Mann sei, der den Richtern eine eigenthümliche interessante Geschichte erzählt habe, von einem Kammerherrn und dessen Sohn, von dem Sohne, der sich zu der Gesellschaft gerechnet habe und nicht einmal einen ehrlichen Namen aufweisen könne? Und jede Mutter, die einst gehofft hatte, ihn für ihre Tochter zu gewinnen, wie würde sie jetzt weise reden, und dem Himmel danken, daß sie verschont geblieben von dem Schicksal, mit einem solchen Menschen bekannt geworden zu sein. Und was würde sie sagen, seine Braut? War ihre Liebe zu ihm so groß und stark, daß sie die Reden ertragen würde, das Zischeln und Heimlichthun der Leute, das boshafte Bedauern und die vielen Kränkungen, an denen die Welt so überreich? Und wenn auch sie ihn verließe, wäre es dann nicht besser, er liege auch hier an der Kirchhofsmauer, tief in der Erde, frei von aller Noth, die das Leben ihm von nun an entgegenbrachte.

So sann er und hörte auf die Stimmen in ihm, die zu ihm sprachen, während seine Lippen fest im Gram geschlossen waren und er die Augen, die heißen brennenden Augen mit der Hand bedeckte. Da raschelte etwas in dem dürren Grase und kroch auf ihn zu. Es war der kleine häßliche Hund, der die Spur seines Freundes gewittert hatte und ihm ein fröhliches Willkommen zudachte. Der junge Mann hatte kaum einen Blick für das demüthig heranschleichende Thier, aber der Hund legte sich dicht zu seinen Füßen nieder, als wollte er denken helfen und mitsinnen und grübeln über die Welt und über die Menschen in der Welt mit ihren Satzungen und über die, welche elend in der Welt waren.

Der kalte Lufthauch, der das Einbrechen der Nacht vorherkündete, weckte den Sinnenden aus seinen Gedanken. Er stand auf und ging dem Dorfe zu. Er gedachte, sich zu Fuß auf den Weg nach der Eisenbahnstation zu machen und mit dem nächsten Zuge weiter zu fahren. Der Hund begleitete ihn. In dem letzten Hause des Dorfes saßen Leute auf der Schwelle der Thür; er fragte, wem der Hund gehöre, da er nicht gesonnen war, ihn mit sich zu nehmen. Die Leute sprachen: er gehöre Niemandem, der Hund sei so häßlich, daß ihn Keiner haben wolle. Es sei dem Hunde auch einerlei, ob er einen Herrn habe oder nicht, es würde doch nur mit ihm herumgestoßen.

Da pfiff er dem Thiere und sagte: »Du kannst mit mir gehen. Wer weiß, ob man mich auch ferner aufnehmen wird? Unser Loos ist dasselbe. Wir sind beide verstoßen.«

Auf der Eisenbahnstation brauchten sie nicht lange zu warten. Noch ein Glockenschlag, ein schrilles Signal – und die Heimath lag ferner und ferner hinter ihnen. – –

Als der Advokat seine Braut aufsuchte, war dieser schon Alles hinterbracht. Er fühlte es, als er in das Zimmer trat. Die Mutter blieb regungslos auf dem Sopha sitzen, die Braut stürzte weinend an seine Brust und hielt ihn lange, lange umschlungen.

»Du weißt Alles?« fragte er leise.

»Alles, Alles!« erwiderte sie schluchzend. »Ich weiß, warum Du fortwarst. O wie haben die Menschen mich gequält in der langen Zeit, da Du nicht zu mir kamst!«

»Es waren nur wenige Tage, mein Lieb.«

»Es war eine lange Qual. Nun aber gehst Du nie wieder. Niemals, niemals!«

Da hallte es durch sein Inneres, wie ein Auferstehungsruf zu neuem Leben. Was war ihm nun noch die Vergangenheit mit ihrem Graun? Sie war für ihn gestorben, dahin, vergessen. Die Liebe besiegte den Tod, der ihm in der Gesellschaft bereitet war. Was kümmerten ihn die Menschen ferner – die lieblosen, richtenden – hier, wo er geliebt war ... da war seine Welt von nun an und für die Zukunft.

Aber die Gegenwart wollte ihr Recht haben. Die Mutter seiner Braut zählte eine Reihe von Ahnen: ehrwürdige Herren und Damen, die begraben lagen in steinernen Särgen in den Gängen der Kirchen am Altar und an dem Taufsteine und in eigenen Capellen, die litten nicht, daß ein Mensch sich in ihre Gesellschaft dränge, der nicht zu ihnen gehörte. Die waren wach geworden und hatten eine Fürsprecherin gefunden, welche Einsprache that.

»Es hat sich manches geändert,« sprach die Mutter der Braut. »Sie werden einsehen, daß Sie uns nicht compromittiren dürfen.«

Das war ein häßliches Wort aus fremder Sprache genommen und fremd klang es hinein in die göttlichen Klänge der Liebe. Die hatte das Wort nicht erfunden.

Die Braut erhob das Haupt und blickte die Mutter mit erregten Augen an. Eine wunderbare Verklärung lag auf ihren Zügen. »Er ist mein,« sprach sie. »Wer will ihn schmähen?«

»Nicht ich richte,« war die strenge Antwort, »aber die Welt redet, und wir selber sind uns Rücksichten schuldig.«

»Die Welt?« fragte der junge Advokat. »Was habe ich der Welt gethan?«

»Unser Geschlecht war stets frei von Vorwurf. Können Sie zurückblicken auf eine Geburt ohne Makel?«

»Nein,« rief er. »Losgelöst bin ich von der Vergangenheit. Aber ich lebe, ich bin da auf der Erde mit meinen Sinnen, mit meinem Denken und Fühlen und lasse mich nicht hinwegleugnen aus der Reihe der Lebenden. Und ich fordere mein Recht, das Recht, das mir das Weib gegeben, das ich in meinen Armen halte.«

Da erhob sich die Alte und wandte sich zu dem Advokaten: »Zu Ihrer Ehre will ich annehmen, daß Sie getäuscht worden sind. Sie selbst werden jedoch einsehen, daß wir uns nicht wieder begegnen dürfen, und meine Tochter wird Ihnen sagen, daß sie ebenso denkt wie ich, daß auch ihr die Ehre der Familie höher steht, als eine flüchtige Neigung. Ich gestatte Ihnen Abschied zu nehmen, und hoffe, daß Sie einander bald vergessen werden.« Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer.

Da brannte ein heißer Kuß auf den Lippen des jungen Mannes.

»Wohin Du gehst, gehe auch ich; wo Du bleibst, bleibe ich: in Deinem Herzen ist meine Welt. Dein Leid sei mein Leid, Dein Glück mein Glück, Geliebter meiner Seele.«

Er sank nieder, und sie legte die Hand auf sein Haupt, als sollte ihn kein Leid fürder berühren, als segne sie es mit dem Segen der Treue und der Liebe, die Alles duldet und Alles trägt.

Und als er von dannen ging, schritt er erhobenen Hauptes; er war gefeit gegen Alles, was da kommen mochte. In seinem Hause erwartete ihn der häßliche Hund. Er sah nicht, daß das Thier häßlich war, er liebkoste es und nannte es mit Schmeichelnamen aller Art.

*

Die Tage kamen und gingen; das Leben gestaltete sich in mancher Beziehung anders wie früher. Der reiche junge Mann war nun arm geworden, sein Beruf mußte ihm einzig und allein den Unterhalt gewähren. Er war genöthigt, sich zurückzuziehen von gewohnter Lebensweise. Manches Haus verschloß sich ihm, und der einst Gerngesehene wurde von Vielen gemieden: Vorurtheil und alberne Selbstgerechtigkeit hielten Wache vor den Thüren und wehrten ihm den Eintritt. Das Haus seiner Braut war ihm ebenfalls verschlossen, die Magd hatte Befehl erhalten, den Advokaten nicht vorzulassen. Das war eine schlimme Zeit. Dann erfuhr er, ein Verwandter seiner Braut sei eingetroffen und wohne in dem Hause, und das Stadtgespräch verkündete: das sei recht, und die Wittwe des ehemaligen Militairs sei eine verständige Frau; ihre Tochter werde ihre erste Liebe schon vergessen. Das sei mehr denn einmal dagewesen.

Er aber wußte sein Lieb zu sehen. Hatte die Magd auch den Befehl, ihm die Thüren nicht zu öffnen, so war ihr doch nicht verboten, hin und wieder ein Brieflein zu besorgen, und einem klingenden Dank war sie nicht abhold. Und als er seine Braut zu sprechen begehrte, wurde auch ein Weg gefunden; denn das Haus, in dem sie wohnte, lag in einem Garten, und Gartenmauern haben Thüren, die sich öffnen lassen.

Sie nahm Theil an seinen Sorgen und seinen Kämpfen, sein eigenes Selbst der Welt gegenüber zu vertheidigen und aus eigener Kraft, trotz des Makels, auf den die Gesellschaft mit Schadenfreude hinwies, da er ihn nicht mit Gold verdecken konnte und sagte, daß sie ihm für das ganze Leben angehören wolle, wie es auch käme, und was auch das Schicksal mit sich brächte. Und wenn sie miteinander flüsterten, leise, damit Niemand sie erriethe, wenn sie sprachen von den Hoffnungen, die sie auf die Zukunft setzten im Dunkel der Nacht im Garten, dann war der Hund bei ihnen, wie einst im Park bei dem grauen Schloß, aber sie spielten nicht mit ihm, wie damals unter Lachen und Scherzen. Der Hund hielt Wacht. Es waren andere Zeiten. Der Sommer war vorbei, die Blätter fielen in Schaaren; das frohe Lachen war verstummt: düsterer Ernst hatte es verdrängt.

Warum aber scheuten sie das Licht des Tages, da sie doch vor nicht langer Zeit vor aller Welt erklärt hatten, daß sie einander angehören wollten für das ganze Leben, und die Leute ihnen Glückwünsche gebracht hatten, mündliche und schriftliche, und ihre Wahl gut hießen?

Die Leute fürchteten sie nicht, darin waren sie Beide eins, aber die Mutter zürnte und braute mit ihrem Verwandten Anschläge, die dazu dienen sollten, eine unwürdige Liebe zum Schweigen zu bringen. Wenn die gewußt hätten, daß die Liebe stärker und kräftiger würde unter dem Druck, der auf ihr lastete, daß ein kurzer flüchtiger Gruß, ein Händedruck, ein süßes heimliches Wort Sonnentage bereiteten, die in der Erinnerung die Liebe zeitigten – sie hätten ihr Auge nicht geschlossen, sie hätten gewacht und gehütet, und nimmer hätten die Liebenden sich gesehen und gesprochen. Das war es – sie fürchteten ganz von einander getrennt zu werden, getrennt ohne den Trost heimlicher Zwiesprache, die ihnen Muth gab, das Unvermeidliche zu tragen. – –

Allmälig schien es, als beginne man den Schicksalswechsel des Advokaten zu vergessen, als habe er den Reiz der Neuheit verloren; man sprach wenigstens nicht mehr von dem, was Alle wußten. Vorurtheilsfreie Männer, denen der Mann als solcher werth war, die nicht um die Abkunft besorgt waren, sondern der persönlichen Tüchtigkeit den ersten Rang einräumten, traten in ein freundschaftliches Verhältniß zu dem Advokaten, dessen Charakter von keiner Seite ein Tadel treffen konnte, und er begann wieder, sich freier zu bewegen, die Gesellschaft aufzusuchen und, soweit es möglich war, zu vergessen.

Die Mutter seiner Braut aber vergaß nicht, die dachte stets daran, daß die Zukunft ihres Kindes, das sie von ganzem Herzen zu lieben glaubte, zerstört worden sei durch den fremden Eindringling, und wie sie fühlte, daß kein Mittel anschlug, den Sinn ihrer Tochter zu ändern, daß ihr Wunsch, sie möchte dem Verwandten die Hand reichen, keine Beachtung fand, wuchs ihr Groll, und sie fachte die Eifersucht des abgewiesenen Bewerbers zu hellen Flammen an.

Da begab es sich eines Abends, als der Advokat in einem der besuchtesten Gasthäuser der Stadt im Gespräch mit seinen Gefährten saß, daß der ihm fremde Verwandte seiner Braut sich an den Tisch drängte und ihn höhnend und herausfordernd anblickte, sich unberufener Weise in die Unterhaltung mischte und Ausdrücke fallen ließ, die eine Zurechtweisung erheischten. Als es so weit gekommen war, erhob sich der Fremde und erzählte mit spitzen Worten, wie ein gewisser Jemand sich zu später Abendzeit in die Gärten anderer Leute schleiche, da doch keine Früchte mehr auf den Bäumen wären, die zu einem Besuche reizen könnten. Und als der junge Advokat aufsprang und die unsinnige und plumpe Anschuldigung zurückwies, als ein Wort das andere gab, wurde die Vergangenheit wieder lebendig, laut und deutlich wurde sie ausgesprochen vor den Gästen, die dem Wortwechsel mit Spannung lauschten. Noch an demselben Abend waren die Waffen gewählt und wurde der Ort bestimmt, an dem das Blei über die Ehre entscheiden sollte, hinter der sich Egoismus barg und Groll. Sie war diesmal eine Maske, welche eine unehrenhafte Gesinnung nur schlecht hehlte.

Als der Advokat in seiner Wohnung anlangte, fand er ein in fliegender Hast geschriebenes Brieflein seiner Braut vor. Es standen nur die wenigen Worte darin: »Es ist Alles entdeckt.« Die Eifersucht hatte das Wächteramt übernommen, und die hatte scharf gesehen.

So war doch kein Vergessen der Vergangenheit möglich geworden. Die Gesellschaft mit ihren Satzungen verlangte ihr Recht, und das mußte ihr werden. Er sah es ein, es ging nicht anders. Wenn der Mann im Kerker auch geschwiegen hätte, es wußten noch viele Leute um das Geschehene. Wer konnte ihnen Schweigen gebieten? Es hätte aber nicht jetzt nöthig gehabt, ihn zu treffen, nun da dieser eine Schlag sein ganzes Glück vernichtete. Wie aber, wenn die Braut bereits seine Gattin gewesen wäre, und sie hätte ebenso gedacht wie die Mutter, ebenso kalt und beeinflußt von Vorurtheilen. Das wäre die Hölle gewesen, die Hölle auf Erden. Nun aber hatte die Liebe ihm das Leid tragen helfen bis hierher. Da überkam es ihn mit aller Verzweiflung, mit der Angst des Todes. Er wollte leben, seiner Liebe wollte er leben; sie, die er liebte, sollte nicht auch zu Tode getroffen werden wie er, wenn die feindliche Kugel sein Herz aufsuchte. Er klammerte sich an das Leben und sah doch vor sich den Tod, er kämpfte den Todeskampf, und es floß doch frisches Jugendleben durch seine Adern, das noch lange nicht ruhen wollte. Er rang, aber sein Ringen war vergebens, die Ehre trat zu ihm und forderte ihn als Opfer. Floh er den Zweikampf, so war es nicht nur die Herkunft, welche sich lähmend an seine Fersen hing, dann war er selbst ehrlos von nun an und verloren in den Augen der Menschen, die ein Wort in der Gesellschaft redeten und den Werth des Einzelnen abwogen nach Maß und Gewicht, wie es die Satzungen der Gesellschaft vorschrieben. Und dann begann er wieder zu hoffen, denn blind leitet der Zufall seine Loose. Auch er konnte der glückliche Sieger sein. Da beruhigte sich sein Geist allmälig.

Er blickte zurück auf sein Leben; er gedachte dessen, der ihn elend gemacht hatte, und der Stunde, in der er von ihm geschieden war für alle Zeit. Es überkam ihn wie Reue, daß nicht ein Wort des Verzeihens von seinen Lippen gekommen war. Nun aber war es zu spät. – Der Schlaf der Erschöpfung kam und schloß ihm die Augen. – Am nächsten Morgen in frühester Frühe wurden die Schüsse gewechselt; der zweite Schuß traf den Advokaten zum Tode. Nur wenige Augenblicke waren ihm noch vergönnt. Sprechen konnte er nicht, seine Hand aber streckte sich wie liebkosend nach dem kleinen häßlichen Hunde aus, der sich winselnd an ihn schmiegte.

Als Jahre und wieder etliche Jahre vergangen waren, gedachte fast keiner mehr des Mannes, den die Welt geächtet hatte, die Welt ohne Liebe, die kalte engherzige. Nur die ihn geliebt hatte mit der ganzen Gewalt des Herzens, trauerte um ihn ohne Ende.

Das alte graue Schloß wurde öder und unheimlicher von Jahr zu Jahr, in seinen Mauern beherbergte es den Mann, den die Reue leben ließ, den der Gram quälte, ohne ihn vom Leben zu erlösen. Verwildert lag der Park, grüner Schlamm überzog den See. Wo einst Blumen blühten, wucherten Disteln und Unkraut. Niemand betrat den Park. Die armen, elenden Menschen gingen scheu an ihm vorüber, wenn sie vom Tagewerk zurückkehrten in ihre ärmlichen Hütten. Der Hund war verschwunden, nachdem der gefallen, dem er anhing. Da sein Freund ihn nicht mehr rief, ließ er sich nicht locken, sondern zeigte Jedem die Zähne, der ihm nahte. Auf dem Wahlplatz war er noch gesehen worden, später suchte man ihn vergeblich. Eine fremde Hand hatte ihn über den Haufen geschossen. Das häßliche kleine Thier fand kein Erbarmen, als es sich nicht von seinem todten Herrn trennen wollte, der auch kein Erbarmen gefunden hatte, den die Welt ächtete wegen Sünden, die er nicht begangen.


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