Adalbert Stifter
Der Hagestolz
Adalbert Stifter

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»Es ist schwer, Mutter, es ist so seltsam – –«

»Der Vormund sagt, daß du alles genau so erfüllen sollest, wie es der Oheim begehrt. Du brauchst jezt gar nicht mehr in dein Amt zu treten, in das er dich hat bringen wollen; denn diese Wendung der Dinge hat niemand vorher sehen können, und es steht dir ein herrliches Leben bevor.«

»Wird aber Hanna wollen?« sagte Victor.

»Wer spricht denn von Hanna?« antwortete die Mutter mit vor Freude glänzenden Augen.

Victor aber konnte vor glühender Verwirrung nichts sagen, er saß da, als müßten ihm vor Schamroth die Wangen zerspringen.

»Sie wird schon wollen,« sagte die Mutter wieder, »laß es nur gut sein, Kind, es wird alles zum Besten ausfallen. Jezt werden wir an deiner Ausrüstung zu der großen Reise arbeiten. Du bist jezt dein eigener Herr, der Mittel hat – da muß alles anders werden, und auch wegen der Reise müssen die Sachen nach anderer Art hergerichtet werden. Es wird dies schon meine Sorge sein. Jezt aber muß ich auch für das Mittagessen sorgen, sieh dir indessen das Haus an, ob sich nichts verändert hat, oder thue, was dir gefällt – die Speisestunde wird ohnehin bald heran rüken.«

Mit diesen Worten erhob sie sich und ging in die Küche.

Als das Mittagmal bereitet und aufgetragen war, sassen die drei wieder bei dem Tische, wie sie jezt lange nicht bei einander gesessen waren.

Nachmittag ging Victor in die Gegend hinaus und besuchte alle Pläze, die ihm einst lieb und bekannt gewesen waren: Hanna aber lief in dem Hause herum und that alles verkehrt.

Als er Abends nach dem Essen schlafen gehen wollte und die Mutter mit der Kerze in der Hand mit ihm ging, führte sie ihn in seine alte Stube, und da sie eintraten, sah er, daß sie gar nicht verändert worden war, wie er es sich doch so lebhaft bei seiner Abreise vorgespiegelt hatte. Sogar der Koffer und die Kisten standen da, wie er sie eingepakt hatte.

»Siehst du,« sagte die Mutter, »wir haben alles stehen gelassen, weil der Oheim schrieb, daß wir nichts fort schiken sollen, indem es noch ungewiß ist, wie sich dein Schiksal gestalten werde. – Und nun, gute Nacht, Victor.«

»Gute Nacht, Mutter.«

Und er sah, da sie fort war, durch sein Fenster wieder auf die dunkeln Büsche nieder und auf das rieselnde Wasser, in welchem sich die Sternlein spiegelten. Und als er schon im Bette lag, hörte er noch das Rieseln der Wässer, wie er es so viele Abende seiner Kindheit und seiner Jünglingszeit gehört hatte.

7. Beschluß

Wenn wir zu dem in den obigen Abschnitten dargestellten Jünglingsbilde noch etwas hinzufügen dürfen, so kann es Folgendes sein.

Nachdem die Ausrüstung fertig war, welche die Mutter für Victors Reise ins Werk zu sezen hatte, und nachdem man über alles, was in der Zukunft für das Wohl des jungen Mannes ersprießlich sein könnte, im Reinen war, ereignete sich im tiefen Herbste desselben Jahres wieder ein Abschied – aber derselbe war kein so trauriger, wie der erste, da er nicht so zu sagen für das ganze Leben, sondern nur für eine kleine Zeit nothwendiger Abwesenheit galt, auf welche kleine Zeit dann eine lange, schöne, glükselige folgen sollte.

Daß Hanna recht gerne eine sehr nahe Theilnehmerin jener glüklichen Zeit werden wollte, zeigten ihre feurigen, heftigen Küsse, mit denen sie die Lippen Victors bedekte, als sie einen einsamen Abschied von einander nahmen, als er sie heftig und schmerzlich an sich drükte und von ihr nicht lassen zu können vermeinte. Die zwei Ziehgeschwister weinten bei diesem glükverheißenden Abschiede so sehr, als ob er der trennendste und zerreißendste gewesen wäre, und lange nicht, oder vielleicht nie mehr eine Wiedervereinigung hoffen ließe.

Die Mutter Ludmilla aber ging in stiller Freudigkeit herum, sie gesegnete den Sohn beim Abschiede, und dachte immer, wie sie es denn durch das wenige Gute, das sie in ihrem Leben stets mehr ausführen gewollt, als gekonnt hatte, verdient habe, daß sie nun Gott in ihrem Alter so sehr belohne, ach so sehr, so sehr belohne.

Als er fort war, begann das stille, einfache Leben in dem Thale und in dem Hause wieder, wie es bisher immer geführt worden war. Die Mutter that in Unschuld die Geschäfte des Hauses, besorgte alles auf das Beste, erwies Gutes, wo sie es konnte, und ließ eine Fülle häuslicher Habe und Bequemlichkeit für eine nahe Zeit ausrüsten und arbeiten: Hanna war eine ergebene Tochter, die nur immer den Willen der Mutter that, und in innerer Bewegung und Erregung wartete, was die Zukunft bringen werde.

Als vier Jahre herum waren, und die Briefe aus fremden Ländern, die alle dieselben lieben und bekannten Schriftzüge trugen, zu einem sehr großen Stoße angewachsen waren, kam der Briefschreiber selber, und die Briefe hörten auf. Victor kam so verändert zurük, daß selber die Ziehmutter staunte und überrascht wurde; denn aus dem fast kindischen Jünglinge war in der kurzen Zeit ein Mann geworden. Aber nur sein Verstand und sein Geist hatten sich heraus gebildet, das gute Herz, das sie in ihn gelegt, war unausrottbar geblieben, es war eben so kindlich und unversehrt, wie sie es ihm in der zarten Kindheit gegeben und dann weiter gepflegt hatte; denn ihr Herz vermochte sie ihm zu geben; was aber der starke Mann braucht, und was das harte Leben von ihm heischt, nicht. Hanna sah an Victor keine Veränderung; denn sie hielt ihn von Kindheit auf für gewandter und tüchtiger als sich; daß sie aber eine gute, einfache, große Seele habe, welche unbeugsam das Gute thut wie das Wasser abwärts fließt, das wußte sie nicht, und das sezte sie als ein Gemeingut bei allen Menschen voraus.

Nicht sehr lange Zeit nach seiner Zurükkunft stand Victor mit Hanna zur ewigen Verbindung an dem Altare – zwei Wesen, deren Antlize die Abbilder von zwei anderen waren, die einmal auch gerne vor demselben Altare gestanden wären, aber durch Unglük und Verschuldung auseinander gerissen worden waren, und dann lebenslänglich bereuten.


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