Adalbert Stifter
Der Hagestolz
Adalbert Stifter

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»Ja, Oheim.«

»Siehst du, und ich habe dir schon einen Urlaub ausgewirkt. Wie nöthig mußt du also sein, und wie wichtig das Amt, das unausgefüllt auf dich warten kann. Einen Urlaub auf unbestimmte Zeit habe ich hier. Ich kann jeden Augenblik einen Abschied haben, sobald ich nur will. Das Amt bedarf also nicht deiner einzelnen bestimmten Fähigkeiten, ja es harrt schon einer, der nach deinem Austritte das Amt braucht. Du kannst auch jezt noch in der That gar nichts leisten, was wirklich des Antrittes eines Amtes werth wäre, da du kaum ein Jüngling geworden bist, und kaum erst ein Sandkorn von der Erde in die Hand bekommen hast, daß du es kennen lernest – und du kennst es noch nicht einmal. Wenn du also jezt einträtest, so könntest du höchstens etwas wirken, was niemand frommt, und was dir doch langsam das Leben aus dem Körper frißt. Ich wüßte dir etwas Anderes. Das Größte und Wichtigste, was du jezt zu thun hast, ist: heirathen mußt du.«

Victor richtete sein klares Auge gegen ihn, und fragte: »Was?! «

»Heirathen mußt du – eben nicht auf der Stelle, aber jung mußt du heirathen. Ich werde dir das zeigen. Jeder ist um sein selbst willen da. Das sagen wohl nicht alle, aber sie handeln alle so. Und die es nicht sagen, deren Handlungen sind oft desto ungeschlachter selbstsüchtig. Das wissen die auch recht gut, die sich dem Amte widmen; denn das Amt ist ihnen der Aker, welcher Früchte geben soll. Jeder ist seiner selbst willen da; aber nicht jeder kann es machen, daß er da ist, und mancher strekt sein Leben für etwas dahin, das weniger ist, als sieben Pfennige. Der Mann, der zu deinem Schuze aufgestellt ist, meinte gut zu sorgen, wenn er bei Zeiten dein junges Blut einpferche, ganz allein dazu, damit du immer satt zu essen und zu trinken habest; das Weib in ihrer kleinen Gutherzigkeit darbte ein Sümmchen zusammen, ich weiß sogar genau, wie groß es ist, ein Sümmchen, wofür du dir auf einige Zeit Strümpfe anschaffen kannst. Sie hat es wohl gut gemeint, wohl am besten; denn sie ist in ihrem Willen vortrefflich. Aber was soll das alles? – – Jeder ist um sein selbst willen da, aber nur dann ist er da, wenn alle Kräfte, die ihm beschieden worden sind, in Arbeit und Thätigkeit gesezt werden – denn das ist Leben und Genuß – und wenn er daher dieses Leben ausschöpft bis zum Grunde. Und sobald er so stark ist, seinen Kräften allen, den großen und kleinen, nur allen, diesen Spielraum zu gewinnen, so ist er auch für andere am besten da, wie er nur immer da zu sein vermochte, wie es ja gar nicht anders sein kann, als daß wir auf die wirken, die rings um uns gegeben sind; denn Mitleid, Antheil, Hülfreichigkeit sind ja auch Kräfte, die ihre Thätigkeit verlangen. Ich sage dir sogar, daß die Hingabe seiner selbst für andere – selber in den Tod – wenn ich den Ausdruk gebrauchen darf, gerade nichts anders ist, als das stärkste Aufplazen der Blume des eigenen Lebens. Wer aber in seiner Armuth nur eine Lebenskraft einspannt, um nur eine einzige Forderung zu stillen, etwa gar die des Hungers, der ist für sich selber in einer einseitigen und kläglichen Verrükung, und er verdirbt die, die um ihn sind. – O Victor, kennst du das Leben? kennst du das Ding, das man Alter heißt?«

»Wie sollte ich, Oheim, da ich noch so jung bin?«

»Ja du kennst es nicht, und kannst es auch nicht kennen. Das Leben ist unermeßlich lange, so lange man noch jung ist. Man meint immer, noch recht viel vor sich zu haben, und erst einen kurzen Weg gegangen zu sein. Darum schiebt man auf, stellt dieses und jenes zur Seite, um es später vorzunehmen. Aber wenn man es vornehmen will, ist es zu spät, und man merkt, daß man alt ist. Darum ist das Leben ein unabsehbares Feld, wenn man es von vorne ansieht, und es ist kaum zwei Spannen lang, wenn man am Ende zurük schaut. Auf dem Felde zeitigen so manche andere Früchte, als man zu säen geglaubt hat. Es ist ein schillernd Ding, das so schön ist, daß man sich gerne hinein stürzt, und meint, es müsse ewig währen – – und das Alter ist ein Dämmerungsfalter, der recht unheimlich um unsere Ohren weht. Darum möchte man die Hände ausstreken, um nicht fort zu müssen, weil man so viel versäumt hat. Wenn ein uralter Mann auf einem Hügel mannigfaltiger Thaten steht, was nüzt es ihm? Ich habe vieles und allerlei gethan, und habe nichts davon. Alles zerfällt im Augenblike, wenn man nicht ein Dasein erschaffen hat, das über dem Sarge noch fort dauert. Um wen bei seinem Alter Söhne, Enkel und Urenkel stehen, der wird oft tausend Jahre alt. Es ist ein vielfältig Leben derselben Art vorhanden, und wenn er fort ist, dauert das Leben doch noch immer als dasselbe, ja man merkt es nicht einmal, daß ein Theilchen dieses Lebens seitwärts ging, und nicht mehr kam. Mit meinem Tode fällt alles dahin, was ich als ich gewesen bin – – – –. Darum mußt du heirathen, Victor, und mußt sehr jung heirathen. Darum mußt du auch Luft und Raum haben, um alle deine Glieder rühren zu können. Dafür nun habe ich gesorgt, weil ich wußte, daß es alle jene nicht konnten, denen man dich anvertraut hat. Nach dem Tode deines Vaters nahm man mir die Macht, und ich habe doch besser gesorgt, als die andern. Ich habe mich daran gemacht, dein Gut zu retten, das sonst verloren war. Staune nicht, sondern höre mich lieber. Wozu soll dir auch das Sümmchen deiner Mutter, oder die ewige Versorgung deines Vormundes? Zu nichts, als daß du zerknikt und verkümmert

würdest. Ich bin geizig gewesen, aber vernünftiger geizig, als mancher freigebig ist, der sein Geld weg wirft, und dann weder sich, noch andern helfen kann. Deinem Vater lieh ich bei Lebzeiten kleine Summen, wie Brüder sonst einander schenken, er gab mir Bescheinigungen darüber, die ich auf sein Besitzthum eintragen ließ. Da er nun todt war, und die andern Gläubiger, die ihn verlokt hatten, kamen, um das arme Nest zu plündern, da war ich schon da, und entriß es mit meinem Rechte ihnen und deinem Vormunde, der auch ein kleines Restchen für dich erstreiten wollte. Die Kurzsichtigen! – – Den Gläubigern gab ich nach und nach, was sie eingesezt hatten, sammt den Zinsen, aber nicht, was sie hatten erschinden wollen. Nun ist das Gut schuldenfrei, und der fünfzehnjährige Ertrag liegt für dich in der Bank. Morgen ehe du fort gehst, gebe ich dir die Papiere; denn da ich jezt das alles gesagt habe, ist es gut, daß du bald fort gehest. Ich habe den Christoph in die Hul geschikt, daß dich der Fischer, der dich gebracht hat, morgen an dem Landungsplaze wieder hole; denn Christoph hat keine Zeit, dich hinüber zu führen. Willst du morgen nicht fahren, sondern später, so können wir dem Fischer sein Fahrgeld geben, und ihn wieder leer zurück gehen lassen. – Ich meine, du sollst ein Landwirth sein, wie es auch die alten Römer gerne gewesen sind, die recht gut gewußt haben, wie man es anfangen soll, daß alle Kräfte recht und gleichmässig angeregt werden. – Aber du kannst übrigens thun, wie du willst. Genieße nach deiner Art, was du hast. Bist du weise, so ist es gut: bist du ein Thor, so kannst du im Alter dein Leben bereuen, wie ich das meinige bereut habe. Ich habe vieles gethan, was gut war, ich habe sehr vieles genossen, was das Leben hat, und mit Recht zum Genuße gibt – das war gut: aber ich habe vieles unterlassen, was die Reue und das Nachdenken erwekte, als beide vergebens waren. Denn das Leben flog, ehe es erhascht werden konnte. Du bist wahrscheinlich auch mein Erbe, und darum möchte ich, daß du besser thätest, als ich. Daher ist mein Rath – ich sage »Rath,« nicht Bedingung; denn kein Mensch soll gebunden werden. – Reise jezt zwei bis drei Jahre, komme dann zurük, heirathe, behalte Anfangs den Verwalter, den ich dir auf das Gut gesezt habe; denn er wird dich gehörig anweisen. – Das ist meine Meinung, du aber thue, wie du willst.«


 << zurück weiter >>