Adalbert Stifter
Der Hagestolz
Adalbert Stifter

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Es war indessen viele Zeit vergangen, und die Dinge hatten sich unten geändert. In der Stube war niemand. Die Morgensonne, welche so freundlich hereingeschienen und die Fenstervorhänge so schimmerweiß gemacht hatte, als er heute früh aus der Stadt gekommen war, ist nun eine Mittagssonne geworden, und stand gerade über dem Dache, ihr blendend Licht und ihren warmen Strom auf das graue Holz desselben nieder senkend. Die Obstbäume standen ruhig, ihre am Morgen so nassen und funkelnden Blätter sind troken geworden, glänzen nur mehr matt, regen sich nicht, und die Vögel in den Zweigen piken ihr Futter. Die Fenstervorhänge sind zurük geschlagen, die Fenster offen, und die heiße Landschaft schaut herein. In der Küche lodert ein glänzendes rauchloses Feuer, die kochende Magd steht dabei. – Alles ist in jener tiefen Stille, von der die Heiden einst sagten: »Pan schläft.«

Victor ging in die Küche, und fragte, wo die Mutter sei.

»In dem Garten, oder sonst wo herum,« antwortete die Magd.

»Und wo ist Hanna?« fragte Victor wieder.

»Sie ist vor wenigen Augenbliken hier gewesen,« erwiederte die Magd, »ich weiß nicht, wo sie hingegangen ist.«

Victor ging in den Garten hinaus und ging zwischen reinlichen Beten dahin, die er so lange gekannt hatte, und auf denen die verschiedenen Dinge knospeten und grünten. Der Gartenknecht sezte Pflanzen und sein Söhnlein pumpte Wasser, wie es sonst oft gewesen war. Victor fragte um die Mutter: man hatte sie in dem Garten nicht gesehen. Er ging weiter an Johannisbeeren, Stachelbeeren, an Obstbäumen und Heken vorüber. Zwischen den Stämmen stand das hohe Gras und in den Einfassungen blühten manche Blümlein. Von der Gegend des Glashauses, dessen Fenster in der Wärme offen standen, tönte eine Stimme herüber: »Victor, Victor!«

Der Gerufene, welcher durch seine feurige Arbeit in seiner Stube oben einen Theil der Bekümmerniß zerstreut hatte, die wegen der nahen Fortreise über ihn gekommen war, wendete bei diesem Rufe sein erheitertes Antliz gegen die Glashäuser. Es stand ein schönes, schlankes Mädchen dort, welches ihm winkte. Er schritt den nächsten Weg durch das Gartengras zu ihr hinüber.

»Victor,« sagte sie, als er bei ihr angelangt war, »bist du denn schon da, ich habe ja gar nichts davon gewußt, wann bist du denn gekommen?«

»Ja sehr früh Morgens, Hanna!«

»Ich bin mit der Magd einkaufen gewesen, darum habe ich dich nicht ankommen gesehen. Und wo bist du denn dann darauf gewesen?«

»Ich habe in meiner Stube meine Sachen eingepakt.«

»Die Mutter hat mir auch gar nicht gesagt, daß du schon da seiest, und so habe ich gemeint, du würdest etwa lange geschlafen haben und erst Nachmittags aus der Stadt herüber kommen.«

»Das war eine thörichte Meinung, Hanna. Werde ich denn bis in den Tag schlafen, oder bin ich denn ein Schwächling, der einen Spaziergang vom Tage vorher durch Ruhe verwinden muß, oder ist es etwa weit herüber, oder soll ich die Mittagshize wählen?«

»Warum hast du denn gestern gar nicht auf unsere Fenster herüber geschaut, Victor, da ihr vorbei ginget?«

»Weil wir Ferdinand's Geburtstag feierten, und nach Einverständniß der Eltern den ganzen Tag für uns besaßen. Deßwegen hatten wir keinen Vater, keine Mutter, noch sonst jemanden, der uns etwas befehlen durfte. Darum war auch unser Dorf blos der Ort, wo wir zu Mittag essen wollten, weil es so schön ist, weiter nichts. Verstehst du es?«

»Nein; denn ich hätte doch herüber geschaut.«

»Weil du alles vermengst, weil du neugierig bist und dich nicht beherrschen kannst. Wo ist denn die Mutter? ich habe ihr etwas Nothwendiges zu sagen: erst war ich nur nicht gleich gefaßt, da sie mit mir redete, jezt weiß ich aber schon, was ich antworten soll.«

»Sie ist auf der Bleiche.«

»Da muß ich also hinüber gehen.«

»So gehe, Victor,« sagte das Mädchen, indem es sich um die Eke des Glashauses hinum wendete.

Victor ging sofort, ohne sonderlich auf sie zu achten, gegen die ihm wohlbekannte Bleiche.

Es ist hinter dem Garten ein Plaz mit kurzem samtenen Grase, auf welchem weithin in langen Streifen die Leinwand aufgespannt lag. Dort stand die Mutter und betrachtete den wirthlichen Schnee zu ihren Füssen. Zuweilen prüfte sie die Stellen, ob sie schon troken seien, zuweilen befestigte sie eine Schlupfe an dem Haken, mit dem das Linnen an den Boden gespannt war, zuweilen hielt sie die flache Hand wie ein Dächlein über die Augen und schaute in der Gegend herum.

Victor trat zu ihr.

»Bist du schon fertig,« sagte sie, »oder hast du dir etwas auf Nachmittag gelassen? Nicht wahr, es ist viel, wie wenig es auch aussieht. Du bist heute weit gegangen, thue den Rest nach dem Essen, oder morgen. Ich hätte gestern alles selber paken können, und wollte es auch thun; aber da dachte ich: er muß selber daran gehen, daß er es lernt.«

»Nein, Mutter,« antwortete er, »ich habe nichts übrig gelassen, ich bin schon ganz fertig.«

»So?« sagte die Mutter, »laß sehen.«


 << zurück weiter >>