Adalbert Stifter
Feldblumen
Adalbert Stifter

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»Sechs Jahre blieb er aus, und als er zurückkam, war er ein Mann, stark und gütig. Auch das unscheinbare Kräutlein, Angela, war eine schöne Wunderblume geworden, so daß er betreten war bei ihrem Anblicke. Wir siedelten damals nach Wien über. Er unternahm nun ausschließlich unsere Erziehung, und erzog sich selbst dabei. Er fing die Wissenschaften an, und dichtete uns nebenbei indische Märchen vor, voll fremden Dufts und fremder Farben. Er predigte und lehrte nie, sondern sprach nur und erzählte uns, und gab uns Bücher. Wir lernten trotz Männern. Die Dichter las er vor. So wurden wir uns nach und nach, wie die Jahre vergingen, immer gleicher, und für Europa eine Art fremdländischer Schaustücke – aber das Herz, die Seele, glaube ich, hat er an den rechten Ort gestellt – nun, Sie kennen ja jetzt alle Drei. Einmal ging er wieder fort, und war zwei Jahre in Amerika. Als er zurückkam, und Angela wieder herrlicher und schöner fand, so erkor er sie zu seiner Braut; aber er sagte nichts zu ihr, sondern beschloß, daß sie nun noch mehr als früher unter Männer, wo möglich, bedeutsame käme, und etwa frei wähle. – Indeß begann er sie immer mehr und mehr zu lieben, ja, er lebte recht eigentlich um ihretwillen – sie liebte ihn auch unter allen Dingen dieser Erde am meisten; aber Emil behauptete immer, sie liebe ihn als Bruder. Da ihm ihr Glück das Höchste war, so wollte er ihre Freiheit und Unbefangenheit nicht im Geringsten beirren, sondern, um ihrem Herzen allen und jeden Raum zu geben, nahm er sich vor, nach Frankreich zu gehen, wo er ohnedieß Vermögensgeschäfte zu ordnen hatte, und mich mitzunehmen. Ich sage Ihnen, es war der schönste Augenblick meines Lebens, da ich diesen herrlichen Menschen Abschied nehmend vor Aston stehen sah, und ihn dringlich bitten hörte, er möge Angela lieben und schützen; er möge die besten und edelsten Männer in ihre Nähe führen, ob sie nicht Einen wähle, der es verstände ihres Herzens werth zu werden. Ich weinte; Aston tadelte ihn heftig, und da Alles nichts half, so schlug er Sie vor. Emil billigte es, und wir reisten. Ich hatte sehr gezürnt, als wir zurückkamen, und Angela in Schönbrunn Alles erzählte – noch mehr zürnte ich aber, da ich Ihre Abreise und Heftigkeit erfuhr. – Alle waren wir gegen Sie, nur Emil nicht, und was auch wir Alle – Angela war nie im Rathe – was auch wir Alle über Aufdringlichkeit und über Wegwerfung sagten: er dachte anders, und reiste Ihnen nach. – » Wen sie so lange geachtet hat,« sagte er, »der verdient nicht, daß man ihn so behandle und ohne weiters wegwerfe.« Und so hat er Sie gesucht, so hat er Sie gefunden – und so ist er nun entschlossen, Ihnen sein Liebstes zu geben.

»Nun aber verzeihen Sie, daß wir Sie so lange in Hallstadt aufgehalten haben; wir liebten Sie wohl schon früher, aber durch Ihre Eifersucht geschreckt, bat ich den Bruder, daß er mir erlaube, hieher zu kommen, damit ich doch auch mit eigenen Augen sähe, an wen er unsere Angela hingeben wolle. Ich las durch Emil Ihr Tagebuch, und dieses tilgte den letzten bösen Funken, der in mir war – wie Ihnen ja die heutige Unterredung zeigt. – Sie sind ein guter Mensch, das genügt mir; was Sie sonst sind, mag die Männer angehen. Das Tagebuch ist bereits an Angela abgesendet – zürnen Sie nicht, ich habe es so angeordnet; denn unter uns ist es Sitte, daß unbeschränkte Aufrichtigkeit herrscht. Emil ist der beste und stärkste Mensch. Er opferte freudig jeden Anspruch; er liebt Sie, und will das Glück seiner Schwester gründen. Noch dürfte es Ihnen zum Verständniß dienen, daß mein Bruder der Graf Lorrel ist; Morus, Grafen von Lorrel waren unsere Vorfahrer, aber wir sind nur die Kaufleute Morus. In Wien ist man ohne unser Zuthun dahintergekommen. Es wird Ihnen jetzt auch ein gewisser Satz Ihres Tagebuches verständlich sein. In gewissem Sinne war sie immer Emils Geliebte.

»Auch ihre Herkunft hat sich im vergangenen Sommer aufgeklärt, und Sie waren die eigentliche Veranlassung dazu. Sie ist die Zwillingsschwester der russischen Fürstin Fodor, der sie schon als Kind so ähnlich war, daß ihnen ihr Großvater kleine goldne Kreuzchen mit verschiedener Bezeichnung umhing, daß man sie unterscheiden könne. Die Fürstin wurde bei ihrem Großvater erzogen, dessen Liebling sie war, und dessen Erbin sie werden sollte; Angela aber, die, wie wir jetzt wissen, eigentlich Alexandra heißt, blieb bei den Eltern, und wurde auf jene unglückselige Reise mitgenommen, wo Beide ein so trauriges Ende nahmen. Man hielt in Rußland Angela für todt, und erst im vergangenen Sommer, da die Fodor den Schauplatz des Mordes ihrer Eltern besuchte, ersah sie aus den dortigen gerichtlichen Angaben, daß und wo ihre Schwester lebe. Sie fuhr sofort nach Wien, und setzte ihre Gesandtschaft in Bewegung, um die verlorne Schwester aufzufinden. Ihre Erzählung auf jenem Balle bei Aston, daß Sie die Fürstin im Paradiesgarten gesehen, daß Lothar sie gemalt habe, daß sie ein goldnes Kreuzchen trage, wie Angela, und daß sie ihr so ähnlich sei, hat zwar nicht ausschließlich das Erkennen bewirkt, wohl aber die Annäherung. Die Schwestern sahen sich in Wien, und es war dieß ein bittrer Tag für Angela. Die Fürstin forderte, daß Angela hinfort den Umgang mit diesen Menschen abbreche, unter denen sie sich bisher »umtrieb«; »sie habe nicht weiter noth, als aufgelesenes Findelkind bei derlei Menschen zu verbleiben, von Almosen zu leben, oder etwa gar von einem noch schnödern Lohne.« Angela richtete sich gegen diese Worte auf, und wies sie entschieden zurück, und da die Fürstin darauf beharrte, so weinte Angela wohl einige bittere Unmuthsthränen, aber entsagte, wie es in ihrer entschiedenen Natur liegt, lieber der neugefundenen Schwester, die solches forderte, als uns, die wir doch eigentlich die Verwandten ihres Herzens geworden sind. Sie wies auch jeden Antrag hinsichtlich des Vermögens von sich – sie hat auch nicht nöthig einen Anspruch zu machen; denn meine und Emils Habe wurde schon längst in drei gleiche Theile getheilt, und Angela's Theil ist ihr gerichtlich zugesichert, da wir ja alle Drei Geschwister sind, und es ewig bleiben wollen.« Ihre Augen brachen in Thränen aus, als sie das sagte, und hinzusetzte: »Morgen werden Sie sie sehen, und desto früher, je weiter Sie ihr entgegenfahren. Sie wird heute Abends nach Gmunden kommen.«

Ich war erschüttert und gerührt, und bat sogleich, als wir zurückkamen, den Bruder Emil, mit mir aufzubrechen, und nicht zu ruhen, bis wir heute noch Gmunden erreicht hätten. Er sagte es zu. Das Schiff steht bereitet. Lebe wohl!

17. Lilie

Hallstadt, 26. August 1834.

Und nun habe ich meine Angela wieder gesehen, auf ewig meine Angela! Heute sind wir Alle, Emil, Aston, seine Mädchen, Angela, Natalie, Lothar und ich, bis tief in die Nacht beieinander gewesen, und obwohl es spät ist, so muß ich doch noch ein Stück meines lärmenden freudefunkelnden Herzens an Dich absenden. O komme nur, o komme nur – das sind Menschen!! Du fehlest noch, und die Häuser am Traunsee – dann wäre ja der schönste einst so närrische Traum erfüllt; das Schwerste ist überwunden, die Menschen sind da!

Nur in Kürze kann ich Dir etwas senden – in Genf wirst Du wieder ein Blatt finden, das letzte. – Dann eile mit Windesflügeln nach Wien.


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