Adalbert Stifter
Feldblumen
Adalbert Stifter

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Noch sind Kriege, noch ist Reichthum und Armuth.

Was hat denn der unergründliche Werkmeister vor mit dem Goldkorne, Mensch, das er an einen wüsten Felsen klebt, dem gegenüber der glänzende Sand einer endlosen Küste schimmert, der Saum eines unentdeckten Welttheils? und wenn dereinst ein Nachen hinüberträgt, wird da nicht etwa wieder eine neue, schönere Küste herüberschimmern? – –

Ich weiß nur das Eine, Titus, daß ich alle Menschen, die eine Welle dieses Meeres an mein Herz trägt, für dieß kurze Dasein lieben und schonen will, so sehr es nur ein Mensch vermag – ich muß es thun, daß nur etwas, etwas von dem Ungeheuren geschehe, wozu mich dieses Herz treibt. – Ich werde oft getäuscht sein, aber ich werde wieder Liebe geben, auch wenn ich nicht Liebe glaube – nicht aus Schwäche werde ich es thun, sondern aus Pflicht. Haß und Zank zu hegen oder zu erwiedern ist Schwäche, – sie übersehen und mit Liebe zurückzahlen, ist Stärke.

Es ist tief in der Nacht, lebe wohl, guter, geliebter Mensch.

5. Nachtviole

11. Mai 1834.

Schon wieder muß ich die Nacht zu Hilfe nehmen, und wer weiß es, ob ich sie nicht verschreibe, bis die helle Morgendämmerung durch meine Fenster scheint; in dieser gehobenen Stimmung ist an keinen Schlaf zu denken. Und sollte ich thöricht und lächerlich im höchsten Grade sein, – Titus, Dir muß mein Herz offen liegen – aber es ist geschwellt, schwärmend und genugsam verrückt. Ich spielte und scherzte in Haimbach mit gewissen Wünschen und Verhältnissen, und der Himmel strafte mich mit einer verkehrten Gewährung. Höre nur. Ich weiß nicht, ob damals, als wir beide zugleich in Wien waren, in der Mitte des Paradiesgartens ein schwarzer erhabner Spiegel auf einem Untersatze angebracht war – den Garten kennst Du – kurz, jetzt ist ein solcher Spiegel da und ein Theil der Stadt, die grünen Bäume und der Rasenplatz vor derselben und der Ring der Vorstädte steht in niedlicher Kleinheit darinnen durch die Schwärze des Spiegels in einer Art Dämmerungsdüster schwimmend. An diesem Spiegel stand, als mich heute Mittags, wo fast gar keine Menschen in dem Garten sind, meine gewöhnliche Frühlingsspaziersucht vorbeiführte, ein Weib, durch ihren Bau, den ich nur von rückwärts sah, große Schönheit versprechend, und sah hinein. Ich blieb stehen und zeichnete mit den Augen die wirklich ausnehmend schöne Gestalt – deßhalb war ich fest entschlossen, auch ihr Angesicht zu sehen. Ich stellte mich ruhig hinter sie, um ihr Weggehen zu erwarten; denn mich ihr gegenüber zu stellen, war ich nicht dreist genug.

Als sie immer und immer stehen blieb, malte ich im Gedanken die lächerliche Gruppe, die wir bildeten, und hiedurch kam mir der Muth, sie zum Umsehen zu zwingen, nämlich ich sagte plötzlich: »Eine wahre Unterweltbeleuchtung schwebt über diesem kleinen Nachbilde.« Sie sah auch um – und ich prallte fast zurück. – – – Von meiner Kindheit an war immer etwas in mir, wie eine schwermüthig schöne Dichtung, dunkel und halbbewußt, in Schönheitsträumen sich abmühend – oder soll ich es anders nennen, ein ungeborner Engel, ein unhebbarer Schatz, den selber die Musik nicht hob – – in diesem Augenblicke hatte ich das Ding zwei Spannen breit meinen Augen sichtbar gegenüber. –

War sie so unermeßlich schön?

Ich weiß es nicht, aber es war mir wie einem Menschen, der in dunkler Nacht wandert in vermeintlich unbekannter Gegend – auf einmal geschieht ein Blitz – und siehe, wunderbar vergoldet steht sein Vaterhaus und seine Kindesfluren vor den Augen.

Ein Blick von mir war es, ein einziger, ein heftiger, der die ganze Dichtung dieses Angesichts in sich schlingen wollte – dann schnell ein zweiter und dritter. Sie sah mich ernst und unverwirrt an, und ließ dann einen dichten Schleier herabfallen. In mein Angesicht flog die brennende Röthe der Scham, daß ich ihr aufgelauert hatte.

Ob ich in sie verliebt wurde? – Nein, in diese war ich es seit meinem ganzen Leben schon gewesen.

Sie ging langsam, wie eine stolze Südländerin – wie jene Zenobia, die Königin der Wüstenstadt – zu einer Gruppe Herren und Frauen und mischte sich unter sie – und ich auf einmal unendlich verarmt schritt aus dem Garten, und als ich die Steintreppe in die düstre Stadtgasse hinabstieg, wallte mir das vorher erschrockene Herz erst recht auf, und es wurde mir, als sollt' ich sie ohne Maß und ohne Gränzen lieben. Eine Ahnung solchen Gefühles vermag Beethoven zu geben, wenn er Dir den schönsten unbekannten Demant aus Deinem eigenen Herzen hebt, und ihn Dir glänzend und lichtersprühend vor die Augen hält.

Ich ging noch sehr lange in den lärmenden Gassen und auf den Basteien herum, und suchte erst, als schon alle Laternen brannten, meine Stube und trug das neuerworbene Bild mit hinein.

Diese ist es.

Alle die mir sonst so sehr gefielen, selbst die aus der Annenkirche – sie sind gar nicht mehr. – –

Und nun erkläre mir ein Erdenmensch die Heftigkeit eines solchen Eindruckes. Es ist im Leben schon öfters dagewesen – auch zwischen Mann und Mann war es schon. Ich bin kein Kind, das sich überraschen läßt, ich bin kein Weichling, der sich Gefühle vorlügt – das Leben hat mich wacker durchgerüttelt – aber ihr Erscheinen in dem Kreis meiner Vorstellungen wirkte, wie ein Riß in dieselben. Ist es ein Schönheitseindruck, den ich nur verkenne? – wie etwa alle Gemälde, Musiken, Dichtungen flach werden, sobald etwas Außerordentliches dieser Art an unser Herz tritt? Aber ich sah ja Raphaele, Guidos, Correggios – sie waren wunderschön, aber anders. Ich sah ungewöhnlich schöne Weiber, und fühlte etwas anderes. – Aber Schönheit war es ja nicht, was eben wirkte; denn ich erinnere mich keines Zuges ihres Angesichtes, selbst wenn ich alle Nerven des Gehirns martere; nur das eine, das ganze Bild liegt auf ihnen, wie eingebrannt dem Spiegel meiner Augen, und wenn ich sie beide schließe, so sehe ich es noch immer vor mir schweben. Ich kann nicht sagen, daß ich sie liebe; denn man liebt ja nur was man kennt – und doch ist's, als wäre sie vor ungezählten Jahren in einem andern Sterne meine Gattin gewesen.


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