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Viertes Kapitel. Der König von Apemama: Äquatorstadt und der Palast

Fünf Personen wurden abgeordnet, um uns aufzuwarten. Onkel Parker, der uns mit Toddy und grünen Nüssen versorgte, war ein ältlicher, fast alter Mann mit dem Temperament, dem Fleiß und der Moral eines zehnjährigen Jungens. Sein Gesicht war das eines Greises und blickte spitzbübisch, ja diabolisch in die Welt; die Haut spannte sich über den gestrafften Sehnen wie ein Segel am Leitseil, und er lächelte mit jedem Muskel seines Kopfes. Seine Nüsse mußten Tag für Tag abgezählt werden, sonst betrog er uns bei der Ablieferung; täglich mußte man sie untersuchen, sonst stellte es sich heraus, daß aus einigen der Kern herausgeschält war, und nichts außer dem Namen des Königs vermochte ihn zu seiner Pflicht anzuhalten, und selbst dieser Name versagte manchmal. Nach vollendeter Mühe und Arbeit gab man ihm eine Pfeife, Zündhölzer und Tabak, und er setzte sieh auf den Boden der Maniap', um zu rauchen. Dabei rührte er sich nicht vom Platze, und doch war jeden Tag, wenn es galt die Sachen zurückzugeben, das Päckchen Tabak verschwunden. Auf irgendeine Weise hatte er es fertig gebracht, es unter dem Dach zu verstecken, von wo er es am nächsten Tage strahlend hervorholte. Obwohl dieses Taschenspielerstückchen regelmäßig vor drei bis vier Paar Augen verübt wurde, ist es uns weder gelungen, ihn dabei zu ertappen, noch konnten wir je, wenn er gegangen war, den Tabak wiederfinden. Das waren so die Späße und Unterhaltungen Onkel Parkers, eines Mannes von fast sechzig Jahren. Aber er wurde für alle seine Missetaten bestraft: meine Frau setzte es sich in den Kopf, ihn malen zu müssen, und die Leiden, die er während der Sitzungen ausstand, spotten jeder Beschreibung.

Dann erschienen noch drei Mädels aus dem Palaste, um unsere Wäsche zu waschen und mit Ah Fu Unsinn zu treiben. Sie waren von niedrigstem Range, Nichtstuerinnen, die man zur Bequemlichkeit der Handelskapitäne duldete, wahrscheinlich von plebejischer Abstammung, vermutlich sogar Ausländerinnen, ohne eine Spur von Verfeinerung in ihren Manieren oder ihrer Erscheinung, aber in ihrer Art ganz brauchbare, lustige Dirnen. Die eine nannten wir »Die Schneppe«, denn ihr Prototyp ist in den finstersten Vierteln jeder Großstadt zu finden: das gleiche magere, dunkeläugige, lebhafte, ordinäre Gesicht, das gleiche plötzliche, heisere, laute Lachen, das gleiche dreiste und doch ängstliche Benehmen, als schiele sie mit dem einen Auge ständig zum nächsten Polizisten hinüber; nur daß der hiesige Wachtmeister ein richtiger, lebendiger König und sein Gummiknüppel ein Gewehr war. Dagegen zweifle ich, ob man außerhalb dieser Gegend eine Parallele zu »Dickerchen« finden wird, denn auch hier trifft man nur selten ihresgleichen. »Dickerchen« war ein Berg von einem Mädchen, die ungefähr ebensoviel Stone Ein Stone = vierzehn englische Pfund. wiegen mußte, wie sie Sommer zählte, und die es ohne weiteres mit einem Gardegrenadier aufgenommen hätte, dabei das Gesicht eines Babys besaß und ihre ungeheuren Körperkräfte ausschließlich auf Spiel verwandte. Doch hatten alle drei das gleiche heitere Temperament. Unsere Wäsche wurde besorgt, während sie Haschen spielten; sie liefen und jagten einander, bespritzten und bewarfen sich, tummelten und wälzten sich im Sande und schrien und lachten dabei fortwährend wie eine Schar Kinder in den Ferien. Und kann man es ihnen verdenken? So sonderbar ihre Rollen in jenem strengen Institut sein mochten, in dem sie für gewöhnlich beschäftigt waren, hier waren sie endlich einmal auf einen Tag dem größten und züchtigsten Mädchenpensionat der ganzen Südsee entronnen.

Der fünfte unserer Dienstboten war kein geringerer als der königliche Koch. Er war an Gesicht und Figur ein auffallend schöner Bursche, faul wie ein Sklave und frech wie ein Fleischerjunge. Er schlief und rauchte auf unserem Grundstück in den verschiedensten, anmutigsten Posen, aber weit davon entfernt, Ah Fu zu helfen, nahm er sich nicht einmal die Mühe, ihm zuzusehen. Von ihm kann man getrost behaupten, daß er gekommen war, um zu lernen, und blieb, um anderen eine Lehre zu sein, und wahrlich, seine Lektionen waren schwer zu verdauen. So wurde er zum Beispiel weggeschickt, um einen Eimer am Brunnen mit Wasser zu füllen. Etwa auf halbem Wege traf er meine Frau, die damit beschäftigt war, ihre Zwiebeln zu begießen, tauschte die Gefäße mit ihr aus, ließ ihr den leeren Eimer da und kehrte mit dem vollen in die Küche zurück. Ein anderes Mal gab man ihm eine Schüssel Klöße für den König, erklärte ihm, daß sie heiß gegessen werden müßten und befahl ihm, sie so schnell wie möglich hinzutragen. Darauf fiel der Schuft hocherhobenen Hauptes und gigerlhaften Schritts in ein Tempo von etwa einer Meile in der Stunde. Das war zu viel. Meine seit einem Monat auf eine harte Probe gestellte Geduld riß. Ich rannte hinter ihm drein, packte ihn an seinen breiten Schultern, schob ihn vor mir her und lief mit ihm den Berg hinunter über den Sand und quer durch das Beifall klatschende Dorf bis zum Sprechhaus, wo der König gerade eine Versammlung hielt. Und der Kerl hatte noch die Unverschämtheit zu behaupten, ich hätte ihn innerlich verletzt und tat ernstlich besorgt um sein Leben!

Alles das ließen wir geduldig über uns ergehen, denn die Gepflogenheiten Tembinok's sind summarisch, und ich war noch nicht so weit, meine Hand zu des Burschen Tod zu leihen. Inzwischen aber rackerte sich mein unglücklicher Chinesenjunge für beide ab und erkrankte nach einer Weile. Jetzt befand ich mich in der Lage Cimondain Lantenacs sowie sämtlicher Charaktäre in Quatre-Vingts-Treize: ich mußte, um auch fernerhin den Schuldigen zu schonen, den Unschuldigen opfern. Natürlich wählte ich den üblichen Weg, suchte beide Teile zu schonen und erlitt ebenso natürlich eine Niederlage. Nach einer gründlichen Vorprobe begab ich mich nach dem Palast, wo ich den König allein fand, und traktierte ihn mit einer langatmigen Geschichte. Der Koch sei bereits zu alt, um zu lernen; ich fürchtete, er mache nicht die gewünschten Fortschritte; wie wäre es, wenn er mir statt dessen lieber einen Jungen gäbe? Jungen wären doch leichter anzulernen. Alles umsonst! Der König durchschaute meine Ausflüchte bis auf ihren Grund, erkannte, daß der Koch sich über die Maßen schlecht benommen hatte und saß eine Weile düster brütend da. »Ie glauben, eh wissen ssu viel,« sagte er endlich mit grimmiger Bestimmtheit und wandte das Gespräch sofort anderen Dingen zu. Noch am gleichen Tage erschien bei uns an Stelle des Kochs ein anderer höherer Beamter, der Hausmeister, der sich – zu seiner Ehre sei's gesagt – als höflich und fleißig entpuppte.

Kaum war ich gegangen, da rief der König, wie man mir erzählte, nach seinem Winchester und schlenderte auf die Palisade hinaus, wo er dem Schuldigen auflauerte. An jenem Tage trug Tembinok' Weiberkleidung; wahrscheinlich wurde sein Kostüm noch durch den Tropenhelm und die blaue Brille vervollständigt. Man stelle sich die in blendende Helle getauchten Sandhügel vor, die Zwergpalmen mit ihren mittäglichen Schatten, die lange Rampe, die Altweiberposten (jede an ihrem Feuer mit Syrupkochen beschäftigt) – und jene Chimäre, die mit der tödlichen Waffe in der Hand wartete. Kaum war der Koch in Schußweite gekommen, als diese Karrikatur eines Monarchen über den Kopf des anderen hinweg, vor dessen Füße und an beiden Seiten vorbei sechs Schüsse abfeuerte. Das war die zweite auf Apemama übliche Warnung von verhängnisvoller Bedeutung, denn das nächste Mal zielt seine Majestät, um zu treffen. Man sagte mir, der König wäre ein vollendeter Schütze; wenn er mit der Absicht, zu töten, zielt, kann das Grab getrost geschaufelt werden; zielt er aber hart an jemandem vorbei, so geschieht das so haarscharf, daß der Verbrecher sechsmal die Bitterkeit des Todes kostet. Ich hatte selbst Gelegenheit, die Wirkung auf den Koch zu beobachten. Meine Frau und ich kehrten von dem Meeresstrande zurück, als wir jemanden in raschestem, unregelmäßigen Tempo, halb laufend, halb gehend, auf uns zukommen sahen. Gleich darauf erkannten wir den Koch, völlig außer sich vor Aufregung, das übliche warme Mulattenbraun seines Gesichts in bläuliche Blässe verwandelt. Ohne ein Wort oder eine Bewegung, aber mit dem Gesichte eines Satans starrte er uns an, lief an uns vorüber und verschwand im Walde auf dem Wege nach dem unbevölkerten Teil der Insel und dem weiten, einsamen Strande, wo er ungesehen hin und her rasen und schäumend seine Wut, Furcht und Demütigung austoben konnte. Ohne Zweifel mischte sich in die Flüche, die er angesichts der tosenden Brandung und der tropischen Vögel ausstieß, nicht selten der Name des Kaupoi, des reichen Mannes. Ich hatte ihn in der Affäre mit den Klößen zum Gespött des Dorfes gemacht, hatte ihn durch meine Intrigen in Ungnade sowie in ernste Lebensgefahr gebracht, und schließlich hatte er mich, was für ihn vielleicht das Bitterste war, dort am Wege gesehen, wie ich ihn in der Stunde seiner Verzweiflung belauschte.

Die Tage verstrichen, und wir bekamen ihn nicht mehr zu Gesicht. Es war wieder einmal Vollmond, die Zeit, in der es einem wie eine Schande vorkommt, zu schlafen, und ich fuhr fort, bis spät in der Nacht – zwölf und ein Uhr morgens – auf dem hellen Sande und im Schatten der wehenden Palmen spazieren zu gehen. Während meiner Wanderungen spielte ich das Flageolett, wodurch ein großer Teil meiner Aufmerksamkeit gefesselt wurde; die Fächer zu meinen Häupten knarrten mit einem metallischen Geräusch im Winde, und ein nackter Fuß tritt auf jenem nachgiebigen Boden zu jeder Zeit fast lautlos auf. Als ich daher nach Äquatorstadt zurückkehrte, wo alle Lichter bereits gelöscht waren, und meine Frau (die noch wach lag und mich beobachtet hatte) sich erkundigte, wer denn der Mann gewesen wäre, der mir gefolgt sei, dachte ich zuerst, sie mache einen Scherz. »Keineswegs«, lautete ihre Antwort. »Ich sah ihn zweimal, während du vorübergingst, dicht auf deinen Fersen. Er verließ dich erst an der Ecke der Maniap' und muß noch hinter dem Kochhaus herumlungern.« Dorthin rannte ich also – Narr der ich war – ohne jede Waffe und befand mich plötzlich Aug in Auge dem Koch gegenüber. Er stand innerhalb meiner Tapulinie, was an sich schon Tod bedeutete; dort konnte er zu solcher Stunde, außer zum Morden oder Stehlen, nichts zu suchen haben. Allein das Schuldbewußtsein machte ihn feige, er drehte sich um und floh ohne ein Wort in die Nacht hinaus. Dabei versetzte ich ihm einen Puff an jene Stelle, mit der man sich die größten Ehren ersitzt, und er ließ ein mattes Quietschen wie eine verwundete Maus hören. In jenem Augenblick vermutete er wahrscheinlich, ich hätte ihn mit einer tödlichen Waffe berührt.

Was hatte der Mann hier zu suchen? Sonst habe ich immer gefunden, daß meine Musik das Publikum eher vertreibt als anlockt. Dilettant der ich war, konnte ich nicht annehmen, daß meine Wiedergabe des »Karnevals in Venedig« ihn reizte, oder daß er auf die natürliche Nachtruhe verzichtet hatte, um meinen Variationen des »Fröhlichen Landmanns« zu lauschen. Was immer auch sein Zweck war, unmöglich konnte man ihn des Nachts ungehindert um das Haus streichen lassen. Ein Wort an den König, und der Mann existierte nicht mehr, da sein Benehmen wirklich unverzeihlich war. Aber es ist ein ander Ding, einen Menschen selbst zu töten, als ihn hinter seinem Rücken zu denunzieren, um ihn von einem Dritten erschießen zu lassen. Ich beschloß daher, auf meine eigene Faust mit dem Kerl fertig zu werden, erzählte die Geschichte Ah Fu und bat ihn, mir den Koch zu bringen, wo immer er seiner habhaft werden könnte. Ich hatte dabei angenommen, daß dies mit einigen Schwierigkeiten verknüpft sein würde, doch, weit davon entfernt, erschien er plötzlich ungerufen: in Wahrheit eine Verzweiflungstat, denn sein Leben hing von meinem Schweigen ab, und das Beste, was er erhoffen konnte, war, daß ich ihn vergessen würde. Trotzdem trat er vollkommen selbstsicher auf, brachte weder eine Entschuldigung noch eine Erklärung vor, beklagte sich nur über die Verletzung, die er hätte erleiden müssen, und gab vor, nicht mehr sitzen zu können. Nun glaube ich wohl, daß ich der schwächste Mann bin, den der Herrgott je erschaffen hat; ich hatte ihn obendrein an die unverwundbarste Stelle seines Riesenkadavers getreten, hatte keine Schuhe angehabt und nicht einmal meinen Fuß verletzt. Ah Fu vermochte einen Heiterkeitsausbruch auch nicht zu unterdrücken. Ich meinerseits, der ich wußte, welche Angst der andere ausstehen mußte, konnte nicht umhin, in dieser Unverschämtheit eine Art von Tapferkeit zu sehen und bewunderte den Mann im stillen. Ich erklärte ihm daher, ich würde dem König nichts von dem nächtlichen Abenteuer erzählen und erlaubte ihm zwar, wenn er eine Botschaft auszurichten hätte, tagsüber den Grund innerhalb meiner Tapulinie zu betreten, drohte aber, wenn ich ihn nach Sonnenuntergang dort fände, ihn auf der Stelle niederzuknallen und zeigte ihm als Beweis meinen Revolver. Er muß sich unendlich erleichtert gefühlt haben, doch hütete er sich, das merken zu lassen, schlenderte im Gegenteil mit seiner üblichen, stutzerhaften Nonchalance davon und ward kaum mehr gesehen.

Diese Fünf allein, ausgenommen den an Stelle des Kochs beorderten Hausmeister, gingen bei uns aus und ein und waren unsere einzigen Besucher. Der Tapukreis hielt alle Dorfbewohner auf Armeslänge von uns fern. Und was »meine Pamili« betrifft, so hauste sie wie die Nonnen in ihren eigenen vier Wänden. Ein einziges Mal nur bin ich einer der Frauen, und zwar des Königs Schwester, an einem Orte begegnet, der wahrscheinlich ausnahmsweise für sie freigegeben war. Es war das Dorfhospital. Also wäre nur noch über den König selbst zu berichten. Dieser pflegte stets allein, kurz vor dem Essen, zu uns herüber zu spazieren, Platz zu nehmen, mitzuessen und sich wie ein alter Freund der Familie mit uns zu unterhalten. Bei diesen Gelegenheiten wollte es mir erscheinen, als gäbe es in der Etikette der Gilbertinseln hinsichtlich der Frage des Aufbrechens bei Gesellschaften eine Lücke. Man erinnert sich vielleicht, daß wir in diesem Punkte bereits mit Karaiti zusammengestoßen waren. Es lag etwas Kindisches und Störendes in Tembinoks abruptem »Ie jess Hause gehen wollen«, das stets von einem sprunghaften Aufstehen und einem ungeschminkten Rückzug gefolgt wurde. Das war aber auch der einzige Makel an seinen Manieren, die sonst stets schlicht, anständig, vernünftig und würdevoll waren. Niemals blieb er lange, nie trank er viel, und immer kopierte er unser Benehmen, sobald er sah, daß es in irgendeiner Beziehung von dem seinen abwich. So gewöhnte er es sich zum Beispiel sehr bald ab, mit dem Messer zu essen. Es war ganz klar, daß er beschlossen hatte, aus unserem Besuch in jeder Hinsicht, vornehmlich aber in Punkto Etikette, auch das kleinste Quäntchen Nutzen herauszupressen. Viel Kopfzerbrechen machte ihm der Rang seiner weißen Besucher; er pflegte einen Namen nach dem andern auf das Tapet zu bringen und zu fragen, ob der Betreffende ein »dlossah Häupling« oder überhaupt ein »Häupling« wäre, wodurch ich, da ich einige dieser Personen zu meinen sehr guten Freunden rechnete und keiner wirklich in Purpur geboren war, mitunter in einige Verlegenheit geriet. Daß man unsere verschiedenen Bevölkerungsklassen an ihrer Redeweise unterscheiden könne, machte auf ihn einen tiefen Eindruck, ebenso daß gewisse Worte (zum Beispiel) auf dem Achterdeck eines Kriegsschiffes tapu sind. Er bat mich deshalb auch, auf seine Rede zu achten und ihn zu korrigieren, allein wir waren, in der Lage ihm zu versichern, daß tatsächlich nichts zu verbessern wäre. Sein Wortschatz ist im Gegenteil erstaunlich treffend und reichhaltig. Der Himmel allein weiß, wo er ihn gesammelt hat, doch hat er dabei durch Instinkt oder Zufall alle profanen und gewöhnlichen Ausdrücke vermieden. »Verpflichten, erstochen, nagen, Portikus, Macht, Gesellschaft, schlank, glatt und wunderbar« sind einige der unerwarteten Worte, mit denen er seinen Jargon bereichert hat. Was ihn jedoch wohl am meisten entzückte, war die Neuigkeit, daß vor dem Achterdeck eines Kriegsschiffes salutiert wird. Seine Dankbarkeit für diesen Wink war geradezu überschwänglich. »Schonah Käp'n, eh mih niss sagen,« rief er, »ie glauben, eh niss wissen! Du wisen ssu viel; wissen Timah, Steamer., wissen Kiessiff. Iss glauben, du wissen alles.« Doch quälte er mich häufig genug mit seinen ewigen Fragen, und nicht selten gab der falsche »Kindermann« sich vor diesem Serenissimus eine arge Blöße. Ein solcher Fall ist mir besonders in der Erinnerung haften geblieben. Wir führten ihm die Laterna Magica vor. Unter anderem erschien auch ein Bild von Windsor Castle, und ich erklärte ihm, das wäre das Haus der Königin Victoria. »Wieviel Faden hoch?», lautete die Frage, und ich stand da, wie auf den Mund geschlagen. Hier sprach der Bauherr, der unermüdliche Architekt; trotz seiner Sammelwut sammelte er nur nützliche Kenntnisse, und seine Fragen verfolgten alle einen Zweck. Nach den Etikettefragen interessierte er sich in der Hauptsache für Regierungspolitik, Gesetze, Polizei, Geldwesen und Medizin, alles Dinge, die für ihn als König und Vater seines Volkes von größter Wichtigkeit waren. Meine Pflicht war es, ihn nicht nur mit neuen Informationen zu versorgen, sondern auch die alten zu korrigieren. »Mein Patah, eh mih sagen«,– oder »Weiße Mann, eh mih sagen« – so lautete unfehlbar der Anfang, und dann – »Du glauben, eh lügen?« – Manchmal glaubte ich es in der Tat. Einmal trat Tembinok mit einem Problem an mich heran, das ich anfangs gar nicht begreifen konnte. Der Kapitän eines Schoners hatte ihm einmal von Kapitän Cook erzählt; der König hatte sich sehr für die Geschichte interessiert und wandte sich, zwecks näherer Information, nicht an Stephens Diktionär, nicht an die Encyclopedia Britannica – sondern an die Bibel der Gilbertinseln (die in der Hauptsache aus dem Neuen Testament und den Psalmen besteht). In ihr forschte er lange und gewissenhaft; Paulus fand er und Festus und Alexander, den Kupferschmied: aber kein Wort von Cook. Die Schlußfolgerung lag auf der Hand: der große Entdecker war ein Mythos. So schwer ist es für einen Mann selbst von so ausgesprochener Begabung wie Tembinok, die Ideen einer neuen Gesellschaft und Kultur zu erfassen.


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