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Fünftes Kapitel. Die Geschichte eines Tapus – Fortsetzung

Dienstag, den 16. Juli – Gestern Nacht regnete es, plötzlich und heftig, nach Gilbertinsel-Manier. Noch vor Morgengrauen weckte mich ein Hahnenschrei, und ich wanderte auf unserem Grundstück und in den Straßen umher. Das schlechte Wetter war vorüber, der Mond schien unvergleichlich hell, und doch rauschte die ganze Insel wie bei einem starken Regen. Von den Blättern fielen dicke Tropfen, die hohen Palmen ließen in längeren Zwischenräumen schwere und laute Schauer niederrieseln. In dieser kühnen nächtlichen Beleuchtung lag das Innere der Häuser in undurchdringlicher Finsternis, als einheitlich schwarze Masse, da; nur dort, wo der Mond sich unter die Dächer stahl, schuf er einen silbernen Gürtel und malte die schrägen Schatten der Türpfosten auf den Fußboden. Nirgendwo in der ganzen Stadt sah man Feuerschein oder eine Lampe; weder Mensch, noch Tier rührten sich; ich dachte, ich sei der einzige, der wach wäre, doch die Polizei war pflichttreu auf ihrem Posten, heimlich wachsam zählte sie die Stunden, und kurz danach läutete der Wachmann wiederholt und vernehmlich die Glocke der Kathedrale; es war vier Uhr, das Wecksignal ertönte. Seltsam, daß in dieser Stadt der Trunkenheit und des Aufruhrs Abend- und Morgenläuten erklangen und so ruhig befolgt wurden.

Der Tag kam und brachte wenig Neues. Der Ort lag immer noch schweigend da; die Bevölkerung schlief, es schlief die Stadt. Selbst die wenigen Menschen, die munter waren, meist Frauen und Kinder, bewahrten das Schweigen und hielten sich in dem tiefen Schatten der Dächer auf, so daß man stehenbleiben und sich bücken mußte, um sie zu sehen. Durch die leeren Straßen, vorbei an den schlafenden Häusern, wand sich in den frühen Morgenstunden eine Deputation auf dem Wege nach dem Palast; der König wurde unsanft aufgeweckt und mußte (wahrscheinlich mit einem Kater) unschmackhafte Wahrheiten anhören. Mrs. Rick diente bei diesem Anlaß als Wortführerin, da sie der schwierigen Sprache mächtig war. Sie setzte dem leidenden Monarchen auseinander, daß ich ein intimer Freund der Königin Viktoria sei, daß ich ihr sogleich nach meiner Rückkehr einen Bericht über Butaritari abstatten würde und daß, falls wiederum die Einheimischen mein Haus belagern sollten, sofort ein Kriegsschiff erscheinen würde, um Repressalien zu ergreifen. Das beruhte ja nun kaum auf Wahrheit, es war nur eine genaue, notwendige Parallele zur Wahrheit, ein wenig nach den Breitengraden zurechtgestutzt, aber sie verfehlte nicht ihre Wirkung auf den König. Er war tief bewegt; von jeher, meinte er, hätte er den Eindruck gehabt, daß ich ein Mann von Bedeutung sei, aber daß es so schlimm wäre, hätte er doch nicht gedacht, und dann wurde das Missionshaus bei einer Geldstrafe von fünfzig Dollars unter Tapu gestellt.

Das war alles, was wir nach der Rückkehr der Deputation erfuhren, und erst nachher entdeckte ich, daß sich wesentlich mehr ereignet hatte. Der uns gewährte Schutz war hochwillkommen. Es war ungemein peinlich und nicht das mindest Aufregende des ganzen Tages gewesen, unser Haus vorübergehend von Eingeborenen erfüllt zu sehen, die, zwanzig und dreißig an der Zahl, um Schnaps bettelten, unsere Sachen betasteten und schwer hinauszuwerfen waren, ja, mit denen wir uns obendrein nicht einmal gut zanken konnten. Der Königin Viktoria Freund (der sehr bald zu ihrem Sohn avancierte) blieb von diesen Belästigungen verschont. Nicht nur unser Haus, nein, unsere ganze Nachbarschaft wurde in Ruhe gelassen; selbst auf unseren Spaziergängen wurden wir behütet und mit Aufmerksamkeiten umgeben, und gleich hochgestellten Persönlichkeiten auf einem Krankenhausbesuch bekamen wir überall nur die Lichtseiten zusehen. Wohl eine Woche lang ließ man uns so in einem Narrenparadies in der trügerischen Annahme umhergehen, daß der König Wort gehalten und das Tapu von neuem verhängt hätte, und daß die Insel wieder nüchtern wäre.

Dienstag, den 23. Juli. – Wir aßen in einer kahlen Laube zu Abend, die eigens für den vierten Juli errichtet worden war; hier pflegten wir auch im Lampenlicht bei unserem Kaffee und Tabak zu verweilen. In jenen Gegenden kommt der Abend ohne jede unangenehme Kühle; der Wind legt sich noch vor Sonnenuntergang, eine Weile ist der Himmel hell und voller Farben, dann verblaßt er und verdunkelt sich zu der Bläue der tropischen Nacht; rasch und unmerklich verdichten sich die Schatten, die Sterne vervielfältigen ihre Zahl; man blickt sich um – der Tag ist hinüber. Dann sahen wir unseren Chinesen durch den Garten in einem schwanken Lichtschimmer, der von seinem Schatten zerrissen wurde, auf uns zukommen, und mit der sich nahenden Lampe senkte sich auch die Nacht auf unseren Tisch. Die Gesichter der Anwesenden, die Stäbe der Laube hoben sich scharf und hell gegen den Hintergrund aus Blau und Silber ab, auf dem wie eine matte Zeichnung die Palmwipfel und die spitzen Dächer der Häuser schimmerten. Hier und dort glänzte ein samtenes Blatt oder die Bruchfläche eines Steines wie vereinzelte kleine Sterne. Alles andere zerfloß in nichts. So schwebten wir, gleich einem leuchtenden Sternbild, im leeren Raum; deutlich sichtbar, aber selber geblendet saßen wir in der dichten, hinterhältigen Finsternis, und die Insulaner, die leichten Schrittes und leise redend auf dem sandigen Weg vorüberzogen, blieben eine Welle stehen, um uns ungesehen zu beobachten.

Eben hatte man die Lampe auf den Tisch gestellt, als ein Wurfgeschoß mit dumpfem Schlag gegen den Tisch prallte und dann dicht an meinem Ohr vorüberfuhr. Drei Zoll seitwärts, und diese Seiten wären nie geschrieben worden, denn das Ding hatte den Schwung einer Kanonenkugel. Wir nahmen an, daß es eine Kokosnuß war, aber selbst damals schon schien es mir dafür zu klein, und seine Art zu fallen war etwas sonderbar.

Mittwoch, den 24. Juli. – Wieder einmal war es dämmrig geworden und man hatte die Lampe gebracht, als der gleiche Vorgang sich wiederholte. Wieder sauste das Wurfgeschoß an meinem Ohr vorbei. Eine Nuß hatte ich noch hingenommen; eine zweite weigerte ich mich, stillschweigend zu akzeptieren. Eine Kokosnuß pflegt nicht an windstillen Abenden in einem Winkel von fünfzehn Grad zum Horizont durch die Luft zu schwirren; Kokosnüsse fallen auch nicht an zwei Nächten hintereinander zu genau der gleichen Stunde und am gleichen Ort. In beiden Fällen schien man eine bestimmte Zeit gewählt zu haben: in dem Augenblick, in dem man uns die Lampe brachte, war eine ganz bestimmte Person, nämlich das Oberhaupt der Familie, bedroht worden. Ich mag mich geirrt haben, aber ich hielt das Geschoß für einen Stein, den man geschleudert hatte, nicht um zu treffen, sondern um uns einzuschüchtern.

Nichts bringt aber einen Menschen mehr auf als dieser Gedanke. Ich lief auf die Straße, wo die Bevölkerung ganz wie gewöhnlich auf ihrer Abendpromenade war; Maka gesellte sich mit einer Laterne zu mir, und ich rannte von einem zum anderen, leuchtete in gänzlich unschuldige Gesichter, stellte unnütze Fragen und stieß eitle Drohungen aus. Von dort trug ich meinen Zorn (der wahrhaftig jedes Königssohns würdig gewesen wäre) zu Ricks. Sie hörten mich bedrückt an, versicherten mir, dieser Trick, einen Stein in einen harmlosen Familienkreis zu schleudern, wäre durchaus nicht neu und daß es das Zeichen kommender Unruhen und ein Ausdruck der gefährlichen Stimmung wäre, die unter den Eingeborenen herrschte. Und dann kam die Wahrheit heraus, die man uns so lange verborgen hatte. Der König hatte sein Versprechen gebrochen; das Tapu war immer noch aufgehoben. »The Land we Live in« verkaufte unentwegt Spirituosen, und jenes Stadtviertel war fortgesetzt von Unruhen bedroht. Schlimmeres jedoch stand noch bevor. Man war im Begriff, zur Feier des Geburtstages der kleinen Prinzessin ein Fest zu veranstalten, täglich erwartete man die Ankunft der Vasallenhäuptlinge aus Klein-Makin. Stark, dank ihrer zahlreichen und wilden Gefolgschaft, standen sie allesamt in dem Ruf, wie früher in Schottland jener Douglas, keine sehr treuen Lehnsmänner zu sein. Kuma (ein kleiner dickbäuchiger Kerl) ging niemals in den Palast, betrat überhaupt nicht die Stadt, sondern pflegte sich am Strande auf eine Matte hinzupflanzen, und, die Büchse über den Knien, öffentlich sein Mißtrauen und seine Verachtung zu bekunden. Karaiti aus Makin sollte, obwohl er mehr Mut zeigte, auch nicht zuverlässiger sein, und nicht nur die beiden Vasallen waren eifersüchtig auf den Thron, auch die beiderseitigen Anhänger teilten diese Feindschaft. Zank und Streit war schon früher ausgebrochen; es war zu Schlägereien gekommen, die jederzeit mit Blut heimgezahlt werden konnten. Einige der Gäste waren bereits am Ort und hatten sich schon betrunken; falls die Orgie noch anhielt, wenn erst die Hauptmasse kam, war ein Zusammenstoß, vielleicht auch eine Revolution, mit Sicherheit zu erwarten.

Der Verkauf von Spirituosen auf dieser Inselgruppe entspringt der zwischen den Händlern herrschenden Eifersucht. Einer fängt damit an, der andere muß es ihm nachmachen, und wer den meisten Gin hat, schenkt ihn am freigiebigsten aus und erhält auch den Löwenanteil an Kopra. Alle sind sich indes einig, daß das Mittel ein verzweifeltes ist und weder sicher, noch anständig, noch der Weißen würdig. Ein Händler aus Tarawa kaufte einst, durch hitzigen Konkurrenzeifer angetrieben, eine große Menge Gin. Die Folge war, erzählte er, er hätte Tag und Nacht zu Hause sitzen müssen und nicht gewagt, den Verkauf einzustellen und sich aus Furcht vor einer heulenden Menge sternhagelbetrunkener Menschen, die im Busch ihren Rausch austobte, nicht eher herausgetraut, ehe nicht der ganze Schnaps ausgetrunken war. Besonders des Nachts, wenn er aus Furcht nicht schlafen konnte, und Schüsse sowie Stimmen aus der Dunkelheit zu ihm hinaufklangen, hätte ihn finsterste Reue gepackt.

»Mein Gott,« überlegte er, »wenn ich durch eine so elende Sache ums Leben käme!« Wieder und immer wieder haben sich in der Geschichte der Gilbertinseln diese Szenen wiederholt, und der reuige Händler saß neben seiner Lampe, horchte angsterfüllt auf die Tritte des Todes, erwartete sehnlichst den Morgen und faßte die besten Vorsätze für die Zukunft. Denn das Geschäft läßt sich zwar leicht anfangen, aber nur schwer abbrechen. Die Eingeborenen sind in ihrer Art ein Gerechtigkeit liebendes, die Gesetze respektierendes Volk, gewissenhaft im Bezahlen ihrer Schulden, gehorsam gegenüber ihren eigenen Behörden. Wird das Tapu wieder verhängt, so hören sie mit Trinken auf, der Weiße jedoch, der diesem Verbot durch Verweigerung des Ausschanks vorzugreifen sucht, tut das bei Gefahr seines Lebens.

Daher die Sorge und bis zum gewissen Grade auch die Machtlosigkeit Mr. Ricks. Er und Tom hatten nach dem Auflauf vor dem Sanssouci den Verkauf eingestellt; sie hatten das ohne Gefahr tun können, da ja »The Land we Live in« den Ausschank fortsetzte; außerdem behauptete man, sie hätten zuerst damit angefangen. Was sollten sie jetzt tun? Sollte Mr. Ricks Mr. Muller aufsuchen (mit dem er kaum auf Grußfuß stand) und ihn etwa folgendermaßen anreden: »Ich war nahe daran, das Rennen zu gewinnen, jetzt sind Sie mir voraus, und ich bitte Sie, auf Ihren Prosit zu verzichten. Ich habe mein Lokal dank der Tatsache, daß Sie das Geschäft fortführten, in Sicherheit schließen können; ich bin aber jetzt der Ansicht, daß Sie die Sache lang genug betrieben haben. Ich fange an, mich zu fürchten, und weil ich Angst habe, bitte ich Sie, sieh einer gewissen Gefahr auszusetzen?« – Daran war nicht zu denken. Man mußte einen anderen Ausweg finden; einen einzigen Menschen gab es am anderen Ende der Stadt, der keinesfalls an Kopra interessiert war. Sonst sprach für meine Eignung als Unterhändler wenig zu meinen Gunsten. Ich war mit dem Wightmannschen Schoner angekommen, ich wohnte auf dem Wightmannschen Grundstück, ich verkehrte täglich in dem Wightmannschen Kreise. Es war an sieh eine Anmaßung, wenn ich mich jetzt unaufgefordert in die Geschäftsangelegenheiten des Crawfordschen Agenten einmischte und ihn überreden wollte, seine Interessen zu opfern und sein Leben aufs Spiel zu setzen. Es war kein schöner Ausweg, doch es gab keinen besseren; seit der Affäre mit dem Stein war ich außerdem selbst scharf darauf erpicht, die Sache zu Ende zu führen, der Gedanke an eine delikate Mission reizte mich, und ich hielt es für klug, mich öffentlich zu zeigen.

Die Nacht war sehr dunkel. In der Kirche war Gottesdienst, die Kerzen schimmerten matt durch die Ritzen des Gebäudes. Sonst waren wenig Lichter zu sehen, doch fühlte ich im Dunkeln ganz genau das Kommen und Gehen zahlreicher Menschen und vernahm ein Gesumm und Gezisch von Stimmen, das heimtückisch klang. Ich glaube wohl, daß ich, um eine alte Redensart zu gebrauchen, mit dem Barte auf dem Rücken weiterging. Bei Mullers brannte noch Licht, doch herrschte überall Ruhe, und das Tor war geschlossen. Auf keine Weise vermochte ich den Riegel fortzuschieben. Kein Wunder, denn wie ich später entdeckte, war er vier bis fünf Fuß lang – an sich schon ein reines Befestigungswerk. Während ich noch daran herumprobierte, näherte sich von innen her ein Hund dem Tore und begann mißtrauisch meine Hände zu beschnüffeln, so daß ich gezwungen war: »Heda Hausbewohner!« zu rufen. Darauf erschien Mr. Mullers Kinn über dem Zaun. »Wer ist da?« fragte er wie einer, der nicht die geringste Lust hat, Fremde zu begrüßen.

»Mein Name ist Stevenson«, sagte ich.

»Ach, Mr. Stevens! Ich hatte Sie nicht erkannt. Kommen Sie herein.«

Wir betraten den finsteren Laden, wo ich mich gegen den Ladentisch und er sich gegen die Wand lehnte Alles Licht, das wir hatten, kam aus dem Schlafzimmer, wo, wie ich sah, die Familie zu Bett gebracht wurde. Der Schein fiel gerade auf mein Gesicht, während Mr. Muller im Schatten blieb. Ohne Zweifel sah er voraus, was kommen sollte und suchte eine möglichst vorteilhafte Stellung einzunehmen; doch war die meinige für einen Menschen, der nur seine Überredungskünste spielen lassen will und nichts zu verbergen hat, vorzuziehen.

»Hören Sie mal,« begann ich, »ich höre, Sie verkaufen den Eingeborenen Schnaps.«

»Das haben andere vor mir auch schon getan«, entgegnete er mit Betonung.

»Ohne Zweifel,« sagte ich, »mich geht aber nicht die Vergangenheit, sondern lediglich die Zukunft an. Ich möchte mir Ihr Versprechen einholen, daß Sie mit dem Alkohol vorsichtig umgehen werden.«

»Was haben Sie daran für ein Interesse?« fragte er höhnisch. »Haben Sie Angst um Ihr Leben?«

»Das tut hier nichts zur Sache«, entgegnete ich. »Ich weiß und Sie wissen es, daß von rechtswegen überhaupt kein Alkohol verkauft werden dürfte.«

»Tom und Mr. Ricks haben ihn schon früher verkauft.«

»Ich habe mit Tom und Mr. Ricks nichts zu schaffen. Ich weiß nur, daß sich jetzt beide geweigert haben.«

»Nein, wahrscheinlich haben Sie wirklich nichts mit ihnen zu schaffen. Wahrscheinlich haben Sie nur Angst um ihr Leben.«

»Hören Sie mal,« rief ich, jetzt in der Tat ein wenig aufgebracht, »Sie wissen im Grunde ihres Herzens ganz genau, daß ich ein absolut vernünftiges Verlangen stelle. Ich will gar nicht, daß Sie von ihrem Profit was einbüßen – obwohl ich natürlich vorziehen würde, wenn es überhaupt keinen Alkohol hier am Orte gäbe, wie Sie vermutlich auch – –«

»Ich sage ja gar nicht, daß ich es nicht auch lieber möchte. Ich habe damit nicht angefangen.«

»Sie haben wahrscheinlich damit nicht angefangen«, antwortete ich. »Und ich verlange ja auch gar nicht von Ihnen, daß Sie dabei verlieren sollen; ich bitte Sie nur als Mann zu Mann um ihr Wort, daß Sie keinen Eingeborenen betrunken machen werden.« Bis jetzt hatte Mr. Muller eine Haltung angenommen, die meine Selbstbeherrschung auf eine harte Probe stellte; aber er hatte sie nur mit Anstrengung aufrecht erhalten können, da er gefühlsmäßig ganz auf meiner Seite stand, und jetzt bezog er eine noch viel unhaltbarere Position. »Ich bin es ja gar nicht, der ihn verkauft«, meinte er.

»Nein, der Nigger ist es«, stimmte ich ihm zu. »Aber er ist vollkommen in Ihrer Hand; Sie halten ihn zwischen Daumen und Zeigefinger, und ich bitte Sie – es handelt sich doch um Frauen – sich Ihrer Macht zu bedienen.« Er beeilte sich, seinen alten Standpunkt wieder einzunehmen. »Ich leugne gar nicht, daß ich es könnte, wenn ich es wollte«, sagte er. »Aber es besteht ja gar keine Gefahr, die Eingeborenen sind doch ganz ruhig. Sie haben einfach Angst um Ihr Leben.«

Nun liebe ich es gar nicht, wenn man mich einen Feigling nennt, daher verlor ich auch den Rest meiner guten Laune und stellte ihm ein unzeitgemäßes Ultimatum. »Erklären Sie sich bitte deutlicher«, rief ich. »Soll das heißen, daß Sie mir meine Bitte verweigern?« »Ich will sie weder verweigern noch erfüllen«, lautete die Antwort.

»Sie werden sehr bald einsehen, daß Sie sich für das eine oder das andere entscheiden müssen!« rief ich, und dann in einen richtigeren Ton fallend: »Kommen Sie, Sie sind ja ein viel besserer Kerl, als Sie sich den Anschein geben. Ich sehe schon, woran Sie sich stoßen – Sie denken, ich komme aus dem anderen Lager. Ich sehe, was für eine Art Mensch Sie find, und Sie wissen selbst ganz genau, daß ich Sie nur um das bitte, was recht ist.«

Wieder wechselte er die Stellung. »Wenn die Eingeborenen erst einmal was zu trinken haben, ist es gefährlich, ihnen plötzlich nichts mehr zu geben.«

»Ich verbürge mich für die Bar«, antwortete ich. »Wir sind drei Mann und haben vier Revolver; auf ein Wort von Ihnen sind wir an Ort und Stelle und werden den Platz gegen das ganze Dorf halten.«

»Sie wissen gar nicht, wovon Sie reden; das ist viel zu gefährlich!« rief er.

»Hören Sie mal,« sagte ich, »mir ist es ziemlich gleichgültig, ob ich das Leben verliere, von dem Sie so viel Wesens machen; aber ich will es nun mal auf meine Weise verlieren, und zwar indem ich dieser ganzen Schweinerei ein Ende mache.«

Eine Weile sprach er noch von seinen Verpflichtungen gegenüber der Firma; ich hörte aber gar nicht darauf, denn ich war meines Sieges sicher. Er wartete nur auf eine günstige Gelegenheit, um zu kapitulieren und sah sich nach einem Mittel um, die Spannung zu erleichtern. In dem Lichtstrahl, der aus der Schlafzimmertür drang, entdeckte ich auf dem Schreibpult seine Zigarrentasche. »Die sehen gut aus«, sagte ich.

»Wollen Sie nicht eine nehmen?« fragte er.

Ich nahm eine und bat ihn um Feuer. »Also«, sagte ich, »versprechen Sie's mir.«

»Ich verspreche Ihnen, daß Sie mit den Eingeborenen, die hier in meinem Lokal zu trinken bekommen haben, keine Scherereien haben sollen«, entgegnete er. »Das genügt mir«, sagte ich und bewies auf der Stelle, daß es mir nicht genug war, indem ich ihn bat, einmal seinen Schnaps probieren zu dürfen.

Damit war der kritische Teil unseres Interviews zu Ende. Mr. Muller hatte aufgehört, mich als einen Abgesandten seines Konkurrenten zu betrachten, ließ daher seine aggressive Haltung fallen und redete, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Ich verstand, daß er schon längst von sich aus den Verkauf eingestellt haben würde, wenn er es nur gewagt hätte. Da er aber nicht allein den Mut dazu gehabt hatte, lehnte er sich begreiflicherweise gegen die Einmischung derer auf, die (wie er mir selbst erklärte) ihn zuerst zum Verkauf getrieben hatten, nur um ihn dann im Stich zulassen und ihn jetzt (nachdem sie in Sicherheit waren) in neue Fährnisse zu stürzen, die ihnen wohl nützen, ihm aber nur schaden konnten. Ich fragte ihn, wie er über die Gefahr dächte, die das Fest mit sich brächte.

»Sie ist bedenklicher als Sie alle glauben«, antwortete er. »Gestern abend veranstalteten sie hier in der Gegend Schießübungen, ich habe die Kugeln selbst pfeifen hören. Da sagte ich zu mir: »Die Sache ist faul.« Was mich so wundert, ist, daß Sie sich an Ihrem Ende der Stadt darüber aufregen. Ich wäre doch der erste, der dran glauben müßte.«

Seine Verwunderung war etwas kurzsichtig. Der Trost als zweiter draufzugehen, ist nicht gerade sehr groß; auf die Tatsache selbst, nicht aus die Reihenfolge kam es an. Scott erzählt irgendwo, man hätte dem Kampfe selbst mit einem Gefühl entgegengesehen, »das an Freude grenzte.« Diese Ähnlichkeit scheint mir direkt eine Übereinstimmung zu sein. Im modernen Leben gibt es keine Erwartung mehr. Man bekommt das endlose Manövrieren bald satt; den Tatsachen zu Leibe zu rücken, einen Vorteil, selbst unter Eingehen eines angemessenen Risikos auszunutzen, uns selbst einmal auf die Probe zu stellen, bringt das Blut angenehm in Wallung. Wenigstens war das bei meiner Familie der Fall, die sich samt und sonders auf einen Zusammenstoß freute. Wie die Schulbuben saßen wir bis tief in die Nacht hinein, putzten unsere Revolver und schmiedeten Pläne für morgen. Es versprach ein arbeitsamer, ereignisreicher Tag zu werden. Die Alten sollten vor uns zitiert werden, um mit mir über die Tapufrage zu verhandeln; jeden Augenblick konnte Muller uns rufen, um seine Bar zu verteidigen, und falls er versagen sollte, beschlossen wir im Familienrat, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, »The Land we Live in« mit geladenen Revolvern zu erobern und dem gesprächigen Williams ein Tänzchen aufzuführen. So wie mir unsere Stimmung von damals in Erinnerung steht, wäre es dem Mulatten, glaube ich, nicht sehr gut bekommen.

Mittwoch, den 24. Juli. – Es war gut und dennoch eine Enttäuschung, daß diese Gewitterwolken vorüberzogen, ohne sich zu entladen. Ob die Alten nun vor einer Unterredung mit dem Sohne der Königin Victoria zurückschreckten, ob Muller heimlich den Zwischenhändler spielte oder ob der König aus Furcht wegen der Nahe des kommenden Festes das Verbot erließ: Tatsache ist, daß das Tapu früh am nächsten Morgen neu verhängt wurde. Und zwar keinen Tag zu früh, wenn man die schwer beladenen Boote ankommen sah und beobachtete, wie die Stadt sich mit den grobschlächtigen, rüpelhaften Vasallen Karaitis füllte.

Die Wirkung dieser Ereignisse blieb eine ganze Weile im Gedächtnis der Händler haften; unter einstimmigem Beifall aller Anwesenden half ich, eine Petition an die Vereinigten Staaten aufzusetzen mit der Bitte, daß ein Gesetz gegen den Schnapshandel auf den Gilbertinseln erlassen werden mochte, und auf allgemeines Ersuchen hin fügte ich in meinem eigenen Namen einen kurzen Bericht der Ereignisse hinzu; – verlorene Liebesmüh, denn das Ganze ruht, wahrscheinlich ungelesen, ja, vielleicht sogar uneröffnet in irgendeinem Aktenfach zu Washington.

Sonntag, den 28. Juli. – Heute erlebten wir das Nachspiel zu der Orgie. Der König und die Königin in europäischer Kleidung wohnten, gefolgt von ihrer bewaffneten Garde, zum ersten Male dem Gottesdienste bei und thronten in etwas zweifelhafter Würde unter dem Faßreifen. Vor Beginn der Predigt kletterte Seine Majestät von dem Podium herunter, faßte in etwas schiefer Haltung auf dem Kiesboden Posto und schwor in wenigen Worten dem Trunke ab. Die Königin folgte mit einer noch kürzeren Ansprache. Dann wurden nacheinander sämtliche anwesenden Männer aufgefordert; ein jeder erhob seine Rechte, und die Sache war erledigt – Thron und Kirche hatten sich wieder versöhnt.


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