Ludwig Steub
Mein Leben
Ludwig Steub

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Allmählich schlich sich auch eine andre Beschäftigung ein, die mir aber bald sehr lästig wurde. Die Regentschaft hatte nämlich im Jahre 1833 allerdings zwei junge bayerische Hellenisten als Dolmetscher mitgenommen, allein diese waren, wie schon erwähnt, nach Jahr und Tag wieder nach Hause gegangen und ihre Stellen nicht besetzt worden. Nun gab aber der Graf mit rühmlicher Geduld alle zwei drei Tage seine Audienzen für Hellenen und Helleninnen und dazu ließ er denn abwechselnd mich oder einen zweiten jungen Bayern, der des Griechischen mächtig war, aus der Kanzlei herüberholen. Ich protestirte gegen diese Dienstleistung, als sie regelmäßig wiederzukehren begann, weil ich nicht dafür engagirt sei und sie mir eine unbelohnte Last auflege, allein im treffenden Augenblick konnte ich doch meinen Vorstand nicht ohne Hilfe lassen, und so schleppte sich denn das Verhältniß bis zu meinem Abgange fort. Uebrigens traten oft beträchtliche Pausen ein, da der Graf mitunter wochenlang seiner Gesundheit halber auf dem Lande lebte. Dieser Dienst nun bot allerdings die angenehme Gelegenheit, alle griechischen Dialecte vom Olympus bis zum Taygetus hinunter zu hören und dem ganzen griechischen Heroenthum, den alten Klephten, den Kapitanis und den Palikaren, den Kolokotronis, Grivas, Plaputas, dem Petrobei von Maina und so vielen anderen Häuptlingen in's Auge zu sehen, aber es war sehr unangenehm, daß die Vorsprechenden – die Elite ausgenommen – nach orientalischer Art Einfluß und Macht des Dragomans bedeutend überschätzten und alle Mühe daran setzten, ihn möglichst tief in ihre Angelegenheiten einzuweihen und für sich zu gewinnen. Diese Behelligungen begannen schon im Vorzimmer und wenn ich die Hilfesuchenden da los geworden, erschienen sie auf meiner Stube, blieben Stunden lang plaudernd vor mir sitzen – den bessern Leuten wurden Kaffee und Pfeifen gereicht – überfielen mich dann auf den Gassen, auf dem Spaziergang, beim Abendessen, behaupteten, mich nicht ganz verstanden zu haben, und ließen sich meine Worte nochmals auslegen. Einige fragten alle Tage nach, ob der Präsident nicht von ihnen gesprochen, ob ich ihn an sie erinnert und was sie wohl zu hoffen hätten. Das Elend war allerdings groß im Lande, eine bedeutende Anzahl verdienter und unverdienter Helden verlangten Stellung und Gehalt, eine Menge armer Wittwen flehten mit ihren Kindern um Unterstützung. Aber die Mittel waren sehr gering, und in den allermeisten Fallen hatte der Präsident nur den einen Trost zu geben: Es wird geschehen, was die Gerechtigkeit erfordert und die Umstände erlauben. Diese Botschaft hatte ich unzählige Male zu verkünden und lautet dieselbe griechisch: ϑὰ γείνῃ ὅτι ἀπαιτεῖ ἡ δικαιοσύνη καί ὅτι συγχωροῦν αἱ περιστάσεις

Nicht zu vergessen, daß wir noch vor Ende des Jahres mit dem Könige und der hohen Regentschaft nach Athen übersiedelten. Wir andern wurden auf ein hydräisches Schiff geladen und Männlein und Weiblein wie die Kulis ins Zwischendeck gestampft, wir hatten aber guten Wind und sahen andern Tages schon den Piräeus, die Akropolis und den Parthenon vor uns liegen. O du schöne Zeit! So war denn die Stunde da, to behold the scenes my earliest dreams had dwelt upon!

In Athen standen damals nebst vielen uralten byzantinischen Kirchen etwa hundertsechzig neue Häuser auf einer sanft ansteigenden Fläche, aber mitten in einem weiten Ruinenfelde. Unter Ruinen darf man sich jedoch nicht jene malerischen Trümmer alter Burgen denken, wie sie auf den Felsen am Rheinstrom oder in den Alpen prangen, sondern die Ruinen von Athen waren nur die letzten Ueberbleibsel der dünnen Lehmwände, welche einst ein Dach getragen und die unglücklichen Athener beherbergt hatten. Sie reichten ein paar Spannen über den Boden empor, selten höher, und dienten zu gar nichts mehr, als mit ihren Linien den Grundplan der früheren Stadt anzudeuten.

Das Leben in Athen wurde bald sehr angenehm. Unter Tags hatte ich zu thun und für die Stunden der Rast und der Erquickung fand sich immer heitere Gesellschaft. Das Abendessen wurde, da die wenigsten der Deutschen verheirathet waren, immer gemeinschaftlich in einem der griechischen Gasthöfe eingenommen, war immer stark besucht, und da es täglich etwas Neues gab, so wurde viel geplaudert und disptutirt. Das war aber noch nicht die rechte Höhe, sondern wenn der Geist über uns kam, gingen wir nicht allzuselten zu Herrn Iographos, dem Malvasier, welcher den so benannten trefflichen Wein, der auf der Insel Tinos wächst, uns um billiges Entgelt vorsetzte. Dahin kamen auch gebildete junge Griechen, mit denen wir Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ihres schönen Vaterlandes nach unserer Einsicht oft in Ernst und Scherz erörterten. Auch deutsche Lieder erschollen da oft, wenn auch aus etwas rauhen Kehlen. Aus diesem poetischen Winkel gingen wir nicht selten in seliger Trunkenheit nach Hause, kehrten aber am andern Morgen, wie der Harmlos in unserem englischen Garten mahnt, »neugestärkt zu jeder Pflicht zurück.« Mitunter zogen wir auch singend durch die Straßen der Hauptstadt und brachten da und dort ein Ständchen, doch Alles mit so viel Anstand, daß sich Niemand beschweren konnte. Wir waren eben Alle jung und frisch und das war so unsere »lustige Zeit«.

Im Winter ging's besonders hoch her. Da rauschte jede Woche wenigstens ein vornehmer Ball vorüber, bald bei dem Präsidenten, bald bei dem oder jenem Gesandten. Dazu wurden nun die jungen Herren der Regentschaft immer geladen und stand ihnen frei, mit Aspasiens Enkelinnen zu tanzen oder mit den anderen Huldinnen, die der Zufall aus Konstantinopel, aus Italien, aus England da zusammengeschneit. Uns galten als die ersten und glänzendsten Sterne die beiden ältern Töchter des Grafen Armansperg, Louise und Sophie, zwei vielbewunderte Erscheinungen, hochgebildet, sprachenkundig, von den anmuthigsten Manieren und den schönsten Formen. Sie vermählten sich noch in diesem Jahre mit zwei Brüdern, den jungen Fürsten Kantakuzenos. Die herrliche Louise unternahm mit ihrem Gatten eine Hochzeitsreise nach Konstantinopel, erkrankte dort und starb am 23. September heimkehrend auf einem englischen Schiffe im Piräeus. Dieses Ereigniß erfüllte uns Alle mit tiefer Betrübniß. Wir bedauerten mit inniger Theilnahme den Grafen. Louise war in all den Widerwärtigkeiten, die ihn in Griechenland umgarnten, in allen Zerwürfnissen und Kabalen, in körperlichen und geistigen Leiden sein Stolz, seine Freude und sein Trost gewesen.

Im Ganzen ragte aber das schöne Geschlecht in mein damaliges Junggesellenleben nicht fühlbar herein. Deutsche Fräulein waren nicht vorhanden, deutsche Frauen, die mit ihren Männern nach Griechenland gekommen, ganz wenige, und diese zeigten sich in der Brüder wilden Reihen nur selten. In griechischen Anstandshäusern wurden die jungen Deutschen, die alle für heirathsfähig galten, zwar sehr freundlich aufgenommen, aber wenn Töchter im Hause waren, so durften sie, sofern das Wohlwollen andauern sollte, ihre »soliden Absichten« nicht lange verheimlichen. Was mich betrifft, so hielt ich mich nicht für heirathsfähig, hatte auch keine soliden Absichten und suchte daher den Umgang mit griechischen Mädchen eher zu vermeiden. Im Tagebuch findet sich freilich mehr als einmal Fräulein Helene **, aus bester Familie, wegen ihrer Schönheit erwähnt, allein das ist schon lange her und ich zweifle, ob ich sie jetzt wieder beschreien würde.

Was die Tage in Athen so anziehend und genußreich, so unvergeßlich macht, das sind die zahlreichen Stellen in nächster Nähe, die die Erinnerung an das Alterthum verherrlicht. Die ehrwürdige Akropolis mit ihren Tempeln wurde zwar nicht zu oft erstiegen, aber dagegen führten uns tägliche Spaziergänge auf den Areopag, zum Tempel des Zeus, in das Stadium, in die Auen des Ilissus, hinunter in Akademos' Hain, wo Plato einst gelehrt, an den Lykabettos, an den Hymettos. Vielfach auch, namentlich an Sonntagen, bestiegen wir die Gäule, die immer, wie bei uns die Droschken, vor den Thoren standen, ritten ein, zwei Stunden hinaus in die attischen Dörfer und unterhielten uns mit den Landleuten oder besuchten die feineren Familien, die dort in ihren Landhäusern weilten. Nicht selten kamen wir auch in den Piräeus hinunter, wo sich schon damals der lebendige Lärm einer Hafenstadt aufthat. Mehrere Male wurde im Phalerus, einmal auch in Themistokles' Gedächtniß an der Insel Salamis gebadet.

Wenn, was öfter geschah, russische oder englische Kriegsschiffe vor dem Piräeus geankert hatten, so wurden wir gerne eingeladen und diese Besuche gingen selten ohne einige Flaschen Marsalla ab, welche die gastfreundlichen Offiziere spendeten. Eines Tages war sogar die amerikanische Fregatte »Constitution« erschienen. Auch diese wollte ich nicht unbesehen lassen, fuhr daher an Bord und wurde artig aufgenommen. Ich fragte neugierig, ob nicht unter den jüngeren Offizieren einer von deutscher Abkunft sei, worauf mir ein solcher vorgestellt wurde, der aber von unserer ganzen reichen Sprache nichts mehr wußte, als »Sauerkraut« und »Speck«, überhaupt seine germanische Abstammung für einen sehr lächerlichen Umstand anzusehen schien.

Tiefer in's Land hinein kamen wir leider nicht. König Otto unternahm zwar alle Jahre mit geringem, auserlesenem Gefolge einen Umritt in seinem kleinen Königreich, bald nach dieser, bald nach jener Seite, aber wir konnten dies verführerische Beispiel nicht nachahmen, denn uns schreckten einigermaßen die Räuber, von denen es damals nie ganz stille wurde, noch mehr aber die großen Auslagen, die mit solchen Unternehmungen verbunden waren, denn, da es keine Straßen und keine Gasthäuser gab, so mußte der Reisende zu Pferde ausrücken mit einem berittenen Diener und einem Treiber mit seinem Maulthier, welches die Betten, die Mäntel, das Zelt und die Mundvorräthe trug. Unter 20–30 Drachmen für den Tag konnte das nicht abgehen.

Wenn daher die athenischen Deutschen auf Urlaub oder auf Erholung gingen, so wählten sie fast immer das Meer und die reizende Inselwelt. Leider konnte ich mich nur einmal frei machen, im August 1835, wo ich zunächst nach Aegina und von da nach Poros segelte. In Poros war damals der Sitz der griechischen Marineverwaltung, an deren Spitze Graf Rosen, ein liebenswürdiger Schwede, stand. Dieser war mir ein herzensguter Wirth und auch ein geduldiger Samaritaner, als mich in seinem Hause das Fieber überfiel und mehrere Tage festhielt.

Als ich von Poros Abschied nahm, gesellte sich zu mir ein junger Architekt, Ludwig Lange von Darmstadt, der später ein berühmter Baumeister zu München und mein langjähriger Freund geworden ist. Wir saßen ruhig in unserm Kaiki und schifften eben um das Vorgebirge Scylläum, als ein sehr unangenehmer Sturm ausbrach, der unsere Nußschale dermaßen hin- und herschüttelte, daß Lange sofort der Seekrankheit verfiel und stundenlang wie todt an meiner Seite lag. Doch kamen wir am nächsten Tage glücklich auf der Insel Hydra und in ihrer Hauptstadt an, blieben da über Nacht und fuhren des nächsten Abends auf einer hydräischen Brigantine nach der Insel Syros, welche in den Cykladen liegt. Dort verweilten wir ein paar Tage bei Herrn Bezirksrichter Sanderski, einem Landshuter, fuhren dann um Cap Sunium herum und kamen wieder wohlbehalten in Athen an.

Zu dieser Seereise kommt nur noch eine zweite, welche meine letzten Tage in Griechenland umfaßt, die noch später zu erwähnende Fahrt vom Piräeus nach Patras, die dann über Rom nach München ging. Dies war Alles.

Nachdem ich aber nicht ohne Wehmuth jener schönen Zeiten gedacht, will ich auch Jener gedenken, die sie mit mir getheilt – nicht Aller, denn es waren gar Viele, aber doch Derer, welche einigermaßen hervorragten. Der ausgezeichnetste unter den jungen Bayern war Dr. Gottfried Feder aus München, ein vortrefflicher Jurist und liebenswürdiger Landsmann, der einmal mit mir in der Regentschaftskanzlei arbeitete, dann aber zum Rath am Cassationshofe und vor wenigen Jahren, nachdem er schon vorlängst aus Griechenland herausgekommen, zum Präsidenten des bayerischen Verwaltungsgerichtshofes in München ernannt worden ist; da lebt er noch in großer Rüstigkeit. Nicht allein wegen seiner wichtigen Stellung als Vorsteher der deutschen Schule in Athen, sondern auch wegen seiner immer sprudelnden Laune und seiner witzigen Einfalle sei hier Johann Beeg, ein Nürnberger, als nächster genannt; doch blieb dieser nur drei Jahre in Athen und starb schon 1867 zu Nürnberg. Sehr beliebt war auch I. N. Visino, ein Altbayer, der nach einem lustigen Studentenleben unter die Theologen gegangen und Stadtpfarrer zu Athen geworden war. Ebenso geachtet als Sänger wie als Zecher, stand er noch hin und wieder auf der Mensur, besorgte aber auch mit rührendem Eifer seine Seelen, die Kranken und die Sterbenden. Er verschied vor wenigen Jahren als Pfarrer in Niederbayern. Anderer Art, norddeutsch und hochgelehrt, aber sehr anziehend und umgänglich waren die schon genannten Dr. Ulrichs aus Bremen, damals Professor am Gymnasium, und Dr. Ludwig Roß, ein Holsteiner, der über die Alterthümer gesetzt war. Noch sehr schwach im Griechischen kam damals Georg von Hahn aus Hessen in Hellas an, lernte jedoch bald, was er brauchte, wurde später k. k. Consul in Janina und schrieb mehrere werthvolle Bücher über die Albanesen. Auch Karl Rottmann, der Landschafter, war längere Zeit unter uns. Ludwig Lange gehörte nicht minder zur Gesellschaft, ebenso Franz Wendland, ein Mecklenburger, der später Cabinetsrath des Königs Otto wurde. Ferner hielten sich mehrere junge Ingenieure und Architekten zu uns. Aber diese alle sind schon in Charons Nachen gestiegen, nur Ludwig Steub und Gottfried von Feder weilen noch diesseits des Acherons, wissen aber auch nicht, wie lange es noch dauern wird.

Touristen dagegen kamen damals in Griechenland noch selten vor. Hin und wieder zeigte sich wohl ein Abenteurer, der auf Dienst und Sold ausging, allein er verschwand bald wieder, weil beides nicht zu haben war. Der einzige Reisende von Gelehrsamkeit und Ruf, der damals in Athen erschien und sich an unsern Tisch setzte, war Professor K. G. Zumpt aus Berlin, dessen lateinische Grammatik mich durchs Gymnasium begleitet hatte. Er blieb aber nur wenige Tage.

Zu bemerken ist noch, daß in diesem Jahre, 1835, und zwar am ersten Juni, die Volljährigkeit des jungen Königs eintrat. Sie wurde mit großem Pompe gefeiert; wir Deutsche versammelten uns zu einem stürmisch heiteren Festmahl. An diesem Tage wurde Graf Armansperg zum Staatskanzler und ich zum Staatskanzleramtssecretair erhoben – die beiden Mitglieder der Regentschaft, die noch übergeblieben, von Kobell und von Heideck, fuhren nach Hause.

Graf Ludwig von Armansperg war damals achtundvierzig Jahre alt und uns Bayern ein theurer Name, weil er kurz vorher, von der Camarilla verdrängt, sich auf sein einsames Schlößlein zurückgezogen hatte, lieber als seinem König gegen seine Ueberzeugung zu dienen. Er war eine schlanke, hochgebaute, doch mehr einnehmende als imposante Figur. Seine Formen schien er den Vogesen, den Ländern an Rhein und Mosel entlehnt zu haben, denn in deren Verwaltung war er nach der Leipziger Schlacht für längere Zeit beschäftigt gewesen. Er war ein gefeierter Redner in der Kammer, ein anziehender Plauderer im Salon und hatte sich überhaupt eine vortreffliche Sprache zu eigen gemacht. So erschien er wenigstens äußerlich als vollendeter Gentleman, aus dem sich der Bajuvare ganz verflüchtigt hatte. Mit mir war er immer freundlich, schonend, rücksichtsvoll, doch redete er selten mehr als was zur Sache gehörte; auch nie ein Wort, das seiner unwürdig gewesen.

Wenn wir zu Tische geladen waren, ließ er sich schon eher gehen und erzählte allerlei Geschichten aus seiner früheren Zeit. Einmal, als wir aufgestanden, sagte er zu mir: »Nu, sprechen Sie einmal etwas englisch mit meiner Louise, damit ich sehe, ob sie was gelernt hat!« Dieser Befehl wurde sofort vollzogen, aber es ging nicht ohne einige Verlegenheit auf beiden Seiten ab.

In seinem Leben war er mäßig – in der Arbeit unermüdlich, doch wurde er von Zeit zu Zeit durch das Fieber auf das Land verwiesen und wenn er in der Stadt war, verlor er viele Stunden mit den Gesandten der sogenannten »wohlthätigen« Mächte, die ihm täglich auf die Bude stiegen.

Ich hatte immer eine Vorliebe für solche feingeschnittene, weltläufige, tactfeste Gestalten. Eine Persönlichkeit dieser Art schien mir immer viel werthvoller, als so ein »edler Kern in rauher Schale«, wie sie unter Bayern und Tirolern so häufig sind und so wenig in die Welt oder in gebildete Gesellschaft passen.

Der Graf ging 1837 wieder heim. Sein Wirken in Griechenland ist nicht sehr fruchtbar gewesen. Die Aufgabe war aber so schwierig, daß sie wohl auch kein Anderer gelöst hätte.

Seit Herrn v. Maurers Zeiten haben die Geschichtschreiber schwere Anklagen auf ihn gehäuft, ich muß sie auf ihm liegen lassen, denn ich bin nicht im Stande, sie wegzuwälzen. Die Unzahl von historischen Schriften, die seitdem über das neuere Griechenland erschienen, würde für die Aufgabe so viele Zeit erheischen, daß ich sie ablehnen müßte, auch wenn ich ihr gewachsen wäre.

Nachgerade war ich aber lange genug in Griechenland gewesen, um deutlich einzusehen, daß da für mich auf keine Zukunft zu rechnen sei. Die Flitterwochen waren dahin und die Ehe schien nicht glücklich werden zu wollen. Auch der Graf sagte mir offen, er sei seiner aufreibenden Thätigkeit müde und sehne sich nach Hause. Wenn er verschwunden, so waren aber die schönen Tage in der Stadt des Theseus wohl auch für mich zu Ende. Ich nahm mir daher vor, allmälich wieder an den Strand der Isar zurückzukehren, und verschob entscheidende Schritte nur, weil mich der Staatskanzler, so oft ich davon sprach, zu beschwichtigen suchte. Es eile ja nicht! Im Augenblicke sei ich nicht zu entbehren; wenn ich vielleicht doch in Griechenland bleiben sollte, würde sich auch da eine passende Stellung finden u. s. w. Da geschah es am 26. November, daß ich mit einem von dem Grafen aus Bayern berufenen, erst seit wenigen Monaten vorhandenen »Cabinetsrath« in einen Streit gerieth, der sich nach meiner Ansicht durch unseren Vorgesetzten sehr leicht hätte schlichten lassen. Allein der Gegner verlangte eine Demonstration und so erhielt ich nach wenigen Tagen einen Erlaß, der mich aus dem Staatskanzleramte entfernte und zum Bezirksrichter in Chalkis, einer kleinen Stadt der Insel Euböa, ernannte. Ich habe das türkische Nestchen nie gesehen, die Stelle aber auch nicht abgelehnt, sondern um Urlaub gebeten, um auf meine Kosten nach Deutschland zu gehen. Dieser Urlaub wurde gewährt, aber als ich im Mai 1837 aufgefordert wurde, meine Stelle anzutreten, bat ich um meine Entlassung, welche ich dann auch erhielt.

Eigentlich war mir jene Wendung nicht unangenehm, denn sie stimmte zu den Gedanken, die mir seit dem Sommer immer näher gerückt, aber wunderlich war's mir doch, wie der Graf, der mich einst so unentbehrlich gefunden und so oft auf die Zukunft vertröstet hatte, mich jetzt so leichthin fallen ließ.

Nun ging's an die Zurüstungen zur Abreise. Am 15. Januar bestieg ich zum letzten Male die Akropolis und nahm Abschied von dem alten Parthenon, von Erechtheus' Tempel und von der ganzen heiligen Feste. Es versteht sich, daß mir eine lange Reihe von Abschiedsbesuchen oblag, viele bei den deutschen, noch mehrere bei den griechischen Familien. Letztere versicherten mich einstimmig, daß ich herzlich willkommen sein würde, wenn ich wiederkäme. Ein stark besuchtes Festmahl in meiner Stube versüßte die Trennung mit guten Speisen und guten Weinen, mit Reden, Gesang und herzlichen Sprüchen. Am 24. Januar, wo die seit langem schwankende Witterung gute Fahrt versprach, zog ich mit meinem Pädi ernst und still in den Piräeus hinab; am anderen Morgen bestieg ich das Kaiki, das mich nach Korinth brachte.

Die Reise von Athen nach Korfu ging sehr angenehm von Statten. Die Geduld und das freundliche Wesen, das ich den armen Bedrängten und Hilfesuchenden in den Audienzen und außerhalb derselben zu zeigen bemüht gewesen, hatte meinen Namen weit hinausgetragen ins Land, und wo ich hinkam, zunächst in Korinth, Patras und Korfu, fand ich unter den Griechen, namentlich unter den gebildeten und wohlhabenden, die herzlichste Aufnahme. Ὅλος ὁ κόσμος σε γνωρίζει καὶ ὅλος ὁ κόσμος σε ἀγαπᾷ – sagte mir der Erzbischof von Korinth; wenige Worte, die aber zu schmeichelhaft sind, um übersetzt zu werden.

Von Korfu segelte ich mit Capitain Ulisse auf dem italienischen Trabaccolo »La Gloria« nach Ancona, hielt dort in heiterer Gesellschaft, unter englischen Offizieren und einer welschen Operntruppe, die in Korfu gespielt hatte, eine zwölftägige Quarantäne, fuhr, nach damaliger Weise mit dem Vetturino, über den Apennin in's ewige Rom, wo ich etwa vierzehn Tage blieb, und kam über Florenz und Venedig am 11. Mai, von meinen Lieben mit hohen Freuden bewillkommt, wieder in München an.

In München wurde ich allenthalben herzlichst aufgenommen, zumal im Hause meines väterlichen Freundes, Friedrich Thiersch. Der Aufenthalt in Athen hatte mir einiges Relief gegeben und meine Beziehungen erweiterten sich nun auf die anmuthigste Weise. Ich fand mich wieder leicht in diese Verhältnisse hinein, aber sie gefielen mir doch nicht recht, und ich konnte das schöne Griechenland noch lange nicht vergessen.

Meines Lebens Mai hatte im Lande der Götter und der Helden abgeblüht. Die Energie des Willens zeigte sich, als ich wieder auf heimischem Boden stand, bedenklich gemindert. Nachdem ich von dort, wohin ich so große Hoffnungen getragen, nichts mitgebracht als schöne Erinnerungen, so war ich zu sehr enttäuscht, um für die kommenden Tage mich in neue Träume zu verlieren. Ich sah daher in eine reizlose Zukunft. Es schien nichts übrig zu bleiben, als im Dienst der Gerechtigkeit, der mich wenig ansprach, den ersten Vorstufen still und bescheiden entgegen zu altern, dann in einem Landstädtchen zu verbauern und endlich, wenn's gut ging, in späten Zeiten als ein hochbejahrter und allgemein bedauerter, aber höchst obscurer Ehrenmann in's bessere Jenseits zu verduften.

Noch lag ein großer Stein auf der Rennbahn meines Lebens, der zunächst übersprungen werden mußte, wenn ich auf bayerischem Boden weiter kommen wollte. Dieser Stein war der juridische Staatsconcurs, der am 1. December begann und vierzehn Tage dauerte. Diese Prüfung, welche sämmtliche Aspiranten in Einem Saal vereinigte, war sehr verrufen, doch fiel sie mir viel leichter, als ich erwartet hatte. Einmal waren alle Hilfsmittel, alle Bücher erlaubt, und dann waren die gestellten Fragen lauter hübsche literarische Aufgaben, die sich mit jenen Behelfen ganz angenehm bearbeiten ließen. Ich hatte mir von der Staatsbibliothek über einen Centner Bücher ausgebeten und schwang mich mit deren Unterstützung ohne Mühe zur besten Note empor. »Diesmal,« sagte damals ein altbayerischer Leidensgenosse aus Dachau, »diesmal haben's die Bücher ausg'macht, und die besten Bücher hat der Steub g'habt.« – Nachher trat ich wieder als Praktikant beim Stadtgericht München ein, welches fortan sehr ruhig verlief.

Nun laßt uns aber das juridische Leben unseres Biographen mehr und mehr bei Seite setzen und so kurz als möglich erzählen, was er auf seiner literarischen Laufbahn erstrebt und erlebt hat.

Bücher zu schreiben und gelesen zu werden oder, wenn ich mich edler und vornehmer ausdrücken darf, der Literatur oder gar der Poesie zu leben, das war ein Wunsch, der in meinem Herzen schon sehr früh erstand. Walter Scotts Ivanhoe hatte mich so entzückt, daß ich mich sogleich entschloß, ihn nachzuahmen. Ich war kaum vierzehn Jahre alt, als ich schon meine erste Scene niederschrieb. Es war ein Gespräch zwischen einem Hirtenknaben und seiner Großmutter, der er erzählt, daß er einen jungen Ritter in glänzender Rüstung habe auf die nahe Burg reiten sehen, um da um die Hand des Edelfräuleins anzuhalten. Dies interessante Fragment ist längst verloren, doch habe ich mich über den Verlust auch längst getröstet.

Das Tagebuch des Jahres 1830 bringt im Spätherbst eine Stelle welche lautet: »Wie ich nun in Dillingen (bei Verwandten auf Besuch) verweilte und so manche Stunde mir selbst überlassen war, da kamen mir die alten Gedanken wieder, wie ich mir Namen und Ruhm erwerben könnte, wenn ich so schön beschriebe, wie die Plinganser und die Meindel für's alte Bayerland gefochten und wie traurig es ausgegangen sei. – So war's mir niemals im Kopfe wie damals, so innig romanhaft und wenn's mir immer so wäre, so müßte ein Meisterwerk entstehen.«

Seltsam klingt hier die Erinnerung an »alte Gedanken«; übrigens ist der schon vielfach beschriebene und besungene Bauernaufstand von 1705 gemeint, dessen Geschichte Professor Sepp jetzt erst genauer erforscht, ausführlich dargestellt und im »Sammler« der A. Abendzeitung veröffentlicht hat.

Im Januar 1831 spricht das Tagebuch noch einmal davon, dann aber nie wieder.

Nachdem der Staatsconcurs überstanden, dachte ich auch wieder an die literarischen Träume meiner Jugend. Am 26. Januar 1837 berichtet das Tagebuch:

»Seit beinahe vier Wochen schreibe ich an einem Aufsatze für das Morgenblatt, den ich »Ferienreisen in Griechenland« betiteln will. Er soll meine im vorletzten Sommer unternommene Reise nach Poros und Syra zum Gegenstand haben. Es wird leider nichts Schönes und ich werde froh sein, wenn es die Redaction nur aufnimmt. Morgen werde ich fertig. Gut, daß es aus ist, denn ich habe mich über dieser Arbeit wirklich mehr ennuyirt, als ich dachte, daß es bei meinem ersten schriftstellerischen Versuche der Fall sein würde.«

An Fleiß hatte es gleichwohl nicht gefehlt. Von dem Manuscripte liegen in meiner Schublade noch mehrere Abschriften, die alle wieder frisch durchgefeilt und verbessert sind. Aber die Redaction rechtfertigte entgegenkommend meine Befürchtungen. Ihr Schreiben vom 30. März sprach die Ansicht aus, daß die Schilderungen nur gewinnen müßten, wenn sie an manchen Stellen etwas zusammengezogen würden. Ob sie dies selbst thun sollte, ob ich es besorgen wollte? Ich überließ ihr das Manuskript auf Gnade und Ungnade, allein als es nach mehreren Monaten immer noch nicht gedruckt erschien, erbat ich es zurück. Ich habe schon mehrmals daran gedacht, es wieder vorzunehmen und ein kleines Bächlein guter Laune durchzuleiten, allein ich habe nie die Zeit dazu gefunden.

Um diese Zeit, Februar 1838, dachte ich auch einmal an meine Zukunft und bat Se. Majestät, mir den Acceß im Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten zu gewähren. Im Juni 1835 hatte nämlich der Staatskanzler mir schriftlich kundgegeben, daß er wegen Berücksichtigung meiner Sr. Majestät von Griechenland geleisteten und noch zu leistenden Dienste mit der königl. bayerischen Regierung Rücksprache nehmen werde. Diese Rücksprache war übrigens in den letzten drei Jahren noch nicht an Ort und Stelle gelangt und das besagte Ministerium hat mich daher aus Schonung allerdings nur mündlich abgewiesen. Ich hatte übrigens nicht im Sinn, dereinst königl. bayerischer Botschafter in Athen oder Konstantinopel zu werden, sondern nur ein Feld für meine linguistischen, historischen und ethnologischen Neigungen zu finden. Vielleicht fragt Einer, warum ich nicht in der Bibliothek oder im Archiv einen »Unterschlupf« gesucht, allein die Zugänge zu diesen ästhetischen Rosenlauben waren damals von den Ultramontanen und ihren Galopins dermaßen verlegt, daß unsereiner gar nicht dahin denken durfte. Was diese frommen Herren in der Wissenschaft von Görres' christlicher Mystik bis zu den gewöhnlichsten Hexen- und Mirakel-Büchlein geleistet, hat man bereits rühmlich zusammengestellt, wie viel sie aber verdorben und erdrückt, das wäre erst zu erzählen. Uebrigens bin ich auch der einzige Bayer meines Zeichens, der aus Griechenland ohne den Erlöserorden davon gekommen; ich habe nämlich nie drum eingegeben.

Indessen ging es immer um in mir; felsenfest stand der Glaube, daß ich nur ein schönes Buch zu schreiben brauchte, um meinem Leben einen andern Schwung zu geben.

Im März 1838 wird denn auch allmählich das Morgenroth der »Bilder aus Griechenland« sichtbar. Es sollte eine humoristische Beschreibung meiner Reise von Athen nach Korfu werden. Besonders schildernswerth schien mir dabei jenes gutmüthige, aber ungeschlachte Wesen der bayerischen Landbeamten, das ich schon damals hinreichend kannte, weil ich in Aichach unter ihnen aufgewachsen war. Diese gemüthlichen Rüpel gehen wie ein rother Faden durch alle meine Schriften. Ich entdeckte immer neue Reize an ihnen und wurde nicht müde, sie immer wieder von neuen Seiten darzustellen. Herr Zöpfelmaier, der den Praktikanten Hirlmayer von Ebersberg, auch einen Griechenfahrer, wiederspiegeln sollte, ist das erste Beispiel dieser Art.

Im August 1838 hatte ich meinen Wohnsitz nach Neuburg an der Donau verlegt, einem schöngelegenen Städchen mit Appellationsgericht und anregender Gesellschaft, wo ich ein Jahr verbleiben sollte, um mich in der höheren Jurisprudenz auszubilden. Ich nahm die Bilder aus Griechenland halb vollendet mit und war nun eifrig bemüht, sie zu Ende zu bringen.

Im März 1839 sandte ich ein fertiges Stück, »Die Piräeusstraße,« an das Morgenblatt. Diesem gefiel das Fragment und so erschien es denn am 7. Mai in seinen Spalten. Dieser Maitag ward ein Festtag für mein ganzes Leben und ich übersehe ihn jetzt noch selten. Es war, als ob eine liebliche Muse die rosenfingrige Hand zum Fenster hereinstreckte, und ich sie nur zu fassen und zu halten brauchte, um aus meines Thales nebeligen Gründen auf sonnige Höhen gezogen zu werden.

Um Neujahr 1840, als ich wieder in München, war das Buch fertig. Ich kann ihm in Wahrheit nachsagen, daß es sehr oft durchgesehen, mit strenger Kritik behandelt und vielfach abgeändert, im Sinne des Verfassers verbessert worden ist. Nach seinen Hoffnungen sollte es ihm viel Glück in's Haus bringen. Post nubila Phoebus! schrieb er am Neujahrstage auf das Titelblatt des Tagebuchs. Und am letzten Januar sandte er das Manuscript zur Annahme an die Cotta'sche Buchhandlung, der es vom Morgenblatt her empfohlen sein sollte, um es am 10. März mit dem Bescheide zurückzuerhalten, daß sie es nicht verwenden könne, weil sie mit einer ganz ähnlichen Publication, einem sehr gründlichen und umfassenden Werke, beschäftigt sei.

Das war ein harter Schlag!

Nun begann aber durch ganz Deutschland, über Stock und Stein, über Feld und Haide eine Hetze nach einem Verleger, bis endlich, nachdem ich in dreizehn Monaten vielleicht zwanzig Körbe erhalten hatte, sich ein solcher fand, der mir die Courtoisie erwies, das liebe Buch, in dem so viele hundert hoffnungsvolle Stunden steckten, ohne Honorar vor das Publikum zu bringen.

Als es dann erschien, 1841, wurde es von den Kritikern in den Zeitungen und den Wenigen, die es lasen, sehr gelobt, aber es kam doch nicht auf und war bald verschollen. (Näheres hierüber in meiner Schrift: »Aus Tirol«, 1880 S. 208 u. ff.) Da in jenen Zeiten aus unserer Heimath noch so viele Liebe, Väter, Haussöhne, Brüder, Gatten, theure Verwandte, vielleicht auch Bräutigame im schönen Hellas weilten, so glaubte ich, die Bilder aus Griechenland würden bald in jeder feinern Familie des Bayerlandes zu finden sein, aber ich sollte mein Volk, vielmehr dessen literarische Bedürfnißlosigkeit erst kennen lernen.

Vor kurzer Zeit begegneten mir bald nach einander Hyacinth Holland und Hermann Lingg auf der Gasse. Jeder erzählte, er habe eben zum ersten Male die Bilder aus Griechenland gelesen, das sei ja ein sehr schönes Buch! So hörte ich nach vierzig Jahren wieder zum ersten Mal von diesem verlorenen Sohne.

Im Jahre 1841 erschien im Morgenblatte auch »Der Staatsdienst-Aspirant«, meine erste Novelle, die das leere, geistlose Leben eines gewöhnlichen kgl. bayerischen Landgerichts-Praktikanten in heiterer Ironie zu schildern sucht.

Im Herbst desselben Jahres erhob sich ein Verleger zu Karlsruhe, um ein großes Werk: »Deutschland im neunzehnten Jahrhundert« herauszugeben. Dazu wurden verschiedene deutsche Schriftsteller geworben und die gefürstete Grafschaft Tirol mit Vorarlberg fiel in meine Hände, worüber ich sehr glücklich war. Daran hängen nun die »Drei Sommer in Tirol«, die in den Jahren 1842, 43, 44 entstanden und im Jahre 1846 ans Licht getreten sind. Das Werk wurde freundlich aufgenommen, obgleich es gar nicht zweckmäßig angelegt ist. Ich hatte nämlich zuerst die Gegenden, die mich am meisten anzogen, in Arbeit genommen und an den Notizen, die ich über Berg und Thal gesammelt, mit Zuziehung anderer literarischer Hilfsmittel lange, lange fortgeschrieben, bis ich eines Tages eine annähernde Berechnung aufstellte und dabei fand, daß ich schon weit über die vereinbarten 30 Bogen hinausgekommen war. Ich strich nun Manches wieder, was schon fertig und konnte mich um so weniger entschließen, neue Gegenden anzugreifen, als ich sie auch nur wieder hätte streichen müssen, wenn das Buch nicht in zwei Bänden hätte erscheinen sollen, was doch der Verleger keineswegs wünschte. So sind denn sehr wichtige Landschaften wie das Unterinnthal, das Pusterthal, das untere Etschland, und Wälschtirol ganz weggeblieben.

Diesem Fehler hat die zweite Auflage, die im Jahre 1871 erschienen, möglichst abzuhelfen gesucht. In Tirol gefällt diese zweite Auflage gleichwohl nicht recht, einmal, sagt man, weil der historisch-politische Nachtrag der ersten, der mir, aus dem Vormärz stammend, nachgerade denn doch veraltet schien, gänzlich weggeblieben ist und dann, weil die alten Stücke hie und da gekürzt worden sind, um mehr Raum für die neuen Zuthaten zu gewinnen. Meines Erachtens haben aber doch die neuen Stücke ungleich mehr Werth, als das Wenige, was weggeblieben. Uebrigens ist auch die erste Auflage ziemlich still durch ihr langes Leben, ihre fünf und zwanzig Jahre gegangen. Mit den fünf ungebundenen und zwei gebundenen Freiexemplaren, die ich 1846 an meine Freunde in Tirol gesandt, war der Lesebedarf des ganzen Landes gedeckt. Die jetzigen Tiroler kennen nur noch den Titel. Wenn ich mitunter auf der Wanderschaft des Werkleins bedarf und nach ihm frage, kommen ganze Landschaften in Verlegenheit. Ein reisender Freund war einmal Innsbrucks sämmtliche Buchhandlungen ausgegangen, ohne es auftreiben zu können. Jetzt wird es nie mehr citirt, aber öfter ausgeschrieben.

Als die drei Sommer in Tirol verstrichen waren, im Jahre 1845, und zwar im März, wurde ich zum Rechtsanwalt in der Vorstadt Au ernannt. Mir hätte leicht etwas Angenehmeres begegnen können. Ich hatte damals einen Roman begonnen und hätte lieber an diesem fortgeschrieben, freilich nicht, um ihn wieder herzuschenken. Später, 1863, ging ich zum neueingeführten Notariat über, in dem ich aber zuletzt so melancholisch und nervös wurde, daß es mir eine Lebensrettung schien, als ich im Herbste 1880 diese Bürde niederlegen konnte.

Das Jahr 1848 brachte eine zweite Novelle, »die Trompete in Es,« eine seltsame Geschichte, die zwischen dem Vicar und dem Färbermeister in Oberaudorf vorgefallen war und zur guten Hälfte in meinen Acten lag, weil ich letzteren vertreten hatte. Die Geschichte wurde ein paar Male aus dem Manuscripte vorgelesen und gefiel den Hörern ungemein. Ein Verleger hatte sich auch bald gefunden und so druckten wir denn 500 Exemplare auf gemeinschaftliche Rechnung, Stück für Stück um achtzehn Kreuzer rheinisch. Das Geschichtchen fand bei Einzelnen vortreffliche Aufnahme, aber der Preis war für's große Publicum doch zu hoch gegriffen. Nach einiger Zeit, als die Kosten gedeckt waren, schenkte mir der Verleger den ganzen Rest, etliche hundert Exemplare, die ich dann wieder kleinweise, namentlich an meine ländlichen Clienten, verschenkte.

Zu den vielen schönen Sachen die mir hienieden noch abgingen, zählte ich auch eine tiefe, heiße, phantastische Liebe. Ich war jetzt sechsundreißig Jahre alt und hatte diese noch nie empfunden. Um mir die Sehnsucht, mit der ich nach ihr lechzte, vom Halse zu schreiben, stellte ich nun im Jahre 1849 wieder eine Novelle her, »Das Seefräulein«, das zuerst in den Fliegenden Blättern erschien, und später, in ein Lustspiel umgearbeitet, zuerst am 5. Mai 1868 und seitdem öfter im Hoftheater zu München mit Beifall über die Bretter gegangen ist.

Nun waren aber allmählich so viele kleine Stücklein zusammengekommen, daß es an der Zeit schien, sie zu sammeln. Sie erschienen im Jahre 1853 zu Stuttgart unter dem Titel: »Novellen und Schilderungen«. Aber wer da dachte, daß die früher mit so vielen Freuden aufgenommene »Trompete« oder das mit nicht minderer Herzlichkeit begrüßte »Seefräulein« dem Büchlein die Wege ebnen würden, der fand sich bitterlich getäuscht. Es blieb ebenfalls liegen, kam durch Gantversteigerungen in verschiedene Hände und neulich erst, fast nach dreißig Jahren, als noch ein gutes Hundert Exemplare vorhanden waren, wurde es von Herrn Alfred Bonz, meinem jetzigen vortrefflichen Verleger, mit seinen andern Kleinodien vereinigt.

In Tirol, im Voralberg und in Graubünden finden sich bekanntlich eine Unzahl undeutscher Ortsnamen, um die sich bis dahin Niemand gekümmert hatte. Ich suchte nun zu beweisen, daß dieselben theils rhätischen, theils romanischen Ursprungs seien und daß Tirol, obwohl von Deutschen beherrscht, doch bis tief ins Mittelalter herein ein romanisches Land gewesen. Diese Aufstellungen waren neu und sie durften namentlich die Tiroler interessiren. Aber das Büchlein, das 1854 unter dem Titel: »Zur rhätischen Ethnologie« erschien, brauchte zwanzig Jahre bis es den kurzen Weg von München bis zu den Gelehrten von Innsbruck zurückgelegt hatte. Erst seit einigen Jahren wird es dort mitunter citirt. Es liegt über ihm noch immer eine Tarnkappe, die die wenigsten Forscher zu durchbohren vermögen.

Nun kommen wir an den schon erwähnten Roman, der meines Erachtens das glänzendste Gestirn an meinem literarischen Himmel werden sollte, aber eigentlich auch nie aufgegangen ist. Er sollte ein Bild jener düstern Zeiten geben, die wir unter dem ersten Ludwig durchzuleben hatten, jenem Fürsten, der für den Fortschritt in den schönen Künsten ebenso viel, als für den Rückschritt in allen übrigen Richtungen gethan hat.

Die ersten Anzeichen dieser traurigen Geschichte finden sich schon in den Zeiten, die den »Drei Sommern« vorangingen. Ja, das erste Capitel, der Helden Jugend, scheint schon im Jahre 1841 entstanden zu sein. Nachher vergingen wohl viele Tage, aber doch nie ein Jahr sine linea. Ich empfand noch keine Lust am Anfang anzufangen, denn ich kam mit dem Plane nicht ganz ins Reine und hatte natürlich auch immer Andres zu thun, was mich entschuldigte, wenn ich diese Arbeit bei Seite legte.

Immerhin hatte sich nach und nach in blauem Umschlag eine solche Menge flüchtig hingeworfener Einfälle gesammelt, daß es endlich billig schien, ihnen eine anständige Unterkunft zu gewähren, die sie durch ihr geduldiges Warten wirklich verdient hatten. So begann denn im Herbste 1853, etwa zwölf Jahre nach dem ersten Spatenstich, die ernst genommene, wenn auch noch nicht ununterbrochene Beschäftigung mit dieser Arbeit, die ich, wenn ich's sagen darf, mit Begeisterung durchführte und mit einem Fleiße, der ihr gleich stand. Es findet sich wohl in der ganzen Literatur der Deutschen kein Buch, das in allen seinen Theilen, im Großen und im Kleinen, so oft überlesen, so mühsam durchgebürstet, so vielfach nachgebessert worden ist, wie diese Deutschen Träume.

Da ich bisher in Süddeutschland kein Glück gefunden, so war es mir sehr angenehm, daß sich dieses Mal ein norddeutscher Verleger fand, Friedrich Vieweg in Braunschweig, der das Buch im Frühling 1858 an's Licht brachte.

Ich war nach meiner Art fest überzeugt, daß diese Deutschen Träume einen ungeheuren »Pumperer« thun, und in einem Vierteljahre die zweite Auflage erleben würden; die Sache aber ging sehr ruhig ab. Es kamen mir wohl zwei oder drei enthusiastische Briefe zu, ebenso viele mündliche Glückwünsche gleichen Tones, auch mehrere günstige Recensionen, darunter eine von Taillandier in der Revue des deus mondes, aber es zeigte sich bald, daß der Geschmack des großen Publikums nicht getroffen und daß das Buch ebenfalls in die bayerische Lethe zu versinken bestimmt sei. Das Buch, hieß es, hätte im Vormärz erscheinen sollen; da hätte es in die allgemeine Stimmung eingegriffen – jetzt sei man über jene Zustände hinaus und erinnere sich nicht mehr gerne daran. Auch sei es zu melancholisch!

Nachdem jene Zeiten einmal vorüber, wäre es allerdings zuträglicher gewesen, sie ironisch, humoristisch, satirisch zu behandeln – statt eines tödtlichen Schusses ein glücklicher Ausgang, und das Buch hätte gewiß einigen Erfolg erlebt. Seit jener Zeit habe ich mich auch immer vor traurigen Ausgängen in Acht genommen. Unser tägliches Leben bringt wahrhaftig immer so viel Aerger, Verdruß und Kummer mit sich, daß der Schriftsteller dem Leser, der sich bei ihm erheitern will, nicht zumuthen sollte, sich auch noch über die Schicksale seiner fingirten Personen abzuhärmen. Professor Anton Schönbach in Graz meinte einmal in einer sehr günstigen Besprechung meiner gesammelten Novellen, welche das deutsche Literaturblatt brachte, es wäre vielleicht nicht übel, wenn nach dreiundzwanzig Jahren die Deutschen Träume, etwas revidirt, neuerdings an's Licht träten. Seitdem denke ich selbst mitunter an eine solche Auferstehung, die aber den eben ausgesprochenen Ansichten nachgehen würde und Herrn Jörg von Bolzen die schöne Gitta heirathen ließe.

Nun wollte ich aber auch einmal für mein engeres Vaterland eine literarische That vollbringen. Seit zwanzig Jahren war ich jeden Sommer auf ein paar Wochen in's bayerische Gebirge gegangen und hatte da allerlei Wanderschaftliches geschrieben, was dann im Morgenblatte oder in der Allgemeinen Zeitung erschien und in München sehr gefiel. Diese Aufsätze wurden nun fleißig überarbeitet und die Lücken kunstreich ausgefüllt, so daß das Buch, »Das bayerische Hochland« (1860) ein ebenso unterhaltendes als belehrendes Bild des ganzen Gebirges von Füßen bis Berchtesgaden bietet. Im Anfang sollen sich diese neue Erscheinung auch wirklich einige Tegernseeer Bauern angeschafft haben, aber den gebildeten Familien der Hauptstadt und des Hochlandes blieb sie nahezu unbekannt. Der Verfasser hing aber damals so innig an seinem bayerischen Hochland, daß er immer wieder neue Skizzen schrieb und sie in der A. Allgemeinen Zeitung erscheinen ließ. Anfangs wollte er diese für eine zweite Auflage jenes Büchleins zurücklegen, aber da eine solche, wie sich bald zeigte, in immer blauere Ferne rückte, so fand er doch gerathener, ein eignes Werklein daraus zu bilden, welches denn im Jahre 1862 unter dem Titel: Wanderungen im bayerischen Gebirge ans Licht trat. Gegen alles Herkommen erlebten diese Wanderungen schon im zweiten Jahre eine zweite vermehrte Auflage, welche mir aber insofern keinen Nutzen brachte, als der Verleger seine Zahlungen gerade in dem Augenblicke einstellte, wo ich die meinige zu erhalten hoffte.

Das Jahr 1867 brachte die »Herbsttage in Tirol«, in deren erster Hälfte sich eine Biographie des berühmten Tirolers Philipp Jacob Fallmerayer findet, und zwar nach einem schriftlichen Grundriß, den mir dieser Freund auf meine Bitte selbst gefertigt. Die zweite Hälfte enthält ethnographische Betrachtungen über die Räthsel der tirolischen Vorzeit, über Rhätier, Römer und Romanen, Bajuvaren, Gothen und Langobarden, Betrachtungen, die diese Vorzeit wohl in sehr verlässiger Weise construirt haben. Jene Herbsttage brachen aber über Tirol nie an, nicht einmal die dortigen »Gelehrten« nahmen Notiz von ihnen, wovon ein schlagender Beweis anzuführen wäre.

Im Jahre 1869 erschienen die Altbayerischen Culturbilder, deren Hauptstück »der Deggendorfer Judenmord« war, eine von ultramontaner Seite herausgeforderte Untersuchung jenes jetzt noch nach fünfhundert Jahren durch Processionen, Wallfahrten, Predigten und Ablässe gefeierten Ereignisses. Sie stellte klar heraus, daß es nur ein blutrünstiger Betrug gewesen, der die Juden von Deggendorf und mit ihnen auch die Schuldbriefe, die ihnen die Deggendorfer ausgestellt, vernichten sollte. Die Artikel, die zuerst die A. Allgemeine Zeitung brachte, erregten großes Aufsehen. Viele verlangten dringend, daß sie wieder abgedruckt würden, aber als sie bald darauf vermehrt und verbessert bei Ernst Keil in Leipzig erschienen, fragte Niemand mehr darnach. Jetzt liegen zu Leipzig noch 300 Exemplare.

Im letzten Jahrzehnt habe ich sehr fleißig gearbeitet und mehr geschrieben, vielmehr herausgegeben, als in den dreißig Jahren, die vorangehen. Da erschienen einmal »Die oberdeutschen Familiennamen« (1870), eine Untersuchung, die den Gegenstand, meines Erachtens, merklich weiter brachte, jedoch nur die Ehre erlebte, von einem strebsamen Gelehrten als Unterlage für ein analoges Büchlein benützt, aber keineswegs als solche angeführt zu werden. Hierauf folgte die schon erwähnte zweite Auflage der »Drei Sommer in Tirol« (1871), die »Lustspiele«, 1873, und dann unter dem Titel »Kleinere Schriften« alle meine bis dahin noch nicht gesammelten Aufsätze und Abhandlungen in vier Bändchen, Reiseschilderungen, literarische Aufsätze, tirolische Miscellen. altbayerische Miscellen (1873–75). An diesen Kleineren Schriften habe ich auch nicht viel Freude erlebt, zumal da sie Herr Hermann Uhde in den Blättern für literarische Unterhaltung schimpflich herunterriß, behauptend, einmal tauge das Sammeln überhaupt nichts, und wenn es auch einzelnen nachgesehen werden könnte, so gehöre doch ich nicht zu dieser Elite.

Im Jahre 1875 war das Bayerische Hochland vergriffen und die Verlagsbuchhandlung regte zuerst eine zweite Auflage an. Die italienische Reise, die ich damals vorhatte, verhinderte mich, die Arbeit sofort zu beginnen und als ich sie wieder in Erinnerung brachte, hatte sich jene anders besonnen und meinte, da sich die erste Auflage in neunzehn Jahren kaum verkauft habe, so wolle sie auf eine zweite lieber nicht eingehen, vielmehr das Verlagsrecht in meine Hände zurückgeben. Sie habe einmal mit meinen Büchern – unbeschadet ihres inneren Werthes – kein Glück, wie dies bei den Kleineren Schriften und der zweiten Auflage der Drei Sommer besonders der Fall, da letztere in acht Jahren noch nicht zur Hälfte abgesetzt sei. (Näheres hierüber in meinem Büchlein »Aus Tirol« S. 218 ff.)

Nachdem alle die verschiedenartigsten Verleger, die ich mir bisher selbst gesucht, über mich nur zu seufzen gehabt, so schien es mir eine gute Vorbedeutung, einmal von einem Verleger gesucht zu werden. Dies begab sich vor etwa sieben Jahren in Radolfszell am Bodensee, wo ich meinen Freund, den Herrn Hofrath von Scheffel, besuchte und dort auch den Herrn A. Bonz von Stuttgart traf, der des ersteren Schriften druckt. »Da die Herrn,« sagte letzterer eines schönen Morgens zu mir, »so gute Freunde sind, so möchte ich auch Ihr Verleger werden.« Ich hatte damals nichts anzubieten, als eine Reihe von Reiseschilderungen, die in den Jahren 1873–75 entstanden und schon vorher in der Allgemeinen Zeitung erschienen waren, dann aber 1878 trotz Herrn Uhdes Bannstrahl unter dem Titel: »Lyrische Reisen« gesammelt herauskamen.

Im Weinmond des Jahres 1878, als ich zu Arco in Wälschtirol saß, fiel mir plötzlich ein, ich sollte einmal eine alte Geschichte, die mir vor dreißig Jahren ein guter Freund im tirolischen Hall erzählt hatte, als Novelle verarbeiten. Ich ging mit jugendlichem Feuer an's Werk und hat mich nicht leicht eine Aufgabe so gefreut wie diese. Aufrichtig gestanden, schien mir »Die Rose der Sewi« auch vortrefflich gelungen. Als die Herren A. Bonz & Cie. sie 1879 als zierliches Heftchen in die Welt schickten, dachte ich in meiner Art gar nicht anders, als sie würden im Sturmlauf die Herzen von ganz Deutschland erobern und in wenigen Wochen eine neue Auflage erheischen, doch ist's auch wieder da anders gegangen.

So wenig Seide Herr A. Bonz mit den Lyrischen Reisen gesponnen, so druckte er doch bald – mit gleichem Erfolg – ein ähnliches Büchlein: »Aus Tirol«, welches vor drei Jahren herauskam. Es enthält einige Schilderungen aus der Wanderschaft, einige literarische und culturgeschichtliche Abhandlungen, darunter auch die merkwürdige Begebenheit: »Im Lesezimmer zu Kufstein.«

Von den »Novellen und Schilderungen«, die 1853 erschienen, ist oben schon gesprochen worden. Sie lagen damals in guter Ruhe in einem Keller zu Stuttgart. Nun waren aber mehrere neue Novellen erblüht und es schien nicht unstatthaft, die alten und die neuen gesammelt herauszugeben, was Herr H. Uhde, wenn er gefragt worden wäre, wohl auch verboten hätte. Nur entstand die Frage, ob auch »Die Rose der Sewi« in die Sammlung aufzunehmen sei. Mir schien sie eine liebliche Nachtigall, die vielleicht in der Freiheit viel schönere Tage erleben konnte, als mit den anderen in ihrem Käfig. In Stuttgart meinte man aber, ohne die Rose ginge es nicht. »Bis wenn kriegen wir denn die zweite Auflage?« fragte ich den Herrn Verleger im November 1880, denn wenn sie nahe bevorstand, wollte ich die Rose lieber getrennt erhalten. »Nicht vor drei Jahren!« Da warf ich alle »diesbezüglichen« Hoffnungen in den nächsten besten Winkel und sprach: »Schlachten sie in Gottes Namen das liebe Mädchen in das Buch hinein, mir ist jetzt alles gleich!«

So erschienen denn die Gesammelten Novellen vor zwei Jahren in feiner Ausstattung zu Stuttgart.

Ich dagegen erhielt im letzten Mai einen Brief meines Herrn Verlegers mit der Meldung, daß zwar die eine Hälfte des Vorrates verkauft sei, daß er aber die andere mit neuen Titeln und Umschlägen Anfang September als zweite Auflage in die Welt senden möchte. Die guten Freunde des Herrn Bonz können nun freilich nicht anders, als das Publikum »nachdrücklichst« auf diese interessante Erscheinung hinzuweisen, umsomehr als sie auch mit meinem »Porträt geschmückt sein wird.« Anbei bleibe aber nicht ungesagt, daß ich mich, nachdem jene chimärischen Hoffnungen zerstoben waren, mit dem bisherigen Absatze ganz zufrieden gegeben, und die künstliche zweite Auflage so wenig angeregt habe, als die Ausschmückung mit meinem Antlitz, zumal ich dies einer zweiten Veröffentlichung nicht bedürftig und auch seine Aufgabe, als eine Art Sirene die unvorsichtigen Schiffer aus dem Ocean der deutschen Literatur hereinzulocken, nicht für lösbar halte.

Das letzte Buch, mit dem ich die deutsche Lesewelt zu erfreuen meinte, ist voriges Jahr erschienen. In Tirol lebten einst zwei bedeutende Männer, Pater Beda Weber zu Meran und Dr. Joseph Streiter zu Bozen, welche früher gute Freunde waren, später aber unheilbar zerfielen. Dieses Zerwürfniß wurde nun in einem Wiener Blatt besprochen mit dem Beisatze: »Auch Zwischenträger mögen geschadet haben.« Da ich nun dazumal – im Sommer 1844 – allerdings in Streiters Auftrag – dem Pater Versöhnung anzubieten hatte, welche dieser aber nicht annahm, so war ich immerhin ein Zwischenträger zu nennen, und da sonst kein Sterblicher mit gethan, so bezog ich jene Worte nur auf mich. Um sie richtig zu stellen, suchte ich nun alte Zeitungen, alte Briefe, alte Tagebücher hervor und schrieb nach diesen Quellen ein Buch über die literarischen Unruhen jener Tage, welches die Welt als »Sängerkrieg in Tirol« überraschte. Es schildert die damaligen Zeiten, die in Tirol vollkommen vergessen sind, so daß ich der Einzige bin, der noch davon zu erzählen weiß. Den Tirolern will das Büchlein aber nicht recht munden; es schildert sie zu sehr, wie sie sind, während sie sich viel lieber loben lassen. Sie sagen daher, sie hätten etwas anderes zu thun, als jetzt noch die Schliche eines Pater Beda zu studiren, und lassen das Büchlein links liegen. Der Verleger seufzt – was mir leid thut, denn ich wünsche ihm eben so viel Glück, wie mir selber.

Dies ist mein Leben – zunächst mein literarisches – ein trübseliges Tableau eines mehr als vierzigjährigen Ringens, das fast nur Nieten, nie einen schönen beneidenswerthen Erfolg eintrug und die Verleger noch mehr als mich verstimmte. Gleichwohl erwecken mir meine Schriften, wenn ich sie hin und wieder durch die Hand gehen lasse, nur freundliche Erinnerungen, denn ich habe sie, abgesehen von dem allerersten Versuche, alle aus ganzem Herzen, mit voller Kraft, in der angenehmsten Aufregung zu Stande gebracht. Wenn das, was mir mündlich oder schriftlich oder in Recensionen zukommt, nicht eitel Schmeichelei ist, so müssen sie ganz gut geschrieben, witzig und geistreich sein und doch hat meine Muse in so langer Zeit so gar nicht gedeihen wollen! Glücklich, daß ich nicht von ihrer Hände Arbeit abhänge.

Einige Schuld an diesem Mißgeschick mag wohl auch daran liegen, daß ich zumeist für Bayern und Tiroler geschrieben habe. Wer für diese beiden stamm- und geistesverwandten Völker schreibt, wird immer zwischen zwei Stühlen niedersitzen; das literarische Interesse ist dort drinnen so gering wie da heraußen. In Berlin oder Wien geht's viel leichter.

Somit stehe ich denn am Rande eines Lebens, das ich immerhin ein glückliches nennen darf, da ich bisher von Krankheiten und schweren Schicksalsschlägen verschont geblieben bin. Wenn meine Bücher kein Glück gemacht, so schlage ich das nicht so hoch an, sondern kann mich sogar, wie der bekannte Spartaner, freuen, daß im großen Vaterlande so viele bessere Scribenten zu finden, als ich. Habent sua fata libelli.

 


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