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Vierter Aufzug

Bibliothek m Uznach; festlicher symmetrischer Raum in Weiß und Blau. Zwei Glaslüster über dem Mitteltisch. Schränke, Sessel weißlackiertes Holz, tiefblau bezogen. Treppen links und rechts zur Galerie mit großer Doppelmitteltür oben. Durchgehende Bücherschränke oben und unten an den Hinterwänden. Strahlender Frühlingsmittag

Erster Auftritt

Andresen, Mary Vigdor stehen sich rechts und links an den Tischecken gegenüber

Andresen: Was meinst du endlich zu dem Ungeheuren, das uns passierte.

Vigdor: Was alle Welt fühlt, worüber sie erschüttert selig sprachlos ist. Du auch?

Andresen: Vom ersten Tag an. Stündlich überschwemmt mich aus den beiden reicheres Glück.

Vigdor: Nie geahnte Süßigkeit schmeichelt meinem Wesen. Welt ist durch Klaus und Mathilde nur noch Gesang und Musik, aus Busen nie gefühlte Harmonie geworden.

Andresen: Sprichst du so, ist es nicht geschwärmt, Mary; nur in so unbändigen Silben läßt es sich überhaupt sagen. Im ersten Augenblick kam mir von ihnen die fröhliche Botschaft.

Vigdor: Im Grund mochte ich dich stets auf ähnliche Weise gern.

Andresen: Auf andere verschmähtest du mich jahrelang schnöde. Nahm ich sehr oft gegen dich den begeistertsten Anlauf, tanztest du schnippisch aus meiner Reichweite.

Vigdor: Dachte, in Uznach müßte es so sein. Vor lauter äußerem Schmiß verkümmerte die innere Bewegung.

Andresen: Vor mechanischem Lärm hörte man seinen Herzschlag nicht mehr.

Vigdor: Der unseres hohen Paares klopft Tag und Nacht gewaltig durchs Haus.

Andresen: Wie er sie demütig heldisch ansieht!

Vigdor: Sie in sich hinein keusch von ihm fortblickt!

Andresen: Er an sich hält, jeden Nerv vor ihr zusammenreißt! Will man für beide den noblen Ausdruck, heißt er: In Erz geschient.

Vigdor: Das Gegenteil dessen, was wir seit zwei Jahren anstrebten.

Andresen: Welch bessere Überzeugung hat des Jungen eherne Ruhe, als was der Alte mit viel schönen Reden preist.

Vigdor: Wieviel mächtiger wirkt ihre Verhaltenheit als das üppige Gemüller der Gänse!

Andresen: Das du ihnen mit Hingabe beibrachtest.

Vigdor: Du theoretisch unterstrichest.

Andresen: Tausend Vergleiche fallen mir aus diesen Büchern mit unseren Helden ein. Ein Reigen historischer Paare tanzt mit ihnen lebendig im Gleichschritt.

Vigdor: Keines reicht entfernt an unseres heran, das unvergleichlich aus unserer Zeit ist.

Andresen: Aus einer, die kommt.

Vigdor: Mit ihnen da ist.

Andresen: Vor acht Tagen sprachst du feurig das Gegenteil. Wußtest auch nichts von dem, was plötzlich in dir mich zärtlich betreffen soll.

Vigdor: War vor lauter Ballistik verknöchert. Stürme der Natürlichkeit hatten nicht lange genug durchs Haus gefegt.

Sie sind sich am Tisch näher getreten

Andresen: Machst du nicht wieder nur neues Mimikry?

Vigdor: Du Dummchen, albernes!

Andresen: Ich sehe dich immer noch, kristallographische Raumlehre, Sechsteiligkeit des Bewußtseinsakkordes begreifend. Spannungsverhältnis, Körpergeistseele immer noch.

Vigdor: Glaub, was du willst. Doch hänge ich nicht mehr von deiner Reibungswärme männlicher Symbolik etcetera pp. ab. Stehe, dich liebend, dir kraß privat gegenüber.

Andresen: Eurhythmik? Überbetonter Ausdruck? Aufleuchten des Liebeshasses wohl gar?

Vigdor: Ein Schuß warmer Mütterlichkeit. Basta!

Andresen: Allmächtiger!

Vigdor: Noch verdiene ich nichts, als daß ich dir komisch scheine.

Andresen: Das ist zuviel gesagt.

Vigdor: Mir selbst bin ich's nicht mehr; seit kurzem, was dich betrifft, mir plausibel.

Andresen: In deiner bisherigen Stellung aber warst du's?

Vigdor: Wie die ganze Welt verdreht.

Andresen: Das Wort paßt.

Vigdor: Heute möchte ich dir viel versäumtes Liebes tun. (tritt ihm nah) Du bist so ungepflegt, Heini; hast Mitesser, wäschst dich wenig. Nie sitzt dein Schlips, die Brillengläser sind schmutzig, (nimmt ihm die Brille ab und putzt sie) Täglich möchte ich dich von Kopf zu Füßen putzen. Kein Mensch hat sich im Grund bis jetzt um dich gekümmert.

Andresen: Vom Säuglingsalter ab war ich allein. Eine kahle, kalte, unkomfortable Sache mein Leben.

Vigdor: Darum forderst du jeden Augenblick mehr meine ganze Zärtlichkeit heraus.

Andresen: Die könnte ich brauchen!

Vigdor: Und da wir voraussichtlich keine Kinder haben werden –

Andresen: Wer sagt das?

Vigdor (Hand auf sein Haupt): Süßer Tollkopf! Da wir kaum Kinder haben werden, bin ich sicher, du allein verträgst meine unverbrauchte grenzenlose Hingabe.

Andresen: Grenzenlos?

Vigdor: Erschrick nicht! Die des gereiften geprüften Weibes natürlich. Piano è sano.

Küßt ihn auf die Stirn

Andresen: Du verwirrst mich, klirrst förmlich vor wirklichem Sein, packst mich zuinnerst.

Vigdor: Packe dich wörtlich und wirklich, (greift ihn bei beiden Schultern) Warum sollten wir weniger gern als die berühmten Figuren in diesen Büchern unser endliches Schicksal antreten? Durch die vorbildliche Gemeinschaft, die in diesem Haus jetzt klassisches Beispiel ist, haben wir riesige Pflichten. Von ihrem starken Jubel mitbeschwingt, erfülle ich sie leicht und angemessen, (küßt ihn mitten auf den Mund)

Andresen: Das geht wunderbar einfach durch und durch. Und ist so natürlich!

Sie verharren, lange im Kuß

 

Zweiter Auftritt

Siebenstern (tritt von rechts ein): Verzeihung, ich will nicht stören.

Andresen: Ihnen, Herr Doktor, teile ich die Verlobung mit Mary Vigdor als erstem mit.

Siebenstern: Bin buchstäblich starr.

Vigdor: Einem Seelenkenner wie Ihnen müssen unsere so gearteten aparten Beziehungen seit langem geschwant haben.

Siebenstern: In der Tat dachte ich oft; doch Andresens bockbeinige Sprödigkeit ...

Vigdor: Da siehst du es! Wir bestehen endlich, jungem lebendigem Vorbild verhaftet, auf unserer nackten Primitivität. Kommen, hoffe ich, in Zukunft zufrieden selbständig ohne Uznach aus. Heinrich, du übernimmst es, formell geziemend Herrn Dr. Siebenstern unseren gemeinsamen baldigen Fortgang anzukündigen, (mit Reverenz) Herr Direktor – bis zu Tisch.

Links exit

 

Dritter Auftritt

Siebenstern: Bleibe starr!

Andresen: Nicht so sehr, fühlen Sie mit, was sichtlich das ganze Haus seit Frühlingsanfang in Flammen setzt. Aller Dinge plötzlich erwachte Seele liebkost Sie nicht weniger ursprünglich als die ganz außer sich geratenen Hausinsassen. Sie haben wie wir den gleichen heißen Glanz im Auge, hören nicht weniger gerührt den Volljubel, der aus zwei hochgestimmten Herzen begeisternd mitreißt.

Siebenstern: Was ist das für ein Dialekt bei Ihnen?

Andresen: Der den heutigen Umständen angemessene. Den Sie bald mit uns sprechen werden.

Pause

Siebenstern: Das also ist, nach so viel Ansätzen, stürmischen Versuchen, dem männlichsten Elan, das Ende unserer Prinzipien in Uznach?

Andresen: Können Sie sich ein himmlischeres Finale, riesigere Fuge, Herr Direktor, einbilden? Ist es nicht der glorreichste Tusch, den zum erstenmal die ganze Schöpfung mitbläst?

Siebenstern: Haben wir ihn mit herbeigeführt?

Andresen: Durch unsere Exzesse der Affektation erzwangen wir den großen Gegenstoß empörter Natur.

Siebenstern: Das könnte wahr – ein wundervoller Trost sein.

Andresen: Dixi!

Sie reichen, sich die Hände

 

Vierter Auftritt

Sonja (tritt von links auf): Störe ich?

Andresen: Ich – will nicht stören.

Verbeugung; links exit

Sonja: Vor fünf Minuten verlobte sich Thylla mit ihrem gestern in einem Kataklysma hertelegrafierten Vetter Franz von Klett.

Siebenstern: Andresen heiratet stante pede die füllige Erfinderin des Tänzergewissens, reife Hüterin der kulturtragenden Wesenheiten.

Sonja (strahlend): Neue Sachlichkeit allenthalben!

Siebenstern: Die auch mich bezwingt.

Sonja: Und mich erst! Unerhört wie es in diesem Haus keine Wände, Vorwände für nichts mehr gibt, überall die Phänomene sich entblößten, Gefühle so hoch im Zenit stehen, daß man prachtvoll nie gewußte Selbstverständlichkeit übt. Du warst es, der sie auf Umwegen in uns mit dem sicheren Blick für das stolze Ende frei machte, und darum glüht mit mir für dich ein ganzes Haus in stürmischer Dankbarkeit

Siebenstern: Was geschah, hat nichts mit mir und meinen Methoden zu tun.

Sonja: Alles! Du gabst uns Start in neues Sein, brachtest das neue Rhodus fertig. Durch Disziplin, Weghören vom Gewöhnlichen machtest du uns für des Zeitalters leiseste Regung erst empfindlich. Glaubst du, Europas Durchschnitt ist für das Ding, das sich hier ereignet reif? Abseits von ihm schufst du die besondere Atmosphäre, den gedüngten Boden, auf dem die Saat sproß, und war im einzelnen alles falsch, traten wir auf dein Kommando aus Reihen der Vielzuvielen zu eigener Lebensführung an, die jetzt ihre erste epochemachende Leistung zeigt.

Siebenstern: Deine Liebe will mir Genugtuung geben, die ich nicht verdiene.

Sonja: Ich spreche, wie mir der Mund aus den Ereignissen gewachsen ist.

Siebenstern: Und erwartest, ich schließe unseren Bund fester?

Sonja: Es ist das wenigste, was du im Anschluß an soviel Endgültigkeit, die hier auftrumpft, tun kannst. Warum wollten wir weiter im Geheimen handeln, wo Posaunen zur Wahrhaftigkeit rufen?

Siebenstern: Welch neuer hellerer Klang auch aus dir!

Sonja (an seiner Brust): Und welcher Kontrapunkt aus deiner Resonanz (sie umarmen sich lange, treten ans Fenster) Du siehst, das Paar Maud und Vane ist hier sogar noch nicht zur neuen Tagesordnung angetreten.

Siebenstern: Das Zeitalter bricht auch in uns gerade erst an. Das neue Venerabile will noch Distanz um sich, braucht noch viel Zeremoniell und Vorbereitung.

Sonja: Du sagst es!

Das erste kurze Gongzeichen zum Essen ertönt

Siebenstern (singend »Figaro«): Frau Gräfin darf ich bitten ...

Sonja (ebenso): Herr Graf, ich muß doch bitten ...

Sie treten Hand in Hand vor der Treppe links an

Siebenstern: Und bei Tisch mache ich das vielfach selige Schicksal bekannt.

Sonja: Warte, bis die Wesentlichen das Zeichen zur rechten Zeit geben. Auch in uns allen besinnt sich das Letzte noch. Langsam! Sostenuto!

Siebenstern: Die neue Sachlichkeit will gelernt sein.

Sonja (ihm groß in die Augen): So soll es sein!

Siebenstern reicht ihr großartig den Arm, sie schreiten die Treppe links hinauf. Als sie auf halbem Weg sind, treten Maud und Vane von rechts auf. steigen Hand in Hand die rechte Treppe hinauf. Als beide Paare oben sind, kommen links Andresen und Vigdor. Thylla und Franz von rechts, beide Paare küssen sich saftig am Fuß der Treppe, steigen Hand in Hand links und rechts die Treppen hoch. Oben verharren alle Paare gespannt

 

Fünfter Auftritt

Mathilde rechts, Klaus links treten gleichzeitig auf. stehen einander in ihren Türen gegenüber, gehen getragen gegeneinander, sich zu begrüßen, auf die Mitte zu. Oben verbirgt sich alles hinter den Portieren. Als die beiden unten die fremde Anwesenheit spüren, treten sie, bevor sie sich erreicht haben, auf Zehen rückwärts in ihre Türen zurück. Dort stehen sie, legen beide gleichzeitig heroisch den gestreckten Zeigefinger im Sinn des Freskos Fra Angelicos auf den Mund. Verschwinden durch ihre Türen.

Oben schlüpft alles ins Speisezimmer. Gleich darauf klingt aus dessen geöffneter Tür das auf dem Klavier gespielte Menuett von Boccherini. Mathilde Tür öffnet sich ruckweis wie die von Klaus wieder. Beide grüßen sich sehr zeremoniell zu den Tönen des Menuetts noch in der Tür und steigen in großer Haitang, steif der eine die Treppe links, der andere die Treppe rechts hinauf, während der Vorhang schnell fällt

Vorhang


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