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Otto und Fräulein von Rauch steigen aus dem Laboratorium herauf.
Otto: Hier ist Geld.
Rauch: Damit kann ich nichts anfangen, wo ein Sommerhut, ein bißchen garniert, das Doppelte kostet.
Otto: Vorgestern hast du ebensoviel bekommen.
Rauch: Und Wäsche, Kleider, Stiefel? Du willst mich gut angezogen.
Otto: Es soll nicht in die Puppen gehn.
Rauch: Ich darf nicht betteln müssen. Das verdirbt den Charakter. Bin schließlich eine von Rauch.
Otto: Keine Gefühle!
Rauch: Gefalle dir nicht mehr?
Otto: Im Gegenteil. Du hast es gerade gefühlt.
Rauch: Ich liebe dich grenzenlos, Otto, vor Gott!
Otto: Das paßt mir sehr. ( Er gibt ihr Geld.) Da! Doch kümmere dich um Uli! Sei scharf hinterher. Das Mädchen fängt an, Augen und Ohren überall zu haben, wo ich nicht will.
Rauch: Sie ist frühreif. Dein Temperament. Läuft hinter Ago her.
Otto: Der ist heut abend endgültig fort.
Rauch: Gottlob in jedem Sinn!
Otto: Und jetzt dalli! Vorsicht Stufe! Pst! ( Schiebt sie zur Tür hinaus und folgt nach einem Augenblick.)
Föhrkolb ( steigt zum rechten Pavillonfenster herein. Läßt eine elektrische Taschenlampe aufglühen): Pst!
Uli ( steckt den Kopf aus dem Vorhang des Erkers heraus): Pst! Hallo!
Föhrkolb: Schon da?
Uli: Grade erwischte ich den alten Herrn in voller Tat mit der Gouvernante. Habe Augen, wo ich nicht soll! Bande! ( Sie tritt hervor.)
Föhrkolb ( kichert): Eiwei!
Uli: Mund halten! Ganz meine Sache!
Föhrkolb: Selbstverständlich. Ehrenwort, Fräuleinchen!
Uli ( tritt auf ihn zu): Hören Sie: Bilden Sie sich nur nichts ein, daß ich Sie mitten in der Nacht heimlich treffe.
Föhrkolb: Was soll ich mir einbilden?
Uli: Das ist pure Neugier von mir, zu sehen, was eine Sorte Mensch wie Sie eigentlich treibt.
Föhrkolb: Was soll ich treiben? Warte mit dem Auto, Baron Ago, auch so einen Salonkommunisten, zur Bahn zu fahren. Eine halbe Stunde Zeit noch.
Uli: Das interessiert mich nicht. Wie Sie sonst leben, denken und so weiter?
Föhrkolb: Nichts Besonderes.
Uli: Sie sind doch wirklicher – Bolschewik!
Föhrkolb: Kapede, So was ähnliches.
Uli: Also was wollen Sie mit mir, die ich Kapitalistin bin?
Föhrkolb ( grinst): Sie sind aber auch ein sehr hübsches Mädchen, Fräuleinchen!
Uli: Das wäre mir egal, ob Sie hübsch sind. Hübsche gibt's massenhaft. Aber was Sie anderes als wir denken –? ( Plötzlich): Still! Licht aus! Achim ist hinter uns her.
Föhrkolb ( läßt die Lampe verlöschen): Ausgeschlossen. Kein Mensch! Der ist mit Lisbeth los.
Uli: Würden Sie, kämen Sie plötzlich zur Macht – sagen wir, Sie stürmten unser Schloß in solcher Nacht mit Fackeln, Handgranaten, Sie an der Spitze von Genossen, Marke Garibaldi und so – was würden Sie mit mir machen?
Föhrkolb: Das können Sie sich doch lebhaft denken, Fräuleinchen.
Uli: Was ich mir denke, würde jeder in solchem Fall mit mir tun. Dazu brauchen Sie kein Kapedeer zu sein. Sie müßten es neu und speziell ausführen.
Föhrkolb: Verflucht! Das ist gegen alle Kleiderordnung.
Uli: Sie haben die Pflicht, in allem originell zu sein.
Föhrkolb: Da gibt's keine neuen Vorschriften.
Uli: Das wäre blödsinnig. Dann bleibt ja alles beim alten. Ich danke! Oder zum Beispiel, ich erlaubte Ihnen, mich zu küssen und so weiter – was würden Sie fühlen?
Föhrkolb: Aufregen würde ich mich und mächtig amüsieren.
Uli: Sonst nichts? Das amüsiert doch jeden anderen auch. Wenn ich mit Ihnen als Kapedeer was anfinge, sollte es was Neues sein, wie wenn ich katholisch würde. Sensation!
Föhrkolb: An Ihnen sind auch nur Ihre Niedlichkeiten. Die allerdings effeff. Und die kann man sich nur auf eine Weise zu Gemüte führen.
Uli: Da irren Sie sich. Ich genieße Sie auf ganz besondere Art, als Tief-unter-mir-Stehenden, einen gefährlichen Burschen, eine Art Raubtier. Bestie. Machten Sie mich nicht aus Standesunterschieden gruseln, stünde ich nicht hier. Das ist sicher.
Föhrkolb: Gruseln machen Sie mich auch. So peh a peh.
Uli: Na wie, na und?
Föhrkolb: Vor mir selbst.
Uli: Na was, was dann?
Föhrkolb: Wenn ich merke, denke ... ( Tritt auf sie zu): Donnerwetter, kleines Aas!
Uli: Los doch!
Föhrkolb: Sie sind auch bloß so eine Ausbeuterin wie die anderen!
Uli: Na und?
Föhrkolb: Profitgier. Aasgeier, sonst nichts.
Uli: Wenn schon?
Föhrkolb ( erregt): Frechheit!
Uli: C'est la vie, chéri.
Föhrkolb ( außer sich): Jetzt auch noch französisch!
Uli: Voilà!
Föhrkolb: Da könnt' ich dir eine pflastern, daß dir die Gesichtszüge entgleisen!
Uli ( ihm zugewandt): Los doch!
Föhrkolb: Sie meinen es gar nicht so?
Uli: Ich meine es genau so, Kleiner.
Föhrkolb ( haut ihr eine): Da hast du sie!
Uli ( tritt verblüfft zurück): Donnerwetter!
Föhrkolb: Gleich schwirrt die zweite.
Uli: Du bist wirklich ein Gefährlicher!
Föhrkolb: Dir und der ganzen Sippschaft bringe ich Lebensart bei. Wir sind bis hierher geladen, wir Proleten! ( Nach einem Augenblick anderer Ton): Sind Sie auch nicht bös'?
Uli: Warum?
Föhrkolb: Weil ich Ihnen die gelangt habe?
Uli: Du bist ein Schaf, Fritz. Mit deinem Bolschewismus nicht im reinen. Das habe ich heraus.
Föhrkolb: Das wird sich finden. Die Knallschote saß.
Uli: Die hättest du dich allein nie getraut; habe ich dir glatt eingeblasen.
Föhrkolb: Na wart' mal ab! Ich fingere es schon.
Uli: Du würdest mich lieber liebkosen.
Föhrkolb: Das allerdings auch, Fräuleinchen. ( Er strahlt): Aber feste mang! ( Tritt näher.)
Uli: Jetzt nicht! Ich habe Wind, wir müssen verduften. Pst!
Föhrkolb: Ein Küßchen wenigstens.
Uli ( hält ihm den Mund hin): Aber Abstand, kleiner Kapede! Und schnell!
Föhrkolb ( küßt sie): Sie sind zu süß! Ich weiß gar nicht. Mollig und schnurrig. Verstehen's mit Männern, Fräuleinchen. Feine Sache!
Uli: Gefall' dir?
Föhrkolb: Mächtig!
Uli ( hebt den Rock): Beine?
Föhrkolb: Klasse!
Uli: Nicht zu dicke Waden?
Föhrkolb: Keine Ahnung.
Uli: Jetzt aber nach zwei Seiten ab. Ich wittere Morgenluft!
Föhrkolb: Und brauchst vor mir keinen Bammel zu haben. ( Das Bein schon im Fenster.)
Uli: Keine Ahnung! ( Ruft plötzlich): Man kommt schon!
Föhrkolb exit zum Fenster. Uli unschlüssig, läuft die Treppe nach unten hinab.
Traugott und Ursula treten auf.
Traugott: Was flitzt hier der Chauffeur herum? Der Bande ist das Betreten der Gegend verboten. Man muß, sie zu klappen, Fußangeln legen.
Ursula ( noch in der Tür): Welche Nacht!
Traugott: Die ganze Gesellschaft der Fixsterne am nördlichen Himmel unsere begeisterten Zuschauer!
Ursula: Nie sah ich sie mit bloßem Aug' so deutlich. Nicht wie sonst sind sie kühl auf schwarzem Grund genagelt, doch hängen lichtschwangere Lampen in den Äther herab.
Traugott: Klotzig ihr starres Verharren! So sah sie Kopernikus. Im Zentrum der Polarstern, abhängig von ihm der kleine Bär, vom Drachen und Cepheus bewacht. Ist Arion dein Liebling, Pollux der Riesige?
Ursula: Antares im Skorpion. Er hat das hellste Auge.
Traugott ( Arm um ihre Schulter): Sieh Adler, Schwan, Kassiopeia mit dem Fuhrmann in der Milchstraße auf strahlender Wacht.
Ursula: Ich beneide dich um die Kenntnis so rassiger Treue.
Traugott ( drohend): Die du im Herzen nicht mehr hast?
Ursula: Im Laboratorium hetze ich Moleküle in Hast. Immer auf Jagd nach ihrer Sprengbarkeit. Das nimmt die Seele an.
Traugott: Beharrung ist dir vor allem ins Blut geerbt.
Ursula: Aus Beruf mir das Gleichnis steten Wechsels gesetzt.
Traugott: Plötzlich spür' ich dich Haltung verlieren.
Ursula ( lacht schmerzlich): Und sähest du mich und ihn durchs Fernrohr, glichen wir dem Löwen und der Jungfrau, die in schrecklichem Zusammenprall aufeinander wollen.
Traugott: Warum lachst du, ist dir nicht so zu Mut? An Himmeln stößt nichts zusammen.
Ursula: Wir armen Menschen – ach!
Traugott ( zärtlich): Zögerst du, Kleine? Hapert's? Langt die Puste nicht? Soll ich den Kerl noch vorher mit Tritten zum Teufel jagen und begnügen wir uns in Gefahrorkanen tatenlos mit gestirntem Himmel?
Ursula: Als abgestoßene Planeten trieben wir im Firmament und sind doch verantwortlich, als Fixsterne zu gelten.
Traugott: Dem Vaterland Leuchte gegen inneren und äußeren Feind zu sein: Echt Vaterländische! Taugen wir nicht? Irrten in uns selbst? Heraus mit der Sprache!
Ursula: Du dich nie, das weiß Gott. Und ich – das muß sich ihm gegenüber beweisen.
Traugott: Siehst du deutlich, was folgt? Bist du klar?
Ursula: Daß ich nicht widerlegen kann, was er verkündet. Denn ihm diktierte die Zeit und mitmenschliches Gewissen; kein persönlicher Ehrgeiz mehr, den ich beurteilen könnte. Besiege ich ihn doch, muß es mit Reiz und von mal zu mal größerem Rausch aus mir sein.
Traugott: Klar! Von mal zu mal! Nur an der genialen Stufung hängt der Sieg. Nicht schnell und billig, nicht, ohne Einbrüche in dir immer wieder aufzufüllen. ( Stark.) Und nie an die Reserve heran! Über den Mann fort, hurtig an ihm vorbei! Du stehst in überflügelnder Offensive, das Ganze, eine Flanke darf keinen Moment halten.
Ursula: Seine menschliche Besinnung nicht sein!
Traugott: Und deine weibliche Besinnungslosigkeit nicht von weitem! Kapiert?
Ursula: Wie stets begriffen.
Traugott: Hör' beim Marsch, allem Vor und Zurück deines Vaters und einer Welt brüllenden Herzschlag! ( Er schmettert singend): »In dem wilden Kriegestanze ...!« ( Grüßt sie stramm militärisch und steigt, die Weise weiter summend, die Treppe hinauf.)
Ursula eilt zum Fenster, späht hinaus.
Traugott ( von oben): Nun?
Ursula: Nichts. ( Stille.)
Traugott: Na?
Ursula: Noch nicht. ( Stille.)
Traugott: Käm er nicht?
Traugott: Weißt du alles?
Ursula: Im Blut.
Traugott: Buch, Schrift Reserve? Gewärtig?
Ursula: Alles!
Traugott: Vor Sieg kein Halt! ( Und in Zärtlichkeit und großer Bewegung): Ursula!
Ursula: Die echte Vaterländische! ( Plötzlich): Er kommt!
Traugott oben schnell exit
Nur des Kamins helle Flammen erleuchten den Raum.
Ago ( tritt auf): Wie ging's?
Ursula: Leicht, als alles schlief. Dir?
Ago: Abschied vorbei. Auto. Gepäck warten. Den kleinen Jungen traf ich, als ich zur Tür hinauswischte.
Ursula: Die helle Nacht regt alles Leben auf.
Ago: Himmlische Aufgeregtheit der Natur! Schlachtruf aller Revolutionen.
Ursula: Der Marxschen nicht. Nur Vernünftigkeit.
Ago: Wir halten weit vor Marx. Über Bakunin hinaus wollen wir Religion und Kunst. Proletarische! Traum und, wo es frommt, kompletten Wahnsinn. Unbeschränkter sind wir als ihr, unvoreingenommen: doch wollen das Ganze nicht mehr privat, doch aus dem Gemeinsinn föderalistischer Menschen.
Ursula: Wir wollten es selbstsüchtig?
Ago: Aus Standesinteresse wart ihr gegen beherrschte Klassen scharf.
Ursula: Als Adlige sind wir Christen dazu.
Ago: Maßlose Selbstsucht brauchte Ventil, den Volldampf abzulassen. Dazu wird Milde und Mitleid gelehrt, die schüchtern ins Volk tropfen. – Höre meiner Lehre Essenz gleich zu Anfang des Buchs. ( Er liest): »Glücklich der Mensch, der in Arbeit verbraucht, nicht mit dem Wust feudaler oder bürgerlicher Bildung bepackt ist, die einen in Vorurteile Gefesselten aus ihm macht. Und daß er begreift: Was noch gewußt wird, ist feindlich gegen ihn vom Gebildeten gewollt. Von Plato über furchtbare Menschengeschichte sind sogenannte ›Ideale‹ gegen ihn mobil gemacht, werden durch Wahrheitslehrer vermehrt und lebendig erhalten, die keine Wirklichkeit der Dinge hinnehmen, doch aus Anmaßung vernünftiger und besser wollen. Natur der Welt zu einer geglaubten und gedachten grauenhaft entstellen! – Welt selbst, der schlichte Mensch ist noch nicht angebrochen!«
Ursula: Das geht aufs Ganze!
Ago: Diesem Unmaß gedachter Ideale stellt sich proletarische Aufklärung entgegen, die sagt: »Nur Wirklichkeit, die unvergleichliche, besteht, in der alle Kreatur ihr Recht nimmt, aus keiner voreingenommenen Norm, keinen Befehl der Besserwissenden, doch aus sich selbst zu gelten und, als Ding an sich, verantwortlich zu sein.«
Ursula: Bündig.
Ago: Aber ich verhehle nicht: So viel Sinn für des Lebens besonderen Schmuck ist heut erst recht in mir, daß über Sehnsucht, das All mit meiner Flamme anzuzünden, der Drang der süßere ist, ich könnte dich stärker als einst berauschen, und daß er schon in allen Hintergründen meines Kommens war.
Ursula: Wie unbescheiden du über erste Behauptungen wirst! Da hieß es: Nieder der entfesselte Trieb. Statt mich aber wirklich, wie alle Welt ohne Vergleich hinzunehmen, soll ich doch mit mir selbst nur verglichen sein, und du willst besondere Wirkung auf mich. Isolierst mich dir selbst zu Stolz und Freude. Das aber lehne ich als von dir verworfenen Standpunkt ab, will, du mißt mich nach dem neuen. Das Buch als deine Erleuchtung soll sagen: Das trennt den Besitzenden vom Proletarier, daß der keinen Besitz, als er schnell wieder fortgibt, will. Sünde am Mitmenschen sei jedes für sich behaltene, materielle und geistige Gut, des Bürgers Ideale und Kultur. Daß ich dir letzte Nuance aus toter kapitalistischer Epoche sein soll, ist für das Mädchen, das dich begreift, die größte Kränkung und setzt dich herab.
Ago: Nein!
Ursula: Der Kompromiß, den du nicht darfst. Auch die Frau soll kein Vorwand zum Ideal, doch ein Ding, klar zu sagen, sein.
Ago: So strikt will ich es nicht.
Ursula: So mußt du es wollen.
Ago: Vorrechte leugne ich. Vorzüge der Natur sollen gelten.
Ursula: Das fiel dir zu deiner Bequemlichkeit rechtzeitig ein.
Ago: Glaubst du, über Nacht ist eine neue Weltordnung vollkommen?
Ursula: Das fragte ich. Du aber sagtest, Revolution und Krieg hätten sie auf einmal fertiggemacht. Das war gelogen!
Ago: Wirklich war seit Jahren keine Stunde mehr so produktiv.
Ursula ( stark): Warum dann solches Buch schon gedruckt? Wer zweifelt, daß menschliche Einsicht in des Unsichtbaren Pläne langsam steigt? Wie aber darf einer, dem stündlich noch Wichtigstes zu seiner Erkenntnis zuwächst, als Prophet auftreten, der ein Chaos überbietet? Vorm siebenten Tag hatte Gott kein Resultat.
Ago ( zeigt in das Buch erregt): Trotzdem ist hier vieles reif.
Ursula: Das Ganze nicht! Tragisch für euch, daß ihr mit dem, was ihr für die Menschheit wälzt, nicht fertig seid. Tragischer für die Welt, fände die Vorsehung kein Mittel, euch vor unbedachten Taten unschädlich zu machen.
Ago: Und weil wir nicht vollendet haben, sollt ihr inzwischen den Menschen weiter plündern dürfen? Soll das Entsetzliche fortdauern?
Ursula: Es entsetzt euch nur theoretisch. Praktisch, du beweist's, will auch der Rebell Erlesenes. Wir aber verurteilen euch darum nicht, fordern nur Vollkommenheit der Führer, wie wir sie besaßen: Euer ganzes Verantwortungs- und Ehrgefühl.
Ago: Seit wann pocht das Weib, das liebt, auf Ehre?
Ursula: Seitdem es der Mann in solchem Sinn erzog. Seit wann der Sozialist auf Befriedigung persönlicher Leidenschaft? ( Sie ist ihm nahegetreten, sieht ihm voll ins Gesicht.)
Ago: Seitdem die Frau so schön wie du geschaffen wurde.
Ursula ( frohlockt): Beginnst du über geschlossenen Kreis das zu fühlen?
Ago: Ich spüre – liebe dich!
Ursula: Liebst –? Was bedeutet das endlich?
Ago ( ausbrechend): Und begehre dich!
Ursula: Glatt heraus für dich selbst? Tragische Unlogik!
Ago: Rausch, der dir entbrandet – Einzige!
Ursula: Noch ist dein Werk nichts wert. Gestehst du endlich?
Ago: Noch bin ich nicht Held, die Sache aber –!
Ursula: Noch lange nicht!
Ago ( umfaßt sie): Liebe dich mehr als ich mitmenschlich bin.
Ursula: Wirf Halbheit fort. ( Sie greift nach dem Buch): Zerstöre –!
Ago ( außer sich): Nein!
Ursula: Was uns trennt und zu Größerem nicht frommt. Befrei uns. – ( Sie hält das Buch hoch in der Hand.)
Ago ( mit Schrei): Mörderin! ( Greift nach dem Buch; doch unterliegt er ihrer Blicke Glut.)
Ursula ( hat das Buch in die Kaminglut, wo es aufflammt, geschleudert, stürzt mit großem befreiten Schrei und ausgebreitet in seine Arme): Ago!
Ago ( nimmt sie, trägt sie, wirft sie halb in Stürmen der Liebe und Empörung durch den Vorhang).
Schon in Ursulas letzte Worte ist Traugott auf der oberen Bühne erschienen. Er und sein mächtiges Schattenbild haben die letzten Akzente mitgelebt. Jetzt hängt er über dem Geländer den im geschlossenen Erker Befindlichen entgegen, daß quer sein Schatten sich über die ganze Bühne legt, verharrt einen Augenblick, ein einziger großer drohender Blick. Da gellt Ursulas erstickter Schrei des Weibes – man sieht Traugott jäh das Geschehene begreifen – er krächzt einen heiseren Schrei und brüllt mit riesiger Gebärde:
Canaillen!
Wozu er Schüsse des Revolvers in den Vorhang schießt, dann die Treppe herabstürzt.
Beim ersten Schuß ist Uli im Gelenk der Treppe erschienen und Föhrkolbs Gesicht am Fenster rechts aufgetaucht.
Uli ( die den Vorhang auf- und zugerissen hat): Beide! Mörder! Fossil!
Jetzt stürzt Uli mit erhobenen Fäusten und großem Schrei Traugott, der sie von sich schüttelt, an die Kehle. Worauf sie zum Fenster, zur Tür stürzt, gellend in Krämpfen »Zu Hilfe!« ruft.
Föhrkolb ( wie Blitz ins Fenster, auf Traugott zu, der ihn zurückschleudert, dann zu Uli): Ich sause zur Stadt, die Bestie der Gerechtigkeit zu liefern.
Otto ( ist schnell aufgetreten, überblickt mit einem Blick die Lage. Zu Traugott): Fort: Los mit dem Sechszylinder! In dreißig Minuten über die Grenze! Hast den visierten Paß bei dir?
Traugott: Immer! Doch nicht so wild und keine Aufregung und Tragik mehr. ( Mit geballter Faust auf der Brust und letztem Blick zum Erker): Die sind in mir erwürgt vorbei! Jetzt Form wieder und Haltung bis zum Schluß. ( Tritt auf Föhrkolb zu): Hier das Publikum muß vor allem im Bild bleiben. Fahren Sie mich selbst, Jüngling, und – liefern mich der Gerechtigkeit!
Otto: Vater – bist du –?
Traugott: Was soll mir heutzutag passieren? Was, Dummkopf?! He? ( Und da Otto starr nicht antwortet, stark): Na also! ( Dann zu Föhrkolb in schnarrendem Kommandoton): Vorwärts, marsch, marsch! Über alles Ordnung und Gerechtigkeit in Deutschland! Hurra! ( und geht barhäuptig, den Chauffeur am Arm hinter sich herziehend, hochaufgerichtet hinaus).
Schnell der Vorhang
Finis