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Traugott von Beeskow ( in militärischer Bluse): Bin tot für Welt, Welt für mich mausetot! Kommt mir nicht mit Frage und Plan! Keinen Akt mehr! Hier ist zwischen Diesseits und Jenseits Neutralien. Hier sind wir nicht Vater und Sohn, ich nicht preußischer General der Kavallerie a. D. mit Helm und Puschel du kein Industriekapitän. Doch ich in der Sternwarte oben Astrolog. Du Alchimist im Keller unten, basta!
Otto von Beeskow: Ich will keine Anknüpfung.
Traugott: Wir haben ein Ehrenwort zwischen uns! Dieser Pavillon, Marke Panzerturm, in unseren Gärten ist kein Büro, Versammlungslokal: doch Mausoleum, das uns erlaubt, uns von Zeit zu Zeit als Denkmäler, Kolossalstatuen aus besserer Zeit zu sehen: Mich Sieger von Saint Gaillard, dich Erfinder des Giftgases YT, das Eisenbeton zu Staub bläst. Aus Selbstentschluß bin ich nicht mehr kommensurabel, umgangsunfähig. Nur Formel, auf Aktien kaltgestellt.
Otto: Basta. Es gibt auch nicht Plan noch Frage. Warnung!
Traugott: Einem Kavalleriegeneral?
Otto: Ago Bohna ist plötzlich aus Moskau da!
Traugott: Himmel, Arsch und Zwirn!
Otto: Du bist nicht fossil: reagierst kräftig.
Traugott: Das war Aufstoß psychologischer Säure. ( Brüllt): Komm mir nicht chemisch! Logisch! Wesentlich!
Otto: Ich vermied Zeitworte und Attribute. Sagte kurz: Ago!
Traugott: Verflucht!
Otto: Du siehst, es bedarf keines Akts, dich aus dir selbst zu sprengen.
Traugott: Das Substantiv birgt Krach und Katastrophe.
Otto: Ich sagte: Ago. Punkt.
Traugott: Dein Punkt ist krepierender Fünfzigpfünder! ( Er stößt mit dem Fuß auf): Bumm! Ich kenne mich in Dynamik aus.
Otto: Ich nannte nur deines Neffen Namen und den Moskaus dazu.
Traugott: Moskau ist Kladderadatsch, Ago Kataklysma. Die Formel A plus B Weltuntergang.
Otto ( geht zur Treppe nach unten): Mehr war's nicht.
Traugott: Halt! Nachdem du wider Abrede das Feuer eröffnetest.
Otto: Ich weiß sonst nichts.
Traugott: Behauptest du, auszusagen, braucht's Satz? Gibt das Dingwort nicht klarste, allgemeinste Vorstellung? Sind wir Feuilletonisten, Papperlapapps? Wir verständigen uns stenographisch. Sag' Wahrheit! Nachdem du trotz Schwur nicht verzichtet hast, mich wieder funktionell zu machen, kurble weiter.
Otto: Das sind seit drei Jahren erste Worte zwischen uns. Neunzehnhundertneunzehn, zwanzig und einundzwanzig schwiegst du wie ein Fisch.
Traugott: Was hatte ein preußischer General nach Versailles zu sagen? Sprache hatte er zu verlieren, Schnauze zu halten.
Otto: Auch der deutsche Geschützfabrikant konnte nichts hinzufügen. Unser Schweigen war korrekt, historische Notwendigkeit. Taktvoll schwiegen deine, meine Frau, deine Tochter im Quintett mit.
Traugott ( brüllt ihn an): Bäh!
Otto: Stimmt. Jetzt aber stellt sich heraus, durch Draht, der keine Leitung hatte, waren wir mit Welt noch verknüpft.
Traugott: Bengel!
Otto: Durch den Bengel, den du auf Knien vergöttertest, Mutter anbetete und Ursula – da fehlt das Wort. Dieser Ago spukt nach fünfjähriger Kriegsgefangenschaft in Rußland und Sibirien, nach siebenjähriger Abwesenheit am Horizont.
Traugott: Und du willst, ich sause zum Hörer: Hier Beeskow – wer dort?
Otto: Ich fühle, Strom kommt in dir, Du bist verbunden.
Traugott: Du gaunerst, lügst, schiebst! Kannst das von deinen Geschäften her nicht lassen. In einer Definition unterschlägst du Wesentliches. Seinen letzten Brief!
Otto: Ich weiß den Inhalt nicht.
Traugott: Du flunkerst. Nur seinen Wortlaut kennst du nicht.
Otto: Ich sah nach der Lektüre deine Augenbraue flackern.
Traugott: Die kennst du, seit ich dir das erstemal die Hose hier auf deinem Streitroß strammzog. Kennst des Briefes Inhalt.
Otto: Riet ihn vielleicht.
Traugott: Dir ist meine Augenbraue Lexikon.
Otto: Ago wurde dort – angesteckt?
Traugott ( brüllt): Nicht mit Syphilis! Die ist mit Salvarsan und Quecksilber heilbar. ( Stürzt die Treppe hinauf.)
Ursula tritt auf, wechselt Blick und Geste mit Otto, steigt die Treppe hinab.
Traugott ( erscheint oben auf der Treppe): Ein Maschinengewehr steht hier bereit. Wer sich auf über hundert Meter meiner Festung naht, auf Halt nicht steht, wird durch Schießscharten gesiebt. Ich warne Neugierige! Habe Fernrohre, Zeiß und Compagnie, mit denen ich euch und euren Machenschaften durch den Nabel in die Nieren blitze. Bin fossil, doch halte den Finger am Hahn, um aus dem Himmel loszubollern.
Otto: Krach ist überflüssig, Papa; schau ruhig weiter zum Schützen und Wassermann. Ich gucke nach wie vor mit Ursula in meine Retorten. ( Er steigt die Treppe in den Keller hinab.)
Traugott ( saust die Treppe hinab): Angeschlossen? Abgeklingelt! Aber plötzlich! Bumm, bumm!
Ursula ( kommt die Treppe von unten herauf): Tag, Papa! ( Küßt ihm die Hand.)
Traugott: Bist du im Bild, Ursel?
Ursula: Glaub's.
Traugott: Heißt Beeskow! Uradel feudal! Urkundlich 550. Als Hohenzollern noch auf Bäumen krochen. Das ist Sache!
Ursula: Ich schätze sie wie stets.
Traugott: Bist die letzte Rassige am Stamm. Wallach dein Bruder.
Ursula: Bin Beeskow. Wie du befiehlst.
Traugott: Wasser?
Ursula: H2O.
Traugott: Basta! Daß man Mineralwasser draus machen kann, ist schnuppe. Zufall!
Ursula: Allemal Beeskow! Papa.
Traugott: Verplempere dich nicht. Wesentlich die Sintflut überdauert. Après le déluge immer noch Beeskow.
Ursula: Und immer wieder voran!
Traugott: Bist mein Pluszeichen.
Ursula: Und trotzdem Rückzug, wenn Ago kommt?
Traugott: Kommt? Hierher vielleicht?
Ursula: Bestimmt!
Traugott ( außer sich): Ja, was denn?
Ursula: Telegramm! – ( Reicht es ihm.)
Otto ( ist an der Treppe aufgetaucht).
Traugott ( zu ihm): Dazu hattest du den Mut nicht!
Otto: Augenbraue!
Traugott ( liest): Ankomme... – ( Ballt das Papier und wirft es von sich): Ha!
Ursula: Wirklich en arrière, Vater? Stellst dich tot, vereist?
Traugott: Ich bin inkommensurabel, Attrappe.
Ursula: Vergleich! Zu Bohna vor allem! Klitsche bei Klitsche und Schicksal bei Schicksal seit Jahrhunderten urkundlich. Hast es mich hundertmal gelehrt.
Otto: Wirklich.
Traugott: Sagst du, Entgleister? Wagst du –?
Otto: Sage ich im Hinblick auf dich.
Traugott: Maß, Vorbild. Kein Vergleich bin ich. Fast siebenzig – er halb so viel.
Ursula: Das ist fossil.
Traugott ( auf sie zu): Mädel!
Otto: Sie hat recht.
Ursula: Genug der plötzlichen Rückzüge! Entweder – oder!
Otto: A bas le silence!
Ursula: Aufklärung, Vater! Wer Sternen auf den Leib rückt ...
Otto: Muß Moskau und den Teufel nicht fürchten.
Traugott ( bückt sich nach dem Telegramm, entknüllt und liest es): Morgen – heut' vielleicht schon?
Ursula: So schnell wie möglich handeln natürlich!
Traugott: Gut! Plötzlich entschieden! Doch Taktik, Strategie aus dem Effeff.
Ursula: Allemal.
Otto: Wir alle unter deine Befehle.
Traugott: Blutwallung. Auf! ( Zu Otto): Du, Blitz rüber! Auf Vorposten fort! Patrouillen schwärmen lassen! Er soll mich hier nicht überfallen!
Otto: Befehl! ( Ab.)
Traugott: Schlacht! Die große Wollust bullert wieder. Ich massiere Infanterie und – bumm! Das große Geschütz. Glühst du wie ich?
Ursula: Durch dich in einer Flamme zur Entscheidung!
Traugott: Flieg über Ereignisse auf. Segle in Röcken und plänkle besser als der bürgerlich bestochene abtrünnige Bruder. Brauch deine Reize bis zur Tollkühnheit und liefere ihn mir schließlich.
Ursula: Ich will für dich taugen!
Traugott: Und dann ich auf ihn – bumm – bumm – und Schluß – mit Infanterie, Artillerie und massenhaft Reserven Kavallerie! Tätärätä!! ( Er bläst laut wie eine Trompete.)
Die Szene wird schnell dunkel und wieder hell.
Sofie, Otto und Ago treten auf.
Ago: Ist das –?
Sofie: Die Burg. Auch Montsalvatsch genannt.
Otto: Fort Fossil. Panzerplatte. Schlachtschiff. Abstrakt.
Sofie: Nicht so laut. Man weiß nicht, ob er oben steckt.
Ago: Ruft ihn doch!
Otto: Der ist nicht rufbar. Tritt ohne Stichwort als deus ex machina auf. Fortinbras oder so.
Ago: Wie drollig ängstlich ihr vor ihm seid.
Sofie: Für ihn sind wir Ausbünde menschlicher Verwahrlosung.
Ago: Taktik ist's, mich nicht Aug in Aug sehn zu wollen. Ohne daß ich es sein muß, macht er Feind aus mir.
Sofie: Wahrheit: Du bist's!
Ago: Ich komme nicht als der, der ich sonst bin. Nicht zu Kampf und nutzloser Auseinandersetzung heim. Nach fünf Jahren schlicht zu Menschen, die mich liebten und die ich liebte.
Otto: Schlicht – aus Moskau – blendend! ( Zeigt): Da oben Sternwarte, Laboratorium unten. Von Rücksicht, Umschweif unter Elementen, die keinen Anprall fürchten, keine Rede. Doch Mark wird gebrüht, Kern gestanzt, geformelt.
Sofie: Hier sind auch wir, Sohn und Schwiegertochter, nicht berücksichtigt, Bourgeois genannt. Keine Sekunde kannst du hier andere als todfeindliche Säure sein, die bei Namen gebrüllt wird.
Otto: Mit Echo! Je eher desto besser.
Ago: Ist das Pose, Hang zur Panik?
Otto: Pose? Alles sonst ist ihm Feuilleton.
Sofie: Willst du Kontakt mit ihm, knall ihn mit ersten Schüssen über den Haufen. Sonst schießt er.
Otto: Kernschüsse!
Sofie: Auf Leben und Tod! Ich zum Beispiel, von seinen Gasen zersetzt, lebe nur durch bürgerliche Aufdringlichkeit um ihn.
Otto: Hier wird gesäuert, Atomie getrieben.
Sofie: Trotzt deine neue Weisheit jeder Ätzlauge?
Ago ( lacht): Das tut sie wahrhaftig!
Otto: Dann los!
Ago: Was soll mir, ihn zu werfen, nützen? Wo Millionen andere, meiner Aufklärung näher, zu überzeugen sind.
Sofie: Traurige Strategie.
Otto: Wer, glaubst du, steht eurer Entwicklung als brutalster Feind? Wir Groß- und Kleinbürger?
Sofie: Sind labile Konjunktur, unansehnlich.
Otto: Feudalität aber ist noch im heutigen Preußendeutschland produktiv.
Otto: Zwischen euch liegt Entscheidung!
Ago: Euch? Wofür nimmst du mich?
Sofie: Bolschewik?
Otto: Kommunist.
Ago: Muß Vokabel sein – gut!
Sofie: Wir Farblosen nähmen dich mit Vorbehalten wie du bist.
Otto: Weil ich auf Sensation des Augenblicks und Entwicklungen reagiere, nicht meiner Heirat wegen, bin ich für ihn Bürger.
Sofie: Für ihn bist du A oder B mit der Voraussetzung, A und B bedeuten ein Starres, mit dem er zu Zwecken in Ewigkeit rechnet.
Otto: Nicht kalkuliert. Kalkül ist bourgeois.
Ago: Ich habe begriffen und wußte es stets. Kenne die Marke von Kind auf. – Und Ursula?
Sofie: Liebt dich eine Bürgerin, geht sie mit dir auch als »Rotem« ins Bett. Da macht's ihr sentimentaler Zustand, nicht deine Gesinnung. Für Ursula bist du nicht nur auf Vaters Ordre Blaublut; Bohna, wie sie Beeskow ist, und kannst nur das bis in den Tod feierlich bedeuten.
Ago: So strikt ist feudales Deutschland noch?
Otto: Auch das marxistische. Alles Boxkampf und Kommando! Nur wir in der Mitte passen uns an, fließen.
Ago: Warum nennt ihr den Alten fossil – nicht radikal?
Sofie: Weil er Gewordenes über Werden setzt.
Ago: Gewordenes muß geformelt werden. Doch nicht aus aristokratischen Bedürfnissen mit Plus- und Minuszeichen.
Otto: Für ihn bist du Minus.
Sofie: Tief unter Null.
Ago: Das wäre Blödsinn, den ich ihm nicht zutraue. Als Feind muß ich mächtig für ihn vorhanden sein.
Otto: Wie bist du's geworden?
Sofie: Als du, Ulanenleutnant, loszogst, schienst du adliger Durchschnitt.
Otto: Panoptikum. Blauweiß mit Silber und Kartusche.
Ago: Kasinoglanz. Auf Fahne, Toast und Prost gedrillt.
Otto: Säule bei Liebesmählern.
Ago: Total in Ursula und ohne Wort ihr versprochen.
Otto: Mit einem Vierteldutzend Gspusi dazu.
Sofie: Kavalier, wie's üblich war!
Ago: Versprochen auf ihre Fähigkeit hin, rassereine Bohnas zu entbinden, neuen preußischen Armeeglanz auf die Beine zu stellen.
Otto: Glatte Sache. Fortiter et constanter per aspera ad astra und so.
Sofie: Weiter!
Ago: Die ersten blut- und fleischfetzenden Granaten bewiesen, auch des besessensten Adligen Beharrungswille ist Blödsinn, reißt ihn ein Treffer wie Hinz und Kunz in Stücke.
Otto: Platzt Menschliches wie Seifenblase, gewöhnt man sich an Analyse.
Ago: Sehr. Das bleibt nicht äußerlich. Solange Kommiß, Hurra und Pulverchloroform die Dauben zusammenhielt, konnte man das Geschwür auf der Epidermis sänftigen. In stinkenden Gefangenenlagern, Latrinen, Fieberräuschen –
Otto: Bücher, Pamphlete dazu –
Ago: Nein! Auch die ich später in Massen las, schmissen nicht um. Leben selbst mit Ungeheuerlichkeiten, Hunger, Metzelei, Eiterbrei alle Tage. Dann in Siechtum auf nassem Stroh die Frage: Warum auf solche Weise leben?
Sofie: Erkenntnis daraus?
Ago: Welt gehorchte stets nur feudalem und bürgerlichem Kommando, dessen letztes Ziel das allgemeine Morden aus Profitdrang war.
Sofie: Hört, hört!
Ago: Kampf aufs Messer zwischen Geizigen und Neidischen.
Sofie: Oho!
Ago: Euer Mehrwert, der über notwendigen Verbrauch geschaffene kapitalistische Tauschwert, ist das aristokratische Element, das den Besitzlosen Raum sperrt. Das weiß ein Narr. Doch mein Blitz war: Im Stofflichen nicht nur, im Geistigen auch. Wie ihr gehäufte Millionen nicht braucht, aus ihrem Bereitsein nur die zu breite gesellschaftliche Plattform schafft, verbürgt euch ein Unmaß Bildung das protzige Vorhandensein. Jeder Band Goethe in euren Bücherschränken, dessen Inhalt von euch nicht gewußt wird, stärkt eure gräßliche Geltung.
Sofie: Rembrandt, Mozart ein Vorwand für die Gebildeten?
Ago: Wie jede Aktie, Obligation, Werttitel.
Otto: Kapital nicht sündhaft –«
Ago: Auch jeder geistige Besitz als unstatthafte Geltendmachung toter Vergangenheit.
Sofie: Das ist niedlich!
Otto: Das soll der Alte hören?
Ago: Mehr, wenn er will. Das sind erst Brocken. Ich bringe ein ganzes, druckreifes System mit.
Otto ( schlägt die Hände über dem Kopf zusammen): Um Gottes willen, Bohna!
Sofie ( nach Pause): Kurz, Ago – das ist nichts für einen Siebzigjährigen.
Otto: Für solchen besonders. Machen wir kurz zum Frühstück kehrt. Verduften schleunigst.
Sofie Flink! Solange noch Zeit ist.
Otto: Kommt!
Ago: Ist das Furcht um ihn?
Otto: Angst vor Panik. Komm! Dalli!
Ago: Wie's beliebt. Ich bin nicht aufdringlich. Kam, vor Erschütterungen und Katastrophen zu verschnaufen her.
Sie wollen hinaus, da tritt
Ursula von draußen auf.
Sofie ( zu ihr): Da ist –
Ursula ( auf Ago zu): Ago! Guten Tag zu Haus.
Ago ( reicht ihr beide Hände): Ursula!
Ursula ( zu ihm): Kaum verändert.
Ago: Du auch nicht.
Sofie: Schöner?
Ago: Vielleicht.
Sofie: Grade wollen wir zum Frühstück hinüber.
Ursula: Sieht Ago Vater nicht erst?
Ago: Ist er hier?
Ursula: Gleich.
Ago: Weiß er?
Ursula: Natürlich. Du warst krank?
Ago: Dreimal schwer.
Ursula: Hergestellt?
Ago: Auf meine Weise.
Ursula: Sehr als Mann!
Ago: Sehr als Mensch.
Sofie ( zeigt auf Ursula): Und sie?
Ago: Sehr als Weib.
Sofie: Schöner doch?
Ago: Reifer – weiß nicht.
Ursula: Hoffentlich.
Otto: Meine Assistentin. Zur Chemie berufen.
Ago: Neigung zur Analyse?
Ursula: Synthese. Wir bauen eine Welt in Reagensgläsern.
Ago: Rekonstruiert!
Ursula: Bauen auf, sage ich. Und weiß jetzt mit Worten umzugehn.
Sofie: Also kommt nach – wenn's durchaus sein soll – ihr Vater sprechen müßt.
Ursula: Muß sein!
Otto: Vielleicht gelingt dir's, ihn heut zum erstenmal mit hinüberzuziehn.
Ago: Wird versucht. ( Sofie und Otto exeunt.)
Ago: Und doch verwandelt. Jetzt ist's deutlich.
Ursula: Du auch. Mir fremd geworden.
Ago: Kein Wunder! Wann war's?
Ursula: Sieben Jahr.
Ago: Welche! Weltkrieg, Umsturz dazwischen.
Ursula: Welche! Du warst achtundzwanzig.
Ago: Du dreiundzwanzig. Was war gemeinsam?
Ursula: Gefühl.
Ago: Mehr Traum als Wissen von allem.
Ursula: Ich kannte dein Bärtchen, Zähne.
Ago: Ich die Bluse mit Knöpfen. Allerhand Band.
Ursula: Ich kostete, was Knabe und Jüngling war.
Ago: Und ich, was keusches Mädchen an dir. Doch an allem mehr genippt als gegessen und das Ganze mit Vorschmack auf den Lippen geschmeckt.
Ursula: Glaubst du, weil du inzwischen nachgedacht hast, kennst du die Dinge besser?
Ago: Weil ich Richtung des Lebens änderte. Von mir absah. Welt nicht mit Absichten wollte, doch Vorstellung und Urteil naiv von außen aus den Dingen empfing. Als ob ich an dir nicht mehr hergebrachte Tugenden des Mädchens aus adligem Preußenhaus finden, mich aber von Niedagewesenem, neuem Weiblichen aus dir berauschen wollte.
Ursula: Ohne Qualitäten?
Ago: Ohne alles, was Vergangenheit wertvoll nannte: nur mit dem geschmückt, was hier und jetzt wichtig ist.
Ursula: Beides kann nicht das gleiche sein?
Ago: Muß nicht und kommt nicht drauf an. Ist unwahrscheinlich, weil Voraussetzungen ständig wechseln.
Ursula: Warten wir ab, wie lange du im Hinblick auf mich so bescheiden bleibst.
Traugott ( steht plötzlich oben auf der Treppe): Und was machst du, Welt ohne Absicht angaffend, mit dir selbst, sind das nicht die hundsföttischsten Lügen?
Ago: Onkel Traugott! Das ist wieder mal richtiger Kavallerieflankenangriff.
Traugott: Wir halten fossil am Erprobten. Wo bleibst du selbst bei solcher Nabelschautechnik?
Ago: Stets von Mannigfaltigkeit benommen.
Traugott: Ausrede für Faulheit und Anarchie.
Traugott: Leitartikel. Feuilleton. Europa kennt das Geschwätz. Damit geht Asien lahm. Wir sind in strengen Klimaten Täter, Attentäter. Ein sanglantes Schlachtfeld der alte Erdteil.
Ago: Zugegeben bis jetzt. Und ihr noch an der Front?
Traugott ( die Treppe hinunter auf ihn zu): Heißt du Bohna?
Ago: Bohna! Melde mich nach sieben Jahren gehorsamst zur Stelle.
Traugott: Gehorsamst? Wollen sehen!
Ursula: Doch bittet er vor weiterem verschnaufen zu dürfen, Papa.
Traugott: Sind wir auf einer Landpartie zum Kaffeekochen und Kegeln? Spielen wir Skat? Ich bin kein Landauer, in dem er spazieren sitzt; du kein Schirmständer, in den der Regen seiner Gefühle abtropft.
Ago: Ich kein Glacis, das im Sturm genommen sein will.
Traugott: Aber?
Ursula: Schwamm, wenn du willst.
Traugott ( außer sich): Schwamm drüber!
Ursula: Er saugt uns auf. Füllt sich mit uns und macht, mag er, kehrt, weil die Voraussetzungen wechseln. An ihm sind deine fossilen Methoden falsch. Er ist die neue Sorte Mensch.
Traugott: Welche?
Ursula: Die ohne Beharrungs- mit Anpassungssinn.
Ago: Ungefähr, doch anders.
Ursula: Wenig gewurzelt.
Ago: Wenig belastet.
Ursula: Weniger verantwortlich.
Ago: Unabhängig!
Traugott: Hundsfötter eben!
Ago: Bevor du dich in nur im Familienkreis erlaubte Kraftausdrücke verlierst, stelle ich fest, in Anbetracht, wir sind alle drei und scheinen nicht, kann es Streit zwischen uns über Weltanschauungen nicht geben. Sondern seid ihr auf meine neugierig, nur Information. Während ich eure aus Vergangenheit kenne.
Ursula: Zugegeben.
Ago: Ich dränge mich nicht auf, frage nur, wird sie zu hören gewünscht? Sonst sage ich im Vorbeigehn guten Tag und verschwinde lautlos für immer.
Traugott: Der Tag, den du wünschst, ist verwünscht für unsereinen.
Ago: Ohne ihn zu kennen?
Traugott: Himmel Herrgott ...!
Ago: Ich müßte preußische Feudale schlecht kennen, bist du innerlich nicht neugieriger, als nur wütend auf ihn. Also offenes Visier! Ich liefere mich zu ausführlicher Rekognoszierung und müßte an dir und der Sippe verzweifeln, weichst du großangelegter Aufklärung über des Gegners Absichten aus. ( Zu beiden): Was wäre euer Zweck noch, entstellt ihr Wirklichkeit wie Bürger, statt sie gründlich zu stellen?
Traugott: Wer sagt, ich weiche aus? Doch lasse ich mir auch für Vorpostengefechte vom Feind keine Taktik vorschreiben.
Ago: Einverstanden. Ich darf verschnaufen und bin wie ihr selbst auf der Hut.
Ursula: Einverstanden!
Otto ( steckt den Kopf zur Tür hinein): Statt Kadaver, Trümmerhaufen finde ich traute Familienszene.
Traugott: Papperlapapp!
Otto: So nehme ich die gegenseitiger Ausrottung Entronnenen für schleuniges Frühstück in Anspruch.
Traugott ( auf die Treppe zu): Mir langt's zum Frühstück. Kullern Eingeweide. Füttere indes die Bestie tüchtig! ( Exit oben.)
Ago: Temperament!
Otto: Brisanz! Toll, daß du die Knochen noch beieinander hast.
Ago ( zu Ursula): Und du – erträgst du mich zum Frühstück?
Ursula ( ist die halbe Treppe hinauf, ruft): Was soll ich, Vater?
Traugott ( Gebrüll): Marsch marsch!!
Otto: Befehl aus dem Hauptquartier. Unwiderruflich. Komme, was mag!
Ago: Respekt! ( Reicht der herabgestiegenen Ursula den Arm. Gehen hinaus.)
Vorhang