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Der zweite Aufzug

Erster Auftritt

Die Gouvernante steht mit dem fünfzehnjährigen Joachim, der sechzehnjährigen Ulrike in der Tür.

Gouvernante: Hier wartet ihr, bis Großpapa kommt. Mutti will unbedingt, ihr wünscht ihm zu Kaisers Geburtstag Glück. Er erwartet's den ganzen Tag.

Achim: Es gibt keinen Kaiser mehr. Das ist fossil.

Gouvernante: Anständig, Achim, fällt es deiner Natur auch schwer. Tu es Mutti zulieb.

Achim: Man tut so den ganzen Tag nichts, als Rücksicht auf die Eltern nehmen. Mutti kümmert sich nicht um den Kaiser und solche Sachen, Die Geschichte geht von Ihnen aus!

Gouvernante: Distanz, Freund. Ich bin immer noch Fräulein von Rauch für dich. Nicht vergessen! ( Wirft die Tür von außen zu.)

Achim: Wenn schon! Der Bestie könnte ich vor Wut ein Kind machen!

Uli: Bitte, Achim, menagier dich!

Achim: Die ist mein Nagel zum Sarg. Entweder kokett oder frech. Wie schön wäre Leben ohne die! Die Alten an sich sind gut erzogen. Aber die mit Schiller, Goethe und jetzt mit Großpapa! Passiert eine Katastrophe, hat sie schuld.

Uli: Was soll passieren?

Achim: Dir ist wohl was auf die Nerven gefallen, daß du dich so anstellst?

Uli: Laß mich in Ruh, sonst sage ich ihr, was du über sie redest.

Achim: Und ich, daß du die Nacht wieder geschmökert und wie ein Schlot gequalmt hast.

Uli: Und ich, daß du mit Lisbeth – immer an der Wand lang. –

Achim: Und ich, daß du in Onkel Ago bis über die Ohren verliebt bist.

Uli: Du bist verrückt!

Achim: Und wie, Uli! Weil er Bolschewik ist; das reizt dich mächtig.

Uli: Wichtigkeit. Du weißt nicht mal, was das bedeutet.

Achim: Du hast Ahnung!

Uli: Bist der geborene Bourgeois.

Achim: Ich Bourgeois? Von wegen!

Uli: Fett und genußsüchtig, voilà tout

Achim: Und du mit deinen dicken Beinen! Mutti hat recht, sagt sie, du posierst auf ästhetisch. Voilà tout

Uli ( lacht auf): Ich auf ästhetisch!

Achim: Bloß, weil er Bolschewik und das was Neues ist.

Uli ( reicht ihm eine Tüte mit Bonbons): Jetzt bist du still!

Achim ( nimmt): Karamel?

Uli: Glaubst du, Ago liebt Ursula wirklich?

Achim: Klar. Wie sie ihn. Und vielleicht noch mehr.

Uli: Ich finde sie nicht schön.

Achim: Altertümlich. Doch feine Beine.

Uli: Ich finde meine Beine nicht zu dick.

Achim: Zu dicke Waden. Lisbeth hat feine.

Uli: Vielleicht sieht Ago mehr auf Gesinnung.

Achim: Wenn der Großalte dem seine zwischenkriegt ( Singt Offenbach, Großherzogin von Gerolstein):

Da biff, baff, bumm,
Da ridi, ridi, dumm.
Ich bin der General Bumm-Bumm!

( Er lacht.)

Uli: Ago fürchtet sich vor dem Teufel nicht. Hat die Jugend und die Sozialdemokraten hinter sich. Ich finde ihn blendend. Voilà tout.

Achim: Würdest du ihn?

Uli: Heiraten! Klar. Aber ich glaube, er ist für so was nicht: hat ethische Hemmungen.

Achim: Liebt Ursula.

Uli: Ich bin reicher als sie. Und er hat nichts, muß seine Klitsche hier verkaufen.

Achim: Du bist nicht sein Typ. Gibst du mir die ganze Tüte, sag ich dir, was ich weiß.

Uli: Teilen!

Achim: Die ganze!

Uli: Du weißt gar nichts.

Achim: Was ich gestern abend bei ihm durchs Schlüsselloch sah.

Uli ( gibt ihm die Tüte): Da!

Achim: Also, wie er im Hemd steht – sieht er auf dem Schreibtisch die Bilder der Mischpoche eins nach dem andern an. Die Erzeuger, mich, dich –

Uli: Und?

Achim: Stellt sie weg, schüttelt den Kopf.

Uli: Was bedeutet das?

Achim: So – nebbich – denk ich!

Uli: Idiot!

Achim: Ich?

Uli: Er!

Achim: Und dann nimmt er das von Ursula – feierlich – ( Gebärde): – mit Schwung.

Uli: Und?

Achim: Küßt es.

Uli: Quatsch!

Achim: Mächtig. Mitten mang! Ehrenwort! Sie hat eben feine Beine.

Uli: Die sind nicht auf dem Bild. Und von ihrem Busen ( sie lacht): der ist nebbich!

Achim: Trotzdem.

Uli: Mir ist er wirklich egal.

Achim: Wer's glaubt!

Uli: Kannst es in meinem Tagebuch lesen. Da steht wörtlich: Onkel Ago ist Bolschewik und Idiot.

Achim: Das finde ich auch. Das soll kiebig sein.

Uli: Es gibt aber viele. Die Gegend wimmelt, und der neue Chauffeur ist auch so ein pikfeiner.

Achim: Du scheinst dich zu solchen hingezogen zu fühlen.

Uli: Zu dem Chauffeur?

Achim: Weil du ihm immer die Beine zeigst.

Uli: Ich –?

Achim: Und wie! Wenn du so übereinandergeschlagen sitzt. Das kenne ich!

Uli: Ich übereinandergeschlagen? Übrigens will das nichts sagen. Mutti tut es und alle Damen auch; du als Bourgeois natürlich –

Achim: Ich werde Landwirt. Kümmere mich sonst überhaupt um nichts. Basta! Und später – bei mir raucht's! ( Gebärde.)

Uli: Und ich, dauert es mir zu lange und wird zu dumm, gehe ins Kloster.

Achim: Da mußt du erst katholisch wie Großvater Maske werden.

Uli: Wichtigkeit!

Achim: Im Kloster kannst du vielleicht mit deinen Beinen angeln gehen.

Uli: Pah! ( Sie singt):

Warum denn weinen, wenn man auseinandergeht,
Wenn an der nächsten Ecke schon ein andrer steht ...

Achim ( wiederholt mit ihr singend den Refrain und sie tanzen).

 

Zweiter Auftritt

Traugott tritt blitzschnell mit Ursula auf. Uli stößt einen Schrei aus.

Traugott: Nun, ihr Rotte Korah? Bei welcher Straftat oder Gesinnungslosigkeit erwische ich euch wieder?

Achim: Im Gegenteil, Großpapa. Wir kamen, dir herzlich zu Seiner Majestät Geburtstag gratulieren.

Traugott: Dabei steht ihnen die angeborene Infamie im Blick.

Uli: Wir kommen auf Mamas ausdrücklichen Wunsch.

Traugott: Schon gut. Bei mir sind keine Leckereien zu holen.

Achim ( präsentiert ihm die Tüte): Davon haben wir genug. Bitte!

Traugott: Danke. Was soll aus euch werden?

Achim: Uli sagt, sie geht ins Kloster.

Traugott: Protestantische Beeskow! Satanisch!

Uli: Es ist noch nicht bestimmt.

Traugott: Ich sehe dich schon woanders.

Uli: Das kann auch sein.

Traugott: Und du, Bengel?

Achim: Sicher kein Bolschewik wie andere Leute.

Traugott: Na! Ich will nicht sagen, was ich denke.

Achim: Warum nicht? In unserer Familie nimmt man kein Blatt vor den Mund.

Uli: Sei nicht frech, Achim.

Achim: Das ist nicht frech. Reitest du noch oft auf der Schaukelstute, Großpapa?

Traugott ( plötzlich mit Gebärde einer Ohrfeige für Uli): Raus! Oder ich vergreife mich! ( Kinder mit Geheul exeunt.)

 

Dritter Auftritt

Traugott: Gelichter! Das ist Sodom und Gomorrha, doch gottlob auf totes Geleis abgeschoben.

Ursula: Traurig als Anpassungsprodukt. Vor klareren Horizonten könnte sich der Junge prachtvoll abheben.

Traugott: Halbblut ein für allemal. ( Neuer Ton): – und er?

Ursula: Was du fürchtetest.

Traugott: Kein Phantasma?

Ursula: Wissenschaft wie deine und meine. Tatsachen.

Traugott: Gebrauchsfertig?

Ursula: Ich sah das handgeschriebene Manuskript nur von außen. Was er daraus erläuterte – rund.

Traugott: Und?

Ursula: Sträubt sich das Blut nicht – Geist wird ihm überall erliegen.

Traugott ( außer sich): Auf welchem Sackbahnhof halten wir eigentlich?

Ursula: Strecke, die von Signalen abhing, scheint zu Ende. Jetzt geht's blind und begeistert auf ungebahntem Weg durch dick und dünn.

Traugott: Wohin?! Erst aber gibt's mit uns noch saftigen Zusammenprall. Mit Pomp sind wir Anno dunnemal auf die Weltbühne gesprungen. Wir latschen nicht ohne Klamauk in die Kulisse ab.

Ursula: Uns bleibt als Fertigware keine Wahl, als uns an den Mann zu bringen.

Traugott: Ihr Weiber ginget wohl ohne weiteres ab?

Ursula: Nein, Vater. Auch wir sind zum Geschlecht – mehr als du glaubst – Charakter! Und nun – sei nicht bang wie sonst um mich. Oder du hast die Blöße, die er blitzschnell findet. Glaube, mit Räuschen und süßem Kompromiß ist mir nicht gedient.

Traugott: Du liebtest ihn.

Ursula: Vielleicht

Traugott: Liebst ihn noch?

Ursula: Gibt das bei unsereins den Ausschlag? Je bei dir, Vater? Wir sind erst Rasse und Klasse und wie es heut heißt: Person vor allem.

Traugott: Was du verlörst ...

Ursula: Ich muß nur uns in mir lebendig halten.

Traugott: Weißt du's noch?

Ursula ( müde): Ja, Vater!

Traugott: Ich liebe – bewundere dich, Mädchen.

Ursula: Deine Schule, Vater! ( Kurze Pause.)

Ursula ( mit neuem Ton): Und – Plan?

Traugott: Erst das Manuskript, Buch. Mit ihm ist er stark. Ohne es – qui vivra, verra!

Ursula: Wer von uns?

Traugott: Du! Ich nur im Hintergrund.

Ursula: Und wie? Daß zwischen uns nichts dunkel bleibt!

Traugott ( faßt sie bei den Händen, flüstert): Ran und marsch marsch! Restlos vertrau ich dir diesmal, und sollte sich zum Schein die Hölle vor mir öffnen. Die ganze Leidenschaft vorgetäuscht! Ohne das geht's nicht.

Ursula: Mit Kaltblütigkeit siegtest du für Hohenzollern. Wirst du, wenn es mich betrifft, ruhig bleiben? Deine Ursula?

Traugott: Eiszapfen sein im Vertrauen auf dich.

Ursula: Wirklich mitansehn?

Traugott: Eiszapfen!

Ursula: Denn zu solchem Ziel brauche ich die Arme frei!

Traugott: Du wirst es richtig machen. Ich vertraue dir.

Ursula: Dann geh. Er muß gleich hier sein.

Traugott ( zur Treppe): Kaisers Geburtstag! Symbol!

Ursula: Nicht sehen, horchen!

Traugott: Geschworen! ( Die Treppe hinauf. Verschwindet.)

Ursula: Wie lange lebte in einem Mann, der Ahnen und Jahrhunderte in sich verschiebt, zu einem Weib die Liebe?

 

Vierter Auftritt

Ago ( tritt auf): Ich verabschiede mich.

Ursula: Schon?

Ago: Mich wird niemand vermissen. Ich fahre mit dem Nachtzug. Auto zwölf Uhr dreißig hier ab.

Ursula: Ich dachte, mit des Gutes Verkauf hättest du länger zu tun.

Ago: Agenten! Da Otto aus Rücksicht auf seinen Vater den vorteilhaften und natürlichen Kauf glatt für sich ablehnt.

Ursula: Kurz: Abschied.

Ago: Bei dem ich nicht wage, Persönliches noch anzurühren.

Ursula: Zu viel aufgewühlte Mitwelt ist in uns beiden. So lange Tellheim sozial, früher hieß es in seiner Ehre bestürzt ist, spielt Minna von Barnhelms Schicksal keine Rolle.

Ago: Es sind noch immer Männer Tellheims!

Ursula ( gibt ihm die Hand): Lessing war ein großer deutscher Dichter.

Ago ( nimmt sie): Der größte!

Ursula: Der Punkt, in dem wir übereinstimmen.

Ago: Der einzige?

Ursula: Vielleicht.

Ago: Soll versucht werden, das klarzustellen?

Ursula: Keine Liebeserklärung!

Ago: Die ist unnötig. Ehe wir uns nicht mitmenschlich verstünden, gäben wir persönlich keinen Finger her.

Ursula: Du auch nicht?

Ago: Ich auch nicht.

Ursula: So bleiben wir aus dem Spiel.

Ago: Sind es trotz uns. Und das ist unser heutiges Schicksal.

Ursula: Uralt. Sie konnten – warum immer – zusammen nicht kommen.

Ago: Verwechsele uns nicht in der Weltgeschichte. Uns hemmen keine Intrigen, kein vom Dichter gewolltes höheres Moment mehr. Wir spüren nur, unser Interesse an unserem Kollektivschicksal ist mächtiger als das am eigenen.

Ursula: Du hast jedenfalls Sinn dafür.

Ago: Du auch! Verkenn' dich nicht. Und damit bist du, fern von Namen und Begriffen, doch Kind der neuen Zeit.

Ursula: Ich leugne nicht, über Persönliches hinaus bin ich erregt. Doch nur aus meiner Familie, Rasse, Herkunft – aus Vergangenheit.

Ago: Aber –!

Ursula: Nichts mehr von mir! Schnell noch den Sinn von dir, der mir als Andenken bleibt.

Ago: Was ich tat, tat Kopernikus! Nicht, daß er die Astronomie als solche änderte, doch faßte er den Gedanken: Wir sehen falsch, vom falschen Standpunkt aus. Wenn man den Gesichtskreis änderte! Früher galt die Erde als starr – und sie bewegt sich doch! – Kein feudales oder bürgerliches Ideal prüfe ich im einzelnen mehr, habe sie aus ihrem falschen Standpunkt sämtlich verworfen und einen neuen gewonnen.

Ursula: Wirklich? Du bist –?

Ago: Kein Praktiker. Ob sich entwickelnd oder rascher Gewalt das Proletariat zur Herrschaft kommt, rührt mich nicht; überhaupt nicht Tat und Politik. Ich lebe und wirke dafür, daß es kein neuer neunter November in Deutschland ohne eigene Wissenschaft rat- und hilflos findet.

Ursula: Kannst du sie ihnen geben?

Ago: Aus unkompromittierter proletarischer Philosophie suche ich ihre Gesamtkraft zu organisieren, wie vorher eine feudale und bürgerliche dieser Klassen Kräfte mobil machte.

Ursula: Hast du den Start, auf den es ankommt?

Ago: Des Proletariers durchgesetztes unbeirrbares, unvergleichliches Klassenbewußtsein!

Ursula ( ernst): Der Start ist gut!

Ago ( entflammt): Prachtvoll, und ihr sollt sehen, wie Welt im Sturm aufbricht, weiß sie erst, sie tauscht für Hingegebenes Lebendigeres ein.

Ursula: Quod esset demonstrandum. Ein Konjunktiv –

Ago: Bald Wirklichkeit!

Ursula: Es ist zu simpel und frech. Ich glaube es nicht.

Ago: Kapitel für Kapitel ist alles gründlich verzahnt. Aus Rasse und Natur bin ich kein Träumer. Nur krasse Tatsache steht in meinem Buch.

Ursula: Woher nahmst du die abertausend neuen über Nacht?

Ago: Krieg, Revolution entwickelten sie.

Ursula: Sag' eine als Beispiel.

Ago: Jedes Kind, ehelich oder nicht, trägt künftig den Namen der Mutter! Damit sind zwei historische Laster des Durchschnittmanns, – Treulosigkeit, mangelnde Verantwortung und ihre barbarischen Folgen unschädlich gemacht; menschliches Neuland gesichtet.

Ursula: So nenne ich dich besser den anderen Kolumbus.

Ago: Du gibst zu, das leuchtet ein?

Ursula: Die Logik packt, doch ist die Sache ethisch grauenhaft. Vom Mann aus gesehen. Wirft uns Mädchen aus Mystischem und Mysterien ins eiskalt Rationale.

Ago: Erspart dem Kind die Schande aus des Vaters Zügellosigkeit. Nicht des Manns und des Weibs Wollust, des Kindes Schicksal ist des Aktes Sinn.

Ursula: Sein Sinn ist des gefesselten Menschen süße Befreiung.

Ago: Solche Anarchie heißt Feudalität. Après nous le déluge.

Ursula ( stark): Es lebe der Trieb!

Ago: Das ruft neunzehnhundertdreiundzwanzig die Uradlige.

Ursula: Adel ist immer noch produktiv!

Ago: Darum steht ihm, nicht dem erledigten Bürgertum, der soziale Mensch auf Leben und Tod.

Ursula: Wir beide sind des Kampfes Symbol.

Ago: Ich ehre den Gegner!

Ursula: Ich liebe den Feind!

Ago: Wagst du solche Blöße?

Ursula: Nackt ist das Weib nicht bloß, doch in seiner Waffen Vollbesitz.

Ago: Ich fühle es!

Ursula ( tritt ihm näher): Wehr dich, so gut du kannst! – Nichts verhehle ich mehr. Sage, ich liebe und liebte nur deine Erscheinung eines Manns, und entsetze mich vor dieses Menschen neuen Inhalten.

Ago: Die du nicht begreifst.

Ursula: Die ich als Gifte für eine erlauchte, bewiesene und geformte Welt und meine Besonderheit in ihr wittere. ( Faßt seine Hand.) Was sonst als diese unter Weibern unvergleichliche Ursula mit dem Blick und dem Griff tat es dir an – daß du an allen Gliedern vor mir zitterst? ( Sie steht ihm Blick in Blick.)

Ago ( schwach): Ursel!

Ursula: Ursel für dich und mich allein. Und zerschlägst du meine Einzigkeit, machst du dir die unter allen Auserwählte unkenntlich.

Ago: Erliege ich dir, entstelle ich die mir bewußte Welt so sehr, daß ich trotzdem nicht leben wollte.

Ursula ( noch näher an ihn): Trotzdem nicht? ( Und mit Aufbietung ihrer weiblichen Macht): Trotzalledem nicht?

Ago ( berauscht): Wie süß das ist – ( Lehnt an ihr.)

Ursula: Gewöhnlich oder – süß besonders?

Ago ( auffahrend): Hör' mich, begreif mich ganz! Deine Schönheit, Anarchie des aus dir brechenden Weiblichen, schmecke ich in einem. Meine gegliederte Schöpfung mußt du erst langsam verstehen lernen.

Ursula: Also bring das Buch, lies es mir!

Ago: Wann?

Ursula: Heut spät. Hier!

Ago: Wann?

Ursula: Wenn drüben bei uns alles schläft.

Ago: Wann?

Ursula: Elf! Vor der Abfahrt. Daß ich für alle Zukunft unterrichtet bin.

Ago: Und hingegeben hörst du mich?

Ursula: Das Weib unbestechlich den Mann. Keinen Kolumbus, keinen Kopernikus.

Ago: Ich überwältige dich!

Ursula: Mit noch so feierlichen Worten nicht.

Ago: Mit Tat! ( Sucht sie an sich zu ziehen.)

Ursula ( macht sich los): Fort! Eh man stört!

Ago: Elf!

Ursula: Elf! Hier!

Ago ( schnell exit).

Ursula ( wankt einen Augenblick, läuft zum Fenster, sieht dem Fortgeeilten nach, wirft ihm hinter vorgehaltener Gardine einen hingegebenen Kuß nach. Faßt sich und will die Treppe hinaus. In diesem Augenblicke tritt auf):

 

Fünfter Auftritt

In Schwarz, sechzigjährig, die Generalin von Beeskow.

Ursula ( fliegt ihr wortlos an den Hals): Mutter!

Generalin: Was hast du, Kind? So außer dir?

Ursula: Nichts, Mutter.

Generalin: Hat der General –?

Ursula: Sag' Vater – alles ist auf bestem Weg. Ich fliege gleich zum Bericht zurück. Nur einen Augenblick! ( Eilt davon. Generalin steigt Stufen der Treppe hoch.)

Traugott ( oben aus der Tür): Wo ist das Kind? Wo ist ...? ( In großer Generalsuniform und allen Orden.)

Generalin: Alles auf bestem Weg. Kommt gleich zum Bericht zurück. Und hier ein Telegramm vom Bund der echten Vaterländischen. ( Gibt es.)

Traugott ( unten liest): » Am hohen Festtag drei Hurras unserem verehrten Gründer und Hauptwart!« Danke! ( Er läuft zum Grammophon, das er rasend ankurbelt. Der Hohenfriedberger Marsch tönt. Traugott schmettert Kommandoton): Und nun: das Ganze – aufgesessen!! ( Er besteigt im Federhelm das Schaukelpferd. Zieht den Degen, brüllt): Attacke vorwärts, marsch marsch! ( Mitsingend und den Degen mächtig schwingend, reitet er wie toll.)

Generalin ( mit entzücktem Aufschrei): Traugott! Traugott! Ach!

Vorhang


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