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»Das ging, solange es gehen konnte, und wenn es je Heilige gegeben hat, so zählte gewiß keiner unter ihnen erst fünfundzwanzig Jahre! Bald sah ich mehr nach den Mädchen von Leyden als nach meinen Büchern und Kräutern; die Mutter merkte es, daß ich manchen Abend spät heimkam und oft nach dem Imbiß noch einen Gang den Ryn hinab tat. Sie ward darum nicht finsterer, ja, die Hoffnung, bald wieder eine Tochter im Haus zu haben, glättete mehr als eine Falte auf ihrem Gesicht. Sie nickte mir jetzt zu, wenn ich abends unser Brot teilte, und sagte wohl: »Erich, bald wirst du dreimal teilen müssen und trägst es nicht selbst mehr unterm Mantel heim!' Hätte sie damals schon gewußt, welchen Weg ich am liebsten nahm, so hätte sie nicht so gesprochen, und noch heute weiß ich nicht, wie ich ihre hoffenden Worte je anhören konnte, ohne in Scham zu erglühen. Es lag damals eine kleine Schar spanischer Musketiere von Julian Romeros Brigade zu Leyden im Quartier. Ich war, wie wir alle, den spanischen Teufeln auf Schritt und Tritt ausgewichen, – zwar fühlte ich nicht den rechten Haß, den ich heute hege, gegen sie, aber mir hätte doch gegraut, einem die Hand zu reichen oder Becher an Becher mit ihm zu sitzen. Da wollt' es der Satan, daß ich bei der Obermühle, wo der Kapitän Alfuente hauste, während ich ausging, die schöne Müllerstochter zu grüßen, eines andern Mädchens ansichtig wurde, in dem ich freilich die Spanierin zur Stelle erkannte, deren schöne Augen mich aber zwangen, ihr näher zu kommen. Sie blickte nicht nach mir hin, sie sah in den Strom, der matt zu ihren Füßen schlich, und ich konnte sie unbemerkt belauschen. Schön war sie, wie kaum ein Mädchen in den Provinzen, das sag' ich noch heute, obschon ich ihr wahres Gesicht seither schauen mußte. Aber damals, als ich sie zuerst sah, schienen mir ihre Züge voll Milde, und mich trieb's hin zu ihr, um auch ihre Stimme zu vernehmen. Ich redete sie an, sie verstand unsere Sprache ein wenig, und ich sah, wie ihr Gesicht bei meinen Worten froh aufleuchtete. Sie sagte sogleich: ›Ich danke Euch für Euren Gruß, er tut wohl, hier, wo niemand von Eurem Volke mit uns spricht!‹ Und in dem Augenblicke vergaß ich den Herzog, den Blutrat und alles, und dachte nur mit Scham daran, daß ich stets vom Wein aufgestanden war, wenn ein Spanier in die Schenke trat.

»Manuelita hieß sie, war Kapitän Alfuentes Tochter, hatte in Leyden ihre Mutter verloren, und fühlte sich fremd und verlassen genug, mir zum Abschied zu sagen: ›Laßt Euch wieder sehen!‹ Und ich – kam heute, kam morgen, kam alle Tage, zählte die Stunden, bis die siebente schlug, ich brach an unserm Abendtische das Brot mit Hast, und aß es voll Ungeduld, während die Mutter heimlich schlau lächelte. Die dunkeläugige Spanierin ward mein Sinnen und Trachten, sie bestrickte mich so, daß ich bald vergaß, über welches Pflaster ich schritt und auf welchen Fluß wir blickten, sie entrückte mich allem, was nur sonst lieb war! Nach ihren ersten Küssen war ich nicht mehr derselbe Mann wie zuvor. Sonst hätte ich keinen Schatten im Antlitz meiner Mutter sehen können, ohne daß mir das Herz schwer ward, und jetzt saß ich leichten Mutes bei ihr, ließ sie von einem Töchterlein aus der Rynmühle träumen, und lechzte indes nach den Lippen Manuelitas. Ob diese mich je geliebt hat, weiß ich euch nicht zu sagen, aber ich sollte es denken, wenn ich mich erinnere, vor wie stattlichen Landsleuten, die bei ihres Vaters Fahne standen, sie mir den Vorzug gab. Wie ich sie geliebt, möget ihr an dem Ende ermessen, das es mit meinen Leydener Tagen nahm.

»Nie erfuhr ich, wer meiner Mutter zuerst die Kunde gebracht, warum ich allabendlich zur Rynmühle eilte und wen ich dort in meine Arme schloß. Vielleicht schalt bereits ganz Leyden über mich, ehe der alten Frau ein Wort zu Ohren kam. Aber eines Abends, da ich heimkehrte und ihr am Tisch gegenüber saß, nahm ich wahr, daß sie nicht mehr lächelte, sondern daß schwere Tropfen über ihr Gesicht rollten und daß sie mir finster nachsah, als ich, ihren Tränen zum Trotz, den Hut in die Stirn drückte und davonstürmte. Und just an diesem Abende mußte Manuelita zärtlicher, heißer, selbstvergessener als zuvor sein, an dem Abend wußte sie mir den Eid abzuküssen, daß ich sie nie und nimmer verlassen wolle. Ich schwur, während mir vor Augen stand, daß der Mann einer Spanierin von seinen Mitbürgern gemieden sein würde, daß ich das Mädchen nie in meines Vaters Haus führen könne. Ich sah es vor mir, daß ich zuletzt an ihrer Seite aus dem Lande wandern müsse, und ich schwur dennoch! Daß die Entscheidung so nahe sei, ahnte ich nicht, ja, ich wähnte, wie jeder in seinen Freveln, daß sich eine Hand vom Himmel strecken werde, das Geschick zu wenden, das der Mensch sich selbst bereitet.

»Am nächsten Tage flog durch Leyden die Nachricht, daß ihr gesiegt hättet, daß Brill von den Wassergeusen genommen sei. Alle Herzen in Holland pochten ungestüm bei dieser Kunde. Zum erstenmal seit vier entsetzlichen, trostlosen Jahren erwachte die Hoffnung, daß es noch Freiheit und Rettung geben könnte. Mit kaum verhaltenem Jubel sahen die Bürger Hauptmann Alfuentes Fähnlein aufbrechen, das Brill wiedererobern helfen sollte. Noch marschierten die Dränger trotzig genug durch die Gassen von Leyden, aber sie lasen schon auf allen Gesichtern, daß ihnen niemand mehr von den Provinzen als ein Grab im Dünensande oder im Meere gönnte. Niemand außer mir! Ich zitterte jetzt nicht, wie alle andern, um das Schicksal von Holland, sondern um das von Manuelita. Als ich diesen Abend in den Flur trat, fand ich die Mutter meiner harrend, sie rief mir auf der Schwelle entgegen, ob ich gehört, daß auch Enkhuyzen sich für Oranien erhoben habe, daß die Spanier im ganzen Lande vertrieben werden sollten? Ich horchte auf und trat betroffen vor den blitzenden Augen der alten Frau zurück. ›Ende das schnöde Spiel, Erich, es wird Zeit, – zieht dich's nicht zu den Geusen?‹ Ich schüttelte den Kopf und wir saßen uns am Tische stumm gegenüber. Als ich mich zum Gehen erhob, klang mir aus dem Munde der Mutter nach: ›Es kann dein Ernst nicht sein, Erich, du wirst nimmer vergessen, wo ich dich geboren habe und wie dein Vater gestorben ist!‹

»Die Mahnung an den Tod meines Vaters schnitt mir durch die Seele, und doch zog's mich zu Manuelita. Diese fand ich in tiefer Bestürzung: der plötzliche Marschbefehl, den ihr Vater erhalten, die feindlichen Blicke ringsum hatten ihr heiße Tränen entlockt, und sie bat flehentlich, meiner Liebe nicht zu vergessen. Vielleicht sind Leute unter euch, die solchen Bitten eines Weibes widerstanden hätten – aber ich gelobte ihr, was sie begehrte, und als ich mich in der Nacht endlich losriß, als ich heimschritt, verfluchte ich die Erhebung meines Volkes und den Krieg, der mein Glück zu stören drohte! – Laßt mich kurz sein über diese Tage. Mit jedem neuen Morgenlicht kam eine neue Kunde von Aufstand und Sieg, mit jedem Tag schaute die Mutter strenger, prüfender in mein Gesicht, mit jedem Abend ward ihr Blick verächtlicher, schien sie mehr und mehr zu zögern, ob sie das Nachtmahl mit mir teilen solle. Ich aber verschloß mein Ohr vor allen Mahnungen, die ertönten, ich hörte nur die Manuelitas, die sich an mich hielt, wie an den Balken, der im Schiffbruch die Rettung verbürgt, und den ihr mit dem Fuße hinwegstoßt, nachdem ihr ihn erst mit Armen umklammert habt!

»Auch Leyden erhob sich endlich und vertrieb die wenigen Beamten Albas, die noch zurückgeblieben waren. Am Tage, wo vom Rathause Oranien zum Statthalter ausgerufen wurde, verließ meine Mutter das Haus und zog mit dem strömenden Volkshaufen zum Markt. Gewiß trieb sie die Hoffnung dahin, ihren Erich, trotz allem, unter den Männern zu erblicken, die zu den Waffen gegriffen hatten. Doch der Sohn weilte indessen bei Manuelita, ließ die Tränen seiner Mutter fließen und bemühte sich, die zu trocknen, die das spanische Mädchen über Hauptmann Alfuentes Fall weinte. Von Brill war die Todespost an eben dem Morgen angelangt, wo die Leydener ein Herz faßten, und war mir schon zuvor ihr Trachten gleichgültig, ja verhaßt gewesen, so brachte mich an diesem Morgen der tosende Jubel in den Straßen, während ich die Liebste in ihrer Kammer klagend und weinend fand, schier zur Wut. Warum sollte unsere Liebe unter den bösen Tagen leiden, an denen nicht ich, nicht Manuelita Schuld trug? So sagte ich ihr und mir, und sie mit plötzlichem Entschluß rief mir zu: ›Laß uns aus diesem Lande, das nur Blut trinkt, entfliehen. Ich habe ein kleines mütterliches Erbe zu San Ciprian in Spanien, dort werden wir glücklich sein, und das Meer wird zwischen uns und diesem Unglücksboden rollen!‹ – ›Und meine Mutter?‹« frug ich. ›Gib ihr alles, was du hast; laß deine Sippen für sie sorgen – aber komm mit mir. Habe ich nicht auch Vater und Mutter verloren? Bleibt mir mehr, als dir?‹ Halb in Küssen, halb in Tränen erstickte sie jedes Wort, was ich noch zu sagen gedachte, nur mein Versprechen: ›Sei es, wie du willst – ich folge dir durch die Welt!‹ durfte über meine Lippen gleiten. Ich blieb bei ihr den ganzen langen Frühlingstag, über dem Ryn strahlte die Sonne, aus dem Garten der Mühle lachte mir frisches Grün entgegen, aber als mir durch den Sinn flog, daß ich dies alles bald nicht mehr und nie wieder sehen würde, preßte ich Manuelita nur heftiger in meine Arme. Wir kamen überein, daß ich meine Angelegenheiten in nächster Woche ordnen, dann heimlich mit Manuelita nach der nächsten, von den Spaniern noch besetzten Hafenstadt abreisen sollte. Ich schritt diesen Abend meinem Hause zu – Gott vergebe mir's heut und in Ewigkeit – als hätte ich einem tyrannischen Herrn zu trotzen, nicht als gälte es einer alten Mutter das Herz zu brechen. Ich trat ein und war nicht zu sehr betroffen, sie bitter weinend zu finden, hatte ich doch sie und mich seit guter Zeit daran gewöhnt. Sie forschte nicht, wo ich gewesen war, sondern sagte mit halb erstickter Stimme: ›Die Waffen, die dein Vater getragen, sind dir zu schwer, mein Sohn? Ich sah dich am Rathause nicht mit ihnen.‹ – ›Es wäre uns allen besser, wir dächten nicht an Waffen und hätten nie daran gedacht,‹ gab ich gereizt zur Antwort. Dies gesagt, glaubte ich einen Blitz aus den Augen meiner Mutter zucken zu sehen, mindestens wurden sie trocken und blieben starr auf mich gerichtet. ›Damit du eine spanische Dirne herzen und ungescheut mit ihr buhlen könnest, möchte das Land unter den Füßen der Spanier zertreten werden?‹ sagte sie kalt. ›Wer gibt Euch ein Recht, so verächtlich von meiner Liebsten zu reden?‹ fuhr ich auf. ›Liebste?‹ fragte die alte Frau höhnisch zurück. ›Nennst du das Liebe, wenn du dich an ein Weib hängst, vor der du geflohen sein würdest bis ans Ende der Welt – wenn du ein Herz hättest? Kannst du vergessen, daß sie aus dem Volke stammt, zwischen dem und uns ein Strom unschuldig vergossenen Blutes fließt? Vergessen, daß bei deines Vaters Todesgang Hauptmann Alfuente die Trommel rühren ließ, – so frag' ich dich nur, ob du meinst, daß dies Mädchen dich liebt, wie ein Weib den Mann lieben soll! Hat sie den Segen deiner Mutter begehrt, hat sie je verlangt, daß du sie in dein Haus führst? Erich, ich sage dir, wo ein Mann liebt und geliebt wird, da wachsen alle guten Kräfte in ihm, da rafft er sich empor, selbst aus der Schande! Du aber versinkst darin, du vergissest, was dir obliegt, hörst den Ruf deines Landes und die Mahnung aus dem Grabe des Vaters nicht, du spottest meiner, und das nennst du Liebe!‹ Ich ward verwirrt, im Gewissen fühlte ich die Wahrheit jedes Wortes, aber trotzig sagte ich: Mein Weib soll Manuelita werden, deinen Segen erbitte ich. Nur in dies Haus könnt' ich sie nicht führen, selbst wenn sie es möchte, Haß und Mißtrauen würden sie auf der Schwelle belauern. Wozu sollten wir hier bleiben? Die Welt ist weit, und in diesem Lande steht ohnehin kein Glück mehr zu hoffen!»

»Niemals vergess' ich den Augenblick, wo diese Worte aus meinem Munde kamen! Ich saß der Mutter gegenüber, und während ich mit den Lippen frevelte, brachen meine Hände das Brot, das wir bis zu diesem Tage treu geteilt hatten. Da sprang sie auf einmal empor, stieß den Schemel um, auf dem sie gesessen hatte, schleuderte das Brot zur Erde, und stieß mich, als ich ihr nahekam, mit zitternden Händen hinweg. ›Ich sehe, was du mit deiner Liebe geworden bist!‹ rief sie. ›Ein Sohn, der den Tod seines Vaters ungerächt läßt, ein Mann, der in dieser Zeit, wo Weiber und Kinder von Krieg träumen, an Glück denkt! Hebe dich weg, Erich! Ich schwör's zu Gott, daß diese Hand so wenig wieder einen Bissen aus der deinen nehmen, als dir den Segen zur Sünde geben soll! Tue, was du nicht lassen kannst; wer Vater und Vaterland seiner Lust opfert, gibt auch noch die Mutter drein.‹ Und während ich keines Wortes mächtig stand, wendete sie ihren Blick von mir hinweg, eilte aus dem Flur und schloß die Tür des Gemachs, in das sie vor mir flüchtete. Ich habe ihr Gesicht nicht wieder erblickt, und sie steht vor meinen Augen, wie sie das Brot, das ihr meine Hand reichte, zur Erde warf und den Fluch über mich sprach!

»Während er noch in meinem Ohre klang, fühlt' ich's nicht, daß er verdient sei. Grollend und rasch entschlossen eilte ich aus dem Vaterhause und stürmte zu Manuelita, die erstaunt war, mich noch an diesem Abend wiederzusehen, und die ich gefaßter fand, als ich nach dem Schmerz, in dem ich sie verlassen hatte, denken durfte. Jetzt war's an ihr, mich zu trösten, und sie tat es mit Liebesworten und schnellem Entschluß. Was ich an Gold und Geld besaß – wenig genug – schaffte ich herzu, auch Kapitän Alfuentes Hinterlassenschaft war schnell zusammenzuraffen. Ich weiß noch heute nicht, ob es nur die Furcht vor den Leydenern war, die das Mädchen trieb und drängte, oder ob sie fürchtete, daß bei mir, wenn die erste Erregung vorüber, das Gewissen erwachen würde. Sie war mir jetzt alles, und ich sah in dieser und mancher folgenden Nacht nur sie, – kaum im Traum schreckte mich der Anblick der armen, alten, zürnenden Frau! Wir schlugen den Weg nach Süden ein, in Brabant und Flandern waren die Spanier noch Herren. Bevor wir zum Hafen von Antwerpen kamen, hatte Manuelita, mit der mich ein Feldpater im ersten spanischen Lager traute, ihre alte Munterkeit wieder erlangt. Hörte ich sie doch mit ihrem Vetter, einem Fähndrich Alonzo, über den Tod ihres Vaters und noch mehr darüber scherzen, wie sie einen Holländer davor bewahre, Ketzer und Rebell zu werden. Als ich solchen Ton vernahm und dazu das Augenspiel mit Alonzo sah, überkam mich plötzliche Furcht; in meiner Seele wachten die drohenden Worte der alten Mutter auf, aber noch ehe wir ins Schiff stiegen, hatten ihre Lippen alle Furcht hinweggeküßt, und ich fuhr als ein Glücklicher mit ihr nach Spanien.

»Mancher von euch ist zur Walfischjagd mit ins Nordmeer gefahren. Hat keiner dort Schiffbruch erlebt, ist keinem da begegnet, was ich aus dem Munde so vieler gehört habe? Wenn ein Fahrzeug nach wochenlangem Kampf mit dem Eise zerschellt, die Mannschaft in die Tiefe versinkt, da soll es vorkommen, daß einer und der andere sich auf eine Scholle rettet und auf ihr wie auf einem Boote im Meere dahintreibt. Aber die Kälte, das flimmernde Eis, die roten Nordlichter und die Sonne um Mitternacht verwirren ihm Seele und Sinne: er meint zwischen Gärten und Wiesen zu fahren, er lacht, er jauchzt, er singt die Lieder seiner Jugend, wähnt sich selig tage- und nächtelang, bis er aus seinem Fieber erwacht, und die Eisberge und das kalte wüste Meer um sich steht. Wer das erlebt hätte, dem braucht' ich nicht zu sagen, wie mir's erging und was ich erfuhr! Wir kamen nach San Ciprian, wo Manuelita ein Häuschen mit Garten und Weinberg hart am Hafen besaß. Die kleine spanische Stadt, am Meer zwischen hohen Bergen gelegen, würde mir besser behagt haben, wenn ich nicht verwunderten, wenig freundlichen Blicken auf jedem Schritt begegnet wäre. Ich sah die Spanier niemals ihr Mißtrauen, kaum ihre hochmütige Verachtung gegen unser Volk verbergen. Noch vergaß und verschmerzte ich alles, wenn ich bei meinem Weibe war und sie liebreich um ihren lieben Holländer waltete. Noch träumt' ich von Glück – aber schon wallte mein niederländisch Blut empor, wenn ich die Männer von San Ciprian über König Philipps Krieg mit den ketzerischen Abtrünnigen sprechen und uns tausendfach zur Hölle hinabfluchen hörte. Schon hatte ich Tage, wo ich über das Meer hinblickte, ob kein Geusenschiff Jagd auf spanische Gallionen mache! Was mir daheim am Ryn und zwischen den Gassen von Leyden so gleichgültig erschienen war, begann nun an meiner Seele zu nagen. Und bald mocht' ich tun, was ich wollte, ich sah die Mutter vor mir und hörte ihre letzten Worte; nur in Manuelitas Arm verschwand, was mich peinigte; wenn ich an ihrem Munde hing, vergaß ich noch immer Heimat und Welt! Eben darum empfand ich's sofort, als ihre Lippen meinen Kuß minder heiß erwiderten, ihre Augen minder hell glänzten. Was kümmerte sie auch das Weh, das an meinem Herzen nagte, was die Reue, die mich nachts emporschreckte! Aber sie sah mich oft mißmutig, finster, unhold, und wenn sie mich je geliebt hatte, so verkehrte sich nun ihre Glut in Kälte, ihre Hingebung in Widerwillen. Nicht an einem Tage, nicht so, daß ich's schon gewußt hätte, als ich's zu fürchten begann. Leise und schweigend zog die Gewißheit, Manuelita sei meiner satt und überdrüssig, mir in die Seele, und nun erst fand ich mich elend, wie ich's verdient hatte. Die verlassene, verratene Heimat trat mir allstündlich vor Augen, ein brennendes Verlangen erfaßte mich, die Mutter wiederzusehen, den Fluch abzuwenden, der auf meinem Haupt ruht. Manuelita dachte nicht mehr daran, solche Gedanken hinwegzuschmeicheln, ich mochte mich jetzt mit ihnen aufs Lager strecken, mit ihnen erwachen, sie blieb teilnahmlos. Und als Vetter Alonzo, der Fähndrich, in San Ciprian erschien, wußte ich bald genug, daß er meine Stelle in ihrem Herzen einnahm. War er zugegen, so sah ich wieder die lachende, lockende Manuelita, sah wieder den Sonnenschein auf ihrem Gesicht, der mir sonst heller schien, als jener, der über der blauen Bai vor unsern Fenstern glänzte. Und wenn ich jetzt bedachte, was ich meinem Weibe geopfert, um ihretwillen hinter mich geworfen hatte, und nahm die verstohlenen Blicke wahr, die mit Alonzo getauscht wurden, die Blicke, die deutlich genug sprachen: ›Wie traurig, daß der Holländer zwischen uns steht,‹ so erfaßte mich trotzige Wut. Seit mich dieser Verdacht quälte, verließ mich selbst die Sehnsucht nach daheim, ich nahm's für mein vorbestimmtes Schicksal, ein fremdes Weib zu freien und dann argwöhnisch über sie zu wachen. Fahrt nicht ungeduldig empor; weil es anders ward, darf ich sagen, wie es sonst war. Ich weiß nur zu wohl, daß in den letzten Tagen, die ich in Spanien verlebt, Manuelita noch einmal meine ganze Seele erfüllte, nur daß Eifersucht und Zorn an die Stelle der Liebe getreten waren. Der ›Egmont‹ kreuzte eben vor dem Hafen von San Ciprian, und ich dachte nicht an die Heimkehr, um die ich zuvor gebetet hatte. Tag und Nacht prüfte ich jeden Schritt, den Alonzo zu meinem Weibe tat, fest entschlossen, die Schmach, die sie mir sannen, nicht zu erdulden. Ich fürchtete nur ihre Untreue, nichts mehr, nichts weniger. Und als ich endlich an einem Mittag, wo ich, das Haus verließ, mich aber wachsam in der Nähe hielt, Alonzo Alfuente meine Schwelle betreten sah, als ich bereit stand, beide zu überraschen, ward ich selbst durch ihren unerwarteten Austritt aus dem Hause betroffen. Noch folgte ich dem Paare nach, überzeugt, daß sie eine Stätte für ihre buhlerische Liebe suchten. Noch lag meine Hand am Schwertgriff, ich meinte, gegen Alonzo ziehen zu müssen, und schritt, zitternd vor Erwartung, bei welcher Kupplerin sie sich bergen würden, hinter beiden drein. Aber als ich sie eine gewisse Straße von San Ciprian betreten sah, überkam mich plötzlich ein anderer Verdacht, der mich wie ein eisiger Hauch durchschauerte und mich augenblicklich stille stehen hieß. In dieser Straße wohnte Fray Sebastiano, ein Dominikanermönch, der Beauftragte der heiligen Inquisition. Von der Furcht erfaßt, daß Manuelita samt ihrem Vetter über dessen Schwelle treten könne, blickte ich ihnen unbeweglich nach. Sie blieben vor der Tür des Mönchs stehen, mein Weib schien einen Augenblick zu zögern und umkehren zu wollen. Ich sah den Fähndrich eifrig zu ihr sprechen, sie bei der Hand fassen und an die Tür pochen, ich sah beide in der geöffneten verschwinden. Was in mir in jener Stunde vorging, will ich euch und mir erlassen! Ich zweifelte nicht einen Augenblick, daß Manuelita und Alonzo mich vor dem höllischen Tribunal, das sie dort das heilige Amt taufen, als Ketzer anklagen würden. Ich wußte, daß mir ein Kerker und danach der Scheiterhaufen gewiß sei, auch hatte ich, seit ich in Spanien lebte, schon erfahren, wie blitzschnell das heilige Amt seine Opfer zu ergreifen pflegte, und wieviel hundert Arme ihm in jeder Stunde zu Gebot waren. Und dennoch dachte ich kaum an Rettung durch das Schiff, das vor dem Hafen auf der See schaukelte. Dennoch wollte ich bleiben und schwur, Manuelita und ihren Buhlen den Preis der nichtswürdigen Tat nicht erwerben zu lassen. Ich dachte Alonzo niederzustoßen, mochte mir dann das Ärgste geschehen. Aber das Paar trat nicht allein wieder aus dem Hause, sie erschienen im Geleit des Fray Sebastiano, der lächelnd und mit sichtlichem Eifer an ihrer Seite schritt. Zur Stelle rief er zwei, drei Bürger an, die eben die Straße daherkamen, und jetzt waren Manuelita und der Fähndrich von so vielen umgeben, daß ich darauf verzichten mußte, die Nichtswürdigen zu treffen! Hinter Häusern und Hecken verborgen folgte ich der Schar, sie schlug den Weg zum Hafen ein. Woran ich noch nicht gedacht hatte, das befürchtete der Mönch: er eilte, mir jeden Weg zur Flucht und Rettung abzuschneiden, und Manuelita, um deretwillen ich am Heiligsten gefrevelt hatte, war an seiner Seite! So überwältigt von Schmerz und Groll war ich noch nicht, daß nicht sofort, als ich den Vorsatz Fray Sebastianos begriff, der Wunsch nach Rettung in mir aufgestiegen wäre. Auf raschen Füßen, den Mönch samt seiner Begleitung weit hinter mir lassend, erreichte ich den Hafen. In den ersten Kahn sprang ich, löste Kette und Ruder, legte ein und befahl mich der Gnade Gottes! Ich kam fast bis zum Ausgang, ehe Fray Sebastiano, Manuelita und Alonzo des Hafens und meiner ansichtig wurden. Der Dominikaner schrie laut auf, als er mich auf dem Wasser erblickte, Manuelita rief meinen Namen, es war der letzte Laut, den der Wind vom Lande zu mir trug. Auf einen Wink sah ich Alonzo, und ihm nach wohl ein Dutzend Männer, in ein Boot springen, sah am Hafendamm die halbe Stadt zusammenströmen. Die Verfolger rührten zehn Ruder zugleich, ich hatte nur eines – weit draußen lag der ›Egmont‹, und kürzer und kürzer ward der Vorsprung, den ich gewonnen hatte! Doch raffte ich unverzagt die letzten Kräfte zusammen, – wenn der Fluch der Mutter an mir erfüllt werden muß, so sollte es nicht durch das Weib sein, um das ich ihn auf mich nahm. Cornelis ter Decken hat euch gesagt, wie' ich zu ihm an Bord kam, und ich meine, ihr wißt nun, warum ich wie von Sinnen zwischen den Männern stand, die für ihre Heimat gekämpft hatten, derweil ich kosend und buhlend im Lande des Todfeindes saß, zwischen Männern, deren Hand die Provinzen segnen, während die meine so verachtet ist, daß eine alte Mutter kein Stück Brot mehr aus ihr nehmen mochte!«

»Du hast deine Hand seitdem wohl gebraucht, es ist kein besserer unter uns,« unterbrach Jan van der Goos den Erzählenden, dessen Ton immer grollender und schmerzlicher geworden war.

»Meint Ihr?« rief Erich Engelbrecht emporspringend. »Ich muß es erfahren, bevor ich glauben kann, daß meine Sünde gebüßt ist. Ihr wißt, wie es in Leyden steht – und nur darum hoffe ich! Sie hungern alle drinnen – auch die alte Frau wird hungern, wird nach Brot verlangen und vielleicht der Tage gedenken, wo ihr Sohn mit ihr teilte. Und wenn ich ihr nahe, in der einen Hand das Schwert, das ich im Kampfe geführt, in der andern die Labung, nach der sie lechzt: denkt Ihr nicht, daß sie ihren Schwur vergessen und, wie dereinst, nehmen wird, was ich ihr biete? Das hoffe ich, darum lebe ich, und hier liegen wir und kommen nicht vorwärts. Aber länger trag' ich's nicht, ich will der erste in Leyden sein und sollt' ich auch der letzte werden, der bleibt!«

»Verlaßt Euch darauf, Ihr sollt der erste sein! sagte hier plötzlich eine Stimme, bei deren Klang der dicht um Erich Engelbrecht geschlossene Kreis sich weit öffnete. Wilhelm von Oranien, der mit seinen Begleitern, von allen unbemerkt, dem Schiffe näher gekommen war und dasselbe bestiegen hatte, stand schon längst hinter der Gruppe der Geusen, hatte mit einem Wink Schweigen geboten und die Erzählung des Leydeners mehr als halb vernommen. Jetzt, als er sprach und gegen Erich und ter Decken vorschritt, brachen die Männer vom ›Egmont‹ und vom ›Verlornen Sohn‹ in den betäubenden Jubel aus, der den Prinzen rings auf der Flotte begrüßt hatte. Erfüllt von einem Gedanken, achtete er kaum auf die Jauchzenden und streckte Erich Engelbrecht seine Rechte entgegen.

»Schlagt ein, Herr Engelbrecht!« fuhr er fort. »Ich habe ein Wörtlein von Eurer Geschichte vernommen, ich muß Euch loben, daß Ihr Verlangen tragt, allen voran in Leyden einzuziehen. Nur den Lammer Damm und den Durchbruch gilt es noch; wollt Ihr dort im Kampf morgen voranstehen, so wird Euch nichts hindern, mit Eurem Schiffe der erste in der bedrängten Stadt zu sein. Ihr seid nicht der Mann, ein paar spanische Kugeln und Schwerthiebe zu scheuen – wollt Ihr?«

»Ob ich will!« rief der Gefragte. »Nennt mich einen Hund, wenn mich dies Wasser lebend zurückträgt, bevor ich den Lammer Damm überstiegen. Gebt Befehl, erlauchter Herr, daß von meinem Schiffe, sobald der Morgen graut, der erste Schuß fallen darf, und ich steh' Euch für den Damm und den Durchbruch!«

»Sei es, wie Ihr sagt,« entgegnete der Oranier. »Gute Nacht, ihr Männer, und bessern Tag morgens! So Gott will, gehen unsere Brüder in Leyden heute zum letztenmal hungrig schlafen – auch Eure Mutter, Erich Engelbrecht! Kommt, Boisot, ich muß noch zur Nacht wieder gen Delft!«

Freundlich grüßend, noch einen festen, vielbedeutenden Blick auf Engelbrecht zurückwerfend, sprang der Prinz vom Deck des ›Verlornen Sohnes‹ in seine Barke und nahm den Weg zum Schiffe Boisots. Der Geusenadmiral gab, ihm folgend, kurze Befehle; nach ihm und dem Prinzen verließen auch die Männer des ›Egmont‹ das Fahrzeug. Erich aber schritt wieder zu seinem alten Platz auf dem Vorderdeck und schaute, wie zuvor, unverwandt nach Ost, wo Leyden lag und die ersten Schimmer des Tages aufdämmern mußten.


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